Czytaj książkę: «Das Mainzer Schloss»

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DAS MAINZER SCHLOSS

Glanz und Elend

einer kurfürstlichen Residenz

Herausgegeben von Georg Peter Karn und Matthias Müller

im Auftrag der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesdenkmalpflege und des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

MICHAEL IMHOF VERLAG

Umschlag vorn: Mainz, Kurfürstliches Schloss, Ansicht von Südwesten, Foto: Georg Peter Karn, GDKE, LD

Umschlag hinten, S. 15: Franz von Kesselstatt, Kurfürstliches Schloss und Martinsburg vom Rheinufer aus, nach 1806, GDKE, LMM, Inv. Nr. GS 0/2084, Foto: Ursula Rudischer

Frontispiz: Kurfürstliches Schloss mit ehem. Stiftskirche St. Peter, Lithografie von Ch. J. Hullmandel nach Samuel Prout, 1833, GDKE, LD, Foto: Helga Eckert

S. 6: Kurfürstliches Schloss, Hoffassade des Rheinflügels, Foto: Georg Peter Karn, GDKE, LD

S. 12: Kurfürstliches Schloss, nordöstlicher Kopfbau, Foto: Georg Peter Karn, GDKE, LD

S. 115: Christian Georg Schütz d. Ä., Ausblick aus der Martinsburg auf den Rhein, Ölgemälde, 1785, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Inv. Nr. 6434, Foto: Artothek

S. 191: Stephan Schmitt, Kurfürstliches Schloss mit den napoleonischen Warenmagazinen, Gouache, um 1900, GDKE, LMM, Inv. Nr. GS 1959/7, Foto: Ursula Rudischer

S. 279: Kurfürstliches Schloss, Fenster auf der Hofseite des Rheinflügels, Foto: Georg Peter Karn, GDKE, LD

© 2021

Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG

Stettiner Straße 25 | D-36100 Petersberg

Tel.: 0661/2919166-0 | Fax: 0661/2919166-9

www.imhof-verlag.de | info@imhof-verlag.de

Bearbeitung: Georg Peter Karn, Karola Sperber

Reproduktion und Gestaltung: Patricia Koch, Michael Imhof Verlag

Lektorat: Dorothée Baganz, Michael Imhof Verlag

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

ISBN: 978-3-7319-1178-4

INHALT

Zum Geleit Heike Otto

Vorwort Thomas Metz

Grußwort Michael Ebling

Einführung Georg Peter Karn und Matthias Müller

DAS RESIDENZSCHLOSS

Vom Zufluchtsort des Erzbischofs und des Domkapitels zur kurfürstlichen Residenz. Das Mainzer Schloss und seine Baugeschichte Lorenz Frank

Schlossarchitektur als Spiegel höfischer Konkurrenz. Die barocken Erweiterungsbauten des Mainzer Schlosses und das fürstliche Baugeschehen im frühneuzeitlichen Reich Matthias Müller

Eine wohnung … gleichwie es einem grossen herren zukommet. Das Kurfürstliche Schloss und seine Innenräume Georg Peter Karn

Die „erneuerte“ Porträtgalerie am Kurfürstlichen Schloss in Mainz. Wandel vom feudalen Herrschersitz zur bürgerlichen Kulturinstitution als städtische Schatzkammer von Wissen, Bildung, Erforschung und Vermittlung Luzie Bratner

DER RESIDENZBEZIRK UND DIE STADT

Mit Weinstöcken recht lieblich bepflanzt. Der Mainzer Schlossgarten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert Georg Peter Karn

Großartige Freiraumfolgen. Zur stadträumlichen und sozialen Funktion von Gartenanlagen für die höfische Gesellschaft und ihr bürgerliches Umfeld in der Frühen Neuzeit Stefan Schweizer

Von der Residenz in der Stadt zur Residenzstadt. Das Mainzer Schloss und sein städtebauliches Umfeld im 17. und 18. Jahrhundert Christian Katschmanowski

Schlossbau und räumlicher Kontext. Zur Wechselbeziehung von Architektur, Gartenkunst und Städtebau in der frühneuzeitlichen Residenzstadt Mainz Sascha Winter

ENDE UND WANDEL DER RESIDENZ

Schlossgarten, Schlossplatz und Ernst-Ludwig-Platz. Metamorphosen zwischen 1774 und 1900 Hartmut Fischer

Mainzer Schlossplatzplanungen im städtebaulichen Umfeld des 20. Jahrhunderts Rainer Metzendorf

Tafeln

Literaturverzeichnis zum Mainzer Schloss

Autorenverzeichnis

Bildnachweis


ZUM GELEIT

Als neue Generaldirektorin für das kulturelle Erbe in Rheinland-Pfalz ist es mir ein Anliegen, dem vorliegenden Band einige Worte zum Geleit mitzugeben.

