Czytaj książkę: «Sonne satt»
Roma Hansen
Sonne satt
auf der Insel des ewigen Frühlings
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Inhalt
Vita:
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Impressum neobooks
Inhalt
Madeira - Roman vom Zauber der Insel und dem des Alterns in einer Ü 60 - WG,
von deren Integration und Abgrenzung während Ereignissen echten Lebens.
Die Gemeinschaft ist handwerklichem Schaffen aufgeschlossen, sowie der Magie zweier alter Kulturvölker und einigen psychologischen Ansätzen für ihre Alltagsbedürfnisse.
Dies und ihre stärkste Kraft, die Liebe zu ihrem Leben, das auch das Sterben integriert, bringt manches Unfassliche. Jenen, die auf der Insel Madeira dem Lauf der Sonne folgen, und dem Setzen vertrauensvoller Schritte im Lauschen auf sich.
Denn Sanduhren entrieselt die Zeit - ein Schwenk erst kitzelt einen Zauber hervor.
Vita:
Die Autorin lebt seit 20 Jahren auf Madeira. Sie brachte ihren reichen Erfahrungsschatz aus alternativen Verfahren, sowie die Heilpraktik in Psychotherapie, ein im Gesundheitsbereich eines Hotels
1
„Mein Freund Ohle liebt Naturgeräusche, Sonne, Wind und Düfte. Dort am Foto träumt er sich vor unserer Fachwerkscheune in den blühenden Apfelbaum hoch, stellvertretend für Madeiras grünes Paradies mit allerorten Roma-, Cherimoya- und Feigenbäumen.“
Ertappt - wo habe ich denn meinen Kopf!, denkt Usa, an der Supermarktkasse vorgebeugt, und betrachtet kurz noch neugierig an der aufgeklappten Geldbörse vor ihr das Foto des Genannten und seine rote Sportkappe.
Verlegen hebt sie den Blick. Der Sprecher, ein schlanker Mann, ist kein genervter Tourist, nach erfolglosen Suchen nach Tiefpreisen. Vielmehr betrachtet er ihre von etlichen Massagen muskulösen und sonnenbraunen Arme, während die Kassenfrau seine Einkaufsartikel am piepsenden Scanner vorbei räumt.
„Eine Frage hätte ich“, ergänzt er, mit krauser Stirn, der Usa ein dem ihren ähnlichen Alter Ü 60 ansieht. „Wissen Sie ein Häuschen zu kaufen? Wir suchen danach. Meeresbrisen einzuatmen belebt den Geist, und die Sonne Madeiras schenkt uns, was alle so lieben: Seele satt! Ihr Licht gebiert Ideenreichtum und neue Gedanken. Im Sog kopflastiger Reizfluten stecken wir drüben, hier stillt unsere moderne Psyche ihr Sehnen nach Minderung.“
Ohne die abwartende Kassiererin zu beachten, dreht Usa sich um. Zu einer Auskunft bereiter als sie, müsste hinter ihr Anton stehen - nichts seiner Schmauchspur riecht sie, der Kugelblitz verschwand. Dem Unsichtbaren nach flitzt ihre Vermutung, mit lautlosem Seufzen behaftet: Umgekippt ins Belohnungsverhalten findet der kostspielige Mann noch mehr in irgendeinem Regal, obgleich er schon den Bioladen leer kaufte, in einem Sträßchen der Altstadt gelegen. Na, nicht ganz leer, nur ebenso teuer.
Usa hebt ihre Brauen, besinnt sich und vergegenwärtigt ihre jahrelange Kenntnis vom Hörensagen. In einer vage anbindenden Bewegung ihres Oberkörpers wendet sie sich an den Frager.
„Raten könnte Ihnen Sekretärin im Konsulat, dahin gehen Sie sowieso. Auch Touristikbüros wissen über ihre Wanderführer von leerstehenden Quintas. Fragen Sie auch in den Bars der Dörfer.“ Auf die Kassiererin mit einem Kopfrucken deutend und ihre Stirn glättend, lächelt Usa und ergänzt: „Residente begegnen einander immer irgendwo. Bis dahin sind Sie sicher sonnig ermutigt, und übersehen den ruinösen Verfall hie und da. Den Wildwuchs müssen Käufer aussortieren wie in einem Garten, der geliebt wird. Die Sonne hier räumt auch solche alten Ängste aus. Viel Glück!“
Nur kurz noch forscht Usa in seiner erwägenden Miene. Rasch wendet sie sich ihrem Einkaufswagen zu, legt dessen abertausend Teile ab, und entledigt sich zugleich der Absicht des nun einer Hoffnung wohl beraubten Inselauswanderers. In Kürze schaut sie ihm nach. Er spürt noch keine neue Welt in Händen, an Tagen wie heute mit Sonne knapp, und die gaukelt zumindest ihr nicht vor, oder macht sie glauben, alterslos zu sein.
