Czytaj książkę: «Ein moderner Lederstrumpf», strona 6

Czcionka:

6. Capitel.
Ach, wenn er doch käme.

Ja, Ellen fühlte sich äusserst beleidigt in ihrem ganzen Geschlecht.

Sie dachte recht vernünftig über die Frauenfrage, sie gehörte nicht zu denen, welche das Weib am Ruder der Menschheit sehen und das Vaterland vertheidigen lassen wollen, welche den Mann an den Waschtrog gestellt wissen möchten. Die Frau soll im Erwerbs- und Geistesleben jede Stellung einnehmen, zu welcher sie befähigt ist, an welcher ihr Geschlecht sie nicht hindert, in welcher sie sich kraft ihrer Geschicklichkeit und Kenntnisse behaupten kann. Dazu vielleicht noch Stimmberechtigung, besonders in gewissen Sachen. Und das kommt ja Alles von ganz allein, das ist der Lauf der Entwickelung, Niemand kann es hindern, und die Querköpfe, die von ihren Isolirschemeln dagegen eifern, werden auch noch einmal einsehen, dass sie sich lächerlich gemacht haben. Allerdings giebt es Berufe, Stellungen, Aemter, zu denen sich die Frau nicht eignet, oder wenn sie sich dazu eignet, passen sie nicht für sie, eben weil es eine Frau ist, hierzu ist ein Mann fähiger, und indem Ellen diese Ueberlegenheit des Mannes in vieler Hinsicht offen anerkannte, durfte sie mit Recht eines von ihm fordern: Achtung vor der Frau.

Und nun sah sie sich einem Manne gegenüber, der hierüber dieselben Ansichten hatte wie ungefähr ein Hottentotte, wie ein Indianer! Der die Frauen wie ein Türke in den Harem sperren wollte!

Nein, das konnte sie ihm nicht verzeihen. Oder konnte sie es, so war das doch keine Gesellschaft für sie. Gebildet war er, aber Bildung und Gemüth ist zweierlei. Er war gemüthsroh. Eigentlich schade. Aber nun mochte sie eben auch nicht mehr in seiner Gesellschaft bleiben, hoffentlich wurde sie in Indianopolis von seiner Begleitung erlöst.

Es ging bergan, es wurde immer steiler, Ellen brachte ihre Maschine nicht mehr vorwärts, sie kippte um. Starke fuhr immer noch, dazu, wie sie jetzt bemerkte, nur mit einem Fusse; er sprang neben ihr ab und zeigte das abgebrochene Pedal.

»Ich habe mir die Maschine selbst gebaut, hatte aber vor zwei Jahren noch nicht die Erfahrung wie jetzt, und auch meine Muskelkraft ist gewachsen; ich glaube, jetzt trete ich Alles durch. In einer Stunde ist der Schaden reparirt.«

Sie hatten den Gipfel des Hügels erreicht, unten lag ein hübsches Dörfchen, jenseits erhoben sich jäh die Alleghany-Berge.


»Sehen Sie, gleich am Wege das Häuschen mit dem rauchenden Schornsteine, es ist eine Schmiede, hat auch eine gute Drehbank. In einer Stunde ist der Bolzen fertig, selbst wenn ich ihn erst schmieden muss.«

»So werde ich einstweilen vorausfahren, kommen Sie nach.«

»Nein, Miss, warten Sie diese Stunde auf mich. Sie müssen nach Ludgate, kaum 12 Meilen von hier entfernt; das dort ist der Bärenpass, ganz leicht zu befahren, aber allein würden Sie den Weg sicher verfehlen.«

»Ich werde ihn zu finden wissen, und im Uebrigen befolge ich Ihre Vorschrift: immer pedantisch den Stundenplan einhalten. Jetzt wird gefahren.«

Sie rollte den Hügel hinab. Starke war wieder an ihrer Seite.

»Hören Sie auf mich, Miss. Ausnahmen kommen immer einmal vor. Es treiben sich arbeitslose Goldwäscher und Bergleute hier herum. Fortwährend durchkreuzen Schluchten und Thäler den Pass; die siebente grössere Schlucht müssen Sie links einschlagen, aber das ist eine ganz ungenaue Angabe, es kommen unzählige andere dazwischen. Finden Sie nicht die richtige Schlucht, so kommen Sie auf ganz unfahrbare Wege, verirren sich in ein Labyrinth, oder Sie erreichen die offene Prairie, und heute giebt es noch Regen.«

Aber Ellen that, als höre sie nicht. Das Thal hatte sie erreicht, sauste eben in voller Fahrt an der Schmiede vorbei, als plötzlich Starke, schon zu Fuss, eine Hand an der Lenkstange, die andere am Sattel, ihr Rad mit einem Ruck zum Stehen brachte.

