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Roma Hansen
Altgold im Anflug
Madeira - Roman Teil 2 von Sonne satt
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Inhaltsverzeichnis
Titel
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Impressum neobooks
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Neben dem famosen kühlen Keller der Hausgemeinschaft, eingerichtet in der natürlichen Höhle im felsigen Erdreich des madeirischen Bergdorfes, doch mitnichten an der hölzernen Kellerpforte, klickt es rhythmisch und metallisch. Das Geräusch dringt allmorgendlich kaum hörbar aus dem überdachten Stellplatz. Der Schall quert den Hof vor dem Garten, in dessen Nähe Anton absichtsvoll horcht. Er schließt hinter sich die Tür der Teeküche unter dem Balkon der Dachetage. Er entfernt sich, lässt das Hügelbeet seiner Küchenkräuter links liegen, und geht voraus jenem Knirschen und Rollen am Kies, das ihm folgt.
Margarita schiebt ihr Moped so leise wie möglich aus dem Hof hinaus, und nebenher geht sie. Ihre Schritte klingen zögerlich. Weshalb, ahnt Anton, vermutet eines mit Sicherheit. Nicht einzig ihre in den zwei Jahren von der Sonne vergilbte Leinentasche für den Job ruft nach einer neuen Fassung; Margarita mangelt es an Esprit für einen heiteren Start in den Arbeitstag.
Auf der Parkfläche am Bergweg vor den Gemeinschafts-Jeep gelehnt, hängt Anton seine Daumen in die Hosentaschen, reibt und wärmt mit den Fingern die Schenkel. Während er auf Margarita wartet, lugt er in das Goldlicht im Osten. Der flauschige runde Glanz ringt an diesem Novembermorgen mit dem Hochnebel, der bald aufgelöst sein würde vor dem nahen Wald am Bergkamm.
Dort hinauf schaut auch Maik. Am Giebelfenster seines Schlafzimmers grüßt er den beginnenden Tag und am Horizont des Atlantiks des Himmels Blau. Denn so weit kann er hinausschauen, ohne sich zu verrenken. Unterdessen hört er das Gespräch der Freunde mit, da Margarita sich der Straße nähert.
„Anton, du willst im Jeep los?“ Margarita räuspert ihre spröde Stimme frei und fügt angestrengt an: „Rollen dann die Räder unter dir, flutschen deine Gedanken in andere Richtungen als bei meinen Gärtner-Kollegen. Davon gehe ich aus bei den um Jahrzehnte jüngeren.“
Vor solch einem Hinweis hat das goldene Ostlicht keine Chance. Margarita gewinnt Antons volle Beachtung. Er hebt das Kinn, zum Weiterreden auffordernd.
„Bisher gefiel mir die willige, warmherzige Mentalität der Kollegen. Ich konnte sie akzeptieren und sie auf ihre Art mich. Es war leicht, mich fast zwei Jahre lang anzupassen. Aber seit dem Herbst jammern die Kerle, so, wie viele andere das als normal und menschlich verstehen, orientiert an ihren Genitalien. Sie reiten sich tief und fest hinein in ihr Selbstverständnis, aber wissen nicht damit umzugehen. Es ist wahrlich ein Kreuz, und das hat Gewicht. Ich will akzeptiert sein, aber mag vor mir selber nicht eine Erfahrung aus den Berliner Siebziger Jahre-Demos leugnen, nicht die Freiheit, für meinen Körper zu wählen, nicht meine konsequent erwachsene Basis. Doch täglich höre ich Anzüglichkeiten zu der Ebbe im häuslichen Sex. Mangel verstopft die Hirne, Münder laufen über ohne Sinn und Verstand.“
„Sie traktieren, belästigen dich!“, entrüstet Anton sich leise und weitet seinen braunen Blick, der ihm die Augenfalten vertieft. „Das dürfen die sich nicht erlauben!“
„Meinst du, weil du mich schätzt, auch dann, wenn mich allerhand verwirrt.“
Sein Verständnis genießt Margarita und fühlt sich für den Moment schon besser, dennoch brennt ihr noch etwas auf der Zunge.
„Ich glaube, der Zeitgeist im Jahr 2010 kehrt das Unterste hervor! Weil die Kollegen Kinder jener Insulaner sind, die von der Diktatur in Portugal betroffen waren. Das Militärregime dauerte fast fünfzig Jahre, und was in der Zeit nicht entfaltet wurde, das wird hier nachgeholt. So weit ich weiß, liegt eine friedliche Revolution in den frühen Siebzigern und erst daraufhin begann die demokratische Verwaltung und im Zuge dessen eine für die Insel Madeira.“
Margarita nickt sich selbst zu und auch Antons sanften Schleier einer Nachdenklichkeit an seinen Augen. Nach innen gekehrt, erwartet er, was sie noch zu sagen hat.