Vor der Atlantik nahen Einkaufsmeile in Funchal, Hauptstadt von Madeira, pladdert es am Jeepdach ins Tickern des Blinkers, mit dem Usa wenig später anzeigt, aus dem Parkhaus herausfahren zu wollen. Die Scheibenwischer schieben blanke Viertel frei, auf die binnen Sekunden dicke Tropfen regnen.
„Subtropischer Regen, für die Inselnatur immens wichtig!“, nuschelt am Nebensitz Anton. Seine eng stehenden braunen Augen, eingebettet in gebräunte Haut, lugen voraus. Er glättet seine sonnenverschossene kakifarbene Weste, steckt die Hände dann samt der Manschetten seines langärmelig grauen Hemdes darunter.
„Wer nur rief den?“, grummelt er nochmals. „Wir Gestrandete wollen ständige Sonne. Leider macht sie sich mehr als rar bis zum heutigen Samstag, dem 20. Februar 2010.“
„Gewiss liegt über den Regenwolken knatschblauer Himmel im All, das Universum rückt uns wieder näher“, räumt Usa ein. Doch klingt ihre Stimme wenig freudig. „Jede Bitte um Sonne überhört die unendliche Obrigkeit. Wie wir gar das Blinkerticken!“
Sie blinzelt in das Verhangene empor mit Augen, die im Echo ihr Hellgrau unter den ausgebleichten Brauen dunkeln. Dann hart das Gaspedal tretend, fädelt sie den Jeep in eine Lücke der auf überfluteter Straße langsam fahrenden und wieder neu gestockten Kolonne. Nur von der Gegenfahrbahn her teilen vorbeiwischende Autolichtkegel regelmäßig die Regenwand vor der Frontscheibe.
Und daher brummt Anton: „Die für dieses Desaster zuständige Obrigkeit überhört ja auch den Schrei nach 'Sonne statt Socken' der Winterflüchtlinge aus dem kalten Europa. Die gehen baden an den pompösen, im Hafen aufgereihten Luxuskreuzern!“
Ein kleiner Gedanke entrückt ihm voraus der Route Richtung Kanarische Inseln, und alsbald an die genauso sturmgebeutelten Küsten der Azoren. Er kehrt um, zu Usas violettem Kleid, unter einer lavendelfarbenen Weste getragen, und daran gewinnt er an Klarheit. Weich und warm wähnt er Usas rundlichen Bauch auf den Schenkeln liegen. Aufwärts schweift Antons Blick, über Usas rot gesträhntes Schläfenhaar zu ihrem Stupskinn über den gebräunten Halsfalten, an die sich graublondes Kurzhaar schmiegt, und ihre Edelsteinkette, die sogar jetzt glitzert im diffusen Licht.
Darin wirkt ihm seine Knittershorts nur verlottert. Genauso wie das braune Kraushaar seiner bloßen Waden, kurz über seinen ausgelatschten Tretern. Da unten rufen die Erdränder an seinen Fußnägeln nach einem nachhaltigen Bad mit Kräuteressenzen.
Usa aber vermutet an Antons Bild der Luxuskreuzer nur seine Gelüste nach überladenen Büfetts. Diesen Fettnapf umschifft sie geschmeidig, und nuschelt baldigst ihren Kommentar.
„Unsere Mitbewohnerin Vera weiß aus all ihrer Erfahrung als Hotelangestellte, Schiffsanimateure bügeln die Wetterschlappen aus, falls Gäste übrig sind, deren grüne Gesichter die Reling nicht schmücken. Verkraften sogar See Untaugliche das Schaukeln nach einer Weile, nehmen sie an Bord Behandlungen bei einer wie mir, die enttäuschten Visionären das Hören und Sehen klären und sämtliche Illusionen austreiben.“
Angetrieben von ihrem Anton noch nicht offenbarten Anlass so harscher Kritik, schaltet Usa die Wischer eine Stufe höher. Vor ihr zeigt sich ein Kreisverkehr. Den passierend und sich einer Brücke nähernd, über deren Weite nur Grau hängt, hämmert es von allen Seiten Tropfen in ihre nächste Anmerkung.
