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Die neuzeitlichen Gelehrten, die TaubmannTaubmann, Friedrich bisher nur durch ihre Aussagen über Plautus im Text des Gedichtes evozierte, nennt er in v. 11–12 namentlich, er fügt sogar noch die Namen weiterer Plautusverehrer hinzu. Die Formulierung „für die Scaligeri usw. hat Plautus etwas nach ihrem Geschmack (ad gustum)“ weist zurück auf die Banausen, die im Eingangsdistichon beschrieben wurden (ad genium). Der Plural ist im Falle der Scaligeri und der Dousae ein echter Plural. Beide Scaligeri haben sich – wie auch LipsiusLipsius, Justus – positiv über Plautus geäußert, wie wir gesehen haben. Der Niederländer Janus DousaDousa d.J., Janus der Jüngere (1572–1596) hat 1587 den CenturionatusDousa d.Ä., JanusCenturionatus sive Plautinarum Explanationum libri iv seines gleichnamigen VatersDousa d.Ä., Janus (1545–1604) herausgegeben und arbeitete zum Zeitpunkt der Entstehung von TaubmannsTaubmann, Friedrich Gedicht an einer Plautusausgabe, die aber erst postum im Jahre 1598 erscheinen sollte. TaubmannTaubmann, Friedrich feierte Dousas Edition in seiner eigenen Ausgabe mit deutlichen Worten: Die nach CamerariusCamerarius d.Ä., Joachim erschienenen Editionen seien wertlos exceptâ unâ Douzicâ („mit der Ausnahme von Dousas Ausgabe“).45 Dousa d.Ä.Dousa d.Ä., Janus wird vielleicht auch deswegen erwähnt, weil er sich in seiner fünften Satire (aus dem Jahr 1572) mit Kritikern des Hadrianus JuniusJunius, Hadrianus auseinandergesetzt hat, die bei Junius ein unzulässiges Archaisieren witterten.46 Warum Paulus Melissus SchediusSchede, Paulus Melissus (1539–1602), der zu Lebzeiten als monarcha poetarum Germanorum galt, genannt wird, lässt sich nur vermuten – abgesehen von TaubmannsTaubmann, Friedrich enger Freundschaft zu dem ebenfalls aus Franken stammenden SchediusSchede, Paulus Melissus. Zum einen finden sich in Melissus’ Dichtung viele Plautinismen – was allerdings auch mit seinem beeindruckenden Wortschatz zusammenhängt, sodass diese Eigenschaft nicht Teil einer bewussten und spezifischen Plautusnachfolge sein muss. Zum anderen adaptiert SchediusSchede, Paulus Melissus in einem Epigramm VarrosVarro (bzw. StilosStilo, L. Aelius) oben zitiertes Urteil über Plautus: Non alio usuras dulces sermone Camenas / Loqui Latinê si velint, / Praeter Plautinum; VarroVarro inquit.47

Wenn Plautus in diesem Distichon als Pistor („Müller“) bezeichnet wird, so natürlich wegen der insbesondere bei GelliusGellius zu lesenden Geschichte, Plautus habe sich nach seinem Scheitern als Geschäftsmann seinen Lebensunterhalt bei einem Müller als Sklave verdient.48 In den BacchanaliaTaubmann, FriedrichBacchanalia von 1597 wird Plautus mit o Pistor angeredet (2018, 106). Damit ist auch erklärt, warum TaubmannTaubmann, Friedrich im folgenden Distichon Getreidemetaphern verwendet.

