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TogetherText

Prozessual erzeugte Texte im Gegenwartstheater

Herausgegeben von Karin Nissen-Rizvani und Martin Jörg Schäfer

Recherchen 155

© 2020 by Theater der Zeit

Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

Verlag Theater der Zeit

Verlagsleiter Harald Müller

Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany

www.theaterderzeit.de


Gestaltung: Agnes Wartner

Printed in Germany

ISBN 978-3-95749-303-3 (Paperback)

ISBN 978-3-95749-323-1 (ePDF)

ISBN 978-3-95749-324-8 (EPUB)

Recherchen 155

TogetherText

Prozessual erzeugte Texte im Gegenwartstheater

Herausgegeben von Karin Nissen-Rizvani und Martin Jörg Schäfer


Inhalt

Karin Nissen-Rizvani, Martin Jörg Schäfer

TogetherText: Eine Einführung

I. Institutionelle Einflüsse und theatergeschichtliche Perspektiven auf Prozesse der Texterzeugung

Christina Zintl

Die Erweiterung des Autor*innenbegriffs beim Stückemarkt des Theatertreffens

Openword.doc: TogetherText und die Institution

Anne Rietschel im Gespräch mit Marc Schäfers, Gernot Grünewald, Irina Szodruch, Maria Nübling, Sonja Laaser, Bernd Isele und Pina Bergemann

Stefan Tigges

Stückentwicklungen

Szenische Diskurspotentiale und dramaturgische Transformationen

Nikolaus Müller-Schöll

Skript-basiertes Theater

II. Texte aus Probenprozessen I: Verschobene Autor*innenschaft

Antje Pfundtner in Gesellschaft (APiG)

Sprache, um die Lücke zu schließen? Oder um Räume zu öffnen?

Julia Prager

Theater der Anderssprachigkeit

Kooperative und prozessuale Verfahren der szenischen Sprechtexterzeugung bei Common Ground (Yael Ronen und Ensemble)

Katrin Trüstedt

Externalization On Stage

The Exil Ensemble’s Hamletmaschine

Martin Jörg Schäfer

Autorität, Übertitel und Hautfarbe in Milo Raus Five Easy Pieces

III. Texte aus Probenprozessen II: Pluralisierung von Autor*innenschaft

Miriam Dreysse

»Wo soll denn jetzt der Text herkommen?«

Zur Auflösung von individueller Autorschaft im zeitgenössischen Theater

Kai van Eikels

Die Verlängerten

Sozialisierung von Autorschaft im Theater

Anja Kerschkewicz, Eva Kessler

Kollektive Autor*innenschaft in der Praxis von Frauen und Fiktion

IV. Texte aus Probenprozessen III: Live-Texterzeugungen in Performances und Aufführungen

Monika Gintersdorfer

Aktive Sprache auf der Bühne – Formulieren und Denken im Moment

Live-Übertragung auf der Bühne erschafft einen neuen Performertypus

Daniel Ladnar, Esther Pilkington (random people)

Die Kunst der Instruktion

Anna Häusler, Tanja Prokić

Safety Instructions: Skripte für den Ernstfall

Zu SIGNAs Performance-Installationen

Sybille Meier

Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Einsichten in die SIGNA-Performance

