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Kirsten Adamzik / Mikaela Petkova-Kessanlis

Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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ISBN 978-3-8233-8223-2 (Print)

ISBN 978-3-8233-0096-0 (ePub)

Inhalt

  Zur Einleitung in den Band

 Stilistische Unterschiede und Stilwechsel in der Grammatikschreibung0 Vorbemerkungen1 Theoretische Grundlagen1.1 Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz1.2 Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster1.3 Stil und Stilwechsel in Wissenschaftstexten1.4 Textmuster‑ und Stilwandel2 Stilwechsel im synchronen Vergleich von Grammatik-Darstellungen2.1 Zielgruppenidentische Grammatik-Darstellungen2.2 Zielgruppendifferente Grammatik-Darstellungen3 Stilwandel im diachronen Vergleich zielgruppengleicher Grammatik-Darstellungen4 Kursorischer Blick auf Stilphänomene in Grammatikforen4.1 Allgemeines zur Beziehungsgestaltung4.2 Beleidigen4.3 Ironisieren5 FazitLiteraturQuellenForschungsliteratur

  Stilwechsel von der Erkenntnis zur Wissenschafts-PR 1 Einleitung 2 Technikentwicklung und Begriffswelt – Alles smart, oder …? 3 Online-Texte, ihre Makrostruktur und Stilmerkmale 4 Fazit Literatur

 Der Wandel von Denk- und Sprachstilen in der Sprachwissenschaft1 Vorhaben2 Ludwik Fleck: Denkstil, Denkkollektiv, denksoziale Formen2.1 Zum Denkstil2.2 Zum Denkkollektiv2.3 Zu den denksozialen Formen3 Textsorte ‚wissenschaftlicher Aufsatz‘4 Diskurslinguistisches Vorgehen: EIN-Text-Diskursanalyse5 Kommunikationsbereich / Funktionalstil6 Charakterisierung der Denkkollektive und Denkstile6.1 Neoidealismus: Immanente Werkanalyse und Stilistik6.2 Strukturalismus: Der Text als strukturelle Einheit6.3 Pragmalinguistik: Der Text als kommunikative Einheit7 Textanalyse7.1 Spitzer: Matthias Claudius’ Abendlied7.2 Fucks / Lauter: Mathematische Analyse des literarischen Stils7.3 Sandig: Stil ist relational! Versuch eines kognitiven Zugangs8 FazitLiteraturQuellenSekundärliteratur

 Feld und Stil1 Theoretische Vorbemerkungen: Wissenschaft ohne Stil?1.1 Korrespondenzen zwischen Feld, Diskurs und Stil1.2 In and Out: In welchen Feldern spricht die Populärwissenschaft?2 Die Erfindung einer Fachsprache für die Life Sciences: Ein Fallbeispiel aus dem 20. Jahrhundert2.1 Von der Biologie zu den Life Sciences: Die Erfindung eines neuen Begriffs2.2 ‚good science‘ vs. ‚bad science‘: Stilwechsel und Kapitalsorten-Transfer in der biologischen Verhaltensforschung3 Für eine Komparatistik des Stilwechsels in nationalspezifischen WissenschaftskontextenLiteratur

  Die Präsenz der Person und die Unpersönlichkeit des Wissens 0 Ausgangspunkt 1 Ein Beispiel (I) 2 Kommunikationsformenspektrum interner Wissenschaftskommunikation 3 Wissenschaftskommunikative Normen, Zwecke und ihr Geltungsbereich 4 Person, Rolle und professionsgebundene Beziehungsarbeit 5 Diskursive Kommunikationsformen und die Präsenz der Person 6 Ein Beispiel (II) 7 Ausblick: textuelle Kommunikationsformen und die Präsenz der Person 8 Fazit Literatur