In den nächsten beiden Distichen (v. 15–18) wird das Verhältnis zwischen den beiden großen römischen Komödiendichtern reflektiert. TerenzTerenz wird schlichter (simplicitas) Schmuck (mundus) zugesprochen – diese Eigenheit seiner Sprache dürfe aber nicht zu dem Fehlschluss verführen, dass er ein unbedeutender Autor sei. Dass Terenz’ Latein über jeden Zweifel erhaben war, wusste man aus CiceroCicero: [scil. Terentii] fabellae propter elegantiam sermonis putabantur a C. Laelio scribi (Briefe an Atticus 7, 3, 10).49 Zudem war es auch damals offensichtlich, dass Terenz’ Wortschatz begrenzter war als der des Plautus und somit auch ‚klassischer‘, sozusagen ‚simplicior‘ und ‚purior‘ wirken konnte. Daher spricht Julius Caesar ScaligerScaliger, Joseph Justus von den Terentianae munditiae und zieht den Stil des Terenz ob linguae cultum dem des Plautus vor (was nach seiner Aussage auch das Urteil seines Zeitalters sei).50 Mit munditiae ist die Stilqualität der puritas gemeint, die Terenz angestrebt habe51 – ein aus der Antike übernommenes Urteil.52 Da nach TaubmannsTaubmann, Friedrich Aussage Terenz für die Lernenden (s. puer in v. 15) einfacher als Plautus ist, erscheint es nur folgerichtig, dass er in diesen Versen die Lektüre des Terenz als Grundlage und Hinführung zur Plautus-Lektüre empfiehlt. In dem zu derselben Zeit wie unser Gedicht entstandenen Nachwort zu den Bacchanalia Taubmann, FriedrichBacchanaliaweist er ebenfalls darauf hin, dass Plautus nicht für jedes Alter und jedes ingenium geeignet sei: Man benötige ein gefestigtes und reifes Urteil, bevor man sich an diesen Dichter wage, denn: Plautus certè situs est in literarum quasi penitrali („Plautus befindet sich gleichsam im Innersten des Heiligtums“).53 Diese Metapher geht auf LipsiusLipsius, Justus zurück: Plautus in litterarum quasi penetrali est, quò non nisi initiati accedant, et qui à se Spernat profanum vulgus et arceat.54 TaubmannTaubmann, Friedrich verwendet in v. 9–10 von In Plautum dasselbe Bild noch einmal, wobei er jetzt nicht vom literarum penitrale, sondern von den adyta der Sapientia spricht, zu dem die animae rudes noch keinen Zutritt haben dürften. Diese recht deutliche Positionierung zeigt, dass es TaubmannTaubmann, Friedrich um eine Plautusimitatio mit Augenmaß geht, für die er ein sicheres iudicium für unabdingbar hält. Das Ziel ist also gerade nicht eine wahllose Nachahmung des Wortschatzes, sondern eine nach den Maßgaben der lateinischen puritas getroffene, kluge Auswahl, eben elegantia.

Was ist schließlich mit dem letzten Distichon gemeint? TaubmannTaubmann, Friedrich bittet die bereits in v. 1 genannten Gottheiten darum, einen „Milchregen“ auf die umbrae Umbri regnen zu lassen. Ein Milchregen im eigentlichen Sinne galt in der Antike wie Stein- oder Blutregen oder andere Portenta als ein Unheil kündendes Vorzeichen.55 Diese Implikation ist aber von unserer Stelle mit Sicherheit fernzuhalten. Die von TaubmannTaubmann, Friedrich evozierte Vorstellung hat wohl zwei Ursprünge: zum einen das in der Bibel mehrfach vorkommende Motiv der Milch- und Honigströme (etwa Exodus 3, 8 und 3, 17). Zum anderen wird die Milchmetaphorik schon in der Antike für geistliche oder geistige Nahrung verwendet, die Anfängern verabreicht werden soll, so etwa für den Bereich der Rhetorik: Quin ipsis doctoribus hoc esse curae velim, ut teneras adhuc mentes more nutricum mollius alant et satiari velut quodam iucundioris disciplinae lacte patiantur.56 Die Formulierung lacteus imber findet sich auch bei HeinsiusHeinsius, Daniel: Vatem surripe Diva tuum, qua lacteus imber / spirat, ab vmbrosis Meonidum latebris.57 Hier versinnbildlicht der Milchregen die poetische Inspiration.

Die am Anfang des Gedichts evozierten und am Ende angerufenen Göttinnen sollen also Schönheit (Venus), Liebreiz und Charme (Grazien) sowie Poetizität (die Musen) verleihen, und zwar „den Schatten des Plautus“. Damit kann nicht Plautus selbst gemeint sein, der als Schatten der Unterwelt zu denken wäre, denn wie das erste Distichon des Epigramms zeigt, besitzt Plautus all diese Attribute bereits. Das Wort umbra ist hier i.S.v. „Nachahmer“ zu verstehen. Diese durchaus geläufige Bedeutung des Wortes („Begleiter, einer, der einem anderen folgt“) ist sogar bei Plautus selbst belegt: certum est mihi, / Quasi umbra, quoquo ibis tu, te persequi (CasinaCasina 91–92).58 TaubmannTaubmann, Friedrich bittet also die Göttinnen darum, den Nachahmern des Plautus (und damit auch ihm selbst) dieselben poetischen Gaben zu verleihen, die sie an dem Meister bewundern. Dass damit alle Imitatoren gemeint sind, sowohl die fortgeschrittenen Dichter und Literaten als auch ganz besonders die Anfänger in den Schulen und Universitäten, wird aus v. 15 deutlich, in dem dezidiert die pueri angesprochen werden. Das Gedicht ist ja entstanden, als TaubmannTaubmann, Friedrich Schüler der Heilsbronner Fürstenschule war (s.o. S. 89).