„Zuvor wünschte ich mir für die Rückfahrt nach dem Einkauf einen der legendär doppelten Regenbögen über dem Atlantik, und, der möge eine Botschaft aus dem Sonnenland herabtragen, Wärme. Allzeit war der warme Februar hier eine gegebene Größe, auf die ich mich verlassen konnte.“
„Wer sich darauf verlässt ... Heute schwappt kein Goldtopf am Meer“, entgegnet Anton, wischt mit einem Hemdärmel auf der beschlagenen Seitenscheibe ein Guckloch. „Da oben besteht kaum Chance auf Sonne. Von Süden kommen die Wolken.“
„Hier unten nähern wir uns einem akuteren Hindernis.“ Usa rückt ihr Gesicht zur Scheibe. „Ein Uniformierter lenkt uns nur einspurig und bergauf über die Überführungsbrücke weiter.“
Am Ende der Brücke anhaltend, wo mehr Fahrzeuge einscheren, betrachtet sie in der Tiefe die Via Rapida, und wispert:
„Frei! Versteh Einer die Umleitung zur alten Bergstraße.“
Da wälzt schon unter der Brücke eine Schlammlawine über die Fahrbahn der Schnellstraße. Schäumend an den Rändern, fluten unaufhaltsame Wellen hügelabwärts, mit kniehohem braunen Dreck.
„Irgendwo rutschte ein Berg!“, japst Usa panisch, und dreht den Kopf von der verheerenden Aussicht ab.
„Gullys fassen nichts mehr! Die Sonnenverwöhnten der City erleben ein seltenes Desaster, die Hektik erlahmt.“ Anton reckt sich der fatalen Verschmutzung entgegen. „Wahrscheinlich liegt die City bereits stellenweise überflutet. Und wir mittendrin!“
Daumennagelgroße Regentropfen prasseln nun in endloser Woge an die Schlammlawine an der Via Rapida, deren Brücken nicht nur hier im Süden Täler und Felsrisse überspannen, auch weit in den Westen hinein. Plötzlich entlädt sich kirschkerngroßer Eishagel auf die oben stehenden Fahrzeuge.
Eine Minute lauscht Anton gebannt dem Knallen am Jeepdach.
„Es klingt wie das Wetter im alten Leben. Nebel ziehen hier ja auf, steigen die Temperaturen höher, aber dies entartet zur Zitterpartie“, brummelt er in die Stille, in der sich der Hagel an der weißen Motorhaube des Jeeps verflüssigt, und dabei seine Zehen eisig und klamm werden.
Usa aber zerwuselt hektisch mit beiden Händen die sattroten Strähnen im Kurzhaar der Schläfen, und zieht daraus eine ebenso verstimmte Antwort.
„Nichts hilft, nichts! Wir fahren möglichst denen nach, die sich auskennen, irgendwie westwärts in die Berge.“
Starr geradeaus sehend, lenkt Usa den Jeep am Polizisten vorbei, dessen blauen Regenmantel Eiskrümel bedecken. Stoisch schwingt er die Kelle vor der blinkenden, rotweißen Absperrung.
Nach hundert Metern Schrittfahren stoppt die Kolonne. Anton öffnet die Seitentür, steigt aufs Trittbrett, späht voraus. Und lässt Usa voll Grausen wissen: „Eine Flutwelle kreuzt schon die Fahrbahn!“ Schreckensbleich setzt er sich zurück und knallt die Tür zu, wischt den Regen aus seinem Gesicht, schnallt den Gurt an. „Schnell weg! Todesmutig!“, fordert sein Ton eindringlich.
„Die vor uns starren ins Unglück, bessert doch nichts!“
Tief atmend reckt Usa ihre Brust unter dem Lavendel ihrer Weste. Im Reiz des Anlaufnehmens greift ungeduldig ihre Hand in die Schaltung, der Wagen vor ihr rollt an, gibt Gas.
„Durch den Modder treibt Allradantrieb. Anton, festhalten!“
Mit heulendem Motor schert der Jeep aus, durchquert den vor Minuten angelangten Schlamm bergauf mit Gepolter, schleudert im Schotter. Tosend dröhnt es plötzlich hinter dem Jeep und lauter als das Durchfahren der Reifen zuvor war. Die neue Gefahr wird erkennbar im Heckfenster. Von der Bergflanke stürzt meterbreit eine Lawine, mitgeführte Felsen jedweder Größen kollern in die Wagenkolonne, und überwältigen sie, reißen dahinein eine Lücke.
