Czytaj książkę: «Wie lernt Kirche Partizipation»
Elisa Kröger (Hg.)
Wie lernt Kirche Partizipation?
Herausgegeben von
Prof. Dr. Matthias Sellmann
und Dr. Martin Pott
Angewandte
Pastoralforschung
02
Elisa Kröger (Hg.)
Wie lernt Kirche
Partizipation?
Theologische Reflexion und
praktische Erfahrungen
echter
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©2016 Echter Verlag GmbH, Würzburg
Umschlaggestaltung Peter Hellmund
ISBN 978-3-429-03979-0 (Print)
ISBN 978-3-429-04878-5 (PDF)
ISBN 978-3-429-06297-2 (ePub)
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
Inhalt
Vorwort der Herausgeberin
I. Auf dem Weg zu einer partizipativen Kirche im Bistum Aachen – Das Projekt „Verantwortung teilen“
Elisa Kröger
Herausforderung „Partizipation“ Das Projekt „Verantwortung teilen“ aus Forschungsperspektive
Martin Pott
Projekt „Verantwortung teilen“ - Mosaikstein einer diözesanen Pastoralentwicklung
II. Partizipation als Herausforderung für Pastoral und Kirche – Grundlegende Zugänge
Rainer Bucher
Partizipative Kirche - Stationen eines weiten Weges
Valentin Dessoy
Partizipation und Leitung in der Kirche
Gilbert Schmid
Psychologisch das kirchliche Ehrenamt fördern Von der individuellen Motivation zur pastoralen Intention
Monika Jakobs
Bildung und Partizipation in der pastoralen Praxis
III. Stimmen von freiwillig Engagierten in Leitungsteams im Bistum Aachen
Elisa Kröger
(Weiter-)Bildungsbedarfe aus der Sicht freiwillig Engagierter in Leitungsteams in der Diözese Aachen – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
Michael Böhnke
(Weiter-)Bildungsbedarfe aus der Sicht freiwillig Engagierter in Leitungsteams in der Diözese Aachen – Theologische Impulse
IV. Von Teamkultur und Leitung über Facilitation bis zum Exposure – praktische Erkundungen
Walter Lennartz
Wege zur Partizipation in pastoralen Leitungsgruppen und Teams Grundelemente einer neuen Teamkultur in der Kirche
Theo Hipp /Marita Born-Richardy
Leitung trainieren – geht das?
Roswitha Vesper
Facilitation. Die Kunst, Entwicklungsprozesse zu erleichtern Ein Interview
Elisa Kröger
Eine Kirche, die aus sich herausgeht Bildung im Fokus von Subjektsein und grenzüberschreitender Solidarität
Reinhard Feiter
… auch der «Realität» etwas zutrauen – Drei Notizen zum Exposure
V. Zum Zusammenspiel von Leitungsteams, Partizipation und Bildung in der Kirchenentwicklung
A: Erfahrungen aus deutschsprachigen Diözesen
Daniela Engelhard / Nicole Muke
Kirche der Beteiligung konkret: Ehrenamtliche Gemeindeleitungsteams im Bistum Osnabrück
Gabriela Broksch
Im Geiste Jesu Gemeinde leben – Seelsorgeteams in der Diözese Linz
Christian Hennecke
Die Evolution hat begonnen Eine kleine Geschichte der lokalen Leitungsteams im Bistum Hildesheim
B: Internationale Erfahrungen
André Talbot
Plädoyer für eine christliche Ausbildung
Estela P. Padilla
Partizipation wird zu einer Kultur Über die Fortbildung von ehrenamtlich Engagierten in der katholischen Kirche der Philippinen
Michael Wüstenberg
Laiendienste in Südafrika – Gemeinsam für Evangelisierung Verantwortung tragen
Martin Weingärtner
Was kann man von der Ausbildung und Unterstützung lokaler Leitungsteams in Brasilien lernen?
