Geist & Leben 4/2019

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Geist & Leben 4/2019
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Inhalt

Heft 4 | Oktober-Dezember 2019

Jahrgang 92 | Nr. 493

Notiz

Zeit der Kathedralen Edith Kürpick FMJ

Nachfolge

„Der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“. P. Augustin Rösch SJ (1893–1961)

Alfred Wolfsteiner

Die dritte Woche der ignatianischen Exerzitien. 10 Thesen

Hermann Kügler SJ

Schweigen als Weg und Ziel. Meditation in der Stille bei Johannes Tauler

Henrik Otto

Nachfolge | Kirche

Gottesdienst und Gebet im Judentum. Eine christliche Perspektive Hans H. Henrix

„Gott ist gegenwärtig“. Gerhard Tersteegen und sein bekanntestes Lied

Martin Evang

Hugo Rahner. Theologe in Brüchen der Zeit

Stefan Hofmann SJ

Nachfolge | Junge Theologie

Menschenwürde trotz Leiden Daniela Köder

Reflexion

Show, don’t tell! Ein dramatischer Zugang zur Bibel

Nils Bohnen

Unversöhnt – Erlöst? Hoffnung auf allumfassende Versöhnung

Florian Kleeberg

Beruf und Berufung in der Schule. Die Graswurzelspiritualität der Laienbewegung „Les Davidées“

Markus Kneer

Lektüre

Im Licht der Genesis. Mein Leben neu betrachten

Bruno Régent SJ

Karl Rahners „Strukturwandel der Kirche“. Zur Neuauflage eines Klassikers

Andreas R. Batlogg SJ

Buchbesprechungen; Jahresinhaltsverzeichnis

Impressum

GEIST & LEBEN – Zeitschrift für christliche Spiritualität. Begründet 1926 als Zeitschrift für Aszese und Mystik

Erscheinungsweise: vierteljährlich

ISSN 0016–5921

Herausgeber:

Deutsche Provinz der Jesuiten

Redaktion:

Christoph Benke (Chefredakteur)

Britta Mühl (Lektorats-/Redaktionsassistenz)

Redaktionsbeirat:

Bernhard Bürgler SJ / Wien

Margareta Gruber OSF / Vallendar

Stefan Kiechle SJ / Frankfurt

Bernhard Körner / Graz

Edith Kürpick FMJ / Köln

Ralph Kunz / Zürich

Jörg Nies SJ / Rom

Klaus Vechtel SJ / Frankfurt

Redaktionsanschrift:

Pramergasse 9, A–1090 Wien

Tel. +43–(0)664–88680583

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Edith Kürpick FMJ | Köln

geb. 1967, Priorin der Monastischen Gemeinschaft der Schwestern von Jerusalem, Köln

priorin.koeln@jerusalemgemeinschaften.de

Zeit der Kathedralen

Als am Abend des 15. April 2019 Notre-Dame de Paris zu einem einzigen Flammenmeer wurde, brannten nicht nur Holz und alte, vor Jahrhunderten gesalbte Steine. Es brannten auch alte Mauern zwischen denen, die an den Himmel glauben und denen, die nicht an ihn glauben. „Mit anzusehen“, schrieb am nächsten Tag die kommunistische Tageszeitung L’Humanité, „wie der Vierungsturm dieses heiligen Bauwerks, das doch die Erde mit dem Himmel und die Menschen mit ihren Träumen verbindet, in sich zusammenstürzte, brach selbst das Herz der Abgehärtetsten.“1 Fünf Tage später notierte aus der Ferne ein ebenso unverdächtiges Magazin: „Notre-Dame de Paris gehört, das konnte man ahnen, aber seit Montag steht es fest, zu den Quellen, aus denen die Menschheit Kraft und Gewissheit schöpft.“2 Noch am gleichen Abend war klar: Die Kathedrale wird wieder aufgebaut. Schnell, innerhalb von fünf Jahren, fordert der ehrgeizige Präsident. Schritt für Schritt, nach den genauen Regeln des Denkmalschutzes, mahnen die Experten. Originalgetreu, mit einem Spitzturm wie aus dem 19. Jahrhundert, verlangen die einen. Originell und kreativ, als Ausdruck unserer Zeit, insistieren die anderen. Als Haus Gottes und des Gebetes, beharren die Christen. Als Bauwerk nationaler Identität und Versammlung, drängen die Laizisten. Und so steht sie heute da: „gerettet, doch so wie durch Feuer hindurch“ (1 Kor 3,15), erhalten, Gott sei Dank, in ihrer Bausubstanz, das leuchtend goldene Kreuz in ihrer Mitte und die Gottesmutter immer noch an ihrem Pfeiler – aber ansonsten schwer verwundet, angeschwärzt, eingerüstet und wohl immer noch nicht ganz gesichert. Ein stummes Gleichnis der Kirche in schwieriger Zeit.

