Czytaj książkę: «Populisten – rhetorische Profile»

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Joachim Knape / Olaf Kramer / Dietmar Till

Populisten – rhetorische Profile

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-89308-002-1

Inhalt

 EinordnungenParadigma Populist: Agitator und VolksversteherPopulismus zwischen Ideologie und KommunikationVernunft am Ende? Populismus als Abschied von der deliberativen DemokratieDer populistische Akteur im Spiegel der Forschung

 Internationale ProfileDer Urvater des europäischen Rechtspopulismus – Jörg HaiderPopulismus verkaufen – Silvio BerlusconiEine neue Marianne für Frankreich? – Rechtsnationale Ikonisierung der Marine Le PenMahmud Ahmadinedschad – Iranischer Endzeitprediger mit HeiligenscheinViktor Orbán – Der ungarische ParolenschmiedJörg Meuthen – Ein selbstgebremster RechtspopulistFremdenhass und Selbstmitleid – Björn Höcke, ein deutschnationaler AgitatorNorbert Hofer – Populistische Opferinszenierung in ÖsterreichKomischer Populist oder populistischer Komiker? Beppe Grillo als Antagonist des politischen EstablishmentsDonald Trump – Der Twitter-Präsident

  Nachwort

  Quellen

  Literatur

  Liste der Beiträger

Einordnungen
Paradigma Populist: Agitator und Volksversteher

Kann man bei politischen Akteuren, denen man das Prädikat Populist zuschreibt, auch spezifische kommunikative Verhaltensweisen erkennen, die sich zu Merkmalen einer Art Kommunikatorrolle verdichten lassen? Der erste Versuch, solche Kommunikatortypen nach strukturalistischen Prinzipien zu modellieren, stammt schon aus der Antike. Von Theophrast, dem Aristoteles-Schüler und späteren Leiter der platonischen Akademie in Athen. Theophrast gibt seinen 30 äußerst kurz gehaltenen Charakterisierungen, die zwischen Psychologisierung und Sozialtypik schwanken, Überschriften wie Der Schmeichler, Der Verleumder oder Der Gerüchtemacher. In seiner Darstellung des Bedenkenlosen finden sich bei aller historischen Distanz bisweilen Merkmale, die Zuschreibungen an moderne Populisten ähneln. Am Bedenkenlosen falle sein „Beharren bei schändlichen Worten und Taten“ auf, schreibt Theophrast. Er „schimpft auf die Mächtigen“ und ist „dem Charakter nach ein Marktschreier, ein Exhibitionist und zu allem fähig“. Er „scheint auch einer von denen zu sein, die die Massen um sich sammeln und aufhetzen“ oder die in rechtlichen Auseinandersetzungen mal als Opfer, mal als Ankläger auftreten.

Die bei Theophrast zusammengetragenen Impressionen haben ihren analytischen Sinn, auch wenn sie nicht nach wissenschaftlichen Kriterien modelliert worden sind. Wollte man heute eine erste, etwas strengere Typologie erstellen, so würde man bei den Kommunikatoren unterscheiden müssen zwischen (1) Berufstypen wie Journalist, Pressesprecher, Schriftsteller, Talkmaster, aber auch Pfarrer oder Anwalt; (2) Verfahrenstypen wie Diskutant, Mediator, Moderator, Redner oder auch Märchenerzähler sowie (3) Funktionstypen wie Kritiker, Prophet, Schwätzer, Verführer, Verräter, aber auch Guru oder Politiker.

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, das Konzept des Populisten als eines bestimmten Paradigmas unter den Kommunikatoren zu modellieren. Ziel ist es, in einer vorläufigen Annäherung nicht die politische Programmatik, sondern das kommunikative Interaktionsverhalten dieser vage erkennbaren Kommunikatorgruppe zu umschreiben. Dazu sollen als Analysekategorien die drei Aspekte 1. Actus (Aktivitätsmuster), 2. Habitus (Haltung) und 3. Status (soziale Rolle) herangezogen werden, die sich durchaus noch erweitern ließen, hier aber aus pragmatischen Gründen ausreichen müssen und können.

