Czytaj książkę: «PYROMANIA. DAS WELTENBRENNEN»
Robert na‘Bloss (Hrsg.)
Pyromania
Das Weltenbrennen
Nur ein guter Grund gibt einen guten Krieg
Story Center
AndroSF 112
Robert na‘Bloss (Hrsg.)
PYROMANIA. DAS WELTENBRENNEN
Nur ein guter Grund gibt einen guten Krieg
Story Center
AndroSF 112
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: August 2020
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Lothar Bauer, »Weltenbrand«
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Korrektorat & Lektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 195 2
ISBN dieses E-Books: 978 39 5765 893 7
Detlef Klewer: Mammons Diener
Prolog
Menschen antworten. Und sei es nur, um eine Anweisung auszuführen, die befiehlt, auf Funksprüche zu reagieren. Doch das leise Knistern des Hypercoms sprach eine eigene Sprache.
Sibley zuckte die Achseln. Der pockennarbige Kommunikator konnte trotz ausdauernder Kontaktversuche zur Forschungsstation hier auf Beleron kein Lebenszeichen entdecken. Keine Reaktion.
Von ungebändigten Wetterkräften gespeist, rasten Sturmböen über eine öde Landschaft, die ein Poet sicher als Vorhof zur Hölle beschrieben hätte. Selbst zwölf hydraulikgefederte Räder vermochten die gewaltigen Bodenunebenheiten nicht völlig abzudämpfen.
Das Landefahrzeug hatte die Labors fast erreicht. Heftige Windböen zerrten an ihm, aber fünfzehn Tonnen doppelwandigen Stahls trotzten der ungastlichen Witterung. Die Panzerung versprach zwar hochgradigen Schutz, doch die dreizehn Männer der Kompanie lebten in der Gewissheit, dass es keine einhundertprozentige Sicherheit geben konnte. Beruhigend war: Der Hochleistungsmotor erreichte nicht annähernd die Belastungsgrenze, daher entspannte sich die Besatzung, während sich ihr Fahrzeug stetig dem Ziel näherte.
Dichter Staub wirbelte vor der Frontscheibe und begrenzte Krugs Sichtweite auf wenige Meter. Der bullige Fahrer verließ sich zur Bestimmung der Fahrtrichtung längst ausschließlich auf das Radargerät.
Pneumatische Bremsen zischten, als Krug das Gefährt stoppte. Sergeant Chambers starrte durch die Sichtscheibe. Der Wind hatte etwas nachgelassen und der Staub sich ein wenig verzogen, sodass Umrisse der Station erkennbar wurden. Die kastenförmigen Laborgebäude erinnerten an überdimensionale Bauklötze, die ein des Spielens überdrüssiges Kind achtlos weggeworfen hatte.
Die Soldaten überprüften routinemäßig ihre Schutzanzüge, Ausrüstung und Waffen. Verschlüsse schnappten ein, Dichtungen schlossen sich und Riegel wurden entsperrt.
»Also gut, gehen wir rein! V-Formation!«, befahl der Sergeant und verließ das Panzerfahrzeug als Erster. Seine Männer folgten ihm.
Lichtkegel tragbarer Scheinwerfer betasteten wie Geisterfinger mit bleichem Schein die stumpfen Außenwände. Sibley fütterte die Schaltung der Eingangsschleuse mit dem Geheimcode und fluchte, als sich das Tor nicht öffnen wollte.
»Zeit für die Robotschweißer«, entschied Chambers. Die Männer schafften unförmige Geräte auf Gleitkissen heran und richteten sie ein. Die Hochleistungslaser begaben sich an die Arbeit. Wenige Minuten später donnerte die herausgeschnittene Stahlplatte der Tür in den Innenraum und gab den Blick frei.
Die lässige Haltung der Soldaten beim Anblick der arbeitenden Maschinen wich augenblicklich konzentrierter Wachsamkeit.
Innen herrschte unheimliches Zwielicht, die Beleuchtung funktionierte nicht. Nur rote Augen der Notbeleuchtung spendeten sirrend Licht und verwandelten den Korridor mit ihrem feurigen Schein in einen Nebeneingang zum Purgatorium.
Keinerlei Lebenszeichen.
»Hallo? Jemand zu Hause?«, fragte eine unsichere Stimme in dem kläglichen Versuch, einen Scherz zu machen. Es klang wie die ängstliche Frage eines Kindes, ob sich ein Monster unter seinem Bett versteckte.