Vor Jahrzehnten, als ganz Europa in Schutt und Asche lag, schrieb Gertrud von Le Fort ein heute vergessenes Gedicht3. Sie widmete es den zerstörten Domen mit ihrem entschmückten Antlitz und ihren fallenden Türmen, von denen sie ahnte: Sie stürzen uns doch ins Herz! Das Innere, die Seele, aus der sie einst geboren wurden, erschien ihr jetzt als deren lebendiges Grab, dessen Liebe sie aber schon zu Auferstandenen machte. Vielleicht teilte sie damit die Intuition eines anderen Zeugen, Alfred Delp, der mit gefesselten Händen auf ein Stück Papier kritzeln konnte: „Von innen her muss man alles neu beginnen.“4 Von innen her, auch heute noch, wo doch alles nach Ausdruck ruft. Auch bei der Erneuerung der Kirche.

Mit den Händen ist das so eine Sache. Die sind uns in der Regel nicht gefesselt, aber dennoch oft gebunden durch ein massives Gefühl der Ratlosigkeit, Ohnmacht und Resignation. Wofür legt man schon die Hand ins Feuer? Andererseits vergeht kaum ein Tag, an dem die Gläubigen nicht umworben, eingeladen oder aufgefordert werden, Neuaufbrüche anzupacken und mitzugestalten. „Geh und stell mein Haus wieder her“, hatte Franziskus eines Tages gehört. Doch wissen wir längst, dass ein Neubeginn nicht einfach das Werk eines Einzelnen ist, auch nicht nur das des Papstes, der heute diesen Namen trägt. Dass es im Grunde noch nicht einmal Menschenwerk, sondern Gottes Werk ist, als solches dann aber wieder ein Werk für lange Zeit und viele Hände; ein Werk, das sich einschreibt in eine lebendige Tradition, die nicht mit uns beginnt und auch nicht mit uns untergeht. Es wird uns die Sorge aus dem Herzen genommen, wir müssten alles tun. Ja, wir sollen mit Hand anlegen … doch ohne die Hand auf etwas zu legen, ohne Hand an jemanden oder etwas zu legen: der gierige Griff nach Macht, sei er nun männlich oder weiblich, war Jesus zeitlebens fremd; die Anmaßung, alles im Griff zu haben, entspricht auf keiner Seite der Bibel seinem Weg; die Effizienz der schnellen Gewalt missachtet seine freilassende, frohmachende Botschaft.

Wer zweifelt noch daran, dass es männliche und weibliche Hände braucht, um die Kirche mithilfe des Geistes aufzurichten? Dort, wo es nicht mehr nur um ein unverbundenes Nebeneinander oder ein unausgesprochenes Gegeneinander geht, da kann eine Berührung geschehen, die nicht zugreift, sondern ein Dazwischen ermöglicht, einen Freiraum, der etwas Kostbares birgt, das uns aufeinander bezieht und zugleich über uns hinausweist. Einen weiten Raum, in dem alle mit ihren brennenden Wunden einen Platz finden, um dort, wie es in einem alten Gebet der Pariser Kathedrale heißt, „Hilfe für die Notleidenden, Unterstützung für die Armen, Trost für die Weinenden, Heilung für die Kranken zu erlangen“. Nur gemeinsam werden wir zu Hüter(inne)n einer Verheißung, die die Erneuerung immer wieder von innen her beginnen lässt. Vielleicht kann man uns auch nur so „anspüren, dass wir aus Geheimnissen leben“.5 Auch dafür gibt es ein Gleichnis. Rodin hat es durch zwei rechte Hände ausgedrückt, eine männliche und eine weibliche Hand, die im Moment der behutsamen Annäherung einen offenen, aber geschützten Raum entstehen lassen. Die Skulptur heißt: „Die Kathedrale“.

