Czytaj książkę: «Die Entdeckung des Nordpols»
Über den Autor
Robert E. Peary (1856 bis 1920) entstammte einer alten Holzhändlerfamilie und begab sich schon früh auf die Suche nach dem Unbekannten und opferte jede freie Minute für seine Expeditionstrips in unerforschte Gebiete. Ein Forschertraum erfüllte sich bereits zu Jugendzeiten: Er entdeckte Eagle Island in der Casco Bay an der Küste von Maine. Nachdem er 1877 vom College abging, erfüllte er sich seinen Wunsch und kaufte Eagle Island von seinen Ersparnissen, um sich anschließend ganz der Erforschung Grönlands und des Pols zu widmen. Im April des Jahres 1909 erreichte Peary nach einer gefährlichen Expedition durchs ewige Eis endlich sein großes Ziel: „The Pole at last!!!” notierte Robert E. Peary am Morgen des 6. April in sein Tagebuch. Wie kein anderer war Peary geradezu besessen, den Nordpol als Erster zu erreichen. Dank Unterstützung konnte er sich seinen langgehegten Traum erfüllen und die amerikanische Flagge am nördlichsten Punkt der Erde aufstellen. Die Welt feierte ihn als den ersten Menschen am Nordpol.
Zum Buch
100. Jahrestag der Entdeckung des Nordpols
Fürchterliche Schneestürme, zu Bergen getürmtes Eis, arktische Kälte mit Temperaturen bis zu-50 Grad, plötzlich aufreißende Wasserarme, hastig zusammengebaute Iglus als Unterkünfte und Schutz gegen die Naturgewalten – all dies bildet den äußeren Rahmen zur sechsten Arktisreise des amerikanischen Marine-Ingenieurs Robert Edwin Peary 1908/1909. Er war bereits fünfmal im hohen Norden gewesen, hatte Grönland erforscht und war schon einmal bei dem Versuch gescheitert, auf unsicherem Eis zum Nordpol zu gelangen. Dieses Mal sollte er sein Lebensziel erreichen: Auf einer waghalsigen Fahrt durch die Passage zwischen Grönland und der 850 km langen Ellesmere-Insel kämpft sich Peary’s kleines Schiff „Roosevelt“ nach Norden, stets auf der Fluent vor treibenden Eisbergen, die es zu zerschlagen drohen. Ende Februar 1909 bricht er zum Marsch durch die mörderische Eiswiiste auf, und am 6. April stehen er und seine Begleiter als erste Menschen am nordlichsten Punkt der Erde.
ALTE ABENTEUERLICHE REISEBERICHTE
Robert Edwin Peary
DIE ENTDECKUNG DES NORDPOLS
1908 – 1909
Herausgegeben von Detlef Brennecke
Mit 31 Abbildungen
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eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0074-7
INHALT
Vorwort des Herausgebers
Homo Ludens
Traumwandrer
»Ich habe den Wunsch, mir einen Namen zu machen«
»Inveniam viam aut faciam« – oder: Wie man sich in Erfolgszwang bringt
Das Basta eines Süchtigen
Das Werk, »für das mich Gott der Allmächtige auserwählt hat«
Was ist Die Eroberung des Nordpols?
