Postmoderne

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Postmoderne
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Roger Behrens

Postmoderne

eva wissen

CEP Europäische Verlagsanstalt

© e-book Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2014

ISBN 978-3-86393-518-4

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, Vervielfältigung (auch fotomechanisch), der elektronischen Speicherung auf einem Datenträger oder in einer Datenbank, der körperlichen und unkörperlichen Wiedergabe (auch am Bildschirm, auch auf dem Weg der Datenübertragung) vorbehalten.

Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter www.europaeische-verlagsanstalt.de

»Die Märchenerzähler haben nicht berücksichtigt, dass das Dornröschen von einer dicken Staubschicht bedeckt erwacht wäre.«

Georges Bataille, ›encyclopaedia acephalica‹

Für Dich!

Inhalt

Begriffe

Zum Anfang: Nach der Postmoderne ist vor der Postmoderne

Die postmoderne Moderne

Theorien

Grundlagen

Widerstreit

Oberflächen und Kraftlinien

Differenzen

Der Mensch, die Macht und die Anderen

Kunst und Ästhetik

Ästhetik nach der Kunst

Kunst nach der Ästhetik

Leben in der Postmoderne

Die postmodernen Jahre

Postmoderne Gesellschaft

Nachwirkungen

Kritik

Anhang

Literatur

Zum Anfang: Nach der Postmoderne ist vor der Postmoderne

Seit den achtziger Jahren ist der Begriff Postmoderne aus dem universitären, aber auch dem alltäglichen Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken. Aber mit einer genauen Definition tun sich selbst die postmodernen Theoretiker schwer. Fest steht nur, dass sie mit der Moderne als Epoche in enger Beziehung steht. Die Frage ist nur: in welcher Weise?

Am Nullpunkt der Moderne, die Postmoderne

Zwei Tage nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 war in derselben Ausgabe der ›Frankfurter Rundschau‹(13.9.2001) vom Anfang wie vom Ende der Postmoderne zu lesen. Die Art und Weise, wie – immerhin zur Jahrtausendwende –die Postmoderne in den Zusammenhang mit den verheerenden Anschlägen, ihren Ursachen und Folgen gebracht wurde, ist bezeichnend für die Bandbreite der Diskussionen um die Postmoderne.

In einem Interview postulierte der Terrorismus-Experte und Londoner Professor für War Studies, Lawrence Freedman, dass mit den Anschlägen der postmoderne Krieg begonnen hätte. »Diese Attacken haben keine physischen Konsequenzen, nur menschliche, und sind letztlich Attacken auf Symbole amerikanischer Macht. In diesem Sinne kann man sie ›postmodern‹ nennen: Sie betreffen Symbole und Identitäten, sie suchen auf ihre Art etwas zu signalisieren, und niemand behauptet, dass sie Teil einer rationalen Strategie wären.« (FR, 13.9.2001)

Kurz vor den Anschlägen hatte der Philosoph Jean Baudrillard behauptet: »Das Jahr 2000 hat nicht stattgefunden.« Das 20. Jahrhundert sei ein Gefängnis der Zeit gewesen; Anfang und Ende der Moderne fielen zusammen, die Geschichte sei zum Stillstand gekommen. – Für Baudrillard sind die beiden Türme des World Trade Center in New York die Ikonen, die diesen Befund symbolisierten: Oberflächen, die allein sich selber spiegeln, das Ende der Geschichte einer nur noch simulierten Moderne. Der Philosoph und Redakteur Christian Schlüter sieht Baudrillards zynischen Befund durch die Terroranschläge indes widerlegt, vielmehr sei die Postmoderne, samt ihrer »Unerträglichkeit des selbstgenügsamen Unernstes ... vorbei. Die Zäsur einer neuen Zeit, des 21. Jahrhunderts, verläuft nicht an der Peripherie, sondern im Zentrum der Macht.« (FR, 13.9.2001)


Ground Zero in New York, nach dem 11. September 2001 – Anfang oder Ende der Postmoderne?

