Czytaj książkę: «Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1», strona 17

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1. Beginn der Schwangerschaft

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Die moderne Antikonzeptionsforschung hat ermittelt, dass das weibliche Ei nach Vereinigung mit der männlichen Samenzelle noch den Prozess der Einnistung in die Gebärmutter (Nidation) durchläuft, der etwa mit dem 13. Tage nach der Empfängnis abgeschlossen wird. Demgemäß wurden neue Antikonzeptionsmittel entwickelt, mit denen die Nidation verhindert wird („Pille danach“, Intrauterinpessar = „Spirale“[10]). Da die Nidation von Natur aus nur in etwa 50 % aller Fälle erfolgt, hatte sich schon zum bisherigen Recht die Auffassung gebildet, dass unter der von §§ 218 ff. geschützten „Leibesfrucht“ nur das eingenistete befruchtete Ei zu verstehen war[11].

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Die häufige Begründung mit der Möglichkeit der Mehrlingsbildung und damit der fehlenden Individuation vor der Nidation ist dagegen verfehlt, da die Potenz zur Lebensvermehrung nicht zu einer Einschränkung des Schutzes führen darf (Lüttger JR 69, 451).

Für den „Schwangerschaftsabbruch“ gilt dies schon vom Begriff her. Gleichwohl stellt § 218 Abs. 1 S. 2 es noch einmal ausdrücklich fest[12]. Diese Festlegung gilt für alle im StGB enthaltenen Vorschriften, also insbesondere auch die §§ 218b, 219a, 219b.

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Während § 218 i.d.F. des 5. StrRG eine formale Bestimmung vorgesehen hatte („später als am dreizehnten Tage nach der Empfängnis“), stellt § 218 Abs. 1 S. 2 auf das materielle Ereignis der Einnistung ab. Aus dieser scheinbar bedeutungslosen (SA-Berat. 7/2433) Änderung ergeben sich wichtige Folgen: 1. Die Verwendung ausschließlich nidationshemmender Mittel ist straflos, auch wenn die Wirkung ausnahmsweise nach dem 13. Tag der Empfängnis eintritt[13]. 2. Die Anwendung von Mitteln zur Abtötung der eingenisteten Leibesfrucht ist strafbar, auch wenn sie ausnahmsweise vor dem 13. Tag nach der Empfängnis wirksam wird; andernfalls liegt immerhin ein strafbarer Versuch vor. Wichtig ist dies für die Anwendung von „allround“-Mitteln, insbesondere die Ausschabung. Wird allerdings ein solches Mittel nur mangels anderer Mittel und in der Hoffnung auf eine noch nicht erfolgte Einnistung angewendet, so fehlt es am erforderlichen Vorsatz. 3. Extrauterine Schwangerschaften fallen gar nicht erst unter die Tatbestände, sodass ihre Beseitigung keiner Rechtfertigung bedarf[14].

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Daneben wird unglücklicherweise nach wie vor auf den Begriff der Empfängnis abgestellt (§§ 218a Abs. 1, 3, 4). Dies ist sehr misslich, weil vielfach versucht worden ist, den Begriff der Empfängnis mit dem der Einnistung zur Deckung zu bringen, so dass auch die Nidationshemmung unter den Begriff der „Empfängnisverhütung“ fällt (s. bes. Harmsen aaO). Wegen der Übernahme aus dem 5. StrRG wird man hier den Begriff Empfängnis im klassischen Sinn, d.h. als Vereinigung von Ei und Samenzelle (Konjugation, Befruchtung), zu verstehen haben[15].

Da beide Termine im Wesentlichen auf Durchschnittsberechnungen beruhen und konkret kaum feststellbar sind (vgl. SA-Berat. VI/2177), wird überwiegend in dubio pro reo zu entscheiden sein und allenfalls ein Versuch angenommen werden können.

Anmerkungen

[10]

Die modernen Spiralen inaktivieren durch ihren Kupfergehalt bereits die aufsteigenden Spermien und verhindern so die Entstehung befruchteter Eizellen.