Niemand lachte über Oakes’ Bemerkung. Der junge Rekrut war noch ein Fremdkörper im eingespielten Team der Kompanie R des dritten Bataillons im siebten Regiment. Erst seit wenigen Wochen dabei, zu unsicher, zu unerfahren.
»Falls es einen Vorfall gab, ist hier nichts davon zu erkennen«, sagte Krug. »Alles wirkt intakt. Vielleicht haben sie die Energieversorgung gedrosselt, um Strom für die Lebenserhaltung einzusparen. Na ja, jetzt hocken alle in der Lounge, feiern eine Party und warten darauf, dass wir ihre Ärsche retten.«
In gespannter Aufmerksamkeit, die Waffen feuerbereit im Anschlag, durchquerten sie den langen Gang. Die Lagertüren rechts und links waren verschlossen. Ohne Zwischenfall erreichten sie die Schleusentür zum Headquarter. Sergeant Chambers winkte Sibley, der sich sofort an die Arbeit begab. Konzentriert prüfte er, überbrückte, fluchte – und begann von Neuem.
»Bingo!«, rief er schließlich und schlug sich selbst auf die Schulter. Dann glitt die Verbindungstür zischend beiseite.
Das Rescueteam betrat den großen Raum. Niemand sprach, nur Oakes entfuhr ein gequälter Laut – angesiedelt zwischen Faszination und Ekel. Alle anderen starrten in stummem Entsetzen auf den grauenhaften Anblick des Todes, der sich ihnen bot.
Kaum Kollateralschäden. Brandlöcher im Equipment, dort wo Schüsse der Impulsgewehre fehlgegangen waren. Ansonsten … Leichen, manche bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Überall Blut.
Sergeant Chambers räusperte sich und fand als Erster seine Sprache wieder. »Ice, Kensington, sehen Sie nach, ob noch jemand lebt. Sibley, checken Sie den Computer.« Die Sanitäter folgten eilig den Befehlen. Der Kommunikator ließ sich vor dem Terminal nieder und seine Finger wirbelten über die Tastatur.
»Haben wir Bilder der Videokamera?«, erkundigte sich Chambers und trat hinter Sibley.
»Nein, die Überwachungsbänder wurden gelöscht«, entgegnete Sibley grimmig. »Auch sonst keine Hinweise auf die Ursache dieses Massakers.«
Hier hatte ein kurzer, aber heftiger Kampf getobt … mit absehbarem Ende. Offenbar hatte niemand auf der Station einen Überfall erwartet. Einziger Augenzeuge war der Computer, doch da man ihm keinen Speicherbefehl erteilt hatte und die Bilddaten verloren waren, würde er über die Vorkommnisse schweigen.
Dann vernahmen sie das Wimmern …
»Ice? Kensington?« Die beiden Sanitäter rannten in die Richtung, aus der die kläglichen Laute gekommen waren. Sie warfen umgestürzte Tische und Stühle beiseite.
»Ein Mann!«, rief Ice. Er kniete neben ihm und fühlte den Puls. »Er lebt!«
Kensington förderte eine kreislaufstabilisierende Spritze aus dem Lifepack und verabreichte sie dem Verletzten. Dann drehten sie ihn gemeinsam auf den Rücken. Unter ihm wurde eine grünlich-gelbe Lache sichtbar. Ice prüfte mit dem Handschuh das Sekret.
»Haben nicht die Geeks … grünes Blut?«
Kensington nickte düster. Chambers tauchte neben ihm auf und betrachtete den Verletzten. Das Kreislaufmittel begann zu wirken, seine Lider flatterten, dann öffnete er die Augen und zuckte panisch zurück.
»Keine Sorge, alles in Ordnung«, versuchte Ice ihn zu beruhigen. »Sie sind in Sicherheit.«
»Können Sie uns sagen, was passiert ist?«, fragte Chambers.
»Wir haben sie … reingelassen … arglos …«, keuchte der Angesprochene.
»Nur die Ruhe. Alle Bereiche sind gesichert. Es ist alles in Ordnung«, erklärte Chambers geduldig. Er konnte sich vorstellen, was dieser Mann durchgemacht haben musste. »Wen haben Sie in die Station gelassen? Erzählen Sie alles der Reihe nach.«
Der Mann atmete schwer, versuchte, sich zu sammeln, dann nickte er.