„Klar, ich kann nur vermuten - zum Glück fehlt mir die Erfahrung - eine diktatorische Staatsform lasse kaum Menschlichkeit zu, beschränke erheblich. In so vielen anderen Ländern sind katastrophale Regime an der Macht. Demnach ...“
Am Weiterreden hindert sie Anton, wirft ein: „Ich verstehe, du meinst nicht den Kulturschock, denn dir war die warmherzige Art der Madeirer einer der Gründe, hierher auszuwandern. Du meinst das, was Eltern an Kinder weitergeben, das, was sie an Normen anzuerkennen hatten. Aber ...“
„Ja, ja, nichts aber, lass mich ausreden!“, wiegelt Margarita ab. „Demnach, ich weiß, wie sehr dein Los dich bedrückt, selbst noch nach sechs Jahrzehnten, konnte hier wenig von dem gelingen, was mir damals gelang, nämlich dies, einige Freiheiten zu nutzen.“
Sie bemerkt es wohl, bei Anton fallen solche Annahmen durch ein gedankliches Sieb. Bevor er seinen eigenen Krümel herausfischt, lenkt Margarita ihn zurück auf ihr Anliegen.
„Eine Freiheit war, wo es ging, erotische Bedürfnisse zu befriedigen, ohne die drückende Pflicht für in langer Mutterschaft auszutragende Kinder. Das danke ich einer Reihe engagierter, provozierender Kämpferinnen. Sie bewegten viel, färbten brandaktuell die Zeitenwende für die Rechte der Frauen. Eine Devise war, wehrt eine Frau sich nicht, lebt sie verkehrt und endet in den verkrusteten Sitten am Herd. In den bunten Jahren gärte es in allen großen deutschen Städten! Tja. Wie war es wohl hier?“
Margarita gewahrt leichte Beunruhigung auf Antons Mienenspiel. Danach steht ihr gar nicht der Sinn. Sie entschließt sich, den Bogen ins Heute zu schlagen.
„Es ist nicht mehr ganz so aktuell. Die Freiheit zu reisen nutzen inzwischen mehr Leute in Europa, auch wie wir das nonkonforme Wohnen. Dennoch sehe ich hier auf der Insel kaum Wahlmöglichkeiten für die neuen Menschen mit ihrer intakten, aktiven Matrix aller Fähigkeiten. Solche Leute nutzen bei Grenzerfahrungen ihre Funken von darüber lachen können.“
Etwas mehr Gelassenheit, vermischt mit Staunen, entdeckt Margarita an Antons leicht sich öffnenden Mund. Rasch fügt sie an, doch Oktaven tiefer und herber:
„Die Kollegen lachen ebenso wenig wie ich über ihr Gebabbel. Gerne würde ich davor flüchten. Und vor den Blicken, die nicht einmal an meinem welken Hals den Unterschied zu ihren jungen Ehefrauen bemerken. Diesen Blickwinkel verengt der Überschuss der Hormone. Sie vergegenwärtigen nur: Ola!, eine Frau!“
Margarita lehnt vor sich das Moped, zieht dabei das Streifentop über den perfekt geformten Brüsten faltig. Im Moment nicht so wichtig wie ihr die Hände, um durch die Luft zu fächeln wie ein Mädchen.
„Vorgeführt wird nur mir mein über die Jahre hinaus sein ... von einer jungen Helferin. Sie klatscht bei genital gesteuerten Ansagen beide Hände vors liebliche Kichern. Ihr gefällt das von mir als überflüssig empfundene 'Gold', sie kann ihre Blicke nicht von den Plappermäulern abwenden.“
Anton gestattet sich ein verunglücktes Grinsen. Bei ihm greifen Beobachtungen von Dorfkultur. Oben herum nahtlos gebräunte, ranke Kerle. Solche Eindrücke, nicht Margaritas Monolog über die zu gerne vergessenen Missstände in der Frauenthematik, treiben seine Mühle der Kritik an. Wenngleich auch ein Giggern, das ihn ohne Schärfe reden lässt.
