Das Ereignis des Fenstersturzes vermehrte den Streit und die Unruhe in der Wiener Hofburg; denn Maximilian und Ferdinand wollten die Empörung, als was sie den Vorfall ansahen, sofort gewaltsam niederschlagen, wohingegen Khlesl der Ansicht war, der Kaiser müsse einstweilen nach Beschwichtigung und Vermittelung trachten. Es sei ein wahres Sprichwort, sagte Khlesl, dass man nur den hängen könnte, den man habe. Wie wollte man denn aber der Schuldigen mächtig werden? Womit wollte man löschen, wenn es einmal brennte? Das Feuer würde Land und Leute bis aufs Hemd und alle miteinander fressen. Wovon sollte man leben, wenn die reichen böhmischen Einkünfte ausblieben? Der Kaiser könne nicht einmal den Kräutler und den Käsestecher bezahlen!
Dem Kaiser leuchtete die Ansicht Khlesls ein, und so wurde denn, während unter der Hand geworben und gerüstet wurde, ein sanft mahnendes Schreiben an die böhmischen Stände erlassen, sie sollten ihr unziemliches Rebellieren einstellen, anstatt dessen wegen vorhandener Schäden ordentliche Klagen einreichen, vor allen Dingen aber die eigenmächtig geworbenen Soldaten entlassen, so werde der Kaiser ihnen auch wiederum gnädig sein.
Die Stände erwiderten den Brief mit einem Schreiben, in dem sie versicherten, das sie sich durchaus keine Rebellion anmaßten, auch die geworbenen Soldaten unverweilt entlassen würden, wenn der Kaiser zuvor seine Werbungen einstellte, die nach der Aussage friedhässiger Leute gegen sie gerichtet wären; denn sie könnten, solange sie von Krieg und Überfall bedroht wären, die Rüstung nicht wohl ablegen, begehrten aber nichts anderes, als nach wie vor des Kaisers gehorsame und treue Untertanen zu sein.
In Hinblick auf die Geldnot des Kaisers, die ihm nach Khlesls Ansicht das Kriegführen unmöglich machte, spielte der Erzherzog Maximilian auf Khlesls großes Vermögen an, womit er aushelfen könne; aber darauf wollte sich der Erzbischof nicht einlassen, machte vielmehr ein großes Aufheben von den Summen, die er Matthias schon vorgestreckt und nicht zurückerhalten habe. Maximilian jedoch brachte dies Vermögen nicht aus dem Sinn: sie wären aus aller Verlegenheit und hätten, was sie brauchten, sagte er zu Ferdinand, wenn sie dem losen Buben sein Recht zuteil werden ließen und sein Hab und Gut, das ohnedies erstohlen wäre, dem Kaiser zufiele. Mit einem Galgen, einem Strick und dem rechten Mann daran wolle er ganz Österreich und Böhmen und das Reich dazu in Ordnung bringen.
Während in Böhmen die Rüstung in vollem Gange war, führten die Verhandlungen des Kaisers mit den Ungarn so weit zu einem Verständnis, dass am 1. Juli Ferdinands Krönung in Pressburg vorgenommen werden konnte. Khlesl hatte es sich nicht nehmen lassen, mit zu der Feier zu reisen, wiewohl sein Herz nicht festlich gestimmt war, und sah mit anderen Herren von einem Balkon des erzbischöflichen Palastes, in dem er wohnte, dem in der mächtigen Sommersonne funkelnden Aufzuge zu. Eben als ein Esterhazy mit seinen bewaffneten Untergebenen vorüberritt und Khlesl sich, um ihn besser zu sehen, über die Balustrade beugte, schwirrte der Bolzen einer Armbrust hart an ihm vorbei und blieb in der Wand des hinter dem Balkon liegenden Zimmers stecken. Indes die Herren hineilten, das noch zitternde Geschoss betrachteten und sich über den Zufall verwunderten, ließ sich Khlesl in einen Sessel fallen und trocknete mit einem Tüchlein den Schweiß von der Stirne. »Das war kein Zufall«, sagte er mit schwacher Stimme, »es war ein Gruß für mich von der Fortuna.« Das sei eine stachelige Sprache für ein Frauenzimmer, lachten die Herren, worauf Khlesl sagte, es sei ihr Abschiedsgruß, dabei pflegten die Weiber, habe er sagen hören, mehr zu beißen als zu küssen. Dies gab wiederum zu Scherzen Anlass; denn es war bekannt, dass Khlesl von den Frauen nichts wissen wollte, auch niemals mit ihnen zu tun gehabt hatte; aber heimlich waren alle einerlei Meinung darüber, wo der Schuss seinen Ursprung genommen hätte. Die Nachforschungen, die angestellt wurden, ergaben nichts, niemand wollte von der Sache etwas gesehen haben, und Khlesl kehrte mit bedrücktem Herzen nach Wien zurück.