1. Actus

Beginnen wir mit den erkennbaren Handlungs- oder Aktivitätsmustern, wobei die Frage ihrer individualpsychologischen Bedingtheit hier nicht erörtert werden soll (vgl. Mertens 2014, 41). Bei den Handlungen geht es um sinnhafte, bewusst-planmäßige und intersubjektive (also Mitmenschen einbeziehende) Aktivitäten im Rahmen alltäglicher Lebenswelt, die hier konkret im politischen Kommunikationsraum betrachtet werden. Aus rhetorischer Sicht stellen sich diese als strategisches Handeln dar. Die entsprechenden populistischen Handlungsroutinen lassen sich auf den Ebenen der Texte und der Medien besonders gut beobachten – die Rhetorik spricht dann von Redekalkülen und von Medienkalkülen. Für die Redekalküle und deren Ergebnisse kann man den in der Forschung eingeführten Begriff der Agitation zur Charakterisierung heranziehen, hier im Sinne einer ideologisch besonders eingefärbten, interaktional besonders intensiven, inhaltlich besonders einseitigen und in Hinsicht auf die üblichen Verhaltenskonventionen besonders radikalen und grenzüberschreitenden Sprache. Der Populist hat das Problem, dass ihm soziale Anerkennung fehlt und dass er seine noch nicht etablierte, noch schwache oder gar ausgegrenzte Sache stärken muss. Dieses Anliegen bedingt den permanenten Subversionsgestus, den man in diesem Zusammenhang besser Unterminierungsgestus nennen sollte. Denn bestehende, als elitär angeklagte politische oder kommunikative Ordnungsmodelle sollen durch ständigen Angriff, was ich Infestation nenne, unterminiert werden. Als direkte kommunikative Ziele erweisen sich hier das Aufrühren von Sensation (Aufmerksamkeit um jeden Preis), das Skandalisieren der bestehenden politischen Verhältnisse und die Provokation.

Mit welchen Mitteln wird dabei gearbeitet? Zunächst einmal wird eine Gegen-Topik aufgebaut. Systematisch wird hier inhaltlich an gedanklichen Kernen einer Anti-Mainstream-Programmatik gearbeitet, die z.B. den Appell an niedere Instinkte nicht scheut (Fremde als Bedrohung der ‚eigenen‘ Frauen), Tabuwörter einsetzt oder vermeintliche ideologische Leerstellen (bisherige Tabus) positiv füllt und besetzt. In der Selbstdarstellung ordnet der Populist das als Ausdruck seiner politischen Tapferkeit und seines Freimuts, der Parrhesie, ein. Die populistischen Analysen laufen auf eine Monokausalitäts- und Miserenanalyse hinaus (Griechen, Flüchtlinge oder Mexikaner seien die Generalursache für die Misere usw.) sowie auf den großen Mängelnachweis beim herrschenden System und den Nachweis des Misslingens der alten Strukturen mit ihren letztlich korrupten Vertretern. An der alten Ordnung muss gerüttelt werden. Die Analysen und Nachweise werden monothematisch zugespitzt mit hoch selektiven Themensetzungen: Identität, Nation, Klassenkampf, Migranten, Fremdes versus Eigenes, die da oben – wir hier unten. Vorgetragen wird das mit einem Exklusivitätsgestus, der die eigene Deutungshoheit betont, keinen Zweifel zulässt und die politischen Gegner oder die Presse skrupellos als Lügner oder Volksmanipulateure denunziert. Der ‚mündige‘ Bürger ist nicht die Zielgruppe der Agitation, denn (so etwa die Maßgaben eines unter dem Namen der AfD im Internet auffindbaren Wahlkampfpapiers von 2016): Es geht „für den Wahlerfolg der AfD nicht darum, zu den zentralen Themen differenzierte Ausarbeitungen und technisch anspruchsvolle Lösungsmodelle vorzulegen und zu verbreiten, die nur Spezialisten aus der politischen Klasse interessieren, die Wähler aber überfordern“, sondern nur darum, „den Finger in die Wunde der Altparteien zu legen“ (Alternative für Deutschland, 9).