„Thema Nummer Eins hypnotisiert die junge Hilfskraft. Sie sehnt sich auf die Wolke Nummer Sieben, egal, mit wem sie dorthin flöge. Wurde sie in einem einsam abgelegenen Dorf erzogen, zum Zweck alleiniger Vermehrung? Glaubt sie eisern daran? Dann sicherlich schwebt ein gewaltiger Diabolo vor allen ihren vorehelichen Lustbarkeiten. Verführung führt direkt ins Fegefeuer.“
Oben am Giebelfenster das Gespräch verfolgend, wird Maik vermehrt froher über den Schlenker herum um Margaritas Betroffenheit, und denkt: Anton, nur zum Teil stimmt dein hartes Urteil. Gerade in abgelegenen Dörfern daddeln Jugendliche am Smartphone, sie brauchen die sozialen Foren. Für alte Säcke wie uns sind Foren wenig anziehend, uns locken die Wolken nach der Nummer Sieben in die stillbare Lust erquicklicher Teufelinnen hinein! Von Mal zu Mal mit mehr Recht. Oh! Gelas Lebendiges flutet mir ins Kopfkino ... Auch deine Stimme, Anton, du Kuschelbär, giggert nicht grundlos.
Zeitgleich ihn darin bestätigend, dringen bekannte Geräusche dumpf durch die Trennwand zum Zimmer von Vera. Mit mehr als nur einem Gähnen erwacht Ohle, ihr Geliebter. Den Takt knarzen am Bett die Schlingen der Hanfkordeln an den Rattanstangen und im Mosaik im Flechtwerk am Fußende.
Sehr genau erkennt Maik die Geräusche, nach den Bildern seiner Vorstellung. Nach so einem Rausch folge bald ein Rauschen der Dusche. Die seine genieße er zuerst, entscheidet Maik, und schnuppert an dem allein produzierten Nachtschweiß am Pyjama. Er schmunzelt, da auch unten am Parkstreifen nun Margarita munterer wirkt. Und sie beauftragt er gedanklich intensiv, schon vom Horchen an der Wand abgewendet, indes er seine muskulär harten Beine auf den Flur ins Bad befielt:
Clever und taff verbiete den blubbernden Kollegen, die es nötig haben, die losen Mäuler!
Margaritas um Oktaven helleres Prusten hört er nicht mehr. Und es meint auch gar nicht ihn.
„Die kirchlich angesagte Ordnung, na ja, eben ein christlicher Anstand, oder ein Stil nach meiner gereiften Weltanschauung, sind denen allen egal! Mich umgarnende Kerle wollen und brauchen täglich Bestätigung, damit die Muskel-Maschinen bei vollem Körpereinsatz laufen.“
Ernsthafter und strategischer, denkt Margarita nach. Tiefer atmend stößt sie beinahe das Moped vom Bauch, bei dem umwerfender Einfall: der jungen Helferin nur Aufgaben zusammen mit den Protzern anzuweisen. Unterdessen arbeite sie selbst den ganzen Tag lang fein abseits. Allerdings ...
„Die ticken, wie sie wollen. Weißt du eine bessere Lösung, ohne mich lobend anzubiedern, Anton?“
Bei fragendem Augenausdruck besetzt Margarita den Mopedsattel, stellt die Arbeitsschuhe ihrer Füße in die Abfahrposition. Mit zwei Schritten nähert Anton sich, hält jäh inne. Im wenig fernen Areal quäkt ein Junge, übellaunig und zurechtweisend schreit einer der Brüder. Jacko und José wohnen dort mit ihrer Großmutter und die fährt ihr Timbre hoch in einem Anton unverständlichen Dialekt. Immerhin, ein zweites Mal traut der Junge sich den gänzlich neuartigen Protest. Und absolut unpassend im Moment des Gekreisches ruft eine männliche tiefe Stimme „Vermaledeiter Gauner, José, lass es!“ Josés Wehklagen niederschmetternd - gewiss fällt dem Deutschen nichts anderes ein als das laute Gebrüll, wenngleich mit beruhigendem Zungenschlag: „Calma, calma, José!“
Jener Mann brüllt, auf den Anton in jeder Situation unumstößlich mit spitzer Aversion reagiert, Carel.