Karin Nissen-Rizvani

Social Fiction. Prozessuale Texterzeugung in SIGNAs Das halbe Leid

Ein Vorschlag zur Analyse zeitgenössischer Theaterereignisse

Autor*innen

Karin Nissen-Rizvani, Martin Jörg Schäfer

TogetherText: Eine Einführung
I. Einstieg

Was im 21. Jahrhundert nicht nur im deutschsprachigen Raum für die szenischen Künste insgesamt gilt, gilt auch für ihre Sprechtexte und schriftlichen Anteile: Diese entstehen in Prozessen zwischen mehreren Beteiligten, z. B. werden sie in einem Team von Kunstschaffenden hervorgebracht oder in dessen Öffnung zu nichtprofessionellen Beteiligten oder auch bei jeder Performance anders unter Mitwirkung des Publikums.1 Solch höchst unterschiedliche Textphänomene verbindet, dass sie meist kein Eigenleben abseits ihres szenischen Kontexts führen und dieses oft auch nicht durch eine nachträgliche Publikation erhalten. Sie liegen nicht zu Beginn der Konzeption oder der Proben als ein zusammenhängendes Material oder eine Textvorlage vor, die dann nur noch bearbeitet und transformiert werden müsste. Vielmehr werden sie von den manchmal sozial heterogenen und oft mehrsprachigen Beteiligten gemeinsam in Proben entwickelt oder aus Recherchen zusammengestellt – mal mehr, mal weniger hierarchisch; mal kollaborativ, vielleicht sogar kollektiv, oft durchaus agonal; mal analog, mal digital unter Verwendung computerisierter Textgeneratoren; mal im Zentrum der betreffenden Produktion, mal als eher randständiges Element z. B. neben sozialer Interaktion oder in einer choreographischen Arbeit. Dieser Vielzahl von höchst unterschiedlichen Texten, die von ihren Entstehungsprozessen meist ebenso wenig zu trennen sind wie von ihren szenischen Kontexten, ist der vorliegende Band gewidmet.

Die Anliegen, die wir mit diesem Band assoziieren, verbinden sich im anglophonen Neologismus TogetherText: Aufgerufen sind so Texte, denen das Verwobene, Vielteilige und Vielstimmige der eigenen Textur bereits durch ihre institutionelle Rahmung in der gegenwärtigen Theaterlandschaft und die Prozesse ihrer Hervorbringung eingeschrieben ist.2 Die Anglophonie des Namens TogetherText betont die Transnationalität eines Anliegens, das sowohl den Alltag in internationalen Großproduktionen der szenischen Künste betrifft wie auch den Alltag der Zusammenarbeit von Künstler*innen, die es teilweise nicht freiwillig an Orte verschlagen hat, an dem nicht alle einer der vorherrschenden Sprachen mächtig sind. Allerdings lässt die Anglophonie den Namen TogetherText auch wie einen Marketinggimmick erscheinen. Eines solchen bedarf es vielleicht, wenn, wie hier, Aufmerksamkeit auf ein noch wenig beachtetes Forschungsfeld gelenkt werden soll. Das grammatisch Inkorrekte verweist jedoch gleichzeitig auf das notwendig Holprige und Hybride einer sprachlichen Verständigung, die zwar auf eine gemeinsame lingua franca angewiesen ist, die alle anders benutzen – und dann eben die gemeinsame Sprache nicht nach vorgegebenen Mustern hervorbringen, sondern diese verschieben und so auch die Vorstellung von einer inneren Einheit der Sprachen (und der Kulturen) untergraben: TogetherText in diesem Sinne betont die Notwendigkeit des Übersetzens; sei es durch Vernetzung des vorher Getrennten, sei es durch das Hervorbringen harter Brüche.3 Während die Übersetzungs- und Übersetzbarkeitsmetapher für das Herangehen an die szenischen Künste der Gegenwart und ihre Ästhetiken bereits gängig ist,4 gilt es, sie auch für das Herangehen an deren sprachliche Prozesse neu zu bestimmen.

Durch das Adverb together ruft der Name die Verbundenheit eines gemeinsamen Texts auf und mag so vorschnell Harmonie suggerieren. TogetherText trennt allerdings diese Verbundenheit durch die wortinterne Großschreibung von Text, was sowohl räumlich als auch temporal konnotiert ist: Der Text entsteht aus dem Together; zugleich erscheinen Text und Together – eben gleichzeitig. Die interne Unterbrechung mag sogar den Blick auf die weiteren Partikel schärfen: To get her Text. Ununterscheidbar wird in dieser Infinitivkonstruktion, ob sie* ihren je eigenen Text bekommt (im Sinne von »to get her way«) oder jemand anderes diesen Text von ihr* bekommt (im Sinne von »to get her number«) oder ob jemand weiteres sie* mit dem Text versorgt, den sie* vielleicht benötigt oder der ihr vielleicht sogar zusteht (im Sinne von »to get her some water«). In dieser mehrfachen Lesbarkeit ist der TogetherText einer, den es erst herzustellen gilt und der, während er an die ihn hervorbringenden Instanzen gebunden ist, auch anderen gehören, ihnen entwendet, zugedacht oder dargeboten sein mag.5