Die beiden Thesen, von denen in der Zeitung zu lesen war – Ende der Postmoderne und der erste postmoderne Krieg –, stehen nur scheinbar im Widerspruch zueinander. Vielmehr geben sie Hinweise auf die Dimensionen und die Tragweite der Postmoderne-Diskussionen. Ob es sich bei der Postmoderne um eine Theorie der Moderne handelt oder um einen Zustand der Moderne, lässt sich kaum entscheiden – eine Unentschiedenheit, die für die Definition der Postmoderne ausschlaggebender ist als eine abschließende, fest umgrenzte Begriffsbestimmung. Paradox zugespitzt: Postmoderne ist ein ambivalenter Begriff, der genauso ambivalent ist wie die postmoderne Zeit, die schließlich die Postmodernehervorgebracht, verbreitet und zur Mode erklärt hat. Die Unmöglichkeit einer eindeutigen Definition der Postmoderne ist zugleich ihre einzig mögliche Definition. Alles als »postmodern« zu bezeichnen, ist selbst schon eine postmoderne Haltung. Genauso, wie es eine postmoderne Kritik sein kann, diese Unmöglichkeit der Definition als postmoderne Situation zu begreifen. Dabei geht es schließlich nicht nur um das Wort Postmoderne und dessen modischen, leichtfertigen Gebrauch als Schlagwort für beliebige Phänomene oder eine Rhetorik, die sich nicht auf Positionen festlegen will, sondern um ernsthafte Probleme, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert sind, die als Struktur wie Ideologie der Postmoderne gelten können.

»Unglücklicherweise ist ›postmodern‹ heute ein Passepartoutbegriff, mit dem man fast alles machen kann. Ich habe den Eindruck, dass ihn inzwischen jeder auf das anwendet, was ihm gerade gefällt.«

Umberto Eco, ›Nachschrift zum »Namen der Rose«‹

Einige grundsätzliche Schwierigkeiten der Definition der Postmoderne

Die Schwierigkeit, sowohl Postmoderne wie im Übrigen auch Moderne inhaltlich präzise zu fassen, betrifft mithin nicht nur den Inhalt der Diskussionen, sondern ebenso ihre Form: Die wissenschaftlichen Methoden haben sich geändert, der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit selbst wurde in Frage gestellt, die Grenzen zwischen den Disziplinen wurden überschritten, die Philosophie verlor endgültig ihre übergeordnete Stellung innerhalb der Wissenschaften, und ausgerechnet die Literaturwissenschaft bezog innerhalb der Debatten eine Vorreiterrolle.

Auch der Versuch einer geschichtlichen Datierung der Postmoderne ist bei der Begriffsbestimmung nicht unbedingt hilfreich. Man kann sagen: Die letzten dreißig Jahre des vergangenen Jahrhunderts können als das Zeitalter der Postmoderne bezeichnet werden. Aber genau genommen bleibt die historische Bestimmung der Postmoderne ebenso diffus wie die begriffliche Definition. Das bedeutet aber nicht, dass man über die Postmoderne nichts sagen kann; vielmehr verweisen diese Schwierigkeiten auf grundsätzliche Probleme der Zeit, von der sich die Postmoderne kritisch absetzt. Das heißt, es geht nicht nur darum, etwa zu klären, ob die Postmoderne die Moderne ablöst oder ob die Postmoderne die Moderne fortsetzt, und wann sie dieses oder jenes tut, sondern darum, ob der Zeitbegriff, die Geschichtsvorstellung, das moderne Denken in Epochen, überhaupt aufrechterhalten werden kann. Mehr noch: ob nicht das mögliche Ende der Moderne zugleich ein Ende der Geschichte und sogar einen Stillstand der Zeit bedeuten könnte – und somit eine Datierung der Postmoderne genauso wie eine Definition nachgerade sinnlos wird.


Die Skyline von New York; für Jean Baudrillard waren die Zwillingstürme des World Trade Center »Ikonen der Moderne«. – »Ich bin auf dem Wege des theoretischen Terrorismus. Ich sehe keine andere Lösung.«

Jean Baudrillard, 1983

Postmoderne als redigierte Moderne

Das Problem der Postmoderne ist zunächst weniger sie selbst und ihre Definition, sondern die Moderne. Postmoderne Theorien diagnostizieren für die Moderne: Die Freiheiten und Sicherheiten des modernen Individuums bedeuten die Zunahme seiner Unfreiheit und Unsicherheit; die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen der Moderne sind keineswegs nur ein Fortschritt, sondern haben sich als unberechenbare Bedrohung der Menschheit herausgestellt. Die Postmoderne ist insofern der diagnostische Reflex auf das offenkundige Scheitern der Moderne. Doch Postmoderne reflektiert nicht nur die Ambivalenzen des Modernisierungsprozesses, sondern stellt die Prinzipien dieses Prozesses selbst in Frage: Für Jean-François Lyotard bildet Auschwitz, der planmäßige Massenmord an den europäischen Juden, die Signatur des Zivilisationsbruchs, der so einschneidend ist, dass das »unvollendete Projekt der Moderne« (wie es der Soziologe Jürgen Habermas verteidigt) nicht mehrfortgesetzt werden kann. Vielmehr müsste die Moderne redigiert, das heißt umgeschrieben werden.

