Czytaj książkę: «Perlen vor die Schweine»

Czcionka:

Rich Schwab

Perlen vor die Schweine

– Der dritte Büb Klütsch-Roman –

FUEGO

– Über dieses Buch –

Eher nebenbei fällt im Prolog des zweiten Büb-Klütsch-Romans Eine Alte Dame Ging Hering dieser Satz über Kathrinchen, eine alte Freundin Bübs:

»Wir konnten alle drei noch nicht wissen, dass dies ihr letzter Sommer sein würde …«

»Ja, wie?«, beschwerten sich daraufhin etliche Leser, die Kathrinchen schon in Band Eins, Nie wieder Apfelkorn, ins Herz geschlossen hatten. »Was ist denn mit der passiert?!?«

Aufklärung tat not.

Und so kam es, dass Autor Rich Schwab seinen schönen Editionsplan über den Haufen werfen musste (elf Büb-Klütsch-Bände sollte es geben, in denen Bübs Abenteuer in Fünf-Jahres-Abständen in die Jetztzeit geschrieben werden sollten) – Nie wieder Apfelkorn spielte 1976, Eine Alte Dame Ging Hering spielte 1980, und Paaf!, Band Drei, sollte 1986 spielen. Wird er dann auch – aber um das Geheimnis um Kathrinchens Tod zu lüften, gibt es nun, nur wegen dieses einen unbedachten Satzes, stattdessen als Band Drei Perlen vor die Schweine, dessen Handlung zum Jahreswechsel 1980/81 spielen muss.

Büb glaubt nicht, wie Polizei und Staatsanwaltschaft, an einen Drogenunfall oder gar Selbstmord Kathrinchens – er ist sicher, dass sie ermordet wurde. Nur, warum und von wem? Zwischen Studioterminen und Auftritten macht Rockschlagzeuger Büb sich auf, um Antworten zu finden. Die Suche führt ihn durch etliche Kneipen und die Halb- bis Unterwelt im Kölner Friesenviertel und durch Junkie-Absteigen bis an die Küste Hollands – und die Lösung des Falls überrascht nicht nur ihn … und macht nicht mal ihn selbst glücklich …

»… kommt rauh und heiser in ruppiger Gangart daher wie ein Song von Van Morrison, nicht zimperlich, und doch schwingt Sehnsucht mit, Liebe, Romantik«, urteilte Elke Heidenreich nach der Lektüre von Nie wieder Apfelkorn, dem ersten Büb Klütsch-Roman, während Deutschlandfunk-Literaturredakteur Hajo Steinert den zweiten, Eine Alte Dame Ging Hering, »schärfer als die Songs von Tom Waits« fand (s. Pressestimmen).

Nicht die schlechteste Gesellschaft, findet der Autor. Und ist gespannt, mit wessen Songs man Perlen vor die Schweine, den dritten Band der Büb-Klütsch-Reihe, vergleichen wird.

Vorspann

Wen interessiert schon das Warum, nach so langer Zeit? Eine Katastrophe ist und bleibt eine Katastrophe; die dabei verletzt wurden, bleiben verletzt, die dabei getötet wurden, bleiben tot, die Träumer bleiben Träumer, und alles Reden über Ursachen geht am Wesentlichen vorbei.

Margaret Atwood

Shit happens.*

Mickey Rourke

Do määste nix draan. Hellja – dummer noch e Bier.*

Opa Klütsch

(In den Originalsprachen Kölsch und Englisch Geschriebenes ist zum großen Teil im Glossar auf Hochdeutsch zu finden – ein Asterisk im Text [*] fungiert als Link dorthin.)

1


Irgendwo da draußen

Es kommt von irgendwo da draußen. Ein murmelndes Rauschen, unterlegt von einem tiefen, unterirdisch anmutenden Grollen. Es rückt näher, steigt langsam an, baut sich auf, bis es sich fast überschlägt. Zieht durch die feuchten Schläfen, über die Stirn hinweg, während das Grollen mitten durch den Bauch rumpelt; dann beruhigt sich die Welle, verklingt, verschwindet. Fast ist das schmatzende, schlürfende Flüstern zu vernehmen, mit dem sich die mit feinem Schaum gesäumten Wellen vom Strand zurückziehen, widerwillig, mit dem gezischten, beinahe feindseligen Versprechen wiederzukommen. Fast ist das Trippeln der Sandläufer zu hören, die aus ihren winzigen Höhlen kommen – schnell etwas zu futtern ergattern, bevor die nächste Woge kommt! –, das Schleifen der Feuerquallenbäuche auf dem feinen Sand; da ist das Klatschen der Rückflut an den Felsen, das knirschende Aneinandermahlen glatt gewaschener Steine, ein Klicken und Klacken wie ein Ballett herrenloser Gebisse, darüber der ruhelose Flügelschlag und das ätzend spottende Krächzen der Möwen. Doch da kündigt sich schon die nächste Woge an, rollt herein, gleichzeitig beruhigend und bedrohlich, bringt einen Luftzug mit, einen Windhauch, der nach Salz zu schmecken scheint, nach Algen, Fisch und Teer, nach Afrika, nach Schweißperlen und Kokospalmen.