Seit längerem werden diese Texte breit wahrgenommen, allerspätestens seit Helgard Haug und Daniel Wetzel für die Gruppe Rimini Protokoll 2007 für Karl Marx: Das Kapital, Erster Band, eine Collage aus Selbstportraits und Interviewtexten rund um eben Karl Marxens Das Kapital, den Mülheimer Dramatikerpreis erhalten.6 Ebenfalls 2007 produziert das erste Mal im deutschsprachigen Raum die Gruppe SIGNA am Schauspiel Köln eine ihrer immersiven Shows, in denen, bis zur Eskalation, durch Gespräche von Publikum und Performer*innen interagiert wird. Die Erscheinungen der Martha Rubin wird zum Theatertreffen eingeladen.7 Bei aller Bekanntheit werden die Texte, die in diesen Arbeiten gesprochen werden, in ihrer jeweiligen Spezifik kaum zur Kenntnis genommen. Oft werden sie als (im positiven oder negativen Sinne) »postliterarische«8 Zutaten zu einer an performativen Formen orientierten szenischen Kunst angesehen, deren eigentliche Qualitäten anderswo liegen sollen als in denen eines in der Tradition des Sprechtheaters des 19. Jahrhunderts stehenden Theaters.9 Die Aufregung über die Preisverleihung an die Rimini Protokoll-Produktion etwa rührt daher, dass ihr eben kein Dramentext zugrunde liegt. Die Collage aus Texten von Beteiligten aus Nichttheaterkontexten, in denen diese aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen das opus magnum von Marx perspektivieren, scheint auf der Bühne an die entsprechenden Personen gebunden, die einen autobiographischen Pakt mit dem Publikum eingehen und als sogenannte »Expert*innen des Alltags«10 auftreten. In Buchform auf Deutsch publiziert sind die sprachlichen Anteile der Produktion bis heute jedenfalls nicht; Texte aus den Produktionen Rimini Protokolls erscheinen fast immer im Zusammenhang mit anderen Aufführungsmaterialien und Auszügen aus den Skripten der hergestellten sozialen Situationen.11

Unverständnis, Abwehr oder schlicht Abneigung und Desinteresse gegenüber diesen derzeit so zahlreich auftauchenden Texten gibt es zuhauf.12 Gegen die Klage über eine Krise der Gattung Dramentext sind die im vorliegenden Band versammelten Beiträge an einer Beleuchtung der Phänomene dieser neuen Textformen interessiert, die sie überhaupt erst konturieren und diskutierbar machen. Nur wenige sprechen bisher wie z. B. Veit Sprenger (von Showcase Beat Le Mot) emphatisch von »neuen, glorreichen Zeiten« des Textes und des Sprechens in den szenischen Künsten: »Seit der Jahrtausendwende erlebt das Sprech- und Performancetheater einen ungebrochenen Boom. Es entwickelt zeitgenössische Formen des Erzählens und Verhandelns […], die bestehende Autoritätsverhältnisse zugunsten neuer Allianzen auf den Kopf stell[en].«13