„Das Büschel an Haaren in deiner Suppe ist schon wach“, raunt Margarita, und überträgt hehre Glut im Blick auf Anton, der seine Augenbrauen zur Stirn zieht. „Na? Wankt deine fidele Morgenruhe?“
„Stimmt, ich fürchte zwei Haare in der Suppe. Das eine wäre Carel, der nur diese Bleibe hat, dort ein und aus geht, deshalb der Oma mit den Kindern hilft. Zweitens droht mir, diese Großmutter mausert sich eines Tages wegen Carel, ihrem Verbündeten, und verweigert mir einen Platz als Leihopa. Bevor das eintritt, will ich wissen, was genau die Jungen brauchen. Von mir, was ich geben könnte. Dafür soll die Tour in den Berg an diesem Morgen mir auf die Sprünge helfen.“
Keine Regung zeigt Anton, keinen winzigen Ruck zum Luftholen für einen Sprung. In starrer Haltung lauscht er der Stille in der Nachbarschaft. Nach Sekunden schwenkt er die Arme lang vor sich, weicht einen Schritt ab von Margarita, die, wie zuvor schon, den Mund zu einer Stichelei geöffnet.
„Dein Vorbehalt gegen Carel lenkt dich ab vom Wesentlichen. Eine neue Freundschaft wäre wichtiger als dein Klumpen Altgold und könnte ein blanker Nugget aus Gold werden! Höre nicht länger dein uraltes Ding heraus aus Carels Stimme. Er beweist seinen Einfallsreichtum während der Zeit in der Hütte, arrangiert sich drüben ... nicht bei uns. Und er überfordert dich wie eine Bedrohung. Mir wäre er für uns, inklusive dir, als gut gelaunter Freund willkommen. Klar, deine Aversion knackst du nicht sofort, vielleicht auch niemals, doch kannst du deinem Pendant davonlaufen? Wir leben auf einer Insel.“
„Ja, ja, ich weiß, so denkst du. Doch Carel ist dort gut aufgehoben!“, erwidert Anton in fester Tonlage. Von Margaritas Augen absehend, fällt sein Blick auf die Kiesel am Belag der Parkzone, und schon fällt ihm ein, was zudem noch auf sein Gemüt drückt. „Der Stein des Anstoßes drüben, der Oma Gezeter, schmerzt mir in den Ohren so sehr wie quietschende Reifen auf Asphalt. Aber von dem können weder du noch ich etwas ändern. Mächtigere Ideen nutzen im Kontakt mit den Jungen.“
„Hör mal, aus meinen Telefonaten mit Leo in Berlin weiß ich einen Tipp. Für mich bat ich Leo um Rat und der lautete, ich sollte mir innere Ruhe bereiten und den Auslöser des Gegenteils anschauen. Leo geht davon aus, das Gehirn habe für das Grübeln ein Zentrum, umgangssprachlich nennt sie es so, und das liegt seitlich links. Und diese Seite aktiviert die rechte Hand bei automatischen Bewegungen und darin die Unruhe oder die Angstsituation. In diese Falle nur nicht gänzlich abrutschen, das wäre ein Fehler. Schon arge Grübelei ist ein Fehler. Anton, im Widerpart lauert eine Falle. Eigentlich brauchst du deine Furcht vor Misserfolg nicht. Also, wozu hältst du daran fest?“
„Weniger Furcht bringt die Liebe“, legt Margarita rasch eine Portion nach, da Antons Gesicht zuckt. „Denke nicht, du sollst Liebe für Widerpart Carel entwickeln. Nee, glatt daneben. Darum geht es nicht. Entdecke an Carel, an seinem fanatisch erscheinenden Gehabe als Geologe, wie sehr er sich und seine Berufung schätzt. Darin versteckt sich jede Menge Stärke und Selbstachtung.“
Wieder ein Treffer. Margarita empfindet beinahe Mitleid und doch eine große Erleichterung, Anton endlich einmal mit passablen Tipps belegen zu können. Weiter offeriert sie ihm: „Denk doch, wie sehr du Usa liebst! Deine Liebe überwindet die Hürden und Fehler sind unwichtig, erschüttern weniger. Dir merzt die Liebe zu ihr deine Flucht davor aus und die löscht deine Furcht. Furcht verhindert auch ein einfaches voraus nehmen. Bezogen auf Carel wäre das dein Zufrieden sein mit seiner Art, wer er ist.“
Anton spürt das linke Ohr, das rot anläuft und heiß brennt. Er weiß woran er denkt, es nicht zu sagen wagt. Laut Leo - sagt er sich mühelos - spricht darin das rechte Gehirn. Aus dem heraus kann er den Kontrapunkt setzen, dann speichert der linke Teil nichts. Und der spezielle Quälgeist, dieser altbekannte Perfektionismus, würde bald fortsausen.
