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1. Die Straflosigkeit der Selbsttötung

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Der Grundsatz des absoluten Lebensschutzes (s.o. Rn. 5 ff.) umfasst nicht den Schutz gegen den Inhaber des Lebens selbst: die Selbsttötung[40] ist straflos.

Die Selbsttötung wird ursprünglich nicht als Tötungsdelikt, sondern als Verletzung besonderer Pflichten gegen die Gemeinschaft betrachtet; so in Rom, wo sie nur gestraft wird, wenn von Soldaten begangen, oder nach altdeutschem Recht, das die Hinterziehung einer verwirkten Strafe durch Selbsttötung mit schändender Symbolstrafe ahndete. Später wird die Selbsttötung mit dem Teufelsglauben in Verbindung gebracht: daher Verbrennung der Leiche oder ihre Versenkung im Sumpf. Zum Tötungsdelikt wandelt sich die Selbsttötung erst unter kirchlichem Einfluss. Ausgangspunkt ist die absolute Formulierung des Gebots „Du sollst nicht töten“ gegenüber dem Gebot „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten“. Art. 135 PGO spricht von „Straff eygener tötdung“, begnügt sich aber damit, bei der Selbsttötung von Angeklagten die drohende Vermögenskonfiskation auf die Erben zu erstrecken. Im 17. Jhndt. wird der nun sog. „Selbstmord“ mit unehrlichem Begräbnis, der Versuch mit Arbiträrstrafe bedroht; so auch noch teilweise im 18. Jhdt. (insbesondere nach § 123 Josephina 1787). Die Abolitionsbewegung setzt Mitte des 18. Jhdts. ein, in Preußen seit 1751, doch sieht das Allgemeine Landrecht noch außerstrafrechtliche Rechtsschmälerungen vor; auch bestraft es die Strafhinterziehung durch „Selbstmord“ (II, 20, §§ 803–805). Mit dem Beginn des 19. Jhndt. setzt sich in Deutschland die strafrechtliche Indifferenz der Selbsttötung allgemein durch[41].

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Die Häufigkeit der Selbsttötung zeigt in Europa ein deutliches Ost-West-Gefälle. In Deutschland geht sie nach einem Höhepunkt 1977 (19 729) laufend zurück (2013 10 076). Bei Männern erfolgt eine Selbsttötung rd. dreimal so häufig wie bei Frauen[42]. Dazu kommen über 100 000 Selbsttötungsversuche.

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Z.T. wird angenommen, dass auch die Selbsttötung die Tatbestände der §§ 211 f. StGB erfüllt („einen Menschen“) und nur entschuldigt ist[43]. Die Straflosigkeit der Selbsttötung folgt jedoch aus dem Zusammenhang des Gesetzes (§ 216) und dem historischen Willen des Gesetzgebers (Goltd. Mat. II 363) und wird von der Rechtsprechung ständig bejaht[44].

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Das Recht, einem für sinnlos und unerträglich gehaltenen Leben zu entfliehen, entspricht sogar der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 1, 2 GG[45]. Demgegenüber anerkennt die h.L. nur einen rechtsfreien Raum[46].

Anmerkungen

[40]

Der Begriff Selbstmord entspricht nicht mehr der geltenden Definition des Mordes und wertet das Verhalten daher unzutreffend. Reichlich akademisch das Fremdwort „Suizid“.

[41]

Eingehend zur Geschichte und Rechtsvergleichung Simson, Die Suizidtat, 1976; Rehbach DRiZ 86, 241.

[42]

www.suizidprophylaxe.de/Suizidstatistik.pdf.

[43]

Schmidhäuser FS Welzel 801 ff.; Klinkenberg JR 78, 441 und 79, 183; abwegig Bringewat ZStW 87, 645 ff.; s. auch Hoerster NJW 86, 1788.

[44]

RG 70, 315 – sogar während der Geltung der Analogievorschrift! –; BGH 2, 152 und zuletzt 32, 371; näher Schroeder ZStW 106, 565.

[45]

Vgl. Wagner aaO 90 ff.; Bottke aaO 42 f.; Ostendorf aaO 77 ff.; Muschke aaO 56 ff., 91 ff.; Günzel aaO 79 ff.; Dreier JZ 07, 319. Abwegig Fink aaO: Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG; a.A. Otto DJT 11 ff.; VG Karlsruhe NJW 88, 1536 m.abl.Anm. Herzberg JZ 88, 188.

