Das Monster im 5. Stock

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Das Monster im 5. Stock
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1. Besichtigung des Grauens

2. Ein unfähiger Einbrecher

3. Hausbesetzung für Anfänger

4. Barbecue-Frühstück

5. Freundliche Übernahme

6. Ruhe und Frieden und Langeweile

7. Überredungskunst

8. Ein miserabler Mitbewohner

9. Lügengespinste

10. Schuld

11. Schweigen im Hause

12. Gesprächspause

13. Die Wochenendplanung

14. Trainingstag

15. Frisch geduscht

16. Ein fauler Samstag

17. Psychisch einwandfrei

18. Ein annehmbares Abendessen

19. Montag

20. Entlarvt

21. Ungeschickte Themenwahl

22. Berichte

23. Gemein und fies

24. Heimkehr

25. Der peinlichste Abend aller Zeiten

26. Ekstase

27. Ein alter Schmerz

28. Das Gift der Vergangenheit

29. Ungebetener Besuch

30. Ausharren

31. Wartezimmerblues

32. Ein letzter Tag

33. Weihnachtsfunkeln

34. Letzte Nacht

35. Abschied

36. Ein überfälliges Treffen

37. Überraschung

38. Epilog

Liebe Bayern,

es tut mir leid.

Impressum

Das Monster im 5. Stock

Text Copyright © 2019 Regina Mars

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.

Regina Mars

c/o

Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

regina@reginamars.de

www.reginamars.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung/-illustration: Regina Haselhorst

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Reale Personen wären auch vernünftig genug, Safer Sex zu praktizieren, im Gegensatz zu den Fantasiegestalten in diesem Roman. Die müssen sich darum keine Sorgen machen, da es sie nicht gibt.

1. Besichtigung des Grauens

Schwitzende Leiber drängten sich an Wastl. Eine Schulter rammte sein Schlüsselbein, eine Hand streifte seinen Hintern, aufgeregtes Keuchen drang in sein Ohr. Stimmen schwollen zu einem undefinierbaren Geräuschteppich an. Schweißgeruch vermischte sich mit dem nach Parkettpolitur.

Wenn ich die Augen fest schließe, kann ich mir einreden, ich wäre auf einem Konzert, dachte er. Oder auf meiner ersten Gangbangparty. Gibt es sowas in München?

Leider war er auf einer Wohnungsbesichtigung. Die mietwilligen Horden hatten die Frau von der Hausverwaltung zwischen Küche und Bad in eine Ecke gedrängt und redeten auf sie ein.

»Ich putze saumäßig gern«, brüllte ein Mann, der Wastl an seinen alten Nachbarn, den Elektriker-Toni, erinnerte. »Daheim wienere ich jeden Tag die Treppe blitzeblank.«

»Das ist schön«, sagte die Frau von der Hausverwaltung. Trotz des sorgfältig aufgetragenen Make-ups ähnelte ihre Haut inzwischen der weißen Tapete hinter ihr. Die Sonnenbrille zitterte in ihren strohgoldenen Haaren. »Aber wir beschäftigen einen Reinigungsdienst …«

»Meine Eltern bürgen für mich!«, rief ein junger Kerl dazwischen. Student, wenn Wastl die kunstvoll chaotische Frisur, den nervösen Blick und die schwindende Akne richtig deutete. Die Akne war auf dem Rückmarsch, der Student nicht. »Sie sind beide Beamte. Lehrer. Ich würde sagen, ich bin total wie die, echt pflegeleicht. Ich mag überhaupt keine Partys und … Mann, hör auf zu schubsen, du Miststück!«

Die winzige Frau, die ihn zur Seite gedrängt hatte, beachtete ihn nicht. Sie packte die Hausverwaltungsfrau mit beiden Händen an den Schultern. Grob. Silbern lackierte Krallen gruben sich in den cremefarbenen Blazer.

»Ich brauche die Wohnung!« Speicheltropfen flogen. »Bitte, das ist die fünfundsechzigste Besichtigung und ich muss übermorgen ausziehen!«

Die Hausverwaltungsfrau machte sich los. Schweiß glänzte auf ihrer faltenfreien Stirn.