Wie er dies fertig gebracht, wusste sie nicht, wunderte sich jetzt auch nicht darüber.

»Lassen Sie mich los!« rief sie, hochroth vor Entrüstung.

»Nur eine Stunde. Ich sorge mich wirklich um Sie, Sie werden sich verirren.«

»Wollen Sie mich jetzt freigeben, Sie unverschämter Mensch?!«

Statt dessen zwang er sie durch Umlegen des Rades zum Absteigen.

»Wenn Ihnen mein Hund folgte, würde ich Ihnen den zum Schutze mitgeben.«

»Ich würde ihn erschiessen! Ich brauche keinen Schutz!«

»Ich hätte Lust, einen Schlauch zu zerschneiden, dass Sie nicht weiterkönnen.«

»Ja, das sähe Ihrer Rohheit ganz ähnlich!« stiess Ellen hervor, jetzt vor Entrüstung bleich werdend.

Starke bat nicht, drohte nicht; seine ruhige Stimme war keiner Wandlung fähig.

»Gut, folgen Sie Ihrem Willen. Prägen Sie sich meine Worte dem Gedächtniss ein. Von hier bis zum Anfange des Passes, den Sie schon merken werden, sind es fünf Meilen. Die fahren Sie in einer halben Stunde. Dann sehen Sie nach der Uhr, fahren Sie schnell 25 Minuten lang, Sie werden drei Meilen machen können, beachten Sie nicht die Querthäler, sondern spähen Sie nach diesen 25 Minuten immer rechts nach einem metergrossen Steine an der Felswand, der gerade wie ein Menschenkopf aussieht. Zu verkennen und zu übersehen ist er nicht, wenn Sie nur nach rechts sehen. Hinter diesem die erste Schlucht links ab, das ist der richtige Weg; und wenn er auch anfangs etwas holperig ist, er wird bald besser, und dann immer gerade aus, Sie kommen direct nach Ludgate. Mögen Sie Ihren Eigensinn nicht bereuen.«

Er trat zurück, Ellen stieg auf und jagte davon. Hatte er sie nicht auch eigensinnig genannt? Solch' ein Unhold.

Immer noch zürnend, passirte sie den Eingang des Passes in die Felsen, was allerdings nicht zu verkennen war, denn diese Felsen hüben und drüben, himmelhoch ansteigend, erhoben sich jäh aus ebenem Boden, und bei diesem Gegensatze von Berg und Ebene blieb es, das war ein richtiger Engpass, und man kommt auf die Vermuthung, dass dieser Bärenpass einst das Bett eines Stromes gewesen ist, der sich durch die Felsen gebrochen hat, obgleich hiermit nicht die vielen Querthäler übereinstimmen wollen.

Das ganze Alleghany-Gebirge setzt sich aus solchen parallelen Gebirgsstreifen zusammen; hier treten sie in Form von Felswänden am dichtesten zusammen, nur zwei deutsche Meilen breit. Es war einst die Hauptstrasse, die jetzt, seitdem die Eisenbahn hinüberfährt, kaum noch benutzt wird.

Der Weg war von Natur ausgezeichnet, der Felsboden glatt wie ein Tisch, nur wenig ansteigend, dazu Rückenwind, Ellen flog spielend hinauf. Links und rechts aber, in den Schluchten, da sah es fürchterlich aus, da hätte man wohl, das Rad über die Schulter, von Stein zu Stein balanciren müssen.

So flog sie immer weiter, bewunderte die schauerliche Romantik der Zwischenthäler und freute sich über diesen glatten Weg im Gegensatz zu jenen, bis sie an das Linksabbiegen dachte. Einen menschenkopfähnlichen Stein hatte sie noch nicht gesehen, leider auch nicht nach der Uhr; jetzt war es bald elf, sie fuhr und fuhr, und der Stein wollte immer noch nicht kommen. War sie schon daran vorüber? Wie in aller Welt sollte man denn aber auch in solch' einer Schlucht fahren können? Die bezeichnete musste doch wohl noch kommen.

Aber weder der auffallende Stein noch ein links liegendes Thal mit passablem Weg war zu erblicken. Dafür erreichte sie jetzt die Höhe. Nun war sie sicher vorbei geradelt. Gut, dann ging es einmal in die offene Prairie, so hatte er ja wohl gesagt. Diese herrliche Thalfahrt konnte sie sich nicht entgehenlassen. Sie brauchte sich ja dann nur links zu halten, so musste sie wieder auf den richtigen Weg kommen. Also die Füsse auf die Stützen gestemmt, die Bremse vorsichtig in die Hand, und hinab ging es in sausendem Fluge. Der Luftzug milderte die Hitze, dabei vergass sie auch die Trockenheit des Gaumens.

