Gott suchen und finden

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Josef Thorer (Hg.)

Gott suchen und finden

nach Ignatius von Loyola

Josef Thorer (Hg.)
Gott suchen und finden
nach Ignatius von Loyola



Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2013 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: Peter Hellmund Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-429-03589-1 (Print) 978-3-429-04693-4 (PDF) 978-3-429-06092-3 (ePub)

Inhalt
I. Zum Geleit

Vorwort

GERNOT WISSER SJ

Gott begegnen in allem, was zum Leben gehört

SEVERIN LEITNER SJ

Gott suchen und finden in allen Dingen

ADOLFO NICOLÁS SJ

Gott suchen und finden – Antwort auf Fragen

Text: Pedro Arrupe

II. Grundsätzliches

TONI WITWER SJ

»Gott suchen und finden« in Leben, Praxis und Anweisungen des hl. Ignatius

Text: Ignatius von Loyola

DOMINIK MARKL SJ

»Dein Angesicht, GOTT, will ich suchen« (Ps 27,8) Gottes-Sehnsucht in der Bibel

MARTIN HASITSCHKA SJ

Die Welt sehen, »wie sie gebadet ist im Blute Christi«

Text: Jerónimo Nadal SJ

IGNATIUS VON LOYOLA

Betrachtung, um Liebe zu erlangen (GÜ 230–237) – Text

JOSEF MAUREDER SJ

Betrachtung, um Liebe zu erlangen: Hinweise für ein tieferes Verstehen und Beten mit dem Text

BRUNO NIEDERBACHER SJ

Ist Gott in allen Dingen?

Text: Balthasar Alvarez SJ

JOSEF THORER SJ

Den Willen Gottes suchen: Unterscheidung der Geister

Anleitung: Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit (W. Lambert)

ALOIS RIEDLSPERGER SJ

In der gesellschaftlichen Wirklichkeit nach Gottes Absichten fragen

Text: Louis Lallement SJ

BISCHOF MANFRED SCHEUER

Als Kirche in der Spur Jesu vorangehen: Freiheit und Unterscheidung

III. Beiträge aus der Erfahrung

ANTON AIGNER SJ

Die Spur Gottes in der Kunst des Leitens

REINHOLD ETTEL SJ

Glauben erleben in der Begegnung mit Ehepaaren und Familien

Text: Ägid Van Broeckhoven SJ

MARIA FEHR SSJ

Der innersten Sehnsucht auf der Spur

LUIS GUTHEINZ SJ

Ist es möglich, Gott in China zu finden?

Text: Karl Rahner SJ

MAXIMILIAN HEINE-GELDERN SJ

Wohin führt intensives Fragen?

PETRA HIEMETZBERGER CJ

Gott suchen und finden

MARKUS INAMA SJ

Eine Spiritualität, die verändert

Text: Teilhard de Chardin SJ

ELMAR MITTERSTIELER SJ

Meine Gottesbegegnung in der Geistlichen Begleitung

OTTO MUCK SJ

Gott in den Fügungen des Lebens finden

JOSEF A. PILZ SJ

Gedichte

Text: Jean-Pierre de Caussade SJ

RICHARD PLAICKNER SJ

Gott hält sich gern in unseren Gemeinschaften auf!

BEATE REGENSBURGER

»Das Gewicht der Seele ist die Liebe« (Ignatius von Loyola)

Text: Gerald M. Hopkins SJ

GUSTAV SCHÖRGHOFER SJ

Der Gott der Falten

KLAUS SCHWEIGGL SJ

Gott suchen und sich finden lassen

Text: Alfred Delp SJ

JOSEF THORER SJ

»Ich kreise um Gott, um den uralten Turm« Gott suchen und finden in der Dichtung

IV. Anhang

Daten zur Geschichte der österreichischen Provinz SJ

Abkürzungen

Anmerkungen

I. Zum Geleit

Vorwort

Was Ignatius von Loyola durch sein Leben, durch die Exerzitien und durch die Gründung des Jesuitenordens angestoßen hat, ist in der Geschichte der Kirche nachhaltig wirksam gewesen und noch immer lebendig. Die Errichtung der österreichischen Provinz der Jesuiten im Jahre 1563, also vor 450 Jahren, ist Anlass zur Besinnung auf einen Wesenszug ignatianischer Spiritualität: Gott suchen und finden in allen Dingen. Es ist das, was Jesuiten zu leben suchen und Anderen vermitteln möchten. Die Texte bedeutender Jesuiten aus der jahrhundertelangen Geschichte des Ordens zeigen dies.