»Mein Name … ist Guy Colwell. Ich bin … Pyrotronphysiker. Die Correlianer … es war … nicht ihr erster Besuch. Immerhin stehen wir in Verhandlungen über Handelsabkommen und sie schienen … nicht feindselig. Aber sie haben sofort das Feuer eröffnet.« Er zitterte. »Ich glaube, wir haben ein paar von ihnen erwischt.« Er blickte hektisch um sich und stieß dann hervor: »Sie haben ihre Toten mitgenommen.«
»Verdammt! Ich wusste von Anfang an, dass man diesen Biestern nicht trauen kann«, zischte Krug. »Dieser ganze freundliche Schmus, alles nur Tarnung. Aber was will man von Kreaturen, die wie zerquetschte Reptilien aussehen, anderes erwarten.«
»Dieser Angriff ergibt keinen Sinn«, mischte sich Sibley ein. »Die Verhandlungen mit der Weltregierung zur friedlichen Koexistenz standen kurz vor dem Abschluss.«
»Wer versteht schon, was in einem Alienhirn vor sich geht?«, erwiderte Chambers.
»Wie auch immer, ohne diesen Überlebenden gäbe es kein Indiz für einen Angriff«, stellte Krug fest.
»Clevere kleine Biester«, gab Chambers widerwillig zu, obwohl er der Meinung war, in Gottes Schöpfung sei alles außer der menschlichen Rasse minderwertig.
»Hinterhältig, bösartig, grausam, aber … clever«, ergänzte er daher. Dann wandte er sich an seinen Kommunikator.
»Sibley, stellen Sie eine Verbindung zur Erde her. Ich schätze, die Geeks haben uns gerade den Krieg erklärt …«
Dreiundvierzig Kriegsjahre später …
Margaret Oakes blinzelte mit zusammengekniffenen Augen in die grelle Morgensonne, vielleicht in verzweifelter Hoffnung, das gleißende Licht werde sie erblinden lassen – um das Folgende nicht sehen zu müssen. Doch nur helle Punkte tanzten vor ihren Augen, als sie zu ihrem Sohn herüberblickte.
Seit Stunden starrte er mit leeren Augen auf den Bildschirm, bis der stetig wiederholte Werbespot des Friedenskorps sie für die Dauer von fünfundvierzig Sekunden mit Leben erfüllte.
Dieses verbissene Interesse erfüllte sie mit Furcht. Zweimal hatte sie versucht, den Fernseher auszuschalten. Zweimal war er stumm aufgestanden und hatte ihn wieder eingeschaltet.
Nervös schritt sie im Zimmer auf und ab. Ruhelos. Wie ein Tiger, der den Fangschuss ahnt. Ohne Rettung.
Die Hochzeitsfotos an der Wand zeigten eine hübsche Frau, die kaum noch Ähnlichkeit mit jener Frau besaß, der Sorgen und Entbehrungen tiefe Falten in das Gesicht gegraben und dunkle Augenringe hinterlassen hatten.
Margaret bereute ihre vorschnelle Äußerung, sie würde ihm verbieten, dem Friedenskorps beizutreten. Ihr Sohn missverstand diese Aussage als Zorn. Er glaubte, sie wollte ihn einschränken. Ihn vor seinen Freunden lächerlich machen. Doch sie war nicht im Mindesten wütend auf ihn.
Sie empfand … Angst. Nackte Angst!
Sie ahnte … nein, sie wusste mit der Gewissheit einer Mutter, dass sie ihn nicht mehr lebend wiedersehen würde, wenn er dem Friedenskorps beitrat. Möglicherweise würden sie ihn gar nicht nehmen, versuchte sie den letzten Funken Hoffnung im Herzen zu einem kleinen wärmenden Feuer zu entfachen. Doch ihr Sohn war jung und gesund.
Das leise Surren des elektrischen Rollstuhls riss sie aus ihren Gedanken. Timothy. Vielleicht gelang es ihrem Ehemann, den Sohn von seinem Vorhaben abzubringen. Schließlich hatte die Armee ihn zum Krüppel gemacht. Ja, ein Gespräch von Mann zu Mann – zwischen Vater und Sohn – vermochte ihren Jungen möglicherweise doch noch umzustimmen.
Ihr Mann manövrierte seinen altersschwachen Rollstuhl zum Tisch. Ein neues Modell konnten sie sich nicht leisten. Von der Implantation neuer Beine nicht einmal träumen.