Dort bereitete Maximilian schleunig die Gefangennahme Khlesls vor, wozu Ferdinand seine Einwilligung gab, um dem Kirchenfürsten wenigstens das Leben zu sparen. Der Umstand, dass Matthias gerade das Bett hütete, erleichterte es ihnen, unvermerkt die Vorbereitungen zu treffen: sie ließen nämlich einen verdeckten Gang von der Burg nach der Bastei errichten, durch welchen der verhaftete Kardinal in der Stille sollte abgeführt werden, damit nicht etwa das Volk zusammenliefe und ein Lärmen entstände.
Als Khlesl am Vormittage zum Kaiser fahren wollte, kam gerade der Nuntius zu ihm und sagte, er solle doch heute nicht auf die Burg, es habe ihm hässlich geträumt und er fürchte, es werde ihm dort etwas Widerwärtiges begegnen. Nein, sagte Khlesl, er habe niemals etwas auf Träume gehalten; dass seine Feinde Widriges im Sinne hätten, wisse er wohl; aber er vertraue auf den Kaiser, der werde seinen treuen Diener nicht unbeschützt lassen. Er wolle nichts gegen den Kaiser oder sonst jemand anbringen, sagte der Nuntius; aber es liefe doch in dieser Zeit viel Hass und Widerwillen unter, und sich der Gefahr nicht auszusetzen wäre nicht Feigheit, sondern Klugheit. Wolle aber Khlesl durchaus fahren, so solle er ihn mitnehmen und in seiner Herberge absetzen. Als der Wagen in einer engen Gasse durch eine Herde Schweine etwas aufgehalten wurde, sagte der Nuntius wiederum, dass dies ein merkliches Zeichen wäre, und Khlesl beugte sich aus dem Wagenfenster, um dem Kutscher zuzurufen, er solle umkehren; da jedoch im selben Augenblick der Wagen weiterfuhr und Khlesl durch den Ruck auf den Sitz zurückgeworfen wurde, schüttelte er den Kopf und sagte traurig, er wolle es nun seinen Lauf nehmen lassen.
Im Flur der Burg standen Bewaffnete, welche nicht zur Leibgarde des Kaisers gehörten und den Kardinal nicht in der üblichen Weise grüßten, was ihm einen peinlichen Eindruck machte; aber er fasste sich und stieg die Treppe hinauf, die zu den Gemächern des Kaisers führte, dessen Nähe ihn doch auch wieder beruhigte. Im Vorgemach trat ihm sogleich ein Vertrauter der beiden Erzherzöge entgegen und forderte ihn kurz auf, Hut und Mantel abzulegen, dagegen einen bereitliegenden schwarzen Umhang zu nehmen und den wartenden Offizieren, Dampierre und Collalto, zu folgen. Er erhebe Protest, sagte Khlesl, im Namen des Kaisers und des Papstes, hatte aber kaum ausgesprochen, als Dampierre ihn unter Schimpfworten hart anfuhr, er solle gehorchen, sonst werde man Gewalt mit ihm gebrauchen. Khlesl, der vor Schrecken zitterte, überlegte blitzschnell, ob er versuchen solle, zum Kaiser durchzudringen, oder ob sonst ein Entrinnen möglich sei; aber da er nirgends eine Zuflucht vor der Übermacht sah, ließ er sich ohne Widerrede umkleiden und von den beiden Offizieren durch den verdeckten Gang treiben, an dessen Ende eine Kutsche bereitstand, die ihn in schneller Fahrt durch Steiermark nach Tirol brachte.