 

1 Vgl. URL: https://www.humanite.fr/les-passagers-de-la-cathedrale-670994 (Stand: 09.07.2019).

2 Der Spiegel 17/20. April 2019, 112.

3 G. von Le Fort, Den zerstörten Domen, in: dies., Gedichte. Wiesbaden 1949, 42.

4 A. Delp, Kassiber. Frankfurt/M. 1987, 33.

5 A. Delp, Das Menschenbild der Konstitutionen der Gesellschaft Jesu, in: F. Schulte (Hrsg.), Allen Dingen gewachsen sein. Frankfurt/M. 2005, 260.



Alfred Wolfsteiner | Schwarzhofen

geb. 1954, Dipl.-Bibliothekar, ehem. Leiter der Stadtbibliothek Schwandorf, verheiratet

Alfred.Wolfsteiner@gmx.de

„Der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“

P. Augustin Rösch SJ (1893–1961)

Am 30. September 1944 erschien der folgende Steckbrief in einer Sonderausgabe des „Deutschen Kriminalpolizeiblatts“: „Seit dem 25. August 1944 ist wegen Beteiligung an den Ereignissen am 20. Juli 1944 aus München flüchtig: Rösch, Augustin, geboren am 11. Mai 1893 in Schwandorf in der Oberpfalz, Jesuitenpater und Provinzial der oberdeutschen Provinz der Jesuiten, zuletzt wohnhaft München 22, Kaulbachstraße 31a, Ignatiushaus. Flüchtig seit etwa 25. August 1944, etwa 1,70 m groß, untersetzt, blonde Haare, längliches, schmales Gesicht, leicht vorgebeugte Haltung, spricht hochdeutsch, erweckt den Anschein eines biederen Geschäftsmannes. Trägt mit Vorliebe schwarzen Lodenmantel. Es ist anzunehmen, dass er sich noch innerhalb der Reichsgrenzen aufhält und entweder in Klöstern oder bei kirchlich gebundenen Personen Unterschlupf gefunden hat. Bei Ergreifung absolut sichere Überstellung an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin!“1

Wer war dieser Augustin Rösch?2 Mit dem kirchlichen Widerstand im Dritten Reich werden heute vor allem Namen wie P. Alfred Delp oder Dietrich Bonhoeffer in Verbindung gebracht. Der Name von Augustin Rösch ist wohl den Wenigsten ein Begriff. Das hängt sicher damit zusammen, dass Rösch den Nationalsozialismus nur durch einen glücklichen Zufall überlebte, denn der oben erwähnte Steckbrief führte schließlich im Januar 1945 zu seiner Verhaftung.

Erst lange nach seinem Tod, im Jahre 1961, wurde die Bedeutung Röschs für den kirchlichen Widerstand erkannt. Er selbst hat in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum über diese Jahre gesprochen, obwohl er sich als Provinzial der oberdeutschen Ordensprovinz und Vorgesetzter von P. Rupert Mayer und P. Alfred Delp intensiv mit den Nationalsozialisten auseinandersetzen musste. P. Augustin Rösch und sein damaliges Handeln ist zu Unrecht vergessen. Er war zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigen Platz.

Jugend, Noviziat, Soldat (1893–1918)

Augustin Rösch verlebte im oberpfälzischen Schwandorf als der zweitgeborene „Gustl“ eine behütete Kindheit im Kreis seiner sechs Geschwister. Er schreibt später, er habe das Glück gehabt, „katholische, herzensgute Eltern“ bekommen zu haben. Der unerschütterliche Glaube, den ihm seine Eltern mitgegeben hatten, trug ihn sein ganzes Leben.

Der Vater, Oberlokomotivführer, ließ sich im Jahre 1900 nach Rosenheim versetzen, um seinen Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Rösch hatte sich während des Besuchs des Rosenheimer Gymnasiums zum Priesterberuf entschlossen und wechselte daher ins bischöfliche Studienseminar nach Freising. Exerzitien während der Sommerferien in Innsbruck brachten ihn mit dem Jesuitenorden in Kontakt. Missionar zu werden war schließlich sein oberstes Ziel.