Wie ‚plautinisch‘ sind nun Sprache und Stil dieses Gedichts? In der Tat verwendet TaubmannTaubmann, Friedrich, wie gesehen, einige Plautinismen, aber sie bleiben unauffällig, es sind gerade keine gesuchten, ausgefallenen Ausdrucksweisen – wie überhaupt das ganze Gedicht schlicht, geradezu attizistisch wirkt. Die Sprache ist einfach, die von Plautus’ Müller- und Bühnentätigkeit angeregten Metaphern naheliegend und alles andere als dunkel. TaubmannTaubmann, Friedrich hat sich sichtlich darum bemüht, als Plautus’ umbra dessen umbella zu folgen und ein stilistisch ausgewogenes, luzides Epigramm zu schaffen – gewissermaßen eine Plautusnachahmung im Zeichen der puritas und elegantia, der reinen und sorgfältig gewählten Sprache, wie es dem Nachahmer eines classicus testis eben zukommt.59

Literaturverzeichnis

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2. Plautus-Philologie und Theater
Das Amphitruo-Supplement, oder: Dichter können auch ganz gut Philologe

Ludwig Braun (Würzburg)

AmphitruoMan denkt wohl nur selten darüber nach, wer eigentlich wichtiger ist: Wir, die Philologen, oder die Dichter. Ohne die Dichter wären wir nämlich gar nichts, wir hätten nichts zu edieren, kommentieren, interpretieren. Aber wenn wir die Dichter nicht edieren und interpretieren würden: Was wären dann die Dichter? Soweit scheint das Verhältnis ausgewogen, wir brauchen einfach einander wie das tägliche Brot.

Es kommt aber auch vor, daß Dichter uns das philologische Geschäft sozusagen vor der Nase wegschnappen – und es sehr ordentlich erledigen.

Ein Beispiel dafür bietet das AmphitruoAmphitruo-Supplement. Hier klafft eine große Lücke von zwei halben und zwei ganzen Szenen, es muß also viel rekonstruiert werden. Das ist eine Aufgabe, die philologisch mit Nachdruck erst 1848 angegangen wurde, von Emanuel Hoffmann in seiner Breslauer Dissertation De Plautinae Amphitruonis exemplari et fragmentis. Ein unbekannter Dichter, der Verfasser des AmphitruoAmphitruo-Supplements, hat sich aber bereits um 1495 mit eben dieser Frage beschäftigt, sicher, um für eine Aufführung einen lückenlosen Text herzustellen.

Erinnern wir uns kurz an die Handlung: Jupiter hat sich in Gestalt Amphitryons zu dessen Gemahlin Alcmene begeben, um mit ihr das Liebeslager zu teilen. Mercur begleitet den Göttervater in Gestalt von Sosia, dem Sklaven Amphitryons. Da nun der echte Amphitryon und der echte Sosia, von einem Feldzug heimkehrend, dazustoßen, ist die Verwirrung alsbald eine ungeheure. In immer neuen Kombinationen geraten die Menschen und ihre göttlichen Doppelgänger miteinander und mit Alcmene zusammen, bis schließlich Jupiter und Amphitryon sich spiegelbildlich gegenüberstehen. Damit sind die Möglichkeiten der Handlung in diesem Stück durchgespielt, die Lage ist reif, daß Jupiter die Hintergründe der Gaukelei enthüllt.

