Czytaj książkę: «Kommunikationswissenschaft», strona 12

Czcionka:

Bis gegen Ende des 20. Jhdts. waren es allerdings vornehmlich Akteure aus der Gruppe der Sprecher·innen und der Vermittler·innen, (also in der Regel einschlägig professionell tätige Expert·innen wie Unternehmenssprecher·innen, Politiker·innen, Journalist·innen, Wissenschaftler·innen etc.) die sich via Massenkommunikation öffentlich äußern konnten, jedoch (abgesehen von Leserbriefschreiber·innen) kaum jemand aus der Gruppe des Publikums.

Doch dies ist längst anders. Das interessierte Publikum muss sich nicht mehr darauf beschränken, „am publik Gemachten“ (Kob 1978: 395) mehr oder weniger passiv teilzuhaben – im Gegenteil: Die Bedingungen der neuen Onlinekommunikation machen „öffentliche Aufmerksamkeit als Jedermannsgratifikation“ (Saxer 2012a: 219) möglich. Die technischen, ökonomischen, kognitiven und rechtlichen Barrieren für das Publizieren sind viel niedriger geworden, prinzipiell „kann nun jeder ohne allzu großen Aufwand publizieren“ (Neuberger 2008: 51). Wir scheinen also der Vision schon recht nahe gekommen zu sein, die der Dramatiker Bertold Brecht in den 1930er Jahren anlässlich der Ausbreitung des Radios in seinem „Vorschlag zur Umfunktionierung des Rundfunks“ äußerte:

„Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d. h. er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen“ (Brecht 1931/32: 147).

Bald nach der Jahrtausendwende war die technische Entwicklung (bzw. Vernetzung) dann soweit, dass man sie auch begrifflich zuspitzen konnte. Der Medienwissenschaftler Axel Bruns (2008, 2009a) prägte die Wortkombination Produser (eingedeutscht: Produtzer – aus Produzent und Nutzer)21, mit der er die neuen Möglichkeiten der Online-Kommunikation im Social Web22 auf den Punkt brachte: Einerseits verweist der Terminus auf die Möglichkeit zur Herstellung gemeinsamer Inhalte „in einem vernetzten, partizipativen Umfeld“ (Bruns 2010: 199), zu denken ist beispielsweise an Open-Source-Software, Bürger·innenjournalismus, Wikipedia oder auch kreative Werke in Flickr, YouTube, Facebook, diversen Blogs etc. (ebd.: 201). Andererseits implizieren diese Möglichkeiten aber auch die Chancen, dass aktive Otto-Normal-Internetnutzer eine Produser-Rolle wahrnehmen können, wenn sie an verschiedenen Orten im Netz (sei es in Form von Posts auf journalistische Artikel, in Blogs, in Kommentarfeldern auf diversen Websites etc.) meinungsstark ihre Positionen äußern. Naturgemäß sind damit auch nicht unproblematische Auswüchse dieser Chancen verbunden, wie sie etwa unter dem Titel „Shitstorms“ (Folgar/Röttger 2015, Haarkötter 2016, Himmelreich/Einwiller 2015, Prinzing 2015) oder „Hass im Netz“ (Brodnig 2016) längst diskutiert und beforscht werden.

Für die hier im Mittelpunkt stehende Massenkommunikation bedeutet all dies unmissverständlich: Öffentlichkeit wird nicht mehr ausschließlich durch die traditionellen, publizistischen Medien hergestellt – wir müssen heute von zusätzlichen „Digitalen Öffentlichkeiten“ (Hahn/Hohlfeld/Knieper 2015) ausgehen, die im Internet zwar teilweise als erweiterte (Online-)Parallelwelten der publizistischen (Offline-)Medienmarken existieren (Puffer 2016), aber zusätzlich in einer längst unüberschaubar gewordenen Menge auch völlig andere Präsentationsformen und Inhalte zugänglich machen, als dies bei den publizistischen Medien der Fall ist.

Internet und Öffentlichkeit

Die öffentliche Sphäre des 20. Jahrhunderts hat sich im Rahmen der Digitalisierung23 und der damit verbundenen internetbasierten Innovationen seit dem Beginn des 3. Jahrtausends grundsätzlich verändert – eigentlich: revolutioniert. Revolutionär im technischen Sinn ist bzw. war dabei v. a. dreierlei:

1.Zuallererst das Internet bzw. das World Wide Web, das sich seit den 1990er Jahren weltweit schleichend verbreitet hat24 und eine Rückkanal-fähige Netzinfrastruktur entstehen ließ, die bis dahin für niemanden vorstellbar war.