Hastig neigt er sich vor, schüttelt den Kopf, und fast, ja, er spürt, seinen Sinnen entgleitet das Metier Carel. Er blickt auf und intensiv Margarita an, legt die linke Hand mit zartem Streicheln auf ihren Arm.
„Finde du einer Idee Glanz im Umgang mit deinen Kollegen.“
„Welchen Glanz meinst du?“ Margarita sieht auf in den Himmel, dessen Blau den Tag verheißungsvoll tönt, zumindest dort oben. „Eines Kometen Glanz würde denen eine Lichterkette aufstecken“, äußert sie, etwas brütend: „derzeit fällt aus dem Orbit kein solches Licht, insofern schießt das Quaken der Kollegen weiterhin übers Ziel hinaus und ... reduziert keinen Krümel meiner trüben Besinnlichkeit.“
Flehend Anton anschauend hofft sie, er lese darin die Ursache dieses Gedankens. Er kennt sie, weiß von ihrer Furcht vor dem Auseinanderbrechen des Miteinanders in der gemeinsamen Quinta. Seine Hand auf ihrem Arm ergreift sie und zieht Anton näher.
„Hole ich das Moped aus dem Unterstand am Atelier, vermisse ich Lian. Sie wird kein einziges Mal wieder bergauf zur Levada joggen, wenn ich am Berg hinunter fahre. Ich kann Lian nichts Gutes mehr geben, damit sie bleibt. Zu spät. Klar, Lian hinterließ mehr, auch Schaffensfreude. Aber meine Bewältigung des Todes am Ende teile ich mit ihr nicht. Nicht die Besorgnis um mein Sterben, das auch mir winkt. Alt genug bin ich. Ich bräuchte mehr davon fort zielenden Esprit. Zu sehr beschäftigt mich die Trauer um Lian, und kommt mir vor wie eine Heilung auf Zeit. Für das Leben mit dem, was sonst noch am Herzen liegt.“
Hinein fühlend, kleine Blicke mit Anton tauschend, stellt Margarita ihre Tonlage behutsam ein: „Ich könnte mich einsam fühlen. Denn Vera bezieht sich auf Ohle, sie feiert ihr Liebesleben. Wenn ich an den spontanen Tanz im Sommer denke, einst zur Feier meiner Freude, fehlst du mir. Ebenso Leo. Mit ihr kann ich am Handy nicht gut Kirschen essen. Sie sorgt sich um ihre Frisur. Um die Präsentation als eine immer perfekt gepflegte Bankangestellte. Nicht von ungefähr schleicht sich an Leo längst das dünnere Haar ein, ein Abdruck ihrer fortschreitenden Lebenserfahrung.“
Darin ausführlicher zu werden, vermeidet Margarita, erklärt nur: „Drängende Berliner Motive halten Leo fest. Sie plant nur, meint“, Margarita zieht eine sarkastische Klangfarbe in ihre Erklärung, „ein Besuch wäre ein Segen für ihr geplagtes Zahlengehirn. Weil hier zum Glück immer irgendwo ein Spaßmacher lächele, in dessen Gemüt die Sonnenstunden stecken. Die Liebe in ihrer Welt würden die mit einem einzigen Lächeln über alle ausschütten. Mag sein, es gibt mehr als ich vermute, wegen der Kollegen in der Gärtnerei. Aber ihr alle lächelt wenig, wie könnte es mir gut gehen? Deshalb nehme ich am Abend mein Entspannungsbad.“
„Um dein Defizit an Geborgenheit zu Hause aufzufüllen. Ich verstehe, dich überfällt zwei Mal tagtäglich die Einsamkeit vom Morgen“, stimmt Anton tröstend zu. „Starte in den Job mit Zuversicht, eventuell wie Usa es praktiziert. Für ihre Klienten in der Praxis stärkt sie sich, gegen das Leiden an den Gefühlen von Abschied, von Verlust, der handfest und zerstörend persönliche Bezüge umwirft. Davon zu hören trifft Usa wie ein an Kraft magerer Quälgeist. Gegen solche Schübe nutzt und wählt Usa Farben, in die sie sich hüllt. Ihre Farben mildern auf sie wirkende Stimmungen und regen sie an, sind auch für die Augen aller anderen wohltuend.“
„Na, das handhabe ich unter der Arbeitskleidung mit entsprechende Wäsche. Na, was sagst du?“
Am Streifentop zerrt Margarita. Erschrocken von ihrer Offenherzigkeit, hält Anton eine Hand davor.
