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»Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens«
Aspekte des Kulturguts Wein
Herausgegeben von
Heinz Decker
Helmut König
Wolfgang Zwickel
272 Seiten mit 159 Abbildungen
Titelbild: © M. Sachse-Weinert
Frontispiz: © W. Zwickel
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media, Mainz am Rhein
ISBN 978-3-945751-58-9
Gestaltung: Lohse Design, Heppenheim, www.lohse-design.de
Lektorat: Sarah Kremerskothen, Antonia Pohl, Natalia Thoben, Katharina Weller
Gestaltung des Titelbildes: Sebastian Ristow
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.
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E-Book Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
R. Brüderle
Vorwort
H. Decker / H. König / W. Zwickel
Einführung
Kulturgeschichte und Religion
P. Kupfer
Der älteste Wein der Menschheit in China: Jiahu und die Suche nach den Ursprüngen der eurasischen Weinkultur
S. Grätz / D. Prechel
Wie Nebukadnezar zu seiner Flasche kam. Der altorientalische und biblische Hintergrund übergroßer Wein- und Sektflaschen
W. Zwickel
Weinanbaugebiete in biblischer Zeit
K.-J. Gilles
Römischer Weinbau an Mosel und Rhein
M. König
Spätrömische Kelteranlagen an Mosel und Rhein – Ein Beitrag zur Wein- und Landwirtschaftsgeschichte
H.-P. Kuhnen
Wasser predigen – Wein trinken. Die frühen Kalifen und der Wein
M. Sachse-Weinert
Wein und Religion: Ein interkultureller Vergleich
Gesundheit
T. Efferth
Medizinalweine – damals und heute
J. Volmar
Wein, Weib und Herz
H. Decker / P. Fronk / M. Blettner
Alkoholkonsum in einer deutschen Weinregion und mögliche Gefährdungen
Weinbau und Önologie
H. König / E. Christ
Weinherstellung wie in alten Zeiten oder: Was haben die heutigen Winzer mit Dirigenten gemeinsam? Mikrobiologie der Spontangärung
R. Töpfer
Resistenzzüchtung bei Reben im Licht der Genomforschung
N. Jäckels / P. Fronk / H. Decker
Untersuchungen zur Weinschönung
R. Eder / I. Groiss / O. Grössenbrunner
Wieviel Mineralik ist in unseren Weinen?
M. Sachse-Weinert
Weinbau unter musikalischem Einfluss: 2 + 2 = 5
R. Nickenig
Deutscher Weinbauverband e. V
Weingüter
D. Pieroth
10 Winzergenerationen seit 1675 – Ein historischer Rückblick. Von Hofmann Pieroth bis zur WIV Wein International AG
M. Dietz-Lenssen
Die »Rotweinstadt« Ingelheim am Rhein und das Weingut J. Neus
F. Ringhoffer / H. Decker / W. Horn
Die Entstehung und Entwicklung des Mainzer Weinsenates
Ausblick in eine neue Weinwelt
S. Fleischer
Von Mainz nach China und wieder zurück – Beobachtungen zu einem neuen Weinmarkt (Interview)
M. Christmann
Die Zukunftsthemen in der Weltweinproduktion
Autorenverzeichnis
Abbildungsnachweis
Werbeseiten
Vorwort
Ein neues Buch über Wein. Es gibt schon viele Bücher zu diesem Thema: Weshalb ein weiteres?
Weil Wein ein unerschöpfliches Thema ist, das viele Aspekte, Zusammenhänge und ständig neue Erkenntnisse umschließt.
Den Herausgebern und Autoren dieses Werkes über Wein ist es wirklich gelungen, viele neue Blickwinkel dieses großen Themas zu erarbeiten und dem interessierten Leser sehr anschaulich zu vermitteln. Der Bogen ist weit gespannt, angefangen bei Geschichte und Religion über Medizin und Weinbau, bis hin zu Weingütern und den Perspektiven für die Zukunft. Dies war nur dadurch möglich, dass sich viele Experten zusammengefunden haben.