[46]

La/Kühl Vor § 211 9; weit. Nachw. bei Ostendorf aaO 84. – Nach BGH 46, 279, 285 sogar rechtswidrig und lediglich straflos (dagegen mit Recht Anm. Duttge NStZ 01, 546 und Sternberg-Lieben JZ 02, 153).

2. Die Straflosigkeit der Beteiligung an der Selbsttötung

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Damit ist auch die Teilnahme an der Selbsttötung eines anderen (Beihilfe, aber auch Anstiftung) grundsätzlich straflos. Dies gilt auch dann, wenn der den Freitod des anderen Veranlassende oder Fördernde im Verhältnis zum Selbsttöter eine Lebensgarantenstellung innehat, denn auch in diesem Falle ist die Selbsttötung „tatbestandslos“, sodass eine Teilnahmemöglichkeit nicht besteht, und die „Freiheit“ des Selbsttöters schließt auch beim Bestehen einer Garantenstellung die Möglichkeit mittelbarer Täterschaft des anderen aus[47].

Ihre Grenze findet aber die Mitwirkung an fremder Selbsttötung dort, wo nicht mehr von einem „Freitod“, einer Eigenverantwortlichkeit des Selbsttöters gesprochen werden kann. Ist dies der Fall, so tritt in der Regel – bei Tatherrschaft des zur Tat drängenden Hintermannes – mittelbare Täterschaft ein, während Beihilfeakte ohne Tatherrschaft wie auch beim echten Freitod straflos bleiben (RG 70, 315). Selbstverständlich liegt keine straflose Selbsttötungsanstiftung, sondern Tötung vor, wenn ein Ahnungsloser veranlasst wird, die tödliche Starkstromleitung zu berühren, oder wenn der Hintermann die Selbsttötung unter den Voraussetzungen des § 35 erzwingt (OGH 2, 7). Auch wenn ein Schuldunfähiger oder ein Kind zur Selbsttötung überredet wird, ist mittelbare Täterschaft gegeben. Die Grenzen zwischen strafloser Teilnahme und strafbarer mittelbarer Täterschaft verschieben sich hierbei – entsprechend dem Täter hinter dem Täter beim Handeln des Werkzeugs im Grenzbereich der Entschuldigungsgründe – zuungunsten des Hintermannes[48]. Die moderne Suizidforschung zeigt einen hohen Anteil von Geisteskrankheit, Depressionen, Neurosen und Suchtkrankheiten als Ursachen von Selbsttötungen auf[49]. Mittelbare Täterschaft ist insbesondere gegeben, wenn der die Selbsttötung Veranlassende die psychologische Verzweiflungslage des Opfers selbst herbeigeführt hat (Welzel ZStW 58, 544) oder wenn er unter Hervorrufung eines Motivirrtums beim Selbsttöter (Vorspiegelung einer schweren Krankheit; Behauptung, dem anderen in den Tod folgen zu wollen) diesen zur Tat bestimmt[50]. Die seit einiger Zeit um sich greifende Ansicht, die die Grenzen zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme an der Selbsttötung nach den bei § 216 geltenden Anforderungen an die Einwilligung bestimmen will, dürfte dieser Auffassung nahekommen[51].

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Die Abgrenzung zwischen Beihilfe und Täterschaft erfolgt nach allgemeinen Regeln; eine nur materielle Mittäterschaft mit dem Lebensmüden reicht nicht aus[52].

Besondere Probleme bietet die einseitig fehlgeschlagene Doppelselbsttötung. An einer Problematik fehlt es natürlich, wenn jeder der beiden Todentschlossenen selbst und für sich allein die Bedingung zu seinem Tode setzt, mag auch der andere (z.B. durch Besorgung des Giftes) ihm dabei geholfen haben; in diesem Falle bewendet es bei den allgemeinen Regeln über die Straflosigkeit der Beihilfe zu fremdem Freitod. Anders, wenn der eine der Beteiligten auf Verlangen des anderen die Todesbedingungen gleichzeitig für beide setzt (z.B. durch Aufdrehen des Gashahnes) oder sie nacheinander eintreten lässt, wobei der Erfolg am Handelnden selbst ausbleibt: der die Ursache Setzende bleibt am Leben, weil er gegenüber dem Gas widerstandsfähiger war oder weil ihm nachträglich der Mut zur Tat entfällt.

