Czytaj książkę: «Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 34/35»
Zeitschrift für kritische Theorie
Heft 34–35 / 2012
herausgegeben von
Wolfgang Bock,
Sven Kramer und
Gerhard Schweppenhäuser
zu Klampen
Zeitschrift für kritische Theorie,
18. Jahrgang (2012), Heft 34–35
Herausgeber: Wolfgang Bock, Sven Kramer und Gerhard Schweppenhäuser
Geschäftsführender Herausgeber: Sven Kramer, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Kulturtheorie, Kulturforschung und Künste
Redaktion: Roger Behrens (Hamburg), Wolfgang Bock (Rio de Janeiro), Thomas Friedrich (Mannheim), Sven Kramer (Lüneburg), Gerhard Schweppenhäuser (Würzburg)
Korrespondierende Mitarbeiter: Rodrigo Duarte (Belo Horizonte), Jörg Gleiter (Berlin), Christoph Görg (Leipzig), Frank Hermenau (Kassel), Fredric Jameson (Durham, North Carolina), Per Jepsen (Kopenhagen), Douglas Kellner (Los Angeles), Claudia Rademacher (Bielefeld), Gunzelin Schmid Noerr (Mönchengladbach), Jeremy Shapiro (New York)
Redaktionsbüro: Alle Zusendungen redaktioneller Art bitte an das Redaktionsbüro:
Zeitschrift für kritische Theorie
Leuphana Universität Lüneburg
z. Hd. Prof. Dr. Sven Kramer
Scharnhorststraße 1, Geb. 5
D-21335 Lüneburg
E-Mail: zkt@uni-lueneburg.de
Erscheinungsweise: Die Zeitschrift für kritische Theorie erscheint einmal jährlich als Doppelheft. Preis des Doppelheftes: 28,– Euro [D]; Jahresabo Inland: 25,– Euro [D]; Bezugspreis Ausland bitte erfragen. Berechnung jährlich bei Auslieferung des Heftes. Das Abonnement verlängert sich automatisch, wenn die Kündigung nicht bis zum 15.11. des jeweiligen Jahres erfolgt. Fragen zum Abonnement bitte an folgende Adresse:
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Layout und Satz: Philipp Mentrup; Fakultät Gestaltung, Hochschule für angewandte Wissenschaften, Würzburg
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ›http://dnb.ddb.de‹ abrufbar.
Aufnahme nach 1995, H. 1; ISSN 0945-7313; ISBN 978-3-86674-671-8
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorbemerkung der Redaktion
ABHANDLUNGEN
Hermann Schweppenhäuser
Schein, Bild, Ausdruck Aspekte der Adorno’schen Theorie der Kunst und des Kunstwerks
Matthias Mayer
Aktualität und Kritik marxistischer Ethik
José M. Romero
Ontologie und Geschichtlichkeit beim jungen Marcuse
Dirk Stederoth
Kulturindustrie und Musik. Willkommen im »Haus of Gaga«
Michele Salonia
Die Verschlingung von Mode und Kulturindustrie
Jens Birkmeyer
Augen-Blicke und Einbildungen. Kritik der Achtsamkeit in Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert
Gerhard Vinnai
Wunschwelten und kritische Gesellschaftstheorie
Christine Zunke
Es ist nicht alles Schein, was trügt. Die Hirnforschung zwischen Erkenntnisfortschritt und Ideologieproduktion
EINLASSUNGEN
Hans-Ernst Schiller
Die kritische Theorie als historische Formation
Gunzelin Schmid Noerr
Die Materialität der Vernunft. Kann man heute noch kritische Theorie betreiben?
Gerhard Richter
Gespräch über Bäume
Karlheinz Gradl
Adorno und das Erhabene
Susanne Martin
Intellektuellenportraits. Zur kulturindustriellen Darstellung von Intellektualität und wissenschaftlicher Arbeit
BESPRECHUNG
Dennis Johannßen
Jenseits von Aura und Erlebnis. Zu vier aktuellen Beiträgen der US-amerikanischen Walter-Benjamin-Forschung
Neuerscheinungen 2011
Autorinnen und Autoren
Fußnoten
Vorbemerkung der Redaktion
Abermals erreichten uns während der Fertigstellung des vorliegenden Hefts traurige Nachrichten.