Widerspiel und Ineinander von Skript und festem Text auf der einen Seite und Extemporieren, Stegreifspiel, Improvisation auf der anderen durchziehen zumindest die europäische Geschichte von Sprache und Text in den szenischen Künsten. Die Texte aus dem 21. Jahrhundert, um die es in diesem Band geht, stammen historisch in der Tat eher aus Ästhetiken und Produktionsweisen, die um die Jahrtausendwende von einflussreicher Theoriebildung zunächst als »postdramatisch«, »performativ« oder »relational« beschrieben und später von der Forschung manchmal auch (holzschnittartig) so kategorisiert wurden.14 Weil diese Beschreibungen und Kategorisierungen sich explizit in Differenz zu einem am (literarischen) Text orientierten Theater situieren, droht in Vergessenheit zu geraten, welches breite Spektrum auch sprachlicher Äußerungsweisen und Inhalte hier vorliegt: Dieses reicht von der Betonung des Alltagsberichts bei den nichtprofessionellen Darsteller*innen Rimini Protokolls über die gleichzeitig minimalistische wie verdichtete Poesie von etwa Forced Entertainment bis hin zu zahlreichen anderen Formen und Funktionen, die Sprache und Texte abseits einer literarischen Vorlage in den szenischen Künsten des 21. Jahrhunderts einnehmen. Jener ungestillte »Sprachhunger[]«15, den Kathrin Röggla 2020 für die Vielfalt der aktuellsten Gegenwartsdramatik in Anspruch nimmt, lässt sich immer wieder auch in diesen prozessual und zu mehreren generierten Texten finden. Um ihnen Gewicht zu verleihen, müssen erst recht nicht von Autor*innen (innerhalb oder außerhalb des Theaterapparats) produzierte Stücke gegen Texte aus gemeinschaftlichen, in performativen Formen vollzogenen Projektentwicklungen ausgespielt werden. Häufig genug implizieren solche Gegenüberstellungen ästhetischer Formen auch Zuordnungen zu Institutionen und Geldtöpfen beziehungsweise die Ausgrenzungen aus ihnen – wie in der vielbeschworenen Unterscheidung von Stadttheater und Freier Szene.16

Sehr wohl gilt es aber zu bedenken, dass es für die unter der Rubrik TogetherText zusammengebrachten sprachlichen Elemente der szenischen Künste häufig noch keine gängigen und keine guten Kategorien gibt. In noch viel stärkerem Ausmaß als für die neuere Dramatik trifft für diese prozessual und zu mehreren generierten Texte dann dasjenige zu, was Theater- und Literaturwissenschaft bereits seit längerem für die »nicht mehr dramatische[n] Theatertext[e]«17 im Stile der sogenannten Textflächen Elfriede Jelineks oder der sprachlichen Materialbrüche Heiner Müllers konstatiert haben: dass hier nämlich, so Hans-Peter Bayerdörfer, »jene Nahtstelle, welche in der europäischen Entwicklung der Kunstform vom Drama eingenommen wurde, neu zu vermessen«18 sei. Den Einstieg in eine solche Neuvermessung hat sich der vorliegende Band für diese Texte, die noch einmal anders einzuordnen wären als die inzwischen etablierte Nichtdramatik, vorgenommen. Anstelle eines Überblicks über die Beiträge werden die von ihnen aufgeworfenen Aspekte dort in den folgenden Aufriss eingebracht, wo sie im übergreifenden Zusammenhang ihren Ort haben.

II. Zum Status von Texten und Sprechakten

Eine solche Neuvermessung kann sich, wie das Beispiel von Rimini Protokoll zeigt, nicht auf die aus ihrem szenischen Kontext gelösten Sprechtexte beziehen. Was seit Aristoteles für das Drama gerne behauptet wird – dass es nämlich auf seine Aufführung im Theater nicht notwendig ankomme19 – gilt für diese Texte per definitionem nicht. Nur im Wechselverhältnis mit den anderen szenischen Elementen, mit denen diese sprachlichen Elemente gemeinsam entwickelt worden sind, erlangen sie die ihnen eigene Spezifik, Ereignishaftigkeit und Dynamik im gesamten »Performance Text«20 der jeweiligen Produktion. Zur Bestimmung dieses Wechselverhältnisses bedarf es dann weniger übergreifender theoretischer Modelle als vielmehr solcher, die das jeweils interne Verhältnis der Aktant*innen, Medien, Materialien und Künste bestimmen können: sei es die für jede Produktion spezifische Verflechtung von materiell-sinnlichen und sinnhaften Aspekten, sei es die jeweilige Verkettung menschlicher wie auch nichtmenschlicher Aktant*innen oder sei es die jeweilige Verortung im »Theater als Dispositiv«, das die ihm eigenen Hervorbringungen vor und hinter der Bühne generiert und konturiert.21