 Unterhaltsames INFORMIEREN in sprachwissenschaftlichen Einführungen1 Einleitung2 Die Relation INFORMIEREN – UNTERHALTEN3 Ein Beispiel zum Auftakt: Kapitelbetitelung4 Unterhaltsames INFORMIEREN4.1 Stilwechsel mittels Textsorten-Wechsel4.2 Stilwechsel durch das Verwenden eines Mottos bzw. eines Zitats4.3 Stilwechsel durch Wechsel des Realitätsbezugs: FIKTIONALISIEREN – ENTFIKTIONALISIEREN4.4 Stilwechsel mittels AUFFORDERN zum IMAGINIEREN: ein Szenario entwerfen4.5 Stilwechsel durch Wechsel der Kommunikationsmodalität: ernsthaft – scherzhaft4.6 Stilwechsel mittels Wechsels des Handlungsmusters: persönliche Erlebnisse bzw. Erfahrungen ERZÄHLEN4.7 Stilwechsel mittels Emotionalisieren4.8 Stilwechsel durch Wechsel der Stilebene4.9 Stilwechsel durch abweichendes, originelles, kreatives Formulieren4.10 Stilwechsel durch Modalitätenwechsel5 UNTERHALTEN statt INFORMIEREN6 SchlussLiteraturPrimärliteraturSekundärliteratur

  Wissenschaftskommunikation ohne und mit Stil: die Internetplattform der Wissenschaftsjahre 1 Ausgangssituation: Die Wissenschaftsjahre (WJ) 2 Stil und Stilbildung 3 Wissenschaftskommunikation im „stillosen Stil“? 4 ‚Semantisches Jonglieren‘ als Stilmittel der Popularisierung (oder Zukunft passt immer) 5 Resümee Quellen Literatur

 „Da haben wir ihn, den Schachtelsatz!“1 Fragestellung2 Mögliche Wege, wissenschaftliche Normen (und ihre Veränderungen) zu eruieren3 Was in der Literatur zu finden ist3.1 Was in sprachwissenschaftlichen Befragungsuntersuchungen zu finden ist3.2 Was in Ratgebern zu finden ist4 Ergebnisse und Probleme einer Test-Befragung von Dozenten4.1 Ablauf des Seminars „Wissenschaftliches Schreiben bewerten“4.2 Ergebnisse der Befragung5 Was ist zu tun?Literatur

 Stilwechsel an der Schnittstelle von sachbezogener zu emotionaler alltäglicher Fachkommunikation – am Beispiel der Online-Textsorte Forumsbeitrag1 Einleitende Bemerkungen2 Alltags-Fachsprachlichkeit3 Ausprägungen und Funktionen alltags-fachsprachlichen Stilwechsels3.1 Stilwechsel Gemeinsprache ⇨ Gemeinsprache3.2 Stilwechsel Gemeinsprache ⇨ Fachsprache3.3 Stilwechsel Gemeinsprache ⇨ Gemeinsprache ⇨ Fachsprache3.4 Stilwechsel Gemeinsprache ⇨ Fachsprache ⇨ Gemeinsprache3.5 Stilwechsel Fachsprache ⇨ Gemeinsprache3.6 Stilwechsel Fachsprache ⇨ Gemeinsprache ⇨ Fachsprache4 Funktionen emotional bedingten Stilwechsels im Rahmen der Alltags-Fachsprachlichkeit4.1 Sachorientierte Funktionen4.2 Kommunikationsorientierte Funktionen5 Abschließende BemerkungenLiteratur

  Grenzüberschreitende Mehrsprachigkeit im Wissenschaftsdiskurs 1 Die Universität der Großregion als spezifischer „Wissenschaftsraum“ 2 Vergleichende Studien zur mehrsprachigen Hochschulkommunikation: Desiderate aus Sicht der interkulturellen Textlinguistik 3 Texthandlungen und Stilmuster in wissenschaftlichen Texten: Fortführen oder Imitieren? 4 Schreibanforderungen im Studium in L1 und L2 5 Stilistische Besonderheiten von Lernertexten französischer Studierender in Deutsch als fremder Wissenschaftssprache 6 Fazit Literatur

 Stilwandel wissenschaftlichen Schreibens am Beispiel der Entwicklung von Zitationskonventionen in medizinischen Originalarbeiten1 Einleitung2 Zitationskonventionen aus formaler und forschungsethischer Sicht3 Material und Methoden4 Ergebnisse4.1 Entwicklung des Gebrauchs eindeutiger, einheitlicher und nachvollziehbarer Quellenverweise4.2 Umfang und Sprachen von Quellenverweisen5 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse im Licht redaktioneller EntscheidungenLiteratur