Heinz Paetzold, mit dem einige Redaktionsmitglieder über die ZkT hinaus seit Jahrzehnten in Freundschaft verbunden waren, starb unerwartet am 9. Juni 2012 während einer Forschungsreise in China; im September 2012 wäre er 71 Jahre alt geworden. Paetzold lehrte u. a. an Universitäten, Akademien und Hochschulen in Amsterdam, Maastricht, Hamburg und bis zuletzt in Kassel; durch zahlreiche Publikationen und Vorträge zur Kulturphilosophie, Ästhetik und Kunsttheorie in Europa, Asien und Amerika wurde er international bekannt. Hervorgetreten war er Mitte der 1970er Jahre durch die wegbahnende Studie Neomarxistische Ästhetik, später machte er sich vor allem durch seine Forschungsarbeit zur Philosophie Ernst Cassirers einen Namen. Thematisch bündelten sich seine Überlegungen immer wieder, bis zuletzt, in einer kritischen Theorie der Stadt – im Heft 26 / 27 (2008) der ZkT schrieb er über Die Bedeutung von Benjamins Städtebildern für eine Theorie der integralen Stadtkultur.
Am 28. August starb Alfred Schmidt im Alter von 81 Jahren in Frankfurt. Seine Arbeiten über Marx, Horkheimer und die Philosophie des Materialismus ermöglichten in den vergangenen 50 Jahren geistige Kontinuität und reflexive Neuaneignung der Grundlagen kritischer Theorie. Diese verstand Schmidt mit Horkheimer als eine, »die den geschichtlichen Prozeß der Gegenwart nicht nur äußerlich beschreibt, sondern wirklich begreift und so zur umgestaltenden Kraft wird, auf die realen Kämpfe des Zeitalters einwirkt«. In seinem Beitrag Philosophie, Wissenschaft und praktische Kritik für Heft 11 (2000) unserer Zeitschrift betonte Schmidt, dass »das moralische Vernunftinteresse an menschenwürdigen Zuständen« im Zentrum der kritischen Theorie steht. Weil es »nicht kategorial ausweisbar«, aber auch nicht aufgebbar sei, bewege sich die kritische Theorie gedanklich und praktisch zwischen Philosophie und Wissenschaft. Schmidt hat Zeit seines akademischen und publizistischen Lebens demonstriert, wie wirkungsvoll diese Bewegung sein kann.
Außerdem trauern um wir um unsere Autoren Robert Kurz (1943-2012) und Michael Th. Greven (1947-2012). Kurz schrieb in Heft 7 (1998) über Marx 2000. Der Stellenwert einer totgesagten Theorie für das 21. Jahrhundert, und in Heft 28 / 29 (2009), anlässlich der Analyse der aktuellen Wirtschaftskrise: Der Dunkelraum der Krisentheorie. Warum das ökonomische Denken zu versagen beginnt. Greven steuerte zum Heft 8 (1999) den Beitrag Geschichtlichkeit und Politik im Arbeitsprogramm des Instituts für Sozialforschung – Wegweiser für Kritische Theorie heute? bei.
Vom Tod unserer Autorin Irina Djassemy im Jahre 2009 erfuhren wir erst kürzlich. Sie hatte in Heft 17 (2003) über Produktive Widersprüche in Adornos Kritik der Kulturindustrie geschrieben.
Das Doppelheft 2012 enthält folgende Abhandlungen, Einlassungen und Besprechungen.