José Rodrigo Alcántara SSCC
„Und die Kirche ist Volk geworden“ Aspekte einer kirchlichen Erfahrung in Mexiko
VI. Zwischenrufe aus Journalismus, Sport und Freiwilligenmanagement
Peter Pappert
Zwischen Dogma und Dialog, Kontinuität und Spontanität
Kristin Reichel / Ana-Maria Stuth
Eine Engagementstrategie in Kirchen entwickeln – mit Freiwilligenmanagement zum Erfolg. Das Qualifizierungskonzept der Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland
Boris Rump
Partizipation von Ehrenamtlichen und freiwillig Engagierten im Sport Ein Interview
VII. Ausblick
Richard Hartmann
Kirchlicher Umbruch und die pastoralen Leitungsteams: Grenzen und Chancen von Bildungsmaßnahmen
Matthias Sellmann
Wie lernt Kirche Partizipation – und von wem? Kirchenentwicklung als Ausdruck von Gesellschaftsentwicklung
Elisa Kröger
Wie lernt Kirche Partizipation? Drei Grundperspektiven
Autorinnen und Autoren
Anhang
Vorwort der Herausgeberin
„Wie lernt Kirche Partizipation?“ – Der vorliegende Band spiegelt Diskurse, Praktiken und Erfahrungen zu dieser Fragestellung wider. Die Suche nach Antworten steht in fast allen deutschsprachigen Bistümern derzeit weit oben auf der Agenda. Die Frage, wie sich Kirche vor Ort entwickelt, wird insbesondere mit der Perspektive einer stärkeren Partizipation durch freiwillig Engagierte verbunden. In diesem Zusammenhang wird immer wieder betont, dass freiwillig Engagierte zu qualifizieren seien, etwa für die Mitwirkung in lokalen Leitungsteams. Demgegenüber finden die Fragen, wie dieses methodisch und inhaltlich und mit welcher Begründung zu erfolgen habe, in der bisherigen Forschungsliteratur kaum nähere Beachtung. Diese Fragen zu stellen, scheint aber mehr denn je ein Gebot der Stunde zu sein; nicht zuletzt aufgrund mancher „Fallen“, die den Weg zu einer „partizipativen Kirchenentwicklung“ gefährden können: Etwa dann, wenn Lernprozesse bezüglich Partizipation in den Sog der Instrumentalisierung für bestimmte institutionell vordefinierte Aufgaben und Ziele geraten, was gerade zum Gegenteil von echter Partizipation führen kann. Demgegenüber ist das Thema Partizipation in seiner Relevanz für die Subjektwerdung des Menschen, seine Identität und Lebensgestaltung freizulegen. Erst wenn die Selbstorganisation von Christinnen und Christen vor Ort an erster Stelle steht, wird Partizipation zu einer echten Entwicklungsperspektive für die Kirche. Und nur dort, wo Antworten nicht darauf abzielen, die Lücken zu füllen, die durch fehlende hauptberufliche Ressourcen entstehen, beginnt ein tiefgreifender Lernprozess auf Augenhöhe.
Der vorliegende Band greift das Zusammenspiel von Partizipation und Bildung in der Kirchenentwicklung auf und beleuchtet die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven. Auf diese Weise findet zugleich das Forschungsprojekt des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (Ruhr-Universität Bochum) mit dem Titel „Verantwortung teilen“, in dessen Rahmen partizipatorische Lernprozesse im Bistum Aachen angestoßen und profiliert wurden, seinen Abschluss. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden in Teil 1 aus Forschungs- und Bistumsperspektive dokumentiert und schließlich in den Horizont weiterer wissenschaftlicher Diskussionen und praktischer Erfahrungen gestellt. In Teil 2 werden grundlegende Zugänge zum Thema Partizipation eröffnet, und zwar in pastoraltheologischer, organisationaler, pastoral- psychologischer und religionspädagogischer Hinsicht. Anschließend werden in Teil 3 die Ergebnisse der im Bistum Aachen durchgeführten empirischen Untersuchung zur Frage nach (Weiter-)Bildungsbedarfen aus der Sicht von freiwillig Engagierten in Leitungsteams dargestellt und theologisch unter die Lupe genommen. Teil 4 präsentiert die Architektur des Bildungscurriculums „Verantwortung teilen“ mit besonderem Schwerpunkt auf Teamkultur, Leitung, Facilitation und Exposure. Um die Lernplattform zu erweitern, kommen in Teil 5 Praxiserfahrungen zum Zusammenspiel von Leitungsteams, Partizipation und Bildung in der Kirchenentwicklung zur Sprache. Während in Teil A die Erfahrungen aus deutschsprachigen Bistümern, namentlich Osnabrück, Linz und Hildesheim dargestellt werden, bezieht sich Teil B auf die internationalen Erfahrungen aus Frankreich, den Philippinen, aus Südafrika, Brasilien und Mexiko. In Teil 6 kommen schließlich Zwischenrufe aus dem Bereich des Sports, des Journalismus‘ und des Freiwilligenmanagements zu Wort. Teil 7 gibt zum Schluss einen Ausblick, indem einerseits die Grenzen und Chancen von Bildungsmaßnahmen beleuchtet und andererseits Thesen zu einer Kirchenentwicklung als Teil einer Gesellschaftsentwicklung aufgestellt werden. Schließlich stellt das Schlusswort den „springenden Punkt“ in der Frage nach Partizipation im Kontext von Kirchenentwicklung heraus, der gewissermaßen hinter allen institutionellen Partizipationsmaßnahmen zu stehen hat, wenn diese glaubwürdig sein wollen.