Für Freunde des Weins ist es ein sehr in die Tiefe gehendes Werk, für »nur« Weintrinker eine Chance, sich die Welt des Weins zu erschließen: So vielfältig, wie die Welt, Kulturen und Philosophien sind, sind auch die Facetten des Weins.
Der erfahrene Weintrinker kann bei einem Schluck Wein, wenn er die Augen schließt, vor seinem inneren Weinauge aufgrund verschiedener Geschmackskomponenten (verursacht durch Mineralstoffe, Säure, Restsüße, Tannine, Enzyme und vieles mehr) Bilder von Landschaften, Menschen und Gebräuchen erkennen. Er kann außerdem, je nach emotionaler Situation, bei einem Glas Wein Entspannung, Inspiration und Motivation erfahren. Wein trinken kann aber auch immer wieder ein Erlebnis sein. Es führt Menschen zusammen, wirkt Frieden stiftend und stärkt die Gemeinschaft.
In diesem Buch lernt man aber, dass Weinkonsum mit Maß und Vernunft erfolgen muss, damit sich positive gesundheitsfördernde Wirkungen des Weins entfalten können.
Nach der Lektüre des Buches weiß der Leser: Wein ist nicht nur ein Wirtschaftsgut, sondern ein Kulturgut – es spiegelt etwas aus unserer Geschichte und unserer Zeit wider.
Ein lohnenswertes Buch, ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen!
Rainer Brüderle
Einführung
Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens! Diese Worte des griechischen Tragödiendichters Euripides (* ca. 480 v. Chr.– 406 v. Chr.) geben eine wichtige Lebenserfahrung wieder: Wein war besonders im antiken Griechenland und ist dort noch heute ein wesentlicher Bestandteil des Lebens. Diese auf das Weinland Griechenland bezogene Aussage hat jedoch eine viel breitere Relevanz: Schon vor vielen Jahrtausenden wurde vom Nahen Osten bis China Wein als ein grundlegendes Lebenselixier angebaut und getrunken.
Doch Wein ist nicht nur das wichtigste Getränk der Vergangenheit im Mittelmeerraum, er hat auch eine hohe gegenwärtige Relevanz. Hierbei spielen Mainz und Rheinland-Pfalz eine für Deutschland hervorragende Rolle. Mehr als 60 % des deutschen Weins werden in den rheinland-pfälzischen Anbaugebieten Ahr, Mittelrhein, Mosel, Nahe, Pfalz und Rheinhessen hergestellt. Im Juni 2008 wurde die Stadt Mainz als einzige deutsche Stadt in das internationale »Great Wine Capitals Global Network (GWC)« aufgenommen, einem Zusammenschluss der zehn exklusivsten und bekanntesten Weinbaustädte weltweit. Aber nicht nur deshalb kann Mainz als (heimliche) Weinhauptstadt Deutschlands angesehen werden. Mainz ist auch der Standort bedeutender Weininstitutionen wie des Deutschen Weininstituts, des Deutschen Weinfonds und der Deutschen Weinakademie.
Mit der Gründung des Instituts für Mikrobiologie und Weinforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in den 60er-Jahren wurde auch die akademische Weinforschung in Rheinland-Pfalz etabliert. Einige Hochschullehrer der hiesigen Universität sind auch Mitglieder im Mainzer Weinsenat, der sich besonders gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten des Weins widmet.
Die vielfältige und wichtige Bedeutung, die Wein in nahezu allen Bereichen des menschlichen Lebens seit Jahrtausenden spielt, werden an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz in einer Breite untersucht, wie es möglicherweise an keiner anderen wissenschaftlichen Institution weltweit der Fall ist. Dazu wurde vor mehreren Jahren ein interdisziplinärer Arbeitskreis (IAK) »Rebe und Wein« an der Johannes Gutenberg-Universität gegründet, in dem kulturgeschichtlich und önologisch relevante Themen aus so vielfältigen Bereichen wie Archäologie, Archäobotanik, Literatur-, Religions- und Profangeschichte, Theologie, Psychologie, Sprachwissenschaft, Mikrobiologie, Biophysik, Genetik, Chemie, Medizin, Pharmakologie, Recht sowie Wirtschaft bearbeitet werden. Die Ergebnisse wurden in den vergangenen Jahren in jedem Sommersemester in der Vorlesungsreihe »Weinwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz« einem lokalen weininteressierten Publikum vorgestellt. Einige Vorträge wurden 2012 in dem Band »Kulturgut Rebe und Wein«. (Springer-Verlag, Heidelberg) einer breiteren Öffentlichkeit auch außerhalb von Mainz präsentiert.