Glanz und Elend prägten gleichermaßen die Geschichte des Kurfürstlichen Schlosses in Mainz. Als Residenz eines der führenden Reichsfürsten stand es seit dem späten Mittelalter im Mittelpunkt eines bedeutenden Hofes, der zahlreiche Künstler und Gelehrte auch jenseits der Landesgrenzen anzog. Kriege und politische Ereignisse unterbrachen jedoch immer wieder den Ausbau der Anlage, die Französische Revolution, die Phase der Zweckentfremdung unter der napoleonischen Herrschaft und zuletzt die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg vernichteten vieles von dem, was Repräsentationswille und Kunstsinn der Kurfürsten, aber auch bürgerliches Engagement im 19. und frühen 20. Jahrhundert geschaffen hatten.

Diese Schicksale teilt das Mainzer Schloss mit weiteren Hofhaltungen im deutschen Südwesten, insbesondere links des Rheines. Von einer ehemals blühenden Residenzenlandschaft aus der Zeit des Römisch-Deutschen Reiches, in die sich drei Kurfürsten- und Erzbistümer, zwei Fürstbistümer, Herzog- und Fürstentümer sowie zahlreiche kleinere Territorien teilten, ist heute – im Unterschied zu anderen Regionen in Deutschland – nicht mehr viel geblieben. Weitgehend unversehrt haben nur wenige der großen Bauten die Zeit überstanden. Manche Schlösser – wie der barocke Bischofshof in Worms, die kurfürstliche Favorite in Mainz, die kurtrierische Philippsburg in Koblenz-Ehrenbreitstein, das Leininger-Schloss in Bad Dürkheim oder das pfalz-zweibrückische Schloss Karlsberg auf der Grenze zwischen dem Saarland und Rheinland-Pfalz – sind gänzlich untergegangen. Andere konnten nach dem Zweiten Weltkrieg wenigstens in ihrer äußeren Hülle wiederaufgebaut werden, darunter die Schlossbauten von Trier, Koblenz und Zweibrücken sowie in Mainz. Historische Ausstattungen mit Mobiliar und Kunstgegenständen, die einst den Reichtum und das Prestige einer Residenz sichtbar vor Augen stellten, sind fast völlig verloren.

Will man die Bedeutung des Landstrichs am Rhein in seinen politisch-historischen, geistigen und künstlerischen Leistungen verstehen, so beanspruchen die verbliebenen Zeugnisse dieser Residenzkultur einen unverzichtbaren Erinnerungswert. In ihrer meist fragmentarischen Überlieferung bedürfen sie jedoch der Vermittlung und Veranschaulichung. Gesetzlicher Auftrag der Denkmalpflege ist nicht nur, zur Erhaltung der historischen Zeugnisse beizutragen, sondern diese auch zu erforschen und in ihren geschichtlichen Dimensionen als konstituierender Bestandteil unserer gebauten und gelebten Umwelt begreifbar zu machen. Als Denkmalfachbehörde arbeitet die GDKE mit ihren Fachbereichen und Fachdiensten in unterschiedlicher Weise an dieser Aufgabe mit. Durch Veranstaltungen und Fachtagungen, wie das Kolloquium zum Mainzer Schloss im Jahre 2016, werden die Erkenntnisse und Fragestellungen weiterentwickelt und zugleich in die Öffentlichkeit getragen.