Dass in solchen Fällen das Strafbedürfnis minimal ist, steht außer Streit. Gleichwohl ist der Meinungsstand überaus kontrovers. Zu einem Freispruch des Überlebenden mangels eigenen Täterwillens – es liegt vielmehr Unterordnung unter den Willen des Opfers vor – würde allein die extrem subjektive Teilnahmetheorie führen. Merkwürdigerweise hält sich die Rechtsprechung – trotz Neubelebung dieser Theorie durch das Staschynskij-Urteil (BGH 18, 87 gegen BGH 8, 393) – bei ihrer Übertragung auf die Doppelselbsttötung sehr zurück: BGH 19, 135 und BGH MDR/D 66, 382 stellen auf die Tatherrschaft des Überlebenden ab, nähern sich damit der materiell-objektiven Theorie und strafen aus § 216. Das Schrifttum sucht nach Differenzierungsmaßstäben. Nach Dreher MDR 64, 337 soll der Überlebende als bloßer Selbsttötungsgehilfe straflos bleiben, wenn der andere Teil an der Tat aktiv mitgewirkt hat, andernfalls (bei Beschränkung auf Anstiftung zur Setzung der Todesursache) soll Haftung des Überlebenden nach § 216 eintreten. Andere wollen straflose Selbsttötungsbeihilfe des Überlebenden annehmen, wenn das Opfer nach Setzung der entscheidenden Ursache durch den Überlebenden (z.B. Aufdrehen des Gashahnes) noch freie Entscheidungsmöglichkeit über Tod und Leben gehabt hat[53]. Die Ausweichmöglichkeit nach der Handlung kann jedoch ebenso wenig beachtlich sein wie die vor oder während der Handlung. Bei nur technisch bedingter Auswahl des Handelnden (Betätigung des Gaspedals) scheidet jedoch eine Täterschaft aus (Schroeder ZStW 106, 579; Sinn SK § 216 13). Zu restriktiv und kaum beweisbar das Kriterium von Sinn SK § 212 13, § 216 11; Arzt/Weber/H/H § 3 40: Anwendbarkeit des § 216 nur, wenn das Opfer die Selbsttötung scheute.

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Die Straflosigkeit der Teilnahme an der Selbsttötung muss trotz des dort geltenden Einheitstäterbegriffs auch für eine fahrlässige Teilnahme gelten[54]. Für die Beteiligung an einer Selbstgefährdung (insbesondere durch Betäubungsmittelmissbrauch) hat dies erst nach einer Reihe zweifelhafter Entscheidungen BGH 32, 262 klargestellt[55]. Aber auch jetzt noch bejaht der BGH eine Haftung bei Garantenstellung (JR 79, 429 m. abl. Anm. Hirsch), sogar eine Garantenstellung durch die Beteiligung[56]. In zwei Fällen der täuschenden Veranlassung seiner Tötung durch einen Lebensmüden hat die Rechtsprechung fahrlässige Tötung durch das Werkzeug bejaht (BGH NStZ 03, 537, OLG Nürnberg JZ 03, 745[57]).

Die Mitwirkung von Ärzten an der Selbsttötung widerspricht zwar nicht mehr dem ärztlichen Ethos, ist aber immerhin „keine ärztliche Aufgabe“ (Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 2004 DÄBl. 108, S. A 346). Hiermit darf jedoch die Straffreiheit dieses Verhaltens nicht ausgehebelt werden[58].

23

Der Unterstützung der Selbsttötung durch die Schweizer Organisationen Dignitas und Exit, nach der Kündigung ihrer Gebäude z.T. in Wohnwagen auf Parkplätzen[59], begegnete die Rechtsprechung zunächst durch eine Verurteilung wegen unzulässiger Überlassung von Betäubungsmitteln (BGH 46, 279).

Nach langen Kontroversen und mehreren Entwürfen (Schöch FS Kühl 585 ff.) wurde durch Gesetz vom 3.12.2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe gestellt (§ 217 StGB). Diese Regelung ist gesetzestechnisch perfekt: strafbar ist die geschäftsmäßige Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung einer Gelegenheit zur Selbsttötung. Die Regelung lässt keine Lücke; darunter fällt schon die Überlassung zur Selbsttötung geeigneter Tabletten. Ein Erfolg ist nicht erforderlich (BT-Drucks. 18/5373 S. 19); strafbar ist also nicht nur die vollendete, sondern schon die versuchte Beihilfe zur Selbsttötung. Die erforderliche „Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern“ kann kaum einschränkend wirken, da sie sich nicht auf die Selbsttötung zu beziehen braucht; hinsichtlich ihrer genügt bedingter Vorsatz (BT-Drucks. 18/5373 S. 19).