Dort vorn wurde der Weg anders. Er war mit Steinen bedeckt, ein herabgestürzter Felsblock mochte zersplittert sein. Ehe Ellen abbremsen konnte, war sie mitten drin, über einige kleine Steine hinweg, grössere konnte sie umfahren, sie hatte das Rad wieder in der Gewalt, es wurde ihr etwas ängstlich um's Herz, weil die Steine gar so spitz waren ...........

Pfffhhh — sagte es, und durch Ellen's Körper ging ein unangenehmes Rütteln.

Erschrocken sprang sie ab. Sie hatte einmal gehört, dass man nicht auf leeren Schläuchen fahren könne, die Felgen würden sich gleich verbiegen.

Der Hinterreifen war schlaff. Das Loch war leicht zu finden, der spitze Stein steckte noch drin. Nun, für solche Fälle war sie ja mit Allem versehen. Die Werkzeugtasche aufgeschnallt, das Reparaturkästchen herausgenommen, auch das Instrument, um den Laufmantel abzuheben.

Eigentlich ist es gar nicht so einfach, einen Laufmantel abzunehmen, als es sich zusieht, wenn es ein anderer macht. In ihrem ganzen Leben hatte es Ellen noch nie gethan, noch weniger einen Luftschlauch geflickt. Wenn ihr in England einmal so etwas passirte, ging sie in die nächste Reparaturwerkstätte, oder war ihr das zu weit, in's nächste Wirthshaus, gegen Bezahlen der Kosten und ein gutes Trinkgeld wurde ihr die kranke Maschine nach Hause geschickt, sie selbst fuhr mit der Eisenbahn voraus.

Aber sie brachte den Schlauchmantel herab, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit. Dem Kästchen lag eine Gebrauchsanweisung bei, sie wurde aufmerksam studirt; nun konnte sie es. Alles war vorhanden, sie kratzte, pinselte und klebte so, nun die Luftpumpe heraus, wozu erst der Widerstand der infamen Schnalle überwunden werden musste. Sie pumpte. War das fürchterlich heiss unter der Mittagshitze in diesem Engpass. Und dieser Durst! Sie pumpte und pumpte — wurde er denn noch immer nicht fest? Keine Spur. Die Zähne zusammengepresst, pumpte sie weiter, bis sie endlich merkte, dass die Luft ebenso schnell aus der Wunde wieder entwich, wie sie durch das Ventil hineinkam. Also nochmals die Anweisung gelesen, nochmals gekratzt, gepinselt und geklebt, nochmals gepumpt. Und das war heiss! Und dieser Durst! Aber nun hielt es auch, der Schlauch schwoll. Nicht allzufest, bei dieser Gluth könnte er leicht platzen. Ellen wäre sehr fröhlich gewesen, wenn nicht wieder die elende Schnalle an der Rahmentasche zu überwinden gewesen wäre.

Diesen spitzen Steinen traute sie nicht mehr. Die schienen bald aufzuhören. Ellen nahm das Rad über die Schulter, und wenn es auch wie Feuer brannte, sie trug es wie ihr geliebtes, krankes Kind, wohl eine viertel Stunde lang.

Wirklich, jetzt war der Weg wieder frei von den bösen Steinen.

Ihre Liebe wurde belohnt. Nun aufgestiegen und frisch drauf ......

Pfffhhhtsch — sagte das Hinterrad.

Ellen hätte die ganze Maschine am liebsten gegen die Wand werfen mögen. Hatte sie das etwa verdient? Nein. Das war eine Niederträchtigkeit, besonders von dem Hinterrade.

Aber Energie besass Ellen doch. Sie fing noch einmal an. Zunächst die verfl..... Schnalle, Ellen fluchte wirklich, und da gab die Schnalle klein bei. Also nochmals gekratzt, gepinselt, geklebt und gepumpt, wenn auch unter Thränen. Nein, dieser Durst, dieser Durst! Und der Pumpencylinder brannte wie glühendes Eisen in ihren Händen. Sie hatte es noch nicht für nöthig befunden, sich eine Korbflasche zuzulegen, unnützer Ballast hier mitten in der Cultur. Starke hatte immer eine grosse Lederflasche in der linken Jackentasche, und wenn der jetzt hier wäre, sie wollte trinken, trinken, trinken ..... Herr Gott, der Schlauch wollte schon wieder keine Luft annehmen!