In grundsätzlichen Ausführungen und in Erfahrungsberichten wird das Thema im vorliegenden Band beleuchtet durch Beiträge, die vorwiegend von österreichischen Jesuiten stammen. Weitere Beiträge bezeugen, dass diese Spiritualität über ihren Kreis hinaus inspirierend ist. Dies für Leser erfahrbar zu machen, ihnen Anstoß und Hilfe für die eigene Suche zu sein, dazu möchte das Buch helfen.

Ich danke allen, die zu seinem Entstehen beigetragen haben, allen Autoren und Autorinnen sowie dem Verlag Echter, der es in sein Programm aufgenommen hat.

Innsbruck, im Jan. 2013Josef Thorer SJ

GERNOT WISSER
Gott begegnen in allem,
was zum Leben gehört

Gott suchen und finden in allen Dingen, dazu fordert uns der hl. Ignatius auf. Diese Dinge, die Ignatius in den Sinn kommen, in denen wir Gott begegnen können, sind nicht nur Gegenstände, sondern das ganze Leben: Arbeit und Erholung, Essen und Trinken, Gebet und Schlaf. Dementsprechend gibt es für Ignatius auch keine auserwählten, besonderen Orte der Gottesbegegnung wie Kirchen und Kapellen. Gott ist ein Gott des Alltags und will dort gesucht und gefunden werden. Ignatius meinte auf die Frage, warum er seinem Orden nicht das Chorgebet verordnet hat, es solle alle Welt sehen, wenn die Jesuiten nichts arbeiten. Jesuiten sollen sich also nicht hinter den Gebetszeiten verstecken können, da das ganze Leben diese Gebetszeit ist, nicht in der Ausschließlichkeit der kontemplativen Gebetsweise, sondern in der Einschließung von Tun und Beten. Die Geschichte der letzten 450 Jahre der Jesuiten in Österreich als eigener Leib mit seinen Gliedern (Provinz) kann davon Zeugnis geben, inwieweit es uns Jesuiten gelungen ist, das zu leben und auch zu vermitteln. Gottes Präsenz oder manchmal auch seine empfundene Absenz sollen das eigene Leben durchdringen, die Gottesferne als Zeit der Trockenheit und der spirituellen Nacht, die Gottesnähe als beglückendes Gelingen von Leben erfahren werden. Gott suchen und finden in allen Dingen ist kein spiritueller Schatz, den wir für uns selbst gefunden hätten und nun für uns hüten. Wovon wir Jesuiten begeistert und entflammt sind, das wollen wir mit anderen teilen, auf diese Erfahrungen möchten wir andere hinweisen, um so in Offenheit den Glauben vorzuschlagen, damit er in Freiheit angenommen werden kann. Wir sind durch Jesus Christus in Dienst genommen und zu den Menschen gesandt, um ihnen zu helfen, ihren Glauben und damit ihr Leben besser zu leben, oder wie Ignatius sagt, den Seelen zu helfen. Wir sind Gefährten Jesu für die Menschen.

 

Gernot Wisser SJ ist seit Juli 2008 Provinzial der österreichischen Provinz der Jesuiten. Er lebt in Wien.

SEVERIN LEITNER
Gott suchen und finden
in allen Dingen

Es ist ein Kennzeichen der Spiritualität des hl. Ignatius, dass er von Anfang an konsequent auf alle monastischen Elemente für das Gemeinschaftsleben verzichtet hat. Kein Kloster. »Unser Haus ist die Welt« hat Nadal, sein Schüler, gesagt. Keine Ordenstracht. Nur das Gewand ehrbarer Priester und als innere Haltung die Diensttracht Christi, so lesen wir in den Satzungen. Kein Chorgebet. Stattdessen das einfache und einzeln gebetete Stundengebet, verbunden mit dem Bemühen, »Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden« – so betont Ignatius unaufhörlich in Briefen an die Gefährten. Diese reduktionistische Haltung gegenüber allen äußeren Zeichen steht ganz im Dienste der apostolischen Sendung: Die Mitglieder der Gesellschaft Jesu müssen bereit sein, »viele Orte zu durchwandern«, im Dienst der Kirche und des Evangeliums, auch in Ländern, in denen es kein Ordenshaus gibt, in das man sich zurückziehen und keinen Oberen, mit dem man sich beraten kann.