Das Projektil hatte ihn in den Rücken getroffen, also drehte der Bastard von der Insurance Corporation den Sachverhalt seinerzeit so, als sei ihm die Verwundung während der Flucht zugefügt worden. Also keine Abfindung. Ablehnungsgrund: Feigheit vor dem Feind!
Hätten sie sich gegen diese Entscheidung zur Wehr gesetzt, wäre vielleicht sogar die staatliche Hilfszahlung eingestellt worden. Wegen unehrenhafter Entlassung aus der Armee. Nun, sie kamen zurecht. Irgendwie. Bisher. Aber nun … Ohne ihren Brian? Wie sollten sie das schaffen?
Jetzt lag diese verdammte kleine Plastikkarte auf dem Tisch und drohte alles zunichtezumachen, für das sie die vielen entbehrungsreichen Jahre zuvor gekämpft hatten. Der Einberufungsbefehl … Sie starrte mit unverhohlenem Abscheu auf dieses ihre Existenz bedrohende Stück Kunststoff und hätte es liebend gern im Müllschacht entsorgt. Doch so einfach war diese Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen.
Ihr Ehemann nahm die Karte mit zwei Fingern und betrachtete sie wie ein widerliches Insekt.
»Brian, du musst nicht gehen«, erklärte er und warf sie auf den Tisch. »Meine Behinderung wäre eine legitime Begründung, die Einberufung abzulehnen.«
Brian blickte auf. »Deine Behinderung ist der Grund, warum ich der Aufforderung Folge leisten werde.«
Ihr Mann zuckte zurück, als habe sein Sohn ihn ins Gesicht geschlagen. »Du glaubst, ich wäre ein Feigling gewesen?«
»So steht es in der Akte.«
Margaret wollte aufbegehren, aber Timothy winkte müde ab.
»Du verstehst nicht, wie es in der Armee zugeht, Brian«, begann er, und sein Sohn verzog das Gesicht. »Mein erster Einsatz war eine Rescuemission. Dreizehn Soldaten, aber nur der Sergeant erhielt für die Rettung des Sohnes des Rüstungskonzernchefs Colwell eine Auszeichnung. Mein Dank bestand in einem Fronteinsatz.«
»Bei dem du deine Kameraden im Stich gelassen hast«, bemerkte Brian bitter. Margaret krümmte sich innerlich, denn der Hass, der aus den Worten ihres Sohnes sprach, traf sie tief. Ihr Mann zuckte resignierend die Achseln.
»Das ist die offizielle Version.«
»Du hast ihr nie widersprochen.«
Timothy lachte bitter. »Hätte ich widersprochen, wären die Anwälte über mich hergefallen. Glaubst du wirklich, sie hätten mir eine faire Chance eingeräumt? Ich habe an euch gedacht … deine Mutter und dich. Mein Gott, du warst noch ein Baby …«
»Ich verstehe. Also ist alles nur eine riesige Verschwörung gegen dich?«, höhnte Brian.
»Es war eine bequeme Gelegenheit, einen desillusionierten Soldaten loszuwerden.«
Brian schwieg. Timothy zögerte, dann gab er sich einen Ruck.
»Krieg ist kein Werbespot. Er ist dreckig, blutig und sinnlos. Wir erhielten Befehl, einen Außenposten der Correlianer zu erobern. Dreihundertneunzig Männer, die nicht ahnten, dass sie nur als Kanonenfutter im Rahmen eines taktischen Manövers herhalten sollten.« Er schüttelte den Kopf. »Wir waren so naiv. Als der Angriffsbefehl ertönte, stürmten wir los … überzeugt, dass uns nichts aufhalten konnte. Wir feuerten im Laufen die Magazine leer, warfen uns zu Boden, schoben ein Ersatzmagazin ein und rannten wieder los. Wie im Training.« Er schwieg einen Augenblick und schloss die Augen. »Dann brach die Hölle los. Glühend heiße Leuchtspuren rissen uns Löcher in die Panzerung. Die Anzugklimatisierung fiel aus, die Hitze wurde unerträglich. Plasmageschosse zerfetzten Körper. Den Soldaten hinter mir erwischte eine Ladung frontal, ich hörte das grauenvolle Geräusch eines aufbrechenden Körpers, dessen innere Organe verdampften. Doch noch immer feuerte er ununterbrochen. Dann schlug mir etwas die Füße weg. Eines seiner Projektile hatte mich getroffen. Ich stürzte, meine Waffe glitt mir aus den Händen. Meine letzten Gedanken galten euch, im sicheren Gefühl, dort auf diesem fremden Planeten zu sterben.« Obwohl die Erinnerungen ihrem Mann spürbar zusetzten, wirkte ihr Sohn gelangweilt.