Es gibt dabei verschiedene Typen von Szenen: Zusammentreffen von Alcmene mit dem falschen oder echten Amphitryon (Alcmene-Szene: AS), von Herr und Diener, jeweils falsch oder echt (Herren-Diener-Szene: HDS), und von den Doppelgängern selbst (Zwillings-Szene: ZS). Diese Szenentypen sind in sinnvollen Parallelen und Symmetrien angeordnet, wie uns erst vor etwa 45 Jahren eine tüchtige philologische Arbeit klargemacht hat, von Udo Reinhardt 1974 – vorher hat das kein Philologe gesehen. Es ergibt sich folgendes Schema, in den Grundzügen von Reinhardt 1974, 120 entwickelt, hier wiedergegeben nach Braun 1980, 20:1


Danach liegen um das Ganze als Rahmen die zwei Doppelgängerszenen: 1, 1 die Szene Mercur-Sosia, 4, 3 die Szene Amphitryon-Jupiter. Das Kernmotiv, daß ein Mensch durch Götter an seiner Identität irre gemacht wird, wird zunächst auf der Sklavenebene behandelt, auf der kennzeichnend Sosia zuletzt der Gewalt weicht und sich damit abfindet, daß er sich nun eben verdoppelt hat. Amphitryon hingegen, als Freier und Feldherr, läßt sich nicht unterkriegen und setzt auch zuletzt noch zum Sturm auf sein Haus an.2

In diesem Rahmen entfaltet sich die Handlung in zwei parallelen und sich steigernden Schüben, 1, 1–2, 2 und 3, 1–4, 3, in denen jeweils zwei Szenen mit Alcmene stehen: die erste, 1, 3, Alcmene mit Jupiter, in ungetrübter Harmonie, Alcmene ahnt nichts Böses, bedauert nur, daß ihr geliebter scheinbarer Amphitryon sich schon wieder verabschiedet, 2, 2 aber erscheint der echte Amphitryon, und es kommt zu schweren Vorwürfen, jeder wähnt sich im Recht, schließlich geht Amphitryon, einen Gefährten zu holen, der ihm bezeugen soll: Er war in dieser Nacht nicht bei Alcmene. Aber selbst wenn es dazu käme, würde das Problem nicht gelöst, es könnte wieder nur Aussage gegen Aussage stehen. Wir stehen am Ende des ersten Teils und wären eigentlich somit an einem toten Punkt, aber hier greift Jupiter erneut ein, der zu Alcmene zurückkehrt, um nochmals die Freuden der Liebe zu genießen und um die Menschen in noch größere Verwirrung zu stürzen: Das ist die berüchtigte frustratio maxima (875). Dafür muß Jupiter indes in dem nächsten Auftritt mit Alcmene, 3, 2, diese erst einmal wieder friedlich stimmen, was nur unter Einsatz aller Künste des Charmeurs gelingt. Später, 4, 2a, trifft allerdings auf Alcmene wieder der echte Amphitryon, der nichts von einer Versöhnung weiß, und die gegenseitige Heftigkeit muß beträchtlich werden. Wir haben also zweimal die Folge Alcmene mit Jupiter, dann mit Amphitryon, mit Jupiter friedlich bzw. nach Verstimmung wieder friedlich, mit Amphitryon feindselig bzw. feindselig in zweiter Potenz.

Diese vierte Alcmene-Szene ist allerdings nicht erhalten und wurde von unserem Ergänzer auch nicht erschlossen, geschweige denn rekonstruiert. Die AmphitruoAmphitruo-Fragmente 7 bis 10, die auf diese Szene hinweisen, kannte er wie auch alle weiteren Fragmente offenbar nicht – erst die Ausgabe von Camerarius Camerarius d.Ä., Joachim(1552) hat die Fragmente gesammelt –, und allein aus der Symmetrie des Aufbaus wurde ihm die Szene auch nicht deutlich. Aber das sollten wir ihm nicht so übel nehmen, denn darauf ist keiner der berühmten Gestalter des Amphitryon-Stoffes je gekommen, nicht CamõesCamões, Luís de, de RotrouRotrou, Jean de, MolièreMolière, DrydenDryden, John, KleistKleist, Heinrich von.3