Wegen des anhaltend großen Interesses haben wir uns entschlossen, weitere Vorträge zum Thema Rebe und Wein in dem vorliegenden Weinbuch herauszugeben. Der Bogen ist auch hier wieder weit gespannt. Die Kulturgeschichte des Weins wird von den ältesten Weinfunden in China über die nahöstlichen und biblischen Referenzen bis hin zum römischen Weinanbau an der Mosel exemplarisch dargestellt. Die drei ausgewählten Regionen sind ausgezeichnete Beispiele für die Geschichte des Weinanbaus in der Antike. Die Bedeutung des Weins hat sich dabei in religiösen und liturgischen Handlungen unterschiedlichster Religionen Asiens und Europas niedergeschlagen. In einem zweiten Abschnitt werden die gesundheitlichen Aspekte des Weins behandelt. Ist Weinkonsum eher gesundheitsgefährdend oder -fördernd? Hier werden aktuelle medizinische Forschungen auf einem allgemein verständlichen Niveau auch für Nichtmediziner präsentiert. Der Weinbau schreitet ständig voran und führt zu völlig neuen Entwicklungen, die von Laien oft nicht wahrgenommen werden (können). Einige Beiträge zur aktuellen Weinforschung erlauben es dem nichtfachkundigen Weintrinker, besser zu verstehen, was mit seinem Glas Wein beim Winzer geschah und welche Anstrengungen die Winzer unternehmen müssen, um den gestiegenen Anforderungen an die Weinqualität gerecht zu werden. Hier wird ein breites Spektrum möglicher Verbesserungen der Weinqualität aufgezeigt, von Züchtungserfolgen über Optimierungen bei der Weinherstellung bis hin zum möglichen Einfluss unterschiedlichster Musikrichtungen auf den Geschmack des Weins. Ein vierter Abschnitt widmet sich zwei sehr traditionsreichen und über Rheinland-Pfalz hinaus bekannten Weingütern und ihrer Geschichte. Im fünften Abschnitt werden nicht nur Zukunftsthemen der Weinproduktionen aufgezeigt, sondern mit den Beobachtungen zum neu aufkommenden Weinmarkt in China wird auch der Anfang des Buches wieder aufgegriffen. In China scheint nicht nur der Weinbau entstanden zu sein, hier liegt auch ein wichtiger Markt der Zukunft. China steht heute an siebter Stelle in der weltweiten Weinproduktion und an fünfter Stelle beim Weinkonsum – mit steigender Tendenz. Dabei wurde in jüngster Zeit bis 1980 kaum Wein aus Trauben in China hergestellt.
Wir Herausgeber danken allen Autoren, die ihr Fachwissen in komprimierter und allgemein verständlicher Form zusammengefasst haben. Erst durch diese Vielfalt entsteht ein spannendes Mosaik über Rebe und Wein. Unser Dank gilt auch Frau Dr. Nünnerich-Asmus vom Nünnerich-Asmus Verlag Mainz, die unsere Buchidee bereitwillig aufgegriffen und bis zur Fertigstellung mit viel Engagement begleitet hat. Der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, dem IAK »Rebe und Wein« an unserer Universität, dem Mainzer Weinsenat und dem Weingut Wittmann sowie dem Restaurant Classico danken wir zudem für die finanzielle Unterstützung, ohne die die Drucklegung dieses Bandes nicht möglich gewesen wäre. Wir freuen uns darüber hinaus, dass unser Buch rechtzeitig zu einem besonderen Jubiläum erscheint: Im Jahr 2016 jährt sich die Namensgebung von »Rheinhessen« zum 200. Mal. Ein Weinbuch ist sicherlich ein richtiger und wichtiger Beitrag zu diesem Jubiläum der bekannten Weinregion.
Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir viel Freude bei der Lektüre der einzelnen Beiträge dieses Bandes – am besten begleitet von einem guten Glas Wein.
Mainz, im April 2015
Heinz Decker
Helmut König
Wolfgang Zwickel
Kulturgeschichte und Religion
Der älteste Wein der Menschheit in China: Jiahu und die Suche nach den Ursprüngen der eurasischen Weinkultur
Peter Kupfer
Die bisher ältesten Funde der Produktion von alkoholischen Getränken mittels Fermentation von Weintrauben reichen genau in die Zeit der sog. Neolithischen Revolution zurück, also der Epoche der Transformation umherziehender Jäger- und Sammlergruppen in feste Siedlungsgemeinschaften, der Domestizierung von Nutzpflanzen und -tieren, der Entstehung von Ackerbau, Viehzucht, Vorratswirtschaft, Küche, Kochkunst, Handwerk (Töpferei, Werkzeuge, Waffen, Kleidung, Schmuck usw.) und künstlerischen Spitzenleistungen. Chemische Analysen von organischen Spuren an etwa 9.000 Jahre alten Scherben von Keramikgefäßen aus der neolithischen Siedlung Jiahu in der zentralchinesischen Provinz Henan durch ein amerikanisch-chinesisches Team unter der Leitung des Archäochemikers und Alkoholforschers Patrick E. McGovern (University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology) ergaben 2004 den spektakulären Nachweis des ältesten alkoholischen Getränks der Menschheit, bestehend aus Reis, Honig und wilden Weintrauben (Abb. 1).
Weinreben in China
Die Weinrebe (Vitis) ist eine der ältesten und vielfältigsten Pflanzengattungen überhaupt in den gemäßigten Zonen Nordamerikas und Eurasiens. Dass gerade auch in China der Traubenwein am Anfang der Fermentationsgeschichte steht, ist nicht verwunderlich, da auf dem heutigen chinesischen Territorium spätestens seit dem Tertiär über 40 Arten wilder Weinreben heimisch sind, d. h. weit über die Hälfte aller Arten weltweit. Rund 30 Vitis-Arten kommen sogar nur in China vor (s. Kasten S. 14). Einige von diesen einheimischen Vitis-Arten sind für die genetische Forschung interessant, wie z. B. die nur in Ostasien wachsende Vitis amurensis, die nach dem chinesischrussischen Grenzfluss Amur benannt und in Nordostchina sehr weit verbreitet ist. Bis heute werden dort Rotweine, sogar Eisweine, nur aus dieser Rebe produziert. Sie ist v.a. wegen ihrer Reblaus- und hohen Kälteresistenz (bis –40 °C bzw. –50 °C) für Rebneuzüchtungen interessant. Deshalb wird sie sowohl in China als auch international bei den einschlägigen Zuchtforschungszentren für Kreuzungen genutzt. Dies gilt auch in unterschiedlichem Maß für die meisten anderen Wildreben, die Resistenzen gegen verschiedene Krankheiten, gegen Kälte oder – eher im Süden – gegen feucht-warmes Klima aufweisen. Bereits in den 1950er-Jahren wurden an verschiedenen Forschungseinrichtungen Untersuchungen und Kreuzungsversuche unternommen, die neue Varianten von Tafeltrauben sowie Trauben für die Weinherstellung hervorbrachten. Seit einigen Jahren wird die diesbezügliche und für die Zukunft vielversprechende Forschung mit Versuchsanbau sowohl an den landesweiten Instituten als auch in größeren Weinbetrieben in China mit modernen Methoden vorangetrieben.
Abb. 1: Ältester Wein der Menschheit: 9.000 Jahre altes Grab in Jiahu mit Karaffe als Beigabe.