  Nachwort Bereits erschienen

  Die Autorinnen und Autoren

  Abstracts

Zur Einleitung in den Band

Stil ist ein heterogenes Phänomen, das sich durch eine funktionale Vielfalt auszeichnet, die sich erst in und mit der Realisierung in konkreten Texten entfaltet und entsprechend fassbar wird. Aufgrund unseres stilistischen Wissens haben wir an Texte aus verschiedenen Handlungsbereichen bestimmte stilistische Erwartungen. Konkrete Texte, denen wir in unserer Kommunikationspraxis begegnen, können diesen stilistischen Erwartungen mehr oder weniger entsprechen oder mehr oder weniger stark davon abweichen.

Fach- bzw. Wissenschaftsstil gelten als relativ standardisiert. Konstitutiv für den wissenschaftlichen Stil sind Stilprinzipien wie Unpersönlichkeit, Abstraktheit, Neutralität, Sachlichkeit, Folgerichtigkeit, Klarheit, Genauigkeit, Ökonomie. Bei Veränderung des Handlungstyps, z.B. wenn wissenschaftliche Inhalte einer anderen Adressatengruppe (Studierenden, Laien etc.) vermittelt werden sollen, also für sog. fachexterne Texte, gelten teilweise andere Stilprinzipien. So wird in der Fachsprachenforschung häufig zwischen dem theoretisch-wissenschaftlichen, dem populärwissenschaftlichen und dem didaktischen Fachstil unterschieden.

Stilwechsel kommen freilich auch innerhalb von (Fach-)Texten vor. Erwartbar ist dies etwa zwischen verschiedenen Teiltexten (Behandlung eines Beispiels) oder bei Intertextualität (Zitate). Als weniger erwartbar und eher individuell gelten dagegen z.B. der Wechsel der Kommunikationsmodalität (ernst versus scherzhaft), der Stilebene (hochsprachlich versus umgangssprachlich) usw. Stilkonventionen und -erwartungen unterliegen allerdings selbstverständlich historischen Veränderungen, und gerade heutzutage vermutet man zunehmende Nähesprachlichkeit auch in fachlichen Kontexten.

Dazu tragen die technischen Entwicklungen erheblich bei, nicht zuletzt mit den Möglichkeiten, die sich auch ‚Laien‘ bieten, in den öffentlichen Diskurs einzugreifen. Damit wächst zugleich der Druck auf Wissenschaft und Bildungswesen, Politik, Verwaltung und Medien, nicht nur die Zugänglichkeit von Informationen zu erleichtern, sondern auch Partizipation und Dialog zu ermöglichen.

Den damit nur grob angedeuteten verschiedenen Facetten des Phänomens Stilwechsel unter ausgewählten Fragestellungen nachzugehen, war das Anliegen dieses Bandes. Die Beiträge decken eine große Bandbreite von Produzenten-/Rezipienten-Instanzen, Kommunikationsformen, Themen und Ausdrucksmitteln ab:

Der Schwerpunkt liegt auf der Kommunikation im deutschsprachigen Bereich, in zwei Beiträgen kommen aber auch kontrastive Aspekte in den Blick: Während Elisabeth Venohr ein Projekt für grenzüberschreitende Mehrsprachigkeit unter Studierenden im deutsch-französischen Grenzraum vorstellt, geht Patricia A. Gwozdz am Beispiel der Life Sciences, speziell des prominenten Evolutionsbiologen Richard Dawkins, nationalspezifischen Ausprägungen populärer Wissenschaftskommunikation nach. In einem breit angelegten textsoziologischen Zugriff erläutert sie die Bedeutung der historischen Genese von Denkkollektiven in der Auseinandersetzung mit ‚externen‘ Akteuren wie etwa dem Verlagswesen und dem Buchmarkt. Dabei greift sie auf Bourdieus Konzept sozialer Felder zurück und geht speziell auf den Transfer zwischen verschiedenen Kapitalsorten ein. Während wissenschaftsintern der institutionelle Status zählt, verleiht die gleichzeitige Rezeption außerhalb dieses Feldes intellektuelles Prestige. Dies geht mit der Ausbildung bzw. Umwandlung typisch fachinterner Textsorten, insbesondere dem wissenschaftlichen Artikel, zu neuen Formen einher. An solchen neuen Formen hat man den book-length scholarly essay und die interdisciplinary inspirational monograph identifiziert, die Gwozdz näher vorstellt.