Robert E. Peary:Die Entdeckung des Nordpols
Der Plan
Vorbereitungen
Die Abfahrt
Zum Kap York
Willkommen bei den Eskimos
Eine arktische Oase
Seltsame Bräuche eines seltsamen Volkes
Auf Rekrutierung
Eine Walross-Jagd
Wir klopfen an das Tor des Pols
Wir haben das Eis dicht neben uns
Die Eisschlacht beginnt
Endlich Kap Sheridan
Im Winterquartier
Die Herbstarbeit
Die lange Nacht
Die »Roosevelt« in höchster Gefahr
Weihnachten auf der »Roosevelt«
Wie eine Schlittenreise über das arktische Eis aussieht
Marschtabellen und Ausrüstung
Aufbruch zum Pol
Das erste offene Wasser
Die Eskimos verlieren den Mut
Borups fernster Nordpunkt
Marvins Abschied
Wir brechen alle Rekorde
Bartlett erreicht 87° 47’
Der letzte Gewaltmarsch beginnt
Nur einen Tag vom Pol entfernt
Am Pol
Abschied vom Pol
Zurück zum Land
Die letzten Tage am Kap Sheridan
Anhang
Weiterführende Literatur
Empfehlungen für Leser, die mehr über Robert Edwin Peary wissen wollen
Editorische Notiz
Lebensdaten
VORWORT DES HERAUSGEBERS
»Ich habe schließlich doch gewonnen!«
Robert Edwin Peary – als Erster in Utopia?
HOMO LUDENS
Es gibt viele Gründe für Entdeckungsreisen ...
Um sich die Gewalt über sein Reich am Fuße des Olymps zu sichern, ging der Fürstensohn Iason einst auf die Mutprobe ein, das Goldene Vlies heimzuholen. Er ließ daher ein Schiff bauen, »Argo, die allbesungne«, und segelte mit erlauchter Besatzung – darunter Heraides, Orpheus und Theseus – zu den schaurigen Stätten der Barbaren: nach Lemnos, wo die Frauen in radikaler Emanzipation ihre Männer totgeschlagen hatten; nach Phrygien, wo sechsarmige Riesen tobten; und schließlich nach Kolchis, vor dessen Hafen zwei felsige Inseln bisher jeden Ankömmling zwischen sich zerschmettert hatten.
Was im antiken Mythos dem Erhalt von Macht diente, kehrte im wirklichen Leben – nur geringfügig verändert – als deren Erweiterung wieder: Das Ausfindig-Machen geriet in den Sog des Eroberns. Und so begab sich Alexander der Große von 327 bis 325 vor der Zeitenwende auf eine Kampagne nach Indien. Er wollte die Grenzen der griechischen Einflusssphäre um ein überschaubares Maß von Parasangen an den Rand der Oikumene vorschieben. Hatte nicht bereits sein Lehrer Aristoteles in den Meteorologika (um 341 v. Chr.) erklärt, der Okeanos sei vom Hindukusch aus mit bloßem Auge erkennbar? Dass dem nicht so ist, gehörte zu den ersten erdkundlichen Befunden jenes Feldzugs; zu den letzten zählte die Überzeugung, tatsächlich ans Ende der bewohnten Welt gelangt zu sein: Als Alexander im Delta des Indus in See stach, um zu prüfen, »ob« – wie es im Alexanderzug (2. Jh. n. Chr.) des Flavius Arrianus heißt – »irgendein Land in der Nähe auftauchte«, sah er lediglich die Fläche des Wassers und das Gewölbe des Himmels.
Während Belehrung über die Fremde bei den Operationen des Makedonenherrschers nur eine nebensächliche Kriegsbeute war, hatte sie nach Auffassung von Mohammed zur Wanderschaft ins Unbekannte der eigentliche Antrieb zu sein. »Suchet Wissen und Wissenschaft«, lehrte der Prophet, »und wenn es in China wäre.« Diese Maxime erzog die Karawanenführer – unter ihnen Ibn Chordadhbeh, al-Biru-ni, al-Idrisi und Ibn Battuta – zu Augenzeugen par excellence. Fridtjof Nansen, einer der gelehrtesten Abenteurer überhaupt, rühmte in seinem Handbuch über die Erforschung des Nordens, Nebelheim (1911), neidlos: »Die arabischen Geografen haben besonders Sinn für das Sammeln konkreter Aufklärungen über Länder und Verhältnisse und über die Sitten und Gebräuche der Völker, und sie können darin als Muster gelten.«
Ein Pionier ganz anderer Art war Christoph Kolumbus. Ihm ging es nicht um Wissen-, sondern um Wirtschaftlichkeit. Da er es wie Alexander der Große für wahr hielt, dass Indien den Abschluss des eurasischen Kontinents gen Morgen bildete, und da er es – wie sogar der französische Bischof Pierre d’Ailly in seiner Ymago Mundi (1410) – als gegeben annahm, dass unser Planet kugelförmig sei, folgerte der Genueser, dass zwischen Europa und Indien nur mehr der Atlantik liege – wobei zu »las Indias« seit Marco Polos Il Milione (1298/99) auch »Cathay« gezählt wurde, China, und das diesem vorgelagerte »Zipangu«, Japan. So verfiel der Admiral darauf, »den Osten vom Westen her zu suchen«, sprich: eine Route zu eröffnen, über die der Handel mit jenen pittoresken Provenienzen von Gewürzen und Geweben bequemer zu treiben wäre als über die Seidenstraße.