Aus der Kampfpositionierung des populistischen Newcomers oder Aufsteigers ergeben sich Präferenzen für eine Gruppe populistisch signifikanter, im politischen Normalgeschäft meist gemiedener (sonst nur punktuell verwendeter) oder eher tabuisierter Sprechakttypen. Sie bilden eine Art populistisches Sprechakt-Cluster. Dazu gehören permanentes Anklagen, rücksichtsloses Denunzieren, Drohen, provozierendes Feindbildproduzieren, tabuverletzendes Irritieren, Polemisieren, Polarisieren (‚wir‘ gegen ‚die da oben‘), Verleumden, Verunsichern, Tabubruch sowie Grenzabbau bei der political correctness, dann aber auch bedenkenloses Zurückrudern. Die Antithese als Denkfigur verhilft zu radikalen und eingängigen Gegenüberstellungen: „Staatszerfall“ (Höcke) versus neues nationales Staatsideal; Altparteien versus neue Aufbruchsbewegung; Elite versus echte Volksvertreter; Feind versus Freund. Im Sinne der klassischen Propagandakonzeption soll die Wiederholung spezieller Forderungen und Behauptungen zur Dramatisierung der Miserenanalyse beitragen (bei jeder Gelegenheit den Rücktritt der Bundeskanzlerin fordern, ständig auf die Migrationsproblematik verweisen usw.). So heißt es im genannten Strategiepapier von 2016: „Die stete Wiederholung dessen, wofür man bereits bekannt ist, bringt mehr Erfolg als immer wieder neues zu bringen.“ Und in der Argumentation soll nie die ganze Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht werden; das meint: Lieber nicht über den Preis irgendwelcher Forderungen sprechen, denn „Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit, harte und provokante Slogans sind wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze“ (Alternative für Deutschland, 9).

Auf der Ebene des strategischen Medienkalküls sticht das Prinzip der parasitären Kommunikation hervor. Statt teure Anzeigen zu schalten oder mit relevanten Äußerungen Beachtung in der Berichterstattung zu suchen, setzen Populisten ihre sprachlichen Provokationen systematisch als Aufmerksamkeits-Trigger für die Medien ein. Provocation sells, könnte man als Maxime darüber setzen. Was in den Echokammern des Populisten kursiert, wird von der etablierten Presse bzw. journalistischen Öffentlichkeit genau beobachtet und dann bei aller Kritik auf jeden Fall weit gestreut. Auf die Streuung aber kommt es an. Dieser parasitäre Mechanismus wird zum kostenfreien Faktor bei der Unterminierungsstrategie des Populisten. Die von ihm gescholtene ‚Lügenpresse‘ wird so zu seinem Helfer.

2. Habitus

Unter dem, was Aristoteles Hexis und der frz. Soziologe Pierre Bourdieu Habitus nennt, werden im Folgenden die mit der Person verbundenen, zumeist erworbenen Merkmals- oder Eigenschaftsmuster eines Kommunikators verstanden, welche sich in der Öffentlichkeit als Verhaltensneigung und Handlungsdisposition zeigen. Man kann hier auch vom erkennbaren Selbst- und Fremdimage eines öffentlich auftretenden Akteurs reden. Das Akteursmodell Populist bezieht sich auf die Beobachtung von Zuschreibungen bei Beobachtern erster und zweiter Ordnung. Sie betreffen in Hinblick auf vermeintliche Populisten deren Präferenzen und wiederkehrende Verhaltens- und Äußerungsmuster, die sich mit den ebenfalls andauernd von ihnen kommunizierten Selbstimages verbinden (Opfer, Held, Erlöser usw.). Kurz: Akteure schärfen ihr Profil mit bevorzugten Themen oder strategisch eingesetzten Verhaltenswiederholungen. Dazu gehört etwa eine Ponens-Negans-Mechanik: Behauptungen werden aufgestellt oder Provokationen geäußert und anschließend bedenkenlos zurückgenommen („war nicht so gemeint“).