Hermann Schweppenhäuser arbeitet mit Blick auf Benjamin heraus, wie Adorno die ästhetischen Begriffe des Ausdrucks und des Bildes wechselseitig vermittelt hat, ohne ihre kategoriale Trennung und ihren unterschiedlichen zivilisationsgeschichtlichen Eigenwert zu verleugnen. Dabei geht der Autor auch auf Fragen des visuellen Realismus in Fotografie und Film ein. In Schweppenhäusers Lektüre wird deutlich, dass ›Ausdruck‹ nicht unmittelbarer Naturlaut, sondern bereits Resultat von Naturbeherrschung ist, die mit der mimetischen Wiederholung des Naturschreckens und seiner Stilisierung im Bilde beginnt. – Matthias Mayer wirft einen Blick auf die Diskussion des Moralproblems bei Marx und im Marxismus, der die Grundlage für eine Auseinandersetzung mit der Wirtschaftsethik der Gegenwart liefern könnte. Im ersten Teil wird das Moralitäts-Sittlichkeits-Theorem mit Bezug auf Adorno betrachtet; der zweite Teil stellt mit Bloch und Eberhard Braun die marxsche Kritik der Moralphilosophie vom Materiebegriff aus dar. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit dem Sowjetmarxismus, dessen Motivationsversuche zur Steigerung der Arbeitsproduktivität Mayer zufolge von der kapitalistischen Wirtschaftsethik unserer Tage variiert werden. – José M. Romero verfolgt das Verhältnis des jungen Herbert Marcuse zu Martin Heidegger, von dem er Abstand nahm, nachdem dieser sich 1933 mit den Nazis eingelassen hatte. Romero zeigt, daß Marcuse Heidegger bereits vor seinem Freiburger Habilitationsplan kritisierte: Heideggers Ontologie der Geschichte berücksichtige zu wenig die konkrete und materiale Konstitution der Geschichtlichkeit. Zugleich übernahm Marcuse Elemente aus Sein und Zeit in seine Fassung der kritischen Theorie. – Zwei Texte setzen sich mit kulturindustriellen Phänomenen auseinander: Dirk Stederoth aktualisiert in seinem Beitrag die Kulturindustrie-Kritik von Adorno und Horkheimer an der Musikerin Lady Gaga, indem er exemplarisch nachzeichnet, wie heute, in einer selbstreferenziellen, medial vermittelten Popkultur der Superlative, mit Stereotypen und Standards umgegangen wird. Dabei zeigt sich, dass zahlreiche Analysekategorien der älteren Kritischen Theorie auch hinsichtlich der neuesten Pop-Phänomene noch greifen. – Michele Salonia interpretiert die Mode als ein Kristallisationsphänomen der Kulturindustrie und akzentuiert die spezifisch neuen Formen, mit denen die Kultur durch die Kulturindustrie transformiert wird. Er führt das Konzept der ›Modenform‹ ein und arbeitet den strukturellen Zusammenhang von Mode und Kulturindustrie vor dem Hintergrund kultursoziologischer, semiotischer und systemtheoretischer Modetheorien heraus. Bei Produkten der Kulturindustrie gehe es nicht um das Verstehen von Objekten, sondern um das Spüren des sozial erfolgreichen Neuen. Damit Individuen sich zurechtfinden und in Kollektive integriert werden können, bildeten sie ein feines Gespür dafür aus, was in der kulturellen Alltagspraxis ›ankommt‹. Genau das aber sei das Prinzip der Mode in der Kultur der Moderne. – Für die freundliche Genehmigung zum Vorabdruck der Beiträge von Stederoth und Salonia danken wir Anne Eusterschulte und Jordi Maiso, den Veranstaltern der Tagung »Kritische Theorie der Kulturindustrie: ›Fortzusetzen‹« am Institut für Philosophie der freien Universität zu Berlin im Januar 2012. Alle Vorträge dieser Tagung werden im kommenden Jahr im Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg, erscheinen. – Des Weiteren legt Jens Birkmeyer eine Lektüre von Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert vor, in der er die These entfaltet, dass es sich in den einzelnen Abschnitten nicht um einfache Erinnerungsbilder handle, sondern um eine Reflexion auf das Erinnern, in der eine ästhetisch amalgamierte Erinnerungsarbeit geleistet wird. Neben dem Blick in die Vergangenheit werde das Angeblicktwerden aus der Vergangenheit konzipiert. Dieses könne medientheoretisch aufgeschlossen werden, indem die Teilhabe des Subjekts am Angeblicktwerden konzipiert wird. Birkmeyer spricht mit Lambert Wiesing von einem Übergang vom ›Ich‹ zum ›Mich‹ der Wahrnehmung und stellt im Verlaufe des Artikels weitere medientheoretische Anschlüsse im Übergangsbereich von Literarizität und Bildlichkeit her. – Gerhard Vinnai spürt der Kategorie des Wunsches in der Psychoanalyse nach. Er kann mit Freud zeigen, dass das psychoneurotische Symptom als Wunscherfüllung des Unbewussten aufgefasst werden muss; zugleich setzt Freud auf eine Anerkennung der eindimensionalen Realität. Dagegen betont Vinnai umgekehrt, dass der heute vorherrschende scheinbar nüchterne und realistische Glaube an die Vernunft des Kapitalismus insgeheim vom Wunsch nach einer Art religiöser Erwähltheit lebe, die sich mit infantilen Wunschwelten verbindet. Dieser Zusammenhang sei kritisch aufzunehmen, um die utopische und verändernde Dimension der Wunschwirklichkeit davon abzulösen und aufzuzeigen. – Christine Zunke liefert wichtige und überfällige Elemente einer Kritik der Neurophysiologie. An den Forschungen von Gerhard Roth und anderen kann sie zeigen, dass der heutige Trend zur Neurophysiologie als neuer universalistischer Leitwissenschaft ideologisch ist, hinter die Auseinandersetzungen um den Positivismusstreit zurückfällt und die soziale Realität der Menschen im Kapitalismus nicht berücksichtigt. Mit Verweisen auf Marx und die notwendige gesellschaftliche Reproduktion der Individuen macht sie deutlich, dass die heutigen Biologen sich noch immer an Skinner und anderen Behavioristen ausrichten und von naiven anthropologischen Vorstellung über die Naturhaftigkeit des Menschen ausgehen.