Die 27 Beiträge, in denen die Vielschichtigkeit der Frage „Wie lernt Kirche Partizipation?“ ansichtig wird, lassen den vorliegenden Band durch das Wechselspiel von Theorie und Praxis zu einem Studier- und Erfahrungsbuch für alle werden, die sich von den unterschiedlichen Lernwegen zu einer „partizipativen Kirchenentwicklung“ inspirieren lassen wollen.
Mein großer Dank gilt allen, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben: insbesondere den freiwillig Engagierten und hauptamtlich Tätigen sowie meinen Projektpartnern Martin Pott und Bernd Wolters im Bistum Aachen, Matthias Sellmann und Andreas Henkelmann sowie meinen Kolleginnen und Kollegen am Zentrum für angewandte Pastoralforschung. Dem Echter-Verlag danke ich für die gute Zusammenarbeit und die Aufnahme des Bandes in die Reihe „Angewandte Pastoralforschung“. Außerdem bedanke ich mich für die engagierte Mitarbeit aller Autorinnen und Autoren dieses Bandes, die das Thema durch ihre hohe Fach- und Erfahrungskompetenz bereichern. Für die zuverlässige und sorgfältige Redaktions- und Lektoratsarbeit danke ich Stefan Kaiser. Ohne die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit ihm wäre das Buchprojekt in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu bewerkstelligen gewesen. Für die geduldigen Feinschliffe danke ich Monika Wittmann. Schließlich gilt mein Dank Nikola und Anita Prkačin für den ermutigenden „Spirit“ (U sjećanju na Zagreb).
I. Auf dem Weg zu einer partizipativen Kirche im Bistum Aachen – Das Projekt „Verantwortung teilen“
Elisa Kröger
Herausforderung „Partizipation“
Das Projekt „Verantwortung teilen“ aus Forschungsperspektive
1. EINFÜHRUNG
Pfarreien sind Orte, in denen sich derzeit die aktuellen Herausforderungen der Pastoral wie unter einem Brennglas beobachten lassen. Einer ihrer zentralen Kristallisationspunkte sind die synodalen Räte, pastoralen Gremien und Leitungsteams. Denn ihre Aufgabe ist es, mit einer Kurzformel von Bernhard Spielberg gesagt, „die Verantwortung dafür [zu tragen], dass die Kirche vor Ort am Leben bleibt“1 oder pointierter, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes „am Leben dran“2 bleibt. Diese Aufgabe, die nicht selten hinter dominanten Strukturprozessen der Bistümer zurücksteht, ist umso heraus-fordernder, als besonders die Pfarreien an der diagnostizierten „Milieuverengung“ leiden.3 Michael N. Ebertz stellt fest, dass sich immer mehr, vor allem jüngere Menschen, in zunehmender „Distanz, ja in absoluter Beziehungslosigkeit zum kirchlichen Leben […]“4 befinden. Ob Pfarreien also Orte sind – oder zu solchen werden –, die am Leben von – auch jüngeren – Menschen „dran“ bleiben, steht vielerorts gerade infrage und hängt nicht nur von Strukturprozessen ab, sondern vor allem davon, ob, mit Rainer Bucher gesprochen, die „Außenperspektive als mögliche Innovationsperspektive“5 ernst- und wahrgenommen wird. Erforderlich dazu ist eine Umkehr, auch und gerade im Hinblick auf die aktuell vielseitig gestellte Frage nach einer verstärkten „Partizipation“ durch freiwillig Engagierte6: So etwa die Umkehr von einer in der Logik der Aufgabenorientierung verhafteten Vorstellung von Partizipation, die vorwiegend auf bestehende Strukturen beschränkt bleibt und sich beinahe ausschließlich danach ausrichtet, die gewohnten Aufgaben der Pfarrei, die bisher vorwiegend die Pfarrer und die Hauptamtlichen erfüllt haben, nun als Erbe an freiwillig Engagierte abzugeben, damit