Timothy seufzte tief und schloss die Augen. »Doch ich starb nicht. Als ich wieder zu mir kam, schwebte ich über dem Boden. Um mich herum ein flammendes Inferno. Ich spürte meine Beine nicht. Verschwommene Gesichter neben der Hovercrafttrage. Ich versuchte aufzustehen, um weiter zu kämpfen. Jemand drückte mich in die Luftkissen. Zurück im Stützpunkt erfuhr ich, dass nur sechzehn Soldaten diese Hölle überlebt hatten. Dann hieß es, ein Aliengeschoss habe mich in den Rücken getroffen.« Timothy blickte seinem Sohn lange in die Augen.
»Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Herkunft des Projektils zu ermitteln.«
Brian erwiderte den Blick, dann wandte er sich ab.
»Nun, das ist deine Version der Geschichte. Vielleicht entspricht sie sogar den Tatsachen. Aber es ist eben nicht die offizielle Version der Geschichte. Ich muss mit deiner Schande leben. Und ich hasse dieses Leben. Ich habe mich freiwillig gemeldet und verschwinde von hier. Ihr werdet mich nicht daran hindern.«
Seine harten Worte katapultierten Margaret mitleidlos in das Tränenmeer, an dessen Ufer sie ständig wandelte. Sie brach zusammen und weinte, doch nicht einmal ihr haltloses Schluchzen erreichte ihren Sohn noch. Er hatte sich innerlich in der Welt kalten Stahls und blitzender Waffen verschanzt und alle Luken schalldicht hinter sich verschlossen.
Brian erhob sich abrupt, verschwand in seinem Zimmer und kehrte nur wenige Minuten später mit seinem Kleidersack zurück.
»Brian …« Weinend zog sie ihren Sohn an sich. Er umarmte sie emotionslos und erlaubte ihr widerwillig, ihm einen Abschiedskuss auf die Wange zu drücken. Dann schob er sie von sich, schulterte sein Gepäck und schritt, ohne sich umzudrehen, aus der Tür.
»Ihr seid mit Abstand der lausigste Haufen Rekruten, der mir je untergekommen ist!«, brüllte der hochgewachsene Offizier, der sich den Wartenden mit schneidender Stimme als Drillsergeant Cobaine vorgestellt hatte. Seine tadellose Uniform und sein kantiges Gesicht wirkten ebenso einschüchternd, wie das altehrwürdige Gussbetongebäude hinter ihnen. Diese graue Militärakademie hatte Hunderttausende Anfänger durch ihre Tore eingelassen, um sie als trainierte Friedenskämpfer zu entlassen.
Vier Wochen würde dieses Furcht einflößende Gebäude Brians Zuhause sein. Die Ausbilder würden ihn durch das härteste Training schleifen, um ihn auf den Kampf gegen die Correlianer vorzubereiten.
Brian war fest entschlossen, sein Bestes zu geben. Vielleicht würde sein Einsatz den Schandfleck in seiner Familiengeschichte tilgen, den sein Vater hinterlassen hatte. Er versuchte, sich auf die Worte des Drillsergeants zu konzentrieren.
»Falls ihr gekommen seid, um Ruhm zu ernten und ein Held zu werden: Vergesst es! Wir sind einzig und allein zur Pflichterfüllung hier. Für unsere Welt, für die Menschen, für eure Familien.«
Cobaine schritt langsam die Reihe der Neuankömmlinge ab und musterte jeden mit unverhohlener Abscheu. Direkt vor Brian blieb er stehen und fixierte ihn mit seinen stahlblauen Augen. Der sezierende Blick bohrte sich in Brians Innerstes, öffnete es mit der scharfen Schneide der Menschenkenntnis und offenbarte Geheimnisse, die verborgen bleiben sollten. Brian fühlte sich geradezu entblößt, während sein Ausbilder wissend lächelte. Dann wandte er sich dem nächsten Rekruten zu.