Um diese Kernszenen gruppieren sich Auftritte von Herren und Dienern, die im Grundton mit den Alcmene-Szenen kontrastieren: Geht es dort um eheliche Treue im Adelshaus, so hier um Gehorsam des Sklaven.4 2, 1 tritt auf Amphitryon mit Sosia, also zwei Echte, die an sich zusammengehören, aber der Herr ist verärgert, daß der Sklave ihn nicht, wie befohlen, in seinem Haus angemeldet hat, und daß er dafür völlig unglaubhafte Entschuldigungen vorträgt (Bezug auf 1, 1). 3, 3 bringt falschen Amphitryon und echten Sosia zusammen, in vorläufig spannungsloser Situation, Sosia hält Jupiter für seinen wirklichen Herrn und geht auf dessen Befehl ab, einen Gast herbeizuholen. Dann findet sich aber auch wieder Mercur als falscher Sosia im Hause ein, um, wie schon 1, 1, Jupiter vor ungebetenem Besuch zu schützen. So gerät der zurückkehrende echte Amphitryon 4, 2 an den falschen Sosia, der ihn nicht einläßt, sondern nur übel beschimpft und mit Gegenständen nach ihm wirft. Alsbald trifft der erboste Amphitryon auf den echten Sosia, der wieder einmal ausbaden muß, was sein Doppelgänger angerichtet hat, 4, 2b. Diesmal geht es aber nicht nur um scheinbare Pflichtvergessenheit, sondern um grobe Verbal- und Realinjurien des Sklaven gegenüber dem Herrn. So ist in diesem zweiten Durchgang jede Auseinandersetzung von größerer Heftigkeit geprägt. Zudem vernimmt Amphitryon im ersten Teil über den falschen Sosia wie auch über den falschen Amphitryon nur Berichte (2, 1 durch Sosia, 2, 2 durch Alcmene), im zweiten aber tritt er den beiden falschen Doppelgängern Aug in Aug gegenüber (4, 2 Mercur, 4, 3 Jupiter).

Nicht erhalten, sondern nur rekonstruiert sind in diesem Gesamtbild die Szenen 4, 2 teilweise, 4, 2a und b ganz, 4, 3 teilweise. Von unserem Ergänzer des 15. Jh.s ist, wie gesagt, die Szene 4, 2a zwar nicht erfaßt, aber das Ende von 4, 2; 4, 2b ganz, und der Anfang von 4, 3. Insgesamt übrigens 187 Verse.

Diese Szenen sind alle von Strukturparallelen betroffen, die Reinhardt auf Grund des eindeutig rekonstruierbaren jeweiligen Personals beobachtet hat: 4, 2 wiederholt steigernd die Sperrung des Hauszugangs durch Mercur 1, 1; 4, 2b und 2, 1 sind Auftritte des über Sosia entrüsteten Amphitryon; 4, 3 entspricht der Doppelgängerszene von 1, 1. Der Auftritt 1, 1 ist dabei sozusagen polyvalent,5 denn er gleicht in manchen seiner Elemente der Szene 4, 2: Abwehr eines Besuchers vom Haus durch den falschen Sosia, in anderen der Szene 4, 3: Begegnung, übrigens jeweils einmalige, von einem Paar von Doppelgängern.

Machen wir uns klar, daß wir erst durch Reinhardt die Augen geöffnet bekommen haben für diese Strukturparallelen. Der Verfasser des Supplements aber konnte auf derlei philologisch-analysierende Literatur nicht zurückgreifen, er mußte sich selber ein Bild machen von dem, was das Stück zusammenhält, und er hat zum großen Teil genau dasselbe gesehen wie Reinhardts Analyse, an die 500 Jahre vor diesem. Denn er hat in den erhaltenen Szenen die jeweiligen Abschnitte und Stufen der Auseinandersetzung erkannt und diese auf die verlorenen Parallelsituationen übertragen.

Zunächst zum Szenenpaar 1, 1 – 4, 2, wo jeweils Mercur erst Sosia, dann Amphitryon daran hindert, das Haus zu betreten: Daß er dem Sklaven Sosia auf ebener Erde gegenübertritt, dem Feldherrn Amphitryon hingegen nur vom sicheren Dach aus, steht so schon bei Plautus. Aber unser Ergänzer gestaltet nun auch die weitere Szene in Entsprechung zu 1, 1: Dort schüchtert Mercur den Sklaven zuerst mit Drohungen ein (295–369), traktiert ihn dann mit Faustschlägen (370–380) und läßt ihn zuletzt durch Argumente an seiner Identität irre werden (381–437, s. argumentis vicit 423). Ebenso beschimpft und bedroht Mercur Amphitryon in dem erhaltenen originalen Rest der Szene 4, 2 (tibi Iuppiter / dique omnes irati certo sunt qui sic frangas fores 1021–1022, senecta aetate a me mendicas malum 1032, quia enim te macto infortunio 10346), greift dann, nun im Ergänzten, zu Gewaltmaßnahmen, indem er einen Dachziegel auf Amphitryon wirft (Hac tegula tuum diminuam caput … accipe *5. *8), und macht ihm schließlich klar, er könne gar nicht Amphitryon sein, denn der genieße gerade drinnen die Freuden der Liebe mit Alcmene (abscede moneo, molestus ne sies, dum Amphytrio Cum uxore […] voluptatem capit *17f.).