 

»Die Postmoderne wäre eher eine Krise dieses Projekts der Moderne selber.«

Andreas Huyssen, ›Postmoderne – eine amerikanische Internationale?‹

Und wenn Lyotard hier vom Schreiben spricht, so ist das wörtlich zu nehmen: Die Moderne gründet in der Schriftkultur, in der Idee einer Logik, die mit Vernunft und Sprache gleichermaßen verbunden ist (›lógos‹). Zwar gehört zur Moderne ihre Selbstkritik dazu, doch bleibt diese Reflexion gewissermaßen in der Logik der Moderne, nämlich in ihrem Text gefangen: in den Gesetzen, in der Philosophie, in ihrer Geschichtsschreibung etc. Die Postmoderne stellt nun die Logik der Moderne in Frage, indem sie in diese Texte eindringt. Denn die Katastrophe der Moderne folgt einer Logik, die es mit ihren eigenen sprachlichen Mitteln nicht mehr ermöglicht, ihre Geschichte weiter zu erzählen. Für Lyotard ist deshalb Auschwitz das Nicht-Darstellbare, das mit keiner Sprache der Moderne begriffen oder ausgedrückt werden kann.

»Es ist das eigentlich Verführerische am postmodernen Diskurs: dass er, auf die Probe gestellt, unüberprüfbar wird.«

Gérard Raulet, ›Leben wir im Jahrzehnt der Simulation?‹, in: Peter Kemper (Hg.), ›»Postmoderne«. Oder der Kampf um die Zukunft‹

Gleichzeitig, so lässt sich mit Jean Baudrillard kontrastieren, ist die postmoderne Welt die durch das Fernsehen hergestellte Welt, in der permanent alles seinen medialen Ausdruck findet, in der die Wirklichkeit bloß noch simuliert wird und ungewiss ist, ob es das, was wir Realität nennen, überhaupt jenseits der medialen Simulation gibt. Die Welt bestehe nur noch aus Oberflächen der Simulation; Baudrillard hat dies für den 11. September in einem zweifelhaften Zynismus kulminieren lassen, indem er mutmaßte, dass die Terroranschläge auf die sowieso nur simulierte Realität der Twin Towers vielleicht gar nicht stattgefunden haben. (Jean Baudrillard, ›Der Geist des Terrorismus‹, Wien 2002)

Nach der Postmoderne ist vor der Postmoderne. Der Begriff der Postmoderne hat in seinen unterschiedlichen Fassungen und Varianten mehr Probleme hervorgebracht, als er zu lösen vermochte. Und gerade die gefährlichen und zynischen Positionen von Jean Baudrillard auf der einen Seite sowie die kritischen reflektierten Positionen von Jean-François Lyotard auf der anderen Seite unterstreichen die Notwendigkeit, den Begriff und die Diskussionen der Postmoderne in allen Facetten zu differenzieren.

»Das Moderne ist wirklich unmodern geworden.«

Theodor W. Adorno, ›Minima Moralia‹

Der Begriff »Postmoderne« ist schillernd und widersprüchlich: Einige haben die Postmoderne als neue Epoche proklamiert und zum Teil zynisch die Moderne vollends abgelehnt. Andere versuchten im Sinne einer kritischen Postmoderne die reflektierte Fortsetzung und Neubegründung der Moderne. Die Schwierigkeit der Definition der Postmoderne erscheint dabei selbst als Indiz der Postmoderne.

Die postmoderne Moderne

Den unterschiedlichen Theorien der Postmoderne gemeinsam ist ihr kritisches Verhältnis zur Moderne. Es geht um eine radikale Pluralisierung der modernen Kultur und Gesellschaft.