Nachdem der Kardinal auf diese Weise entfernt war, erübrigte noch, das Geschehene dem Kaiser beizubringen. Maximilian und Ferdinand traten an sein Bett, teilten ihm mit, dass dem Kardinal an seinem Leibe kein Schaden zugefügt werden solle, dass sie ihn nur in festem Gewahrsam halten würden und dass dieses zum Besten des Kaisers und der Gesamtfamilie nötig sei. Solange Khlesl regiere, würde es nie zum Kriege kommen, und die böhmischen Herren würden zuletzt den Kaiser selbst zum Fenster hinauswerfen. Ob er dazu stillhalten wollte? Er solle auch bedenken, dass sie zu Kaiser Rudolfs Lebzeiten ebenfalls das Wohl der Gesamtfamilie im Auge gehabt hätten, sich nicht wundern, wenn sie jetzt auf das gleiche abzielten, und solle der Welt gegenüber sich so anstellen, als sei Khlesls Gefangennahme auf seinen Befehl geschehen.
Während Matthias schweigend zu weinen anfing, jammerte die Kaiserin laut, Khlesl sei ihr einziger Freund gewesen, sie wisse recht wohl, worauf die Erzherzöge abzielten, nämlich auf ihres Mannes Krone, der ihnen zu lange lebte. Das wollten sie Gott anheimstellen, sagte Maximilian, und Ferdinand fügte hinzu, sein Gewissen sei rein, sie wollten Matthias vielmehr die Krone fester aufs Haupt drücken. Matthias rief kläglich, er begehre ihrer Hilfe nicht, Khlesl sei sein wahrer Bruder und Freund, den wolle er wiederhaben; allein er hatte das Gefühl, dass offenes Widerstreben ihm nur selbst Gefahr bringen könnte, und fügte sich in das Unvermeidliche.
Im Spätherbste des Jahres 1581 fand in dem niederländischen Orte Vaux das Begräbnis des Maximilian von Longueval, Grafen von Buquoy statt, der bei der Belagerung von Tournay an der Seite des Gouverneurs der Niederlande, Alexander Farnese, Herzogs von Parma, gefallen war. Von dem Fenster eines vornehmen Hauses sah sein zehnjähriger Sohn Karl Bonaventura den festlich trauernden Zug durch die enge Straße marschieren: voran schritt das Regiment des Grafen mit der florverhüllten Fahne, dann folgte der von Rittern getragene, von einem schwarzen Tuch verhängte Sarg, auf welchem sein Wappen, seine Orden und Ehrenzeichen lagen, dann sein mit schwarzem, nickendem Federbusch gekröntes Leibroß und die von ihm im Kriege erbeuteten, entfalteten Fahnen, worauf wieder Abteilungen von Soldaten und geistliche Körperschaften folgten, denen je eine Gruppe Trompeter voranging und sie mit langsamem, starkem Blasen ankündigten. Nachdem die Zeremonien vorüber waren, begrüßte Alexander Farnese die Witwe seines verstorbenen Freundes und erkundigte sich nach den Plänen für die Zukunft ihres einzigen Sohnes. Der herbeigerufene Knabe, der stumm mit heißen Backen und großen Augen auf die Straße gestaunt hatte, nahm tief aufatmend das Wort und sagte, dies sei ein herrlicher Tag gewesen; er wolle werden, was sein Vater gewesen sei, damit er einst mit ebensolcher Pracht zur Erde bestattet werde. Bei sich dachte der Kleine, er werde es vielleicht dahin bringen, dass auf seinem Sarge der Orden des Goldenen Vlieses, des höchsten in der Christenheit, liegen werde, der seinem Vater noch fehlte. Dem Herzog von Parma gefiel der freimütige Ehrgeiz des jungen Buquoy, und er begünstigte ihn, solange er noch lebte; sobald es anging, rückte der Jüngling in die Würden seines verstorbenen Vaters ein und erwarb sich im spanischen Kriege gegen Holland neue. Diesen berühmten Offizier wünschte Matthias, sobald er Kaiser geworden war, in seinen Dienst zu bringen, und gewann auch dazu die Einwilligung des Königs von Spanien sowie seines Bruders, des Erzherzogs Albert, der inzwischen als Gemahl der Tochter Philipps II., Isabella, Gouverneur der spanischen Niederlande geworden war. Buquoy selbst jedoch hatte keine Lust dazu; denn nachdem er im Jahre 1612 das Goldene Vlies erhalten hatte, war sein Ehrgeiz im wesentlichen befriedigt, abgesehen davon, dass die als kaiserlicher Feldmarschall bei den Kämpfen im Reiche etwa zu erringenden Lorbeeren ihm mit den seinigen verglichen etwas windig vorkamen. Wien samt der Hofburg und dem Kaiser machte ihm, wenn er an Brüssel dachte, einen zurückgebliebenen Eindruck: da war keine Aristokratie, denn die evangelischen Adligen zählte er nicht, sondern alles in allem ein knauseriges, bürgerliches Wesen. Indessen da die böhmische Revolution ausbrach, konnte er sich dem vereinten Drängen des Kaisers, des Königs von Spanien und des Erzherzogs Albert nicht mehr widersetzen und tröstete sich mit der Versicherung des letzteren, er werde die böhmischen Ratten bald abgefangen und ausgeschwefelt haben und könne dann reich belohnt zu Heimat und Familie zurückkehren, ließ sich auch den Titel eines kaiserlichen Rattenjägers, den ihm die Kameraden scherzweise anhängten, mit guter Miene gefallen.