»Danke für Ihr Interesse«, sagte sie. »Aber ich muss alle Interessenten begutachten. Bitte legen Sie Ihre Bewerbungsunterlagen auf den Tisch dort und verlassen Sie die Wohnung, sobald Sie alle Zimmer besichtigt haben. Es nützt Ihnen nichts, sich mir vorzustellen. Ich bin nicht die, die entscheidet!«

»Ja, aber Sie könnten doch ein gutes Wort für mich einlegen, oder?« Die Silberlackierte blickte flehend. »Das können Sie bestimmt.«

»Nein, kann ich nicht.« Die Hausverwaltungsfrau straffte sich und betupfte ihren Hals. »Die Bewerbungsunterlagen. Auf den Tisch. Bitte.«

Das funktionierte. Murrend schlichen die Massen durch die Wohnung, legten ihre Mappen auf den immer höher wachsenden Stapel und zogen weiter. Wie immer. Wastl sah, wie ein gutgekleideter Mann den Großteil des Stapels einsteckte, als gerade niemand anders schaute, und ihn in den Papierkorb im nächsten Flur warf. Unauffällig hob Wastl die Mappen heraus und legte sie zurück auf den Tisch. Seine drapierte er gleich obendrauf. Dann hätte er gehen können.

Das ist deine letzte Chance. Mach was.

Bewerbungssituationen waren ihm zuwider, aber er musste einfach etwas tun. Mit einem flauen Gefühl im Magen dachte er an den Rucksack, der unter seinem Schreibtisch auf der Arbeit lag. Heute Morgen hatte er aus dem Hostel ausziehen müssen. Er hatte gedacht, dass ein Monat reichen würde, um in München ein Heim zu finden. Ein WG-Zimmer, eine eigene Wohnung. Irgendetwas. Aber alles, was er bisher vorzuweisen hatte, waren 87 Absagen und ein überzogenes Bankkonto. Also straffte er sich und ging auf die Hausverwaltungsfrau zu. Sie tippte auf ihr Handy ein. Ihre Körpersprache war so einladend wie ein stacheldrahtbewehrter Zaun mit Selbstschussanlage.

»Servus.« Er räusperte sich.

Sie brummte etwas Unbestimmtes und tippte weiter. Er konnte sie verstehen. Aber er war verzweifelt.

»Ich wollt fragen, ob's … irgendetwas gibt, was man tun kann, um … Ich mein, was ist denn wirklich wichtig, um eine Wohnung zu bekommen? Ich versuch's schon seit vier Wochen und hab keinen Erfolg gehabt.«

»Da geht es vielen wie Ihnen«, sagte sie und sah auf. »Trösten Sie sich, damit stehen Sie nicht alleine …« Sie zögerte. Ihr Blick scannte sein verzweifeltes Lächeln, die breiten Schultern in der billigen Jacke und die Haare, die keinen Friseur mehr gesehen hatten, seit er seine Heimat verlassen hatte. Interesse flammte in ihren hellen Augen auf. Eindeutiges Interesse. »Nun, es gibt einige Faktoren, die Ihre Bewerbung hervorheben könnten. Haben Sie einen Bürgen?«

»Nein.« Der böse Kloß schnürte seinen Hals ab. Wie immer, wenn er sich daran erinnerte, wie allein er war.

»Niemanden?« Eine perfekte Augenbraue hob sich. »Keine Onkel, Tanten … Großtanten?«

»Nein«, sagte er. »Niemanden.«

»Ah.« Ihr Mund wurde schmaler. »Aber die Kaution von 3300 Euro könnten Sie schon aufbringen?«

»Da müsst ich um Ratenzahlung bitten.« Er versuchte es mit einem weiteren Lächeln. Doch er wusste, dass er verloren hatte. Das Licht hinter ihren Augen war erloschen.