Der sich vor diesem Hintergrund verdichtende Image-Kern des Populisten ist einerseits der des fanatischen Protestlers, andererseits der des demagogischen Verführers. Beides klingt hart zugespitzt, trifft aber das hier verhandelte habituelle Paradigma in seinen wichtigsten Komponenten: Wer als Populist protestiert, legt Zeugnis ab für seine eigene neue Sache und tritt in eine klare Ablehnung der herrschenden Machtverhältnisse ein, und zwar radikal, ohne Wenn und Aber. Und wer demagogisch ver-führt, verspricht zweierlei: Er will sich im Wortsinn ganz auf die Seite des Volkes stellen und zugleich die Anhänger in neue bessere Verhältnisse ‚führen‘. Er sieht das Leben aus der Perspektive des Kriegers, Eroberers und Verteidigers der vermeintlich Entrechteten. Dies ermächtigt ihn zu kompromisslosem Vorgehen. Da der Populist an seine Unmittelbarkeit zum Volk glaubt, kann er sich von den Verhaltensmustern der konventionellen Politikerkaste lösen. Er muss nicht politisch salonfähig sein, denn er verschmäht Koalitionen, will nur die ganze Macht. Sein Selbstkonzept einer bloß dem ‚Volk‘ verbundenen Unabhängigkeit gibt ihm den Freiraum, ohne irgendwelche von ihm als falsch angesehene Rücksichten zu handeln, sich fanatisch nur seinen Ideen zu widmen und gegebenenfalls zugleich als charismatisches Wirkzentrum (im Sinne Max Webers) zu fungieren, was ihn seiner Meinung nach auch zum Verführen ermächtigt.

3. Status

Wenn bislang vom Akteur selbst in seinem Rollenverhalten und in seinen habituellen Dispositionen die Rede war, so soll es nun anhand der Kategorie Status um seine soziale Position im Geflecht der politischen Welt gehen. Unter Status kann die „Position einer Person“ verstanden werden, „die sie im Hinblick auf bestimmte sozial relevante Merkmale im Verhältnis zu anderen Personen einer Gesellschaft einnimmt“. Hier kann der Status insbesondere zum „Ausdruck der sozialen Wertschätzung bzw. des Ranges oder des Prestiges“ werden, „die eine Person aufgrund der von ihr innegehabten Positionen in einem sozialen System zugeordnet wird“ (Hillmann 2007, 756f., 857f.).

