Czytaj książkę: «Polizei.Wissen»

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Vorwort des Herausgebers der Heftreihe „Polizei.Wissen“

Der Arbeitstitel für das vorliegende Heft war über lange Zeit „Polizei und Laberfächer“. Es ist nur einer kollektiven Entscheidung des Herausgeberteams zu verdanken, dass es dazu nicht gekommen ist. Dieser Arbeitstitel verrät zweierlei:

Zum einen verrät er die Frustration, die Sozial- und Geisteswissenschaftler verspüren, wenn sie ihre Relevanz für die polizeiliche Arbeit erörtern wollen und man ihnen entweder nicht zuhört oder nicht glaubt.

Zum anderen verrät er, dass juristische Vorbildung Grundvoraussetzung für eine Karriere in einer deutschen Sicherheitsbehörde ist. Der Abschluss in orientalischen Sprachen, über den der Romanheld James Bond verfügt, würde dementsprechend in Deutschland keinen nennenswerten Aufstieg bei einem Geheimdienst gestatten. Es gehört also wohl auch zu den Distinktionsmechanismen in Behörden, bestimmte Studienabschlüsse abzuwerten, um den eigenen jeweils aufzuwerten.

Bemerkenswert ist, dass es den Herausgeberinnen und Herausgebern des Heftes bei allem Bemühen nicht gelungen ist, irgend jemanden z.B. aus der polizeilichen Praxis zu einem Beitrag zu bewegen, der sich zuvor über „soziologisches Blabla“ und ähnliches geäußert hatte.

So bedauerlich das ist, so schön ist es doch, das Thema in der Heftreihe „Polizei. Wissen“ behandelt zu sehen. 10.000 Zeichen stehen den Autorinnen und Autoren zur Verfügung und die werden weidlich genutzt um interessante Beiträge zu der Frage zu formulieren, was Polizei von den Sozialwissenschaften „hat“.

Die Zugänge sind sehr unterschiedlich, doch eines zeigt sich durchgehend: dass jemand, der Sozialwissenschaften an einer polizeilichen Institution lehren oder einsetzen will aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt sein muss. Für die Leserinnen und Leser dieses Heftes, die ja nicht selten Sozialwissenschaften lehren, dürfte das eine Bestätigung sein. Es wäre ihnen zumindest zu wünschen.

Jonas Grutzpalk

Inhalt

Vorwort der Herausgeber des aktuellen Heftes

„Alles schwule Themen“ - Kollektive Selbstaffirmationen im Feld Polizei (M. Herrnkind, M. Schöne)

Polizeiausbildung durch und mit Sozialwissenschaft. Einige erfahrungsbasierte Reflektionen und Überlegungen (H. Dosdal)

Schlusslicht Soziologie. Bewertung der Studienfächer im polizeilichen Bachelorstudiengang (L. Lehmann & C Schäfer)

Polizeiarbeit als Alltags-Soziologie? Warum Polizisten mehr über Soziologie wissen sollten (N. Zurawski)

Sind Polizisten bewaffnete Soziologen? (J. Grutzpalk)

Polizeimuseen – (Heimliche) Einflüsse der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften? (P. Schütte)

Politische Bildung in der polizeilichen Ausbildung: „Labern“ + „Labeln“ = „Politisch bilden“? (P. Kuschwewski)

Sonderfall Kriminologie in der polizeilichen Ausbildung – eine „polizeispezifische Sozialwissenschaft“? (D. Pollich)

Und danach? Was von der soziologischen Lehre im Beruf übrig bleibt (J. Grutzpalk)

Kriminalistische Praxis meets Sozialwissenschaften. Zum Potenzial sozialwissenschaftlicher Methodik für die Kriminalistik (M. Stewens & D. Pollich)

Erwartungen an Soziologie in der Polizeiausbildung (H. Limburg)