Auch am Wiener Hofe hörte er mit Geringschätzung von dem böhmischen Krawall sprechen, freilich auch mit Erbitterung im Kreise der Anhänger Ferdinands, während der Kaiser sich dahin äußerte, es handle sich nur darum, den Böhmen einen Ernst zu zeigen oder etwa eine kleine Niederlage beizubringen, damit sie sich zu einem anständigen Frieden bequemten. Da er nun nicht mehr ausweichen konnte, verkaufte Buquoy wenigstens seine Dienste teuer, nämlich er verlangte 2000 Gulden Gehalt für den Monat, außerdem eine Entschädigung von 13.000 Gulden im Jahre und endlich, beim Abschlusse des Vertrages, ein Geschenk von 6000 Brabanter Kronen. Freigebig wurden ihm dazu noch Aussichten auf liegende Güter in Böhmen gemacht, welche man den besiegten Rebellen abnehmen würde; denn man hoffte ihn durch großen Gutsbesitz an den Dienst des Kaisers zu fesseln.
Zuversichtlich, aber weniger fröhlich als in seinen Jugendtagen zog Buquoy dem Kriegsschauplatze zu, von wo bald lauter böse Nachrichten einliefen. Er befinde in Böhmen alles anders, als man ihm ausgemalt habe, schrieb er unmutig und niedergeschlagen an den Kaiser; die Böhmen seien keineswegs so untüchtig in der Kriegführung und zusammengelaufene Haufen, als welche man sie in Wien habe darstellen wollen, sondern kämpften grimmig, sodass er ihnen nicht habe beikommen können. Für ein Gut in diesem Lande bedanke er sich, denn es liege ihm nichts daran, sich zwischen einer Herde von Wölfen seines Lebens zu wehren.
Durch ein geschicktes Zusammenwirken mit dem Obersten Dampierre hätte Buquoy sich wohl eher helfen können; allein diese beiden konnten sich durchaus nicht vertragen, da Dampierre sich dem Buquoy nicht unterordnen wollte und dieser jenen als einen rohen Menschen ohne adlige Sitte verachtete, und außerdem, da Dampierre, als eine Kreatur Ferdinands, den Krieg keineswegs so gelinde führen wollte wie der Feldmarschall des Kaisers, dem es auf eine schleunige Versöhnung mit dem Gegner ankam.
Zu diesen bedenklichen Nachrichten aus Böhmen kam nun im November noch das Erscheinen des Kometen, um den Kaiser zu ängstigen, der sich ohnehin, seit ihm Khlesl so unverhofft von der Seite gerissen war, trübseligen Befürchtungen hingab. Die Ärzte verordneten ihm, um seine Lebenskraft anzuspornen, bald eine Luftveränderung, bald ließen sie ihn purgieren, aber es blieb beim alten, nicht einmal das dünne Süpplein, das er durch ein Rohr einsog, schmeckte ihm mehr. Zuerst verschaffte es ihm eine gewisse Erleichterung, als im Dezember die fettleibige Kaiserin plötzlich starb; denn nun schien sich die Drohung des Kometen auf sie bezogen zu haben; aber andererseits vermisste er ihr freundliches, unterhaltliches Wesen und verging vor Kummer und Langerweile in den Stunden, wo er sonst mit ihr beim Brettspiel gesessen hatte. Auch verschwand der unheilvolle prophetische Finger nicht vom Himmel, sondern wies unverwandt auf ihn, das weltliche Haupt der Christenheit, als welcher mitsamt seinen verübten Freveln vom Erdboden hinweg müsse, vielleicht durch eine Sündflut sondergleichen weggeschwemmt.