Der konkrete Bezug zum Kulturdenkmal steht für die Denkmalpflege dabei stets im Mittelpunkt. Dies gilt auch für die anstehende Sanierung des Mainzer Schlosses. Hier stellt sich die Aufgabe, angesichts der kriegsbedingten Substanzverluste die historischen Bezüge im Inneren sowie im Umfeld in die Planung mit ihren technischen sowie funktionalen Erfordernissen zu integrieren und in geeigneter Form anschaulich werden zu lassen. Die Bandbreite der Möglichkeiten dabei ist groß und reicht von der reinen Konservierung und Präsentation materiell überlieferter Spuren über die vorbildgerechte Wiederherstellung oder eine sinngemäße Ergänzung in modernen Formen bis zur virtuellen Vergegenwärtigung baugeschichtlicher Prozesse oder verlorener Zustände mit Hilfe digitaler Techniken. Voraussetzung für jede verantwortliche Entscheidung ist immer die umfängliche Kenntnis der Bau- und Ausstattungsgeschichte und deren Auswertung im Sinne der historischen Aussage und des daraus abgeleiteten Narrativs.

Das vorliegende Buch mit den Kolloquiums-Beiträgen, das die Bedeutung der Mainzer Residenz aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, bietet eine Basis für die fachliche und öffentliche Diskussion über den weiteren Umgang mit dem Kurfürstlichen Schloss und seinem Umfeld. Gleichzeitig ist der reich bebilderte Band auch eine Fundgrube für alle Mainzer, denen ihr Schloss am Herzen liegt.

Dr. Heike Otto

Generaldirektorin Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

VORWORT

Die Denkmäler der Kunst und der Geschichte in seine Obhut und Pflege zu nehmen und gleichzeitig allen Menschen die Teilhabe an diesen Kulturgütern zu ermöglichen, ist eine Verpflichtung, die das Land Rheinland-Pfalz bereits in seiner Verfassung von 1947 eingegangen ist. Diese Verpflichtung ist Grundlage der Arbeit der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, kurz GDKE genannt, und sie gilt auch für die Arbeit der GDKE als Denkmalfachbehörde. Teilhabe am kulturellen Erbe war 2016 auch Anlass für das Kolloquium „Das Mainzer Schloss – Glanz und Elend einer kurfürstlichen Residenz“.

Das Kurfürstliche Schloss in Mainz ist ein solches Kulturgut unseres Lebens, und blickt man auf seine Geschichte als Sitz des Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz, der zugleich Reichserzkanzler war, zählt es zu den bedeutenden Residenzen des Heiligen Römischen Reiches. Hervorgegangen aus der spätgotischen Martinsburg, spiegelt die Anlage mit ihren Bauteilen aus Renaissance und Barock eine lange Baugeschichte und wechselvolle Schicksale wider.

Bereits im 19. Jahrhundert begeisterten sich Bürgerinnen und Bürger für das Schloss und engagierten sich für seine Pflege und seinen Erhalt. Ein hochbedeutendes Baudenkmal, das in der Geschichte von Mainz als der Zeuge einer großen Vergangenheit, in der Reihe deutscher Palast-Bauten als eine der edelsten Perlen zu schätzen sei, ein Bau, der durch seine nunmehrige Bestimmung in hervorragender Weise der Pflege nationaler Kunst-, Kultur- und Geschichts-Wissenschaft dient, nannte der Kunsthistoriker und Prälat Friedrich Schneider das Residenzgebäude in seiner 1897 veröffentlichten Denkschrift zur Herstellung des ehemaligen Kurfürstlichen Schlosses zu Mainz und bezeichnete seine Restaurierung in der That als nationale Aufgabe. Das Schloss erhielt seine Sanierung und mit der Aufnahme von kulturellen Einrichtungen eine angemessene Nutzung. Der Zweite Weltkrieg brachte seine Zerstörung und in der Folge kam es zu seinem Wiederaufbau und zu einer Neugestaltung seines Umfeldes.

Der aktuelle Zustand des Gebäudes erfordert wieder eine umfassende Sanierung und mit dem Auszug des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM) besteht auch die Notwendigkeit einer neuen Nutzung. Der Ausbau der ehemaligen Residenz und ihres Umfeldes gehört zu den aktuell anspruchsvollsten Aufgaben der Stadt Mainz.

Diese Aufgabe steht im Interesse der Öffentlichkeit und erfährt vielfache Anteilnahme aus der Bevölkerung, sei es durch engagierte – auch finanzielle – Unterstützung bei der Sanierung der Schlossfassaden oder durch einen breiten, öffentlich ausgetragenen Diskurs über die zukünftige Nutzung und Gestaltung des Schlosses und seines Umfeldes. Diese Anteilnahme, dieser Diskurs ist auch eine Form von Teilhabe am Mainzer Schloss in seiner Bedeutung als Kulturgut.