„Lass das Tshirt, farbige Dessous flattern oft auf der Wäscheleine.“ Zu Boden blickend, klarer im Klang, fügt Anton an: „Allerhand Anekdoten fallen Usa ein, wenn sie von den lebenslangen, die Muskeln der Klienten verhärtenden Verlusten redet, auch Usa belastet unser gegenwärtiger. Könnte sie sich Ruhe gönnen, öfter ziellos ausruhen, wäre ihr Weh bald besser. Ihr in den Schoß fiele ein tief gehendes Akzeptieren.“
Anton streichelt mit der freien Hand sanft über Margaritas Schulter, fährt dann durch ihr lichtvolles braunes, halblanges Haar. Er atmet tief durch, blickt rasch hoch auf das Giebelfenster. Es liegt leer, im Rahmen nur ein heller Hintergrund. Margarita ansehend, wählt Anton eine langsame, tiefe Tonlage.
„Unser Schock vor kurzem und Lians Fehlen fand noch keinen Frieden. Selbst keinen in Maiks Muskeln. Ich erinnere, wie oft Maiks Endzeitgedanken Lian in Wallungen trieben. Nun geht er hölzern steif, kompensiert sein Abschiedsweh mit seinen Beinen.“
„So wahr.“
Verstehend tauscht Margarita einen Blick mit ihm, von der Berührung am Haar in seine Spur gelenkt.
„Wäre Maik ein Frühaufsteher, würde ich morgens mit ihm reden, wenn nichts seinen Geist belastet. Er vernachlässigt seine unbearbeitet herumstehenden Kommoden. Tatenlos hält er die Hände. Meine in der Erde tätigen Hände helfen mir. Meine Trauer nehmen die wachsenden Setzlinge. Sie erstarken am Schmerz, denn den spüren sie sicherlich auch im Pikieren. Ich kürze Wurzeln, sie bilden neue im Humus und kräftigen ihr Leben. Dafür sind jegliche Pflanzen von Beginn an ausgestattet. Jeder natürliche Organismus strebt zur Harmonie. Mag sein, Maik gibt seinen schwachen Beinen sein Weh, aber kann das der Stoffwechsel in den Beinen verarbeiten?“
Margarita schaut an Anton herab, dessen Beine ihm einiges über Maiks Lebensart zu erkennen gaben. Nach einer Gedankenspanne hebt sie ihre Brauen und zugleich so etwas wie einen Schleier aus ihrem Verstehen. Der Funke einer Idee erhellt ihren braunen Blick bis hinüber in sein Gesicht.
„Maik kann noch nichts davon ahnen, aber er wird irgendwann, in Harmonie erstarkt, freier laufen.“
„Meinst du? Was plant dein köstliches Wesen, deine liebevolle Freundlichkeit?“, fängt Anton den Impuls auf. Nach Margaritas knappen Kopfschütteln wagt er sich vor. „Du und ich, wir zwei sind uns ähnlich. Verstehe ich etwas nicht, hast du oft vor mir eine schnelle Lösung. Eine mir verständliche, die viel später in mir ticken würde, denn ich muss mich zuerst darin zurechtfinden.“
Margarita staunt, sie sieht ihre Gedankenübertragung erfüllt. Jedoch lenkt Anton sie auf eine offene, vor ihm liegende Fährte.
„Höre zum Ticken der Männer. Maik tickt im Eselsmodell, er bürdet sich viel auf, bis zum Rückfall. Du kennst sein Gegenteil, deinen Liebsten, Marlow. Er, sein leichtes Wesen, ist mir etliche mit Pflanzerde volle Karren sympathischer als Carel. Du magst Marlows konzentriertes Jonglieren mit Steinen. Dein Herz fliegt mit in die Luft, wenn Marlow sein besonderes Ticken spürt und dann spielt, er sein inneres Kind nährt, seinem Seelenruf folgt.“
Zart lächelt Margarita, da selbst Anton über seine eigenen Worte staunt. Seine eng stehenden Augen weitet er, seine braunen Pupillen wandern rhythmisch seitwärts hin und her. Er horcht nach innen, da brodelt allerhand und rückt ihm letztlich eine Warnung vor noch mehr Tiefgang vor die Stimmbänder.