Im 21. Jahrhundert treten Populisten genannte Akteure nach Jahrzehnten der Abkehr von autokratischen Systemen in allen westlichen Demokratien als selbsternannte Vertreter einer neuen, sich auf Altes berufenden politischen Kultur auf, die sich von vertrauten Sichtweisen und Werten abwendet: Was bedeutet das? Die öffentlichen Beobachter sehen eine Abkehr von korrekten, etablierten, gewohnten Diskursnormen des bürgerlichen Establishments, allerdings ohne dass zugleich sozialrevolutionäre Forderungen der alten Art erhoben würden. Zeigt sich da eine Art Kulturkampf? Die sich selbst für politisch und moralisch korrekt haltenden Milieus fühlen sich verunglimpft, mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert, mit dirty truth und bislang tabuisierten Äußerungsweisen. Die ‚Eliten‘ sehen da Ordinäres in Wort und Tat, das primitive Denken und Sprechen sowie das Schlimmste, die Aufhebung von Wahrheit und Lüge, hochkommen. Selbst der Grundbestand humanistischer Werte aller Art scheint in Gefahr. All dies wird der Akteursgruppe der Populisten zugeordnet. Dass bei all dem auch die demokratisch-politischen Grundwerte in die Diskussion geraten, könnte zumindest auf eine Krise der westlichen Demokratien hindeuten. Tatsache ist, dass Vertreter von als populistisch gebrandmarkten Parteien erstaunlichen Zulauf erfahren haben. Sie leben bei der Imagebildung wesentlich vom Kontrast zu den etablierten, ‚normalen‘, angepassten Politikern im politischen Interaktionsfeld, indem sie sich gezielt als Außenseiter, Abweichler und Neutöner stilisieren, die als einzige die wahren Töne des ‚Volkes‘ treffen. Dieses ‚Volk‘ ist für den Populisten die Quelle der Einsicht, der Auslöser der Tat und der Inspirator aller Ziele. Der Populist erklärt sich zu seinem Vorkämpfer, Anwalt und Sprachrohr.

Kritik an repräsentativen Einrichtungen zur politischen Bürgervertretung sind uralt. So führte man etwa in Rom im 5. Jh. v.u.Z. das Amt des Volkstribuns ein, weil man zu Recht im römischen Senat nur die Interessenvertreter der reichen, mächtigen Familien versammelt sah. Beim Volkstribunen hoffte man auf eine direkte Verbindung zum Volk (populus), dem man so etwas wie einen allgemeinen Volkswillen zusprach. Der Tribun sollte vor allem die breite Masse der unteren Volksschichten (die plebs) direkt vertreten. Heute kritisieren viele an der repräsentativen Demokratie ähnlich, dass in den Parlamenten vor allem die Interessenvertreter der bürgerlichen Eliten sitzen: Parlamente als Organe von Oberschicht-Interessen, in denen man die wahren Anliegen des Volkes nicht mehr verstehen will oder kann. Das macht das Modell Volkstribun wieder attraktiv. Populisten sind dessen Anhänger, auch wenn sie sich nicht explizit auf dieses historische Format beziehen. Sie schwingen sich nach dem uralten Modell auf, zu behaupten, dass sie auf ganz besondere Weise die schweigende Mehrheit, wenn nicht des gesamten, so doch des eigentlichen Volkes nach Art eines Seismographen verstehen, dass sie letztlich überparteilich sind und die indirekten und komplizierten Wege der demokratischen Willensbildung und Machtkontrolle nicht mehr in der üblichen Weise brauchen. Vor allem die Gewaltenteilung wird dabei angefeindet, einschließlich der Presse als ‚vierter Gewalt‘; vor allem aber auch die Justiz als Wahrer der Rechtstaatlichkeit.

Der Populist ist Volksversteher, trifft sich mit dem Volk (gr. Demos) auf der Ebene des ‚gesunden Menschenverstands‘, hat in dieser Hinsicht eine besondere Einsichtsstärke und prätendiert Schlagkraft und Originalität seiner Lösungen. Besonders geschickt ist es, wenn der Populist seine Einsichten auch noch auf eine exklusive Begabung zur Interpretation von Zahlen, Daten und Statistiken oder Traditionen stützt. Diese Selbstermächtigung zur privilegierten Interpretation der Welt und des Volkswillens ist der Kern des Populisten-Selbstimages. Es setzt darauf, dass viele Menschen von ihm fasziniert sein könnten vor dem Hintergrund eines als unverbindliches Rauschen empfundenen Pluralismus und eines als mühsam oder farblos gesehenen Demokratiealltags. Konstitutiv ist bei all dem das Spiel mit dem Volksbegriff als diffuser Vorstellung von Masse, die bisweilen auf die ebenso diffusen Größen ‚Einfaches Volk‘ oder ‚Kleiner Mann‘ als maßgebliche Quellen jeglicher Begründung und als die wahren Partner des Populisten heruntergebrochen wird. Die Emphatisierung dieser ‚heiligen Allianz‘ mit dem sogenannten Volk dient dazu, demokratische Legalitätsverhältnisse zugunsten nebulöser Vorstellungen von einer höheren, in Wahrheit legitimierten Einheit von Volksversteher und Volk zu überschreiten [ ]. (Knape 2012, 62)