Wenn ein renommierter Wissenschaftler zugleich als Popularisierer auftritt und dabei geradezu neue Textsorten kreiert, widerspricht dies natürlich überkommenen Erwartungen. Dies stellt zwar in diversen sprach- und nationalspezifischen Konstellationen gleichermaßen ein relevantes Faktum dar, wirkt sich allerdings nicht in allen Kontexten auf die gleiche Weise aus. Denn in jedem Fall treffen auch neuere Entwicklungen auf die zweite relevante Schnittstelle zwischen fachinterner und -externer Kommunikation, die Weitergabe des Wissens an den Nachwuchs, d.h. das didaktische Feld. Wie weit hier die Gewohnheiten und Erwartungen selbst in benachbarten Regionen divergieren können, zeigen – gerade im Vergleich zur Untersuchung von Gwozdz – die Ausführungen von Venohr. Auch den Unterrichtenden sind die Unterschiede nicht einmal unbedingt bewusst. Vor allem aber fragt es sich, inwieweit die Anpassung an ‚fremde‘ Üblichkeiten in der ‚eigenen‘ Gemeinschaft überhaupt akzeptiert wird. Diesen Sachverhalt aufgreifend plädiert Venohr im Hinblick auf das Studium in mehrsprachigen Studiengängen für einen Perspektivenwechsel, bei dem sowohl die Textsorten- und Stilkompetenz in der L1-Sprache (unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den Wissenschaftskulturen) als auch Cross-cultural-Schreiberfahrungen produktiv genutzt werden. Problematisch erscheint damit die Praxis der präskriptiven zielsprachlichen Produktorientierung, die u.a. Stilwechsel sanktioniert. Diese Umorientierung soll die Entstehung und Entwicklung von mehrsprachigen sowie Cross-cultural-Diskursgemeinschaften begünstigen.

Der Frage, wie man in mehrsprachigen und multikulturellen Kontexten auf Spuren divergenter Konventionen reagiert, noch vorgelagert ist das Problem, wie sich normative Einstellungen zum wissenschaftlichen Stil (und eventuelle Verschiebungen in diesem Bereich) überhaupt eruieren lassen. Diesem Problemkomplex widmen sich Christiane Thim-Mabrey und Maria Thurmair, die ein Projekt-Seminar „Wissenschaftliches Schreiben bewerten“ durchgeführt haben. Nach der Musterung von Stilratgebern und Resultaten vorliegender Befragungen entwickelten die Studierenden selbst einen Fragebogen für Lehrkräfte aus verschiedenen Fächern. Insgesamt lassen die Ergebnisse zwar darauf schließen, dass es gewisse verbreitete Stereotype über Gütemerkmale (Sachlichkeit, Klarheit usw.) und Mängel wissenschaftlichen Stils gibt – nicht zufällig nennen die Autorinnen den Schachtelsatz schon im Titel. Befragungen dieser Art und ihre Auswertung erweisen sich aber methodisch als sehr schwierig. Unverkennbar ist immerhin, dass ein und dasselbe Phänomen zu gegensätzlichen Bewertungen Anlass geben kann.

Zu dieser Einschätzung kommt auch Mikaela Petkova-Kessanlis, die Einführungen in die Linguistik bzw. linguistische Teildisziplinen auf unterhaltsame ‚Attraktivmacher‘ untersucht und damit der These von zunehmender Nähesprachlichkeit im didaktischen Feld nachgeht. Angesichts der Divergenzen in Einstellungen zu stilistischen Charakteristika und Stilwechseln bleibt noch offen, inwieweit der Trend zur Aufweichung rigider stilistischer Normen sich als längerfristige historische Entwicklung durchsetzen wird.