Vorwort der Herausgeber des aktuellen Heftes

Von der Initiative Polizei in der Wissenschaft*

Die Initiative Polizei in der Wissenschaft hat sich auf Basis der Beobachtung zusammengefunden, dass eine neutrale, unvoreingenommene Beschäftigung mit der Polizei in den Sozialwissenschaften in Deutschland nach wie vor selten praktiziert wird. s spannende und facettenreiche Forschungsbereich Polizei immer noch randständig behandelt. Die Mitglieder der Initiative, deren fachlicher Hintergrund sozial-, geschichts-, politikwissenschaftlich und kriminologisch geprägt ist, haben vor diesem Hintergrund bereits eine kritische Standortbestimmung verschiedener Disziplinen in Bezug auf die wissenschaftliche Betrachtung der Polizei verfasst.

„Es stellt sich die Frage nach der polizeilichen Offenheit gegenüber akademischer Sozialwissenschaft auch jenseits eines ‚Anwendungsimperativs’.“

Fast unmittelbar stellt sich sodann die Anschlussfrage nach der Grundvoraussetzung einer verstärkten wissenschaftlichen Akzeptanz und auch Beforschung der Polizei: die nach der polizeilichen Offenheit gegenüber akademischer Sozialwissenschaft auch jenseits eines „Anwendungsimperativs“. Diese schlägt sich einerseits sehr unmittelbar in Feldzugängen nieder, andererseits auch in einem Interesse an und Akzeptanz von Forschungsergebnissen, die durch einen Blick „von außen“ auf die eigene Institution entstanden sind.

Eine Facette der künftigen Entwicklung der Akzeptanz von Wissenschaft in der Polizei ist dabei sicherlich die Haltung derjenigen, die neu in die Institution kommen und deren Gesicht in den nächsten Jahrzehnten prägen werden: der polizeiliche Nachwuchs, die Kommissaranwärterinnen und -anwärter an den polizeilichen Hochschulen. Bei der Vermittlung sozialwissenschaftlicher Inhalte an diese Zielgruppe setzen die unterschiedlichen Perspektiven dieses Heftes an.

Polizeigeschichte, Politikwissenschaften, Ethik, Psychologie und Soziologie werden in der polizeilichen Ausbildung durchaus bereits seit langem studiert. Um ihr Ansehen ist es dabei allerdings nicht immer gut bestellt. Studierende und manche Polizeipraktiker bezeichnen sie als „weiche“, „rosa“, oder als „Nebenfächer“ – nicht selten fallen sie auch unter die Kategorie „Laberfächer“, d.h. man unterstellt diesen Disziplinen, dass es ihnen lediglich um die Produktion heißer Luft gehe, nicht aber um griffige Inhalte.

„Man unterstellt diesen Disziplinen, dass es ihnen lediglich um die Produktion heißer Luft gehe, nicht aber um griffige Inhalte.“

Gemessen an dieser Kritik halten sich die Fächer hartnäckig und werden nie vollends aus den Kurrikula der polizeilichen Ausbildung gestrichen. Das ruft mehrere Fragen auf den Plan: Was wird in den Fächern eigentlich gelehrt? Welche Erwartungen knüpfen sich an die Lehre von sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern in der Polizeiausbildung? Welche Inhalte werden mit in die Praxis genommen und dort in polizeiliches Handeln übersetzt? Wie sieht die Lehre aus, sowohl aus Perspektive der Lehrenden wie der Lernenden? Was würden Fachgelehrte für die polizeiliche Ausbildung als wichtig erachten? Diese und ähnliche Fragen will das aktuelle Heft der Reihe „Polizei.Wissen“ angehen. Nicht zuletzt soll damit ergründet werden, inwiefern sich sozialwissenschaftliche Inhalte und eine Akzeptanz für wissenschaftliche Denkweisen nachhaltig in der künftigen Polizei etablieren können und sollten.

* Die Initiative Polizei in der Wissenschaft ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen, die sich um eine Vernetzung der jungen Polizeiforschung bemühen. Zu der Initiative gehören Jonas Grutzpalk, Daniela Hunold, Lena Lehmann, Daniela Pollich, Andreas Pudlat, Patricia Schütte und Michaela Wendekamm.