Am 14. September 1912 trat Rösch ins Noviziat des Ordens in Feldkirch-Tisis in Vorarlberg ein. Gerne hätten die Novizen zum 100. Jubiläum der Neuerrichtung des Gesellschaft Jesu bereits am 7. August 1914 das erste Gelübde ablegen wollen, da brach am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg aus. Während neun von zehn Novizen in der Musterung die Einstufung „Ersatzreserve für Sanitäter“ bekamen, ging Rösch nicht auf die freistellenden Fangfragen ein und so lautete das Urteil der Musterung: „Gesund, kriegsverwendungsfähig.“ Damit war nach Aussage seines Biographen Roman Bleistein3 eine wichtige Entscheidung für seinen künftigen Lebensweg gefallen: die Erfahrung des Krieges, der mutige Einsatz, die Verantwortung als Offizier für „seine Leute“. Er wird Leutnant, in Fronteinsätzen mehrfach verletzt und mehrfach ausgezeichnet. Für die gefahrvolle, freiwillige Bergung von Verwundeten vor Verdun wird ihm das Tapferkeitsdiplom einer badischen Infanterie-Division verliehen. Roman Bleistein resümiert schließlich über Röschs Erfahrungen im Ersten Weltkrieg: „Damit war für Rösch eine Zeit zu Ende gegangen, in der das Unerschrocken-Kämpferische, ja Wagemutige seines Charakters sich ausprägte und sich auch weiter bestätigt fand. Es wird ihm im Dritten Reich, in den Auseinandersetzungen zu Gute kommen. In seinem Mut, in seinem Ehrbewusstsein, in seinem Gerechtigkeitsgefühl, in seiner Verantwortung für Untergebene wird er immer eines bleiben: ein Offizier.“4 Trotzdem war er offenbar traumatisiert. Er verschwieg in seinen Lebensläufen die kurzzeitige Unterbringung auf einer Nervenstation, seine zeitweiligen Angstgefühle, Menschenscheu, Depressionen, das Zucken und Zittern in den Gliedern.

Student, Präfekt, Rektor, Provinzial (1919–1935)

Nach der Demobilisierung begann Rösch das Studium der Philosophie in Valkenburg in Holland. Offenbar hatte man im Orden schnell seine Führungsqualitäten erkannt: Von seinen Vorgesetzten wurde er schließlich gebeten, für ein Jahr die Stelle als Erzieher an der Stella Matutina in Feldkirch zu übernehmen. Die in der Stella und wohl auch seine im Krieg gemachten Erfahrungen waren für ihn im Rückblick sehr wertvoll, gerade als Provinzial der oberdeutschen Provinz im Dritten Reich. Augustin Rösch bewertet diese Jahre im Rückblick als „Plan der Vorsehung“.

Im Herbst 1923 kehrte Rösch ins Niederländische Valkenburg zurück, um hier seine theologischen Studien zu vollenden. Am 27. August 1925 erfolgte die Priesterweihe. Nach einem kurzen Einsatz in der Seelsorge ging Rösch zum letzten Ausbildungsjahr, dem sogenannten „Terziat“, nach St. Andrä (Kärnten). Am Ende seines letzten Ausbildungsjahres wurde Rösch im Juli 1929 zum Generalpräfekten an der Stella Matutina in Feldkirch bestimmt. Nun sollte er die Erziehung im ganzen Internat leiten, das mit etwa 500 Jugendlichen besetzt war. Einer seiner untergeordneten Präfekten war dabei Alfred Delp. Der gemeinsame Widerstand gegen den Nationalsozialismus sollte beide später nochmals schicksalhaft zusammenführen. Überraschend wurde Rösch am 15. August 1935 zum Provinzial der Oberdeutschen Provinz in München bestimmt.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten

Bereits im Januar 1931 hatte der Erzbischof von Breslau, Adolf Bertram, vor der nationalsozialistischen Rassenideologie gewarnt.5 Mit der Machtübernahme im Jahr 1933 veränderte sich aber das Verhalten der katholischen Kirche und die Angriffe und Warnungen wurden eingestellt. Hitler hatte in seiner Regierungserklärung vom 21. März 1933 versprochen, die mit dem Vatikan geschlossenen Verträge auf Länderebene zu respektieren. Hitler gab aus parteitaktischen Gründen öffentlich den „christlichen“ Staatsmann und spielte der katholischen Kirche eine künftige vertrauensvolle Beziehung vor. Tatsächlich war es lediglich eine hinhaltende Maßnahme, um den Episkopat in Sicherheit zu wiegen. Zwischenzeitlich hatte es in den Reihen der Katholiken, die sich gegen das nationalsozialistische System öffentlich aufgelehnt hatten, die ersten Todesopfer gegeben, wie etwa den engagierten katholischen Publizisten und eindringlichen Warner Fritz Gerlich. Nicht wenige Katholiken, wie etwa der Schriftsteller Reinhold Schneider, waren von ihrer Amtskirche enttäuscht und der Vorwurf war nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Kirche nun den neuen Machthabern anbiederte. Doch selbst für Leute wie den regimekritischen Münsteraner Bischof Graf von Galen galt die staatsbürgerliche Loyalität als „unverbrüchliche Norm“.

Provinzial in schwierigen Zeiten (1935–1944)

In einer Zeit, in der sich das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Nationalsozialisten weiter verschlechterte, wurde Augustin Rösch 1935 zum Provinzial der oberdeutschen Provinz der Jesuiten berufen. Die Reaktion bei Röschs Antrittsbesuch bei Kardinal Faulhaber war nicht unbedingt aufmunternd, als das Münchner Kirchenoberhaupt ihm gegenüber äußerte: „Sie armer P. Provinzial! Der Hass und die Feindschaft der Nationalsozialisten sind so groß gegen die Gesellschaft, dass Sie, lieber P. Provinzial, gerade recht kommen zur Auflösung Ihres Ordens.“6

Fast gleichzeitig mit dem Amtsantritt Röschs eskalierte auch in München mit den Predigten des Männerapostels P. Rupert Mayer der Konflikt mit den nationalsozialistischen Machthabern.7 Mayer musste sich am 8. Mai 1936 erstmals bei der Politischen Polizei wegen angeblich staatsfeindlicher Äußerungen in Predigten verantworten. Im Juli 1937 stand P. Mayer als Angeklagter vor Gericht. Er wurde beschuldigt, sich in seinen Predigten gegen das Gesetz „Betr. Kanzelmissbrauch“ verfehlt zu haben.

Rösch ging von Anfang an keinem Konflikt aus dem Weg: Von sich aus suchte er häufig die Gestapozentrale im Wittelsbacher Palais in München auf, wenn er die Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise der Polizei anzweifelte. Am 22. und 23. Juli 1937 fand im Münchner Justizpalast die Sondergerichtsverhandlung gegen P. Rupert Mayer statt. Rösch saß während der Verhandlung demonstrativ in der ersten Reihe. In der Folge wurde P. Rupert Mayer mehrfach verhaftet. In einem Brief vom 31. Januar 1938 bat P. Mayer seinen Provinzial Rösch eindringlich, kein Gnadengesuch zu machen oder eine Verkürzung des Gefängnisaufenthalts erreichen zu wollen.

Im Reichskirchenministerium gab es seit 1939 Pläne, den Jesuitenorden ganz zu verbieten. Die deutschen Bischöfe waren sich zudem uneins darüber, wie man sich gegenüber der nationalsozialistischen Reichsregierung verhalten sollte. Im Verlauf des Jahres 1941 waren die Angriffe der Nazis gegen den Jesuitenorden weitergegangen. Martin Bormann inszenierte seit der Jahreswende 1940/41 seinen „Klostersturm“. Alle bayerischen Häuser der Jesuiten standen auf der Liste der zu beschlagnahmenden klösterlichen Objekte.

Im aktiven Widerstand (1941–1945)

Das Ende des Jahres 1941 markiert nach Roman Bleistein schließlich einen Umbruch im Verhalten von P. Rösch. Nach seinem eher passiven Verhalten gegenüber den NS-Machthabern, in dem er auf deren Maßnahmen gegen seinen Orden und ihre Mitglieder nur reagierte, gingen seine Reaktionen ab der zweiten Hälfte des Jahres 1941 in den aktiven Widerstand über. Wie bei der Judenverfolgung hatte Rösch offenbar keine großen Hoffnungen, dass bei einem ähnlichen Vorgehen der Nazis gegen den Jesuitenorden ein öffentlicher Aufschrei der deutschen Bischöfe folgen würde.

