Czytaj książkę: «KLG Extrakt - Literarische Hochkomik»

Czcionka:

Literarische Hochkomik

KLG Extrakt

Herausgegeben von

Axel Ruckaberle

Literarische Hochkomik

Herausgegeben von

Thomas Schaefer


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

www.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-96707-081-1

E-ISBN 978-3-96707-086-6

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© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2020

Levelingstraße 6a, 81673 München

www.etk-muenchen.de

Inhalt

Einführung

F. W. Bernstein

Wiglaf Droste

Wilhelm Genazino

Robert Gernhardt

Max Goldt

Eckhard Henscheid

F. K. Waechter

Ror Wolf

Biogramme

Thomas Schaefer

Einführung

„Im übrigen beachte man nicht ohne Wehmut: Der gesamtdeutsche Literatur- und zumal Lyrikstandard ist 2005 ff. wieder exakt und unverbrüchlich auf dem Niveau von ca. 1955 eingetroffen: auf dem von Kunstlosigkeit, Langeweile und wichtigtuerischem Quark. Als hätte es Gernhardt-Bernstein-Waechter nie gegeben. Hat es ja auch kaum.“

Tatsächlich bar jeden Anflugs von Wehmut, vielmehr in vertrauter Schärfe zieht Eckhard Henscheid in einem im Juli 2016 im Satiremagazin „Titanic“ erschienenen Artikel zum Gedenken an den im Juni 2006 verstorbenen Robert Gernhardt („Man ehre den Dichter Gernhardt! Nach gut fünfzig Jahren ist er noch immer und wieder zu entdecken“) eine Bilanz, die sich nur vordergründig der Verbitterung eines Veteranen verdankt, der erkennen muss, dass seine Zeit vorbei und sein Wirken verpufft ist. Beides ist ja auch nicht der Fall, eines aber ist unbestritten: Bei dem, was Henscheid hier als „Gernhardt-Bernstein-Waechter“ bündelt, handelt es sich um eine singuläre Phase in der Geschichte der deutschen komischen Literatur, ja, der deutschen Literatur schlechthin: eine Dichterschule hochkomischer Kunst – so etwas hatte es in dieser Form noch nicht gegeben.

Es ist müßig, darüber nachzusinnen, ob es der Zufall oder eine geschichtliche Notwendigkeit war, was in den Räumen der im September 1962 erstmals erschienenen Frankfurter satirischen Monatszeitschrift „pardon“ – vor allem mit dem Eintritt von F. W. Bernstein und Robert Gernhardt in die Redaktion im Jahr 1964 – eine Gruppe von Personen zusammenkommen ließ, die jede für sich allein einen bedeutenden Weg gegangen wäre, die sich aber in der regelmäßigen Zusammenarbeit gegenseitig befruchteten und inspirierten: Chlodwig Poth, der zitierte Henscheid, das von diesem genannte Trio F. W. Bernstein, Robert Gernhardt und F. K. Waechter, Hans Traxler, dazu die jüngeren Peter Knorr und Bernd Eilert bildeten eine locker assoziierte Mannschaft, die erst später, anlässlich einer Gemeinschaftsausstellung von Gernhardt, Waechter und Traxler im Jahr 1981, das Label „Neue Frankfurter Schule für Hochkomik“ (NFS) erhielt.