„Alles schwule Themen“ - Kollektive Selbstaffirmationen im Feld Polizei

Von Marschel Schöne und Martin Herrnkind*

Szene: 2002. Ein Polizeidirektor, stellv. Leiter einer pol. Ausbildungseinrichtung, am Fenster im Büro. Blick auf das gegenüberliegende Gebäude für Berufsethik und Sozialwissenschaften. Ruhig führt er seine Zigarette zum Mund, nimmt einen tiefen Zug, deutet mit einem Wink in Richtung Gebäude und spricht: „Alles schwule Themen“.

Szene: 2019. Rhetorik-Training an einer FH Polizei. Ein Student fragt den Dozenten ostentativ: „Das ist doch hier das Fach mit all‘ den schwulen Themen, oder?“.

Wie sind die beiden exemplarischen Äußerungen einzuordnen? Die Ablehnung der (Sozial-)Wissenschaften kann zunächst zusammengedacht werden mit der geschlechtsspezifischen Verfasstheit der Organisation Polizei. Die homophobe Tendenz beider Episoden scheint in dem Kontext unstrittig. Das Adjektiv „schwul“ ist hier abwertend konnotiert. Die direkte und indirekte Geringschätzung der (Sozial-)Wissenschaften ist partiell das Produkt einer habituellen Homophobie, die der traditionellen und tradierten männlichen Herrschaft konstitutiv eingeschrieben ist. Bereits Niederhoffer (1969: 129) beschrieb die Polizei als extrem homophobes Arbeitsfeld: „Of all occupations the police are apparently most free from the taint of homosexuality. The merest hint of effiminacy would absolutely bar a candidate from appointment to the force, and after the probationary period, any sign of homosexuality would lead to his immediate dismissal or forced resignation.“

Homophobie im Feld Polizei geht einher mit Geringschätzung, zotigem Humor, maskulinen Imponiergehabe, also ostentativer Männlichkeit. Das Adjektiv „schwul“ reicht dabei weit über die homophobe Konnotation hinaus: Es steht hier vor allem für alles „Nicht-Maskuline“ im Feld Polizei. Der Student meinte damit Rhetorik-Trainings, Anti-Konflikt-Trainings, Interkulturelle Trainings. Der Polizeidirektor meinte die Fächer Ethik, Psychologie, Verhaltenstraining, Soziologie, Politologie oder Kriminologie.

Für Bourdieu1 ist das biologische Geschlecht zunächst eine elementare Dimension des Habitus, die „alle mit den fundamentalen sozialen Faktoren zusammenhängenden sozialen Eigenschaften modifiziert“ (Bourdieu 1997: 222). Die geschlechtsspezifische Sozialisation ist dabei untrennbar mit der Sozialisation für eine bestimmte soziale Position der Akteure verbunden (vgl. Bourdieu, 1997: 222ff.). Das biologische Geschlecht wird also als sozial konstruiertes Ordnungsprinzip feldspezifisch determiniert und bestimmt entscheidend die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata der sozialen Akteure. Und damit darüber, ob etwas als schwul wahrgenommen wird.

Die Organisation Polizei wurde ursprünglich von Männern für Männer konzipiert und kann auch gegenwärtig noch als Feld der institutionalisierten männlichen Herrschaft gesehen werden. Seine Feldstrukturen und die Habitus der Akteure sind auf männliche Herrschaft abgestimmt und trotz des (wachsenden) Frauenanteils von ca. 20 % dominieren männliche Kulturen noch mit apodiktischer Direktheit die Berufswelt Polizei. Der geschlechtliche Transformationsprozess der Polizei ist analog zur Token Theorie aufgrund der weiblichen Minderheitenposition in Teilen lediglich noch ein Formenwandel, nicht aber ein tatsächlicher Paradigmenwandel polizeilicher Grundbedingtheit.

Harry Callahan: Sie kommen aus der Gegend?