Die Grundhaltung für dieses Leben war eine vorbehaltlose Liebe zu Christus und ein felsenfestes Vertrauen auf den dreifaltigen Gott, der die Gefährten – die Mitglieder des Ordens bezeichneten sich von Anfang an als »Gefährten Jesu« – in seine besondere Nachfolge gerufen hat. Beide Haltungen werden in den Exerzitien des hl. Ignatius eingeübt und praktiziert. Dazu kam von Anfang an eine lange und gründliche intellektuelle, wissenschaftliche, sprachliche und charakterliche Schulung, die den Jesuiten befähigen sollte, den Glauben und das Evangelium darzulegen, die Kirche zu verteidigen und den Menschen in ihren menschlich-seelischen Nöten zu helfen. Dies ist Spiritualität des Unterwegssein in einer Sendung der Kirche. Sie hat den Jesuiten in allen Zeiten bis heute die Kraft und die Klarheit gegeben, das Evangelium in universeller Weite zu verkündigen und den Menschen in hingebungsvollem Dienst zu helfen. Das Bewusstsein, dass Gott überall beim Jünger ist und in allem gefunden und ihm in allem gedient werden kann, im ganz normalen alltäglichen Dienst oder in extremen Situationen von Verfolgung, ja, sogar Martyrium, hat den Jesuiten die innere Kraft, Ausdauer und Weite gegeben.

Severin Leitner SJ ist seit 2012 Berater des Generaloberen der SJ in Rom und Assistent für Zentral- und Osteuropa.

ADOLFO NICOLÁS
Gott suchen und finden –
Antwort auf Fragen
1. Gott suchen und finden: Welche Entwicklungsstufen im Verstehen und Verwirklichen gibt es in Ihrem Leben?

Ich denke, es geht weniger um Entwicklungsstufen, als darum, Gott zu suchen. Wenn man keine Überraschung von Gott erwartet, wird man ihn nie finden. Es verhält sich oft so wie beim Gebet, wir bekommen nichts, weil wir um nichts beten, um nichts bitten, nichts erwarten. Wenn wir Jesus im Evangelium sagen hören: »Suche und du wirst finden«, denke ich, dass er sich vor allem auf die Suche nach Gott bezieht. Es ist interessant, dass wir viele Male auf ein Bild schauen und wichtige Details übersehen können, die wir nur beachten, wenn jemand anderer uns darauf hinweist. Unsere Welt, unsere Wirklichkeit ist voller Zeichen von Gottes Gegenwart; wenn wir nicht offen dafür sind, können unsere Augen auf dieser wunderbaren Welt ruhen und trotzdem das beste übersehen. Es ist genauso wie bei den hölzernen Götzenbildern des Psalms, die »Augen haben, aber nicht sehen«.

Dasselbe kann man über die Menschen sagen. Es ist so einfach, über Andere zu urteilen, ihr ganzes Leben zu reduzieren auf einen winzigen Fehler. Das ist die Wurzel jeden Vorurteils, sei es nun persönlich oder national wie auch ethnisch. Das ist der Stoff für Witze, die gewöhnlich ihren Grund in einer Karikatur der Wirklichkeit haben. Aber wenn man eine Person trifft und in der Begegnung einen Einblick in ihr Herz bekommt, verschwinden alle Witze, und was bleibt ist das Wunder und die Spur Gottes in dieser Person. So war es bei mir. Superior und später Provinzial zu werden öffnete mir diese Tür zu den Herzen Anderer. Damals erfasste ich, dass ich diese Jesuiten nicht wirklich kannte, bis sie ihr Herz öffneten … und Gott war da, verdeckt hinter manchen Fehlern und Schwächen. Sein Bild war verschwommen und fast unsichtbar geworden aufgrund der oberflächlichen Urteile und der Nachreden, die wir so leicht in Gerüchten verbreiten, ohne nach ihrer Wahrheit zu fragen.