In den Einlassungen drucken wir zunächst zwei Artikel, die als Reaktionen auf das Gespräch zwischen Christoph Türcke und Axel Honneth aus Heft 32 / 33 bei der Redaktion eingegangen sind. Dabei geht es um eine grundsätzliche Positionsbestimmung der Kritischen Theorie heute. Hans-Ernst Schiller präpariert in einem historischen Durchgang vom frühen Horkheimer bis zu Habermas die Hauptgedanken der Kritischen Theorie heraus, wobei er die ökonomische Theoriebildung und deren Auswirkungen in den Mittelpunkt stellt. Es handle sich bei der Kritischen Theorie, so die Einstiegsthese, um eine unter mehreren historischen Formationen, in der die an Marx anknüpfende Kapitalismuskritik nach dem Scheitern der proletarischen Revolution gedacht worden sei. – Während Honneth zu dem Schluss kam, dass Kritische Theorie heute kaum mehr plausibel gemacht werden könne, da sie mit überholten Hegel- und Marxprämissen arbeite, macht Gunzelin Schmid Noerr deutlich, wie sehr sich der Materialismus der Kritischen Theorie von Hegel und Marx auch unterscheidet und genau deswegen zum Verständnis heutiger kultureller und psychologischer Phänomene einen wichtigen Beitrag leisten kann. – Gerhard Richter unternimmt eine Selbstvergewisserung in Bezug auf die Position des Intellektuellen in der heutigen Gesellschaft. Ausgehend von Brechts berühmten Versen, in denen ein Gespräch über Bäume ein Schweigen über unzählige Untaten mit sich bringt, misst Richter die widersprüchlichen Implikationen des kritischen Sprechens aus, indem er das brechtsche Bild des Baumes fortschreibt und dabei auch auf Positionen von Adorno und Marcuse zurückgreift. – Karlheinz Gradl diskutiert Adornos Lektüre des kantischen Motivs des Erhabenen anhand der Begriffe Subjekt, Natur, Totalität und Mythos. Er zeigt, wie Adorno ein Theorem von Benjamin über die Rettung des Mythischen und die Versöhnung von Vernunft und Mythos auf Kants Philosophie zurückprojiziert. Adornos dialektisches Konzept des Erhabenen ist der Vorschlag für einen Vermittlungszusammenhang in Bezug auf das Subjekt und dessen Rezeption des Mythos in der Moderne: Im Kunstwerk werde der Reflex auf die begriffslose Erkenntnis im Erhabenen zur Form. So könne das Subjekt, nach Adorno, vermittelt durch die Erfahrung des Erhabenen eine »andere Form souveräner Autonomie« entwickeln, die sich nicht in den Aporien der Naturbeherrschung verstrickt. – Susanne Martin, schrieb Heinz Steinert im Jahre 2010, »arbeitet über Entwicklungen des Intellektuellen-Begriffs im 20. Jahrhundert mit Adorno und der ›nonkonformistischen Intellektualität‹ als Angelpunkt«. Ihre Forschungsfrage laute, »in welchen Formen eine solche Intellektualität unter Bedingungen von erweiterter Kulturindustrie möglich ist«. In ihrem hier publizierten Aufsatz stellt Martin erste Ergebnisse vor: eine methodisch kontrollierte Ideologiekritik der kulturindustriellen Intellektuellendarstellung, die der Spiegel im sogenannten ›Jahr der Geisteswissenschaften‹ lieferte. Die Analyse macht transparent, wie durch Personalisierung und Marginalisierung der Arbeitsinhalte visuelle und sprachliche Bilder abenteuerlicher, erfolgreicher und selbstdarstellungserprobter ›Geistesgrößen‹ gestaltet werden, die Intellektuelle auch da noch konformistisch erscheinen lassen, wo ihre Arbeit es nicht ist.