»Nein, das ist doch zu schändlich!« weinte Ellen. »Ach, lieber Gott, mach mir doch meinen Schlauch voll.«

Das Gebet wurde nicht erhört, und ihre Seele dem Teufel zu verschreiben, daran dachte sie im Augenblicke nicht, sonst würde sie es vielleicht gethan haben.

Gebrochen sank Ellen auf einen Stein. Sie trug sich mit Todesahnungen herum. Was sollte denn auch aus ihr werden? Den Weg von 8 Meilen zurück zu Fuss? Es graute ihr schrecklich davor. Bei dieser furchtbaren Hitze! Schliesslich aber blieb ihr wohl nichts anderes übrig. Zunächst wollte sie warten, ob Starke nicht käme. Es war zwar eine kühne Annahme, dass Starke ebenfalls diesen offenbar falschen Weg einschlagen würde, doch Ellen baute fest darauf, mindestens musste sein Hund ihrer Spur folgen können, wozu hatte er denn sonst einen Hund, wozu hatte denn dieser Hund sonst eine Nase, und Ellen hatte wohl Recht, wenn sie sich diesen Mann vorstellte, wie er sofort erkennen würde, aus irgend einem Anzeichen, dass sie nicht den richtigen Weg eingeschlagen habe; er war ja so ein halber Trapper, dann musste er auch Indianersinne besitzen, und es war wohl auch richtig, wenn sie sich vorstellte, wie der kluge Hund, die Nase am Boden, der Fährte des Gummireifen folgen würde.

Zunächst glaubte Ellen, die ersten Qualen des Verschmachtungstodes durchzukosten. Schon sah sie in der öden Felsenwildniss grüne Oasen mit springenden Quellen, der glitzernde Spiegel eines See's winkt ihr — das heisst, sie bildete sich nur ein, schon solche Visionen zu haben, weil sie davon gelesen hatte; so weit war es doch noch nicht mit ihr. Was sie aber plötzlich veranlasste, mit einem Schmerzensschrei aufzuspringen, diese Empfindung war echt: der Stein, auf dem sie sass, war heiss wie eine glühende Ofenplatte, es ging nach und nach durch das Lodentuch.

»Starke, so kommen Sie doch nur endlich!« jammerte sie.

Das Echo verspottete sie.

»Ach, mein lieber Starke, kommen Sie doch, ich will ja auch immer zu Ihnen gut sein!«

»Gut sein — gut sein,« lachte das Echo, und Ellen empfand den Spott; Scham überkam sie.

Lächerlich, es war ja nichts weiter als ein kleines Löchelchen in dem Gummischlauche, sollte denn das nicht zuzustopfen sein? Andere konnten es ja auch, und es war so einfach, wenn man zusah. Ellen kratzte und pinselte und brachte ihren ganzen Vorrath von Gummi darauf. Nun wieder gepumpt. Es hielt, es hielt! Sie legte sich schwer auf den Sattel — es hielt, er liess keine Luft mehr! Vorwärts, aufgesprungen, sie musste heraus aus diesem schrecklichen Felsenpass, sie musste doch hier, in einer bevölkerten Gegend, bald auf Menschen stossen, wenn sie nur fuhr, und wenn sie erst ihren Durst gelöscht hatte, dann wollte sie auch wieder den richtigen Weg finden.

Sie hatte erst einige Radumdrehungen gemacht, als die Strasse abermals sehr steinig wurde, sie wollte den defecten Reifen lieber schonen .... Bhhh — sagte da dieser schon, diesmal ganz bescheiden.

Nun freilich war es mit Ellen vorbei. Sie liess die Maschine fallen, wie sie fiel, und fiel selbst daneben, jetzt nicht mehr den heissem Boden achtend, der ihr auf die Haut wirkliche Blasen zog.

Das ist mein Tod, dachte sie, hier wird man eine Leiche finden. Und das hat Judith nur gewollt. Fluch ihr, Fluch der ganzen Radlerei. Starke, Starke, du bist gerächt! — Und dann dachte sie trotzdem: ach, wenn er doch käme!

Aber Starke kam nicht.

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7. Capitel.
In der Prairie.

Wie sie so langgestreckt auf dem glühenden Boden lag, das Gesicht in den Armen vergraben, alles Feuer, Lippen und Gaumen brennend, glaubte sie ein Geräusch wie von rieselndem Wasser zu vernehmen. Sie glaubte es nur, redete sich ein, es sei nur eine Hallucination.