Schon der Schulname deutet an, dass die Dozenten dieser Humorbildungsanstalt keineswegs voraussetzungslos ans gemeinschaftliche Werk gingen: Er bezieht sich ostentativ auf die am Institut für Sozialforschung wirkende Frankfurter Schule um Adorno, Horkheimer etc., deren Kritischer Theorie man sich verbunden fühlte. Dass es also Zufall war, was sich bei „pardon“ entwickelte, wird allein schon durch die Zeitbezogenheit in Frage gestellt. Gerade in der Natur einer Satirezeitschrift liegt es ja, dezidiert auf die gesellschaftlichen Um- und Zustände zu reagieren, und die waren in den frühen 1960er Jahren bekanntlich immer noch geprägt vom reaktionären Geist der 1950er, dem Muff der restaurativen Adenauer-Jahre und ihrer Moral. Dagegen arbeitete die Satire mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln an: nicht nur dem Wort, sondern wirkmächtig auch der Zeichnung (Cartoon, Strip), die zumindest Gernhardt-Bernstein-Waechter als erstaunliche Doppelbegabungen gleichermaßen gekonnt einsetzten, später kamen auch Film, Funk und Fernsehen als Formate dazu. Die Spezialität der „pardon“, vor allem die unter dem Motto „pro bono, contra malum“ daherkommende, von 1964 bis 1976 betriebene doppelseitige Tageszeitungsparodie „Welt im Spiegel“ (WimS), war jedoch nicht das in der Regel in seinen Methoden und Absichten durchsichtige politische Agitprop-Handwerk, wie man es vom Kabarett kennt, sondern der gepflegte Nonsens als lustvolle und manchmal dem ästhetischen Selbstzweck huldigende Spiel- und Kunstform, die fröhliche, alberne, gern auch zotige, dem unbekümmerten Kalauern verpflichtete Anarchie. Dergleichen zu produzieren, dürfte nicht nur viel Spaß gemacht haben, sondern verfolgte auf seine Weise durchaus auch politische Zwecke, provozierte doch die Unterwanderung von Normen und Sinnzusammenhängen mit gezielten Regelverstößen diejenigen, für die Ruhe und Ordnung verbindliche Bürgerpflichten sind, und schuf Solidarität zu denen, die sie brauchten: Dass die NFS einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Entfaltung der antiautoritären und ihnen folgenden Sponti-Kräfte hatte, zumindest daran, dass sich viele Lesende und Betrachtende in ihrer aufmüpfigen Haltung gegenüber den herrschenden Zuständen ermutigt, verstanden und regelrecht befreit fühlten, ist belegt.

Voraussetzungs- und kontextlos war das subversive Treiben der Gruppe also nicht, und das gilt auch für das Künstlerische: Die Hochkomik macht ja gerade aus, dass sie in Abgrenzung zum gängigen Verständnis von Komik und den oft banalen massenmedialen Belustigungen, einen (kultur-)kritischen, aufklärerischen Anspruch hat und im kulturellen Kanon wurzelt, diesen gekonnt adaptiert und parodiert, für ihre komischen Zwecke nutzt. Das gilt unterschiedslos für alle NFS-Protagonisten: Eckhard Henscheids berühmter, 1973 zuerst als Privatdruck erschienener Roman „Die Vollidioten“ spielt schon im Titel deutlich auf Dostojewskis „Idioten“ an; Waechter hatte einen ersten großen Erfolg mit seinem „Anti-Struwwelpeter“ (1970); Gernhardts Lyrik antwortet auf bekannte Texte und Formen des deutschsprachigen Lyrik-Erbes – beispielhaft und mustergültig vorexerziert in seinem Gedicht „Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs“, in dem ein lyrisches Ich mittels eines formvollendeten Sonetts nach allen Regeln der Kunst darlegt, warum es Sonette „sowas von beschissen“ findet; und so weiter und so fort. Doch wenn man sich so an Erzeugnissen der sogenannten E- oder Hochkultur rieb, diente das nicht immer dem Ziel, diese lächerlich zu machen, in der Regel war das parodistische Spiel durchaus eine Reverenz – und im Übrigen natürlich der souverän erbrachte Nachweis, dass man die Techniken betreffend durchaus und zwar locker mit den großen Meistern mithalten konnte. Der Reiz besteht ja gerade in der Fallhöhe zwischen der Intellektualität und künstlerischen Könnerschaft und den unernsten Plots und Schauzwecken. Wo wird dieses Prinzip augenfälliger als in Waechters altmeisterlichen Zeichnungen sowie später den Gemälden NFS-geprägter Meister wie Michael Sowa, Rudi Hurzlmeier, Ernst Kahl und Wolfgang Herrndorf (Letzterer auch so eine Doppelbegabung).