Mansfeld lag, als Feldherr der böhmischen Stände, mit dem im Dienste des Herzogs von Savoyen angeworbenen Heere vor der Stadt Pilsen, die sich mit Berufung auf den Kaiser geweigert hatte, die Prager Direktoren anzuerkennen.
Der Oktober war licht, lauter und überreich an Früchten, es fehlte nicht an Nahrung im Lager. Ein Häuflein Soldaten lagerte um die Geschütze herum, die sie zu bedienen hatten, und verspottete, nach der Mauer blickend, den Feind, der nicht treffen könne. Nur der Scharfrichter, hieß es, verfehle nie das Ziel, weshalb man glaubte, dass er im Besitze von Freikugeln sei. Mit diesem hatte Mansfeld eine verhängnisvolle Begegnung gehabt: da er sich nämlich einmal der Mauer allzu sehr näherte, ritt ein Leutnant dicht an ihn heran und bat ihn, sich zurückzuziehen, damit ihn nicht der Scharfrichter, der auf der Wache sei, aufs Korn nehme. Mansfeld, der ungern vor einer Gefahr zurückwich, rief zürnend nach der Mauer hinüber: »Seid ihr ehrliche Bürger und Bauern, dass ihr an eines Scharfrichters Seite schießen mögt?«, worauf augenblicklich eine Stimme, nämlich die des Scharfrichters, zurück höhnte: »Kämpft ihr doch gar unter einem Bastard!« Über diesen Vorfall plauderten die bei den Geschützen, als ein junger Mensch namens Blasius aus Graz prahlte, er fürchte den Henker nicht und wolle sich kalten Bluts dicht an den Festungsgraben stellen und der Besatzung auf der Mauer zutrinken. Die Kameraden schüttelten zweifelnd den Kopf, andere meinten, er sei vielleicht fest oder trage irgendein Amulett bei sich, das ihn schütze. Er trage allerdings einen Georgentaler, sagte Blasius, aber er sei bereit, denselben vorher abzulegen, wenn die Kameraden nach glücklich vollbrachtem Wagnis drei Taler darauflegen wollten. Nachdem sie über die Wette einig geworden waren, ergriff er einen vollen Krug, ging hurtigen Schrittes bis zum Graben und schwenkte ihn gegen die Mauer, wobei er herausfordernde Worte rief. Sofort rührte es sich auf dem Wall, und einige Schüsse fielen, Blasius jedoch drehte sich geschickt auf den Fersen um, bückte sich, raffte eine Kugel auf, warf sie in die Luft und verbeugte sich wie nach einem gelungenen Kunststück gegen die Stadt; dann ging er wieder dem Lager zu, wobei er Bedacht nahm, einen gemessenen Schritt einzuhalten. Der Zufall wollte, dass Mansfeld dazukam, als die Kameraden den jungen Wagehals glückwünschend umringten; er lächelte beifällig und reichte ihm ein paar Dukaten, indem er hinzufügte, er habe gerade Geld aus Turin erhalten und sei nicht gewohnt, das schwere Metall lange in der Tasche zu behalten.
Bei den Geschützen wurde auf diesen Glücksfall hin gewürfelt und gezecht. Schon drehte sich die Ampel der Sterne im Schoße der Nacht, als ein Zank unter den Spielern entstand, weil der Blasius einen anderen beschuldigte, falsche Würfel untergemengt zu haben. Dieser verteidigte sich durch die Gegenbeschuldigung, Blasius habe trotz des Georgentalers noch irgendeinen Teufelszauber bei sich gehabt, und jeder von ihnen hätte auf diese Weise den Mutigen spielen und den Gewinn davontragen können. »Wenn ich einen Zauber hätte«, rief Blasius, »so brauchtet ihr nicht neidisch zu sein. Ihr könntet euch auch einen verschaffen, wenn ihr den Mut hättet.« Wie sie nun in ihn drangen, das Geheimnis zu bekennen, er sich weigerte, sie ihn zwingen wollten, wurde der Streit toller, und die Raufenden kamen erst zur Besinnung, als Blasius erstochen war.