Die Postmoderne, das Postmoderne, der Postmodernismus, die Vorsilbe ›Post‹

Heißt es die oder das Postmoderne? Ist es die postmoderne Moderne oder die moderne Postmoderne? Gibt es Postmodernismus? Bedeutet die Postmoderne einen Zustand oder eine Haltung? Gibt es mehrere Postmodernen? Ist die Postmoderne ein Zeitpunkt oder eine Tendenz, ein Zeitraum, ein Geschichtsabschnitt oder ein überzeitliches Phänomen? Bezeichnet die Postmoderne eine Epoche, beschreibt sie sogar einen Paradigmenwechsel? Ist die Postmoderne »gemacht« worden, oder folgt sie einer »verborgenen Logik« der Moderne? Kann man das Postmoderne sehen, ist es anschaulich, manifestiert es sich in Verhältnissen und Gegenständen? Oder ist die Postmoderneeine Struktur, die sich abstrakt, hinter dem Rücken der Menschen durchsetzt? Und ist die Moderne auch eine Struktur, oder unterscheidet sich genau darin die Postmoderne von der Moderne? Ist denn die Postmoderne überhaupt von der Moderne zu unterscheiden? Was geschieht mit der Moderne in der Postmoderne? Leben wir noch in der Postmoderne, beziehungsweise was kommt nach der Postmoderne?

»Freiheit Gleichheit, Brüderlichkeit war der Schlachtruf der Moderne. Freiheit, Verschiedenheit, Toleranz ist die Waffenstillstandsformel der Postmoderne. Und wenn Toleranz in Solidarität umgewandelt wird, kann sich Waffenstillstand sogar in Frieden verwandeln.«

Zygmunt Bauman, ›Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit‹

Der Fragenkatalog könnte fortgesetzt werden; und für jede Frage finden sich unzählige Antworten, die sich nicht selten widersprechen. Fest steht lediglich, dass mit »Postmoderne« ein Bruch in der Geschichte der Moderne bezeichnet wird, der so tief geht, dass die bisherigen Motive, Muster und Maßgaben der Moderne grundlegend überdacht, neu formuliert, wenn nicht aufgegeben werden müssen.

Die kritische Stellung der postmodernen Theorien zur modernen Wissenschaft erschwert eine wissenschaftliche Begriffsbestimmung ebenso wie der inflationäre Gebrauch der Vorsilbe ›Post‹ sowie die Reduzierung des Postmoderne-Begriffs zum beliebigen, konturlosen Schlagwort. Plötzlich, mitten in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, war alles »postmodern«, und zwar nicht nur die Philosophie und die Künste, sondern das Alltagsleben, die Arbeit, die Liebesbeziehungen, die Wohnungseinrichtungen, der Urlaub, die Freizeit, das Essen, die Kleidung und sogar die Naturgesetze. Die Vorsilbe ›Post‹, die erst einmal nur ein zeitliches ›Nach‹ bezeichnen sollte, konnte an jedes Wort gehängt werden: Es gab nicht nur das postindustrielle Zeitalter, das postmetaphysische Zeitalter, die Posthistoire, den Postfordismus, sondern den Postmarxismus, den Postkommunismus, den Postrock, den Postfeminismus, die ›Postcolonial Studies‹, den Postpunk, die postavantgardistische Kunst, den Postrealismus, den Poststrukturalismus und schließlich den Post-Postmodernismus.

»Es deutet alles darauf hin, dass das, was wir Postmoderne nennen, nicht abzutrennen und nicht denkbar ist ohne die grundsätzliche Annahme eines fundamentalen Wandels der Kultur in der Welt des Spätkapitalismus, das heißt einer folgenschweren Veränderung ihrer gesellschaftlichen Funktionsbestimmung.«

Fredric Jameson, ›Postmoderne – Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus‹

Begriffsgeschichte

Das Wort »Postmoderne« taucht schon im 19. Jahrhundert auf. 1870 spricht der englische Salonmaler John Watkins Chapman von einer »postmodernen Malerei«. 1917 benutzt Rudolf Pannwitz das Wort »postmodern« in Anlehnung an Friedrich Nietzsches Kulturkritik. Der spanische Literaturwissenschaftler Federico Oníz nennt 1934 die spanisch-lateinamerikanische Literatur zwischen 1905 und 1914 »Postmodernismo«. Die gegenwärtige Phase der abendländischen Kultur bezeichnet der Historiker Arnold Toynbee 1947 als »post-modern« (und diese Phase beginnt bei ihm bereits 1875). Irving Howe, Harry Levin und andere Literaturwissenschaftler führen den Begriff dann 1959 in die Diskussion ein.

Bekannt wird der Begriff schließlich durch Leslie Fiedler. Parallel zu den Entwicklungen, die im Namen der Pop-Art die bildenden Künste erschüttern, kritisiert auch Fiedler 1969 in seinem Aufsatz ›Überquert die Grenze, schließt den Graben!‹ die überkommenen elitären Ansprüche einer Hochkultur und plädiert stattdessen für einen produktiven Umgang mit populärer Massenkultur und Konsum. »Fast alle heutigen Leser und Schriftsteller sind sich – und zwar effektiv seit 1955 – der Tatsache bewusst, dass wir den Todeskampf der literarischen Moderne und die Geburtswehen der Post-Moderne durchleben.« Leslie Fiedler veröffentlicht seinen programmatischen Text ausgerechnet im – übrigens erst 1953 gegründeten – ›Playboy‹ (die deutsche Übersetzung erschien indes in ›Christ & Welt‹).