2.Außerdem die sozialen Medien – als Sammelbezeichnung für die neuen, online-basierten Web-2.0-Plattformen (wie Facebook, YouTube, Twitter, Instagram, Snapchat, Blogs etc.), die erst durch die wachsende Netzinfrastruktur möglich geworden waren (Michelis/Schildhauer 2015), und

3.schließlich die kommunikative Mobilität, die seit der Erfindung des Smartphones (des internetfähigen Mobiltelefons mit umfangreichen Computerfunktionalitäten)25 üblich gewordene, nahezu raumzeitlich unabhängige und mobile Internetverbindung (Bächle/Thimm 2014).

All das zusammen hat nicht bloß die Möglichkeit eröffnet, online mit anderen zu interagieren – ein Umstand, der nach Münker (2015: 61) entscheidend für den Erfolg der sozialen Netzwerke ist. Mit dem praktisch rund um die Uhr verfügbaren digitalen Universum beginnt sich zudem die öffentliche Sphäre völlig neu zu formieren. So war sehr bald schon von einer „integrierten Netzwerköffentlichkeit“ (Neuberger 2009a: 41) die Rede, in der die verschiedenen Ebenen der (Offline-) Öffentlichkeit, wie sie oben angesprochen wurden, „oft nur einen Mausklick voneinander entfernt“ (Schweiger/Weihermüller 2008: 545) sind. Gerade diese Möglichkeit, sich via Mausklicks auf verschiedenen Öffentlichkeitsebenen bewegen zu können, scheint jedoch die aus Offline-Zeiten tradierte Dichotomie zwischen privaten und öffentlichen Bereichen aufzuweichen: Es entstehen hybride Mischformen, die man als semiprivat bzw. semiöffentlich (Klinger 2018) etikettieren könnte.

Entscheidend ist das Ausmaß, in dem der jeweilige Bereich für fremde bzw. anonyme Kommunikation offen ist, die Übergänge sind freilich fließend (ebd.: 257): So kann man z. B. E-Mails als privat, WhatsApp-Gruppen als semiprivat, soziale Medien mit Mitgliedschaft als semiöffentlich, und offene Onlineforen ohne Mitgliedschaft als öffentlich begreifen. Bereiche bzw. Plattformen, die sich im Privatbesitz befinden und für alle offen sind, gelten übrigens als semiöffentlich, „weil der Zugang vom Eigentümer nach Gutdünken reguliert oder verweigert werden kann“ (ebd.).

Nicht übersehen werden sollte außerdem die ökonomische Funktionalität solcher semiprivaten und semiöffentlichen Kommunikationsplattformen (ebd.: 264): Während das Geschäftsmodell der traditionellen Massenmedien darin besteht, die Aufmerksamkeit des Publikums über Werbeeinschaltungen zu verkaufen (vgl. dazu Kap. 7.9.3), erwirtschaften die semiprivaten und semiöffentlichen Plattformen im Netz ihren Profit damit, dass sie die Aufmerksamkeitswerte sowie das Kommunikations- und Konsumverhalten der User·innen weiterverkaufen (weiterführend dazu Kap. 7.8.1).

Makroperspektivisch stellen alle diese kommunikationstechnischen Innovationen einen gewaltigen Entwicklungsschub für die öffentliche Kommunikation dar, der von seiner Nachhaltigkeit her bereits mit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg im 15. Jhdt. verglichen wurde (Ludwig 1999).

Dem aktuellen (technischen) Quantensprung wird sogar noch größere Bedeutung attestiert: Hatte die Drucktechnologie für die öffentliche Kommunikation zunächst v. a. Rezipient·innen produziert, so macht es die Internet-Technologie „dem aktiven Rezipienten sogar möglich, in die Rolle des aktiven Kommunikators zu wechseln, der sich unmittelbar in gesellschaftliche Veränderungen einklinken kann“ (ebd.: 364). Man kann also durchaus von einer kommunikativen Revolution (weiterführend dazu Kap. 7.8) sprechen.