Addiert man zum Aspekt der Gewinnsucht die These diverser Biografen des Kolumbus, er habe ursprünglich den Großkhan christianisieren wollen, im Grunde einen späten Kreuzzug zu den Wilden geplant, gar hinterm Horizont ein neues Jerusalem gewittert, dann hat man summa summarum eine gute Hand voll einleuchtender Anlässe zum Aufbruch »in terram incognitam«: mancherlei Heilsbringerei, überdies Besitzgier, Wissensdurst und Machthunger sowie auch einen Befähigungsnachweis.
Freilich, welches dieser Motive wurde an Absonderlichkeit überboten von jenem, das in nichts anderem bestand als im Gang durchs bisher nie Betretene ... im Vorstoß dorthin, wo kein Ort ist ... in der Erstürmung des Nordpols?
Dieser Reckentat rühmte sich ein Mann, der in Utopia biwakiert haben wollte. Damit wäre er auf einer Position gewesen, die es nur als Abstraktum gibt: als mathematische Hypothese. Denn der obere Schnittpunkt aller Meridiane des Globus befindet sich auf einer Kappe aus schwimmendem Eis, das von einem Tiefdruckwirbel über der Arktis unaufhörlich in Bewegung gehalten wird und demzufolge jedwedes Da-Sein relativiert.
Das Rennen mit einem oder mehreren Konkurrenten zu einem solchen Ziel war das Nutzlose schlechthin, ein Egotrip und Zeitvertreib – einzig aufs Siegen erpicht. Der holländische Kulturhistoriker Johan Huizinga schrieb diesbezüglich in seiner Monografie Homo Ludens (1938): »Die Hauptsache ist, ›gewonnen zu haben‹.« Und dann fügte er zur Bekräftigung des Gesagten hinzu: »Das reinste Beispiel für einen Triumph, der sich in nichts Sichtbares oder Genießbares umsetzt und nur im Gewinnen selbst besteht, bietet das Schachspiel.«
Wen wundert’s deshalb, dass der Bericht über Die Eroberung des Nordpols mit den Sätzen anfängt: »Man könnte wohl die Erreichung des Nordpols mit dem Gewinnen eines Schachspiels vergleichen, in dem alle die verschiedenen Züge, welche zu dem günstigen Schluss führten, lange, ehe das gegenwärtige Spiel begann, im Voraus überlegt worden waren. Es war für mich ein altes Spiel, ein Spiel, das ich dreiundzwanzig Jahre mit wechselndem Glück gespielt hatte.« Der Name des ausdauernden Teilnehmers: Robert Edwin Peary.
TRAUMWANDRER*
Die Partie, von der die Rede war, hatte de facto im Altertum begonnen und wurde seit dieser Zeit zwischen Menschen und Elementen um ein Inferno ausgetragen. Viele haben es beschrieben.