Im Literaturbericht diskutiert Dennis Johannßen neuere Arbeiten aus der englischsprachigen Benjaminforschung.
ABHANDLUNGEN
Hermann Schweppenhäuser
Schein, Bild, Ausdruck
Aspekte der Adorno’schen Theorie der Kunst und des Kunstwerks*
Für Sabine zum 27. 9. 2012
Tilegnet Sabine og Jens, Jakob og Marianne, Johannes og Maja og de danske venner til erindring om vore samtaler om kunst og kunstnerne i vors forfaldsepoke.
Kunst hegt der Betrieb als Naturschutzpark von Irrationalität ein, aus dem der Gedanke draußen zu halten sei. Dabei verbündet er sich mit der […] zur Selbstverständlichkeit erniedrigten Vorstellung, Kunst müsse schlechthin anschaulich sein, während sie doch allenthalben am Begriff teilhat. Primitiv verwechselt wird der […] Vorrang von Anschauung in der Kunst mit der Anweisung, es dürfe über sie nicht gedacht werden.
Alle ästhetischen Fragen terminieren in solchen des Wahrheitsgehalts der Kunstwerke: ist das, was ein Werk […] objektiv an Geist in sich trägt, wahr? Eben das ist dem Empirismus als Aberglaube anathema […] es sei denn, daß er der Kunst alle Erkenntnisse als Dichtung überschreibt, die seinen Spielregeln nicht zusagen.
Adorno
Vom Begriff soviel Eignung zur anschaulichen repraesentatio des Besonderen zu beanspruchen, wie doch nur die sinnliche Erkenntnis (cognitio sensitiva) sie gewährt – und andererseits der aisthesis soviel Eignung, begriffliche Objektivität und Verbindlichkeit zu vindizieren, wie nur die noesis und die Logik (cognitio intellectiva) sie verbürgen: Das ist weder dasselbe, wie den Begriff und Noetisches durch aisthesis, sensus und mimesis zu ersetzen – noch dasselbe, wie das Ästhetische durch das Theoretische zu verdrängen und jenem die höhere Wertigkeit, den eigentlichen Wahrheits- und Erkenntniswert zuzusprechen: was den Hauptvorwurf der antiintellektualistischen Rezeption der Adorno’schen Kunsttheorie bei seinen Kritikern ausmacht. Der zureichende Grund dessen liegt in der unzureichenden Vergegenwärtigung – oder schlicht im Zurechtstilisieren – der dialektisch hochdifferentiellen Begriffsstruktur der theoretischen Aussagen Adornos, die der Affinität mit dem Konkret-Realen, das sie treffen sollen und dem sie begrifflich sich anmessen, den Ausdruck verleihen. Dass sie das tun: dass das Ausdrucksmoment in der begrifflichen Darstellung nicht ausfällt, sondern umgekehrt den Begriffen in der cognitiven repaesentatio zugute kommt, das macht diese repraesentatio noch lange nicht zur – abgewerteten – künstlerischen. Zu einer solchen pflegt sie scientifische Betriebsblindheit herabzustufen; Leute von mangelnder Darstellungs- und Ausdruckskraft, die aus der Vermauerung in die stereotype Wissenschaftsidiomatik selber ausbrechen möchten und dem, dem es gelingt, Ausscheren aus dem Regelspiel, Gestik, ›Talentiertheit‹ vorhalten. Aber auch gegen Vorwürfe wie den – seit frühpositivistischen Tagen geläufigen – des dialektischen Mystizismus1 ist an die kritische Strenge, die cognitive Relevanz, die mitnichten bloß mimetischästhetisch vollziehbaren Einsichten in den Charakter der Kunst – ist, mit einem Wort, an den aufgeklärten Kunstbegriff der Adorno’schen Philosophie zu erinnern.