[11]

5. Aufl. S. 55, 66.

[12]

A.A. Sönnecken, Die Nidation als Zäsur im Rechtsschutz menschlichen Lebens (Diss. Münster), 2002, S. 83 ff.: Tatbestandsausschluß.

[13]

Für die Schutzwürdigkeit des vornidativen Lebens Eberbach JR 89, 267 u. ZRP 90, 217; Schlingensiepen-Brysch ZRP 92, 422; BVerfGE 88, 251.

[14]

S. auch Lüttger FS Sarstedt 1981, 169.

[15]

Die Literatur definiert diesen Begriff nicht, sondern führt allenfalls aus, dass die Nidation mit dem 13. Tag nach der Empfängnis abgeschlossen ist (La/Kühl § 218 8; Eser/Weißer S/S § 218 9 ff.).

2. Ende der Schwangerschaft

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Die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs endet, wenn sich der Mensch „in der Geburt“ i.S. des § 217 a.F. StGB befindet (s.o. § 1 Rn. 8). Außerhalb des Rechts zum Schwangerschaftsabbruch bleibt daher die sog. Perforation, d.h. die Tötung des Kindes nach Einsetzen der Geburtswehen, weil das Kind nicht auf normalem Wege zur Welt gebracht werden kann und operative Methoden (Kaiserschnitt) unmöglich sind.

Der die Straflosigkeit bestimmende Art. 2 der 4. AVO zum ErbgesundheitsG vom 18.7.35 wurde durch das 5. StrRG aufgehoben. Die eine Straflosigkeit anordnenden §§ 157 E 1962, 104 AE, 219 i.d.F. des RegE 5. StrRG sind nicht Gesetz geworden. Obwohl hier zwei gleichwertige Güter kollidieren, ist die Tötung des Kindes, da die Gefahr von ihm ausgeht, analog § 228 BGB gerechtfertigt[16].

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Aus der Selbstständigkeit des Rechtsguts „werdendes Leben“ (s.o. Rn. 10) folgt, dass ein Hirntod der Schwangeren die Schwangerschaft nicht beendet („Erlanger Baby“)[17].

Anmerkungen

[16]

Schroeder JuS 80, 340; Roxin AT I § 16 Rn. 79 ff.; Erb MK § 34 Rn. 153. Vgl. auch La/Kühl § 34 9. rechtfertigende Pflichtenkollision. A.A. Zieschang LK § 34 74; Jäger ZStW 115, 773 ff. (Entfallen der Handlungspflicht, weil Unterlassungsdelikt). Eingehend Heimberger Frank-Fgabe 1930 I 397.

[17]

Hilgendorf JuS 93, 99 und NJW 96, 758; Beckmann MedR 93, 123; Kiesecker, Die Schwangerschaft einer Toten, 1996; Gruber bei Roxin/Schroth 175.

3. Sonstige Voraussetzungen

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Da der Schutz des werdenden auf den des fertigen Lebens bezogen ist (s.o. Rn. 8), gelten die Grenzen des Letzteren (s.o. § 1 Rn. 8 ff.) auch hier: Molen (krankhaft entartete Eier) und bereits im Mutterleibe abgestorbene oder hirnlose Embryonen und Föten scheiden aus, während die nicht lebensfähige Frucht ebenso Angriffsobjekt ist wie die voraussichtliche Missgeburt[18].

Anmerkungen

[18]

Beispiele bei Hiersche MedR 84, 215.

4. Tathandlung

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Tathandlung ist das „Abbrechen einer Schwangerschaft“. Dieser „wertneutrale“, besser: einseitige Ausdruck (s.o. § 5 Rn. 9) ist umfassend. Er umfasst nicht nur die Vernichtung des Embryos bzw. Fötus im Mutterleib, sondern auch die vorfristige Loslösung des – im Übrigen unbeschädigten – Embryos bzw. Fötus aus dem Mutterleib[19]. Die künstliche Einleitung einer Geburt stellt allerdings keinen „Abbruch“, sondern eine Beendigung der Schwangerschaft dar (BTD VI/3434 S. 13).