Mit der Ausstellung der GDKE „Mainz – ein Blick, viele Aussichten“ im Jahre 2016 im Landesmuseum Mainz sollte den Mainzer Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, einen Blick auf ihr kulturelles Erbe zu werfen, an diesem teilzuhaben.

Das Mainzer Schloss war auch eines der Themen dieser Ausstellung und in ihrem Rahmen fand am 14. April 2016 das Kolloquium statt, mit dem im Vorfeld der anstehenden Sanierung ein Beitrag zur Aufarbeitung der bau- und kunsthistorischen Grundlagen sowie zur entwicklungsgeschichtlichen Einordnung der kurfürstlichen Residenz geleistet werden sollte. Ziel des Kolloquiums war nicht Meinung zu bilden, sondern die Grundlage für einen Meinungsbildungsprozess zu schaffen. Veranstalter waren neben der Generaldirektion Kulturelles Erbe mit ihrer Direktion Landesdenkmalpflege das Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität, der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz mit seinem Regionalverband Rhein-Main-Nahe(ehemals Mainz), der Mainzer Altertumsverein sowie der Werkbund Rheinland-Pfalz. Die Vorträge fassten nicht nur den gegenwärtigen Wissensstand zum Schloss zusammen, sondern präsentierten auch zahlreiche neue Einsichten und Forschungsergebnisse. Erstmals wurden die 1942 zerstörte Innenausstattung sowie das städtebauliche Umfeld mit dem Schlossgarten und den Nebengebäuden, die zu den elementaren Bestandteilen der kurfürstlichen Hofhaltung gehörten, zusammenhängend beleuchtet. Vorgestellt und bewertet wurden auch die Leistungen sowie die Verluste der bürgerlichen Zeit im 19. und 20. Jahrhundert. Die nun in gedruckter Form vorgelegten Beiträge schließen damit eine seit langem bestehende Lücke.

Das vorliegende Buch soll nicht nur Fachkreise ansprechen, sondern dazu beitragen, dem Schloss seinen Platz im öffentlichen Bewusstsein wiederzugeben und die Mainzer Bürgerinnen und Bürger in die Diskussionen um seine Zukunft einzubeziehen. Für sein Zustandekommen gilt der Dank allen am Kolloquium beteiligten Institutionen, aus deren Kreis ein Teil der Referenten kam, insbesondere aber dem Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität mit Prof. Dr. Matthias Müller, das auch als Mitherausgeber beteiligt ist. Gedankt sei den Vortragenden für die Bereitstellung ihrer Beiträge und die Geduld bis zum Erscheinen des Buches. Die redaktionelle Bearbeitung übernahmen Dr. Georg Peter Karn und Karola Sperber M. A. vom Fachbereich Weiterbildung und Vermittlung der Landesdenkmalpflege. Unter den Einrichtungen, die Abbildungsvorlagen zur Verfügung stellten, sind vor allem das Stadtarchiv, das Römisch-Germanische Zentralmuseum und das Dom- und Diözesanarchiv Mainz hervorzuheben. Zahlreiche weitere Abbildungen stammen aus den Fotosammlungen der zur GDKE gehörenden Direktionen Landesdenkmalpflege und Landesmuseum Mainz. Ein besonderer Dank gebührt Herrn Stefan Schmitz für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung des Buches. In gewohnt kompetenter und zuverlässiger Weise übernahm der Michael Imhof Verlag in Petersberg die verlegerische Betreuung.

Thomas Metz

Generaldirektor Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (2007–2020)


GRUSSWORT

Wer über die Theodor-Heuss-Brücke nach Mainz kommt, dem fällt es gleich ins Auge: das markante, sandsteinrote Kurfürstliche Schloss, das an der Rheinfront eine Länge von 75 Metern einnimmt. Es ist, als wolle die Stadt ihren Besucherinnen und Besuchern den Glanzpunkt ihrer Geschichte – ihre Blütezeit als kurfürstliche Residenz – unmittelbar vor Augen führen.

Lange Zeit allerdings hielt der vermeintliche äußere Glanz des Schlosses der näheren Betrachtung nicht stand, denn allzu deutlich hatte die Zeit ihre Spuren im Mauerwerk hinterlassen. Es brauchte enorme Anstrengungen, die „gute Stubb“ von Mainz wieder zu dem zu machen, was sie immer war: eines der schönsten baulichen Zeugnisse von Mainz – und eines der geschichtsträchtigsten noch dazu!