Zwischen Enthusiasmus und Skepsis: Erwartungen an das Netz

Derart hochgeschraubte Überlegungen sind übrigens nicht neu: Ab den 1970er Jahren waren es die technischen Errungenschaften von Videokassette, Bildschirmtext und Kabelfernsehen, denen man ebenfalls als „neue Medien“ euphorisch begegnete (vgl. Schrape 2012). Was die neuere Entwicklung digitaler Öffentlichkeiten (Hahn/Hohlfeld/Knieper 2015) betrifft, so verweist Schrape (2015: 199 f.) beispielsweise auf Gillmor (2004: 270), der die „Substitution massenmedialer Strukturen durch nutzerzentrierte Austauschprozesse“ prognostizierte. Er erinnert an Rheingold (2002), der die Diskussion um die Entwicklung einer kollektiven Intelligenz durch das Internet (= die Idee von der Weisheit der Vielen) wiederbelebte26 und an Castells (2001), der mit seinem Konzept einer „Netzwerkgesellschaft“ an die allgemeine Demokratisierung gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse glaubte (= die Macht der Ströme erhalte Vorrang vor den Strömen der Macht). Mit der modernen „Multimedia-Informationsgesellschaft“ (Ludes/Werner 1997: 7) sah man einen neuen Gesellschaftstyp heraufdämmern und stimmte zugleich den Abgesang auf die Massenkommunikation an: „… das ganze vertraute Paradigma ‚Massemedien’ bricht zusammen“ (Berghaus 1997: 83).

Die Entwicklung der digitalen öffentlichen Kommunikation verläuft allerdings weder geradlinig noch eindeutig und daher mitunter anders, als die euphorischen Erwartungen suggerierten. Neuberger (2008) schält konkret drei „Öffentlichkeitsparadoxien im Internet“ (ebd.: 49 ff.)27 heraus:

•Die Quantitäts- und Aufmerksamkeitsparadoxie

Durch das Internet ist eine bislang unvorstellbare Informationsmenge im Prinzip für alle verfügbar. Allerdings sind die meisten Menschen in der Regel weder zeitlich noch von ihrer sachlichen Kompetenz her in der Lage, dieser Vielzahl an Informationsquellen (Breunig/Hofsümmer/Schröter 2014: 136) entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen. Dazu kommt, dass bei einer allfälligen Recherche im Netz (meist via Google) die starken Marken (wie Adidas, VW, Coca Cola) und die dominanten Medienakteure (wie Zeit, Bild, Spiegel, FAZ) bevorzugt erscheinen, weil deren Kommunikationsabteilungen via Suchmaschinenoptimierung dafür gesorgt haben, dass sie „von vornherein für den Aufmerksamkeitskampf gerüstet sind“ (Kirchhoff 2015: 35). Parallel dazu schwindet daher auch für die meisten der (weniger prominenten) Kommunikator·innen im Internet „die Wahrscheinlichkeit, Aufmerksamkeit und Resonanz in Form von Anschlusskommunikation zu erzielen“ (Neuberger 2008: 51) – wie etwa Daten aus der Blogosphäre zeigen: Während einige wenige Weblogs hohe Reichweiten erzielen, wird die überwiegende Mehrheit der Blogger·innen kaum wahrgenommen (vgl. etwa Anderson 2007, Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007: 108).

•Die Qualitäts- und Glaubwürdigkeitsparadoxie

Das quantitative Wachstum von Informationsangeboten im Netz hat auch qualitative Auswirkungen. Es herrscht (häufig wohl zu Recht) „Unsicherheit über die Qualität der Angebote“ (Neuberger 2008: 52). Bei vielen Online-Quellen existiert überdies „keine flächendeckende Qualitätssicherung durch eine Redaktion“ (ebd.), wie sie für Presse und Rundfunk unterstellt werden kann. In der traditionellen Massenkommunikation war bzw. ist die Zahl der Anbieter·innen dagegen relativ überschaubar, man kennt außerdem viele Quellen bzw. Medien schon über einen längeren Zeitraum hinweg als vertrauenswürdige Marken. Deshalb profitieren die Online-Auftritte traditioneller Massenmedien auch vom Markentransfer und der Glaubwürdigkeit des Mediums (experimentell dazu: Schweiger 1998). Allerdings scheint der Konkurrenzdruck im Netz dazu beizutragen, dass sich parallel dazu auch in den Onlineauftritten der traditionellen publizistischen Medien die Bereitschaft zu verdeckter (Schleich-)Werbung erhöht. Gerade im Internet verschwimmt die Grenze zwischen Werbung, PR und Journalismus (vgl. Neuberger 2002: 36 ff.) – was im Zweifelsfall neuerlich Glaubwürdigkeitsverluste provoziert.