Die bischöflichen Reaktionen auf das Vorgehen der Nazis8 offenbaren eine gewisse Blindheit, ja Vertrauensseligkeit von großen Teilen des deutschen Episkopats für das Vorgehen der Nationalsozialisten. So wurde schließlich im Verlauf des Jahres 1941 auf Betreiben von Rösch und anderen Ordensoberen sowie mit Unterstützung einiger regimekritischer Bischöfe bei der deutschen Bischofskonferenz ein „Ordensausschuss“ etabliert. Sein Ziel war es, die Mechanismen des NS-Staates gegen die Orden aufzudecken, die Bischöfe über das Vorgehen der Machthaber gegen einzelne Orden und deren Einrichtungen zu informieren und mögliche Gegenmaßnahmen vorzubereiten. Seine Aufgabe sollte es sein, Briefe, Eingaben, Richtlinien, Hirtenbriefe und Denkschriften auszuarbeiten. Offiziell trat die Zentralstelle nicht in Erscheinung. Zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern, P. Lothar König SJ und P. Odilo Braun OP, reiste Rösch von Bischof zu Bischof, um sie über den Klosterkampf zu informieren und mögliche Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Rösch gewann schnell den Eindruck, dass die Bischöfe die Gefahr des Klosterkampfes für die Kirche nicht erkannt hatten. Bei Augustin Rösch in der Münchner Kaulbachstraße liefen künftig alle Informationen des „Ordensausschusses“ zusammen. Dort wurden weitere Pläne geschmiedet. Ziel war es, eine gemeinsame Haltung der Orden im Umgang mit der Gestapo zu finden. Darüberhinaus wollte man die deutschen Bischöfe zu schärfer formulierten Hirtenbriefen gegen das System bewegen.

 

In der Bischofskonferenz vom 24.–26. Juni 1941 gab es heftige Diskussionen, ob es überhaupt einen entsprechenden Hirtenbrief geben sollte, der die Rechte der Kirche einforderte. Erstmals verwiesen die Bischöfe in ihrem Entwurf, den Rösch maßgeblich mitkonzipiert hatte, nicht mehr auf eine ausdrückliche Gehorsamspflicht der Gläubigen gegenüber der Obrigkeit, sondern nur auf die allgemeinen Pflichten der Gemeinschaft gegenüber; erstmals wurden die allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Einzelnen hervorgehoben. Die Forderung von Rösch, Hitler als wortbrüchigen Lügner darzustellen und die Drohung der Bischöfe, bei Nichtbeantwortung ihrer Denkschrift sich mit anderen Mitteln zur Wehr zu setzen, fanden keinen Eingang in den Text.

Nun bestand tatsächlich eine „organisierte Zelle des kirchlichen Widerstands“ gegen das Naziregime, aber nicht selten stieß diese Gruppe auf massiven innerkirchlichen Widerstand. Rösch war Obmann jener Gruppe, die sich in München traf. Aufgabe von Braun und König war es, die Vorschläge des Ausschusses vor allem den Bischöfen und Ordinariaten zu unterbreiten. Die zahlreichen Reisen kosteten viel Geld. P. Lothar König SJ, der neben P. Odilo Braun meist als Kurier unterwegs war, legte von Januar bis Dezember 1941 alleine rund 77.000 Kilometer zurück.

Der eigentliche Kulminationspunkt in der Tätigkeit des Ausschusses für Ordensangelegenheiten war die Erarbeitung eines eindringlichen Hirtenwortes, das am 7. Dezember 1941 in allen Kirchen verlesen werden sollte. Der Text war ebenfalls von den Mitgliedern des Ausschusses erarbeitet worden. Die Bischöfe forderten darin das naturgesetzliche Recht auf persönliche Freiheit ein und beklagten die Vergewaltigung der Würde des Menschen, indem Tausende ohne richterliche Anordnung in Sammellager gesperrt wurden. Tausende von körperlich oder geistig beeinträchtigten Menschen wurden im Rahmen der sogenannten „planwirtschaftlichen Maßnahmen“ des Staates getötet.