28

Unter den Tatbestand fallen auch Handlungen, infolge derer ein nicht lebensfähiges Kind geboren wird (BGH 10, 5, 293; 13, 24). Wird ein solches Kind vor seinem natürlichen Tod getötet, so tritt ein Tötungsdelikt hinzu, ggf. in natürlicher Handlungseinheit[20].

29

Die Mittel der Tatbegehung sind gleichgültig; erfasst wird sowohl die Vornahme nach den Regeln der ärztlichen Kunst (Kürettage, Vakuumpumpe, Injektionen, Einnahme von Medikamenten u.a.) als auch nach Art der „Engelmacher“ (Einspritzung von Seifenlauge, mechanische Zerstörungen). Strafbar ist auch das Unterlassen, insbesondere des Erzeugers, doch kann eine vorbeugende Anzeige nicht verlangt werden (Kröger MK Vor § 218 36). Die Schwangere ist durch ihre Mitwirkung aktive Mittäterin. Erforderlich ist Vorsatz; der fahrlässige Schwangerschaftsabbruch, z.B. durch ärztliche Fehler, ist straflos.

Infolge der Eigenständigkeit des Rechtsguts werdendes Leben (s.o. Rn. 14) ist ein Abbruch der Schwangerschaft auch durch Tötung der Schwangeren[21] oder Körperverletzung (BGH NStZ 08, 393 m. Anm. Schroeder JR 08, 252) möglich. Das gleiche gilt für den Suizid und Suizidversuch der Schwangeren. Hier wird es zwar infolge des Todes der Mutter oder wegen § 218 Abs. 4 S. 2 überwiegend nicht zu einer Bestrafung der Mutter kommen; wichtig bleibt der Gedanke aber für andere Beteiligte.

Anmerkungen

[19]

Merkel NK § 218 44 ff.; Schroeder JR 08, 253. Nach Eser/Weißer S/S § 218 19 ff. und Fi § 218 6 nur Versuch.

[20]

BGH 10, 293; BGH GA 63, 157; a.A. Kröger LK § 218 13.

[21]

RG 67, 207; BGH 11, 15 m.abl.Anm. Jescheck JZ 58, 749; BGH NStZ 96, 276; Roxin JA 81, 543. A.A. Welzel § 41 6; Otto § 13 Rn. 66.

IV. Die Tatbestände des Schwangerschaftsabbruchs

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Die kumulativen Voraussetzungen für eine „Nichtverwirklichung des Tatbestandes des § 218“ nach § 218a Abs. 1 ergeben drei Verbote des Schwangerschaftsabbruchs. Gesetzestechnisch bleibt es allerdings auch bei der Verletzung mehrerer Verbote (Schwangerschaftsabbruch ohne Beratung oder nach 12 Monaten oder durch einen Nichtarzt) bei einem Schwangerschaftsabbruch nach § 218.

1. Schwangerschaftsabbruch durch Nichtärzte (§ 218 i.V.m. § 218a Abs. 1 Nr. 2)

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Verboten ist der Schwangerschaftsabbruch durch Nichtärzte, d.h. nicht in der Bundesrepublik approbierte Ärzte. Der Schutzzweck des Schutzes der Gesundheit der Schwangeren kommt durch die Zulassung von Nichtfachärzten nur unzulänglich zur Geltung, doch ist die lex artis zu beachten[22].

Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB bleibt möglich, wenn – z.B. auf einer Berghütte – kein Arzt verfügbar ist.

Anmerkungen

[22]

Eser/Weißer S/S § 218a 58; Rudolphi SK 22. A.A. Arzt § 5 Rn. 55, der jedoch §§ 223 ff. eingreifen lassen will. Differenzierend Gropp MK § 218a 26.