Schweiß stimmt. Teer auch. Aber es ist nur die Brandung der Bonner Straße, morgens um halb sechs, und ihr Rhythmus wird gestört von Polizeisirenen, dem Laster mit Schokoladenweihnachtsmännern und Überraschungseiern, der drüben vor dem Stüssgen-Markt rangiert, und der rollenden Disco von Bergmann’s Theo, der wegen seines obligaten Katers mal wieder nicht in die Gänge kommt mit seinem Transit voller Sesam-, Mohn- und Rosinenbrötchen, ohne dass ihm Tony Marshalls Schöne Maid mit dreihundert Watt auf die Sprünge hilft; und der Schweiß ist der eigene, muffig, fischig, mit den Bierresten von dem Besäufnis von vorgestern und der Schärfe der Albträume einer ersten Entzugsnacht – in Sauer liegen, wie die Friesen es so passend nennen.

Es braucht eine halbe Ewigkeit, zu beschließen, ruhig mal aufstehen zu können und herauszufinden, welche Tageszeit es ist. Ob überhaupt schon Tag ist. Oder noch? Endlich aufzustehen, zum Fenster zu gehen und den Vorhang beiseite zu schieben. Orchideen. Blassviolett und königsblau, purpurn und sonnenuntergangsorange auf Gauguin-grünem Untergrund. Früher mal. Jetzt sind sie alle bräunlich verschleiert von dem Nikotinfilm, der die ganze Zwei-Zimmer-Bude bedeckt, dass sie bei jedem Licht aussieht wie ein Foto aus den Tagen, als James Marshal den ersten Klumpen Gold an Augustus Sutters Mühle fand, 1848. Zum wiederholten Mal der Versuch sich vorzustellen, wie es damals hier ausgesehen haben mochte – da gegenüber sich nicht hundert Meter Schaufenster mit Badewannen, blitzenden Armaturen und Klosettbecken, sondern Weingärten, Obstbäume, Felder mit Kopfsalat, Kartoffeln und Steckrüben erstreckten. Ein Trüppchen Mönche vom Severinskloster und Nonnen vom Kartäuserhof, das müde hinter einem Eselskarren her schlurft, begleitet von zwei, drei mageren, alle paar Schritte mit Flöhen kämpfenden Kötern und von einem widerwillig mehr gebrummten als gesungenen, schlaftrunkenen Lobet den Herrn. Aber vielleicht sind sie auch ein bisschen fröhlicher und singen, in sicherem Abstand von Zelle, Abt und Gott:

Ein Leben wie im Paradies

Gewährt uns Vater Rhein

Ich geb’ es zu: Ein Kuss ist süß

Doch süßer ist der Wein

Die Erde wär’ ein Jammertal

Voll Grillensang und Gicht

Wüchs’ uns zur Lind’rung unsrer Qual

Der edle Rheinwein nicht …

Einer der Mönche tritt gegen ein Apfelbäumchen, die Nonnen springen hinzu und sammeln die heruntergefallenen Früchte ein, und bevor sie alle an die mühselige Feldarbeit gehen, setzen sie sich in den Schatten des Karrens, albern ein bisschen herum und kauen schmatzend ihr Frühstück. Dann und wann wirft vielleicht mal einer eine Apfelkitsche in eine fremde Kutte, wo sie dann unter Gekicher und Gequietsche vier- oder gar sechshändig wieder hervorgekramt werden muss, und von drüben, von der anderen Rheinseite taucht die aufgehende Sonne den Apfelgarten in goldenes Licht. Und, weiter im Norden, den seit bald vierhundert Jahren halb fertigen Dom.