es weitergehen kann wie bisher, hin zu einem Verständnis von Partizipation, in dessen Zentrum das Subjektsein und die Freiheit von Christinnen und Christen stehen, die am Leben von Menschen „dran bleiben“, also daran teilhaben. Dazu ist allerdings erforderlich, auf die Plätze hinauszugehen, an denen sich das Leben mit seinen unterschiedlichen Situationen zwischen „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (GS 1) abspielt. Damit solche Umkehrprozesse gelingen, braucht es gemeinsame Erfahrungs- und Lernräume – auch und gerade an Orten, an denen die Beharrungskräfte und Überforderungsgefühle besonders groß sind, und das heißt nicht nur, aber auch in Pfarreien, ihren Gremien, Räten und Leitungsteams. Worauf es in Zukunft ankommen wird, ist die Eröffnung von solchen Laboratorien, in denen Neues ausprobiert wird, wovon auch die Forschung der Praktischen Theologie etwas lernen kann. Zu den Rahmenbedingungen solcher innovationsförderlichen Laboratorien gehören insbesondere Selbstorganisation, Freiheit, Experimentierfreudigkeit, eine zuträgliche Fehler- und Wertschätzungskultur sowie Teamarbeit.7
Erste Versuche in diese Richtung wurden im Rahmen des Projekts „Verantwortung teilen“ unternommen, das in Kooperation zwischen dem „Zentrum für angewandte Pastoralforschung“ (kurz: ZAP) der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und dem Bistum Aachen initiiert wurde. Das Projekt widmet sich einem neuralgischen Punkt gegenwärtiger Pastoral, nämlich der Frage nach der Partizipation durch freiwillig Engagierte in Gremien, Räten und Leitungsteams (sowie darüber hinaus), und zwar inmitten der pastoralen Herausforderungen, die sich gegenwärtig stellen. Damit bewegt sich das Projekt von Anfang an in einem Spannungsfeld zwischen vorgegebenen Strukturen einerseits und den Fragen innovativer Kirchenentwicklung andererseits. Die entscheidende Stellschraube inmitten dieses Spannungsfeldes wird über die Organisation von Bildungsprozessen gedreht. Als Lernende werden in diesem Zusammenhang jedoch keineswegs nur diejenigen verstanden, die im Bistum Aachen derzeit – in Gremien, Räten, Leitungsteams und darüber hinaus – freiwillig Verantwortung tragen, sondern ebenso diejenigen, die hauptamtlich tätig sind, bis hin zu denjenigen, die das Projekt initiiert haben.
Im Folgenden wird das Projekt aus der Forschungsperspektive der das Projekt primär begleitenden wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Zentrums für angewandte Pastoralforschung dokumentiert. Dazu werden im Anschluss an die Einführung die (2.) Kontexte sowie die (3.) Anlage des Projekts dargestellt. Von einer „partizipativen“ Kirchenentwicklung kann unterdessen nicht die Rede sein, ohne das Wort „Partizipation“ selbst näher zu beleuchten. Dies soll im nächsten (4.) Kapitel in begrifflicher, systemtheoretischer und theologischer Hinsicht erfolgen. Mit den beiden Aspekten „Team-“ und „Ermöglichungskultur“ werden dann (5.) die wesentlichen inhaltlichen Leitlinien des Projekts ausgeführt. Danach wird (6.) ein Einblick in das Bildungscurriculum gegeben und (7.) die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Projektverlauf dargestellt. Schließlich gilt es, (8.) die relevanten Perspektiven sowie die bleibenden Herausforderungen zu beschreiben, die aus dem Projektverlauf resultieren. Worauf es in Zukunft in Sachen „Partizipation“ ankommen könnte, wird in einem Schlusswort (9.) kurz aufgegriffen.