Es ist überhaupt manchmal nicht vortheilhaft, ein gebildeter, belesener Culturmensch zu sein, besonders wenn man noch einige Phantasie besitzt.

Bei Ellen musste dieses Geräusch partout eine Gehörs-Hallucination sein. Merkwürdig nur, wie deutlich es klang, gerade als ob — Ellen hob den Kopf — gerade als ob es Wirklichkeit sei. Natürlich, das war auch wirkliches Wasserplätschern, dicht in der Nähe, und Ellen sprang auf.

Zwischen der Strasse und der rechten Felswand befand sich ein tiefer Riss im Gestein, mit der Strasse parallel fortlaufend, und etwa 2 Meter unter Ellen's Füssen entsprang der Wand eine Quelle, in der noch etwas tieferen Spalte abwärts fliessend.

Beim Anblick des Wassers kehrte Ellen's Lebensmuth und ruhige Ueberlegung zurück. Obgleich sie nicht hinabgelangen konnte, sah sie sich doch vom Verschmachtungstode gerettet; ihre ganze Verzweiflung fand sie mit einem Male komisch. Den Gummibecher besass sie nicht mehr, sie hatte nicht einmal einen Bindfaden bei sich. Nun, so zerschnitt sie einfach ihre Jacke oder auch ihr Hemd in Streifen und ließ ihre Mütze oder auch die Rahmentasche an dem so hergestellten Stricke hinab, zog sie mit Wasser gefüllt wieder herauf, und dann musste sie eben die acht Meilen rückwärts zu Fuss gehen, drei Stunden kräftigen Marschirens, wenn sie auf der Karte nicht mit Sicherheit feststellen konnte, einer anderen Ansiedlung näher zu sein.

Im Nu hatte Ellen diesen Plan klar gefasst. Was war eigentlich mit ihr vorgegangen? Lächerlich. Wie kleinmüthig! Sie, welche die ganze Erde allein umradeln wollte, hatte gleich beim ersten bischen Durst die Flinte in's Korn geworfen! Weil sie den Pneumatic nicht dichtmachen konnte! In der nächsten Reparaturwerkstätte wollte sie es lernen, und dann immer mit Bindfaden versehen sein! Wieder um eine Erfahrung bereichert.

Ehe sie ihre Bekleidung in Stücke schnitt, wollte sie doch nachsehen, ob das Wasser nicht an einer anderen Stelle erreichbar sei. Sie blickte nach der Uhr. Eine Viertelstunde wollte sie die Spalte verfolgen. So lange musste sie schlimmstenfalls ihren Durst noch ertragen, sie musste!

Es steckte doch Energie in dem Mädchen. Ellen liess nicht einmal das Rad liegen, nahm die gewichtige Maschine über die Schulter, obgleich der Weg über die grossen Steine eine Klettertour war und der heisse Rahmen ihr förmlich in's Fleisch brannte. Sie wollte!

Die Viertelstunde war noch nicht vergangen, als die immer tiefer werdende Spalte in der Felswand verschwand, mit ihr das Wasser, ohne dass Ellen einen Abstieg gefunden hatte. So musste sie eben zurück, musste die Jacke zerschneiden.

Da — Pferdewiehern, Menschenstimmen!

Ellen hatte gar nicht des Weges geachtet. Dort hörte die Strasse plötzlich auf, dort sah es wenigstens ganz anders aus, die Felsberge, schienen zurück zu treten; sie hatte einen weiten Blick über ein hügeliges Terrain. Das war das Ende des Passes, die Grenzen des ganzen, sich jäh aus der Ebene erhebenden Gebirges, das war die offene Prairie, von der Starke gesprochen — und dort mussten Menschen sein, sie hatte Stimmen gehört.

Nur zehn Minuten brauchte sie zu marschiren, als sich vor ihr plötzlich die wellige Prairie ausbreitete, mit niederliegendem, grauem Gras bedeckt, wie Heu aussehend, nur dass dieses noch im Boden wurzelte.

»Halloh, was ist denn das für ein blutiger Fremder?«

Ellen, jetzt ihr Rad schiebend, sah in einiger Entfernung zwei Reiter, welche sofort auf sie zu galoppirten. Es waren abenteuerliche, wilde Gestalten, die Anzüge so zerfetzt wie die schwarzbraunen Gesichter, an den Füssen drei Zoll lange Sporen, ausser dem Revolver am Gürtel das Bowiemesser in der Scheide, um den Hüften den Lasso — Cowboys. Der eine ritt ein mageres Thier, der andere, ein alter Kerl mit einem pockennarbigen, wüsten Gesicht, ein sehr schönes Pferd, mit dem er in beständigem Kampfe lag. Es sprang, tanzte und bockte, versuchte den Reiter in die Beine zu beissen, aber jedes Mal traf dafür ein Fausthieb die Schnauze, und dies Alles hinderte den Cowboy nicht, seine Aufmerksamkeit der Erscheinung des fremden Menschen zu widmen und sich mit dem Kameraden zu unterhalten. Jeder Huf des unbändigen Thieres trug eine lederne Schlinge, welche Alle in der Hand des Reiters zusammenliefen.