Nachbemerkung: Die Modellierung des idealtypischen Paradigmas Populist dient der Unterscheidung von Kommunikatoren. In der griechischen Antike war ein Paradeigma ein Architekturmodell für ein öffentliches Bauwerk, anhand dessen sich die Bürger über die Strukturidee und den Stand der konkreten Bauarbeiten vergewissern konnten. Als solch eine Einrichtung zum Maßnehmen bei Kommunikatoren kann auch das hier vorgelegte idealtypische Modell ‚des‘ Populisten fungieren. Ich wäre froh, wenn wir bei uns keinen lebenden Politiker fänden, der diesem Paradigma in all seinen Komponenten entspricht.

Joachim Knape

Populismus zwischen Ideologie und Kommunikation
Elemente des Populismus

Die derzeitige Konjunktur des Wortes ‚Populismus‘ im öffentlichen Diskurs beruht vor allem auf drei Ereignissen: dem Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich im Juni 2016, der Wahl Donald J. Trumps zum 45. US-Präsidenten im November 2016 und natürlich dem seit einigen Jahren in ganz Europa zu beobachtenden Mainstreaming populistischer Parteien der Rechten wie der Linken. Immer häufiger übernehmen Populisten auch Regierungsverantwortung (oder scheitern an der Gewinnung von Mehrheiten nur knapp). Für die Diagnose unserer Gegenwart ist Populismus zu einer analytischen Schlüsselvokabel und gleichermaßen zu einem Kampfbegriff der politischen Auseinandersetzung geworden.

Im öffentlichen Diskurs rückt bisweilen in den Hintergrund, dass Populismus keineswegs eine neue, sondern im Gegenteil eine vergleichsweise alte Erscheinung ist, die sich auf die amerikanische ‚Populist Party‘ des 19. Jahrhunderts zurückführen lässt (Müller 2016; Mudde/Kaltwasser 2017). Und auch die Wissenschaft kann mittlerweile auf über sieben Jahrzehnte Populismus-Forschung – beginnend mit einer ersten Begriffsbestimmung durch den amerikanischen Soziologen Edward Shils 1956 – zurückblicken. Eine Definition des Populismus, die von allen Forscherinnen und Forschern getragen würde, gibt es gleichwohl bis heute nicht. Das hat mit dem Phänomen selbst zu tun: Populistische Politik ist programmatisch-inhaltlich oft mehr oder weniger beliebig an aktuelle Bedürfnisse, Problemlagen und individuelle Strategien anpassbar, ja, geradezu „opportunistisch und chamäleonhaft“ (Poier/Saywald-Wede/Unger 2017, 40). Mit dem Politikwissenschaftler Michael Freeden lassen sich solche Formen politischer A-Programmatik als ‚dünne Ideologie‘ (thin ideology) bezeichnen (Freeden 1998). Denn populistische Ideologie besteht häufig aus nicht mehr als einigen wenigen plakativen Schlagworten. Eine solche Ideologie entzieht sich bewusst genauer Festlegungen und damit zugleich den traditionellen Klassifikationssystemen der politischen Ideengeschichte.

Populisten lehnen das Konzept der repräsentativen Demokratie ab, denn sie sind der Ansicht, Politik „should be an expression of the volonté générale (general will) of the people“ (Mudde 2004, 543). Die Forderung nach Einführung von Elementen direkter Demokratie ist die logische Folge. Soziale Medien wie Twitter arbeiten der populistischen Forderung nach direkter Demokratie zu (Sorensen 2017, 145), denn durch sie können der Populist und seine Anhänger einen direkten kommunikativen Kanal etablieren, der klassische Medien umgeht.