Eingebettet ist das Werken und Wirken der NFS aber natürlich auch in die Traditionen und Zusammenhänge internationaler (von Edward Lear bis Monty Python) und deutscher Humorproduktion. Letztere hat es entgegen anderslautender Stigmatisierungen durchaus gegeben und zwar nicht nur in Person bekannter Vertreter aus dem 20. Jahrhundert: Tucholsky, Morgenstern, Ringelnatz, Karl Valentin, Alfred Polgar etc.pp. Vielmehr geht sie zurück auf Jean Paul und Wieland, Grabbe und Heine, Wilhelm Busch und natürlich auch Schwänke, Bänkellieder und andere Produkte volkstümlicher Künste. Auch ist es nicht isoliert zu betrachten vom komischen zeitgenössischen Umfeld: Heinz Erhardt, Jürgen von Manger oder eine Figur wie Peter Frankenfeld, später vor allem Loriot, durften zur Primetime im Fernsehen ein Massenpublikum mit nicht zu unterschätzendem Witz bespaßen. Was heute Comedian heißt, existierte freilich schon damals in allerlei Spiel- und Niveauformen, die naturgemäß nicht immer klar voneinander abzugrenzen sind. Die Definition dessen, was als komisch oder gar hochkomisch gelten kann, ist bekanntlich oft subjektiv und im Übrigen zeitgebunden: Weil der jeweilige zeitgeschichtliche Kontext verloren geht, setzt komische Kunst oft rasch Patina an. Auch manche Erzeugnisse der NFS können ihre Zeitbezogenheit nicht leugnen und werden heutigen Gewohnheiten, der Pointendichte und dem Tempo etwa, nicht mehr gerecht. Das gilt sogar für den legendären „Arnold Hau“ (1966), das Gemeinschaftswerk von Gernhardt/Bernstein/Waechter. Vieles erweist sich jedoch als zeitlos und hat Konsequenzen gehabt. Wie vorbildhaft sich die NFS ausgewirkt hat, illustriert der Fall Otto Waalkesʼ, der sich zunächst eigenmächtig aus dem Fundus von Gernhardt-Versen bedient hatte, bevor es zur regulären Zusammenarbeit kam und Gernhardt, Knorr und Eilert Otto mit den Drehbüchern für seine erfolgreichen Kinofilme belieferten. Gerade das Umfeld der sogenannten Blödelbarden – die Gruppe Insterburg & Co., Ulrich Roski, der genannte Otto und andere – kultivierte ja seinerseits den Nonsens, mit vermutlich weitaus größerer Breitenwirkung als die „pardon“-Hochkomiker, die lange Zeit eher ein subkultureller (Waechter sprach sogar von „subsubsub“) Fall für Minderheiten waren (wobei von der „pardon“ in deren erfolgreichsten Zeiten immerhin 300.000 Exemplare verkauft wurden).

Das änderte sich, nachdem es zum Bruch mit Hans A. Nikel, dem Chefredakteur, Verleger und Herausgeber der „pardon“ in Personal­union, gekommen war und man sich zur Gründung einer neuen Satirezeitschrift entschloss: 1979 erschien erstmals die „Titanic“, mit der sich die ehemaligen „pardon“-Mitarbeiter ihr Forum geschaffen hatten und unabhängig von einem Chef schalten und walten konnten. Dort konnten sie nicht nur ihre eigene satirische und komische Produktion veröffentlichen, mit der Rubrik „Humorkritik“ gab (und gibt es bis heute) das hierzulande einzige regelmäßige Kontrollorgan, das die komische zeitgenössische Kunst mit Argusaugen sichtet, aber auch stets Funde aus der Komik-Geschichte ausgräbt. Auch hier wird der Bezug zur Frankfurter Schule deutlich: Eine Kunstfigur namens „Hans Mentz“ wird als Urheber der Rubrik angegeben (die hingegen von einem Autorenkollektiv verfasst wird), ihr die Rubrik zierendes Konterfei ist ein verfremdetes Porträt Theodor W. Adornos.