»Für Einzelkämpfer ist hier kein Platz. Die erste Lektion: Einer für alle, alle für einen. Diejenigen, die ohne Kameraden auszukommen glaubten, hatten nie genug Zeit, den Nachkömmlingen zu erzählen, dass sie sich irrten. Weil sie aus Plastiksärgen keine Ratschläge mehr geben konnten.«
Der Drillsergeant trat zurück, betrachtete die Männer, die schwitzend vor ihm standen, und schüttelte resigniert den Kopf.
»Jetzt geht und holt eure Trainingskombis. Auf dem Weg dorthin kommt ihr an einer Vitrine vorbei. Seht euch den Inhalt gut an. Diesen Kampfanzug werdet ihr tragen, falls es euch gelingt, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Ihr werdet sie mit Stolz tragen, wenn ihr in den Kampf zieht. Aber dazu müsst ihr erst meine Ausbildung überleben.«
Brian rannte los.
Der Gleiter landete sanft auf dem Dach des Firmengebäudes der GunTec Corporation. Derek Colwell verließ das Fahrzeug, grüßte die schwer bewaffneten Wachen und betrat den Antigravitationslift, der ihn direkt in die Arbeitsräume seines Vaters befördern würde.
Lautlos öffneten sich die Türen und er stand in der riesigen Empfangshalle. Die Brünette hinter dem roten Manila-Padouk-Schreibtisch war neu hier. Sie hatte ein hübsches Gesicht. Diese Auswahl sehr junger und sehr weiblicher Mitarbeiterinnen missfiel ihm. Zumindest waren sie nicht minderjährig. Obwohl … die Position seines Vaters an der Machtspitze hätte ihm Straffreiheit garantiert. Selbst wenn er es mit Kindern getrieben hätte.
Die junge Dame erhob sich bei seinem Eintreten und musterte ihn mit unverhohlener Neugier. Wenn sie schon mit dem Vater schlief, würde sie eine Einladung des Sohnes nicht ablehnen, schoss es Derek durch den Kopf. Doch er war verheiratet und nahm die altmodische Tradition der Monogamie sehr ernst. Außerdem liebte er seine Frau.
»Ihr Vater erwartet Sie«, erklärte die Brünette nun mit rauchiger Stimme, die älter klang, als ihr Aussehen vermuten ließ. Derek nickte ihr zu und öffnete die Flügeltüren zum Allerheiligsten.
Sein Vater saß hinter seinem Schwarznussschreibtisch voll Aktenordnern, Papierstapeln und einem Arrangement verschiedenster Alkoholika. Vor Besuchern gab er sich den Anschein pausenloser Aktivität, doch tatsächlich galt sein Hauptaugenmerk den schönen Mädchen seiner Umgebung. Derek wusste, dass von diesem Raum eine verborgene Tür in ein angrenzendes … Spielzimmer führte, in dem er den Großteil des Tages verbrachte. Natürlich mit langbeinigem Spielzeug. Derek teilte die Leidenschaft seines Vaters für blutjunge Frauen nicht, aber er sah auch keinen Grund, seinen alten Herrn deshalb zu tadeln. Schließlich hatte er dieses gigantische Imperium aufgebaut, und so sollte er die Früchte seiner Arbeit genießen dürfen. Zumal ihm die Früchtchen willig in den Schoß fielen. Geld stellt ein unwiderstehliches Aphrodisiakum dar. Die Tatsache war fast schon ein Naturgesetz.
Das Geld spielte in seiner Familie nie eine Rolle. Man sprach nicht darüber, man besaß es einfach. Sein Vater hatte ihn durch die Eliteuniversitäten Neuoxford, Harvard II und Yaletown geschleust, und Derek nahm diese Herausforderungen dankbar an. Mit seinem angehäuften Wissen landete er schließlich in der Waffenforschung der GunTec und war als Projektleiter maßgeblich an der Entwicklung der neuen Techno-Impulsgewehre und den Pyro-Plasmabrennern beteiligt. Seine Befreiung vom Dienst im Friedenskorps war durch diese Projekte mehr als gerechtfertigt. Aber nun war ihm und seinen Mitarbeitern ein Durchbruch gelungen, der alles in den Schatten stellte. Er konnte es kaum erwarten, seinem Vater diese frohe Botschaft zu verkünden.