Was wissen die denn schon, dass bald hundertfünfzig Jahre später jemand den Saft aus ihren Äpfeln mit Korn, Rum und Cointreau mischen und davon mindestens viermal die Woche so besoffen sein wird, dass er nicht mehr weiß, wie er vorgestern nach Hause gekommen ist? Und dass er, weil es gestern keinen Apfelkorn, überhaupt keinen Alkohol gab, sich die ganze Nacht in verschwitzten Laken hin und her wälzen musste, in einem taumeligen Auf und Ab von Albträumen und Zukunftsängsten, verworrenen Erinnerungen an andere, schönere Nächte und noch verworreneren Plänen für ein möglichst besseres Morgen?

Ach du Scheiße – morgen! Morgen wird natürlich ein besserer Tag sein, schließlich ist morgen Heiligabend! Weihnachten neunzehnhundertachtzig. Weihnachten! Das Fest der Freude und der Liebe! Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen! Ihr Kinderlein kommet und süßer die Glocken!

Scheiße.

Ich drehte mir eine Kippe und beschloss, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Vielleicht nicht direkt nach dieser hier – aber vielleicht, wenn das Päckchen alle war. Oder die beiden anderen, die – für alle Fälle – in dem Köcher mit den Schlagzeugstöcken steckten. Oder jedenfalls spätestens dann, wenn ich herausgefunden hatte, wer dafür verantwortlich war, dass Kathrinchen mit eingeschlagenem Jochbein, zwei fehlenden Zähnen, ein paar Brandwunden, einem gebrochenen Arm, drei gebrochenen Rippen und hässlichen Rissen an den Schamlippen im Klösterchen gelandet ist. In dem gekühlten Raum im zweiten Kellergeschoss, mausetot.

2


Kathrinchen amüsiert sich

Während ich mich mal wieder bemüht hatte, mir die Berufsbezeichnung Schlagzeuger und ein paar Brötchen zu verdienen – zur Abwechslung sogar erfolgreich –, hatte sie wohl mit irgendjemandem ihre zynischen Sado-Maso-Spielchen zu weit getrieben. Zig-mal hatte ich sie gewarnt, dass eines Tages einem ihrer Eisenfressen die Sicherung rausspringen würde, aber sie schleppte immer wieder neue von der Sorte an – Porsche- und Goldwing-Fahrer in unnötig teuren Klamotten, mit überflüssigen Hemdenknöpfen und zu viel Goldschmuck, mit Tätowierungen von Adlern, Tigern und Totenköpfen überall, einer härter als der andere. Alle sahen sie aus wie eine Mischung aus Zuhälter und Fremdenlegionär, auch wenn sie Anwalt, Bauunternehmer oder Diskobesitzer waren, und sogar dann, wenn sie Zuhälter oder Fremdenlegionär waren; und alle griffen sie sich öfter an den Sack als ich nach meinen Kippen. Sie redeten zu laut und warfen zu lässig mit ihrem Geld um sich, sie tranken zu viel aus den Flaschen, die in einer anständigen Kneipe immer ganz oben im Regal stehen, und zu oft kamen sie vom Klo mit einem frischen, nervösen Glitzern in den Augen, ständig die Nase hochziehend, als hätte jemand Niespulver über die Theke geblasen, und erhöhten Pegel und Tempo ihrer dummen Sprücheklopferei.

Und Kathrinchen amüsierte sich königlich, zog spöttisch ihre linke Augenbraue hoch und den rechten Mundwinkel nach unten und erzählte ihnen, was für aufgeblasene Wichser sie doch seien und wie wenig ihre Hahnenkampfspielchen sie beeindrucken könnten, schließlich sei sie kein Huhn; und dass sie’s trotzdem versuchten, zeige doch erst recht und deutlich, wie doof sie seien; die einzige Hoffnung, die sie habe, sei, dass das alte Sprichwort stimme, wonach Dumm gut ficke – aber mit einem Kerl ficken, der sie nicht mal unter den Tisch saufen könne? Haha, da würde sie sich doch lieber auf den Kopf stellen und sich selbst bepinkeln! Und die Arschgeigen starrten auf ihre Titten und ihren Hintern, versuchten sich das Bild vorzustellen, packten sich an die schon nicht mehr so weichen Weichteile und beeilten sich, noch mehr von ihrer Whiskey-Cola-Panscherei zu bestellen und diesem Prachtweib da einen weiteren Kabänes auf Eis. Und egal, wie viele davon sich vor ihr auf der Theke aufreihten, sie kippte sie ungerührt der Reihe nach weg, und niemand merkte ihr irgendwas an, außer dass vielleicht ihre Pupillen ein wenig größer und dunkler wurden, ihr Gang zur Musikbox eine Stufe aufreizender und ihre Stimme einen Hauch ätzender.