Halt die Welt an, halt sie an - alle dahinten sollen leben,
fleht Anton. Nur wen meint er? Seinen vertrauten Indianergeist? Kaum zuständig. Was kann der dafür?, denkt Anton in der Sekunde des Spektakels. Zumal er die Vielen erahnt, die jetzt ganz und gar mit dem Denken aufhören.
Noch ein Kleinwagen, Spielball der Lawine, taumelt über den Brückenrand in die Tiefe, andere stapelt die Woge vor den Berg. Mit furchtbarem Getöse zermalmen die Felsbrocken Fahrzeuge bis zur Unkenntlichkeit. Schlammfontänen spritzen darüber, mehr und mehr wildes Wasser prasselt von der Bergflanke nieder.
Vor der entmenschenden Rohheit dieser Massen, presst Anton seinen schreckstarren Rücken an den Sitz, und sieht nicht mehr zurück. Auf seine innere Lippe beißend, schmeckt er eine Dosis eigenen Blutes, kaum annähernd so grauenvoll beladen wie er das in der Karambolage wähnt. Nichts kann er dagegen halten. Diese Sekunde des Unglücks so präsent wie sein Zittern vor den alles überlagernden Bildern seiner Vorstellung von schlammbesudelten Leichen, in Trümmer eingeklemmt. Eng schnürt es ihm die Kehle. Blicklos vorschauend, schnauft er den Überdruck durch die Nase.
„Bald - sind - wir - oben“, raunt Usa, so stotternd wie der Jeep die Steigung hinauffährt. Sie blickt Anton an. Aus ihrer Stimme klingt Erleichterung. „Oben kommt uns kein Schlammwasser entgegen. Unglückswasser fluten runter. Wir sind sicher.“
„Hast du es im Rückspiegel gesehen?“
„War laut genug. So bald es geht, halte ich an. Mein Gasfuß zittert noch ebenso wie meine Hände am Lenkrad.“
Im Regen taucht das Laufband einer blinkenden Barriere auf. Sie markiert den Abzweig zur Serpentinenstraße, hinter der die schnurgerade Höhenstraße der Hochebene Paul da Serra folgt, um daran auf die andere Inselseite zu gelangen. Höher und steiler wird die Steigung, führt in engen Kurven vorbei an ausladenden Akazien, hernach durch alte Pinien und den triefenden Wald von Eukalyptusbäumen, der seinen aromatischen Duft verströmt.
Bald düst der Jeep hinter einem Kleinlaster her, der, wenig Deckung gebend, Wasserlachen zerteilt. Usas Fuß hoppelt auf dem Pedal der Breme, während der Jeep im Aquaplaning schwimmt.
Anton korrigiert seinen Atem mit einem ihm kaum seine Brust erleichternden Seufzer. Gebeugt im Gurt hockend, orientiert er sich für eine lange Zeit nur längs des Straßenrandes.
„Plutonisches reißt in diese Zerstörung“, meint er danach.
Usa antwortet mit heftigem Nicken. So plötzlich wie sie es beendet, enden auch die Steigung der Fahrbahn und das Pladdern. Einsehbar öffnet sich die Straße. Am Rand harren braune Rinder aus, die Hufe in den Hagelwehen vor Büschen aus Besenheide. Im Nu stoppt Usa, klappt die Kapuze der Weste hoch, steigt aus und geht drei Schritte. Der Wind schmiegt ihr violettes Kleid vor die Beine. Sofort umkehrend, steigt Usa ein und sieht Anton an.
„Es stürmt mich aus den Angeln. Leben sieht anders aus.“
Sie zieht die Kapuze vom Haar. An ihre vor Anspannung roten Ohren legt sie ihre Hände, um zumindest den Kopf beim nächsten Atemzug aufzufrischen.