Diese Erfahrung, das Unerwartete im Herzen meiner Mitbrüder zu finden, machte mich aufmerksamer auf das Unerwartete in jeder Angelegenheit. Sie ließ mich fragen: Was suche ich in der Welt, in der ich lebe? Beschränke ich mich auf die Produkte, die der Markt als beachtenswert vorschreibt? Dann würde ich Bequemlichkeit, Macht, Sex, Ansehen und Erfolg suchen. Oder suche ich Gott, Güte, Gerechtigkeit, Großzügigkeit und Weite des Herzens? Das macht den Unterschied!

2. Sie haben in fremden Ländern gearbeitet: Wie gelang es Ihnen, Gott in einer fremden und unbekannten Kultur zu finden?

Für mich war es eine weitere Erfahrung, dass wichtige Dinge nicht leicht oder schnell vonstatten gehen. Ich musste in diesem Bereich wachsen durch verschiedene Stadien hindurch, die ich weder geplant hatte noch planen konnte. Zuerst musste ich frei werden von Vorurteilen, die wir alle in uns tragen. Und ich spreche hier nicht nur vom kulturellen Vorurteil, sondern hauptsächlich vom »religiösen« Vorurteil.

Eine meiner letzten Aufgaben in Japan war die eines Komoderators in einer öffentlichen Diskussion zwischen einem französischen Missionar und einem japanischen Franziskaner über die Bedeutung des Gleichnisses vom Sämann. Der Missionar bot die traditionelle Auslegung von Mission als Aussäen des Wortes Gottes für eine zukünftige Ernte, die verborgen oder in der Hand Gottes bleibt. Der Franziskaner, der zufällig auch ein Bibelkenner war, sprach vom Heiligen Geist, der in den Herzen der Menschen wirkt und der eigentliche Sämann ist; die Gegenwart und die Arbeit des Missionars ist mehr eine Zeit der Ernte, des Einsammelns der Früchte des Wortes Gottes in den Herzen der Menschen. Ich bin kein Bibelgelehrter und kann nicht beurteilen, welche Auslegung besser ist. Ich kann mich nur daran erinnern, dass die Sicht des Franziskaners mich als sehr hoffnungsvoll, offen, großmütig, inspirierend beeindruckte. Sie war auch die Antwort auf die immer überraschende Erfahrung der Begegnung mit nichtchristlichen Männern und Frauen, die eine solch tiefe Liebe leben und ausdrücken, ein Mitgefühl und eine Menschlichkeit, dass sie nur aus der Perspektive Gottes her erklärt werden können.

Die jüngste Erfahrung der dreifachen Katastrophe in Japan1 und die Art der Reaktion, mit großer Würde, Ruhe, Solidarität und Mitgefühl, kann man nur verstehen, wenn man daran glaubt, dass Gott im Herzen der Menschen wirkt, und wenn man die menschlichen und religiösen Werte berücksichtigt, die in die japanische Kultur eingegangen sind. Gott in einer fremden Kultur zu finden, ist keine theoretische Frage, bei der es darum geht, dass eine bestimmte Auffassung bestätigt oder widerlegt wird; es geht vielmehr um einen tieferen Blick, der das Vordergründige übersteigt, und der die Herzen in einer Tiefe berührt, in der sie unantastbar sind.

3. Wo sehen Sie gegenwärtig Aufbrüche, in denen Gott am Werke ist?

Vielleicht kann ich an diese Frage mit einer kleinen Geschichte herangehen: Einer alten Familientradition folgend nahm eine Dame ein sehr junges, blindes Mädchen, das auf der Straße bettelte, zu Weihnachten zu sich nach Hause. Wie gewöhnlich bekam das Mädchen ein heißes Bad, ein hübsches und bequemes Kleid und ein gutes, schmackhaftes Essen. Nach all dem fragte das Mädchen unschuldig: »Bist du Gott?« Die Dame antwortete: »Nein, nein. Ich bin nur seine Tochter«. Worauf das Mädchen bemerkte: »Ja, ich wusste, du gehörst zur Familie«!