2. Der Abbruch nach zwölf Wochen seit der Empfängnis (§ 218 i.V.m. § 218a Abs. 1 Nr. 3)

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Strafbar ist ferner der Abbruch der Schwangerschaft nach zwölf Wochen seit der Empfängnis. Strafbar ist insbesondere auch die Vornahme durch einen Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Die Tat ist auch durch Unterlassen von Garanten begehbar, z.B. des Erzeugers, des Aufsichtspflichtigen für eine schuldunfähige Schwangere oder von Ärzten. Unter dieses Verbot fällt zunächst auch die Schwangere selbst; es wird jedoch durch § 218 Abs. 3 als lex specialis verdrängt (s.u. Rn. 54).

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a) Dass die Einwilligung der Schwangeren allein keine Rechtfertigung herbeiführen kann, ergibt sich aus der Eigenständigkeit des Rechtsguts „werdendes Leben“ (s.o. Rn. 14). Infrage kommt aber der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB.

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b) Allerdings ist dieser weitgehend in dem speziellen Rechtfertigungsgrund des § 218a Abs. 2 enthalten, der sog. medizinisch-sozialen Indikation (zur Entstehung s.o. § 5 Rn. 13). Der Abbruch muss erforderlich sein, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden.

Bei dem letzteren Merkmal zeigt ein Blick auf die lapidare Formulierung des § 223 („Schädigung an der Gesundheit“) eindrucksvoll die moderne Kunst der Aufweichung von Begriffen. Allerdings soll der Begriff „Gesundheitszustand“ nur Beeinträchtigungen der seelischen Gesundheit einbeziehen (BTD VI/3434 S. 20), sodass diese beiden Erweiterungen zusammenfallen. Aber die Begriffe sollen doch weitergehen als die „krankhafte seelische Störung“ nach §§ 20, 21; als Beispiel werden genannt psychoneurotische Persönlichkeitsverbiegungen, neurasthenische Entwicklungen mit ständigen Versagenserlebnissen und depressive Fehlentwicklungen (BTD VI 3434 S. 20). Von der Definition der Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation als „Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“ hat sich der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich distanziert (BTD VI/3434 S. 21). Auch muss die Beeinträchtigung des Gesundheitszustands schwerwiegend sein. Selbstmorddrohungen Schwangerer werden zwar überwiegend nicht verwirklicht, sodass insoweit eine Gefahr für das Leben nur selten, eine Gefahr für den „Gesundheitszustand“ aber gleichwohl bejaht werden kann (SA-Berat. VI/2196).

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Außerdem sind die gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren zu berücksichtigen. Dadurch wird die medizinische zu einer medizinisch-sozialen Indikation (BGH 38, 157) ausgeweitet. Hierin liegt eine Rückkehr zum 15. StÄG (s.o. § 5 Rn. 18). Dadurch werden zwar die sozialen Verhältnisse einbezogen, jedoch nur im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand (BT-Dr VI/3434 S. 19). In Betracht kommen vor allem bereits vorhandene Kinder, ein nichtaufgebbarer Beruf und pflegebedürftige Angehörige (aaO S. 22).

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Die medizinisch-soziale Indikation soll auch die embryopathische Indikation (vor 1995 § 218a Abs. 3) umfassen, die vor allem von Behinderten als diskriminierend empfunden wurde (BT-Dr 13/1850 S. 25). Die Eingliederung in die unbefristete medizinisch-soziale Indikation hat jedoch die Geburtschancen behinderter Ungeborener erheblich verschlechtert[23]. Die Schädigung des Embryos muss nicht behebbar und so erheblich sein, dass die Pflege und Erziehung des kranken Kindes auch bei voller Anerkennung seines Lebensrechts eine unzumutbare Überforderung der Schwangeren bedeuten würde (BT-Dr VI/3434 S. 24; s. auch BVerfGE 88, 256). Infrage kommen vor allem Röteln, Chromosomenanomalien, Alkohol- oder Drogenmissbrauchsschäden; ein Verschulden der Mutter schließt die Indikation nicht aus, ist aber bei der Zumutbarkeit zu berücksichtigen. Gedacht ist nicht nur an die seelische, sondern auch an die körperliche Belastung der Eltern, insbesondere bei weiteren Kindern; es soll ein „verhältnismäßig strenger Maßstab“ anzulegen sein (BT-Dr VI/3434 S. 23 f.).