Im Kontext des Aufstiegs der ‚Neuen Rechten‘ in Europa seit den 1990er Jahren, der Verschärfung der Migrationsdebatten und der Rückkehr der Religionsfrage nach 9/11 wird diese vertikale Dimension von Populismus durch eine horizontale Dimension ergänzt: Nun bildet nicht mehr bloß der Gegensatz von ‚Volk‘ und ‚Eliten‘ den Kern populistischer Politikauffassung, sondern es tritt eine zweite Antithese von ‚Volk’ (wir/innen) und ‚denen da draußen’ hinzu. Es ist der Gegensatz zwischen einem als homogen verstandenen Volk (Wildt 2017), eine vor allem für den deutschen Rechtspopulismus wichtige identitätspolitische Fiktion des frühen 19. Jahrhunderts, und ‚denen da draußen‘, also den ‚Ausländern‘, ‚Migranten‘, ‚Flüchtlingen‘ etc. Diese Dimension – das ‚wir‘ (das ‚eigentliche‘ Volk) vs. ‚die‘ – konstituiert damit ex negativo die eigene Identität. Aus solchen Antagonismen leitet der Populist somit eine doppelte Bedrohung für das als homogen angenommene Kollektiv ab.

Wissenschaftstheoretisch stellt ‚Populismus‘ ein ‚essentially contested concept‘ dar, also einen Begriff, der von einer Vielzahl von Forschern, aber mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird (vgl. Mudde/Kaltwasser 2017, 2–5). Das macht die besondere Schwierigkeit aus, über den Populismus zu sprechen.

Politik- und Kommunikationswissenschaftler haben deutlich unterschiedliche Perspektiven auf das Phänomen des Populismus: Während Erstere nach Elementen der Ideologie suchen (und meist nur eine ‚dünne‘ Ideologie finden), interessieren sich Letztere für die Interdependenz von Politik und Kommunikation/Medien. Vonseiten der Politikwissenschaft werden diese zwei Perspektiven bisweilen als sich gegenseitig ausschließend betrachtet: Spezifische Verfahren, die einen Kommunikator als Populist identifizierbar machten, ließen sich kaum eindeutig identifizieren. Das trifft insofern tatsächlich zu, als manche der in der Forschung als typisch populistisch bezeichneten Kommunikationsverfahren vielfach auch von Politikern verwendet werden, die keine Populisten sind. Es bleibt also die Frage, ob es eine Rhetorik gibt, derer sich Populisten exklusiv bedienen, oder ob man nicht konstatieren muss, dass „viele dieser Strategien auch bei ‚respektableren‘ politischen Parteien und deren Führung in Erscheinung treten.“ (Kienpointner 2002, 127) Tatsächlich finden sich viele der Merkmale, die in der Forschung (Decker/Lewandowsky 2017; Hirschmann 2017, 184–188; Kirchner 2012) immer wieder als Kriterien populistischer Rhetorik angeführt werden, in alltäglichen politischen Auseinandersetzungen. Hierzu gehören Metaphern, die negative Emotionen wie Furcht auslösen, und angsteinflößende Bedrohungsszenarien, die der Redner dem Publikum vor Augen stellt. Letztlich gehören solche Verfahren aber seit der Antike zum Repertoire fast aller berühmten Redner. Zur Identifizierung eines Populisten sind sie damit kaum geeignet, werden allerdings in politischen Auseinandersetzungen genau so verwendet. Die Zuschreibung ‚Populist‘ wird häufig zur Herabsetzung und Abwertung des Gegners eingesetzt: Populismus erscheint in dieser Bedeutung als politischer Kampfbegriff, der zu Ubiquität und damit Inhaltslosigkeit tendiert. Als wissenschaftliche Beschreibungskategorie ist er nicht sinnvoll verwendbar.

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