•Die Vermittlungsparadoxie

Wenn Informationen (prinzipiell) für alle verfügbar sind, dann scheint auf den ersten Blick die professionelle Vermittlungsleistung der Journalist·innen (in ihrer Rolle als Gatekeeper28) obsolet zu werden. Doch die Vermittler·innen werden keineswegs überflüssig. Schon seit Langem (vgl. Weischenberg 1985) ist klar, dass sich dann das Problem der Zugänglichkeit in besonderem Maße stellt: In einer arbeitsteiligen Gesellschaft benötigen wir kompetente Kommunikator·innen, die uns die zunächst unzusammenhängenden Daten angemessen erschließen, entsprechend aufbereiten und präsentieren und damit erst Information in Wissen umwandeln (ebd.: 191). Zu Recht wurde auch vor der Illusion des „hyperaktiven“ Publikums gewarnt (Schönbach 1997), das sich lieber passiv unterhalten und auch informieren lässt. Eine der neuen Herausforderungen für die professionellen Kommunikator·innen könnte nach Neuberger (2008: 55) „in der Orientierung über das unübersichtliche Internet“ bestehen,29 Journalist·innen könnten sich (unter Nutzer·innenbeteiligung) als Moderator·innen öffentlicher Kommunikation im Internet betätigen und so den Zugang der Nutzer·innen zur Öffentlichkeit unterstützen (vgl. ebd. sowie Neuberger 2006).

Die angesprochenen Paradoxien weisen auf die Fragwürdigkeit vorschneller Verallgemeinerungen über die Veränderungen der öffentlichen Kommunikation durch das Internet hin. Man hat es also (wohl wenig überraschend) mit einem ambivalenten Entwicklungsschub zu tun, der von den genannten kommunikationstechnischen Innovationen ausgeht. Eine Ambivalenz, bei der man nach Donges/Jarren (2017: 91 ff.), insbesondere mit Blick auf die politische Kommunikation, eine enthusiastische und eine skeptische Position ausmachen kann.

–Für die Enthusiasten ist der Einfluss (der internetbasierten kommunikationstechnischen Innovationen) auf die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse stark und positiv. Die Bürger·innen würden nicht nur untereinander mehr kommunizieren als bisher, es ist auch vom „direkten Draht“ zwischen Bevölkerung und Politik die Rede, durch den die Kommunikation einfacher geworden wäre. Außerdem würden soziale, zeitliche und räumliche Barrieren, die bislang viele Menschen von einer Teilnahme am politischen Geschehen abgehalten hätten, nun fallen. In ihrer radikal plebiszitären Variante gehen die Enthusiasten davon aus, dass die vermehrte Kommunikation zu einer elektronischen Öffentlichkeit führt, die auch das jeweilige politische System verändert. Auf einem „elektronischen Marktplatz“ könne man Meinungen austauschen und sich schließlich als Willen aller in den politischen Prozess einbringen. In der gemäßigt deliberativen Variante wollen die Enthusiasten mit einer elektronischen Öffentlichkeit wenigstens die Partizipation erhöhen und damit das politische System insgesamt stärken.

–Demgegenüber sind die Skeptiker davon überzeugt, dass die Barrieren zwischen den Bürger·innen und der politischen Öffentlichkeit soziale und nicht technische sind. Es gehe v. a. um ein begrenztes Zeitbudget, um die fehlende Bereitschaft zur Informationssuche sowie um Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsdefizite. Da die Probleme bei der Konstituierung von Öffentlichkeit keine primär technischen sind, lassen sie sich auch nicht mit technischen Instrumentarien lösen. Das Internet ist ein Werkzeug, das „wie jedes Werkzeug prinzipiell von allen genutzt werden kann, aber nicht benutzt wird“ (Roesler 1997: 191). Wesentlich ist das Interesse, „daran wird auch das Internet nichts ändern. Bequemlichkeit war noch nie der Grund für Engagement“ (ebd.). Untersuchungen zur Diskussionsqualität innerhalb der Internetöffentlichkeit (Gerhards/ Schäfer 2007, Rucht/Yang/Zimmermann 2008) zeigen übrigens, „dass die Netzöffentlichkeit nicht ‚demokratischer’ oder vielfältiger als die traditionelle Medienöffentlichkeit ist. Beide Formen der Öffentlichkeit weisen ähnliche Strukturmuster und Schwächen auf“ (Donges/Jarren 2017: 95).