Unabhängig davon, ob sich dieser Trend etablieren wird oder nicht, stellt sich die Frage, in welche Richtung dieser Trend geht. Einen Eindruck davon vermitteln neben Petkova-Kessanlis auch Andrea Bachmann-Stein/Stephan Stein. Der erstgenannte Beitrag zeigt, dass in didaktisch aufbereiteten wissenschaftlichen Texten Unterhaltsamkeit zum Zwecke der Erkenntniserleichterung und Rezipientenbeeinflussung erzeugt wird und dem übergeordneten Ziel dient, diese Texte für die Adressatengruppe der Studierenden attraktiv zu machen. Unterhaltsamkeit ist jedoch ein Gestaltungsmerkmal, das für den populärwissenschaftlichen Stil charakteristisch ist und für genuin wissenschaftliche Texte atypisch. Dies hat verschiedene auffällige Stilwechsel zur Folge, die entweder dem unterhaltenden Informieren dienen oder lediglich dem Unterhalten, d.h. die die Vermittlung fachlicher Inhalte nicht unterstützen. Bachmann-Stein/Stein stellen auch in Grammatik-Einführungen eine Reihe von Stilwechseln fest, die die Funktion erfüllen, die Texte für Studienanfänger attraktiv und somit verständlich zu machen. Sie gehen allerdings nicht von einem Trend aus, sondern von einer Randerscheinung und betonen die Notwendigkeit detaillierterer Untersuchungen, um auszuschließen, dass diese Stilwechsel auf Individualstile zurückzuführen sind.

Im Unterschied zu derartigen Entwicklungstrends von ungewisser Dauer und somit mit offenem Ausgang sind historische Veränderungen, die auf technische Entwicklungen zurückgehen und die in mehreren Beiträgen zur Sprache kommen, unverkennbar: Multikodalität, d.h. neben sprachlichen Ausdrucksmitteln der Einsatz diverser Arten von Abbildungen und Farbe sowie aufwendiges Seitenlayout, hat sich auch in Druckmedien durchgesetzt (vgl. Bachmann-Stein/Stein, Kap. 3; Petkova-Kessanlis, Kap. 4.10). Ungleich einschneidender ist jedoch das Aufkommen von Webauftritten, Blogs und Foren.

Wie sehr mit diesen Kommunikationsformen auch der Anspruch verbunden wird, die Kluft zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu überwinden, zeigt Annely Rothkegel mit ihrer Analyse der Internet-Plattform zu den Wissenschaftsjahren (im Zeitraum 2010–2018). Eingerichtet vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung, verfolgt dieses Projekt das Ziel, zu einem „Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern“ zu kommen, der ein konstruktives Miteinander von Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichen soll. Auf der Makroebene diagnostiziert Rothkegel einen „stillosen Stil“: Ein einheitliches modisches Webdesign gewährleistet eine gewisse Konsistenz, diese kann den Mangel an inhaltlicher Kohärenz aber kaum kompensieren. Auf der Mikroebene, d.h. innerhalb einer einzelnen, einem bestimmten Thema gewidmeten Website, werden die differenten Perspektiven dagegen weniger überwunden als durch „semantisches Jonglieren“ verdeckt, das die Unterschiede zwischen fachlichen, nicht-fachlichen und alltagssprachlichen Ausdrücken verschwimmen lässt.

Mit dem engeren Feld der Popularisierung, in dem als Produzenten in der Regel weniger Wissenschaftler, sondern Journalisten als Mittler beteiligt sind, beschäftigt sich Ines-A. Busch-Lauer. Ausgehend von der These, dass das Internet als interaktive Plattform für den Wissensaustausch die Distanz zwischen Wissenschaft als Theoriegebäude mit Spezialwissen und Gesellschaft als Praxisraum verringert, leitet Busch-Lauer stilistische Tendenzen ab, die auf den Einfluss des Mediums Internet zurückzuführen sind. Sie weist sie nach anhand einer exemplarischen Analyse von Texten aus Online-Wissenschaftsmagazinen und Blogtexten, die wissenschaftlich-technische Neuerungen zum Gegenstand haben. Eine dieser Tendenzen ist der Wechsel von schriftsprachlichem zum mündlichen Stil, der Merkmale des publizistischen Stils aufweist. Diese Gestaltungstendenz entspricht der von der Autorin konstatierten Multifunktionalität: Die von ihr untersuchten Texte erfüllen gleichzeitig eine informative, eine popularisierende und eine werbende Funktion.