»Gleich über uns lagert der arktische Pol Und selten besucht ihn der strahlmilde Sol, Zu grimmig ist dieser Erd-Flecken. Saturnus, angeblich, steht dort auf der Wacht Und hütet den Schatz, den in finsterer Nacht Die Sterblichen nimmer entdecken. Du wirst es kaum glauben, und doch ist es wahr: Man findet im Nord-Land nicht einmal im Jahr Den Tag, wie er südwärts normal ist! Im Winter, da gibt es hier nirgendwo Licht, Im Sommer, da gibt es hier Dunkelheit nicht, Sodass jeder Tag eine Qual ist.«
Was der Norweger Petter Dass am Ende des 17. Jahrhunderts in seinem Gedichtzyklus Die Trompete des Nordlandes über jene Zone zusammengereimt (und teilweise dem griechischen Philosophen und Historiker Plutarch entnommen) hatte, stellte im Wesentlichen das dar, was man seit der explorativen Epoche Alexanders des Großen hierüber wusste.
Nachdem sich Pytheas, der Grieche aus Massalia, um 330 vor Christus an der Küste Norwegens bis zum Polarkreis hinaufgetastet hatte, lenkten die Europäer unermüdlich ihre Schiffe zu den hohen Breiten des Erdballs und fabulierten alsdann vom Regime des Saturn über ein Gefilde, in dem jede Erscheinung gemäß dem Weihemonat jenes Gottes – Dezember – frostig, feucht und feindselig ist.
Zu diesem grausigen Dunstkreis des Orcus zog es Wagehälse mit einer solchen anhaltenden Heftigkeit, dass sich im 13. Jahrhundert nach Christus der Verfasser des altnorwegischen Königsspiegels aufgerufen sah, den Wikingern diesen Drang unter Hinweis auf eine Reihe von Triebkräften der Erdensöhne zu erklären (von Bedürfnissen nebenbei, die selbstverständlich denen ähneln, mit deren Aufzählung dereinst das Vorwort des Herausgebers zu einem Text von Robert Edwin Peary einsetzen sollte ...): »Das Erste ist die Lust an Kampf und Ruhm, denn das ist menschliche Art, dorthin sich zu begeben, wo große Gefahr zu erwarten ist, und sich dadurch berühmt zu machen. Das Zweite ist die Wissbegierde, denn das liegt gleichfalls in der Natur des Menschen, die Dinge zu erkunden und zu untersuchen, von denen ihm erzählt wird, und zu erfahren, ob sie so sind, wie ihm gesagt wurde, oder nicht. Das Dritte ist die Aussicht des Gewinns, denn überall suchen die Menschen nach Gut, wenn sie hören, dass sich irgendwo Aussicht auf Gewinn darbietet, mag auch anderseits große Gefahr damit verbunden sein.«
Dieses Syndrom von Faktoren wurde achterlastig ... bis Profitjägerei das A und O bei Expeditionen ins Namenlose war und ihre Leiter dem Nordpol in einer verschlungenen Folge von Begebenheiten immer näher rückten. Im selben Augenblick nämlich, in dem der spanische Conquistador Vasco Nunez de Balboa am 25. September 1513 im Westen der Neuen Welt noch einen Ozean gesichtet hatte, war klar, dass sich der Strand, auf den Kolumbus inzwischen seinen Fuß gesetzt haben wollte, jenseits der Südsee erstreckte. Darum rüsteten die Piloten ihre Karavellen, um nach der Nordwestpassage zu fahnden ... mochten andere Skipper ihre Schaluppen wappnen, um nach der Nordostpassage zu forschen (wenn sie nicht gar wie Fernao de Magalhaes im Jahre 1520 um die Südspitze Amerikas segelten)! Während die einen ergo das Ruder nach Steuerbord legten, rissen es die anderen nach Backbord – jeder aus Raffgier darauf bedacht, entweder Sibirien oder die Landmasse des »Mundus Novus« gen Indien zu umfahren.