Geheul und Geschrei zog den Profosen herbei, der Miene machte, Hand an die Schuldigen zu legen, aber einlenkte, als ihm ein paar von Mansfelds Goldstücken in die Hand geschoben wurden. Er hatte früher in einer Türkenschlacht ein Auge verloren und pflegte über die leere Höhle kreuzweise zwei Streifen schwarzer Seide zu kleben; aus dem übriggebliebenen Auge schoss er jetzt einen schnellen Schlangenblick auf den ärgsten Raufer, wie um ihm ein Merkmal einzuätzen, und beschloss, ihn bei der nächsten Gelegenheit, die nicht ausbleiben würde, zu hängen. Ein gleichfalls herbeigeholter Pfarrer bückte sich über den verscheidenden Blasius und hörte dessen geflüsterte Beichte: es habe ihm kürzlich eine Zigeunerin geweissagt, er werde nicht vor dem Feinde, sondern bei einem Zwist mit Freunden fallen, das habe ihn so kühn gemacht; verbotene Künste habe er nicht getrieben, sondern sterbe als ein guter Christ in Erwartung der himmlischen Seligkeit.
Trotz mehrmonatiger Belagerung war noch immer keine Aussicht, Pilsen zu nehmen. Die durch ihre Lage und vortreffliche Befestigung ohnehin für uneinnehmbar geltende Stadt erfreute sich eines tüchtigen Kommandanten, Fels von Dornheim, der ein gutes Einverständnis zwischen Bürgerschaft und Besatzung wahrte, sodass die Soldaten sich genügender Verpflegung erfreuten; das Belagerungsheer dagegen begann allmählich Not zu leiden und über Untätigkeit und ausbleibenden Sold zu murren. Die Direktoren schickten noch immer kein Geld, sondern ermahnten Mansfeld von Zeit zu Zeit, sich entscheidender Aktionen, durch welche Pilsen einigermaßen in extremis versetzt würde, zu enthalten, denn der Kaiser möchte eine ernstliche Gefährdung der ihm ergebenen Stadt als rebellisch und unrespektierlich empfinden. Einmal erhielt er sogar Befehl, die Belagerung aufzuheben, und zog wirklich ab, jedoch um zurückzukehren, als bald hernach ein Gegenbefehl eintraf.
Fels von Dornheim hatte eine einzige Tochter, die mit einem Obersten verheiratet war und die er herzlich liebte. Diese kam eines Tages zu ihm und klagte über ihren Mann, dass er sie, seit sie in Pilsen wären, vernachlässige und übel behandle, dass er ein Liebesverhältnis mit einer von den Klosterfrauen angeknüpft habe, die vor den Mansfeldischen in die Stadt geflüchtet wären und sich hier die Zeit mit weltlichen Händeln vertrieben.
Dornheim streichelte zuerst das liebe Gesicht der Frau, die ihm glich, und tröstete sie ein wenig zögernd damit, dass das nun leider einmal die Weise der Männer sei und dass er sich am ersten wieder zu ihr und ihren Kindern finden würde, wenn sie geduldig zuwarte. Das habe sie wochenlang getan, entgegnete sie, ihr Lohn sei aber gewesen, dass er sie ins Gesicht geschlagen hätte, als sie ihm zum ersten Mal seine Untreue in gelinden Worten vorgehalten habe. Ihre schönumsäumten Augen flammten schwarz vor Zorn und Scham; lieber, sagte sie, als solche Schmach ferner zu ertragen, wolle sie mit ihren Kindern an der Hand ins Elend wandern. Der Kommandant ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, während er mehrmals zornig hervorstieß: »Das ist zu viel! das erleidet kein Dornheim!« Dann legte er den dunklen Kopf der Tochter an seine Brust und sagte beschwichtigend, er wolle ihren Mann zur Vernunft bringen, sie solle ihm vertrauen; solange er lebe, solle sein Kind nicht wie ein Bauernweib geschlagen werden oder ins Elend wandern. Sie lächelte unter Tränen zu ihm auf, und ihr Blick verweilte zärtlich auf der festen, breiten Gestalt des Vaters und auf seinem blühenden, rotbraunen Gesicht, aus dem die Augen so herzlich und sicher heraussehen konnten.