Die Wildreben werden in der Volkstradition allgemein als »Bergwein«. (shanputao) oder »wilder Wein«. (ye putao) bezeichnet. Auch gibt es eine ganze Reihe von historischen und regionalen Bezeichnungsvarianten, die oft die botanische Identifizierung schwierig machen, wie z. B. »Katzenauge«. (maoyanjing) oder »Rote Bergziege«. (shanhongyang) für die Vitis adstricta Hance. Bereits in der ältesten chinesischen Literatursammlung, dem Buch der Lieder (Shijing) mit Gedichten und Liedern aus der Zeit vom 10. bis zum 6. Jh. v. Chr., werden mindestens zwei Arten einheimischer Wildreben beschrieben: gelei (Vitis flexuosa Thunbergii), die sich im Süden an Bäumen hochrankt, und yingyu (Vitis adstricta Hance, auch Vitis bryoniifolia) in der heutigen Provinz Shaanxi in Zentralchina, deren Beeren im Sommer gegessen werden können. Beide Reben sind heute noch in mehr als der Hälfte der Provinzeinheiten Chinas, auch im subtropischen Süden, in Gebirgswäldern und Tälern auf 100 bis 2.500 m Höhe verbreitet. Die Beeren sind klein, säuerlich und bei der Reife im Spätsommer und Herbst dunkelrot. In mehreren traditionellen, teils Jahrhunderte alten Medizinhandbüchern werden sie, zusammen mit den Blättern, Ranken und Wurzeln, als Heilpflanzen beschrieben.
Auswahl charakteristischer einheimischer chinesischer Weinsorten, die auf Grund ihres Namens teilweise auch auf ihr Verbreitungsgebiet hinweisen:
Vitis bashanica | Vitis ruyuanensis |
Vitis chunganensis | Vitis shenxiensis |
Vitis fengqinensis | Vitis wenchouensis |
Vitis hui | Vitis wuhanensis |
Vitis jinggangensis | Vitis xunyangensis |
Vitis longquanensis | Vitis yenshannensis |
Vitis luochengensis | Vitis yunnanensis |
Vitis menghaiensis | Vitis zhejiang-adstricta |
Vitis mengziensis | Vitis amurensis |
Der Wissenstransfer entlang der Seidenstraße
Im Westen des eurasischen Kontinents wurden die ältesten, etwa 6.000 – 8.000 Jahre alten Spuren der Herstellung von Traubenwein in Nordwest-Iran und im Kaukasus, im heutigen Georgien und Armenien, nachgewiesen. Diese und weitere erst in jüngerer Zeit erschlossene Fundorte reichen vom Vorderen Orient über Zentralasien bis ins ferne China und zeigen erstaunliche Parallelen in der Produktion und Verwendung alkoholischer Getränke. Neuere archäologische Forschungsergebnisse und auch genetische Analysen deuten darauf hin, dass bereits in der Steinzeit Menschen auf dem gesamten eurasischen Kontinent weite Entfernungen zurücklegten. In den prähistorischen und bronzezeitlichen Jahrtausenden bildete sich ein weitgespanntes west-östliches Netzwerk heraus, das seit dem 19. Jh. als Seidenstraße apostrophiert wird, und welches dem geistigen und materiellen Austausch zwischen einer beispiellosen Vielfalt von Völkern und Kulturen, Religionen und Weltanschauungen, Sprachen und Schriften über enorme geographische und zeitliche Dimensionen hinweg diente. Für die Verbreitung zivilisatorischer Errungenschaften über ganz Eurasien finden sich viele Beispiele, wie etwa die Kultivierung von Getreide und anderen Nutzpflanzen, Keramik- und Bronzekunst, Domestizierung von Tieren, Nutzung von Rad und Wagen, Kriegsführung und Waffentechnik, Fertigung von Textilien und Schmuck usw.