Bei Busch-Lauer kommt auch ein Stilmerkmal popularisierender Texte zur Sprache, das unabhängig vom Medium ist, nämlich die Personalisierung. Sie kann Betroffene, die Interaktanten oder auch die Wissenschaftler betreffen, von denen die Rede ist. Sie steht in besonders starkem Kontrast zum Stil in Wissenschaftstexten, da dort eben Unpersönlichkeit die Norm ist. Das bedeutet freilich nicht, dass der Beziehungsaspekt in der Wissenschaftskommunikation gar keine Rolle spielte. Hier ist das Medium insofern von Bedeutung, als in diskursiven Kommunikationsformen, insbesondere bei Kopräsenz, die Bearbeitung des Beziehungsaspekts explizit realisiert wird, und zwar vor allem an den Rändern kommunikativer Episoden (im Sinne einer Rahmung), während sie in textuellen Kommunikationsformen eher implizit erfolgt. Diesem Fragenkomplex ist der Beitrag von Matthias Meiler gewidmet. Da in wissenschaftlichen Texten der primäre kommunikative Zweck in der Bearbeitung des wissenschaftlichen Wissens besteht, kommt es durch die kommunikative Bearbeitung der domänenspezifischen professionellen Kontaktnahme und Beziehungspflege zu Stilwechseln. Ausgehend von einem Beispiel aus einem Wissenschaftsblog präsentiert Meiler den Forschungstand zum Thema und kommt zu dem Schluss, dass die relevanten Stilwechsel im wissenschaftsinternen Diskurs das Prinzip der Unpersönlichkeit nicht außer Kraft setzen bzw. im Sinne einer historischen Entwicklung schwächen, sondern im Gegenteil dazu dienen, die Gültigkeit der Konventionen interner Wissenschaftskommunikation zu bestätigen.

Die Bandbreite von interaktiver Internetkommunikation ist sowohl hinsichtlich der situativen Faktoren als auch der stilistischen Ausprägungen sehr groß. Während Meiler fachinterne Diskurse behandelt, die die geltenden Normen (weitgehend) respektieren und reproduzieren, behandelt Thomas Tinnefeld den entgegengesetzten Pol, nämlich (vor allem am Beispiel des bekannten Portals Gute Frage) Forumsbeiträge, die von Rat suchenden Laien initiiert und daher erwartbar von „alltags-fachsprachlichen Stilwechseln“ geprägt sind. Ausgewählt wurden Fragen zu juristischen Problemen, die in der Regel ohne Anspruch auf sprachliche (oder gar fachliche) Korrektheit formuliert sind. Als Antwortende treten ‚Experten‘ auf, die sich selbst einen Wissensvorsprung zuschreiben und charakteristischerweise versuchen, das Anliegen mit fachlichen Begriffen zu reformulieren, oder auch Versatzstücke aus dem Fachdiskurs (wie etwa Gesetze) zitieren, um sie dann ggf. wieder in laientaugliche Sprache zu übersetzen. Auf diese Weise kommt es zu (teilweise sehr komplexen) Stilwechseln auch innerhalb eines Beitrags. Diese Stilwechsel haben nach Tinnefeld teilweise eine sachorientierte Funktion (Streben nach inhaltlicher Exaktheit oder – bei direkter Übernahme von fachlichen Formulierungen – nach Enkodierungsökonomie). Im Vordergrund seiner Ausführungen stehen jedoch Stilwechsel, die sich aus emotionaler Beteiligung ergeben, so etwa wenn der ‚Experte‘ diese Rolle aufgibt und, gewissermaßen als Privatperson, das Verhalten des Fragestellers (moralisch) wertet, ihm praktische Ratschläge gibt oder sich mit ihm solidarisiert.