Die Regelung greift in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG ein; die Beschränkung dieses Grundrechts ist nicht verhältnismäßig[60]. Mehrere Verfassungsbeschwerden sind anhängig. Die Regelung verstößt auch gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK in der Auslegung durch den EGMR (NJW 02. 2851; 11, 3773; 13, 2953[61]).

Angesichts dieser uferlosen Weite erhält das Erfordernis der Geschäftsmäßigkeit wesentliche Bedeutung. Geschäftsmäßigkeit ist erst gegeben, wenn jemand beabsichtigt, die Suizidbeihilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit zu machen[62]. Dies ist nicht schon bei einer wiederholten Tat anzunehmen; angesichts der Weigerung vieler Ärzte zu entsprechenden Tätigkeiten ist mit der Konzentrierung entsprechender Hilfsersuchen bei zur Tat bereiten Personen zu rechnen. Der Gesetzgeber wollte eine „regelmäßig wiederkehrende oder serielle Unterstützung“, „regelmäßige Angebote“ und „eine Normalität suggerierende Angebote“ verhindern; straflos soll es bleiben, wenn „im Einzelfall nach sorgfältiger Überlegung und unter strikter Orientierung an der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung zu einer Selbsttötung Beihilfe geleistet wird“[63].

Rechtsvergleichung in ZStW Bd. 128, 24 ff.

Anmerkungen

[47]

OLG München NJW 87, 2942 m. zahlr. Nachw. A.A. Exner Frank-Festgabe 1930 I 596; Geilen JZ 74, 153; Schilling JZ 79, 159 ff.; Herzberg JA 85, 344 und JZ 88, 182; Kutzer NStZ 94, 112.

[48]

Schroeder Täter 90 ff., 129 f. Zust. Jähnke LK11 Vor § 211 Rn. 29.

[49]

Nachw. bei Rosenau LK Vor § 211 Rn. 104.

[50]

BGH GA 84, 95; 86, 508 m. Anm. Charalambakis 485; Brandts/Schlehofer JZ 87, 442; Neumann JA 87, 244. Kaum glaublicher Fall BGH 32, 38 m. Anm. Roxin NStZ 84, 71; Schmidhäuser JZ 84, 195; Sippel NStZ 84, 357; Neumann JuS 85, 677; T. Hermann ZfL 03, 110.

[51]

Geilen JZ 74, 151; Herzberg, Täterschaft u. Teiln., 1977, 40; Sinn SK § 212 15; Jähnke LK11 Vor § 211 26; i.Erg. auch Schilling JZ 79, 167. Eingehende Darstellung der Unterschiede bei Dölling FS Maiwald 119.

[52]

Roxin NStZ 87, 347; Herzberg JuS 88, 775. Für Abgrenzung nach der Eigenverantwortung auch hier Neumann JA 87, 244 ff.; Hohmann/König NStZ 89, 304 ff., nach der Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt Roxin NStZ 87, 348 mit bedenklicher Ausweitung der straflosen Beihilfe. Dagegen Herzberg JuS 88, 771; Schroeder ZStW 106, 570, 579.

[53]

Eser/Sternberg-Lieben S/S § 216 11, W/Hettinger 164, Pähler MDR 64, 647 und Roxin 140 Jahre GA, 185. Kritisch Merkel aaO 79 f.

[54]

Bockelmann ZStW 66, 117; Heinitz JR 55, 105; Grünwald GA 59, 121; Gallas JZ 60, 649, 690; BGH 24, 342; Roxin FS Gallas 245; van Els NJW 72, 1476; Welp JR 72, 427; Wagner aaO 31 ff.; Geilen JZ 74, 145 (m. zutr. Beschränkung auf bloße Förderungshandlungen); Schroeder LK11 § 16 183; Herzberg JuS 75, 175; Spendel JuS 74, 749. A.A. Schmidhäuser FS Welzel 821 f.; Kohlhaas JR 73, 53 (dessen Gegenbeispiele jedoch nur „unfreie“ Selbsttöter betreffen). Zu weitgehend Roxin FS Gallas 245 f., wonach auch die fahrlässige Herbeiführung einer „unfreien“ Selbsttötung straflos sein soll.

[55]

Anm. Roxin NStZ 84, 411; weiterführend BGH NStZ 87, 406.

[56]

BGH NStZ 84, 452; 85, 319 m. Anm. Roxin; hierzu auch Dölling GA 84, 71.