Als diesen kennzeichnend erweist sich die Grundeinsicht in den durchgängig dialektisch antinomischen, amphibolischen Charakter der Gebilde der Kunst. Keine »Invariante in der Ästhetik«, die nicht »zu ihrer Dialektik treibt«2. Das gilt von Natur und Wesen der kulturellen Kunst-Instanz selber. Kunst ist im Sinn der klassischen Topologie poiesis und von den beiden andern »wissenschaftlichen« Verhaltensarten, von theoria und von praxis der Art nach distinkt:3 von der Theorie – die Seiendes betrachtet und erkennt – und von der Praxis – die in der Stellung dazu das richtige Leben zu gewinnen sucht – dadurch, dass sie Seiendes hervorbringt. Sie ist das Vermögen der Artefakte, die zu den Naturaten – den erkennend durchdrungenen und den für das Lebensbedürfnis eingerichteten – hinzutreten. Eben das artefizielle Wesen, das Hervorgebrachtsein, die nach Plan und technisch realisierte Produktion, erlischt im ontologischen, spätestens wenn die Poiesis, die erst alles Handwerk umfasst, spezialisiert ist als Poesie und historisch – nämlich in der Neuzeit – nur noch für die beaux arts steht. Denn als schöne Kunst lässt Poiesis ihr Hervorgebrachtes nicht durch den Gebrauchswert geprägt sein, den man ihm – den »Kultwert« Benjamins – doch ansieht schon an den Skulpturen in den Tempeln und den Tempeln selbst, ja an den magischen und rituellen Kultbildern; und der das Hervorgebrachte zuinnerst formiert. Sondern das Produkt der beaux arts spiegelt Sein vor, das seinen Zweck, der seine ureigne raison d’être ausmacht, von sich aus und in sich selbst hat: Sein, das sein Produziertsein verdeckt.
Adorno nennt diesen Grundcharakter der künstlerischen Hervorbringungen »die ästhetische Paradoxie schlechthin«4. Ein Kunstwerk ist seiendes Scheingebilde, in genau der Bestimmtheit dieser drei begrifflichen Elemente. Es ist Gebilde, ein subjektiv Produziertes, Gebildetes; nachdem es einmal gemacht ist, Ontisches, wie ein Naturat einen Platz unter den Seienden einnehmend; und es ist so gemacht, das es ein Seiendes, objektiv dinglich scheint. Das gilt für es als Existierendes wie für das, was dies Existierende »ist«, bedeutet, was es durch seine Gestalt repräsentiert, ausdrückt, gleicherweise – ähnlich dem Tierbild schon paläolithischer Zeit, welches das Tier nicht sowohl abbildet sondern ist, und dessen Tractament im Jagd- oder Opferritual in vollständiger Analogie das Tractament der Jagd- oder der Opferhandlung selber vertritt. Der Gehalt – ousia, die reale Substanzialität – des Gebildes müsste von einem Schein verschieden sein; »aber kein Werk hat den Gehalt anders als durch den Schein«5. Das Gedichtete des Poems, Gemalte des Bildnisses, Komponierte der Musik (das Photographierte der Photographie, der Kinematographie: das Gefilmte des Films – wenn denn Photographie und Kinematographie Künste sind, der Film wirklich eine Kunst ist oder Kunst sein kann) – ein Objektives, die Substanz des Gebildes; das was nicht subjektiv sondern für das Subjekt, Formiertes, Begriffenes ist: Es ist gleichwohl allein durch das Dichten, Malen, Komponieren, das Zeichnen, Photographieren, Kinematographieren, das Tun des künstlerischen Subjekts. Wie aber »kann Machen ein nicht Gemachtes erscheinen lassen?« Denn der Künstler – etwa Monet – macht ja nicht den »Bec du Hoc«, den »Portail de la cathédrale« und den »temps gris«, in dem er daliegt; er macht, dass er hervortritt, nicht ihn, der ist und in diesem seinen Sein mehr und anderes ist, als an Ort und Stelle in den stumpfen oder den äugenden Blicken, die dies Andere vielleicht erst dann gewahren, wenn der Künstler es aufscheinen ließ. So das berühmte Klee’sche Diktum: »Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.«6 – Aber »wie kann, was dem eigenen Begriff nach nicht wahr« – Scheinhaftes, Schein – »ist, doch wahr sein«7?