Das Kurfürstliche Schloss steht geradezu beispielhaft für Wohl und Wehe, Glanz und Elend, Blüte und Niedergang von Mainz. Es hat Kaiser, Könige und Kurfürsten beherbergt. Es hat Mozart spielen und Revolutionäre proklamieren gehört. Und wo heute die Mainzer Narren live vor den Fernsehkameras schunkeln, wartete der „Schinderhannes“ einst auf sein Urteil.

Das Schloss steht aber nicht nur für die wechselvolle Mainzer Geschichte, es steht auch für Bürgersinn und Bürgerverantwortung. Spätestens seit den Verheerungen durch den Zweiten Weltkrieg hat der Schutz der Kulturdenkmäler für unsere Stadt eine ganz besondere Bedeutung: Wenn wir über die Qualitäten unserer Stadt sprechen – über das, was Mainz so einzigartig und unverwechselbar macht – dann sprechen wir immer auch über den inneren Kern unserer Stadt, über unsere Identität. Zu dieser Identität gehören auch und gerade die gebauten Zeugnisse unserer Geschichte, schließlich haben sie zu allen Zeiten das Lebens- und Heimatgefühl in Mainz entscheidend mitgeprägt.

Viele Mainzer Bürgerinnen und Bürger haben das klar erkannt und sich dem Erhalt der Mainzer Kulturdenkmäler regelrecht verschrieben. Ein besonderes Beispiel für diesen ausgeprägten Bürgersinn ist das Mainzer Denkmal-Netzwerk, das im Jahr 2004 gegründet wurde und sich seither mit bewundernswerter Spendenbereitschaft für die Instandsetzung und Sicherung des Kurfürstlichen Schlosses eingesetzt hat – und vieler weiterer Baudenkmäler in Mainz noch obendrein!

Mit jeder sanierten Fensterachse rückte das Schloss aber nicht nur optisch mehr und mehr in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Mit seiner enormen historischen Bedeutung rückte es auch wieder inhaltlich in den Fokus von Forschung und Wissenschaft. Bestes Beispiel für dieses große Interesse ist nicht zuletzt dieser Tagungsband, der die vielen Facetten des Kurfürstlichen Schlosses und seines Umfelds eingehend beleuchtet.

Ich danke allen Autorinnen und Autoren, die mit ihrer Expertise dazu beigetragen haben, das Kurfürstliche Schloss zu Mainz wieder dahin zu stellen, wohin es gehört: in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit, in den Fokus der Wissenschaft und nicht zuletzt in das Herz der Mainzerinnen und Mainzer. Ihre Unterstützung werden wir brauchen, wenn wir in den kommenden Jahren die weitere Sanierung und den Umbau des Schlosses anpacken werden.