2. KONTEXTE
2.1 ENTSTEHUNG NEUER STRUKTUREN
Im Jahr 2013 werden im Bistum Aachen die erstmalig gewählten Räte der insgesamt 71 Gemeinschaften der Gemeinden (kurz: GdG-Räte) als neues Synodalgremium auf der Ebene der pastoralen Räume eingeführt. Dieses Gremium wird mit hoher pastoraler Kompetenz ausgestattet: Gemäß § 3 der Satzung für den Rat der Gemeinschaft der Gemeinden ist der GdG-Rat das „Planungs- und Entscheidungsorgan in allen grundlegenden Fragen der Pastoral, unbeschadet der Rechte der in den Pfarreien der Gemeinschaft der Gemeinden kanonisch ernannten Pfarrer“8. Gemeinsam mit dem Pastoralteam „bündelt und fördert“ der GdG-Rat „die Verantwortung für das pastorale Handeln in der Gemeinschaft der Gemeinden“ und zwar „im Dienst am ‚Leben in Fülle‘ (Joh 10,10) aller Menschen im pastoralen Raum“9. Der GdG-Rat wird zum Leitungsorgan in der Pastoral: Er „hat teil an der Leitung der Gemeinschaft der Gemeinden“10. Jeder GdG-Rat bildet einen Vorstand, in dem freiwillig Engagierte und hauptamtlich Tätige gemeinsam die Leitung der GdG wahrnehmen.11 Neben dem GdG-Rat können auch Pfarreiräte und/oder Gemeinderäte in der GdG eingerichtet werden.
Im Zuge dieses Strukturwandels werden insbesondere drei Herausforderungen deutlich: Erstens braucht die Erprobung der neuen, verbindlichen kooperativen Leitungsstruktur auf der Ebene des pastoralen Raumes (GdG) Unterstützung in Form von Begleitung, Bildung und kritischer Evaluation. Zweitens geht es mehr als um die Frage nach einer kooperativen Leitungsstruktur um die Frage nach ihrer Kultur: Wie kommen wir von der erlernten Versorgungs-Mentalität zur Selbstorganisation von Christinnen und Christen vor Ort? Wie fördern wir einen partizipativen Leitungsstil und eine wirksame Kultur der Teamarbeit? Wie kommen wir von den heillosen Dynamiken von Misstrauen und Kontrolle zu einer Kultur der Ehrlichkeit und des Vertrauens? Wie verwalten wir nicht nur das Gewohnte, sondern gründen auch Neues? Da Strukturveränderungen häufig eine tendenzielle Selbstreferentialität und Bewahrungskraft innerhalb von Organisationen erzeugen, gilt es drittens dazu zu ermutigen, im Denken und im Handeln immer wieder „herauszugehen“ und eine neue Haltung der Aufmerksamkeit einzuüben, die sensibel ist für die Lebensthemen der Menschen von heute. Sicherlich hat die Vergewisserung über Satzungsaussagen wie über Fragen von der Festlegung der Gottesdienstordnung bis hin zur Organisation der Gebäudenutzung in der GdG ihre Berechtigung. Wahr ist aber auch: Wer bei binnenkirchlichen Fragen stehen bleibt, der setzt die oben angedeutete Milieuverengung weiter fort. Die eigentliche Herausforderung besteht – mit Ottmar Fuchs gesprochen – darin, einen „Ortswechsel“ zu vollziehen, „der von den Erfahrungen der anderen her das eigene Verhalten und Nachdenken prägt. Denn es geht um das Hinschauen, es geht um eine bestimmte Reaktion auf das Gesehene, nämlich darum, dass alles Menschliche ‚im Herzen (der Gläubigen) seinen Widerhall‘ findet (GS 1).“12 Daraus folgt für alle Christinnen und Christen, buchstäblich heraus-gefordert zu sein. Es geht darum, sich selbst auszusetzen, sich verletzbar zu machen, hinzuhören, aufmerksam, sensibel und resonanzfähig zu werden für die „Zeichen der Zeit“ (GS 4).13 Erforderlich dazu ist ein Perspektivenwechsel vom Eigenen zum Anderen einerseits und die Entschiedenheit, Veränderungen nicht nur als wünschenswert und notwendig zu befürworten, sondern auch bei sich selbst zuzulassen, andererseits. Eine solche Umkehr braucht Zeit und ist mit vielfältigen, nicht zuletzt auch schmerzvollen Prozessen des Verlernens, Umlernens und Neulernens verbunden.