Chico Gonzales: Ja, aber ich bin nicht hier zur Schule gegangen.

H. C.: Baseball?

C. G.: Äh, Nein, ich hab geboxt, Mittelgewicht.

H. C.: Ich wollt schon immer mal'n Studenten.

C. G.: Bisher haben Sie noch nichts an mir entdeckt, was Ihnen zusagt, hm?

H. C.: Der Tag ist noch lang. Ham' Sie 'n Examen?

C. G.: Soziologie.

H. C.: Ooh, Soziologiiie. Wenn Sie leben bleiben: wär nützlich für Sie.

C. G.: Ich hoffe noch lange.

H. C.: Denken Sie nicht zu sehr an die Soziologie. Es könnte Sie umbringen und mich dazu!

In der Folge spiegeln manche spontanen Denk- und Handlungsweisen im Feld Polizei noch deutlich konservativ tradierte Denkweisen: diskriminierend, homophob, sexistisch, rassistisch. Das ist eine der profanen Wahrheiten und Realitäten einer wertkonservativen Organisation, deren sozialer Wandel systembedingt lange Vorlaufzeiten hat. Oder anders: Ein dergestalt verpolizeilichter Habitus ist ein sozialer Habitus, ist die wirkmächtige Einschreibung polizeilicher Kategorien, die zuvorderst kollektive Kategorien sind, unbewusst und bewusst erworben, praktiziert und reproduziert, ist die Verinnerlichung und Verkörperung der Logik der männlich geprägten sozialen Welt Polizei.

Hierzu gehört das polizeiliche Selbstverständnis der crimefighter, dass den Gefahren und der Gewalt beherzt und mutig begegnet werden muss. Wahrnehmung und Verhalten folgen einem Worst-Case-Thinking. Wir beobachten im Habitus der Polizei eine Überbetonung alltäglicher physischer, psychischer und damit letztlich auch symbolischer Gewalt, die sich im Extrem im Selbstbild mancher Polizist*innen als eine Art Gewaltfetisch widerspiegelt, der partiell in der eigenen Angst und dabei auch in der Angst vor dem Weiblichen in einem selbst gründet (vgl. Bourdieu 2013: 95–96).

In gewisser Weise resultiert aus den Wirkkräften des Berufsfeldes Polizei auch eine autoritäre Reaktion (vgl. Oesterreich 1996: 46ff.), die sich in Rigidität zeigt, in Schwarzweißdenken, vor allem aber auch einer Abwehr der Intrazeption: Die Angst, von eigenen Gefühlen übermannt zu werden, scheint dem Polizeihabitus immanent. „Ich wär‘ am liebsten gleich wieder abgehauen!“, sagte ein Teilnehmer, nachdem er erstmalig den Stuhlkreis im Seminarraum gesehen hatte. Stuhlkreis = „Wolldeckenseminar“. Reflexion eigener Subjektivität während Verhaltenstrainings, Interkultureller Trainings oder in Seminaren für Konfliktmanagement und die damit einhergehende Komplexitätserhöhung löst zum Teil Ängste und Irritationen, ja eine Krise der natürlichen sozialen Ordnung des Feldes Polizei aus.

Dies öffnet eine weitere (Erklärungs-) Dimension auf derselben Basis: Die mit den sozialwissenschaftlichen Fächern verbundene Intellektualität steht im Feld Polizei für etwas Verweichlichtes, ist unsexy, trübt den Quell maskulinen männlichen Selbstbewusstseins. Das (1988: 138ff.) differenziert in historischer Betrachtung der Polizeiausbildung in traditionelle und nicht-traditionelle Ausbildungs- und Studienfächer. Den traditionellen Fächern ordnet er beispielhaft die Rechtsfächer zu, ebenso Einsatztraining, Kriminalistik, Umgang mit Waffen oder Sport – eben die handwerkliche Kunst der Polizeiarbeit. Zu den nicht-traditionellen Lehrinhalten rechnet er soziologisches, philosophisches und psychologisches Wissen. Nicht-traditionelle Lehrinhalte gehören seit den siebziger Jahren zum Fächerkanon. Auf allen Hierarchieebenen wurde ihnen mit anfangs großer Skepsis begegnet. Der Streit um ihre Relevanz für die praktische Polizeiarbeit dauert bis heute an.