»Der Büb hier! Dat is’ doch der einzige Typ, der wat taugt in dem Laden hier, ihr Luschen!«, goss sie Öl ins Feuer und küsste mich mit gespieltem Stolz auf den Adamsapfel, was insofern gut war, dass keiner mitkriegte, wie heftig ich schlucken musste, denn die Blicke, mit denen die Jungs mich betrachteten, als hätten sie mit ihren handgenähten Slippern in einen Hundehaufen getreten, ließen mich zum x-ten Mal verfluchen, dass ich mich wieder mal auf eine Verabredung mit ihr eingelassen hatte – oder zumindest, dass ich zu dieser Verabredung schon wieder ohne so was wie ’ne abgesägte Schrotflinte gekommen war.

Aber warum auch immer, sie ließen mich leben, nahmen mich hin, wie sie einen Silberpudel an Kathrinchens Seite, einen Papagei auf ihrer Schulter oder ein Töchterchen an ihrer Hand hingenommen hätten – ich war eben Kathrinchens Liebling, ihr bunt schillernder Wellensittich mit seinen langen Haaren, der kaputten Lederjacke, den mit Gaffa-Tape geflickten Hosen und den selbstgedrehten Zigaretten. Sie tätschelten mir freundlich-herablassend die Schulter, gerade noch so vorsichtig, dass es als freundschaftlich durchgehen, aber hart genug, dass es auch als Warnung verstanden werden konnte, und ich tat wie immer so, als würde ich davon nichts merken. Ich grinste nur blöde und machte Witze über die Mucke, die gerade aus der Musikbox plärrte, oder über Belziger, der endlich einen lokalen Hit mit seinem Lied vom Schwarzfahren hatte, oder über Lokalhelden wie den Klautze, der es mal wieder geschafft hatte, die Trööt zu verarschen* – er hatte gewettet, dass der es nie im Leben schaffen würde, hundertmal um den Gerling-Konzern herumzulaufen. Klar hatte die Trööt dagegen gehalten, das konnte er als gefürchteter Türsteher natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und war bald zwei Stunden lang um das riesige Karree im Friesenviertel herum gerannt, hundertmal an den feixenden und Piccolo saufenden Claqueuren Klautzes vorbei, bis er sich kurz vor einem Kreislaufkollaps, aber unter Triumphgeheul den Wetteinsatz abgeholt – einen läppischen Hunni – und vier Flaschen Wasser in sich hinein gekippt hatte. Der Kollaps kam erst eine Flasche Escorial später. Beliebt war auch mein Geläster über den FC, der doch tatsächlich erst Hennes Weisweiler zu Cosmos New York hatte ziehen lassen (»Unsere Zusammenarbeit war zum Schluss nicht mehr sinnvoll.«), um sich dann den Fußball-Dozenten Heddergott in den Pelz zu setzen. Der wiederum kriegte sich gleich mal mit Jungstar Bernd Schuster in die langen Haare und verscherbelte den für Dreikommasechs Millionen nach Barcelona, wofür er dann prompt zwei Monate später die Kündigung kassierte.

Oder die lustige Geschichte von Ikonen-Jupp, der neulich nach einem ausgiebigen und Mut machenden Frühschoppen am hellichten Sonntagnachmittag in Kölns größtes Auktionshaus eingestiegen war. Ganz der Profi, für den er sich hielt, hatte er das komplette ausgeklügelte Alarmsystem überlistet und sorgfältig für eine halbe Million antike Kostbarkeiten in die mitgebrachte Reisetasche gepackt. Außerdem hatte er noch einen Flachmann voll Asbach und ein Transistorradio dabei. Also setzte er sich erst mal zum Ausruhen in einen Biedermeier-Sessel in einem der Schaufenster, genehmigte sich ein paar Schlückchen und schaltete sein Radio ein, um mal zu hören, was ihm sein Wetteinsatz beim Großen Preis von Baden-Baden einbringen würde.

Leider berichtete vor dem Start des Rennens der große Adi Furler vom Dressurreiten in Salzburg. Erst der Mann vom Wachdienst, der abends seine Runde drehte, bekam Zweifel, ob ein schnarchender Mann in einem übergroßen Hawaiihemd mit einem plärrenden Radio im Arm ein passendes Exponat für die exklusive Montagsversteigerung sei.