Mit vielleicht guten Gründen tun sich also Theater- und Literaturwissenschaften mit diesen Texten oft schwer – auch jenseits der oberflächlichen Berührungsängste:22 Die Literaturwissenschaften haben zu diesen Texten oft wenig Zugang. Meist tauchen sie aufgrund ihrer so dezidiert zur Schau gestellten Nichtliterarizität gar nicht erst im Aufmerksamkeitsbereich auf; manchmal, weil sie nicht als geschriebener Text vorliegen oder weil sie sich gar nicht in einem solchen dokumentieren lassen. Umgekehrt genießt in den Theaterwissenschaften ein Fokus auf den Sprechtext wegen der wirkmächtigen Wiederaufnahme der aristotelischen Setzung im europäischen Theater der Frühen Neuzeit keinen guten Ruf. Zu sehr steht der Verdacht im Raum, man wolle die Plurimedialität der szenischen Künste von Sprache und Text her betrachten statt aus ihrer Vernetzung und Eigenlogik (wie zuletzt noch hinterrücks in den semiotischen Ansätzen der Achtziger geschehen, die die Metapher vom Text auf die anderen Medien ausweiteten). Jedoch sind es auch sprachliche Texte ebenso wie Szenographie, Licht, Sound, Körper, Bewegung und mehr Elemente, deren Spezifik es genauer zu betrachten gilt – insbesondere, wenn die alte Konventionen verschiebenden Formen so gehäuft auftreten wie ungefähr seit Beginn des 21. Jahrhunderts.

Demgegenüber ist es das Vorhaben der an diesem Band beteiligten Autor*innen aus Kunst, Dramaturgie und Akademie, sich mit dem Begriff TogetherText den im Gegenwartstheater auftauchenden vielfältigen sprachlichen Phänomenen, die in Entwicklungsprozessen entstehen, anzunähern, verschiedene künstlerische Positionen zu markieren, entsprechende Verfahren zu identifizieren und zu analysieren – sowie im Falle der akademischen Beiträge zu beginnen, das eigene wissenschaftliche Instrumentarium für diese Analyse zu reflektieren.

Die gegen die Vorherrschaft eines am Drama orientierten Theaterverständnisses gerichtete Theoriebildung der Jahrtausendwende ist für die Verortung dessen, was mit diesen Texten auf der Bühne jeweils passiert, durchaus hilfreich: Hans-Thies Lehmann betont am Sprechtext in jedwedem Theaterzusammenhang seinen Status als »Material«23, das im Austausch oder im Konflikt mit den anderen Materialien, Medien und Zeichen Verwendung findet. Teils sieht er den Sprechtext als Fremdkörper und »Störung«24 ins Feld geführt, der quer zu den anderen Materialien, Medien und Zeichen steht, teils als »Ausstellungsobjekt«25, das die innersprachliche Dynamik exponiert, oder als »Ereignis«26 des Sprechens als solches, in dem die Sprache sich vom Subjekt ablöse. Dieses sind immer noch die ästhetischen Verfahren, derer die neuen Texte sich oft bedienen. Manchmal explizit ausgeklammert findet sich so jedoch die semantische Dimension der Sprache, um die Eigendynamik ihrer ästhetischen Dimension, wie z. B. der Stimmlichkeit, zu betonen.27