Ich denke, das ist die Art, in der wir Gott begegnen, oder wie wir – im Wortlaut Ihrer Frage – Aufbrüche sehen, Zeichen seiner Gegenwart: immer, wenn etwas in unserer Umgebung geschieht, das die Qualität der Liebe, der Schönheit, des Mitgefühls, der Gerechtigkeit, der Freude und Hoffnung, der Güte in ihren vielen und reichhaltigen Formen steigert. Es ist die Überraschung des Unerwarteten, denn es bereichert uns Menschen; die Freude der Begegnung, die von Hoffnung spricht, trotz allem; der Friede, den wir erfahren, wenn wir begreifen, dass Güte immer größer und tiefer ist als all die schlechten Nachrichten, mit denen wir ständig zu tun haben.

Und so sehe ich Gott am Werk in den Jungen, die Solidarität und Mitgefühl mit denen empfinden, die weniger haben oder leiden … und die dafür etwas tun. Ich sehe Gott am Werk in so vielen Ordensleuten, die alles verlassen und das Risiko auf sich genommen haben dorthin zu gehen, wohin niemand gehen will, und Krankheit, Notsituationen und sogar den Tod riskieren. Ich sehe Gott am Werk in Kindern, die sich öffnen für alles, in Müttern, die sich ganz für ihre Kinder einsetzen, in Vätern, die an ihrem Arbeitsplatz aushalten, trotz Fehlens eines ausreichenden Gehaltes, des beruflichen Ansehens oder einer speziellen beruflichen Qualifikation, um ihrer Familie den Lebensunterhalt, Ausbildung und Hoffnung zu sichern. Es ist so offenkundig, dass Gott die Menschheit nicht aufgegeben hat, sondern sie weiterhin erfüllt mit seiner Gegenwart!

4. Wie sehen sie die Herausforderungen/Probleme/Chancen, Gott in einer säkularisierten Welt zu finden?

Ich denke, dass die Antwort schon in der vorangegangenen Erläuterung gegeben wurde. Ich glaube, dass der Geist Gottes immer am Werk war und weiterhin in den Herzen und in den wichtigen Realitäten der Menschen wirkt. Das hat sich nicht geändert durch die sogenannte »Säkularisierung« unserer modernen Welt. Wir mögen vielleicht weniger wahrnehmungsfähig und aufmerksam geworden sein, aber die Gegenwart Gottes bleibt Teil unserer menschlichen Erfahrung. Ein Jesuit und Freund sandte mir eben erst das Gebet einer Nonne aus dem 17. Jahrhundert, in dem wir diesen Satz finden: »Gib mir, Gott, die Fähigkeit, die Güte an unerwarteten Orten zu sehen und die Gaben in Menschen, von denen ich nichts erwartet hätte.«

Die Welt ist weiterhin voll von Überraschungen und das menschliche Herz ist weiter damit beschäftigt, auf die Herausforderungen unserer Welt mit Mitgefühl und Großzügigkeit zu antworten. Wir haben heute mehr humanitäre und Hilfsorganisationen als wir jemals in der Vergangenheit hatten. Und wenn wir von den Jungen nicht die Antwort erhalten, die wir auf manchen Gebieten erwartet haben, dann sagt uns dies eher etwas über unsere fehlende Kreativität, die Herausforderungen klar zu benennen und zugleich Lösungsmöglichkeiten anzubieten, als über das Fehlen solcher Antworten.

Adolfo Nicolás SJ ist gebürtiger Spanier und seit 2008 Generaloberer der SJ. Er lebt in Rom.

Pedro Arrupe

Unser Ziel ist, Männer zu werden, die wie Ignatius in einer langen, nie endenden Erfahrung des Herrn erzogen, ständig auf der Suche nach dem Herrn sind und auf ihn hören und sich einen gewissen übernatürlichen Spürsinn dafür aneignen zu erkennen, wo er ist und wo er nicht ist.

Dieser Geist der Unterscheidung mit seinen unumgänglichen Aspekten ist Grundlage und Voraussetzung für jede Evangelistentätigkeit. Ohne diesen Geist ist dieses Wirken nicht mehr authentisch und, statt die Kirche und die Gesellschaft aufzubauen, zerstört es sie.

 

P. Pedro Arrupe SJ, Die Eigenart unserer Gesellschaft. Geistliche Texte SJ, Nr. 6, (München 1982), 37–38.

Pedro Arrupe SJ (1907–1991) wurde 1965 zum Generaloberen der SJ gewählt und übte dieses Amt bis zu seinem Schlaganfall 1981 aus.