Guy Colwell besaß durch aufwendige Behandlungen das Äußere eines agilen Mittvierzigers, der beschlossen hatte, nicht zu altern. Seine inneren Organe waren durch jüngere Exemplare ausgetauscht worden, die welkende Haut wurde regelmäßig einer Frischzellenkur unterzogen und für die poröser werdenden Knochen wurde hoch dosiertes Kalzium gespritzt. Selbst die an Sehkraft verlierenden Augen waren ersetzt worden. Genau betrachtet stand Derek einem menschlichen Ersatzteillager mit dem Gehirn seines Vaters gegenüber.
»Mein Sohn!«, rief sein Vater aufgeräumt und eilte ihm mit offenen Armen entgegen. Ein gewisser Glanz in seinen Augen verriet Derek, dass er ihn wahrscheinlich beim Beischlaf gestört hatte. Doch angesichts der Nachrichten, die er ihm brachte, würde sein alter Herr den Interruptus wohl verschmerzen.
Er umarmte seinen Vater. Dann ließen sie sich in der Designer-Sitzecke nieder, die zwanglosen Unterredungen mit hochrangigen Gästen vorbehalten war.
»Du siehst müde aus, Junge. Was verschafft mir die Freude deines unerwarteten Besuchs?«
Derek schob ihm eine Mappe hinüber. »Ich habe praktisch rund um die Uhr gearbeitet, aber jeder Tag ohne Schlaf hat sich mehr als gelohnt.« Sein Vater blätterte in den Unterlagen, verfügte aber nicht über ausreichendes Fachwissen, um den Inhalt zu begreifen.
»Was ist das?«, fragte er daher.
»Das rettet die Zukunft der Erde«, erklärte Derek stolz.
»Ich verstehe nicht …«
Derek lachte. »Das musst du auch nicht. Ich will dich nicht mit technischen Einzelheiten langweilen, aber diese Waffe, die ich mit meinen Leuten entwickelt habe, ist die Beste, die wir je hatten.« Sein Vater wiegte skeptisch den Kopf.
»Wir statten unsere Leute mit den besten Waffen aus. Sie sind teuer, aber zuverlässig.«
»Es sind gute Waffen, aber nicht die besten …«, berichtigte ihn Derek.
Guy hob fragend die Augenbrauen.
»Es ist uns gelungen, die DNS aus Alienblut zu isolieren, zu bestimmen und zu decodieren«, erklärte Derek enthusiastisch. »Wir konstruieren momentan Phasenwerfer, die bis zu einhundert Schuss gleichzeitig abfeuern können.«
»Wo liegt der Vorteil? Unsere Impulsgewehre schaffen zehn Schuss pro Sekunde.«
»Der Vorteil ist …« Derek legte eine dramatische Pause ein. »Unsere Geschosse sind auf Alien-DNS programmiert. Die Trefferquote liegt bei 99,34 %! Die Menschheit wird siegen, Vater! Wir werden siegen.«
Sein Vater starrte ihn fassungslos an. Aus seinem Gesicht war jegliche Farbe gewichen. Mit zusammengepressten Lippen quetschte er schließlich ein »Das ist … großartig« hervor. Derek entging in der eigenen Begeisterung das gefährliche Flackern seines Blickes.
»Wie weit seid ihr mit der Entwicklung?«
»Der Prototyp hat alle Tests bestanden. Wir stehen unmittelbar vor der Serienreife.«
Sein Vater legte vor dem Gesicht die Fingerspitzen aneinander und runzelte die Stirn.
»Das … ist nicht so einfach, wie du glaubst, mein Sohn«, begann er ruhig.
»Wir retten Leben, Vater! Das ist es! Ganz einfach.«
»Du … verstehst nicht. Es existieren Verträge. Bindende Verträge, die eingehalten werden müssen. Wir können nicht einfach ein neues Produkt einführen und die bisherigen ersetzen. Das würde milliardenschwere Konventionalstrafen nach sich ziehen.«
Derek musterte seinen Vater konsterniert. »Vater, das kann nicht dein Ernst sein …«
Guy Colwell beugte sich vor. »Es ist leider mein voller Ernst. Wir benötigen Genehmigungen. Die Interstellare Handelskommission muss unterrichtet werden. Ebenso die Kolonialbehörden. Die Weltregierung muss zustimmen.«
»Das verzögert den Einsatz der Waffen um Wochen, vielleicht sogar Monate«, stöhnte Derek in plötzlicher Erkenntnis und empfand bittere Enttäuschung. Er starrte seinen Vater mit tiefster Sorge an. »Wir können den Krieg gewinnen, so viele Soldaten könnten gerettet werden. Ist das kein hinreichender Grund, Dienstwege zu umgehen?«
Das künstlich gestraffte Gesicht des alten Mannes verzog sich ärgerlich.