Zwei Beamten, die sich für ein erweitertes Training interkultureller Kompetenz einsetzten, wurde von einem Leitenden Polizeidirektor erwidert: „Ach wissen Sie, mir reicht es, wenn der deutsche Schutzmann weiß, dass er einem Türken kein Schweinefleisch anbietet.“

Im Anschluss an Bourdieu (2013: 181f.) verwenden wir die Dichotomie hard und soft. Traditionelle Lehrinhalte gelten als die harten, gleichermaßen maskulin assoziiert. Nicht-traditionelle Lehrinhalte gelten als soft – oder um mit den Worten der von Chan (2003: 315, 131) interviewten Studierenen zu sprechen – als: „Warm and fuzzy stuff“ und werden tendenziell als feminin (jedenfalls „unmännlich“) assoziiert. Analog zur tradierten Geschlechterordnung steht das hard hierarchisch über dem soft. Die soften Fächer sind Spielverderber, weil sie die polizeilichen Akteure durch ihren Gegenstand zu kognitiven Dissonanzen zwingen. Zu Selbstreflexionen, einem epistemologischen Bruch mit vertrauten Welt- und Wahrheitskonstruktionen. Und weil sie nicht die Logik polizeilicher Checklisten, mithin die Reduktion von Komplexität bedienen, die den polizeilichen Alltag fassbar machen soll, d.h. Handlungssicherheit geben, Orientierung, Klarheit, Gewissheit. Polizeiarbeit erfordert bisweilen ohne Zweifel ad-hoc-Handeln, teils in Sekundenbruchteilen. Im Habitus prägt sich diese Feldvariable als Tendenz zum Pragmatischen aus, zum Konkreten, zum Unverstellten und: Zu „anti-theoretischen Perspektiven“ (Bowling / Reiner / Sheptycki 2019: 179). Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze devianten Handelns werden als für die Praxis irrelevant, überflüssig und weltfremd wahrgenommen, oder auch als: „Alice in Wonderland stuff“ (Chan 2003: 10, vgl. 131, 303). Sozialwissenschaftler werden dabei nicht als richtige polizeiliche Akteure wahrgenommen. Sie gehören formell zwar dem Feld an, ihnen fehlt jedoch der richtige Stallgeruch mit seinen zahlreichen Initiationsriten. Oder anders: Zwischen (Sozial-) Wissenschaftlern und der Polizei herrscht eine Art soziale Fremdheit. Sie vertreten in freier Analogie zu Arbeiterklasse und Bourgeoisie überwiegend unterschiedliche Alltagsrealitäten, Klassifikationssysteme und Identitätskonstruktionen. Sprechen unterschiedliche Sprachen. Denken anders. Und Anderes. Nehmen anders und Anderes wahr. Handeln anders. Gemeinsamkeiten schaffen Verstehen, Nähe, ein Einvernehmen. Umgekehrt resultiert aus verschiedenen Verhaltenscodes Distanz, Unverständnis, Fremdheit. In der Folge nehmen sich die Interaktionen bisweilen wie die Begegnung von Traditionalisten und Subversiven aus, die durch ihre (Spiel-)Einsätze, ihre Interessen, ihr Ringen um die feldspezifischen (Macht-)Positionen das Koordinatensystem