II. Grundsätzliches

TONI WITWER
»Gott suchen und finden« in Leben,
Praxis und Anweisungen
des hl. Ignatius

Leben, eigene Praxis und geistliche Anweisungen für andere hängen eng miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig. Der genauere Blick auf diese drei Aspekte der Gott-Suche und ihre Beziehung zueinander ist jedoch nicht nur wichtig, um dieses Wesensmerkmal ignatianischer Spiritualität tiefer verstehen, sondern auch um andere besser in diesem Geiste begleiten zu können.

In seinem Leben

Zu einem wirklich Gott – und nicht nur sich selbst – suchenden Menschen wurde Ignatius erst, nachdem ihn Gott »heim-gesucht« und so seine Lebenspläne »durchkreuzt« hatte, auch wenn ihm dies selbst erst nach und nach deutlich werden sollte. Vor seiner Verwundung in Pamplona und dem Krankenlager in Loyola war er zwar ein gläubiger Mensch, jedoch keiner, der wahrhaft auf der Suche nach Gott war. Wie dem Paulus vor Damaskus stellte Gott sich auch dem Ignatius gleichsam in den Weg und ließ seine schwere Verwundung, die ihn bis an den Rand des Todes führte (vgl. BP 3), zur inneren Frage werden: »Was suchst du? Wen suchst du?« (vgl. BP 7).

Zwar noch ganz auf sich selbst bezogen und in Gedanken mit seiner weiteren Karriere beschäftigt (vgl. BP 4–6), erfuhr er in seiner Krankheit erstmals in tieferer Weise die Grenzen seines Lebens und die eigene Schwachheit – und »fand« so wirklich Gott. Durch die Erfahrung der eigenen Abhängigkeit – die Erfahrung seines Geschaffenseins – gelangte er zur Erfahrung und Erkenntnis Gottes, d.h. er wurde dort auf Gott wahrhaft aufmerksam, wo er erkannte, wie sehr sein ganzes Leben von Gott abhängt.

Diese gleichsam erste und grundlegende Erfahrung Gottes weckte in ihm das Verlangen, sich weiter mit Gott zu beschäftigen und nach diesem zu »suchen«. Begonnen hatte diese Suche mit der wachsenden Aufmerksamkeit für die Gegenwart und das Wirken Gottes in seinem Leben und im Verspüren der Verschiedenheit der geistlichen Bewegungen (vgl. BP 8), – und sie wurde in dem Maße immer lebendiger, wie er Gott dank dessen entgegenkommender Liebe »finden« konnte, d.h. das »Gefundene« – die Erkenntnis und Erfahrung Gottes – wurde für ihn zum Stimulus für die weitere Suche.

In seinem Nachdenken über sein Leben erkannte er nicht nur seine Schuld und die Notwendigkeit der Buße und Umkehr (vgl. BP 9), sondern er wurde auch schrittweise sensibel für die Berufung: er spürte, dass Gott von ihm etwas wollte und einen Plan mit ihm hatte. In seinem Verlangen, die Heiligen nachzuahmen (vgl. BP 7 u. 9) und ein ganz auf Gott ausgerichtetes Leben zu führen, blieb er jedoch zunächst beim Vertrauen auf sich selbst stecken und war noch nicht zu einem wirklichen Vertrauen auf Gott fähig. Seine »Suche nach Gott« beschränkte sich in dieser Phase weitgehend auf eine Suche nach der eigenen Vollkommenheit – durch das Nachahmen der Heiligen – und glich damit der Frage des reichen Mannes: »Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?« (Mk 10,17).

Diese Frage, wie sein Leben in Zukunft weitergehen sollte, und der Versuch, sich durch Bußübungen, Fasten und lange Gebetszeiten selbst zu vervollkommnen, hatten eine wachsende Skrupelhaftigkeit zur Folge und führten ihn in eine tiefe Krise – bis zum Gedanken, sich das Leben zu nehmen (vgl. BP 22–24). Erst durch dieses neuerliche und noch tiefere Stoßen an die eigenen Grenzen begriff er, dass alles, was er zu tun vermochte, von der Hilfe Gottes abhängig war. Er wurde sensibel für die Gnade und Führung Gottes, der er sich anvertrauen und von der er später bekennen konnte: »In dieser Zeit behandelte Gott ihn auf die gleiche Weise, wie ein Schullehrer ein Kind behandelt, wenn er es unterweist« (BP 27).