2.2 ALTERNATIVE LEITUNGSFORMEN IM BISTUM AACHEN
Der Anlass des Projekts „Verantwortung teilen“ ist mit der Neustrukturierung der pastoralen Räume sowie der Einsetzung der GdG-Räte und ihren Vorständen gegeben. Die Lektüre der Satzungsaussagen lässt unschwer die Herausforderung erkennen, die dem Projekt mit diesem Entstehungskontext von Anfang an gestellt ist: Es gilt, die mit den Satzungsaussagen intendierte Kraft der Synodalität inmitten einer nun zwar größeren und durchaus Freiraum schaffenden, aber dennoch überkomplex gewordenen (Verwaltungs-)Struktur mit den sie tragenden Rollen, Sprach-, und Handlungsmustern freizulegen. Die Aufgabe besteht darin, über den Anlass („Priestermangel“) hinaus, den tieferen Grund von Partizipation zu entdecken und zur Entfaltung zu bringen.
Darüber hinaus lässt sich ein zweiter Entstehungskontext, in den sich das Projekt einbettet, beschreiben: Im Bistum Aachen nehmen freiwillig Engagierte in den seit 1993 im (Not-)Fall des Priestermangels eingerichteten Leitungsteams nach c. 517 § 2 CIC/1983 gemeinschaftlich die Leitung einer Pfarrei wahr. Diese Form wird derzeit in vier Pfarreien umgesetzt. Daneben wird im Bistum Aachen seit 1998 das Modell „Gemeindeleitung in Gemeinschaft“ praktiziert, in dem freiwillig Engagierte, anders als nach c. 517 § 2 CIC/1983, auch im Fall, dass kein Priestermangel vorherrscht, also die Pfarrei nicht vakant ist, gemeinschaftlich die Leitung einer Pfarrei wahrnehmen.14 Diese Form wird aktuell in drei Pfarreien praktiziert. Insgesamt blickt das Bistum Aachen hinsichtlich beider Formen mittlerweile auf eine ungefähr zwanzigjährige Praxis zurück. Dementsprechend besitzen die freiwillig Engagierten in diesen Leitungsteams einen hohen Erfahrungsschatz, der sich aus der Erprobung einer neuen Form von Leitungsverantwortung speist, und zwar mitsamt der Grenzen, Chancen und Herausforderungen, die sich in der praktischen Umsetzung etwa in Bezug auf unterschiedliche Rollen und Zuständigkeiten ergeben. Das Projekt kann nur dann glaubwürdig sein, wenn es nicht nur Partizipation fördert, sondern selbst partizipativ ist. Daher werden die unterschiedlichen Erfahrungen von freiwillig Engagierten und hauptamtlich Tätigen in Leitungsteam zunächst angehört. Darüber hinaus wird eine empirische Studie durchgeführt, anhand derer speziell die freiwillig Engagagierten der bestehenden Leitungsteams im Bistum Aachen befragt werden und damit erneut zur Sprache kommen. Diese Studie erhält eine eigene ausführliche Darstellung in diesem Band.15
3. ANLAGE DES PROJEKTS
Die gegenwärtige Pastoral ist in Teilen der Weltkirche wie auch in deutschsprachigen Bistümern von einer allgemeinen Bewusstwerdung rund um die Taufwürde jeder/s Einzelnen und die Bedeutung des „gemeinsamen Priestertums aller Getauften“ (LG 10) geprägt. Im Rahmen des Projekts sollen Lern- und Erfahrungsräume eröffnet werden, in denen die Partizipation durch freiwillig Engagierte gefördert wird und zwar als Wachstum der Person, als Ausdruck ihrer Freiheit und Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten. Darin liegt der Fokus. Eine Zielgruppe bilden die neu gewählten GdG-Rats-Vorstände. Eine andere Zielgruppe erwächst aus den beiden im Bistum Aachen praktizierten Leitungsformen, die nach c. 517 § 2 CIC/1983 sowie nach dem Modell „Gemeindeleitung in Gemeinschaft“ an der Leitung der Pfarrei partizipieren. Neben diesen eher „klassischen“ Formen wird die Perspektive auf jene Christinnen und Christen ausgeweitet, die auf der Suche sind und möglicherweise neue Ausdrucksformen des Glaubens und neue Initiativen in der Pastoral gründen wollen. Entscheidend ist, dass es um einen ganzheitlichen Prozess gehen soll, in dem die Gesamtheit der Gemeinschaft der Getauften ihre Verantwortung für die Sendung der Kirche – wann, wo und in welcher Gestalt auch immer – entdeckt. Es geht hingegen nicht darum, überkommene Strukturen einfach zu verlängern oder wiederzubeleben; der Anspruch des Projekts besteht vielmehr darin, das Innovationspotenzial für ein relevantes Christ- und Kirchesein vor Ort zu heben, das bereits in der Grundstruktur des freiwilligen Engagements angelegt ist. Rainer Bucher erklärt:
„Die Hauptamtlichen verkörpern nie das ganze Volk Gottes, das gilt auf pragmatischer wie auf grundsätzlicher Ebene. Pragmatisch gesehen gilt: Nicht-hauptamtliches Handeln besitzt gegenüber dem hauptamtlichen Handeln spezifische Nachteile (mangelnde Erfahrung, Ausbildung, Zeit), aber auch viele Vorteile: Es ist spontaner, seine Träger und Trägerinnen sind pluraler, sie sind institutionsunabhängiger, weil nicht über Alimentation und Recht steuerbar. Nicht-hauptamtliches Handeln in der Kirche kann also schon von seiner Grundstruktur her ein wichtiges Innovationspotential darstellen, wenn nicht genau dies, Innovationspotential zu sein, von den Hauptamtlichen verhindert wird.“16
Eine solche Perspektive verlangt hinsichtlich der einst selbstverständlich erlernten Habitus ‘ tiefgehende Veränderungsprozesse – nicht zuletzt in Bezug auf das erlernte Zueinander von Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten.