Mit der „Titanic“ und nicht zuletzt ihren öffentlichkeitswirksamen Aktionen, dem „zuweilen interventionistischen Krawall“ (Jürgen Roth), kamen „Gernhardt-Bernstein-Waechter“ zweifellos in den Genuss größerer Publizität. Nicht minder wirkungsvoll war die wenig später, 1982 (in eben jenem Jahr, in dem die „pardon“ ihr Erscheinen einstellte), erfolgte Gründung des Haffmans Verlags in Zürich, mit dem der ehemalige Diogenes-Lektor Gerd Haffmans den bis dahin verstreut veröffentlichenden komischen Künstlern eine gemeinsame Plattform und viel Aufmerksamkeit verschaffte, indem ein hoher Anspruch an Qualität und die gezielte Provokation Hand in Hand gingen. Bei Haffmans erschienen nicht nur die Werke der nun bereits mehrfach Genannten, zu den Hausgöttern zählten Arno Schmidt, Lichtenberg, Laurence Sterne, aber auch Schopenhauer und Sherlock Holmes – klassische Vorbilder, in deren Geist auch die Jüngeren schrieben. Frank Schulz, Gerhard Henschel, Harry Rowohlt, Thomas Gsella und andere hätten eine neue Haffmans-Tradition begründen können, wäre der Verlag nicht 2001 in Konkurs gegangen. Bei Haffmans erschien 1997 auch Gernhardts Gedichtband „Lichte Gedichte“, der von Marcel Reich-Ranicki im „Literarischen Quartett“ als Weihnachtsgeschenk empfohlen wurde – dieses überraschende Großkritikerlob dürfte nicht nur dazu beigetragen haben, dass Gernhardt zum populären und fortan mit Literaturpreisen überhäuften Volksdichter avancierte (was ihm mancher Weggefährte übelnahm), sondern unter Umständen auch seiner Kollegenschaft Türen zu „dem Feuilleton“ geöffnet haben, das die NFS lange weitgehend ignoriert hatte, weil bekanntlich nicht ernst zu nehmen ist, was vermeintlich unernst daherkommt und sich einen Jux nach dem anderen zu machen erlaubt. Natürlich wurden einzelne Werke, etwa Henscheids Romane, auch in ‚großen‘, ‚seriösen‘ Feuilletons besprochen (wenn auch nicht immer verstanden) – doch ist nicht zu leugnen, dass dem Komischen nach wie vor der Ruch des Minderwertigen anhaftet. Wie sonst wäre die bis heute zu beklagende Abwesenheit komischer Lyrik in allen gängigen Gedicht-Anthologien zu erklären, desgleichen die Zurückhaltung von Jurys, Komik erzeugende Künstler mit Preisen zu bedenken. Mit dem „Göttinger Elch“ und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor gibt es immerhin zwei dezidiert der entsprechenden Kunst gewidmete und überregional wahrgenommene Preise. Ihre Existenz und Resonanz spricht dafür, dass sich die komische Kunst seit den späten 1970er Jahren auf halbwegs breiter Basis beim Publikum etabliert hat. Eine Zeitlang sah es sogar danach aus, dass die NFS den berüchtigten ‚Kultstatus‘ erlangen würde, zumindest eine große Fan-Gemeinde an sich gebunden hat. Ob dieses Renommee Bestand oder Henscheid mit seinen oben zitierten Unkenrufen Recht haben wird, wird sich zeigen.

In einer gewissen Symmetrie zur Rezeption durch „das Feuilleton“ verlief auch die naturgemäß noch später einsetzende durch die Philologie, die ihre Zeit brauchte, um zu erkennen und zu honorieren, dass hinter den frivolen Späßen, kühnen Reimen und bockigen Sinnverweigerungen etwas steckt, das sich der germanistischen Mühen lohnt. Diesen Prozess zu dokumentieren und zu analysieren, ihn in die Geschichte der Germanistik und dessen Personals einzuordnen, wäre eine eigene Mühe wert. Erste Aufmerksamkeit erfuhr die NFS mit Peter Köhlers 1989 erschienener Doktor- und Pionierarbeit „Nonsens. Theorie und Geschichte der literarischen Gattung“. Die Zeitschrift „TEXT + KRITIK“ leistete Ähnliches mit Heften zu Robert Gernhardt (1997) und bereits 1990 zu Henscheid. Das waren seinerzeit tatsächlich noch erstaunliche Öffnungen, heute sind akademische Arbeiten über einzelne Künstler, aber auch zu Komiktheorie und Witzgeschichte sowie allerlei diversen, mitunter sehr speziellen Aspekten der Humorforschung geradezu ein eigener Forschungszweig und im Wortsinn kaum noch zu übersehen. Eine große Monografie zur Neuen Frankfurter Schule ist aber ebenso noch ein Desiderat (einen ersten Überblick bietet die etwas launig angelegte, aber sachlich kompetente und überhaupt verdienstvolle Arbeit des ehemaligen „Titanic“-Chefredakteurs Oliver Maria Schmitt, „Die schärfsten Kritiker der Elche. Die Neue Frankfurter Schule in Wort und Strich und Bild“ von 2001) wie Biografien zu einzelnen Autoren der NFS und ihres Dunstkreises.

Dass vier von ihnen in den letzten Jahren verstorben sind – F. W. Bernstein und Wilhelm Genazino 2018, Wiglaf Droste 2019 und Ror Wolf 2020 –, ist ein betrüblicher Umstand, der dem vorliegenden Buch fast schon den Charakter einer abschließenden Retrospektive zukommen lässt. Ohne natürlich einem solchen Anspruch gerecht werden zu wollen und zu können, behandeln die hier versammelten Beiträge aus dem KLG in einer erstaunlich repräsentativen, umfassenden Weise die wichtigsten Autoren der NFS und ihres Umfelds.