Auch mein Repertoire an Anekdoten von irgendwelchen Rockgrößen, die mir hinter der Bühne irgendwelcher Festivals über den Weg gelaufen waren, beeindruckte, immerhin, die Bumsköppe ein bisschen – zu hören, wie viel Schnaps in Joe Cockers Fanta-Dosen passte, wie Chuck Berry es mal wieder geschafft hatte, seine Gage noch mal in die Höhe zu pokern, während draußen schon Sechzigtausend Go, Johnny, Go! brüllten; oder wie der Berufscholeriker Conny Becker dem Berufskotzbrocken Gröhlemüller eine eingeschenkt hatte, weil der ihm für sechshundert Ocken Koks vom Tisch gepustet hatte. Oder wie der Bassist der Schroeder Roadshow eines Morgens um halb fünf mit den Worten »Ihr könnt mich mal! Ich fahr’ jetzt in die Kellerbar!« in voller Ledermontur in die Duschkabine seines Hotelzimmers gestiegen war und die Dusche aufgedreht hatte, Gimme the beat, boys, free my soul, I wanna get lost in your rock’n’roll singend*. Und nachdem er danach ’ne Weile klatschnass und besoffen kichernd in seinem Bett gelegen hatte, war er mit einem Schraubenzieher auf den Flur gegangen und mit der Tür des Aufzugs ins Zimmer zurückgekommen, weil ihm dessen Quietschen und Klappern auf die Nerven ging. Na ja, Rock’n’Roll eben …

Die meisten dieser Geschichten waren erfunden oder zumindest übertrieben, aber so fühlte ich mich ein wenig besser als ein Papagei auf Kathrinchens schöner Schulter. Die Arschgeigen versuchten amüsiert, mich abzufüllen mit ihrer Kentucky-Plörre, aber ich blieb stur und brav bei meinem Gedeck aus Kölsch und Apfelkorn, denn damit kriegten sie mich so schnell nicht platt, und manchmal landete man dann noch zu dritt in Kathrinchens Apartment am Beethoven-Park, und ich lag auf der edlen grauen Ledercouch und hörte mir Thomas Rapp und seine Pearls Before Swine an, ihre Lieblingsband, besonders beim Sex, während ihr nebenan ein von weißen Pülverchen und ihren Lästereien angestachelter Hengst das Nähmaschinchen machte. Es machte sie an, zu wissen, dass ich zuhörte, und noch mehr, wenn ich dann zwischendurch mal in ihrer Schlafzimmertür stand und sie mir über muskulöse, schweißnasse Schultern hinweg in die Augen sehen konnte, bis es ihr kam und sie schrie und jodelte und lange, blutige Striemen in den Rücken über ihr furchte. Koksgerammel kann sich hinziehen, und meistens schlief ich irgendwann ein auf der Couch, eingelullt von ihrem Stöhnen, während Thomas Rapp lispelte:

She says love will get you

Through times of no sex

Better than sex will get you

Through times of no love …*

Da hatte Kathrinchen wohl was nicht richtig verstanden.

Und als letzter Gedanke ging mir oft genug durch den Kopf: Eines Tages wird dich noch mal einer totrammeln, du dusselige Blumenkuh!

Selbst der miesepetrigste Pessimist ist ja ein unverbesserlicher Optimist insofern, als er immer wieder voller Hoffnung ist, dass seine ewigen Unkereien in Erfüllung gehen.

Und leider, leider sollte auch ich recht behalten.

Aber welches von den Arschgesichtern da draußen war da so dermaßen ausgerastet?

3


But people are not singers ...

Koomm, Fritzi, kooomm!« Der Kanarienvogel legte das Köpfchen auf die Seite, wich auf seine Schaukel aus, seine Äuglein zuckten hin und her. Aber das Salatblatt, das der Junge ihm durch die offene Klappe in den Käfig hielt, war zu verlockend. Er trippelte näher, hackte danach, eroberte sich ein Häppchen Vorgeschmack. Das Blatt klemmte zwischen zwei Fingern der kleinen Hand, also kletterte der Vogel, zutraulich geworden, auf die Handfläche, begann ausführlicher zu knabbern. Dann schloss sich die Hand um den zarten Körper, wand sich durch die Klappe nach draußen. Eine zweite Hand wölbte sich um die erste, ließ eine enge Öffnung zwischen den beiden Daumen, aus dem sich neugierig, verunsichert, Fritzis Kopf reckte. Von nebenan, aus der Küche, klang quäkend das kleine alte Vorkriegsradio der Großmutter. Eine Akkordeon-Polka, begleitet vom sphärischen Pfeifen und Rauschen des fernen deutschen Senders.