»Nun, wenn dir soviel daran liegt, werde ich … meine Beziehungen spielen lassen. Ich habe diese Möglichkeiten oft genutzt, denn auf langen Dienstwegen kann vieles verloren gehen. Leitende Angestellte. Hochrangige Verwaltungsbeamte. Wirtschaftspotentaten. Sie alle kochen ihr eigenes Süppchen und spinnen Intrigen gegeneinander. Ein einzelner Mann mit Überblick kann dieses System aushebeln und zum eigenen Vorteil nutzen. Ein wenig Korruption hier, etwas Druck da. Gut, mein Sohn, wir werden es schon schaffen.«
Das Raumschiff glitt als waffenstarrende Machtdemonstration langsam, fast träge durch das All. Was immer die Erbauer auf der Erde sich dabei gedacht hatten, hier an der Front waren diese Überlegungen reine Makulatur. Der Gegner ließ sich nicht einschüchtern, wie zahlreiche, notdürftig geflickte Einschusslöcher bewiesen.
»Feindkontakt in fünfundvierzig Minuten.« Die blecherne Frauenstimme, die in regelmäßigen Abständen von sechzig Sekunden den zeitlichen Abstand zum ersten Kampfeinsatz verkündete, sorgte für Unruhe unter den jungen Rekruten.
Brian beobachtete Krastinov, dessen Pausbacken der vierwöchige Drill nichts hatte anhaben können. Der Junge aus Usbekistan zuckte jedes Mal zusammen, wenn die Ansage ertönte.
»Hier, trink«, brummte Salvan mit rauer Stimme, die ein Leben unter reichlichem Alkoholgenuss dokumentierte. Hart stieß er Brian den Ellbogen in die Seite und drückte ihm einen zerkratzten Flachmann in die Hand.
»Hilft nervöses Augenzucken zu unterdrücken, das beim Zielen stört.«
Brian nickte dankbar und nahm einen Schluck. Er hegte Zweifel, dass der selbst gebrannte Schnaps, den das Organisationstalent Salvan auf irgendeiner Kolonie erstanden hatte, legal destilliert worden war, denn das Zeug brannte unangenehm in seiner Kehle. Gott allein wusste, welche Zutaten sie in dieses Teufelsgebräu gemischt hatten. Vielleicht nicht einmal Gott.
Aber sobald die ätzende Flüssigkeit die Speiseröhre passiert hatte, erfüllte sie sein Inneres mit wohltuender Wärme und beruhigte seinen vor Spannung zitternden Körper. Außerdem sorgte sie dafür, dass Fantasien über die bevorstehende Schlacht in seinem Kopfkino erträglicher wurden.
»Danke«, raunte er Salvan zu und reichte die Flasche zurück. Leichte Euphorie erfasste ihn, während er einen vorsichtigen Seitenblick auf Gunsergeant Hackford warf. Aber der bärbeißige, stets schlecht gelaunte Mann, der sie mit Drillsergeant Cobaine während der letzten Wochen durch ihre persönliche Hölle geschickt hatte, wusste um die geistige Verfassung seiner Rekruten. Zum ersten Mal sah er über die Vorschriften hinweg, die striktes Alkoholverbot vor Kampfeinsätzen beinhalteten. Stattdessen richtete er das Wort an seine Männer: »Sie haben uns mehr als einmal in den Arsch getreten. Aber wir stehen immer wieder auf und schlagen zurück. Wir sind die letzte Verteidigungslinie. Das einzige Bollwerk, das sie hindert, unseren Planeten zu überfallen und alles menschliche Leben auszulöschen.«
»Feindkontakt in vierundvierzig Minuten.« Krastinov zuckte zusammen.
Derek ließ den unvermeidlichen Retinascan über sich ergehen und wartete auf das leise Zischen der sich öffnenden Tür. Dann betrat er das verwaiste Vorzimmer seiner Hitec-Welt. Hier herrschte jenes kreative Chaos, mit dem die führenden Kapazitäten der Waffenforschung die sterile Welt hinter der nächsten Schleusentür vermenschlichten.