»Das ist ja ein blutiges Mädel!«

»Habt Ihr nicht einen Trunk Wasser?« fragte Ellen.

»Einen blutigen Schuss weit ist blutiges Wasser genug,« lautete die Antwort, und dies genüge, um die Ausdrucksweise der Cowboys zu charakterisiren. Sie konnten kein Hauptwort sagen, ohne ein »blutig« vorzusetzen. Ellen fiel dies nicht besonders auf; auch dem englischen Arbeiter ist dies recht geläufig.

»Sie kommt aus dem Bärenpass. Wo will die hin?«

»Guck, Sam, das ist eine verdammte Mähmaschine. Ne, 's ist wahrhaftig, ein Mädel! Was will die hier mit der Mähmaschine?«

»Habt Ihr nicht Wasser?« wiederholte Ellen. »Ich verschmachte fast vor Durst.«

»Wasser? Ne, hier nicht. Wo kommt Ihr denn her? Seid Ihr allein?«

Zwei andere Cowboys kamen angesprengt. Das gleiche Staunen, dieselben Fragen. Woher? Wohin? Was ist das für ein curioses Ding da?

Ellen hatte einige Geschichten gelesen, welche unter Cowboys spielten. Ein rohes Gesindel, unwissend, aber doch mit schönen Zügen, romantisch, ritterlich, gastfreundlich. Man musste sich ihnen nur verständlich machen.

»Hört doch, Ihr guten Leute, ich habe furchtbaren Durst,« wiederholte Ellen zum dritten Male. Sie übersah ganz, was für Blicke gewechselt wurden.

»Durst? Wir haben auch welchen,« grinste der Alte. »Wer seid Ihr denn eigentlich? Seid Ihr wahrhaftig ein Mädel?«

»'S ist eine Dirne,« kam ihr ein Cowboy zuvor.

»Seid Ihr denn allein?« forschte der Alte weiter.

»Ich bin allein. Ich mache auf dem Bicycle eine Reise um die Erde. Wo ist der Brunnen oder die Quelle, von der Ihr vorhin sprachet?«

Wieder schnelle Blicke, ein verständnissvolles Grinsen. Drei Cowboys sprangen gleichzeitig aus den Sätteln, die Pferde frei stehen lassend. Der vierte, der Alte, brachte mit einem Ruck der Schlingen sein Thier zum Sturz, stand aber selbst auf den Beinen schlug einen Knoten und kümmerte sich nicht mehr um das sich wälzende Ross. Nun steckten sie auch noch die Köpfe zusammen und zischelten, die mit Blut gewürzten Worte wurden lauter.

»Eine feine Dirne — sie ist allein — sie ist aus der Stadt — hat sich verirrt ....«

Da plötzlich, ging Ellen eine fürchterliche Ahnung auf über das, was ihr bevorstehen konnte, vergessen war ihr Durst. Aber die Besinnung, behielt sie doch, vor allen Dingen wollte sie Gleichgiltigkeit zeigen.

»Also Ihr habt kein Wasser? Nun, bis nach Ludgate halte ich es auch noch aus. Nicht wahr, dort ist der Weg nach Ludgate?«

Sie deutete nach Süden, und sie sah den Alten auf sich zukommen, ein vertrauliches Lächeln in dem pockennarbigen Gesicht, und eben so sacht schlichen auch die Anderen herbei.

»Kommt nur mit, wir haben schon Wasser,« grinste er, »in Billy's Hütte — und Whisky ist auch dort. Was, Sam?«

»Plenty Whisky,« feixte Sam.

»Was wollt Ihr von mir?« stiess Ellen mit farblosen Lippen hervor, und ihre zitternde Hand suchte den Revolverkolben.

»Komm nur, wir thun Dir nichts.«

»Zurück, oder ....«

Lachend umdrängten sie die Cowboys. Eine starke Faust, der gezogene Revolver war ihr aus der Hand gerungen, ein Arm umschlang sie. Ellen sah sich verloren.