»So erwachten sie zum Leben«, vermerkte Fridtjof Nansen, »die beiden großen Illusionen, welche jahrhundertelang den Sinn der Entdecker im Zauberbanne hielten. Wert als Handelsstraßen konnten sie nie erhalten, diese schwierigen Durchfahrten durch das Eis. Mehr als Traumbilder wurden sie nicht, aber Traumbilder von größerem Wert als wirkliche Kenntnis: Sie lockten die Entdecker immer weiter in die unbekannte Eiswelt hinein.«
Auf diese Weise wurden sie Vorkämpfer, deren Andenken in der geografischen Nomenklatur bewahrt ist wie zum Beispiel jenes eine in »Barentsburg«, »Barentsinsel«, »Barentssee«.
Willem Barents, seines Zeichens Cheflotse der Vereinigten Niederlande, war angewiesen worden, »die Meere des Nordens zu befahren«, und hatte tapfer schon zweimal, 1594 und 1595, den Circulus Arcticus überschritten, als er sich nunmehr 1596 in Amsterdam zum dritten Mal einschiffte.
Unter dem eher formalen Kommando Jacob van Heemskercks schaffte er zunächst eine Höhe von 79° 49’, ließ nachher jedoch ostwärts schwenken und erspähte daraufhin die Bäreninsel und den Südzipfel von Spitzbergen: 80° 11’! Zuletzt aber, als er im August bei den Oranje-Inseln lavierte, wurde seine Nussschale von treibenden Schollen gestoppt, auf der Stelle umschlossen und wie von Geisterhand zermalmt. Da war er mit seinen Leuten gezwungen, bis zum Winter »ein Haus zu bauen, um uns vor der Kälte und den wilden Tieren zu schützen, uns darin so gut wie möglich einzurichten und uns unter Gottes Schutz zu stellen«.
Diese Frömmigkeit wurde belohnt. Zwar litten die sechzehn unter dem Frost und der bleiernen Nacht, aber sie verstanden es einfallsreich, sich bei Gesundheit zu halten. Sie gingen auf die Robbenpirsch, richteten ein Schwitzbad ein, feierten allerlei Feste und verloren nie die Zuversicht, sodass sie, als die Sonne das Meer erneut verflüssigte, hoffnungsfroh am 14. Juni 1597 mit zwei Jollen unterhalb des »Behouden Huys« ablegten: der Heimat entgegen.
Barents, der sich physisch wie psychisch längst erschöpft hatte, starb am 20. Juni. Seine Mannschaft indessen traf bei der Halbinsel Kola wie durch ein Wunder auf den Segler, der ihre Ausfahrt vor einem Jahr begleitet hatte und jetzt die Geretteten nach Amsterdam zurückbrachte.
Sie hatten etliches bewiesen, vor allem aber eines: dass Überleben im White Out bei planvollem Verhalten möglich ist – wenn sich Fortuna einschaltet...
Dieses Quäntchen Optimismus ermunterte von nun an viele zur Fahndung nach einem nördlichen Schleichweg: 1615 den Engländer William Baffin, 1619 den Dänen Jens Munk und 1773 abermals einen Engländer: Constantine John Phipps. Zum Angriff auf Saturn, den König in dem Turnier, ermutigte es einstweilen nur Henry Hudson, auch er ein Engländer.
Ihm hatte mit der Einfalt der Unbedarften die britische Muscovy Company 1607 auferlegt, »den Pol zu entdecken«, worauf Henry Hudson gehorsamst den Anker lichten ließ und nach Norden segelte, bis er sich auf 80° 23’ am Packeiswall abgewiesen fand. Da drehte er bei und meldete zu Hause die Wahrnehmung einer vulkanischen Insel (die später »Jan Mayen« getauft ward). »You have done well by water ...«
Und weil das alles war, blieb Saturn ohne Niederlage.