Die Frage fasst den paradoxalen Charakter von Kunst präzis: Das künstlerische Gebilde ist unwahr, lügenhaft, sofern es ein Sein bloß scheinen lässt, und dasselbe Gebilde kann doch zugleich wahr sein, sofern was erscheint, dem Gehalt nach den index veri an sich trägt. Die Figur des Ineins von Nichtwahr und Wahr, identitätslogisch ein Absurdum, hat dialektische Logik – gar nicht unlogisch – als die eines Modus der sich vollbringenden Wahrheit gefasst: der Wahrheit in ihrer Unwahrheit, in der noch nicht erlangten Angemessenheit an sich selbst.
Eine Gestalt der Wahrheit in ihrer Unwahrheit heißt in der Marx’schen Theorie »Ideologie«: ein notwendig falscher geistiger Schein.8 Seine Notwendigkeit – das So-und-nicht-anders des Begriffs und Bewusstseins vom Sein unter gegebenen, noch unenthüllten Bedingungen der Bezogenheit beider aufeinander – weist auf das Wahrheitsmoment der Ideologie; die Verhüllung, der Schein auf das Lügenhafte, den Trug. So ist an der religiösen Ideologie das Wahrheitsmoment die Idee des Integren, Leid- und Mangellosen, in der sich der menschliche Protest gegen Elend, Mangel und Heillosigkeit der irdischen Verhältnisse, deren Unerträglichkeit; in der sich die Kritik daran formuliert, und das heißt: das Elend selbst, der Schmerz sich invers ausdrückt9. Schmerz sagt an sich, durch sich selbst: ich will nicht sein, »Weh spricht: Vergeh«10. »Bedingung aller Wahrheit« ist »das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen«11: sein Ausdruck, der die Wahrheit negativ, als ihre Vermissung artikuliert und sie gewissermaßen »herbeizieht«, wie Adorno im Sinn des strengen Ideologiebegriffs der Marx’schen Theorie sagt12. Der Trug an der religiösen Ideologie ist die Hypostase jener Idee als seienden Göttlichen, Vollkommenen, das über dem Elend wirke und über es hinweghelfe, von dem es aber nur in der Gestalt der praktisch hergestellten integritas und Vollkommenheit des Seins kurierte; in Form des in der geheilten Menschheit realisierten und bewiesenen Göttlichen. – Die religiöse Ideologie ist Wahrheit in der eigenen Unwahrheit, zu der sie solange verhalten ist, wie sie in der Weise vorstellender Projektion statt seiender Herstellung ist.
Analog verhält es sich mit dem »Fetischcharakter der Ware«, die ihr eigner zäher dinglicher Schleier ist; dem Charakter zweiter Natürlichkeit, mit der er die gesellschaftlichen Verhältnisse der Subjekte und ihrer produktiven Kräfte verhüllt, die nicht »als das was sie sind« erscheinen, sondern »als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen«13: in der verkehrten Perspektive autarken dinglichen Seins, eines Seins mit sachlich zwingender Gewalt über die, die sie entbanden. Der fetischistische Schein nimmt hier die seiende Gewalt eines Bannes an, der die aus seinem Umkreis nicht entweichen lässt, die ihn ohne Bewusstsein verhängten. Ansich-Bestimmtheit, Selbstzwecksein von Subjekten, Kreaturen und Dingen sind von der Wertform absorbiert. Das Sein des industriellen Universums und das Dasein in ihm ist die unbezweifelbare wirkliche Wahrheit und zugleich deren empörende Unwahrheit, die Für-anderes-Sein und An-sich-Sein unversöhnt lässt und mit sich selbst in Unangemessenheit bleibt. Versöhnung erheischte die Lösung des Banns, die Entmagisierung des Fetischcharakters: eine bei der tiefwirkenden Gewalt der von ihnen geschlagenen Subjekte anscheinend vergebliche Anstrengung. Was ist schon die von Göttern entzauberte Welt – mit der sie sich abfanden – gegen eine vom Tausch- und vom Warenfetisch entzauberte, die sie, geprägt davon wie sie sind, nicht überstünden.