 

»Das sind leider keine guten Voraussetzungen.«

»Ja, ich weiß.« Er seufzte. »Vielen Dank, trotzdem. Für die Auskünfte.«

»Bitte, bitte.« Statt sich wieder ihrem Handy zuzuwenden, legte sie den Kopf schief und lächelte. Sie hatte kleine, scharfe Zähne. Wie ein Marder. »Hast du heute Abend Zeit? Kann ich Du sagen? Ich kann dir die Wohnung nicht geben, aber ich könnte dir helfen, deine Unterlagen etwas aufzupolieren. Um neun im Brotlos?«

Wastls Hände wurden schwitzig. Das war eine Anmache, oder? Das war ganz bestimmt so ein … so ein Spruch mit den Unterlagen … Doch was, wenn sie ihm helfen konnte?

Nein, sagte seine Mutter in seinem Hinterkopf. Auf sowas lass dich nicht ein, Wastl. Das bereust du nachher nur. Die nette Frau nutzt du nicht aus.

»Oh, ich … ich muss spät arbeiten«, behauptete er, räusperte sich und flüchtete. Seine Wangen brannten. Daheim in Würzen hatte sich ab und zu mal eine für ihn interessiert, aber nie hatte eine Frau ihn so direkt eingeladen. Nicht, dass er das gewollt hatte. Deshalb war er ja in die Stadt gezogen. Um den blöden Fragen von seinen Freunden zu entgehen, die stets wissen wollten, wann er denn endlich eins der armen Mädels erhören würde. Würde er nämlich nicht. Würde er nicht können.

Sobald ich eine Wohnung hab, geht's los, hatte er gedacht. Dann treff ich einen Kerl nach dem andren. Dann hol ich alles nach, was ich verpasst hab.

Verpasst hatte er eine ganze Menge. All die heimlichen Knutschereien beim Scheunenfest, hinterm Fußballplatz und im Bus zum Gymnasium. All die wilden Dinge, von denen seine Kumpels ihm erzählt hatten, oder eher: nicht erzählt hatten.

»Na, das war halt so … Na du weißt schon, Wastl. So richtig mit Liebe und so«, hatte der Edi wenig hilfreich gestammelt, nachdem es mit seiner Freundin endlich zur Sache gegangen war.

Nein, Wastl wusste es nicht. Klar, übers Internet hatte er Männer kennengelernt. Aber die paar, die er getroffen hatte, in einem verschämten kleinen Hotel an der B12, die waren gewesen wie er: Schwindler, Mogelpackungen. Familienväter waren darunter gewesen und sogar ein Pfarrer. Aber diese Heimlichtuerei war …

»Na, hat's geklappt?«, fragte eine säuerliche Stimme am Fuß der Treppe.

Wastl fuhr herum. »Wos soll geklappt haben?«

Es war ein hagerer Mann, Mitte vierzig, der ihn böse anstarrte. Der war eben auch durch die Wohnung geschwemmt worden. Aber Wastl war sicher, dass er ihm nichts getan hatte.

»Na, der Ische von der Hausverwaltung schöne Augen zu machen. Hast du Erfolg gehabt, Schönling?«

»I, äh, ich?«

»Ja, du. Unfair ist das. Wenn so ein Adonis wie du die Olle mal richtig …«, der Mann machte eindeutige Bewegungen mit Händen und Hüften, »hernimmt, dann legt die bestimmt ein gutes Wort bei der Hausverwaltung ein. Wenn sie dich nicht gleich mit nachhause nimmt. Hat sie dir 'ne feste Bleibe in ihrer Möse angeboten?«

»Nah«, sagte Wastl. »Will ich auch gar nicht. Aber falls ich dich mal so richtig hernehmen soll, sag Bescheid. Ich steh auf greisliche Arschköpfe.«

Die Antwort war Schweigen. Und eine heruntergeklappte Kinnlade, sowie Tischtennisball-Augen. Glücklich, dass heute immerhin etwas geklappt hatte, zog Wastl die Tür auf und trat ins Freie.

***

»Na, Blondchen? Wie lief die Besichtigung?« Vronis Atem schlug ihm ins Gesicht. Bierbraten-Atem. Die ganze Finanzbuchhaltung war heute im Löwenbräukeller eingekehrt. Nur Wastl war mal wieder auf Wohnungsjagd gegangen.

Wastl brummte etwas Unverständliches. Er versuchte, professionell und schwer beschäftigt auszusehen. Aber das beeindruckte Vroni nicht. Ihre mehrfach beringte Hand blieb auf seiner Stuhllehne liegen. Sie drehte sich sogar um und brüllte durchs halbe Büro.