»Guck mal, Olga, was ich hier hab’!« Vorsichtig ging der Junge zum Nachbarkäfig.

»Ngrröök!«, machte der Rabe darin und hüpfte aufgeregt in seinem Sand herum. »Yahiiieeek!«

Langsam näherte der Junge seine Hände dem Rabengitter. Und zuckte sofort wieder zurück – im Nu hatte der Rabe zwischen den Stäben hindurch in Richtung des Kanarienvogelkopfs gehackt, aber den Daumen des Jungen getroffen. Fast hätte der vor Schmerz seine Hände geöffnet, den ängstlich tschilpenden Gelben fliegen lassen. Aber er hielt ihn mit der Rechten fest und öffnete mit der Linken, von der bereits dicke Blutperlen tropften, das Türchen zum Rabenkäfig. Knallte es noch einmal heftig zu, als der Rabe Anstalten machte, sich nach draußen zu drängen, was diesen bewog, sich an die Käfigrückwand zurückzuziehen, bösartig blinzelnd.

Schnell schob der Junge seine rechte Faust durch das Türchen und ließ Fritzi los. Klappte das Türchen zu, hakte es ein. Tat einen Schritt zurück. Beobachtete mit glänzenden Augen, was geschah.

Zwei, drei lange Sekunden herrschte Stille. Im Käfig zumindest – nebenan sang Marika Rökk die Julischka aus Buda-Budapest.

Dann reckte der Rabe seinen Kopf vor, öffnete halb den Schnabel, machte spöttisch »Krreek!« Der Kanarienvogel flatterte hoch, stieß an das Käfigdach, verlor zwei Schwanzfedern, die wiegend zu Boden schwebten und in dem schmutzigen, verkoteten Sand liegenblieben. Der Rabe breitete seine Flügel aus, plusterte sich auf. Der Kleinere stieß ein hohes Kreischen aus, drei Oktaven über Marika Rökk, wollte zur Seite ausweichen, davonfliegen, prallte an die Seitengitter des Käfigs, noch einmal und noch einmal, immer hektischer und verzweifelter. Beim vierten Mal brach er sich einen Flügel, landete auf dem Boden. Schlich, versuchte, hinter das Wasserbecken des Raben zu schleichen, aber da war der schon von seiner Stange herabgesprungen. Mit einem triumphierenden »Jägägäck!« schlug er eine seiner Krallen in den Rücken des Kanarienvogels, zerrte ihn halb in die Höhe und hieb ihm die Spitze seines Schnabels ins Genick. Der Kanare fiepte in den höchsten Tönen, noch lauter. Erschrocken fuhr der Kopf des Jungen zur Küchenwand herum. Die ungarischen Geigen jubilierten im Schlussfortissimo, molto presto. Keine Gefahr.

Im Käfig riss der Rabe dem Gelben gerade den gebrochenen Flügel aus. Noch ein letztes Mal gelang es dem, sich loszureißen, unter dem Bauch des Raben hindurch zu schlüpfen, teils hüpfend, teils mit dem heilen Flügel flatternd, teils purzelnd bis in die Mitte des Käfigbodens zu gelangen. Dann wirbelte ihn der Schlag eines Rabenflügels herum, eine Kralle riss drei tiefe Furchen in seine Brust, aus der sogleich eine bräunliche Masse quoll, ein Schnabelhieb hackte ein schmatzendes Loch in seinen weiß geflaumten Hals.

»Grrraack!«, schrie der Rabe und knackte mit einem weiteren Schnabelhieb die Hirnschale seines Opfers, zerfetzte mit einer Kralle den heil gebliebenen Flügel, dass die gelben Federn nur so umher stoben.

Fasziniert stand der Junge daneben, Speichel tropfte aus seinen Mundwinkeln, unverwandt beobachtete er das grausame Schauspiel, Fritzis zerrissenen Körper, den mit Blut und Eingeweiden verschmierten Schnabel des Raben, dessen gierig zitterndes Hinterteil.

»Na, Olga«, flüsterte er. Einen Moment drehte der Rabe sich ihm zu, betrachtete ihn mit schräg gelegtem Kopf, beäugte nachdenklich, wie der Junge an seinem blutenden Daumen leckte, fiebrige rote Flecken im Gesicht. Aus der Küche erklang die süßliche Ouvertüre der Blume von Hawaii.

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