Wenn Oliver Maria Schmitt Robert Gernhardt als „Klassenprimus“ der NFS bezeichnet, ist das mehr als ein wohlfeiler Kalauer: Gernhardt war zweifellos der produktivste, preisgekrönteste und populärste Künstler der Gruppe, was nicht zuletzt auf eine Ambitioniertheit und Umtriebigkeit zurückzuführen ist, die er in den Notaten des 2017 posthum erschienenen Bandes „Der kleine Gernhardt“ thematisiert, in dem er sich als „Kümmerer“ bezeichnet: „Ich leiere an, strukturiere, verteile die Rollen“. Seinen Ruhm verdankt er aber natürlich seiner Doppelbegabung als ausgezeichneter Zeichner/Maler und genialer Dichter – es sind vor allem seine Gedichte aus den frühen Jahren, die ihn zu einem „Klassiker “ gemacht haben, dessen Texte – und eine größere Ehre ist nicht denkbar – in den Fundus des Volksmundes aufgenommen wurden. Im Übrigen war Gernhardt der Chef-Theoretiker der Gruppe, dessen komiktheoretische und -kritische Essays (gesammelt im Band „Was gibt’s denn da zu lachen?“ von 1988) für das Verständnis der literarischen Hochkomik unverzichtbar sind.

F. W. Bernstein hat aufs Engste mit Gernhardt eine Freundschafts- und Arbeitsbeziehung geführt und kongeniale Gemeinschaftsarbeiten wie „Die Wahrheit über Arnold Hau“ (1966) oder den Gedicht- und Cartoonband „Besternte Ernte“ (1976) mit zu verantworten. Doch bei aller Geistesbrüderschaft wirkt Bernstein fast wie ein Antipode: in seiner ostentativen Bescheidenheit und Zurückhaltung, vor allem aber im gänzlich inkommensurablen Charakter seiner rätselhaften Gedichte, der „exprmntllen Lürick“, und genialen Zeichnungen, der dafür verantwortlich ist, dass Bernstein nie die Gernhardtʼsche Popularität zukam. „Horch – ein Schrank geht durch die Nacht, / voll mit nassen Hemden … / den hab ich mir ausgedacht, / um Euch zu befremden“: Bernsteins zeitlos betörendes Gedicht ist programmatisch: Man möchte meinen, ihm sei es in der Tat darum gegangen, uns zu befremden.

Eckhard Henscheid hingegen ging es, folgt man der Etikettierung seines Werkes als das eines Satirikers und Polemikers par excellence, primär darum, zu provozieren und anzuecken – was tatsächlich einen Teil dieses Werkes prägt (laut Henscheid immerhin rund ein Drittel). Seine Attacken auf so unterschiedliche „Fälle“ wie Helmut Kohl oder Heinrich Böll, Luise Rinser oder Gerhard Zwerenz sind legendär und trugen nicht unwesentlich zu Henscheids Ruhm bzw. Image bei. Das ignoriert jedoch häufig nicht nur den Umstand, dass Henscheids Kritik vor allem Kultur- und Sprachkritik ist, sondern vor allem seine ganz anders gelagerte Prosa wie etwa die „Idylle“ „Maria Schnee“ (1988), d.h. dass Henscheid nicht nur der moralisch-didaktische Zeitkritiker ist, sondern jener große Erzähler, als der er ja auch mit dem wichtigsten Roman der literarischen Hochkomik, den erwähnten „Vollidioten“, zuallererst bekannt wurde.

Wo Henscheid also der schwere Säbel als Waffe zugeschrieben wird, müsste es im Fall F. K. Waechters das Florett sein: Angesichts der feinen Linien seiner Cartoons und Zeichnungen, die Waechter als Doppelbegabung mit dem Schwerpunkt auf der bildenden Kunst ausweisen, wäre eine solche Stigmatisierung nachvollziehbar, sie verkennt jedoch, dass Waechters Humor, wie er sich in seinen kleinen Prosatexten und Minidramen offenbart, ein ausgesprochen schwarzer ist. Dessen subtile Boshaftigkeiten stehen nur in scheinbarem Widerspruch zu dem Arbeitsbereich, dem Waechter seit den frühen 1970ern zusehends mehr Raum zugestand: den preisgekrönten Theaterstücken für Kinder und Jugendliche, in denen sich das die NFS prägende didaktische Motiv der Aufklärung am zukunftsträchtigsten umsetzen ließ.