„Wir alternden Kerle, Maik und ich“, führt Anton fort, in rauem Klang, „spielen zur Zeit mehr für uns, selten für Zuschauer, passende Zuhörer. Unpassende Ohren aber hast du vor den Gärtner-Kollegen, die sich noch irren, was dauern könnte, so lange sie Pudding kochen. Erinnere unsere Art Spiele und Späße. Orientiere dich daran, nicht an den blutjungen Nervern, von denen du keine endlose Reibung erwartest, etwas völlig anderes.“
„Und ob!“, kontert Margarita, an verschiedenes denkend, dann in zögernder Sprachmelodie: „Marlow riet mir, bevor er aus England geflogen käme, möge ich meinen Schwung im heiteren Raum einüben, der halte mich zentriert im selbst gemachten Schicksal. Genau! Nach der Mittagspause sind die Kollegen erträglicher. Dann respektieren sie meine platten Sprüche auf ihrer Welle. Ein Spaß darüber fällt mir ein, und dann soll Erstaunliches passieren!“ Im Ton einen Grad froher, ergänzt sie: „Egal, ob es heute gelingt, künftig wünsche ich mir auf Liebe basierende, mit mir übereinstimmende Freundschaften. Genieße du, mein Freund, ab mit dir!, einen Seelenruf im Berg zur Sympathie, das lebenswichtige, der Pflege bedürftige Küken, wie der Wink auf Marlows Talent, Anton, tschüss!“
Margarita rollt ihr Fahrzeug zum Straßenschotter. Sie startet den Motor und Drehschalter am Lenker, stoppt in ihrer Anfahrt, nimmt das Gas zurück und wendet sogar ihre Schulterpartie zurück zu Anton. Breit lächelt ihr Mund, sie lacht kurz auf, hebt und reckt eine Hand in ein Wedeln.
„Zu mir passt Marlow ausgezeichnet!“, ertönt ihr Ruf. Ihr Zeigefinger deutet auf Anton, die Lider senkt sie vor der gestiegenen Morgensonne. „In seiner besonderen Art ist Marlow ein schräger Vogel. Er achtet alle seine Augen und Ohren als mit den Jahren wahrhaftig großartig geworden. Leute mit einer angeknacksten Konzentration lehnt er ab. Marlows Inspiration steigt auf einer leichten Spur auf. Sein Herz spüre ich seit der damaligen Walnussernte in Italien bei jedem Telefonat. Ohne Mangel stellt mich die Fernbeziehung und die Vereinbarung, keinen Ring an der Kralle zu tragen, glücklich. Wir fliegen ohne Ringe aufeinander, wir können uns nur nicht räumlich nahe sein.“
Margarita senkt den Arm und blickt vom Lichtkranz hinter Anton herab auf ihre kein Ringlein zierende Hand. Darüber wispert sie hörbar in die Luft: „Können und wollen sind zweierlei.“ Sie hebt ihr Kinn überzeugt. „Wir tragen innere Ringe und Schuhe für leichte Gangarten. Genau so stimmt es, gemäß meiner Quintessenz aus deinem Start mit Usa damals, als eurer fragilen Liebe wegen deiner adäquaten Entwicklung ein Aus drohte. Dein Vorhaben hatte dich wie ein Virus mit Ferne infiziert. Du konntest nicht vorausschauend handeln, auf dein bei ihr bleiben. Mithin vermeide ich, und da sei sicher, ein Erkranken meiner Liaison!“
„Im Rhythmus meiner Einheit mit Usa pendelt sich alles ein, sogar bei mir schrägen Vogel!“
Sein Statement, in einer tief gelegten Stimmlage stürmisch ausgestoßen, kommentiert Margarita mit einem Runzeln von Augenbrauen und Mund. Sie deutet an, es sei genug der Entgegnungen, sie dränge die Zeit. Ihr Moped lenkt sie auf den Teil, wo der Asphaltbelag beginnt.
Margarita fährt abwärts, ihre Silhouette wird kleiner, das Motorgeknatter leiser - nicht ihre Hinweise. Anton gibt Margarita Recht, und ihrem Fazit aus dem Werden seiner Liebe mit Usa, für ihren Weg der Suche, ihren Wunsch nach mehr Freundschaften. Margarita wartet nicht auf Marlow.
Wäre er ihr Wall vor den Kollegen? Marlows zeitlich ungewisser Besuch verweigert ihr seine Nähe. Ihr fehlt seine warme Berührung, auch wenn Margarita es anders behauptet. Gewiss überspielt sie leere Wochen, und beachtet deshalb um so mehr ihn, Anton. Sie äußerte nicht nur, sie forderte ihn heraus. Hinein in sein meditatives Wandern auf dem Berg gehöre die Fiktion des Pendant Carel.