Im Rahmen einer Bischofskonferenz der westdeutschen und norddeutschen Bischöfe sollte Ende November 1941 ein endgültiger Beschluss darüber gefasst werden, wann der Hirtenbrief nun zu verlesen sei. Am 29. März 1942 sollten endlich alle Bischöfe den Hirtenbrief vortragen. Tatsächlich wurde das Hirtenwort nur in den Diözesen Bamberg, Würzburg und Speyer verlesen – „mit größter Wirkung“, wie es heißt, sowie „ganz unerwartet“ in München durch Kardinal Faulhaber. Die Uneinigkeit der Bischöfe bot ein katastrophales Bild der katholischen Kirche. Die Ordensgemeinschaften fühlten sich vom Episkopat „bitter verlassen“.

Erneut versuchte der Ausschuss für Ordensangelegenheiten, einen weiteren Hirtenbrief der deutschen Bischöfe zu erreichen: der „Dekalog-Hirtenbrief“ vom Jahre 1943. Doch die Uneinigkeit in der Bischofskonferenz schwelte weiter. Der Entwurf des Dekalog-Hirtenbriefs wurde mehrfach überarbeitet und „entschärft“.

Die gemeinsame wortlautgetreue Verlesung des „Dekalog-Hirtenbriefs“ am 12. September 1943, wie sie im Protokoll der Bischofskonferenz vereinbart war, erfolgte jedoch nicht. Einzelne Bischöfe änderten eigenmächtig den Text oder ließen ganze Passagen weg. Der Dekalog-Hirtenbrief 1943 ist die erste und letzte gemeinsame Verlautbarung des Episkopats, in der sich die Bischöfe explizit zu Anwälten der Menschenrechte machten. Nach Ansicht des Ordensausschusses hatte der Episkopat aber noch lange nicht das Maß dessen ausgeschöpft, was an Protest und Einsatz für die Opfer hätte erfolgreich sein können.

Augustin Rösch und der „Kreisauer Kreis“9

Etwa gleichzeitig mit seiner Tätigkeit im „Ausschuss für Ordensangelegenheiten“ war Rösch bereits in einem anderen Widerstandskreis involviert, nämlich dem sogenannten „Kreisauer Kreis“ des Helmuth James Graf von Moltke. Er bekam seinen Namen vom Familiengut Kreisau des Grafen Moltke im niederschlesischen Kreisau. Ab August 1940 wurde Kreisau zum bevorzugten Ort der Zusammenkünfte. Gezielt wurde der Kreis um fachlich kompetente Mitverschwörer erweitert. Ab 1942 bemühte sich Moltke verstärkt um die Einbindung von kirchlichen Vertretern in den Kreis. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die Kirchen zum offenen Widerstand gegen den NS-Staat nicht bereit waren. Ziel des Kreisauer Kreises war es, den Nationalsozialismus durch ein ethisch begründetes, auf den Menschenrechten beruhendes Staats- und Regierungskonzept zu überwinden. Prägende Grundlage aller Kultur sollte das Christentum sein.

Eher zufällig waren sich Augustin Rösch und Graf Moltke Anfang Oktober 1941, in Berlin begegnet. Moltke fand Rösch auf Anhieb sympathisch und er bekam zusätzliche Informationen über Rösch aus Rom. Wie er am 9. April 1943 in einem Brief an seine Frau Freya formulierte, hielt man Rösch dort für den „stärksten Mann des Katholizismus in Deutschland“.10 Moltke selbst hielt Rösch für „einen unserer besten Leute“ (Brief vom 11. Januar 1943).11 Moltke lud Rösch für Pfingsten 1942 nach Kreisau ein. Zu den nächsten beiden großen Treffen im Oktober 1942 und im Juni 1943 schickte Rösch seinen Mitbruder P. Alfred Delp, einen ausgesprochenen Kenner der katholischen Soziallehre.12

Nach dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 erfolgte Moltkes Verhaftung. Als einziger von den Jesuiten scheint neben P. Delp sein Mitbruder P. Lothar König über das geplante Stauffenberg-Attentat informiert gewesen zu sein. Nach dem 20. Juli 1944 kam in den Verhören durch die Gestapo an den Tag, dass der Kreisauer Kreis einen „Ableger“ in München hatte. Nachdem P. Delp bereits am 28. Juli 1944 verhaftet worden war, tauchten Rösch und König unter. Eine Familie versteckte Rösch auf ihrem Bauernhof östlich von München. Am 11. Januar 1945 wurde Pater Rösch von einem geistlichen Mitbruder verraten und verhaftet. Man brachte ihn ins berüchtigte Gestapogefängnis Lehrter Straße 3 nach Berlin. Rösch sollte offensichtlich, zusammen mit anderen prominenten religiös motivierten Regimegegnern, in einem großen „Kirchenprozess“ angeklagt werden.