„Jedesmal, wenn ein gelber oder grüner Lieferwagen eilig um die Ecke kurvt, so dass die Reifen quietschen, muss Herr Domingo lachen.“ Hinter dem dergestalt in Henscheids „Vollidioten“ beobachteten Herrn Domingo verbirgt sich niemand Geringeres als der Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino, der Anfang der 1970er Jahre zum Redaktionsteam der „pardon“ gehörte. Zu Recht erkannte Helmut Böttiger in seinem Radiofeature „Nach 1969 kamen die Vollidioten“ (2019) in dieser Szene eine „Grundsituation der Romane Wilhelm Genazinos“, beginnend 1977 mit dem Debüt „Abschaffel“. Denn die Hochkomik der Genazinoʼschen Prosa beruht in erster Linie auf der Beobachtung kleinster Szenen und der Fallhöhe zwischen deren anscheinender Banalität und ihrer peniblen, oft umständlich wirkenden Beschreibung. Nicht nur der dabei zum Tragen kommende Wortwitz und -erfindungsreichtum, sondern auch die gesellschaftsanalytische Bedeutung belegen Genazinos Prägung durch die alte und neue Frankfurter Schule und deren Humorverständnis, dem er in zahlreichen komiktheoretischen Essays und Vorlesungen auf den Grund gegangen ist.

Genazinos Los, lange Zeit übersehen worden zu sein, hat Ror Wolf zeit seines Lebens geteilt: Er war immer da, mit regelmäßigen Veröffentlichungen, mit vielen Veranstaltungen im Umfeld der NFS, doch nie im Mittelpunkt und oft in seiner Bedeutung verkannt. Wenn ihm etwas Zugang zu einer breiteren Öffentlichkeit verschaffte, dann die Sonette und Collagen zum Thema Fußball, das literarisch zu adaptieren seinerzeit noch nicht so gängig war wie heute, und bei Ror Wolf – ähnlich wie bei Henscheid und Ludwig Harig – naturgemäß zum sprachlichen Ereignis, zur großen Erzählung wird. Letzteres gilt natürlich umso mehr für Wolfs an Daniil Charms erinnernde Kürzestprosa, seine Text-Bild-Collagen, die Hörspiele und Moritaten sowie die idealtypischen Gedichte, die Nonsens in Reinkultur kongenial mit tiefer Bedeutung kombinieren, mithin als prototypisch für das Prinzip der literarischen Hochkomik stehen können.

Für die Generation der durch die NFS mehr oder weniger stark beeinflussten und in ihrer Nachfolge arbeitenden Autoren stehen hier prominent Max Goldt und der 2019 früh verstorbene Wiglaf Droste, die sehr unterschiedliche Facetten der literarischen Hochkomik vertreten, jedoch eine wesentliche Gemeinsamkeit in ihrer sprachkritischen Haltung haben. Für Wiglaf Droste, der 1990/1991 „Titanic“-Redaktionsmitglied war, ist diese Sprachkritik Teil seiner radikalen Position als Satiriker, als der er zweifellos stark von Henscheid beeinflusst ist. Extrem sensibel für alle gesellschaftlichen Missstände, deren Ungeist sich eben bereits im Umgang mit der Sprache ausdrückt, attackierte Droste nicht nur erwartbare Gegner wie zum Beispiel die Bundeswehr, sondern auch die Partei der Grünen, ehemalige DDR-Dissidenten oder radikale Feministinnen – die diversen Skandale, die seine Vita zitieren, verdanken sich mitunter Missverständnissen, waren aber oft unvermeidbar und nicht ungewollt. Der gern gezogene Vergleich Drostes mit Tucholsky ist nicht nur wegen der politisch-satirischen Parallelen nachvollziehbar, sondern zudem dadurch begründet, dass beide in der Lyrik einen Ausgleich zum politischen Tagesgeschäft und seinen Kämpfen fanden: Wenn sich Droste in seinen Glossen um scharfe Präzision bemüht, in deren Genauigkeit und Neologismenfreudigkeit die Quelle seiner komischen Qualität liegt, frönt er in seiner Lyrik einer reimtrunkenen Anarchie, die seine Bewunderung für F. W. Bernstein widerspiegelt.