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Für die Annahme der Schädigung müssen dringende Gründe sprechen. Das ist ein erheblicher Grad der Wahrscheinlichkeit; 25 % wie z.B. bei heterozyter Genträgerschaft beider Eltern oder Rötelerkrankung im Frühstadium der Schwangerschaft reichen aus[24].

38

Die fehlende zeitliche Begrenzung erlaubt Spätabbrüche bei lebensfähigen Föten und gerät damit in eklatanten Widerspruch zum Tötungsverbot (La/Kühl § 218a 16; Gropp GA 00, 8).

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aa) Die Gefahr darf nicht auf andere für die Schwangere zumutbare Weise abgewendet werden können (Subsidiaritätsgrundsatz). In der Einbeziehung der Zumutbarkeit liegt eine Ausweitung gegenüber dem rechtfertigenden Notstand nach § 34. Zumutbar sein können insbesondere medizinische Behandlungen, Krankenhausaufenthalt (a.A. BTD VI/3434 S. 21), eine Geburt durch Kaiserschnitt; unzumutbar ist die Einweisung in eine Nervenheilanstalt[25]. Bemerkenswerterweise knüpft die Pflicht des Arztes zur Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch an die strengeren Voraussetzungen der anders nicht abwendbaren Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung an (§ 12 SchKG).

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bb) Die Rechtfertigung gilt nur für die Überschreitung der 12-Wochen-Frist, nicht auch für die Vornahme durch Nichtärzte (s.o. Rn. 1).

Maßgebend für das Vorliegen der Voraussetzungen ist die ärztliche Erkenntnis. Der Ausdruck ist § 2 KastrationsG nachgebildet. Er stellt nicht auf die konkrete Erkenntnis des abbrechenden Arztes, sondern auf den allgemeinen Erkenntnisstand nach der ärztlichen Wissenschaft ab (BTD VI/3434 S. 20). Er soll vor allem eventuelle psychische Kontraindikationen und altersspezifische Komplikationen einbeziehen und geringere Gefahren ausschließen (aaO S. 21 f.). In diesem Rahmen ist auch zu berücksichtigen, dass der Wert des werdenden Lebens mit zunehmender Dauer der Schwangerschaft immer größer wird. Eine schematische Begrenzung des Abbruchs wegen drohender Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit auf das erste Drittel der Schwangerschaft (aaO) ist jedoch unangebracht, da sie den Versuch der Gewöhnung an die Schwangerschaft verhindern würde.

Da die „ärztliche Erkenntnis“ auf einen objektiven Erkenntnisstand abstellt, ist sie gerichtlich überprüfbar. Allerdings verbleibt ein ärztlicher Beurteilungsspielraum (BGH 38, 159).

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cc) Erforderlich für die Rechtfertigung ist eine Einwilligung der Schwangeren. Dieses Erfordernis entspricht dem in § 218 enthaltenen Rechtsgut des Interesses der Schwangeren an ihrer Schwangerschaft (s.o. Rn. 15), aber auch den allgemeinen Grundsätzen des rechtfertigenden Notstands (vgl. AT § 27 Rn. 14, 41). Eine wirksame Einwilligung setzt eine ärztliche Aufklärung voraus (s.u. § 8 Rn. 24 ff.), sodass bei ihrem Fehlen die Strafbarkeit nach § 218 bestehen bleibt. Bei Bewusstlosigkeit der Frau ist auf die mutmaßliche Einwilligung abzustellen. Dabei ist nicht nur ihre Gesundheit, sondern entsprechend dem weiteren Rechtsgut ihr Interesse an der Schwangerschaft in Betracht zu ziehen. Die Einwilligungsfähigkeit ist hier früh anzusetzen (LG München I NJW 80, 646). Bei Einwilligungsunfähigkeit ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters oder sonst Sorgeberechtigten maßgeblich; bei Lebensgefahr für die Schwangere ist u.U. das Sorgerecht zu entziehen (vgl. OLG Hamm NJW 68, 212). Bei Geisteskranken und Schwachsinnigen ist zu prüfen, ob die auf die psychische Belastung der Schwangeren abstellenden Indikationen überhaupt zum Tragen kommen.