Das alles läßt den Feldherrn nicht unbeeindruckt, aber, anders als Sosia 1, 1, gibt er nicht klein bei, sondern besteht darauf, daß dieser andere Amphitryon herbeigeholt werde (Cupio accersiri *32).

Der Wurf mit dem Ziegel verdient noch etwas mehr Aufmerksamkeit: Das Fragment 4 aus der Lücke geht in ganz ähnliche Richtung: optumo iure infringatur aula cineris in caput. Aber der Ergänzer hat die Fragmente insgesamt ja offensichtlich nicht gekannt, kommt nur mehrmals instinktiv in deren Nähe. Denn wie kann man gewaltsam auf einen Gegenspieler einwirken, wenn man sich hoch über ihm auf einem Dach befindet? Nicht direkt mit den Fäusten, wie gegen Sosia in Szene 1, 1, sondern nur mit Wurfgeschossen. Und wenn man schon auf einem Dach steht, gerät einem da nicht ein Ziegel sogar viel natürlicher in die Hand als ein Asche-Eimer?7 Man ist versucht, zu sagen, daß diese Ergänzung sogar das Original noch übertrifft.

Die zweite Szene des Supplements (= 4, 2b): zu Amphitryon kommt dessen Steuermann Blepharo zusammen mit Sosia, zeigt in erster Linie, daß der Ergänzer die Hinweise auf diese Szene im Erhaltenen sorgfältig berücksichtigt hat: Die bereits 589 und 1030 von AmphitruoAmphitruo angedrohten Prügel werden hier verwirklicht, entsprechend der wesentlich stärkeren Verärgerung Amphitruos.

Erheblich enger aber sind die Beziehungen in der dritten ergänzten Szene, der Begegnung von echtem und falschem Amphitryon (4, 3), zu ihrem Pendant in der allerersten Szene, der Begegnung von echtem und falschem Sosia (1, 1). Dort geht die Auseinandersetzung über mehrere Runden, wir haben eben schon auf die Folge von Drohungen, Tätlichkeiten und rationalen Beweisen, argumenta, geblickt. Mit Drohungen (*119, *138), dann Tätlichkeiten beginnt auch die dritte ergänzte Szene, Jupiter und Amphitryon packen sich gegenseitig am Hals (wie angekündigt 953 quom ego Amphitruonem collo hinc obstricto traham: *139 Ob istuc indignum dictum te obstricto collo hac diripiam, ausgesponnen bis *147), nur mühsam kann Blepharo die Kombattanten trennen.

Dann soll, unter Vorsitz des unparteiischen Blepharo, durch Zeichen entschieden werden (faciam id, si queo, signis palam *153). 1, 1 beginnt Sosia, durch Mercurs Anspruch fassungslos, mit einer Selbstbehauptung, in der er seine Identität versichert und seine letzten Erlebnisse und Verrichtungen aufzählt (403–408), doch Mercur nimmt alles Gesagte für sich selbst in Anspruch (410–415). Das entspricht genau den auftrumpfenden Tatberichten der zwei Amphi­tryone *163–177, bis zu den verzweifelten Ausrufen des Sosia und Amphitryon jeweils am Ende dieser Runde: So. egomet mihi non credo, quom illaec autumare illum audio: hic quidem certe quae illic sunt res gestae memorat memoriter (416–417), Amph.Amphitruo Dii immortales, iam mihimet non credo, ita hic omnia, quae facta illic, examussim loquitur (*178–179). Im AmphitruoAmphitruo folgen darauf die Fragen Sosias nach Einzelheiten, mit denen er den falschen Sosia überführen will, erst nach der patera des Pterela (418–422), dann nach der heimlichen Beschäftigung Sosias, dem stillen Weingenuß, wovon nur der echte Sosia wissen können sollte (425–430). Dem entsprechen im Supplement die Fragen Blepharos nach den Befehlen Amphitryons vor der Taphierschlacht (*154–156) und nach dem Geldbetrag in der Börse (*157–161; marsupium, womit allerdings wohl eher so etwas wie die Kriegskasse gemeint ist). Wieder unterstreicht zum Abschluß ein wörtlicher Anklang: So. mira sunt, nisi latuit intus illic in illac hirnea (432), Bl. Intus in crumena clausum alterum esse oportuit (*162).