Anton mag sie nicht ansehen, seine Brauen zucken nervös zur Stirn hoch. Leise, verhalten und in getragenem Ton, murmelt er:
„Die Toten brauchen keine Angeln mehr, weder an Türen, noch fürs beliebte Fischen. Schockschwere Nöte kommen den Verletzten für ihr Überleben. Keine baldige Änderung der Turbulenzen lese ich an den stoischen Rindern, sie sind klug aus Erfahrung. Aber noch sind wir nicht am Ziel, nur deine Geistesgegenwart rettete uns das Leben. Hab Dank“, erklärt er sein Befinden. „Mir fehlen die Worte. Mag es mir nicht länger vorstellen.“
Usa schaut in den Rückspiegel. Daran haften das Grauen des Desasters unbeherrschbarer Elemente. Ihr bricht kalter Schweiß aus. Nicht, weil sie den Jeep an die Asphaltstraße steuert, nun westwärts der Hochebene, gnadenlos im Sturm gepeitscht, der den Wagen mittwärts drückt. Nach einer Weile anstrengenden Lenkens geht ein Ruck durch den Jeep nach einer Rechtskurve, scharf um eine Felsformation herum. Im Blick in die nasse Bergwelt bremst Usa ab, denn voraus stürmt erneuter Regen in aufrechten Fäden.
„Im Westen nix Neues“, feixt Anton.
„Nimm hin, was du nicht zu ändern vermagst.“
Usa entspannt ihren Kiefer. Die Zähne öffnet sie zu einem Gähnen, das ihr den Schreck des zuvor Erlebten herauszieht.
„Auch meinen Hunger nach Sonne und dem Zauber der Insel?“
Ungemütlich fummelt Anton am Sicherheitsgurt, knallt ihn an seine Brust. Er reckt seine kühlen Zehen in den Sandalen zu Usa hinüber, sein Kinn zuckt protestierend. Das ihre jetzt mehrmals seitwärts bewegend, lockt Usa ein Gähnen hervor, und streichelt über ihren klammfeuchten Hals. Ihren Ton färbt linder Spott.
„Bessert dein Meckern deinen Hunger? Ich sehe den Grund zur Freude, wir kehren unbeschadet heim. Im Regen forsche nach mehr Gefasstheit. Geistige Beschäftigung vertreibt deinen Koller der Langeweile. Du brauchst wohl mehr als den Quintagarten, hm?“
„Kommt nicht in die Tüte, mich irgendwelchen Arbeitszwängen
auszuliefern, jetzt, nach dem allgemeinen Ende des Hausumbaus.“
„Stimmt also“, versetzt Usa milde herablassend. „Gefährlich ob deiner Geschichte. Doch deinen Geist anregen sollte etwas in den tristen, ans Haus bindenden Tagen. Merke dir, dein Nörgeln macht dich unausstehlich!“ Usa blinzelt voraus, senkt die Lider müde, auch von Antons geballter Nähe. „Generell alle in unserer Gemeinschaft starteten an Standorten, die ungleich waren, doch führten sie uns in die warmen Breiten.“
Einen lahmen Moment später fügt sie zögerlich, im Sog ihres Inneren unterwegs, an: „Haste vergessen, wie sonniges Gemüt und Herzlichkeit gehen? Wärme spendet allen subtropischen Wesen nur eine grundlegende Zufriedenheit. Die lindert die Reißspuren des mitgebrachten Plunders auch bei dir!“
Protestierend runzelt Anton seine Lippen, presst sie hart vor, dämpft dahinter seinen Frust an der Dominanz dieser Frau. Dennoch abverlangt er sich ein Patentrezept, nur leider weilen dessen Zutaten unerreichbar irgendwo. Die eingekauften Schätze böten Anlass für Schub und Wende. Er peilt zum Heck, gewahrt im Augenwinkel aber Usas Profil und daran den Impuls anderer Art. Ja, die Liebe wächst still und unbeeindruckt wie Graswurzeln.
„Überredet!“, haucht Anton aus weichem Mund. Er drängt sein Begehren hinter die Retourkutsche. Von der wähnt er sich etwas holprig, wohl mehr der Mühe wert.
Antons warm klingenden Ton genießend, linst Usa in den nun dünneren Regen und an die schwache Kontur eines Schemens. Wenig nach dem in triefender Regenjacke Wandernden, hält Usa den Jeep an, obschon ein waagerechter Nebel wabert, aus dem es tropft.
„Ups! Einer zum Mitnehmen, weit und breit kein Unterstand.“
Bereitwillig dreht Anton sich nach hinten, und klappt die Seitentür auf. Der Wanderer nähert sich wie schlafwandelnd.
„Rasch, rasch!“, ruft Anton, „aus dem Sauwetter heraus!“
Hinter sich die Jeeptür zuknallend, blickt der Mann in ihm zugewandte Gesichter, in die er grinst. Dann wischt er sich die nasse Kapuze seiner Plastikjacke vom Kopf.