In diesem Sinne beschreibt das größere Ziel des Projekts einen Kulturwandel des Kircheseins. Dazu braucht es – über das dreijährige Projekt hinaus – vor allem Zeit. Aus diesem Grund definiert sich das zeitnahe Projektziel zunächst und zuerst nur dadurch, in Bezug auf die Frage nach Partizipation durch freiwillig Engagierte eine Plattform des Lernens für den Erfahrungs- und Wissensaustausch im Bistum Aachen zu schaffen. Um im Ansatz nicht der Versuchung einer Top- down-Logik zu erliegen, wird immer wieder der ehrliche Dialog mit möglichst vielen freiwillig Engagierten und hauptamtlich Tätigen in den Gemeinschaften der Gemeinden, Gremien, Leitungsteams und kirchlichen Einrichtungen gesucht: Welche „Zeichen der Zeit“ (GS 4) zeigen sich uns? Welche Sehnsucht tragen wir in uns? Wo erleben wir die „kreative Konfrontation von Evangelium und heutiger Existenz“17 – und wo gerade nicht (mehr)? Worin liegen die sozialen, kulturellen und politischen Herausforderungen, denen wir uns als Christinnen und Christen zu stellen haben? Welche Chancen liegen im Teamsein? Wie verstehen und ergreifen wir Partizipation – und wie nicht? Um immer wieder ins Hören zu kommen und Erfahrungen auszutauschen, wird eine Begleitgruppe aus freiwillig Engagierten und hauptamtlich Tätigen des Bistums Aachens gegründet. Daneben werden in Kooperation mit dem Diözesanrat der Katholiken zwei kirchliche „Events“ im größeren Format mit Workshops zu unterschiedlichen Themen (wie etwa Berufung und Charisma, Partizipation, Gründung von Neuem u. v. m.) organisiert, zu denen alle Frauen und Männer des Bistums Aachen, die sich in GdG- Räten und ihren Vorständen, sowie in Pfarrei- und Gemeinderäten engagieren, eingeladen waren. Durch die Art und Weise der Durchführung, das heißt zum Beispiel die Auswahl der Orte, die Einladung von externen Impulsgebern, die kreative Gestaltung von Workshops, die musikalische Begleitung der gesamten Veranstaltung usw. sollte erleichtert werden, neue Perspektiven einzunehmen. In einem weiteren Arbeitsansatz des Projekts dienten unterschiedliche Instrumente der empirischen Sozialforschung dazu, möglichst viele Stimmen zu Gehör zu bringen und eine Kultur des Feedbacks einzuüben. Darüber hinaus setzt sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin selbst immer wieder verschiedenen Orten im Bistum Aachen aus, um hinzuhören und dadurch andere zu Wort kommen zu lassen. Denn entscheidend ist, dass so viele Menschen wie möglich von Projektbeginn an (!) am Prozess einer sogenannten „partizipativen Kirchenentwicklung“ teilhaben, damit sie nicht zu bloßen Objekten, sondern im Gegenteil von Anfang an als partizipierende Subjekte und als wichtige ImpulsgeberInnen ernstgenommen werden.