»Barmherzigkeit! Nehmt mir alles Geld ....«

»Ach was, ziere Dich nicht, Püppchen.«

»Starke, zu Hülfe, Starke!«

»Gieb ihr eins aufs Maul, wenn sie schreien will.«


»Hoch die Hände!!«

Die donnernde Stimme, welche diesen Befehl gab, klang in Ellen's Ohren wie Engelsmusik. Sie wurde freigelassen, acht Hände fuhren in die Höhe.

Sie hatte ihn nicht kommen sehen, als sie seinen Namen gerufen.

Dort lief sein Rad noch, und da stand er, in jeder Hand einen Revolver, auf die Cowboys angeschlagen, und neben ihm kauerte, zum Sprunge geduckt, sein Hund. Er musste in voller Fahrt abgesprungen sein, seine Füsse gruben sich förmlich im Boden ein.

»Miss Howard, nehmen Sie ihnen die Waffen ab — schnell!«

Aber Ellen, obgleich sie die Situation erkannte, war nicht fähig dazu, sie lag auf den Knieen. Es wäre auch zu spät gewesen. Eine Hand zuckte herab, eine andere, alle — — zwei Feuerstrahle mit nur einem Knall; zwei Cowboys stürzten mit durchbohrter Stirn nieder, schon hatte Starke den dritten gefasst, schmetterte ihn zu Boden; ein gelber Streifen sauste durch die Luft, auf der Brust des vierten lag der Hund; ein gellendes Geheul, Hassans furchtbares Gebiss hatte die nach der Waffe greifende Hand zermalmt, und da erhob sich Starke schon wieder; er hatte seinem Manne Füsse und Hände mit dem Lasso gebunden, nahm dem vierten den Revolver ab und fesselte ihm die Füsse.

Alles dies hatte sich in wenigen Augenblicken abgespielt, und Ellen glaubte, eine Vision zu haben. Da lagen zwei Menschen, jeder ein hässliches Loch mitten in der Stirn, das Blut sickerte heraus, die Augen starr, gebrochen, als wenn sie — — nein, es war nicht möglich! Das war wirklich nur eine Hallucination!

»So, nun wollen wir nach Ihrem Maschinchen sehen. Mir scheint, der Hinterreifen ist undicht. Ich bemerkte es gleich, als ich angefahren kam. Entschuldigen Sie nur, dass ich so lange ausblieb. Auch der Bolzen vom anderen Pedal war schon angebrochen, es ging nicht Alles so glatt; auf der Drehbank war auch gerade etwas aufgespannt, da wurden zwei Stunden aus der einen. Richtig, an der abzweigenden Schlucht sagte mir Hassan, dass Sie geradeaus gefahren wären. Na, ich bin ja gerade noch zur rechten Zeit gekommen.«

Er sagte es nicht anders, als wenn er sonst etwas erzählte. Nicht die geringste Bewegung, Alles Ruhe, Gleichgültigkeit.

Ellen aber kam es jetzt zum Bewusstsein, dass sie nicht nur träumte.

»Zum Mörder geworden! Meinetwegen,« brachte Sie ächzend hervor.

Starke holte sein Rad, öffnete die Werkzeugtasche.

»Mörder? Ich? Nein, das bin ich nicht. Hier heisst es einfach: wer ist schneller? ich oder du — — — oho, Sie haben ja ein ganzes Gummilager draufgeklebt, das muss wieder herunter. Nein, Miss Howard, machen Sie sich keine Gewissensbisse, die überlassen Sie mir, und ich habe keine. Habe ich unrecht Blut vergossen, so komme es auf mein Haupt. Hier stehen wir unter den Gesetzen der Prairie. Die Männer wussten,was das Wort »Hände hoch!« bedeutet. Sie haben es riskirt, nach der Waffe zu greifen, und sie haben sich dabei verspekulirt. Hätte ich sie nicht tödtlich getroffen, ich würde mich in ihren Augen unsterblich blamirt haben. Die Ueberlebenden erstatten keine Anzeige, wissen gar nichts von so etwas; für sie habe ich auch nur recht und billig gehandelt, für sie bin ich ein tüchtiger Kerl, höchstens dass sie den Tod ihrer Kameraden zu rächen suchen. Da geht man ihnen einfach aus dem Wege. Also weg mit allen Kopfschmerzen. — So, der wäre geflickt, dieses Pflaster hält ewig.«

Aufmerksam blickte Starke die noch immer Knieende an. Er mochte aus ihren glänzenden Augen und trockenen Lippen erkennen, was ihr vor allen Dingen fehlte, er zog die grosse Lederflasche aus der Tasche und schraubte den Stöpsel ab.