Michael Ebling

Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz

EINFÜHRUNG

Im Reigen der fürstlichen Residenzen des Römisch-Deutschen Reiches gehört das Kurfürstliche Schloss in Mainz zu den wenig bekannten und selten beachteten Bauten. Zum einen mag dies zusammenhängen mit seinem im Vergleich zu den ausgedehnten, im 17. und 18. Jahrhundert neukonzipierten Anlagen – wie etwa in Gotha, Berlin, Mannheim, Ludwigsburg oder Würzburg – irregulären und weniger monumentalen Erscheinungsbild. Bereits Georg Dehio charakterisierte das Schloss 1911 in seinem Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler in nach den Maßstäben der Zeit kritischer Würdigung seiner unbestrittenen Qualität als „kein Bau von großem Wurf, aber von einer feinen und vornehmen Kultur, wie sie in der deutschen Renaissance nicht wieder zu finden ist.“ Zum anderen tragen dazu die vielen Verletzungen und Verluste bei, die dem einst aus mehreren Bauten bestehenden Ensemble – wie so vielen Residenzen links des Rheines – durch Kriege und Revolutionen zugefügt wurden. Zu dessen prägenden, seit Anfang des 19. Jahrhunderts verschwundenen Bestandteilen zählten vor allem die mittelalterliche Martinsburg als Keimzelle und Eckpfeiler der Gesamtanlage sowie die Hofkanzlei und nicht zuletzt die Stifts- und Schlosskirche St. Gangolph aus dem 16. Jahrhundert, die sich mit der spätbarocken Deutschordenskommende und dem Neuen Zeughaus zu einer reich gegliederten Rheinfront zusammenschlossen. Nicht vergessen werden darf auch der im Bereich des heutigen Ernst-Ludwig-Platzes gelegene, bereits im späteren 18. Jahrhundert aufgegebene Schlossgarten. Schließlich lässt das Innere des Schlosses heute kaum mehr den repräsentativen Charakter erahnen, der sich in aufwendig ausgestatteten Raumfolgen manifestierte und im Sinne der zeremoniellen Abläufe für das Verständnis eines Fürstensitzes unabdingbar war. Anders als bei den Residenzen, deren Fortbestand auch unter den veränderten Vorzeichen der politischen Neuordnung infolge des Wiener Kongresses im 19. Jahrhundert gesichert war, brach in Mainz mit der Französischen Revolution und dem Untergang des Kurstaates auch die Nutzungskontinuität ab. Setzten der Verlust und die Verlagerung der mobilen Einrichtung bereits mit der Flucht des letzten Kurfürsten nach Aschaffenburg ein, so litten die Innenräume mit ihrer wandfesten Ausstattung in der französischen Zeit unter der Zweckentfremdung zum Lagerhaus, der auch das barocke Haupttreppenhaus zum Opfer fiel. Die beiden bedeutenden Hauptsäle und die verbliebenen Stuckdecken des 18. Jahrhunderts, die bei der großen Instandsetzung des Schlosses ab 1903 restauriert worden waren, wurden im Zweiten Weltkrieg bereits während des ersten Bombenangriffs auf Mainz 1942 zerstört. Der bald darauf einsetzende Wiederaufbau durch die Stadt Mainz – seit 1827 Eigentümerin des Schlosses – erfolgte zweckgerichtet und in gewissermaßen bürgerlicher Bescheidenheit.

In den letzten Jahren ist das Kurfürstliche Schloss in unterschiedlicher Hinsicht wieder zunehmend in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Eine Dissertation, 1988 durch Ursula Zahler an der Universität Saarbrücken vorgelegt, fasste auf dem damaligen Stand der Forschung die Baugeschichte zusammen und trug somit zu einer ersten kunsthistorischen Einordnung der Architektur bei. Mit einer Reihe von historischen und kunsthistorischen Einzelthemen zum Schloss sowie den hier tätigen Künstlern hat sich der Mainzer Altertumsverein in Veranstaltungen und Aufsätzen in der Mainzer Zeitschrift auseinandergesetzt, u. a. mit der Martinsburg; hier sind v. a. die Beiträge von Ralph Melville, Franz Stephan Pelgen und Ulrich Hellmann zu nennen. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Luzie Bratner, Georg Peter Karn und Ralph Melville, beschäftigt sich seit längerem intensiv mit dem Schloss und erarbeitete eine vom Verein 2016 im Vorfeld der anstehenden Sanierung vorgelegte, 2017 in der Mainzer Zeitschrift veröffentlichte Denkschrift; diese sieht sich in der Nachfolge der 1897 von Prälat Friedrich Schneider verfassten Denkschrift, die den Ausgangspunkt der damaligen großen Wiederherstellung bildete. In verschiedenen Arbeiten, die aus dem Forschungsprojekt „Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800)“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen an seiner von Prof. Dr. Matthias Müller geleiteten Dienststelle am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Universität Mainz hervorgegangen sind, wird auch die Residenz der Mainzer Kurfürsten in die Betrachtung einbezogen. In diesem Zusammenhang entstand die grundlegende Dissertation von Christian Katschmanowski zur barocken Stadtplanung von Mainz, in deren Analyse auch dem Kurfürstenschloss und seiner Umgebung eine zentrale Bedeutung zukommt. Schließlich hat sich die Landesdenkmalpflege in ihren Jahrbüchern immer wieder mit einzelnen Aspekten zum Schloss und seiner Restaurierung beschäftigt, abgesehen von der fachlichen Begleitung aller laufenden Maßnahmen. Zahlreiche Beobachtungen zur Baugeschichte sind dabei dem Bauforscher Lorenz Frank zu verdanken, der im Auftrag der Stadt Mainz kontinuierlich anlassbezogene Untersuchungen der historischen Bausubstanz durchführt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang aber auch das praktische Engagement des Mainzer Denkmal-Netzwerks, mit dessen Hilfe die dringend notwendige Instandsetzung der Fassaden mit ihren aufwendigen Steinmetzarbeiten entscheidend vorangebracht werden konnte.