Komplizierter stellt sich eine knappe Charakterisierung im Fall Max Goldts dar, zumal sich dieser gegen ebensolche Verknappungen stets zur Wehr setzt: Mit Droste teilt Goldt die Sensibilität gegenüber einem sorglosen Umgang mit der Sprache, der für ein entsprechendes Denken steht. Freilich zieht Goldt andere Schlüsse: Statt der klassischen satirischen Agitationen gegen Missstände geht es ihm um „Überlegungen zu richtigem und falschem Verhalten“ (Klaus Cäsar Zehrer), die er vor allem in seinen Kolumnen in der „Titanic“ anstellte (zuvörderst „Aus Onkel Maxʼ Kulturtagebuch“) und die sich notwendigerweise durch äußerste Genauigkeit im Ausdruck auszeichnen. Goldt, der sich in diversen Formaten erprobt – u.a. wie Droste auch als Liedtexter und -vortragender – und dabei sowohl essayistische als auch erzählerische Perspektiven anwendet, schätzt nicht nur die in seinen Glossen hervorragenden überraschenden Wendungen, sondern vor allem in seinen Texten zu Cartoons von Stephan Katz, mit denen er in der „Titanic“ seinem Kulturtagebuch folgte, einen Hang zum Nonsens, wie er der NFS-Tradition entspricht.

*

In seinen 2013 erschienenen „Denkwürdigkeiten“ nahm Eckhard Henscheid das in seiner Gernhardt-Erinnerung angeklungene Motiv vorweg und stellte die Frage, ob „mit dem Auftreten von Namen und Größen wie Polt, Jaeger, Waechter, Bernstein, Gernhardt, mir, Ror Wolf, Goldt, Oliver Schmitt, Oliver Welke, dem jüngeren Harald Schmidt und Hans Zippert gut ein halbes Jahrhundert nach Hüttler die Humorentwicklungsfähigkeit der Deutschen sich entscheidend gebessert hätte“. Beziehungsweise: „sind all diese genannten Namen und Reichtümer und Errungenschaften irgend angekommen im uns so weit bekannten deutschen Volke? Eine der angeblich so geliebten Zeichnungen Waechters, die artistische Gesinnung eines Gernhardt-Gedichtes im Volke, in seinem Alltag, in seinem Straßen- oder wenigstens Wirtshausleben?“ Und antwortet so knapp wie ernüchternd: „Nein.“ Dem ist schwerlich zu widersprechen, aber es soll doch darauf hingewiesen werden, dass das Wirken der Genannten nicht ohne Folgen blieb und bleibt, dass es immer noch und immer wieder Autoren (und wenige Autorinnen) gab und gibt, die sich der literarischen Hochkomik verpflichtet fühlen: Ob Eugen Egner oder Gerhard Henschel, Thomas Gsella oder Marco Tschirpke, Frank Schulz, Sven Regener oder Karen Duve, Fanny Müller oder Simon Borowiak, Helge Schneider oder Funny van Dannen, Tilman Rammstedt oder Wolf Haas – ihrer aller Werke weisen Spurenelemente des NFS- Erbes auf und sorgen auf je eigene Weise dafür, dass die Sache der Humorentwicklungsfähigkeit der Deutschen noch nicht verloren ist.

Peter Köhler

F. W. Bernstein

Zitiert zu werden ist in der Wissenschaft ein Kriterium für die Qualität einer Veröffentlichung, und auch in der Literatur ist der Umstand, in den Zitatenschatz eines Volkes, einer Sprachgemeinschaft eingegangen zu sein, ein Maßstab für Erfolg und Breitenwirkung. F. W. Bernstein ist das gelungen: Sein Zweizeiler „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche“ wurde zum geflügelten Wort, fand Eingang in die 1992 erschienene neunte Auflage von Hermann Pauls „Deutschem Wörterbuch“ und gab einem Satirepreis, dem seit 1997 jährlich vergebenen „Göttinger Elch“, den Namen. Der Autor selbst registrierte diese Wirkung (in einem Interview des Berliner „Tagesspiegels“, 3. 10. 2004) mit ironischer Zufriedenheit: „Längst gehört dieser Elchvers zur lyrischen Folklore, zu den Spruchweisheiten der Steppenvölker, er ist in der sprachlichen Umlaufbahn.“

Man könnte meinen, der Schöpfer eines populär gewordenen Verses sollte selbst populär sein. Doch obwohl der 1938 geborene Fritz Weigle, der sich als Schriftsteller und Zeichner F. W. Bernstein nennt, seit über 40 Jahren publiziert, blieb er lange Zeit ein Geheimtipp. Was er in Wort und Bild schuf, stand jahrelang im Schatten seines berühmten Weggefährten Robert Gernhardt oder wurde sogar diesem irrtümlich zugeschrieben – zum Beispiel der Elchvers.