Hingegen finden sich in Ansätzen aus der relationalen Ästhetik, die eher aus einer performativen Erweiterung der bildenden Kunst stammen, Texte und Sprechakte nicht eigenständig thematisiert. Hier gehört das Miteinandersprechen zur sozialen Interaktion, um die es diesen Ästhetiken zu tun ist und unter denen Sprachlichkeit und Textualität subsumiert werden. Dabei läuft eine Bezugnahme auf den semantischen Gehalt implizit mit: die informative und soziale Dimension von Sprache. Und tatsächlich scheint in der forcierten Mündlichkeit und Alltagssprachlichkeit vieler in Gruppen mit Laien entwickelten Texte die Sprache alles andere als vor allem Material oder ein ästhetisierter Fremdkörper zu sein. Begriffe, die entwickelt worden sind, um die ästhetische Dimension von nicht mehr in der Gattungstradition des Dramas aufgehenden Texten und Sprechakten zu beschreiben, müssen hier entsprechend verschoben werden: Die »Texttheatralität«28 von nichtdramatischen Theatertexten bezöge sich dann nicht mehr auf deren performative Eigendynamik und szenisches Potential, sondern auch auf die Art, wie diese Texte umgekehrt in einen szenischen Kontext eingelassen sind. Auf dem »Schauplatz der Sprache«29 im Theater mag auch ein konventioneller dramatischer Text in vielfältigen ästhetisierten Formen erscheinen können. Gleichzeitig betritt die Sprache auch einen Schauplatz, auf dem verschiedene Formen gezeigt werden, in denen sie jenseits von Ästhetisierung Verwendung findet und mit den anderen Materialien, Medien und Zeichen des Theaters in Interaktion tritt. Von sprechenden Laien zu sprechenden Performer*innen ohne spezifische Schauspielausbildung zu professionellen Schauspieler*innen, die ihre Stimme vielfältigen Ästhetiken und Inhalten zur Verfügung stellen, gilt es die zahlreichen Einsatzpunkte von Text im Gegenwartstheater ebenso zu markieren wie die zahlreichen Texte, die dabei zu hören sind – meist ohne (nach)gelesen werden zu können.

Dass diese Texte nur selten publiziert werden oder überhaupt publizierbar sind, hat nicht notwendig etwas mit ihrer spezifischen Mündlichkeit zu tun. Häufig genug sind diese Texte intern schriftlich niedergelegt, manchmal mit großer und technisch reproduzierbarer und manchmal mit weniger großer, zu Variationen bei der Aufführung einladender Genauigkeit. Die mündliche Improvisation von Text gehört oft zur spezifischen Programmatik, wie es auf so gänzlich unterschiedliche Weisen in diesem Band von Monika Gintersdorfer für Gintersdorfer/Klaßen und La Fleur und von Sibylle Meier für SIGNA beschrieben wird. Eine solche Mündlichkeit grenzt sich manchmal sehr explizit von Verschriftlichung ab; die Aushandlung des jeweiligen Verhältnisses prägt aber zahlreiche TogetherTexte: Die Distanzierung, die einem Verschriftlichen innewohnt (ob dies nun in einem gemeinsamen Probenraum geschieht oder außerhalb von jenem), fällt in diesen mal größer, mal kleiner aus. Die Mündlichkeit zumindest des europäischen Theaters insgesamt ist historisch eng mit der Schriftlichkeit verbunden.30 Wenn in den prozessual entstandenen Texten im Gegenwartstheater oft die Dimension der Mündlichkeit betont (und nicht selten mit dem Einsatz technischer Medien kombiniert) wird, dann ist diese immer im Austausch mit einer Schriftkultur und deren aktuellen Formen zu denken (die sie in ihrer Transformation durch die sozialen Medien angenommen hat). Der Beitrag von Nikolaus Müller-Schöll in diesem Band schlägt vor, Theaterproduktionen von ihrem jeweiligen Skript her zu denken. Sprechtexte in jedweder Form wären dann innerhalb dieses Skripts in ihrem Verhältnis zum Einsatz der anderen Materialien, Medien und Zeichen zu verorten. Für die TogetherTexte, um die es hier im Genaueren zu tun ist, heißt dies: Bereits im Wechselverhältnis mit den anderen szenischen Elementen, aber auch zwischen den verschiedenen Instanzen, aus deren Wechselverhältnis der Text prozessual entsteht, ist deren Verortung zu suchen. Dies betrifft sowohl die jeweilige Entwicklung wie auch den jeweiligen szenischen Zusammenhang bei einer Aufführung und oft genug auch das Zusammenfallen beider Dimensionen.

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