des Feldes beständig neu bestimmen (vgl. analog Bourdieu / Wacquant, 1996: 128ff.). Die Herabwürdigung der (Sozial-)Wissenschaften ist damit immer auch eine Sicherung und Reproduktion der männlichen Macht im Feld Polizei. Polizisten markieren damit die Grenze zwischen uns und denen. Die dergestalt als Fremdkörper empfundene Wissenschaft stört darüber hinaus, weil man Kritik erwartet. Wer will schon hinterfragt und kritisiert werden? Und warum, so wird aus den polizeilichen Praxen gefragt, brauchen wir Akademiker im Streifenwagen? Diese Schutz- und Abwehrreaktionen resp. der Widerstand betrifft, weil er genereller Natur ist, jedoch nicht nur die Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung, sondern ebenso Erlasse des Innenministeriums oder Reformen und die damit zusammenhängenden Veränderungen. So widersetzt sich das Feld auf vielen Ebenen, um die überkommenen feldspezifischen Verhältnisse unverändert fortbestehen zu lassen und Handlungssicherheit zu erhalten. Mit Bezug auf die Wissenschaftsskepsis des Feldes Polizei liegt die Ursache des Phänomens daher nicht allein primär im Wesen des wissenschaftlichen Feldes, sondern in einer generellen Skepsis der Polizei gegen alles, was nicht organisch zum Feld gehört. Und wer als Sozialwissenschaftler gegen die Wissenschaftsskepsis der Polizeipraktiker (vgl. Schöne 2005: 50ff.) disziplinären Kurs hält, immer wieder aufs Neue ins Schwungrad der Gewohnheit greift, nimmt nicht selten an seiner Selbstexklusion teil, wird zum Insulaner in der Polizei, weil im Zuge der kollektiven Selbstaffirmation nicht Theorie und Reflexion und damit ein heuristisches Vorgehen, sondern die an Checklisten und einer algorithmischen Logik orientierte mythentaugliche (Aktions)Praxis das Hauptkriterium für Qualität und Leistung sind. Teilweise erleben wir im Kollegium auch Konkurrenzen und Widersprüche zwischen „hard“- und „soft“-Lehre. Im Einsatztraining wird den Studierenden eine klare Linie vermittelt („Zugriff jetzt!“). Polizeiliche Bildungseinrichtungen neigen zur „algorithmischen Lehre“, zu eindeutigen Handlungsvorschriften zur Lösung eines Problems. „Wenn A vorliegt, tue X“ (Scheitza / Düring-Hesse 2014: 129). Im Habitus der Lernenden (auch in der Fortbildung!) erwächst der Wunsch nach „Checklisten“. Schwarz und Weiß prägen Wahrnehmung, Denken und Handeln. Sozialwissenschaftliche Lehre oder Verhaltenstrainings können genau das nicht bieten. Die „soften Fächer“ orientieren sich stärker an einem heuristischen Lernparadigma. Nicht nur wird dem Wunsch nach einfachen Lösungen nicht entsprochen: Die Welt wird als äußerst komplex und unübersichtlich gezeichnet. Und auch das führt zu Irritationen und zum Teil heftigen Lernwiderständen.