„Ich liebe Sturm, bin nun ausgekühlt.“ Eine Pranke reckend, wispert er: „Die reiche ich Ihnen nicht, die wühlte in Erde. Bin übrigens Carel, ein Naturforscher. Guten Tag!“
Usas Mundwinkel zucken, während sie das runde Gesicht unter der landestypischen Ohrenklappenmütze mustert. Welcher Spezies gehört Carel fürwahr an? Das will sie mit mutwillig ernsthafter Tonlage nicht wissen.
„Ist es in Ordnung, Sie nach Ponta do Sol mitzunehmen?“
„Fantastisch! Habe heute genug erledigt.“
Carels zufriedenes Gesicht weicht ihrem forschenden Blick aus. Antons dagegen zieht, mitsamt einer glühenden Frage darin in ein Blinzeln, und klimpert mit den Wimpern.
„Nur zu, Usa. Der Herr will, wohin wir fahren.“
Er reibt über sein linkes Ohr, schweigt aber. Usa kennt die Geste, und dirigiert den Jeep über von Schlaglöchern gesegnete Kurven talwärts, rutschig von nassen Eukalyptusblättern. Rasant schleudern die Reifenprofile hindurch, und im Heck klappert der Einkauf, wo er nicht mit Nudelpaketen verkeilt wurde. Ab und an linst Usa im Rückspiegel zu dem Erbleichten. Meldet ihm bald:
„Ab jetzt geht es nur geradeaus, danach halten wir.“
„Trifft sich gut“, grunzt Carel aus schmalen Lippen. „Diese Abkürzung kannte ich noch nicht. In der Ortsmitte, da unten am Kreisverkehr, steige ich aus. Mein Hotel liegt auf der Klippe.“
Nach dem Durchfahren des Kreises mit seinen vier Abzweigen, steigt Carel in der Haltebucht des Regionalbusses kommentarlos aus, und schlurft fort durch einen erneut einsetzenden Schauer.
Anton beklopft mit einem Finger seine Nase.
„Klippenhotel! Vera kennt persönlich die Gäste und sie wird wissen, was für einen Charakter dieser Carel hat.“
„Carel scheint dir ein absonderlicher Spinner zu sein? Das aus deinem Mund?“, japst Usa wenig heiter. tragikomisch im Ton.
Anton schmunzelt, erklärt dann zögerlich sein Grübeln.
„Ups! Du meinst, Gleich und Gleich erkennt sich leicht? Nur buddle ich nicht bei strömendem Regen im Naturschutzgebiet.“
„Anpacken wirst du gleich müssen.“ Usa schaltet die Wischer ab, und startet mit dem Ausruf: „Zum Heimathügel in der Region Madalena do Mar! Noch einmal Serpentinen, dann erreichen wir unseren schmalen Asphaltweg mit all seinen gepflegten Häusern.“
Wenig später fährt Usa auf ein holpriges Stück am Ende, und in die Parkzone der Quinta. An deren Fassade rankten Maracuja an einer Palisade in Höhe und Breite. Jeder Meter der sauberen Bruchsteine bezeugt mit seinen hellen Fugen die Umbauarbeiten.
„Die schweren Kisten trage zur großen Küche. Unsere Tüten nehme ich mit zur Teeküche. Auf besser Wetter warte nicht.“
Usa klappt ihre Kapuze über, öffnet dann rasch die Hecktür.
Anton tritt neben sie und hebt eine Flechtkiste heraus.
„Lian ist mit dem Kombi fort. Reißaus vorm Wetterkoller.“
„Kaum, sie inspirieren wohl eher die Regentropfen für ihr Töpfern. Du bedauere Margarita, sie hört den ganzen Tag lang das Glas am Gewächshaus knattern. Sie wird abends taub sein.“
Das Ausladen zieht sich hin. Unter dem vagen Windsäuseln in den Fingerblättern der Ranken an der Mauer. Nach wiederholtem Hin und Her stehen Anton und Usa am Jeep vor den letzten Tüten. Aber davon hält sie ein Sacken rechts hinten ab. Usa hockt sich irritiert vor den platten Hinterreifen. Sie sieht zu Anton hoch und fasst es nicht, wie viel Glück sie im Nachhinein erkennt.
„Der Katastrophe Funchals sind wir entkommen und hier nicht sicher vor Schaden. Fahnden wir nach der Ursache?“
Anton beugt seinen Rücken hinab an das seltsame Malheur.