Ob die Enthusiasten oder die Skeptiker richtig liegen, lässt sich gegenwärtig nicht eindeutig beurteilen. Dazu ist die Entwicklung noch zu sehr im Fluss; die Öffentlichkeit(en) in digitalen Netzen verändern sich laufend (vgl. etwa Steinmaurer 2017). Was verfügbare empirische Daten (insb. für die deutsche Gesamtbevölkerung) betrifft, so spricht bislang jedoch wenig dafür, dass sich die Hoffnungen der Euphoriker und die Erwartungen der Enthusiasten zeitnah erfüllen könnten.

Zunächst ist festzustellen, dass die Zahl der Medienanbieter·innen ständig wächst. Obwohl die etablierten Medienunternehmen aus dem traditionellen Fernseh-, Hörfunk- und Printbereich längst auch über eigene digitale Angebote verfügen,30 stehen sie im Wettbewerb mit Streamingdiensten wie Netflix, Amazon Prime Video, DAZN, Disney+ und Spotify oder Plattformen wie YouTube, Facebook und TikTok (Breunig/Handel/Kessler 2020). Der daraus entstandene „Multimedia-Kosmos“ (ebd.: 410) aus Texten, Fotos und Bewegtbildangeboten ist dank der internetbasierten kommunikativen Mobilität nahezu immer und überall verfügbar.

Es wundert daher nicht, dass die Zeit für die Internetnutzung kontinuierlich ansteigt: Sie lag im Jahr 2020 im Durchschnitt erstmals bei nahezu dreieinhalb Stunden (204 Min.) täglich. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (55 %) nutzen Internetanwendungen von unterwegs aus und verwenden daher das Smartphone oder das Tablet, um ins Netz zu gelangen (Beisch/Schäfer 2020). Aber was tun die Menschen eigentlich genau im Netz?

•In mehr als der Hälfte dieser Zeit (120 Min.) findet dabei Mediennutzung via Netz statt (Videos, TV-Sendungen anschauen, Audios, Musik hören, Artikel, Nachrichten lesen in den Webauftritten von Online- und Offline-Medien). Mehr als ein Drittel der Befragten (37 %) haben Video-Streamingdienste (wie Netflix) in ihrem wöchentlichen Medienrepertoire, zunehmend wird aber auch Live-TV im Internet konsumiert (Beisch/Koch/Schäfer 2019).

•In zweiter Linie geht es schlicht um Individualkommunikation (E-Mailen, Chatten, Facebook-Messenger, WhatsApp, Social Media), gefolgt vom Suchen nach Informationen (z. B. bei Google oder Wikipedia). Außerdem werden Transaktionen erledigt (Produkte finden, online shoppen, Onlinebanking) und schließlich ist auch Spielen im Netz angesagt (Beisch/Schäfer 2020, Koch/Frees 2016).31

•Mit redaktionellen Textangeboten (Zeitungen, Zeitschriften off- oder online, gedruckten Büchern oder E-Books sowie anderen digitalen Texten) kommt knapp die Hälfte der Bevölkerung ab 14 Jahren (47 %) täglich in Kontakt; eklatant mehr sind es bei Bewegtbild- und Audioangeboten (86 % bzw. 82 %). Zum Vergleich: Im Jahr 2010 lag die Tagesreichweite der Textangebote noch bei 69 % (Breunig/Handel/Kessler 2020: 423). Gerade einmal 17 % (mit sinkender Tendenz) geben an, „täglich Artikel oder Berichte digital im Internet zu lesen“ (Beisch/Schäfer 2020: 472).

•Zu den meistgesuchten Inhalten im Netz zählen übrigens aktuelle Informationen (Eimeren 2015: 2). Wobei sich hinter dem Internet als Hauptnachrichtenquelle im Detail praktisch die gesamte (traditionelle) Medienpalette verbirgt: Sie reicht von den klassischen Printmedien über diverse (öffentlich-rechtliche und private) TV-Kanäle bis hin zu Nachrichtenaggregatoren, die Nachrichten von verschiedenen Anbietern bündeln (Hölig/Hasebrink/Behre 2020). Vielfach wird aber (via Suchmaschine oder App) auch online eine bestimmte Nachrichtenmarke aufgerufen, der man vertraut und die man für glaubwürdig hält (ebd., Heinzlmaier/Tomaschitz/Kohout 2018)32.