Im Moment verweigert Anton sich die Drift auf Carel. Denn, denkt er nur den Namen Carel, verwirrt ihn der peitschende Rattenschwanz unverständlicher Zusammenhänge. Jetzt ganz und gar störend für die Suche nach einer Lösung!
Ups! Gleich mehrmals stößt er heiße Luft aus. Aber nicht einmal nur langsam formt sich ihm ein Impuls.
Also schlurft Anton auf der Parkfläche um den Jeep herum. Zur Abfahrt unentschlossen, legt aber Runde an Runde. Den hellen Lack sieht er nicht, nicht den erdigen Staub, von Nachtwinden aufgelegt. Heftig pocht Anton, meistens mit der rechten Faust, vor den Kotflügel, sobald er einen streift. Sein Lärmen versetzt den Sinnen, und dem linken Teil im Kopf, mehr und mehr klärende Stöße.
Bei einer weiteren Umrundung bestätigt er sich seine unerklärliche Unruhe, die ihn hinaustrieb, um da zu sein für Margarita, die mehr Gemeinschaft fordert, die fest hält an dem Band der Gruppe. Auch er, wie ihr Klebstoff, würde nachhaken, wohin Margarita sich orientiere.
Ihr schönes und glückliches Herz mag keinen Mangel spüren, es mag gerne geben und dafür etwas erhalten. Von Herzen hatte sie ihn angewiesen den Ruf aus der Natur anzunehmen. Gelängen damit die Anliegen, bei denen die Freunde passende Mitspieler wären, leichter?
Was würde wann besser werden? Bald, nach der zweiten Absicht für den Morgen? Dann würde Margaritas vertrauensvolle erste Ansage von der natürlichen Harmonie, in die alles Lebendige strebe, greifen. Entfalle dann die Disharmonie bei den alltäglichen Handreichungen in der Hausgemeinschaft, das zähe Separieren von einander? Wer will schon länger als nötig dem ausgesetzt sein.
Knapp angedacht, stolpert Anton am Belag der Parkzone über Kiesel. Er fängt sich mit der Hand am Türgriff am Heck des Jeep. Doch der steht nicht minder an Stelle des an ihm scheuernder Pendant. Für keinen darf er am Kies unter den Sohlen straucheln. Also horcht er nach Josés Kinderstimme.
Das Nachbarareal liegt so ruhig wie der Tag begann. Ebenso still soll es weitergehen, mit Achtsamkeit für die Harmonie in der Zukunft, darauf vorbereiten. Anton steigt in den Jeep, öffnet das Seitenfenster für frische Luft, fährt dann über ungezählte Steilkurven am Schotterweg aufwärts in die Berge.
2
„Fantastische trockene Wärme, eine wohltuende Fortsetzung des ewigen Frühlings auf Madeira“, schnauft leise vor sich hin Anton, über alle Maßen glücklich. Unter der knappen, nur leicht ihn bedeckenden Kleidung genießt er, wie die Nervenenden in der Haut nach außen, fühlen und ohne Umweg hinein in sein Inneres wispern: Vormals im Leben erlaubtest du an wohligen Herbstmorgen im November nie solche Muße, keine Lust und keinen Spaß, am Leben zu sein. Du gingst an Wochentagen nie stundenlang spazieren, satt von all den Blicken an den Himmel.
Oben am Himmelsblau ziehen riesige weiße Wolken ostwärts. Sie entleeren feine Feuchte auf eine wenig ferne Bergwiese. Für das Gras, es sprießt saftig grün. Willkommen den Bauern, die es für fetter werdende Rinder mögen. Doch weit und breit hier oben ist Anton der Einzige, der mit Hochgenuss an den Hängen das Grüne betrachtet und die von den Kastanien und Akazien im Wind zu Boden schwebenden Blätter, die über alles honiggelbe Teppiche decken.
Das Laub wedelt Anton mit den Schnürschuhen hoch vor sich auf und neben den Pfad am Wasserkanal der Levada. Er genießt die waldigen Düfte in der Luft, hinüber in das nächste Panorama hinter der Bergflanke über der Region Ponta do Sol. Seine Sinne sättigt das Gold im Lichteinfall und das Geräusch der hinkenden Tritte. Ab und an gluckst leise ein kleiner Strudel im Fluss der Levada, wenn ein Frosch flink hinein springt. Eidechsen huschen in ihren an das Umfeld angepassten Deckfarben. Hellbraun tauchen sie unter, werden ein Strang trockener Halme. Das Wachstum fällt auch hier, nahe dem Wasserkanal, in den Ruhezustand einer Dürre.