42

dd) Der Arzt muss die Voraussetzungen der Indikation kennen. Die fahrlässige, ja sogar leichtfertige, Annahme der Indikationen ist als solche nicht strafbar (BTD 7/4696 S. 8). Die Auffassung des Gesetzgebers, in diesen Fällen sei wegen § 218b Abs. 1 S. 1 in der Regel zumindest bedingter Vorsatz gegeben (aaO), trifft nicht zu. Jedoch verlangt das Merkmal der „ärztlichen Erkenntnis“ über die (u.U. nur vermeintliche) Kenntnis des handelnden Arztes hinaus die Beachtung der generellen Sorgfaltspflicht des gewissenhaften Arztes (vgl. BTD 7/4696 S. 7). Damit laufen die subjektiven Voraussetzungen im Wesentlichen auf das Gleiche hinaus wie nach der überkommenen Rechtsprechung (BGH 3, 9), und bleibt bei fahrlässiger Annahme der Indikationen die Strafbarkeit nach § 218 bestehen[26].

Legt der Täter dagegen die Indikationen weiter aus, als es dem engen Willen des Gesetzgebers entspricht, so befindet er sich in einem Verbotsirrtum, der selten unvermeidbar sein wird, aber u.U. eine Strafmilderung erlaubt (§ 17).

Anmerkungen

[23]

Zur Einschränkung insbesondere von Spätabbrüchen (polemisch auch „Früheuthanasie“ genannt) hat das G. v. 13.5.2009 bei dringenden Gründen für die Annahme einer Schädigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit des Kindes besondere Beratungspflichten und eine Wartepflicht eingeführt und mit Bußgeld bewehrt (§ 2a SchKG). S.a. Tröndle NStZ 99, 463 anhand eines bedrückenden Falles. –

[24]

Einzelheiten bei BTD 8/3630 S. 79; Krauß aaO; Weißauer Zschr. Geburtsh. u. Frauenheilk. 83, 193; Lau aaO 123 ff.

[25]

Umstr.; vgl. Kröger LK § 218a 45 m.Nachw.

[26]

Vgl. auch BGH JZ 77, 139 m. Anm. Schroeder; Sax JZ 77, 334. A.A. Eser/Weißer S/S § 218a 63; Rogall SK 54; Gropp MK 47.

3. Schwangerschaftsabbruch innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfängnis ohne Beratung (§ 218 i.V.m. § 218a Abs. 1 Nr. 1)

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Dieses Verbot war bei den Beratungen überaus umstritten. Während die eine Seite hierin eine unangebrachte Bevormundung der Frauen sah, sah die andere in der Beratung den unabdingbaren letzten Versuch, das werdende Leben möglicherweise doch noch zu retten. Der Streit um das Erfordernis der Beratung überhaupt setzte sich hinsichtlich deren Inhalts fort. Das BVerfG hat die Inhaltsbestimmung der Beratung in § 219 i.d.F. des SFHG für verfassungswidrig erklärt und in seiner Vollstreckungsanordnung eingehende Vorgaben für den Inhalt der Beratung gemacht (BVerfGE 88, 210).

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Den Inhalt der Beratung regelt § 219 Abs. 1 StGB i.V.m. §§ 5, 6 Schwangerenkonfliktgesetz. Nach § 219 Abs. 1 S. 1 dient die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens. Restriktiv ist allerdings schon die Bestimmung, dass der Frau „dabei bewusst sein“ muss, dass das Ungeborene auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat. § 5 Abs. 1 S. 1 SchKG sagt dann ausdrücklich, dass die Beratung „ergebnisoffen“ zu führen ist. Die „Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft“ der Schwangeren darf nicht erzwungen werden (Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SchKG).