Als letzte entscheidende Prüfung stellt Blepharo die Frage nach einer Narbe am Arm Amphitryons. Dies geht gleichfalls auf eine Anregung aus 1, 1 zurück, dort ebenso am Ende der Auseinandersetzung, wo Sosia sein Äußeres mit dem Mercurs vergleicht und nur Übereinstimmungen sieht, so daß er mit den Worten schließt: si tergum cicatricosum, nihil hoc similist similius (446). Sosia hat Prügelstrafen erlitten, die Narbe Amphitryons hingegen stammt aus einer Heldentat – wieder steigert der Ergänzer einleuchtend. Dieses einzige in 1, 1 nicht geprüfte Kennzeichen wird im Supplement zum kraftvollen Schlußeffekt, die Prüfung der Narbe findet hier statt, aber natürlich auch sie ohne Ergebnis: Bl. Supreme Iuppiter, quid intueor? Utrique in musculo / Dextro, eodem in loco, signo eodem apparet probe, / Ut primum coivit, cicatrix rufula, sublivida. / Iacent rationes, silet iudicium, quid dicam nescio (*184–187).

Übertragen ist also aus 1, 1, nach Handgemenge der Doppelgänger, der Dreischritt: 1.) zwei Fragenkomplexe, die auf Geheimwissen zielen, das anderen nicht bekannt sein kann, 2.) Tatenbericht als Selbstbehauptung, 3.) unveränderliche körperliche Merkmale (die Reihenfolge gegenüber Amph.Amphitruo 403–446 ist somit leicht verändert). Eine solche Übertragung geschieht ja gewiß nicht von selbst, unser Ergänzer muß die grundsätzlich vorgegebene Parallelität erkannt und als Konstruktionsprinzip bewußt seiner Ergänzung zugrunde gelegt haben.

Dieses Verfahren ist keineswegs unausweichlich. Pandolfo CollenuccioCollenuccio, Pandolfo, ein Zeitgenosse unseres Ergänzers, hat in seiner italienischen Fassung des AmphitruoAmphitruo gleichfalls die verlorenen Szenen des Stückes rekonstruiert.8 Mehrere Elemente, die der Ergänzer aus den Parallelszenen aufgegriffen und in neuer Wendung zur Geltung gebracht hat, werden bei Collenuccio aber nicht herangezogen. Um nur den markantesten Fall zu nennen: In Szene 4, 3 kommt es bei Collenuccio nicht zur Schlägerei zwischen echtem und falschem AmphitruoAmphitruo, und das, obwohl diese bei Plautus Amph.Amphitruo 953 angekündigt wird – also geringe philologische Aufmerksamkeit Collenuccios –, es kommt auch nicht zu Fragen Blepharos an beide Doppelgänger, die die wahre Identität klären sollen, und schließlich ebenso wenig zur Prüfung des unveränderlichen Kennzeichens, der Narbe am Arm.

Das AmphitruoAmphitruo-Supplement hingegen scheint mir ein wichtiges Beispiel für die häufiger zu beobachtende Erscheinung zu sein: Ein Dichter kommt oft nicht umhin, sich für sein eigenes Werk mit den Schöpfungen anderer Dichter auseinanderzusetzen, und das heißt, sie zu interpretieren. Er leistet also eine philologische Arbeit. Er tut dies aber nicht in eigentlich philologischer Form, denn das Ergebnis seiner Interpretation ist nicht ein Kommentar oder eine Literaturgeschichte, sondern seine Interpretation geht implizit in sein eigenes Werk ein. Es liegt übrigens auf der Hand, daß der Zunftgenosse, mindestens für bestimmte Fragen, ein wesentlich schärferes Auge hat als ein Philologe, der aus eigener Erfahrung und Praxis zumeist vom Dichten nichts versteht. Auch ein so entstandenes dichterisches Werk muß dann aber natürlich wieder von Philologen interpretiert werden. Die nicht explizierte proto-philologische Erkenntnis ist erst wieder herauszupräparieren. Dies wollte ich am AmphitruoAmphitruo-Supplement vorführen.9

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