Obgleich es hierzu noch relativ wenige Forschungsresultate gibt, deuten immer mehr Fakten darauf hin, dass die Entdeckung und Nutzung der Fermentation und die Produktion alkoholischer Getränke bei diesem Wissensaustausch keine Ausnahme bilden. Die sog. Eurasische Hypothese geht von der Prämisse eines kulturwissenschaftlichen Diffusionismus auf der Grundlage von Kulturkontakten und -austausch aus. Im engeren Kontext unserer Fragestellung konzentriert sie sich auf die synchrone Entwicklung von Fermentationstechniken und -knowhow sowie überhaupt auf das damit zusammenhängende Entstehen einer »geistigen« Wein- und Alkoholkultur. Diese Hypothese ist eine Herausforderung für das seit jeher tradierte, allseits präsente Stereotyp der Entstehung der Weinkultur in Nahost und ihrer Verbreitung von dort aus über den Mittelmeerraum und Europa.
Entsprechende Entdeckungen besonders im Kaukasus und im Nahen Osten offenbaren schon seit längerem, dass die Herstellung von Traubenwein eng verstrickt ist mit dem Entstehen der frühesten Kulturen.
Die Ausgrabungen von Jiahu
Die Einzigartigkeit der noch längst nicht abgeschlossenen Ausgrabungen von Jiahu im Osten des eurasischen Kontinents besteht darin, dass sie schon jetzt in prototypischer Weise einen relativ umfassenden Einblick in die Uranfänge menschlicher Zivilisation und ihre vielfältigen Wirkfaktoren und Zusammenhänge erlauben. Außer der eingangs erwähnten Feststellung des ältesten fermentierten Getränks traten weitere Superlative zu Tage. Beeindruckend sind die außerordentlich frühen Töpfereien und die große Fülle an bereits erstaunlich kunstvoll gestalteten Keramikgefäßen. Diese dienten nicht nur zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und zum Kochen (Dreifußkessel), sondern v.a. auch der Produktion, Lagerung und dem Konsum alkoholischer Getränke. Hierzu gehören amphorenartige, bauchige Krüge und karaffenförmige Gefäße mit engem Hals und teils auch mit Keramikstöpseln, die in späteren Epochen in nahezu identischer Gestalt erwiesenermaßen für den Alkoholkonsum genutzt wurden (Abb. 2). Sie wurden auch als Beigaben in den zahlreichen Gräbern gefunden und ähneln den Beisetzungsritualen Jahrtausende später, die den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod in der Ahnen- und Götterwelt widerspiegeln. Dass dabei magische Kulte im Mittelpunkt standen, zeigen die Funde von bisher über 30, aus Flügelknochen des rotgekrönten Mandschurenkranichs geschnitzten Flöten, den ältesten Musikinstrumenten Chinas (Abb. 3), sowie von zahlreichen Schildkrötenpanzern, die mit Kieselsteinen gefüllt und als rituelle Rasseln verwendet wurden. Der rotgekrönte Mandschurenkranich (Grus japonensis, chinesisch: dandinghe) spielt seit jeher in Kunst und Mythos Chinas und Japans eine zentrale symbolische Rolle. Diese Kranichart ist auch für den eigenartigsten und komplexesten Balztanz bekannt. Somit liegt die Vermutung nahe, dass Kraniche bereits bei den Jiahu-Siedlern als heiliges Tier verehrt wurden. Der Balztanz sowie die Musik auf den Knochenflöten dürften damit in enger Beziehung zu den Zeremonien von Schamanen gestanden haben, in deren Gräbern die Flöten gefunden wurden. Es ist anzunehmen, dass diese Instrumente von den Schamanen in Verbindung mit dem Konsum bewusstseinserweiternder Getränke und beschwörenden Tänzen eingesetzt wurden, um die Verbindung zum Jenseits herzustellen.
Abb. 2: In Jiahu gefundene Keramikgefäße (Archäologisches Institut, Henan, Zhengzhou).
Abb. 3: Die ältesten Musikinstrumente Chinas: Knochenflöten von Jiahu (Archäologisches Institut, Henan, Zhengzhou).