•Über die angesprochenen Rezeptionsaktivitäten hinaus ist zudem News Sharing, also das aktive Verbreiten bzw. Weiterleiten und Kommentieren von Nachrichten innerhalb der sozialen Medien gesellschaftlich normal geworden (Bright 2016, Kolo 2018). Was schließlich noch die Online-Partizipation betrifft, so haben die seinerzeit hohen Erwartungen an die Demokratisierungspotenzial, das man dem Internet im allgemeinen und den Sozialen Medien im besonderen attestiert hat (Imhof 2015), bislang kaum entsprechende Spuren in der Kommunikationsrealität hinterlassen: Insgesamt beteiligt sich nur ein geringer Teil der Bürger·innen an politikaffinen Online-Kommentaren und Diskussionen (Schweiger 2018) und wenn dies der Fall ist, dann ist die Diskursqualität eher gering (Kersting 2017, Russmann 2015).

Blickt man mit Abstand – gleichsam aus der Vogelperspektive – auf die bislang angesprochenen Befunde, so erkennt man, dass die digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien am Beginn des dritten Jahrtausends zunehmend als technische Infrastruktur einer modernen Öffentlichkeit fungieren. Öffentlichkeit scheint heute ohne diese intensive Digitalisierung gar nicht mehr vorstellbar zu sein. In der Soziologie ist auch bereits von der digitalen Transformation der Gesellschaft (Schrape 2021) die Rede: Damit ist die Digitalisierung als neue fundamentale Technlogie angesprochen, die Schritt für Schritt sämtliche Teilbereiche der Gesellschaft durchdringt. Aus der Perspektive der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft gerät in diesem Kontext vor allem die zunehmende Plattformisierung der Medienstrukturen in den Fokus.

Plattformisierung – ein dritter Strukturwandel der Öffentlichkeit?

Mit dem Etikett Plattformisierung (Platformization) ist die Diskussion über die Bedeutung des Internets für die Zukunft unserer Kommunikationsgesellschaft um eine gewichtige Facette bereichert worden. Dabei könnte es sich tatsächlich um einen neuen, digital induzierten Strukturwandel der Öffentlichkeit (Eisenegger et al. 2021, Vowe 2020) handeln, dessen Langzeitfolgen wohl erst in Ansätzen absehbar sind.

Hatte der erste Strukturwandel im 18./19. Jahrhundert über Debattierclubs und bürgerliche Versammlungsöffentlichkeiten (Habermas 1990) mit den Leitmedien Zeitung und Zeitschrift zur ersten durch die Massenpresse hergestellten Öffentlichkeit geführt, so war der zweite Strukturwandel im 20. Jahrhundert mit den Leitmedien Hörfunk und Fernsehen durch eine immense Ausweitung des Medienangebots und das Entstehen großer privatwirtschaftlicher Medienkonzerne gekennzeichnet. Spätestens seit den Nullerjahren des dritten Jahrtausends ist nun von einem weiteren dritten – oder sogar vierten (Vowe 2020), jedenfalls aber – digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit die Rede.

Vowe (ebd.) sieht (mit Blick auf den Politikbereich) sieben Tendenzen der Veränderung (politischer) öffentlicher Kommunikation: Die (1) Digitalisierung gilt als Treiber und Beschleuniger des strukturellen Wandels und bestimmt zunehmend womit wir kommunizieren (mit Zeichen, die in den Code von Null und Eins übersetzt werden). Die (2) Ökonomisierung rückt die Reduktion der (monetären und zeitlichen) Kosten in den Fokus (z. B. können Clips zu aktuellen Themen schnell selbst fabriziert und mit wenig Streuverlusten publiziert werden). Die (3) Pluralisierung meint die Vervielfachung der Akteurskonstellationen: Mehr und unterschiedliche Akteure (Parteien, zivilgesellschaftliche Gruppen, onlinebasierte Initiativen, Influencer) treten auf und nützen verschiedene Kanäle, über die Ideen, Anliegen, Ziele etc. thematisiert werden. Mit der Tendenz zur (4) Spezifizierung ist die auf das individuelle Profil zugeschnittene Auswahl an Informationen gemeint. Die (5) Globalisierung rückt die Konzentration auf territorial-staatliche Inhalte zugunsten globaler Themen (wie Migration, Klimawandel, Pandemien oder Terrorismus) in den Hintergrund. Die Dynamisierung (6) fokussiert Kommunikationsprozesse unter dem Zeitaspekt: Sie werden schneller und dichter, sind vielfach miteinander verflochten und werden unvorhersehbarer. Schließlich tendiert die Kommunikation zur Hybridisierung (7): Hatte man früher pro Kommunikationsform ein eigenes Gerät zur Verfügung, so verkörpert das Smartphone heute die protypische Konvergenz verschiedener Kommunikationsformen und damit die Multikunktionalität des Internets.