Der Leiter des Psychologischen Dienstes einer Landespolizeischule selbstironisch: „Die Psychologie ist über die Polizei gekommen wie eine Seuche.“

In der Berufsethik wird dem „wenn A vorliegt, tue X“ der Impuls für eine Anregung zum Nachdenken beigefügt: Über Handlungsoptionen und dimensionen. Manche Kolleg*innen aus dem Einsatztraining schimpfen dann: „Was wir bei den Studenten mühsam aufgebaut haben, stoßt ihr in der Berufsethik mit eurem Arsch wieder um!“.

Idealtypisch sollten das „hard“ und das „soft“ in Studium und polizeilicher Aus- und Fortbildung keine Widersprüche darstellen, sollten sich ergänzen. Lehrbereiche sollten kooperieren statt konkurrieren. Das „hand“ und das „soft“ sollten gleichermaßen als notwendige Kompetenzen für den Beruf akzeptiert werden. In diesem Kontext ist Bildung für Bourdieu „nicht nur Voraussetzung für den Zugang zu Arbeitsplätzen und gesellschaftlichen Positionen, sie ist die Hauptvoraussetzung für die echte Ausübung der bürgerlichen Rechte“ (Bourdieu 1996: 68).

Die aufgezeigte maskuline (Binnen-) Sicht auf Polizeiarbeit ist ebenso selbstreferentiell wie überholt und gefährlich. Weil sie mit ihrem konservativen bis reaktionären Unterbau Modelle in Anschlag bringt, die den gegenwärtigen komplexen Anforderungen an Polizeiarbeit nicht gerecht werden.

Doch wie steht es um unser Eingangsbeispiel des Studierenden (aus dem ersten Semester), dem der Polizeihabitus erheblich weniger eingeschrieben sein dürfte als dem Polizeidirektor? An ihm zeigt sich die Wirkmächtigkeit des Berufsfeldes Polizei, das – vermittelt z.B. über die Medien – in die Gesellschaft hinein strahlt. Niemand betritt das Feld Polizei als unbeschriebenes Blatt. Der Berufseintritt erfolgt vielmehr nach einer antizipierenden Sozialisation, infolge derer die sozialen Akteure zum Zeitpunkt ihres Eintritts in das polizeiliche Feld bereits eine spezifische Konfiguration von aktiven Eigenschaften und Merkmalen aufweisen - vergleichbar mit einem passenden Schlüssel für das Türschloss des Feldes. Oder anders: Infolge der performativen Magie polizeilicher Rituale, d.h. der singulären und kollektiven Selbstdarstellung der Polizei, werden auch in der Gesellschaft polizeiliche Kompetenzen maskulin assoziiert, mithin Polizeiarbeit noch immer als typisch männliche Aufgabe angesehen (vgl. Herrnkind, 2000, 77ff.; vgl. zur Staatsmagie Bourdieu, 2004, 456ff.). Männlichkeit und männliche Handlungsmuster im Feld Polizei sind für uns indes überholte Sinnattributionen der Akteure. Zukünftig sollte in Opposition zum Beharrungsvermögen wertkonservativer Strukturen und explizit aufgrund der notwendig ständigen Selbsterneuerung sozialer Praxisfelder maskuline Männlichkeit mit all ihren Schreckgespenstern schwuler Themen im Feld Polizei obsolet sein.

Literatur:

Bourdieu: Störenfried Soziologie. S. 65–70 In: Fritz-Vannahme, J. (Hrsg.): Wozu heute noch Soziologie? Opladen 1996.

Bourdieu: Eine sanfte Gewalt. In: Ein alltägliches Spiel. Frankfurt/M. 1997.

Bourdieu: Der Staatsadel. Konstanz 2004.

Bourdieu: Die männliche Herrschaft. Frankfurt/M. 2013.

Bourdieu/ Wacqant,: Reflexive Anthropologie. Frankfurt/M.2013.

Bowling / Reiner / Sheptycki: The Politics of the Police. Oxford 2019.

Chan: Fair Cop. Toronto 2003.

Das: Should we include Criminology in Police Recruitment Training?, In: Police Journal 1988 (April).

Herrnkind: Clint Eastwood und die Polizistinnen. Gegenwind 138 (März 2000).

Niederhoffer: Behind the Shield. The Police in Urban Society. New York 1969.

Oesterreich: Flucht in die Sicherheit. Opladen 1996.

Scheitza / Düring-Hesse: „Wieso sitze ich hier?“, In: Interkulturelle Öffnung der Verwaltung, Duisburg 2014.

Schöne: Die Rolle der Kriminologie in der Ausbildung zum gehobenen Polizeivollzugsdienst. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Hamburg 2005.

Schöne: Pierre Boudieu und das Feld Polizei. Frankfurt/M. 2011.

* Marcel Schöne ist Professor für Kriminologie an der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg/O.L.

Martin Herrnkind ist Dozent für Kriminologie an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Altenholz.

1Die Theoriesegmente Bourdieus und ihre Bedeutungshöfe basieren überwiegend auf der Dissertation von Schöne (2011).

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Objętość:
102 str. 5 ilustracje
ISBN:
9783866767010
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Część serii "Polizei.Wissen / Themen politischer Bildung"
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