Die Unterredung mit dem Schwiegersohn, die den Kommandanten nicht wenig beunruhigte, verlief bequemer, als er gedacht hatte, und ziemlich zufriedenstellend; wenigstens versprach er, der vor Dornheim viel mehr Angst hatte, als dieser ahnte, Besserung in jeder Hinsicht, das schuldige Verhältnis mit der Verführerin, an der er kein gutes Haar ließ, abzubrechen und seine Frau mit gebührender Rücksicht zu behandeln. Eine Versöhnung wurde zuwege gebracht, bei der der Mann weinte und schluchzte und die junge Frau blass und verschlossen dreinschaute. In seiner Freude lud Dornheim den Schwiegersohn und einige andere Offiziere auf den Abend zu einem Bankett ein und trank mehr als gewöhnlich, während er sich sonst, namentlich während der Dienstzeit, eher durch Mäßigkeit auszeichnete. Doch war er besonnen genug, um Mitternacht die Tafel aufzuheben; vor dem Zubettgehen, sagte er, wolle er noch eine Runde um den Wall machen; er fühle sich wach und nüchtern, als sei er eben aufgestanden, setzte er fröhlich hinzu, indem er seine kräftige Gestalt reckte. Von einigen Fackelträgern begleitet, traten sie den Rundgang an, bei dem Dornheim ziemlich festen Fußes voraufging, während die anderen, berauscht und schläfrig, ihm nachstolperten. Sie waren bei dem sogenannten Badehause angekommen, das ein Hauptziel der Belagerer war, als Dornheim stillstand, weil er ein Geräusch gehört zu haben glaubte; es rührte von einem Arkebusier bei den Mansfeldischen her, der auf dem Bauche bis an den Stadtgraben gekrochen war in der Hoffnung, etwa Gelegenheit zu einer kühnen Tat zu finden. In dem Augenblick, wo Dornheim, einem der begleitenden Soldaten die Fackel aus der Hand nehmend, sich zum Graben hinunterbeugte, legte der versteckte Schütze an und traf den feindlichen Kommandanten so gut ins Herz, dass er, nur noch einen einzigen Seufzer ausstoßend, tot vornüber in die Tiefe stürzte.
Sein Schwiegersohn wurde sein Nachfolger; allein unter seinem launischen Regiment, denn er ließ bequemer Nachsicht unvermittelt bösartige Härte folgen, wurde die Mannszucht der Besatzung locker, die Einwohnerschaft ihrer überdrüssig, und die Verteidigung fing an, dem Feinde allerlei Blößen zu zeigen. Da nun auch endlich von Prag aus Mahnungen an Mansfeld kamen, er solle Ernst gebrauchen, schritt er zum Sturme und konnte in der Frühe des 22. November als Sieger in die eroberte Stadt einziehen.
Vor Pilsen erkrankte einer der reichsten böhmischen Standesherren, Albrecht Johann Smirsitzky, und starb in seinem Hause in Prag, wohin er sich hatte bringen lassen. Er war mit der Prinzessin Amalie von Hanau, einer Enkelin Wilhelms I. von Oranien, verlobt gewesen, die den Bräutigam tief betrauerte und ihr Bild an einer Kette nach Prag schickte, damit es zu ihm in den Sarg gelegt werde. Der junge Mann, der ein wildes und liederliches Leben geführt hatte, war in ihren Augen ein Glaubensheld, da er sich bei der Defenestration der katholischen Räte als einer der Eifrigsten mit eigener Hand beteiligt hatte, und sie hielt sein Andenken heilig. Noch bevor ein Jahr verflossen war, heiratete sie den nunmehr ältesten Sohn des Landgrafen von Hessen-Kassel, Wilhelm, dem sie zwar nicht an Bildung, aber an Gesundheit und Tatkraft überlegen war und der sich ihr mit ganzem Herzen hingab.