Innerlich offen und empfänglich für Gott, konnte ihm dieser die tiefsten Geheimnisse des Glaubens geschenkhaft erkennen lassen (vgl. BP 28-30). Das Vertrauen in Gott befreite ihn nicht nur von der skrupelhaften Besorgtheit um sich selbst und sein eigenes Heil, sondern es erwies sich auch als die Basis für das eigentliche »Finden« Gottes. Die empfangene Erkenntnis über die Dinge des Glaubens bestimmte fortan sein Leben – »Und dies bedeutete, in so großem Maß mit erleuchtetem Verstand zu bleiben, dass ihm schien, als sei er ein anderer Mensch und habe eine andere Erkenntnisfähigkeit, als er je zuvor hatte« (BP 30) – und sie gab ihm die Gewissheit, immer und in allem mit Gott verbunden zu sein. Diese tiefe Verbundenheit mit Gott, die ihm in Manresa geschenkt worden war, ist das grundlegende Kennzeichen seiner Art, »Gott zu suchen und zu finden«. Hieronymus Nadal beschrieb sie kurz nach seinem Tod als »contemplativus in actione«, um so zu verdeutlichen, wie Ignatius in allen Dingen, Handlungen und Gesprächen die Gegenwart Gottes fühlte und betrachtete, d.h. wie er Gott in allen Dingen fand.2

Sein »Gott suchen und finden« ist jedoch nicht nur durch die genannte Art und Weise charakterisiert, sondern ganz entscheidend durch seine Beziehung zu Jesus Christus. Zwar wurde seine »Suche nach Gott« schon auf dem Krankenlager in Loyola zunehmend zu einer »Suche nach Jesus Christus«, doch sah er diesen zunächst vor allem als Maßstab, an dem er sein Leben zu messen suchte. Er wollte Jesus – wie die Heiligen – nachahmen und betrachtete ihn als Vorbild, das er so genau wie möglich zu kennen trachtete: besonders durch das Schreiben und Einprägen seiner Worte (vgl. BP 11) und durch den Plan der Wallfahrt nach Jerusalem (vgl. BP 9, 12, 16). Wie sehr er jedoch Jesus Christus anfangs recht äußerlich betrachtete, zeigt sein Erschrecken angesichts des Wunsches einer betagten Frau in Manresa, Jesus möge ihm doch eines Tages erscheinen (vgl. BP 21). Erst die tiefe Erfahrung seiner Erlösungsbedürftigkeit und die geistlichen Erkenntnisse in Manresa lassen ihn zunehmend die Beziehung zum Herrn suchen, sodass dieser immer mehr sein »Lehrer und Meister« wird, der ihn auf seiner Wallfahrt führt und ihm erscheint (vgl. BP 41, 44, 45 u. 48).

Die »Suche nach Gott« half Ignatius, »Gott in Jesus Christus zu finden«, und dies trieb ihn dann auch an, stets von neuem nach »Gott in der gelebten Beziehung zu Jesus Christus zu suchen«, d.h. seine »Suche nach Gott« wurde immer mehr zu einer »Suche nach Christus«. Damit hatte sich aber auch seine »Suche nach Gott« selbst nochmals verändert: Sie galt nicht mehr einer bloßen »Suche nach dem Willen Gottes« und einem damit verbundenen »Erfüllungsgehorsam« – einem Leben nach den Geboten Gottes, um sich selbst zu erlösen – sondern sie wurde zu einer »Suche nach der Beziehung zu Gott« und dem Mühen um einen »Verstandesgehorsam« – aus dem Verlangen um die größtmögliche Teilhabe an »Wesen und Gestalt seines Sohnes« (vgl. Röm 8,29) in einem Leben nach den evangelischen Räten.

Die »Suche nach Gott« ließ ihn aber auch immer mehr »sich selbst finden«, weil er nicht mehr in der Suche nach einer selbst erträumten Lebenswirklichkeit stecken blieb, sondern vielmehr die Konkretheit seines Lebensalltags als Gabe Gottes zu erkennen und als Auftrag an sich selbst wahrzunehmen vermochte: als die Einladung, sich selbst mit allem in Liebe Gott anzubieten.