Walfänger durchpflügten bis auf weiteres die Gewässer um seine Bastion. Und zwei Dänen pflanzten quer zur allgemeinen Stoßrichtung Wegmarken auf: Der eine, Hans Egede, gründete seit 1724 Siedlungen auf Grönland und ließ in Kopenhagen eine Perlustration (1742) der Gebiete und Bräuche der Eskimos drucken; der andere, Vitus Jonassen Bering, setzte mit einer Abteilung der Großen Nordischen Expedition von Asien zu den Ufern Amerikas über und näherte sich am 18. Juli 1741 Alaska so dicht, »dass man die schönen hart an der See gelegenen Waldungen wie nicht minder die großen Ebenen unter dem Gebirge landeinwärts mit größtem Vergnügen betrachten konnte«.
Niemand vermochte Saturn zu schlagen.
Auch dann nicht, als Daines Barrington 1773 die Royal Society in London überredet hatte, einen Verband in das Ringen um den Nordpol zu entsenden. Denn die »Racehorse« und die »Carcasse« mussten vor demselben Hindernis kapitulieren, vor dem Henry Hudson zurückgewichen war.
VERSCHMÄHTE LIEBHABER
Während demnach rund um den Saum der Arktis navigiert und rekognosziert und trianguliert und kartografiert wurde, verharrte sein Zentrum fernab und unerreichbar – für Poeten wie für Philosophen ein Reservat, mit dessen Erschließung die Selbstzerstörung des Menschen einhergehen würde.
So besang der schwedische Lyriker Esaias Tegner in seiner Ballade Die Polarreise (1817) den Prototyp des Verblendeten, der sich soeben auf den Nordpol zubewegt:
»Endlich kommt der Erde Wipfel. Siegend auf der Achse Gipfel Steht er. Horche, welch ein Brausen Aus der Tiefe! Welch ein Sausen Macht die Masse, die sich schwer Schwingt um ihre Achs’ umher!
Nun erschrickt er, und verlegen Sinnt er nach der Rückkehr Wegen. Zaubermacht verwirrt den Festen: Wo ist Osten? Wo ist Westen? Wo ist Süden? Wo der Nord? Keine Spur, kein Ausweg dort!
Aus der Tiefe tönt ein Rufen: ›Thor, auf deiner Weisheit Stufen! Himmelsstrich nicht, wie die andern, Hat der Punkt, drum Welten wandern. Auf schließt ihn der Tod allein. Kamst du dorthin, bleibst du sein.‹
Stündlich wird der Schatten länger, Stündlich wird der Cirkel enger, Den die Sonn’ am Himmel malet, Bis kein Lichtatom mehr strahlet Doch das Ich des Stolzen friert, Bis die Welt sich neu gebiert.«
Was als Warnung davor gedacht war, die letzten Geheimnisse der Schöpfung zu entweihen – und was sich am Anfang des 21. Jahrhunderts durchaus als ökologisches Menetekel deuten lässt –, korrespondierte nun für kurze Frist mit dem Zögern von Abenteurern, den Nordpol direkt zu attackieren.
Stattdessen befestigten sie den Belagerungsgürtel um das ebenso abstoßende wie anziehende Nichts: Der Russe Ferdinand Petrowitsch Baron von Wrangel sondierte 1821 sechsundvierzig Tagesmärsche oberhalb der Bäreninsel; die Österreicher Julius Ritter von Payer und Karl Weyprecht entdeckten 1873 Franz-Joseph-Land; und der Amerikaner George Washington De Long sah 1881 als Erster die Neusibirischen Inseln.
Immerhin wurde, während die »Parts Unknown« peu ä peu von den Atlanten verschwanden, – vorrangig von Engländern – das Match fortgesetzt, wer »Farthest North« erklimmt: 1827 kam William Edward Parry von Spitzbergen aus auf 82° 45’; 1875 – ein halbes Jahrhundert später – gelangte George Strong Nares vom Smith-Sund her auf 82° 48’; und 1876 erreichte Albert Hastings Markham via Grönland 83° 20’, was zwei Gefährten des Amerikaners Adolphus Washington Greely auf einer parallelen Route 1882 um ganze sieben Kilometer überboten.