»Jutta, hast du nicht was für das Blondchen? Das Kerlchen hat immer noch keine Wohnung!«

»Ach wo! Das tut mir ja leid.« Juttas Augen, treu und schön wie die einer Kuh, sahen Wastl an. Er räusperte sich.

»Kein Problem«, behauptete er. »I … Ich find schon was.«

»Der arme Kleine.« Jetzt wagte Vroni es auch noch, ihm die Haare zu tätscheln. »Sag mal, Adelheid, war über euch nicht ein Zimmer frei?«

War es das? Wastl drehte sich um, aber Adelheid schüttelte den Kopf. »Da ist schon wer eingezogen. Die Wohnung war so schnell weg, das glaubt mir keiner. Drei Stunden hat's gedauert, meint die Sluzalek von nebenan.«

»Ach so.« Wastl unterdrückte ein Seufzen und zuckte männlich mit den Achseln. »Na dann …«

Innerlich weinte er. Aber das konnte er sich nicht anmerken lassen. Die restlichen Finanzbuchhalter, oder eher Finanzbuchhalterinnen, behandelten ihn sowieso schon wie einen kleinen Bruder. Einen leicht verblödeten kleinen Bruder. Er war der einzige Mann in der Abteilung, und mit seinen dreiundzwanzig Jahren maximal halb so alt wie die anderen. Ernst genommen zu werden war ein Ding der Unmöglichkeit.

»Ach, Blondchen.« Noch ein Haarwuscheln, dann ging Vroni endlich weiter. »Nicht traurig sein. Das wird schon irgendwann.«

»Kein Problem«, wiederholte er. »Ich hab ja noch ein paar Wochen.« Genau in diesem Moment stieß sein Fuß gegen den Rucksack unter seinem Schreibtisch. Heute Morgen war er extra als Erster gekommen, damit niemand das Ding sah. Damit niemand ahnte, dass er ab sofort obdachlos war. Klar, er hätte Jutta oder Vroni (oder Adelheid oder Rita oder Gitte oder Susanne) fragen können, ob er ein, zwei Wochen auf ihrem Sofa pennen konnte. Aber dann wäre er nie aus der Verblödeter-Kleiner-Bruder-Nummer rausgekommen. Daran hätten sie ihn noch erinnert, wenn er in 40 Jahren die Firma verlassen hätte, mit Buckel, Arthritis und goldener Uhr. Obwohl, dann wäre Vroni ja schon fast hundert … Nicht, dass sie sich davon abhalten lassen würde, vorbeizukommen, ihm über die Glatze zu rubbeln und ihn Blondchen zu nennen.

Wastl sah ihrem hennaroten Schopf und ihrem weinroten Strickpulli nach und seufzte.

Arbeite, Junge, dachte er. Heulen kannst du nachher. Wenn du unter dem Schreibtisch pennst.

Obwohl, der Teppich im Meetingraum wirkte so schön weich. Das war bestimmt die bessere Wahl.

Den ganzen Nachmittag über hoffte er auf ein Wunder. Eine Mail. Einen Anruf von einer der 36 Hausverwaltungen, deren Antwort noch ausstand. Es kamen drei Absagen. Bei jeder Mail hielt er den Atem an, nur um einen Mund voll Enttäuschung zu kassieren. Egal. Das würde werden. Irgendwie.

Der Siebermann-Verlag, sein neuer Arbeitgeber, war von mittlerer Größe. Zwei Stockwerke des altehrwürdigen Barockgebäudes nahm er ein. So altehrwürdig, dass es immer ein wenig nach Staub und altem Bohnerwachs roch.

Überstunden waren die Ausnahme und so leerte sich das Büro schon gegen fünf. Immer mehr Deckenlampen gingen aus. Wastl konnte durch die Glaswand ihres Büros sehen, wie es allmählich dunkel wurde. Vor den Fenstern war längst alles Licht verschwunden. Nur die Weihnachtsdeko des Büros gegenüber blinkte und glitzerte aggressiv. Es war viel zu früh für die rot-grüne Pracht. Sie hatten doch erst November. Ein dickbackiger Weihnachtsmann grinste ihm zu und erinnerte ihn daran, dass dies das erste Weihnachten ohne Mama sein würde. Er schluckte.