Einen Umschlag von der sachlichen auf die emotional-persönliche Ebene stellen auch Bachmann-Stein/Stein fest, und zwar in Internetforen zu Grammatikfragen (Kap. 4). Sich selbst eine Expertenrolle zuzuschreiben ist hier insofern einerseits einfacher, andererseits heikler als bei juristischen Fragen, als sich weit mehr Personen als kompetent in Bezug auf die eigene Sprache betrachten und nicht davor zurückschrecken, eine solche Kompetenz anderen Personen abzusprechen. Dies ist aus dem laienlinguistischen Diskurs gut bekannt, nimmt aber bei Beteiligung von Personen ohne jeden auch nur halb-offiziellen Expertenstatus (wie er z.B. Bastian Sick zukommt) leicht besonders krasse Züge an, die die Forenbetreiber mitunter dazu veranlassen, explizit die Einhaltung der Netiquette-Regeln einzufordern.

Auf Internetforen gehen Bachmann-Stein/Stein nur kursorisch ein, der Vergleich mit Stilwechseln, die in didaktisch konzipierten Grammatikdarstellungen (Kap. 2) vorkommen, und schließlich mit solchen, die sich in den verschiedenen Auflagen der (Wissenschaftlichkeit beanspruchenden) Duden-Grammatik (Kap. 3) beobachten lassen, zeigt aber besonders gut, mit welcher Vielfalt an Gestaltungsmitteln und Funktionen bei ‚derselben‘ kommunikativen Aufgabe zu rechnen ist. In überwiegend an Studierende gerichteten Darstellungen dienen Stilwechsel (weg vom Sachlich-Neutralen) vor allem der Aufmerksamkeitssteigerung und Rezeptionsförderung. Je breiter das Publikum (Schüler und eine disperse Gruppe von Sprachinteressierten), desto unterschiedlicher (aber tendenziell geringer) werden Vorwissen und Lernbereitschaft eingeschätzt, was zum Einsatz typisch popularisierender Mittel führt: Die Textproduzenten zeigen Verständnis für Probleme angesichts der notorisch unbeliebten Grammatik, verzichten gänzlich auf konkrete Verweise auf den Fachdiskurs, treten als Mittler zur nur abstrakt genannten (Sprach-)Wissenschaft auf, sprechen Leser direkt an und erteilen konkrete Ratschläge. Angezielt wird damit die zeitweise Aufhebung der Wissens-Asymmetrie und somit die Verringerung der Distanz zu den Rezipienten.

Dass sich in den Auflagen der Duden-Grammatik sehr markant die Gestaltungsveränderungen niederschlagen, die durch die technischen Entwicklungen verursacht sind, wurde schon oben bemerkt. Die Ausweitung des Einsatzes von grafisch-visuellen Mitteln dient der Lese- und Zugriffsfreundlichkeit. Daneben registrieren die Autoren eine Verdoppelung des Umfangs, was in bemerkenswertem Gegensatz zur angezielten Erweiterung des Adressatenkreises steht (auch Rezipienten mit niedrigeren Wissensvoraussetzungen werden als Nutzer in Betracht gezogen); denn die vergleichend behandelten ‚popularisierenden‘ Darstellungen zeichnen sich gerade durch massive Umfangsreduktion und Simplifizierungstendenzen aus.

Einer sehr viel tiefer gehenden Änderung entspricht der Wandel der Duden-Grammatik von einer eher präskriptiven zu deskriptiver Haltung sowie der Stilwechsel beim Exemplifizieren: Er besteht in dem zunehmenden Verzicht auf literarische Belege und der Aufnahme von Beispielen, die der authentischen mündlichen Kommunikation entstammen. Hier haben wir es weit eher mit dem Wandel von Denkstilen zu tun. Dies führt einerseits zurück auf die Ausführungen von Gwozdz und unterstützt deren Forderung, Stilwandel auch im textsoziologischen Kontext zu untersuchen und externe Akteure zu berücksichtigen. Die exponierte Stellung des Duden(-Verlags) im deutschsprachigen Raum verdient dabei besondere Beachtung und Bachmann-Stein/Stein zeigen überzeugend, wie sehr auch die in der Stilanalyse selten berücksichtigten Grammatik-Darstellungen Aufmerksamkeit verdienen.