Zu den länger kaum beachteten Errungenschaften der Jiahu-Kultur gehören auf Schildkrötenpanzer und Knochen eingravierte Symbole, die nach heutigem weitgehendem Konsens eine Urform der chinesischen Schriftzeichen erkennen lassen. Schildkrötenpanzer und Knochen wurden 5.000 Jahre später während der Shang-Periode (16. – 11. Jh. v. Chr.) – nur wenig nördlich von Jiahu – in beträchtlichen Mengen für die Orakelbefragung und für die Aufzeichnung der ältesten chinesischen Texte verwendet. Nicht zufällig entfaltete sich ab der Shang-Zeit die komplexeste Alkoholkultur der Menschheit in Verbindung mit beispiellos aufwändigen Gemeinschafts-, Götter-, Ahnen- und Begräbniskulten. Des Weiteren verraten die Ausgrabungen von Jiahu, dass hier die Domestizierung von Hunden und Schweinen begann, wobei es bezüglich letzterer wohl der älteste Fundort der Welt ist. Überdies sind hier die ersten Ansätze der Kultivierung von Reis (Oryza sativa) nachweisbar, der allerdings eine nur sehr untergeordnete Rolle bei der Ernährung spielte und zunächst wohl in erster Linie als Stärkelieferant für die Herstellung des »Jiahu-Cocktails« diente. Schließlich belegen Reste von Behausungen und zahlreiche Funde von Stein- und Knochenwerkzeugen die ersten Anfänge von Ansiedlung und landwirtschaftlicher Arbeit, neben den nach wie vor den Alltag bestimmenden Tätigkeiten des Sammelns, der Fischerei und der Jagd. Nicht zuletzt beweist die Entdeckung karbonisierter Traubenkerne – in der Provinz Henan kommen heute noch mindestens 17 einheimische Wildreben vor –, dass Weintrauben im sozialen, rituellen und kreativen Leben der Jiahu-Siedler, ob nun als essbare Früchte oder als vergorener Saft, eine wichtige Rolle spielten. Dies erinnert direkt an vergleichbare Entwicklungen im Nahen Osten.
Die Ausgrabungsstätte liegt im zentralen Henan, mit 94 Mio. Einwohnern nicht nur die bevölkerungsreichste Provinz und eines der am dichtesten besiedelten Gebiete Chinas, sondern auch die Wiege der chinesischen Zivilisation mit einer beispiellosen Fülle archäologischer und historiographischer Zeugnisse bis zurück in die Steinzeit. Nur etwa 140 km nördlich von Jiahu fließt der Gelbe Fluss, in dessen Einzugsgebiet die meisten frühzeitlichen Siedlungen entdeckt wurden und noch immer gefunden werden. Noch einmal 160 km nördlich bei der Stadt Anyang liegt das große Grabungsareal des Herrschersitzes der späteren Shang-Dynastie (14. – 11. Jh. v. Chr.), wo die frühesten Zeugnisse zu den Anfängen der chinesischen Dynastiegeschichte entdeckt wurden. Hierzu gehören neben Tausenden von Schildkrötenpanzern und Rinderknochen mit den ältesten chinesischen Schriftzeichentexten v.a. kunstvolle Bronzegefäße, Jadeschmuck und Gräber mit reicher Ausstattung für das Weiterleben im Jenseits.
Trinkhörner, Zwillingskrüge, Keltern, Honig und Harz – Belege für den Kulturaustausch?