3.1 VORGEHENSWEISE
Das 2013 gegründete ZAP versteht sich als Schnittstelle zwischen Praktischer Theologie und den Entscheidungssituationen der Pastoralplanung in den Bistümern. Die Praktische Theologin verlässt gewissermaßen ihren Schreibtisch und begibt sich in die unmittelbare Praxis hinein, sodass die Forschung in einem permanenten Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis stattfindet. In diesem Sinne strukturiert folgender methodischer Dreischritt den Projektablauf: Am Anfang steht das „Z“ wie „Zuhören“. Die Praxis wird als Lernort verstanden. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin setzt sich verschiedenen Orten im Bistum Aachen aus und hört hin: Welche Fragen stellen sich? Welche Herausforderungen zeigen sich in der Stadt oder auf dem Land? Welche Grundhaltungen und Handlungsschwerpunkte prägen die Pastoral der GdG? Was gelingt wo, wie und warum (nicht)? Die aus dem Praxisfeld gewonnenen Fragen und Erkenntnisse werden dann mit den Feldern theologischer, pädagogischer und sozialwissenschaftlicher Diskurse korreliert: Das „A“ steht für „Austauschen“. Das Thema wird aus dem Praxisfeld gewonnen und daraufhin reflektiert. Im Spannungsfeld dieser zwei Pole sollen schließlich Instrumente des Wissenstransfers „produziert“ werden, wofür das „P“ steht.18 Im Bistum Aachen lautet der Projektauftrag, ein Bildungscurriculum zur Unterstützung für freiwillig Engagierte (und hauptamtlich Tätige) zu entwerfen, die in unterschiedlicher Weise gemeinsam Verantwortung wahrnehmen.
Im Rahmen des Projekts „Verantwortung teilen“ kann nach drei Jahren unterdessen retrospektiv gesagt werden: Die Kraft eines Projekts liegt vor allem im vorbehaltlosen (Hin-)Hören, das heißt in einer empfänglichen, absichtslosen und irritationssensiblen Grundhaltung des Lernens einerseits und in der Praxis von „Exposures“, wie auch empirischer Forschungen, durch die möglichst viele Stimmen zu Wort kommen können, andererseits. Hören ist unterdessen „mehr“ als ein methodisches Instrument. So gesehen hat das Hören nicht nur am Anfang zu stehen, sondern das gesamte Projekt als ständige Herausforderung der kritischen „Relecture“ zu durchzuziehen. Nicht nur, dass sich im Hören so etwas wie ein entscheidender Einsatzpunkt für das Prinzip der Synodalität verbirgt, sondern auch, dass es das „P“ – den anfänglichen Projektauftrag – in gewisser Weise übersteigt, wird noch aufzuzeigen sein.
3.2 INSPIRATIONSQUELLE UND KORREKTIV: WELTKIRCHLICHE ERFAHRUNGEN
Die persönlichen Exposure-Erfahrungen – etwa auf den Philippinen, in der österreichischen Diözese Linz oder in Chicago – werden zu Inspirationsquellen und insbesondere zu einem kritischen Korrektiv für die Entwicklungen im Projekt „Verantwortung teilen“. In der Begegnung mit unterschiedlichen Entwicklungen, wie sie derzeit in einigen Kontexten der Weltkirche erlebt und beobachtet werden können, wird immer wieder deutlich, dass Partizipation hier nicht einfach Gegenstand des Lernens, sondern Ursprung und Vollzug eines umfassenden Prozesses gemeinsamen Lernens „auf Augenhöhe“ ist. Besonders in den Workshops mit dem Team des Pastoralinstitutes Bukal Ng Tipan in Manila wird erfahrbar, wie das, worum es geht, Partizipation, auch in den methodischen und liturgischen Vollzügen verwirklicht wird. Anders gesagt: Die Vision einer partizipativen Kirchenentwicklung lässt sich – auch in Form von Bildung – nicht einfach „top down“ durchsetzen oder „antrainieren“. Im Gegenteil würde sie durch jede ungute Subjekt-Objekt-Konstellation bereits von Beginn an konterkariert und im Keim erstickt. Der Weg zu einer partizipativen Kirchenentwicklung ist vielmehr von Beginn an synodal (von griechisch Σύνοδος, synodos: die Versammlung, gemeinsamer Weg, Σύνοδία, synodia: die Reisekarawane): Menschen können ihn nur gemeinsam als Subjekte entdecken und gehen.19