Nein. Verzweifeln ist für Feiglinge, das hatte seine Mutter ihm eingebläut. Er würde sich nicht davon verrückt machen lassen, dass er Weihnachten ganz alleine unter einer Brücke verbringen würde … Er schüttelte sich.

»Alles wird gut«, flüsterte er, obwohl er längst der Letzte in der Abteilung war. »Du packst das. Der Kullberger Wastl lässt sich nicht unterkriegen. Merkt euch das, ihr Großstädter.«

***

Der Teppichboden im Meetingraum roch nach Zitronen-Lufterfrischer und Gummisohlen. Wastl streckte sich darauf aus. Die Tasse Früchtetee aus der Küche stellte er auf seinem Bauch ab. Sie wärmte fast so gut wie eine Bettdecke. Zumindest, wenn man sich das ganz fest einbildete. Und die verstaubten Kekse, die in einer Schale auf dem Tisch standen, waren beinahe ein vollwertiges Abendessen, also, auf jeden Fall waren sie gratis und er war pleite.

Gute Nacht, dachte er. Morgen wird alles besser.

Der Duft des Früchtetees vermischte sich mit dem Bürogeruch nach Plastikvorhängen und verbrauchter Luft. Das Summen aus dem Serverraum nebenan klang wie rauschender Wind. Fast war es ein wenig heimelig. Fast. Wehmütig trank Wastl den Tee und machte die letzte Deckenlampe aus. Obwohl er todmüde war, schlief er lange nicht ein.

***

Das Licht flackerte und stach in seine Pupillen wie Glassplitter. Wastl fuhr hoch.

»Wos …« , begann er, dann sah er die Frau in der Tür. Ihre braunen Augen starrten ihn an. Sie war mager, trug ein schillernd grünes Kopftuch und wirkte einen Moment lang genau so erschrocken wie er. Dann verdüsterte sich ihr eichenholzfarbenes Gesicht.

»Wos machst du denn do?«, herrschte sie ihn an. »Du kannst doch do ned penna, du Oarschwichtl!«

Wastl starrte sie an. »Entschuidigung, i dochte …« Dann erinnerte er sich daran, dass die Vroni ihn ermahnt hatte, hochdeutsch zu sprechen, solange er in der Firma war. Ach ja, und er erinnerte sich daran, dass sie irgendwas von der nächtlichen Putztruppe erwähnt hatte, und dass die nie richtig saubermachten. Daran hätte er wirklich denken können.

»Entschuldigung«, begann er erneut. »Ich dachte, es wäre nachts keiner da. Sehen Sie, ich habe meine Wohnung verloren und ich wusst nicht, wo ich schlafen soll, da dachte ich, es merkt keiner, wenn ich ein, zwei Nächte hier …«

»Arbeidest du hier?« Sie verschränkte die Arme vor der schmalen Brust.

»Ja«, sagte er wahrheitsgemäß und hoffte, dass das morgen auch noch stimmen würde. »Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Es ist nur … Ich weiß nicht, wohin.«

Sie schwieg. In der Gesprächspause konnte Wastl neue Geräusche ausmachen. Eine Maschine brummte. Ein Staubsauger? Hinter der Frau musste noch jemand damit beschäftigt sein, die Räume sauberzumachen.

»Armer Kleiner. Aber hier kannst nicht bleiben, die Chefin kommt gleich.« Sie schüttelte den Kopf. Wastl wollte gerade klarstellen, dass er nicht klein und … na gut, arm war er, doch er hatte langsam genug davon, dass jede mittelalte Frau ihn wie einen Adoptivwelpen behandelte. Da sprach sie die magischen Worte aus: »I weiß, wo du hinkannst.«

»Was, haben Sie eine Wohnung, die leer ist? Oder wissen sie von …«

»Nah, heute Nacht. I putz gleich oben, da steht ein Sofa. Wenn du magst, kannst darauf pennen.«

»Oh, danke.« Er lächelte. Wie nett von ihr.