Im Zentrum steht dabei stets das Internet bzw. das World Wide Web zunächst als technische Infrastruktur, für die spätestens seit der Jahrtausendwende die Existenz sogenannter Plattformen kennzeichnend ist. Unter Plattformen kann man im rein technischen Sinn „algorithmisch gesteuerte Digital-Infrastrukturen“ (Eisenegger 2021: 20) verstehen, über die Datenübertragung, private sowie öffentliche Kommunikation ermöglicht wird, Märkte organisiert, Dienstleistungen angeboten und digitale wie nichtdigitale Produkte vertrieben werden. Digitale Tech-Plattformen wie Google, Facebook, YouTube, Twitter oder WhatsApp etc. sind in Wahrheit allerdings mehr als die für uns alle sichtbaren Websites. Ihr eigentlicher Kern unter dieser Oberfläche ist eine „Algorithmen-gesteuerte Hinterbühnen-Datenarbeit“ (ebd.: 21) mit der sie ihre Geschäftsziele verfolgen.

Dabei darf nicht übersehen werden: Plattformen (insbesondere Social Media-Plattformen) sind regelrechte Drehscheiben für Inhalte aller Art, aber sie produzieren im Gegensatz zu den traditionellen (redaktionellen) Medien keine eigenen publizistischen Inhalte. Sie bündeln und verbreiten zwar auch journalistische Produkte von professionellen publizistischen Medien, aber neben diesen erscheinen auch Inhalte von Unternehmen, Non-Profit-Organisationen, politischen Akteuren und Mitteilungen aus dem Freundeskreis. Also kommerzielle, journalistische, politische (PR) und private Kommunikation kann nebeneinander stattfinden – sie erscheint sozusagen über denselben virtuellen (meistens mobilen) Zugang: auf dem Smartphone, Tablet oder PC.

Plattformisierung meint den Umstand, dass global agierende Firmen mit ihren digitalen Tech-Plattformen immer stärker in unseren gesellschaftlichen Alltag eindringen (Helmond 2015, Nieborg/Helmond 2019) und sich als Institutionen etablieren (Jarren 2019, Puppis 2020). Auf welche Art und Weise und mit welchen Konsequenzen sie die öffentliche aber auch die private Kommunikation beeinflussen, ist eine kommunikationswissenschaftlich relevante Frage. Was die kommerziellen Interessen im Internet betrifft, haben wir es mit einer handverlesenen Zahl international tätiger Konzerne (mit Hauptsitz in den USA) zu tun (Dolata 2015): Das sind einerseits die beiden Werbe- und Marketingunternehmen Google und Facebook sowie der Handelskonzern Amazon und andererseits der Computer- und Unterhaltungselektronikhersteller Apple sowie der Softwarekonzern Microsoft.33

Aus der Perspektive eines dritten bzw. digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit repräsentieren diese Konzerne mit ihren Plattformen gewissermaßen die Leitmedien neuen Stils. Ihre Macht und ihr Einfluss basieren nicht nur auf ihrer Marktdominanz, sondern „auch auf ihrer Fähigkeit, mit ihren zahlreichen und aufeinander abgestimmten Angeboten die Rahmenbedingungen wesentlicher sozialer Zusammenhänge im Online-Kontext – Konsumwelten, Informations- und Kommunikationsmuster, soziale Beziehungsnetzwerke – maßgeblich zu gestalten und zu prägen“ (Dolata ebd.: 525).

Die jeweils entwickelten Geräte, die Software, die Apps, die Such-, Konsum- oder die Beziehungsplattformen sind nämlich mehr als bloß ein technisches Angebot, das wir nach Lust und Laune verändern können – im Gegenteil: In die Technik sind immer auch „Regeln, Normen und Handlungsanleitungen eingebaut, die auf die Aktivitäten ihrer Nutzer wie soziale Institutionen wirken und die deren Handeln im Netz sowohl ermöglichen als auch mitstrukturieren“ (ebd.).