Ein besonders enger Anknüpfungspunkt besteht andererseits zu dem Beitrag von Ulla Fix, die den Wandel von Denkstilen in den Mittelpunkt stellt. Sie behandelt denselben zeitlichen Ausschnitt (nämlich grob die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts), wählt aber als Textsorte den auch sonst besonders oft untersuchten (sprach-)wissenschaftlichen Aufsatz. Fix stellt das Kategorieninventar von Ludwik Fleck vor und versucht den Denkstil je eines Denkkollektivs aus den Perioden des Neoidealismus, des Strukturalismus und der Pragmalinguistik zu charakterisieren. Für eine Übersicht über Stilzüge und typische Stilelemente wissenschaftlicher Aufsätze greift sie auf die Funktionalstilistik zurück. Ihre empirische Analyse gilt – im Sinne einer exemplarischen Untersuchung – je einem Aufsatz der jeweiligen Periode. Während die letzten beiden Richtungen, wenn auch in charakteristisch verschiedener Ausprägung, die erwarteten Stilzüge klar erkennen lassen, weicht der Vertreter des Neoidealismus, Leo Spitzer, davon stark ab, insofern bei ihm Bestimmtheit (statt vorsichtiger Differenzierung und Vorläufigkeit) sowie Subjektivität dominante Stilzüge darstellen. Gerade dies entspreche allerdings dem Denkstil seines Denkkollektivs, trage also bei aller individualstilistischen Spezifik durchaus überindividuelle Züge.

Ebenfalls essentiell historisch ausgerichtet ist der Beitrag von Sabine Ylönen, die sich gleichermaßen mit Aufsätzen beschäftigt, allerdings solchen aus der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Ihre Untersuchung deckt den umfangreichsten Zeitraum ab (1884 bis 1999) und arbeitet mit einem umfangreichen Korpus. Außerdem nimmt sie eine besonders enge Phänomeneingrenzung vor, geht nämlich in diesem Aufsatz nur auf Zitationskonventionen ein. Angesichts des verbreiteten Topos von den Charakteristika der (Natur-)Wissenschaften ist besonders bemerkenswert, wie spät (nämlich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) sich hier ein standardisiertes Verfahren etabliert hat. Trotz der auf den ersten Blick auf rein Formales gerichteten Analyse von Phänomenen, die sich auch besonders gut auszählen lassen, kann Ylönen aufzeigen, dass damit doch paradigmatische Änderungen des Wissenschaftsverständnisses – anders gesagt: Denkstilwechsel – verbunden sind.

Insgesamt lässt sich festhalten: Stilwechsel sind ein facettenreiches, gesellschaftlich und kommunikationsgemeinschaftlich relevantes Phänomen, das sowohl in synchroner als auch in diachroner Hinsicht temporäre und/oder bereits etablierte Stilveränderungen innerhalb von Textsorten, Kommunikationsformen, Texttypen und Diskursen indiziert. Die Beiträge des Bandes zeigen, dass die Erforschung der Funktionenvielfalt der Stilwechsel – gerade im Bereich der als eher wandelresistent geltenden Wissenschaftskommunikation – ein lohnenswertes Unterfangen darstellt, deuten aber gleichzeitig auf weiteren Forschungsbedarf hin.

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Als Herausgeberinnen danken wir herzlich allen Beiträgerinnen und Beiträgern für ihr Interesse am Thema, für ihre Mitwirkung an diesem Band und insbesondere für die Geduld, die sie bis zum Abschluss der Veröffentlichung aufgebracht haben.

Genf/Athen, im September 2020 Die Herausgeberinnen

Gatunki i tagi

Ograniczenie wiekowe:
0+
Objętość:
617 str. 30 ilustracje
ISBN:
9783823300960
Właściciel praw:
Bookwire
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