***

Wie sich herausstellte, war »Wohnung« das falsche Wort für den dekadenten Palast, der ihn oben erwartete. Das Luxusappartement war so groß wie das halbe Büro. Genau so groß wie das halbe Büro. Die Grundrisse entsprachen sich, und er konnte die Ecke sehen, in der zwei Stockwerke tiefer sein Schreibtisch stand. Hier war sie leer. Hellgoldenes Holzparkett erstreckte sich über eine Fläche, auf der nur verstreute Designermöbel standen. Sowas hatte er höchstens mal in Mamas Zeitschriften gesehen. Ganz weit hinten in der gebohnerten Wüste erspähte er eine nagelneue Küche. Er sah eine Theke, um die herum Barhocker standen, eine freischwebende Abzugshaube und polierte Stahlpfannen an der schwarz gekachelten Wand. Poliert wurden sie von Amira, wie sie sich vorstellte.

»Da kannst pennen.« Sie deutete auf ein reinweißes Sofa, das Wastl eine Heidenangst einjagte.

»Was, wenn ich das dreckig mache?«, flüsterte er. Diese Räume waren ihm nicht ganz geheuer. Selbst im Licht der vermutlich teuren Lampe (sie bestand aus Hunderten winziger Glaskugeln) strahlten sie etwas Düsteres aus. Kein Wunder, die Wände waren dunkelgrau. Wastl fragte sich, wohin die Türen links von ihm führten.

»Wenns das Sofa dreckig machst, erschlog ich dich mit dem Wischmopp«, knurrte Amira. »Und jetzt leg dich ab. Siehst schon ganz fertig aus, Kleiner.«

»Ich kann dir beim Putzen helfen.«

Sie schnaubte. »Im Weg stehen kannst du.«

Auf dem Weg hoch hatte sie erzählt, dass sie bis vor kurzem in einer Flüchtlingsunterkunft nahe der bayerischen Alpen untergebracht gewesen war. Von den Einheimischen hatte sie sowohl bayerische Mundart als auch Höflichkeit gelernt.

»Wer wohnt denn hier?«, fragte er und sah aus den bodenlangen Fenstern. Beziehungsweise: Sah sich selbst in der Spiegelung, vor nachtschwarzem Himmel. Er war eindeutig das billigste Objekt in der Wohnung. Die Hausdächer auf der anderen Straßenseite rümpften die Nase.

 

»Keine Ahnung. Interessiert mich nicht«, behauptete das Integrationswunder. »I krieg den nie zu Gesicht. I putze nur hier, nicht im Schlafzimmer, und das ist immer abgeschlossen.«

Wastl schauderte. Jetzt gruselte ihn die kahle Wohnwüste noch mehr. »Vergiss nicht, mich zu wecken, wenn du gehst, ja?«

»Hältst mich für bled?« Ihre Knöchel klopften auf seine Stirn. »Und jetzt leg dich ab, I hob zu tun.«

Er streckte sich auf dem Sofa aus und versuchte, es bequem zu finden. Das Teil war dynamisch-elegant, aber hart wie Pressholz. In der Spiegelung sah er aus wie ein Schmutzfleck auf einer weißen Blüte. Er wandte sich ab, rollte sich zusammen und schloss die Augen.

Hier schaff ich’s nie zu schlafen, dachte er und schlief ein.

***

Amira saugte die Böden und putzte die Küche, in der kaum etwas je benutzt wurde. Nur der Mixer und der Mülleimer. Der Besitzer lebte anscheinend hauptsächlich von Shakes und bestelltem Essen. Sie fand sieben leere Plastikboxen im Abfallkorb. Die Aufschriften waren immer die gleichen: dreimal Thai King, einmal Gutshaus, einmal Veggie-Hof und zweimal Steakpalast. Dabei waren der Kühlschrank und die Küchenschränke gut gefüllt. Hastig wischte sie über die Arbeitsplatte, die schwarz und undurchsichtig wie ein nächtlicher See war.