»Haben Sie Durst? Trinken Sie. Es ist Thee mit Citronensäure.«

Die Natur siegte über das Entsetzen. Ellen erhob sich, mit zitternden Händen griff sie nach der Flasche, setzte sie an und trank — und trank — und glaubte, noch nie solch ein Entzücken empfunden zu haben. Neues Leben durchrieselte ihren Körper.

Starke hatte die Instrumente wieder geborgen. Jetzt durchschnitt er die Riemen des gefesselten Pferdes, sprang zurück, um von den Hufen des aufschnellenden Tieres nicht getroffen zu werden, es jagte davon, während die anderen drei ruhig dastanden. Er hetzte sie mit dem Lasso fort.

Die Lederflasche fasste einen ganzen Liter, sie war voll gewesen. Mit einem Zuge konnte Ellen sie nicht leeren, tief aufathmend setzte sie ab, wollte sie zurückgeben.

»Trinken Sie, trinken Sie«, ermunterte Starke, »es wird bald mehr Wasser geben, als wir wünschen. Wir müssen uns beeilen, eine möglichst grosse Strecke zwischen uns und diese Cowboys zu bringen. Tödten darf ich die Wehrlosen natürlich nicht, das ginge gegen mein Gewissen, gegen das Gesetz der Prairie. Die Beiden werden sich schliesslich doch zu befreien wissen, werden ihre Pferde oder andere wiedererlangen, vielleicht auch von Kameraden Hülfe bekommen, und dann werden sie uns verfolgen, und wenn der Regen den Boden aufweicht, sind uns die Berittenen überlegen. Machen Sie sich zur Abfahrt bereit.«

Ellen hob ihr Rad auf, und als er zurückkam, reichte sie ihm die geleerte Flasche. Eines Wortes war sie noch immer nicht mächtig, nicht einmal eines Dankes. Sie wurde noch immer von dem schrecklichen Gedanken beherrscht, was ihr bevorgestanden hätte, wäre Starke nicht gekommen.

Sie hatte die drohenden Anzeichen in der Atmosphäre noch gar nicht beachtet: Ein starker Wind blies aus Süden, wurde aber beständig durch noch stärkere Stösse aus Westen unterbrochen; zwei Windströmungen rangen um die Herrschaft, und im Westen stieg eine schwarze Wand mit schwefelgelbem Saume auf.

»Sie müssen Vorspann nehmen, das geht doch nicht gegen die Bedingungen,« sagte Starke, als er die Lederjacke aufknöpfte, unter welcher auch er einen Lasso um die Hüften trug. Er wickelte ihn ausserhalb der Jacke um den Leib, nahm Maass, dass die Enden gleich lang wurden, und befestigte diese an den Lenkstangen ihres Rades, sie zum Aufsteigen auffordernd.

Noch einen Blick in die starren Augen der Todten, auf die Gefesselten, welche ebenso unbeweglich dalagen, und die Fahrt auf dem zum Tandem zusammengekoppelten Räderpaar begann. Gleich im Anfange merkte Ellen, dass sie allein keinen Schritt vorwärts, gar nicht in den Sattel gekommen wäre. Der Boden war uneben, voll Buckel und Löcher; das sich um die Speichen wickelnde Gras hinderte ungemein; ein Windstoss von vorn bremste die Fahrt ganz ab, der von der Seite drohte sie umzublasen.

Aber dort vorn der Mann, der mit dem Gesicht auf der Lenkstange lag, zog wie eine Dampfmaschine. Er mochte sich nicht zum Flieger eignen, dazu war er zu gross, zu schwer, sein Gang so langsam und wuchtig wie sein ganzes Wesen, aber für seine Durchtrittskraft schien es kein Hinderniss zu geben.

So verging eine Stunde, und der lederne Lasso blieb straff wie Stahl gespannt. Ellen that ihr Möglichstes, ihm das Ziehen zu erleichtern. Der Westwind siegte, er wurde zum Sturm, es ging ihm direct entgegen, Ellen konnte nicht mehr athmen, noch viel weniger treten, und dennoch machten sie wohl noch 4 Meilen in der Stunde.

Höher und höher stieg die schwarze Wand, sie überzog den ganzen Himmel, es wurde Nacht.

Plötzlich trat eine völlige Windstille ein. Dieser Wechsel war zu unheimlich, als dass sich Ellen darüber hätte freuen können, und da ging auch schon ein Heulen und Pfeifen durch die Luft, ein furchtbarer Blitz erhellte die Nacht mit gleichzeitigem Donnerschlag.

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