Dass viele Leser Bernstein und Gernhardt miteinander verwechselten, beider Namen zu „Gernstein“ und „Bernhardt“ vermischten oder sie gar für ein und dieselbe Person hielten, hatte jedoch Gründe: Bernstein und Gernhardt gingen ihre ersten publizistischen Schritte gemeinsam, ja synchron. Beide traten sie im April 1964 in die Redaktion der satirischen Monatszeitschrift „pardon“ ein, für die sie seit 1963 als freie Mitarbeiter Beiträge geliefert hatten; ein gemeinsam geschriebenes und gezeichnetes Buchmanuskript mit dem Titel „Anleitung zur Kunstfälschung und zum Kunstdiebstahl“ hatte 1962 über den Frankfurter Verlag Bärmeier & Nikel, in dem die Zeitschrift erschien, den Kontakt eingeleitet. (Das Manuskript wurde abgelehnt, doch bedienten sich Bernstein und Gernhardt für ihre „pardon“-Artikel daraus.) In Frankfurt lernten sie den Chefgrafiker des Blattes kennen, Friedrich Karl Waechter, mit dem sie in den folgenden Jahren das deutsche Komikschaffen und speziell die deutsche Nonsensliteratur erneuerten und zu den Mitbegründern der Neuen Frankfurter Schule wurden, jener Gruppe von Autoren, die das komische Schreiben und Zeichnen in Deutschland um neue, zeitgemäße Formen, Motive und Stile bereicherten.

Zu dritt entwickelten Bernstein, Gernhardt und Waechter für „pardon“ die Nonsensdoppelseite „Welt im Spiegel“ (abgekürzt: WimS), die ab September 1964 erschien und von ihnen mehr als elf Jahre betreut wurde, und zusammen schrieben und zeichneten sie die fiktive Biografie und Werkschau „Die Wahrheit über Arnold Hau“ (1966); gemeinsam mit Gernhardt publizierte Bernstein schließlich 1976 die Gedichtsammlung „Besternte Ernte“, die vor allem Gedichte aus der WimS versammelte.

Äußerlich eine Parodie der bürgerlichen Massenpresse, gaukelte die WimS, die sich im Untertitel ironisch als „unabhängige Zeitung für eine sauberere Welt“ bezeichnete und sich schein-seriös mit dem platten Motto „pro bono – contra malum“ (Für das Gute – gegen das Schlechte) schmückte, mit verqueren Leitartikeln, drolligen Berichten (Bernstein schrieb z.B. über den „Düsseldorfer Schreitag“), kuriosen Kritiken inexistenter Werke, sonderbaren Essays (Bernstein befasste sich etwa mit der Frage: „Haben wir zu viele Dimensionen?“), surrealen Kurzmeldungen und „Fotoromanen“ wie Bernstein/Gernhardts „Der Biber von Eschnapur“ nicht unbedingt eine sauberere, sondern kurzerhand eine andere als die reale Welt vor: In der WimS entfaltete sich ein anarchisches Nonsens-Universum, in dem – „Nonsens statt Konsens“ – ein lustiger Eigensinn über den herrschenden Realitätszwang triumphierte.

Der Nonsens, den Christian Morgenstern als Genre in der deutschen Literatur begründet hatte, wurde in der WimS modernisiert: erstens durch Aufnahme neuer, auch journalistischer und an sich unliterarischer Gattungen inklusive der Einbeziehung bildlicher Elemente, zweitens durch die Nennung tatsächlicher Personen, Örtlichkeiten und Geschehnisse, durch das Aufgreifen aktueller Anlässe also, die indes nicht satirisch attackiert wurden, sondern als Anlass, Ausgangspunkt, Sprungbrett für eigene, phantasievolle Höhenflüge dienten. Dabei war es vor allem F. W. Bernstein, der in den Anfangsjahren der WimS mit seinen Essays, Berichten, Gedichten, Geschichten und Miniaturen wie dem Nonsensbrief („Liebe Anrede! / Es grüßt Dich / Deine / Unterschrift“) die Glanzlichter setzte und neue Ausdrucksformen entwickelte – die paradoxe Fotobetextung zum Beispiel. Im November 1965 verfasste er in der WimS zu einem Foto von vier Starfightern im Formationsflug den Kommentar: „Zum diesjährigen ‚Tag der Wahrheit‘ zeigten vier Düsenjäger der Volkshochschule in Herne ihr sinnreiches Können: Als Verkörperungen der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Gleichheit und der Ähnlichkeit flogen sie eindrucksvolle philosophische Figuren. WimS sagt ja zu diesem Dienst an der Humanität.“