Rösch wurde mehrfach gefoltert, war sechs Wochen lang gefesselt, wurde tagelang verhört und geschlagen. Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Zu einer Verhandlung gegen Rösch kam es in den letzten Kriegstagen aber nicht mehr. Es gelang ihm, am 25. April 1945 einen regulären Entlassungsschein zu bekommen. Nach einem vierwöchigen Fußmarsch quer durch Deutschland – Augustin Rösch nennt diese Odyssee später die „große Wanderung“ – kam er schließlich am Herz-Jesu-Fest in München an.

Röschs Rückblick auf die NS-Zeit13

In Röschs Erinnerungen an sein Engagement in der NS-Zeit schwingt eine gewisse Enttäuschung über die Reaktion maßgeblicher Persönlichkeiten zu seinem Einsatz mit. Rösch sah sich in der Öffentlichkeit dem weit verbreiteten Vorwurf ausgesetzt, Widerstandskämpfer seien „Landesverräter“ gewesen. Rösch verwahrte zwar die Neuordnungspläne des Kreisauer Kreises, brachte sie aber nicht an die Öffentlichkeit und machte auch nicht öffentlich, welche Rolle er in der ganzen Angelegenheit gespielt hatte. Ebenso wurde seine Rolle, die er im Ausschuss für Ordensangelegenheiten gespielt hatte, nicht öffentlich. Er war sich aber durchaus bewusst, dass diese Dokumente einmal eine große Bedeutung in der Schilderung des geistigen Widerstands gegen das Nazi-System haben könnten. Aber es schien ihm verfrüht, bereits zu seinen Lebzeiten diese Informationen preiszugeben. Wichtig war ihm nur, dass seine Mitarbeit im Widerstand und die Mitarbeit seiner Mitbrüder P. Delp und P. König von kirchlicher Seite abgesegnet war. Nie sei es ihm darum gegangen, sich in „politische Machinationen“ zu verstricken oder sich an Attentatsversuchen gegen Hitler zu beteiligen. Es sei ihm nur um den Kampf mit geistigen Waffen gegangen, so Röschs späteres Resümee. Nach einer kurzen Zeit in der Seelsorge übernahm Pater Augustin Rösch im Jahre 1947 die verantwortungsvolle Tätigkeit des Landes-Caritasdirektors in Bayern.

Am 7. November 1961 starb Augustin Rösch. Die Anwesenheit mehrerer bayerischer Minister und zahlreicher Vertreter des kirchlichen und weltlichen Lebens am Grab bezeugen am Ende seines Lebens seine großen Leistungen nach 1945. Seine Mitbrüder erwähnen in ihren Nachrufen vor allem seine einfache, schlichte Frömmigkeit, die sein ganzes Leben erfüllt hatte. Die Kraft für seinen Widerstand gegen das NS-Regime und für seinen Orden bezog er aus seinem unerschütterlichen Glauben. Sein Kindheitswunsch, einmal Märtyrer zu werden, erfüllte sich nicht. Kurz vor seinem Tod blickte er nochmals auf sein bewegtes Leben zurück und formulierte: „Es gibt viele Arten von Martyrium. Gott gab mir das unblutige.“

1 In: Deutsches Kriminalpolizeiblatt, Jg. 17 (1944), Nr. 4996a vom 30. September 1944

2 Roman Bleistein SJ (1928–2000) hat sich mehrfach mit dem Wirken von P. Augustin Rösch befasst und dessen autobiographische Texte herausgegeben: A. Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus. Hrsg. v. R. Bleistein. Frankfurt/M. 1985; Augustinus Rösch – Leben im Widerstand. Biographie und Dokumente. Hrsg. v. R. Bleistein. Frankfurt/M. 1998; s. jüngst A. Wolfsteiner, „Der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“ – Pater Augustin Rösch und sein Kampf gegen den Nationalsozialismus. Regensburg 2018.