[57]

Nach Engländer JZ aaO und Jura 04, 234; Herzberg NStZ 04, 1 und Jura 04, 670; Küpper JuS 04, 757; Jäger FS Schünemann 423 ff. straflose Teilnahme an der Selbsttötung. Dagegen Roxin FS Otto 07, 441.

[58]

Bedenklich BGH 32, 378 (Wittig-Urteil, s.a. u. Rn. 25). Bedenklich auch § 4 AE Sterbebegleitung (GA 05, 586), nach welchem ein Arzt bei tödlich Kranken zur Abwendung eines unerträglichen und unheilbaren Leidens Beihilfe zur Selbsttötung leisten darf. Nach der Begründung soll dies zwar nur eine Klarstellung sein (GA 05, 581), doch wird damit argumento e contrario eine ärztliche Mitwirkung außerhalb dieser Voraussetzungen in den Anschein der Strafbarkeit gerückt.

[59]

Nachw. zur Praxis in GA 05, 581.

[60]

Salinger aaO 161 ff.; Gaede JuS 16, 387; Hecker GA 16, 471; Grünewald JZ 16, 185; Roxin NStZ 16, 185. Auf die neue Vorschrift hat sich die deutsche Strafrechtswissenschaft mit ihrer seit Längerem gewohnten Überkapazität gestürzt. Schon die mehrfachen Entwürfe zu dem Gesetz wurden eingehend erörtert. Teilübersicht bei Hecker GA 16, 456 und La/Kühl § 217.

[61]

Eingehend Jacob Vorgänge 210/211, 2015, 79.

[62]

Sternberg-Lieben/Bosch S/S Vor §§ 52 ff. 97; BayObLG NStZ 81, 29.

[63]

BT-Drucks. 18/5373, S. 11, 12, 13, 18.

3. Die Nichthinderung fremder Selbsttötung

24

Die Nichthinderung fremder Selbsttötung ist – unbeschadet einer Haftung nach § 323c (vgl. hierzu Tlbd. 2, § 55) – nach den Grundsätzen zu beurteilen, die für das in mittelbarer Täterschaft begangene Unterlassungsdelikt gelten. Danach entfällt eine Haftung nach Tötungsgrundsätzen zunächst dann, wenn der die Rettung des Selbsttöters Unterlassende diesem gegenüber durch keinerlei Garantenpflicht verbunden war. Bestanden derartige Pflichten, ist die Beurteilung nicht einheitlich. Wer auch in diesem Falle die Haftung des Unterlassenden nach Teilnahmegrundsätzen konstruieren will, muss aufgrund dieser „akzessorischen“ Betrachtung mangels Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung stets zu einer Straflosigkeit des Unterlassenden gelangen; wer das Problem auf der Ebene eigener Täterschaft des Unterlassenden lösen will und hierbei dem extensiven Täterbegriff den Vorzug gibt, muss regelmäßig die Erfüllung des Tatbestandes der §§ 211 ff. durch den Unterlassenden bejahen. Die richtige Lösung kann auch hier nur mithilfe des Grundsatzes der objektiven Tatherrschaft gefunden werden; im Falle eines echten Freitodes wird dem pflichtgebundenen Unterlassenden eine derartige Tatherrschaft in aller Regel abzusprechen sein, sodass seine Haftung für den Tod des anderen entfällt[64].

25

Dieser Grundsatz darf auch nicht dadurch wieder aufgehoben werden, dass man den Garanten wegen seiner nach dem Eintritt der Handlungsunfähigkeit des Selbsttöters eintretenden Tatherrschaft (z.B. der Selbsttöter wird in der Schlinge ohnmächtig, lässt aber noch Lebenszeichen erkennen) nachträglich doch noch haften lässt[65]. Da bei dem Selbsttöter eine actio libera in causa vorliegt, ist eine Tatherrschaft des Garanten nicht möglich[66]. Noch 1983 hat BGH 32, 367 sogar ausdrückliche Anweisungen des Selbsttöters für den Fall seiner Auffindung für unbeachtlich erklärt und eine Straflosigkeit nur bei im Falle der Rettung zu erwartenden schweren Dauerschäden zugelassen[67]. Seitdem lässt die Rechtsprechung jedoch den gebotenen Wandel erkennen[68].

26

Unproblematisch ist auch im Falle der Nichthinderung der Selbsttötung die eigene Täterschaft des Unterlassenden dann, wenn es an den Voraussetzungen eines echten Freitodes fehlt (vgl. o. Rn. 20).