Sie alle aber deklassierte das Experiment, das Fridtjof Nansen am 14. März 1895 begann. Er hatte sich nordwestlich der Neusibirischen Inseln mit der »Fram« vom Eis Huckepack nehmen lassen und war bei dessen Drift auf einer Position von 102° östlicher Länge und 84° nördlicher Breite gemeinsam mit seinem meteorologischen Assistenten Fredrik Hjalmar Johansen aus dem Unternehmen ausgeschert und zum Nordpol aufgebrochen. Doch nach wenigen Kilometern hatten sie ein Geröllfeld vor sich, in dem es kein Vorwärtskommen mehr gab. »Es ist ein wahres Chaos von Eisblöcken, das sich bis an den Horizont ausdehnt. Es hat keinen Sinn, noch weiter vorzudringen, wir opfern die kostbare Zeit und erreichen nichts.«
Geleitet von der Klugheit des Pragmatikers – und nicht von der Hybris des Tegner’schen Wallers im Schnee –, kehrte Nansen bei 86° 04’ dem »Großen Nagel« den Rücken und fand nach einem tolldreisten Marsch, der unter dem guten Stern der Barents-Crew stand, 1896 wohlbehalten nach Norwegen zurück.
Dort war er noch nicht eingetroffen, da tüftelte in Stockholm Salomon August Andree an einem Ballon, der seinen Erfinder samt zwei Kameraden von Spitzbergen aus über den Nordpol tragen sollte. Andree hatte eine Technik ersonnen, seine »Luftkugel«, die normalerweise in derselben Strömung und Geschwindigkeit wie der Wind treiben würde und somit in ihrem Kurs nicht zu beeinflussen war, steuerbar zu machen: Er beschwerte sie mit mehreren Trossen, die – solange man in mäßiger Höhe dahinglitt – über die Erdoberfläche schleiften. Hierdurch wurde das Gerät gebremst, die Brise war wieder spürbar, und der »Adler« konnte mithilfe von aufgespannten Tüchern manövriert werden wie ein Segelboot.
Weil Andree jedoch die Glanzleistung des Norwegers Nansen als nationale Herausforderung ansah, brachte er sich selbst in einen Handlungszwang, der jedes rationale Agieren lähmte. Als er am 11. Juli 1897 von Spitzbergen aufstieg, entwanden sich die unteren zwei Drittel der Seile ihrer Verschraubung und »aus dem halb gefesselten Ballon war«, wie ein Chronist konstatierte, »ein Freiballon geworden«. Anstatt nach diesem Malheur das Projekt unverzüglich abzubrechen, überließ sich Andree in der Thermik der Ehrenmänner-Regel »aber gesagt ist gesagt« drei Tage lang der Willkür des Wetters ... Dann, bei 82° 56’, sank das Gefährt unter dem Ballast des Reifs auf seiner Außenhaut und die Hasardeure schlugen am Boden jener Tatsachen auf, gegen die sie sich bald ebenso vergeblich stemmten wie alle ihre Vorgänger.
»Ich glaube«, ließ der schwedische Autor Per Olof Sundman in seinem Dokumentarroman Ingenieur Andrees Luftfahrt (1967) einen der todgeweihten Schwärmer zwar seufzen, »der Nordpol ist eine schlechte Geliebte«. Doch sind dessen ungeachtet (laut Goethe) nicht »Lust und Liebe die Fittiche zu großen Taten«?
In cerca d’amore, das heißt: aus Sehnsucht nach Aneignung und Hingabe drang Umberto Cagni, ein Mitglied der »Stella-Polaris«-Mission des Herzogs der Abruzzen, am 25. April 1900 von Franz-Joseph-Land her bis auf 86° 34’ vor. Das war noch einmal Rekord! Dann wurde das Endspiel angegangen.
Und während derweil ein neues, dynamisches Säkulum nahte, wartete alle Welt darauf, dass Saturn matt gesetzt wurde.
Am Zug war Robert Edwin Peary.