„Mürbe war der Reifen nicht! Manchmal schadet die Sonne dem Mantel über die Jahre. Der Plattfuß hat andere Gründe.“
Antons Kommentar hört Usa schon hinter sich leiser werden. Sie geht gebückt, quert die Einfahrt, mustert den Wegschotter.
Noch blinken die regennassen Nägel nicht im Sonnenschein, aber fallen Usas suchenden Augen in der Wucherung von Unkraut auf.
„Schau dir das an, wie ausgesät! Extra ausgestreute Nägel! Kann das sein? Attackiert uns der Fremdenhass?“
Herangehumpelt an die krummen Ungeheuer, bedeckt Anton im Schock mit einer Hand seinen Mund.
Kindliches Kichern tönt an einer weit höher gelegenen Mauer aus den rankenden Polstern, die prachtvoll violett blühen. Das struppige Kraut versteckt weder die zwei Jungengesichter, noch das sich zur Mauerkrone nähernde, geblümte und zurückgebundene Kopftuch an einer alten Frau.
„Jacko, vai aki!“, krächzt sie und zerrt den Einen am Ärmel mit sich. Der kleinere, also jüngere Bruder will fort sprinten, sie erwischt ihn am gelockten Haar. Er heult auf und zieht die Schultern zum Hals, obgleich kein bisschen eingeschüchtert. Am Grundstück nun kreischt und quiekt es, die Frauenstimme zetert bruchstückhaft. „Policia“, tönt darin, und Schlagen auf Haut.
„Sie straft sie“, murmelt Usa hart. „Mir sagen meine Sinne, nicht zum ersten Mal. Die Alte ahnt nicht, wie sehr sie das natürliche Vertrauen der kleinen Frechdachse erschüttert.“
„Sie handelt nach ihrem Unrechtsbewusstsein, bläut es ein“, bestätigt Anton heftig nickend. „Ja, Prügel werden für immer ins Gedächtnis gebrannt. Ich fege für die uns Nachkommenden.“
Anton greift zu den Tüten und folgt Usa, humpelnd an seinem unfallbedingt kurzen Bein. Hernach kehrt er die unseligen Nägel in den Schmutz am Weg. Danach betrachtet er oberhalb das einer verfallenen Hütte gleichende Häuschen, von dem moderne Menschen nie annehmen würden, darin wohne jemand mit Kindern.
Es pladdert erneut. Anton flüchtet in Richtung Balustrade, unter den Balkon vor den Räumen von Margarita, Vera und Maik, und weiter in seine und Usas Teeküche. Eintretend, begegnet ihm Usa im grau gefliesten Flur, den sie quert in fünf Schritten an Bad und Büro vorbei. Sie lehnt sich zu ihm an die Herdzeile mit dem Regal der Kräuterdosen darüber.
„Seit wir losfuhren, filterten die Lufttrockner literweise Wasser, den feuchten Wänden entgegengewirkt. Den Brummer im Büro stellte ich ab, mag das Geräusch nicht.“
Ihr Blick auf Anton verkündet das Ende des Nägeldramas. Mit einem weichen Klang, der selbst ihm angenehm gefällt an seiner sonst so tiefen Stimme, erwidert er:
„Klar! Genehmigen wir uns aus der Espressomaschine Bickas? Maik scheint lange fort zu sein, er ließ den Küchenkamin drüben kalt. Ich montiere ohne ihn das Ersatzrad nach dem Schauer.“
Bald stehen am schmiedeeisernen Küchentischchen dampfende Tässchen, am dazu passenden eisernen Stuhl sitzt Usa eingehüllt in eine Jacke. Sie zupft am mittleren Knopf, worunter ihr Busen wogt, und schaut in die fingerdicken Rinnsale vor dem Fenster.
„Der graue Tag hält sich nicht an Madeiras Regel von drei Tagen. Seit drei Wochen kreist am Atlantik der Orkan.“ Usa sagt es erschöpft, doch spürt die Zeit einer anderen Erklärung wäre gekommen. „Den ertrage ich, seit ich gemobbt werde.“
„Ups! Das belastet dich! Letzthin gingst du auffällig krumm umher. So sitzt du auch jetzt hier.“
„Zu Gunsten einer jüngeren Frau werde ich abgedrängt. Sex sell’s ist die aktuelle Devise. Der Chef wird sich noch wundern und sein Haar raufen! Wenige Gäste begeben sich in fremdartige Hände, stehen auf billige Menschlichkeit! Deren Vertrauen muss locker sitzen, sonst stecken ihre Euros in der Börse fest.“
Eine Armlänge entfernt, sieht Anton das bildhaft. In seine Augen tritt ein feiner Humor und etwas tröstliche Sympathie.