So mit Recht schon RG 7, 332: Verurteilung eines Irrenwärters wegen fahrlässiger Tötung einer an Selbsttötungsmanie leidenden Patientin, begangen durch Verletzung der Aufsichtspflicht. Fälle einer unfreien Selbsttötung dürften wesentlich häufiger sein als üblicherweise angenommen[69]; auch hier tritt eine Verschiebung der Grenzen zwischen Teilnahme und Täterschaft zuungunsten des Garanten ein.

27

Die Verhinderung eines echten Freitodes ist nicht nur nicht strafrechtlich geboten, sondern kann ihrerseits eine strafbare Nötigung oder Körperverletzung darstellen[70]. Häufig wird allerdings die Annahme der Unfreiheit und damit eines Rechtfertigungsgrundes vorliegen. Für die Polizei bestehen z.T. ausdrückliche Ermächtigungen.

28

Für Selbsttötungsversuche in Straf- und Untersuchungshaftanstalten gelten die §§ 101, 178 StVollzG und die entsprechenden Bestimmungen der Bundesländer[71].

Anmerkungen

[64]

BGH 13, 162 unter teilweiser Aufgabe von BGH 2, 150; BGH NStZ 83, 117; OLG Düsseldorf NJW 73, 2215 m. Anm. Geilen 74, 570; Niese JZ 53, 175; Kielwein GA 55, 227; Welzel § 38 I 1; Heinitz JR 54, 405 und 55, 105; Sternberg-Lieben S/S 39 ff. Vor § 211; Schroeder Täter 107; Roxin FS Dreher 349. A.M. im Falle fahrlässigen Handelns des Unterlassenden BGH JR 55, 104.

[65]

Gallas JZ 60, 688 unter Aufgabe seiner Auffassung in JZ 52, 372; Sternberg/Lieben S/S 39 Vor § 211; Friebe GA 59, 166; Grünwald GA 59, 119; Heinitz JR 54, 405; 55, 105; 61, 29; Dreher JR 67, 269.

[66]

Schroeder Täter 176 f. A.M. BGH 2, 150; BGH NJW 60, 1821 (übrigens ein Urteil, das schon eindeutig gegen die subjektive Teilnahmetheorie spricht: die Verurteilung wird auf das Vorliegen der objektiven Tatherrschaft beim Garanten gestützt); für den hinzugezogenen Arzt auch BayObLG NJW 73, 565; Bringewat NJW 73, 543; Geilen JZ 73, 320.

[67]

Urteil gegen Dr. Wittig. Abl. Eser MedR 85, 7; Schmitt JZ 84, 866 und 85, 367; Gropp NStZ 85, 97; Kraatz JR 17, 299.

[68]

OLG München NJW 87, 2943; BGH NStZ 88, 127. Zust. Kutzer MDR 85, 710. S.a. § 215 AE Sterbehilfe mit Kontroverse Herzberg, Baumann, Schmitt JZ 86, 1021 ff.; 87, 131 ff., 400 ff.; 88, 185. Rückfall dagegen bei OLG Hamburg NStZ 16, 530 m. abl. Anm. Miebach und Kraatz JR 17, 299.

[69]

K. Thomas, Menschen vor dem Abgrund, 1970, 33, 138; Geilen JZ 73, 320; 74, 145; NJW 74, 572; weit. Nachw. bei Rosenau LK Vor § 211 98 ff.

[70]

Arth. Kaufmann ZStW 73, 368; Wagner aaO 130 ff. A.A. Bottke aaO 127 und JA 82, 356 sowie Arzt/Weber/H/H § 3 47, die regelmäßig § 34 StGB bejahen.

[71]

Zu dem durch den Hungerstreik der Baader-Meinhof-Gruppe und den Tod des Häftlings Holger Meins hochgespielten, aber praktisch auch sonst nicht unbedeutenden (Weis ZRP 75, 83) Problem s. Wagner aaO 138 ff.; Geppert, Freiheit und Zwang im Strafvollzug, 1976 und Jura 82, 177; Herzberg ZStW 91, 557 ff.; Baumann ZRP 78, 35; Bottke aaO 201 ff.; Ostendorf aaO; Nöldeke/Weichbrodt NStZ 81, 281; Bemmann FS Klug 1983, 563; Tröndle FS Kleinknecht 1985, 411; OLG Koblenz NJW 77, 1461 m. Anm. Wagner JR 77, 473.