Am Fetischwesen haben die Kunstwerke keinen geringeren Anteil als die religiösen und als alle nicht selbstkritisch reflektierten, selbstaufgeklärten philosophisch-theoretischen Bildungen; keinen geringeren als die Hervorbringungen von techne und poiesis in der Gestalt der Produktivkraft auf entwickeltstem hochindustriellen Niveau: ihrer Produkte par excellence, der physischen und geistigen Waren, sei’s in der Getrenntheit, sei’s in der physisch-geistigen Komplexion. Die Kunst ist ein »Komplize der Ideologie«, heißt es unmissverständlich bei Adorno14 – was an der von Politik und Wirtschaft als eines der effektivsten Propagandainstrumente genutzten Filmkunst besonders drastisch zum Ausdruck kommt.
Die Kunstwerke sind es nicht bloß durch den »ästhetischen Schein« – sie sind es durch alle die Charaktere, die eben dieser Schein zugleich auch verhüllt; nämlich dadurch, dass sie Produkte aus Stoff und Form sind, modellhaft entworfen, geplant, realisiert auf dem erreichbaren Niveau technisch-künstlerischer Produktivkraft und Reproduktionskraft15, darin wie immer modifizierte Mimesen gesellschaftlicher Produktion, hervorgebracht nach distinkten, oft genug begriffslosen und doch zwingenden Regeln und Schematen. In diesen Charakteren gesellschaftlicher Produktion und instrumenteller Rationalität sind und schaffen die Werke »die Welt noch einmal«16: bezwingend leuchtender Fetischschein mit der hypnotischen Gewalt, das Sein selbst vorzuspiegeln. Zugleich durchbrechen sie die Hülle und deuten auf die Wahrheit, die das vorgespiegelte Sein gar nicht und noch nicht ist. Das tun sie gerade mit Mitteln und Konstituentien der nichtästhetischen Hervorbringung: der, die nach kommunikativen und instrumentellen Zwecken erfolgt, solchen, die dem Kommunizierten und Instrumentierten äußerlich sind. »Die Technik, welche ihre Ideologie verketzert, inhäriert der Kunst«17, sie ist »Konstituens von Kunst«18. Die Werke treiben den instrumentellen Charakter der Bearbeitung, der Stilisation dessen, was der Instrumentation widerstrebt, aufs deutlichste heraus, lassen ihn plastisch werden; die ästhetische Mimesis gesellschaftlicher Arbeit nach Kriterien technischer Rationalität, je akribischer und hingegebener betrieben, schlägt desto sicherer um in die Durchschauung und Erkenntnis ihrer wie der Natur des Bearbeiteten – so, wie der kontemplative Begriff die Anschauung des in ihm Begriffenen gewährt. »Der lange, kontemplative Blick, dem Menschen und Dinge erst sich entfalten« – es ist auch der künstlerische: die »geduldige Kontemplation der Kunstwerke«19 –, »ist immer der, in dem der Drang zum Objekt gebrochen, reflektiert ist. Gewaltlose Betrachtung, von der alles Glück der Wahrheit kommt, ist gebunden daran, daß der Betrachtende nicht das Objekt sich einverleibt«20, es also auch durch das Instrumentarium solcher Begrifflichkeit nicht alteriert, die als abstrakt-identifikatorische, »abschneidende und zurichtende« die eigentümliche Identitität des Identifizierten erstickt oder beschädigt. Durchschaut der kontemplative Blick das begriffliche Instrumentarium, das Tun der abstraktiv komparativen Subsumtion, zuletzt den Intellekt im Dienste des Willens, so treibt die künstlerische Produktion, die ästhetische Rationalität durch ihre alles einsetzende Hervorbringungskraft zur Enthüllung ihres eigenen Wesens, sowie dessen, das die Hervorbringungskraft herbeinötigt; die Kunst ist eine Art Kommentar zur erlösungsbedürftigen Welt, ohne den sie noch unverständlicher – und empörender – wäre. Indem die künstlerische Produktivität zur Selbstanschauung gelangt, wird sie zum Gewahren dessen, was entfesselte Produktion am Bearbeiteten, an innerer und äußerer Natur anrichtet. Das was das bearbeitete Seiende von sich aus will, wird negativ absehbar an der Verkümmerung und Schändung, die – dem Subjekt und der Natur entfremdende – Arbeit verschuldet. Eine Vorstellung von dem scheint auf, was sein könnte, an dem, was ist, und was darin das Mögliche negiert und einkapselt.