Usa gewahrt es, es erleichtert ihr, neu anzusetzen.
„Das kam nicht unerwartet. Längst merkte ich, dem Chef galt meine Fachkompetenz nichts mehr, obgleich viele der Gäste ihre Erwartung ausdrücken, für sie zähle für eine Behandlung, neben sinnlich heilenden Händen, vor allem ein entfaltetes Gemüt. Ja, ja, eine unfaire Zwickmühle!“
„Aussöhnen derhalben, würde mir auch nicht schmecken.“
Mit seinem Tässchen in Händen lehnt Anton sich zurück, und fordert Usa mit einem Kinnruck auf, zumindest ihren Jackenknopf in Ruhe zu lassen. Usa faltet und legt ihre Hände in den Schoß.
Hinabsehend, treten vor sie Bilder aus dem Hotel. Zum Glück wandert ein winziges Erinnerungteil zum ersten Treffen Antons an der Hotelbar. Vor dem ergreift sie die kleine Kanne, an der ihr Daumen längs dem noch warmen Metall streift.
„Anton, seit du kamst, seit damals änderte sich im Hotel so Vieles, und zerstörte meine jahrelangen Gewohnheiten. Leere und Ende aber, haben den Haken von Miete und Unterhalt.“
„Suchen wir demnächst gemeinsam, was uns die Tage füllt?“
Selbst Anton klingt seine Frage schwer von Usas Weh, seiner Mühe damit. Über sein linkes Ohr reibend, schießt ihm auf, Usa knistere in Hochspannung, nach der Zitterfahrt aus Funchal ihm darüber hinaus verständlich.
„Unser Überleben heute relativierte mir diesen Jobverlust, Anton. Angst mag guten Rat und einen Neuanfang initiieren, wenn ich mich ihrer entledige. Ein großes Wenn.“
Den Kaffeeschaum wischt Usa vom Inneren der Tasse mit einem Finger ab, steckt den in den Mund und kaut im Moment nicht nur an dem Aroma im Speichel. Schon klatscht sie theatralisch ihre Rechte an die Stirn, gestattet sich einen Blitz Sarkasmus, und entlädt ihn an Anton vorbei in die Küche.
„Stets zu oft, ließen sich im Hotel gelangweilte Touristen verwöhnen, und schätzten wenig, was ich ihnen bot. Nach einem mit Nörglern gefüllten Tag fühlte ich mich wie an einem anderen Stern, und musste mir meinen Kopf zurechtrücken. Aber ...“, Usa stützt die Hände am Tisch, steht agil auf, und überträgt Anton ihre Verwandlung in einem harten Ton, „bevor ich an einen Stern stürze, pack ich die Bioladenleckereien aus. Derentwegen, längs des Unglücks, wurde mein Kopf dem Casus knaxus geweitet.“
Antons dunkle Wimpern zucken kurz hoch, doch sofort auch in der Vorfreude auf die Hochgenüsse.
„Hm! Damit erscheint mir augenblicklich das Unvollendete in unser beider Entwicklung leichter. Essen setzt ein Gegengewicht ein, auch aufs Fehlen von Maik und Lian, die irgendwo sind.“
Der Störsender Telefon unterbricht seine Mutmaßung, weshalb die Quinta leer wäre. Er nimmt den Hörer und stöhnt auf bei der besorgten Frage zur Unwetterkatastrophe eines trauten Freundes in Deutschland. Er wimmelt die lästige Fliege ab, um sich der angerichteten Platte schwarzer Oliven und grüner Avocadohälften zuzuwenden und den marinierten Peperoni und würzigen Gürkchen.
Davon bedient sich auch Usa reichlich und nascht nicht nur ein winziges, mit Artischocken- und Basilikumpaste bestrichenes Pumpernickelscheibchen als ihre generelle Kompensation. Am Ende ihres paradiesischen Schmausen öffnet Usa eine Tüte Mangokekse, deren süßes Aroma sich in die Essigdüfte am Tisch mischt.
Einen fruchtzarten Bissen kauend, grollt sie: „Ich wate in der Abwasserkloake des Hotels in dem Gefühl, die mich beerbende Milchkaffeehäutige hat von meinem Therapiestil keinen Schimmer. Mir stellen sich die Nackenhaare auf, denke ich nur kurz an sie wie an meine Masseurin. Leicht gelingt das sonst keiner Frau!“