Sie beeilte sich stets, hier fertig zu werden. Manchmal glaubte sie, Blicke zu spüren, aber wenn sie sich umwandte, sah sie nur die düsteren Wände und die leeren Fenster. In der Mitte der Wohnung befand sich ein Dachgarten, auf dem sich kahle Äste im Wind wiegten. Sie schüttelte sich. Wie jeden Montag konnte sie es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Ihre Schwester hatte gekocht und wenn sie nicht pünktlich dort war, würde das Miststück alles versalzen. Wie immer. Sie fragte sich, ob sie nicht langsam zu ihrem Verlobten ziehen sollte. Aber der war so ordentlich. Amira mochte ein wenig Chaos und eh überlegte sie schon seit einer Weile, ob Johannes wirklich der Richtige war … Na, gemütlicher als in dieser seltsamen Bude war es bei ihm allemal.

Sie beeilte sich, mit dem Bad fertig zu werden, machte das Licht aus und schlüpfte aus der Tür.

Erst im Bus nach Hause fragte sie sich, ob sie etwas vergessen hatte.

***

Etwas bewegte sich in den Schatten. Wastl war wach, von einem Moment auf den anderen. Dunkelheit umfing ihn, aber da war dieses Scharren … ein Scharren, das näher kam. Das nach ihm zu greifen schien …

Diese Amira hat mich doch vergessen, dachte er. Schweiß brach in seinem Nacken aus und er wagte kaum, sich zu bewegen.

Sei kein Feigling, Wastl. Du …

»Wer bist du?«, fragte Satan. Nun, er klang wie Satan persönlich. Als würde er täglich die Höllenscharen mit seiner tiefen Stimme zum Töten antreiben und als hätte das ständige Brüllen sie etwas aufgeraut.

Wastl riskierte es, den Kopf zu heben. Seine Augen gewöhnten sich an das Dunkel.

Eine finstere Gestalt ragte über dem Sofa auf. Eine düstere Silhouette, schwarz wie die Seele des Höllenfürsten. Der Kerl hielt etwas in den Händen. Eine Waffe, es musste eine Waffe sein.

»Ich habe gefragt, wer du bist.«

»Tu mir nichts!« Wastl hob die Hände. »I wollt nur … I war nur müd und …« Er fummelte sein Handy aus der Hosentasche. Mit schwitzigen Fingern schaltete er es ein und leuchtete Satan ins Antlitz. Helle, böse Augen. Wirre Haare und eine Habichtsnase und … rotweiße Male, die das halbe Gesicht überzogen. Schnell schaltete Wastl das Handy wieder aus. Aber im Schein hatte er noch etwas erkannt.

Schweigen breitete sich aus. Das Monster, das über ihm aufragte, atmete leise. Schauer rannen über Wastls Rücken. Angstschauer. Und auch ein wenig angenehme. Versuchsweise schaltete er das Handy noch einmal ein.

»Mach das Ding aus!« Satan hob eine Hand vor die Augen, aber Wastl hatte schon gesehen, was er hatte sehen wollen: Der Höllenfürst war unglaublich attraktiv.

»Tschuldigung«, murmelte er. »I … es tut mir leid, ich … Sie sind der Wohnungsbesitzer, ja?«

Schweigen. Mist, Mist. Hoffentlich war er das. Ob er die vielen Zimmer brauchte, um das Fleisch seiner Opfer dort zu lagern, bis es schön zart und faulig war?

Igitt Wastl, was denkst dir für einen Scheiß aus?

»Sie wollen mich nicht töten, oder? Mit dem Ding da?«

Der Höllenfürst ließ seine Waffe sinken. Er kehrte um und schritt zur Wand. Licht flammte auf, aus hunderten kleiner Glaskugeln. Ein Mann stand neben dem Lichtschalter, ein so beeindruckender Mann, dass Wastl die Luft wegblieb. Tiefschwarze, wilde Haare, ein scharfkantiges Gesicht, ein blutroter Morgenmantel, der sich über einem muskelstrotzenden Körper spannte und … ein Fuß aus Metall. Wastl blinzelte. Zwei glänzende Metallstücke, wie die Spitzen zweier Ski, ragten aus dem rechten Bein des schwarzen Pyjamas hervor.

»Gütiger Himmel«, entfuhr es ihm.

Das Monster strich sich die Haare aus dem Gesicht und er sah die Verbrennungen.