Wohl zu Recht kann man von einer neuen Plattform-Öffentlichkeit (Eisenegger 2021: 28 ff.) sprechen, mit der neue Qualitäten der Öffentlichkeit sowie der Informationsvermittlung entstehen.

•Das beginnt schon bei der Metapher der Arena (auch: Forum), die ja auf separate Schauplätze (parlamentarische, administrative, öffentliche) für den politischen Prozess verweist, zwischen denen in der Offline-Ära relativ klare Grenzen gezogen werden konnten. Die Präsenz von Social Media-Plattformen im Web samt ihren Funktionalitäten zur Vernetzung von Akteuren scheint diese Grenzziehungen, wenn schon nicht obsolet, so doch aufgeweicht zu haben (Donges/Jarren 2017: 88 f.). Die noch aus der Offline-Ära stammende (idealtypische) Vorstellung von Öffentlichkeit als einem „Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen“ (Habermas 1992: 436, 2008: 164 f.) könnte damit – rein theoretisch gedacht – sogar einen strukturellen Annäherungsschub erfahren.

•Das gilt erst recht für die Differenzierung der Öffentlichkeitsebenen (Encounter-, Themen- und Medienöffentlichkeit), wobei man durchaus hinterfragen kann, ob das Denken in Ebenen dann noch angemessen ist (Friemel/Neuberger 2021: 88 ff.). Die Möglichkeit, dass Unbekannte einander spontan im digitalen Raum treffen und – gleichsam auf der ehemaligen Encounter-Ebene – miteinander kommunizieren, ist heute keine Ausnahme mehr. Interaktions- und Vernetzungschancen sind technisch gleichsam auf Knopfdruck vorhanden, der Zugang zur Öffentlichkeit ist einfacher geworden (Neuberger 2018).

•Weitere Konsequenzen könnten sein, dass in der Plattformöffentlichkeit sowohl die Zahl als auch die Bedeutung themenzentrierter Öffentlichkeiten zunimmt und dass überdies die Medienöffentlichkeit nicht mehr nur von (klassischen) publizistischen Medien bevölkert wird, sondern auch von Alternativmedien, die sich die jeweils plattformspezifischen infrastrukturellen Möglichkeiten zunutze machen34.

•Dank dieser Basis-Infrastruktur, die auf den Tech-Plattformen zur Verfügung steht, erfordert die massenmediale Kommunikator·innenrolle nicht mehr zwingend eine Rückbindung an journalistische Organisationen. Wirtschaftliche, politische oder zivilgesellschaftliche Akteure sind zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen daher nicht mehr auf das Gatekeeping professioneller Informationsmedien angewiesen, sondern können sich über plattformspezifische PR- und Corporate Publishing-Aktivitäten direkt an ihre Zielgruppen wenden. All dies schwächt freilich die (traditionelle) Gatekeeper-Rolle des Journalismus, gefährdet seine Artikulations-, aber auch seine Integrationsfunktion (vgl. dazu Kap. 7.9) und vereinfacht die öffentliche „Verbreitung umstrittener, schädlicher oder gar illegaler Inhalte“ (Puppis 2020: 203).

•Daraus entstehen neue Anforderungen an die Rezipient·innenrolle: Auf den Plattformen vermischen sich – wie bereits erwähnt – journalistische und kommerzielle sowie professionell und nicht professionell erstellte Inhalte. Konkret heißt das: Die Nutzer·innen begegnen den veröffentlichten Nachrichten nicht mehr wie bisher „in abgrenzbaren Paketen spezifischer Medienmarken. Vielmehr werden sie in wachsendem Ausmaß mit einem Strom aus Inhalten und Inhaltsfragmenten konfrontiert, der in mehrfacher Hinsicht personalisiert ist“ (Eisenegger 2021: 33). Zum einen, weil die Nutzer·innen selbst die Quellen ihres persönlichen Nachrichtenstroms bestimmen können (indem sie z. B. Personen als Freund·innen kennzeichnen, Seiten liken, Kanäle abonnieren, Twitter-Accounts folgen) und zum anderen, kraft der algorithmisch gesteuerten Personalisierung (Poell/Nieborg/van Dijck 2019). Das wird v. a. dann problematisch, wenn es sich dabei um Desinformation handelt35.