Ein prägnantes Beispiel für die Verbindung zwischen den Weinkulturen quer durch den eurasischen Kontinent sind die Trinkhörner, ursprünglich meist aus Rinderhörnern gefertigt, und mit fortschreitender Entwicklung als sog. Rhyta aus verschiedenen Materialien (Horn, Knochen, Holz, Elfenbein, Nashorn, Keramik, Glas, Jade, Porzellan, Bambus, Bronze, Silber, Gold etc.) und in unterschiedlichsten künstlerischen Formen herausgearbeitet. Verblüffend sind die Ähnlichkeiten und die beachtliche Verbreitung dieser meist Kult- und Libationszwecken dienenden Trink- und Ausschankgefäße. Sie finden sich vom Neolithikum bis ins Mittelalter und in die Neuzeit nahezu überall: in den weiten Regionen zwischen Nordeuropa und Südchina. Auf nahezu dem gesamten Territorium des heutigen China wurden derartige Funde gemacht. In den vorchristlichen Jahrtausenden entwickelte sich dort eine weltweit einzigartige Vielfalt und Systematik an Trink- und Libationsgefäßen zunächst aus Keramik, dann aus Bronze, die sowohl von ihrer künstlerischen Ausgestaltung als auch von der Etymologie ihrer Bezeichnungen her größtenteils auf diese Protoform des Rhytons zurückgeführt werden können (Abb. 4 und 5). Die Rhytonkultur offenbart in besonderer Weise die wechselseitigen Einflüsse der prähistorischen und antiken Trinkritualsysteme Eurasiens und deren zentrale gesellschaftlich-religiöse Bedeutung entlang der Migrations- und Handelswege über gewaltige geographische Entfernungen hinweg. Interessant sind auch einzelne Trinkgefäßtypen, die überall entlang der Seidenstraße aus verschiedenen Epochen seit dem Neolithikum entdeckt wurden: etwa gestielte Pokale (wine goblets) aus Keramik, später auch aus Bronze oder Silber in teils identischer Gestalt. Frühe kunstvolle Exemplare wurden bereits aus dem 4. – 3. Jt. v. Chr. sowohl im Iran als auch in der ostchinesischen Longshan-Kultur entdeckt (Abb. 6). Ein weiteres Beispiel sind die sog. »Zwillingskrüge«. (joint jars), die ebenfalls seit prähistorischen Zeiten überall zwischen Osteuropa, Kleinasien und China angefertigt wurden und bei nationalen Minderheiten teils heute noch benutzt werden. Die beiden miteinander verbundenen Trinkgefäße wurden von zwei gegenüberstehenden Partnern bei zeremoniellen Anlässen wie Friedensschlüssen, Besiegelung von Verträgen oder Eheschließungen eingesetzt (Abb. 7). Nicht zuletzt sind im gesamten Einzugsbereich der Seidenstraße an vielen Stellen antike Weinkeltern mit einem meist rechteckigen steinernen Presstrog und einem runden Mostauffangbecken am Ablassende aufgetaucht – die mit 6.100 Jahren älteste im armenischen Weinort Areni.
Abb. 4: Chinesisches Jade-Rhyton nach persisch-achämenidischem Vorbild, ca. 200 v. Chr., Grab des Königs von Nanyue, Guangzhou (Nanyuewang-Museum).
Abb. 5: Bronze-Trinkgefäß jue aus der Shang-Dynastie, 16. – 11. Jh. v. Chr. (Shanghai-Museum).
Abb. 6: Langstielige Pokale aus schwarzer Eierschalenkeramik, Longshan-Kultur, 2.500 – 2.000 v. Chr., Shandong (Nationalmuseum Peking).
Zwei wichtige materielle Indizien für die Annahme einer universellen Entwicklung der Wein- und Alkoholkultur sind die Zusätze Honig und Baumharz, die zur Förderung des Gärprozesses bzw. für die Haltbarmachung des Getränks von frühester Zeit an in nahezu allen antiken Weinregionen quer durch Eurasien in ähnlicher Weise verwendet wurden, oft noch ergänzt durch Kräuterzugaben (Myrrhe, Wermut, Pfeffer, Safran, Kapern, diverse Heilpflanzen). Auch in China wurden Reste solcher Zusatzstoffe in prähistorischen Keramikgefäßen und sogar in bis zu 3.000 Jahre alten alkoholischen Flüssigkeiten aus hermetisch verschlossenen Bronzebehältern aus Gräbern analysiert. Symptomatisch ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Bezeichnung für »Honig«, besonders in der abgeleiteten Bedeutung von fermentiertem Getränk (»Honigwein«), über ganz Eurasien verbreitet hat: Sanskrit madhu, Griechisch μἐθν, Deutsch Met, Englisch mead, Dänisch/Norwegisch mjød, Französisch miel, Litauisch medus, Russisch мёд, Tocharisch B mit, Altiranisch madu, Neupersisch mei, Ungarisch méz, Chinesisch mi usw.