»...der sportlich gestählte nationalistisch bewusste militärisch erzogene religiös erregte postmoderne mensch ist ein überkrustetes weichtier einem juste-milieu von décadent und barbar davon geschwommen aus dem gebärerischen strudel der groszen décadence der radikalen revolution des europäischen nihilismus.«

Rudolf Pannwitz, ›Die Krisis der europäischen Kultur‹

Dieses Verständnis der Postmoderne, das heute nach wie vor noch aktuell ist, reflektiert nicht nur auf die frühe Popkultur der sechziger Jahre, die in Underground, Beat-Generation, Rock’n’Roll und Woodstock, Black Power und Soul ihren Ausdruck findet, sondern ebenso – und damit verknüpft – auf die studentische und subkulturelle Protestbewegung der damaligen Zeit.

Ohne Resonanz blieb indes der Versuch des von der amerikanischen Underground-Literatur begeisterten Schriftstellers Rolf Dieter Brinkmann, Fiedlers Thesen und den Begriff der Postmoderne schon Ende der Sechziger im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Für eine Kontroverse sorgte Ihab Hassan, der 1973 auf einer Tagung in Berlin Samuel Beckett als »Post-Modernen« verteidigte. Erst als sich abzeichnete, dass die Abgrenzung der Hochkultur von der Massenkultur nicht länger haltbar war und das Interesse am Pop und an Subkulturen größer wurde, konnte über den französischen Umweg der Postmoderne-Begriff schließlich für eine breitere Debatte fruchtbar gemacht werden.

Nicht nur die frühe Popkultur kann als Vorbotin der Postmoderne verstanden werden; vor allem in der Architektur, mit der sozusagen Ideen zu Stein werden, äußerte sich früh eine Kritik an den (Bau-)Prinzipien der Moderne, insbesondere in Hinblick auf den Funktionalismus und die politischen Repräsentationsbauten der modernen Architektur. So sprach Joseph Hudnut 1949 das erste Mal von einem »Post-Modern House«, jedoch nur im Titel eines Aufsatzes, ohne den Begriff weiter auszuführen. Der Architekturtheoretiker Nikolaus Pevsner gebrauchte den Begriff Anfang 1967, allerdings als negatives Etikett, um die Moderne zu verteidigen. Wichtig wird der architektonische Postmoderne-Begriff 1975 durch einen Zeitschriftenaufsatz von Charles Jencks (›The Rise of Post-Modern Architecture‹), wobei Jencks die postmoderne Kritik des Elitären von Fiedler übernimmt. Mit seinem Buch ›Die Sprache der postmodernen Architektur‹ macht Jencks 1977 (dt. 1980) schließlich den Begriff endgültig bekannt.

»Die Moderne kann und will ihre orientierenden Maßstäbe nicht mehr Vorbildern einer anderen Epoche entlehnen, sie muss ihre Normativität aus sich selber schöpfen. Die Moderne sieht sich, ohne Möglichkeit der Ausflucht, an sich selbst verwiesen.«

Jürgen Habermas, ›Der philosophische Diskurs der Moderne‹

Der Postmoderne-Begriff ergibt sich also nicht aus einem antimodernen Impuls, sondern aus einer ambivalenten Dynamik der Moderne, nämlich gewissermaßen aus der Subversion und Selbstbehauptung der Massenkultur und der populären Künste sowie aus einer Krise der bürgerlich-modernen Hochkultur, einschließlich ihrer elitären Ideale, deren Verwirklichung in den Vernichtungsnächten zweier Weltkriege scheiterte. Der moderne Kanon von Kunst und Kultur konnte keinen Vorrang gegenüber einer pluralen und emanzipatorischen Massenkultur mehr beanspruchen; die Pop-Art und der literarische Underground hatten vorgemacht, wie leicht die Grenzen hier überschritten werden können. Die postmoderne Verteidigung der Popkultur erreicht in den siebziger Jahren die Philosophie, die sich gegen die elitären, gewalttätigen und ausgrenzenden Großkonzepte der Moderne wendete, um Vernunft, Wahrheit, Geschichte, Ästhetik und Schönheit zu pluralisieren.

 
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