Die Beratung muss – zur Förderung ihrer Wirkung[27] – mindestens drei Tage vor dem Abbruch und ferner durch eine anerkannte Schwangerschaftsberatungsstelle erfolgen und durch eine Bescheinigung nachgewiesen werden (§ 219 Abs. 2). Der beratende Arzt darf den Abbruch nicht vornehmen (S. 3; § 218c Abs. 1 Nr. 4), doch ist die Strafdrohung für einen Verstoß sehr gering.

45

Erforderlich ist außerdem ein „Verlangen“ der Schwangeren[28]. „Verlangen“ ist mehr als Einwilligung; der Gesetzgeber hat sich hier offensichtlich an § 216 StGB angelehnt (s.o. § 2 Rn. 62). Allerdings ist diese Einschränkung kaum praktisch, da schon die Inanspruchnahme der Beratung und das Aufsuchen des Arztes den Wunsch der Schwangeren nach dem Abbruch hinreichend zum Ausdruck bringen. Immerhin zwingt das Erfordernis eines Verlangens zu der Prüfung, ob die Schwangere nur dem Druck von Angehörigen nachgibt. Das Verlangen der Schwangeren entbindet den Arzt nicht von der für die Wirksamkeit der Einwilligung erforderlichen Aufklärungspflicht (BVerfGE 88, 289; s.o. Rn. 41).

46

Sollte ein Schwangerschaftsabbruch ohne Verlangen der Schwangeren einmal vorliegen, so dürfte dies auf einer fehlenden Äußerungsfähigkeit der Schwangeren beruhen (Bewusstlosigkeit bei Unfall oder Operationskomplikation) und der Abbruch daher nach § 34 StGB gerechtfertigt sein.

47

Eine Rechtfertigung ist – neben der Rechtfertigung nach § 218a Abs. 2 (s.o. Rn. 34 ff.) – möglich, wenn dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf einer rechtswidrigen Tat nach den §§ 176–178 StGB beruht (§ 218a Abs. 3), sog. kriminologische oder ethische, besser kriminogene Indikation.

Die Rechtswidrigkeit entfällt nur, wenn der Abbruch innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfängnis erfolgt. Diese Voraussetzung deckt sich daher mit der fehlenden „Tatbestandsverwirklichung“ nach § 218a Abs. 1 nach einer Beratung. Der Vorteil liegt darin, dass hier die fehlende Rechtswidrigkeit ausdrücklich festgestellt wird; damit tritt eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ein (BT-Dr. 13/1850 S. 26).

48

Ausgeschlossen als Vortaten sind insbesondere der Beischlaf mit Verwandten (§ 173), der Sexuelle Missbrauch von Jugendlichen (§ 182) und die eigenmächtige Befruchtung und Embryoübertragung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1, 2 ESchG[29]. Die Tat braucht nicht schuldhaft zu sein. Nach ihrem Sinn muss die Regelung auch vorsatzausschließende Irrtümer des Täters, z.B. über das Alter des Kindes, umfassen, obwohl diese nach neuerer Dogmatik bereits den Tatbestand ausschließen (Kröger LK 59).

49

Nach der eigenartigen, auf BVerfGE 88, 203 beruhenden, Konzeption des geltenden Rechts, wonach eine Rechtfertigung mehr bedeutet als ein Tatbestandsausschluss (s.o. Rn. 2), ist eine Rechtfertigung auch über die aufgeführten tatbestandslosen Handlungen hinaus möglich, also auch bei einem Abbruch durch einen Arzt innerhalb von zwölf Wochen seit der Empfängnis mit Beratung. Die Inanspruchnahme einer Beratung nach § 219 und die Vornahme des Abbruchs nach § 218a Abs. 1 schließen die Rechtmäßigkeit des Abbruchs nach § 218a Abs. 2 nicht aus[30].