Mit dem geplanten Auszug des Römisch-Germanischen Zentralmuseums endet 2021 eine mehr als 150 Jahre währende Phase des Schlosses als Sammlungs- und Ausstellungsort für das Mainzer Bürgertum, aus dem viele der Kultureinrichtungen und Museen der Stadt hervorgingen. Die daraus resultierende Neuausrichtung der Nutzung ebenso wie die erforderliche bauliche Instandsetzung und Anpassung fordern zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Kurfürstlichen Schloss und zu einer Neubewertung seiner Stellung innerhalb der deutschen Residenzenlandschaft heraus. Denn diese stellen eine wesentliche Voraussetzung für die angemessene Berücksichtigung der historischen Substanz des Schlosses, aber auch seiner von der historischen Bedeutung ausgehenden auratischen Wirkung bei der bevorstehenden Ausbauplanung dar. Hier geht es vor allem darum, die Residenz des ranghöchsten Fürsten im Reich einerseits in ihrer weit über Mainz hinausreichenden politischen, symbolischen und zeremoniellen Funktion und andererseits als profanes Gegenstück bzw. Ergänzung zum Dom als Machtzentrum des Erzbistums wieder verstärkt ins allgemeine Bewusstsein zu rücken und in geeigneter Form erlebbar zu machen.

Zu diesem Zweck fand am 14. April 2016 ein wissenschaftliches Kolloquium im Landesmuseum Mainz statt, das von der Direktion Landesdenkmalpflege der GDKE, dem Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie dem Mainzer Altertumsverein, dem Regionalverband Rhein-Main-Nahe (vormals Mainz) des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz sowie dem Werkbund Rheinland-Pfalz veranstaltet wurde. In drei Sektionen beschäftigte sich die Tagung mit dem Baudenkmal und seiner Genese seit dem Mittelalter, dem Residenzviertel mit seinen funktionalen Interdependenzen und stadträumlichen Bezügen sowie mit der städtebaulichen Entwicklung des Standorts in der bürgerlichen Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts, der bis heute durch die Nachbarschaft des rheinland-pfälzischen Parlaments und der Landesregierung herausragende Bedeutung als Regierungsviertel beansprucht. Die von Fachleuten aus verschiedenen Institutionen und Disziplinen vorgetragenen Referate fassten nicht nur die bisherigen Kenntnisse zusammen, sondern trugen zugleich viele neue Aspekte zur historischen und kunsthistorischen Einordnung des Schlosses bei. In erweiterter und überarbeiteter Fassung sowie um einen zusätzlichen Beitrag ergänzt, werden sie im vorliegenden Band nun der Öffentlichkeit präsentiert. Dank der vielfältigen Aspekte und wissenschaftlichen Expertise der Beiträge darf dieser Band als das derzeitige, aktuelle Standardwerk zum Mainzer Kurfürstenschloss gelten.

Im ersten, dem Schloss als Baudenkmal gewidmeten Abschnitt stellt der Bauforscher Lorenz Frank die Ergebnisse der bereits vor Jahren von ihm begonnenen und aktuell weitergeführten bauhistorischen Untersuchungen vor, die neben der Abwicklung der verschiedenen, ineinander verwobenen Bauphasen insbesondere die Ursprünge in der Martinsburg und den ersten, selbständig konzipierten Bauabschnitt des Neubaus unter Georg Friedrich von Greiffenclau aufschlüsseln. Matthias Müller stellt das Schloss in den überregionalen Kontext des Residenzenbaus im Alten Reich und beleuchtet die Bedeutung des Residenzschlosses als Symbol fürstlicher Autorität, die vor allem in der Bindung der Neubauteile des 17. und 18. Jahrhunderts an die mittelalterliche Martinsburg als Verkörperung des institutionelldynastischen Gedächtnisses und als architektonisches Sinnbild der altbegründeten Landesherrschaft ihren Ausdruck findet. Georg Peter Karn verfolgt anhand von schriftlichen und bildlichen Quellen systematisch die Entwicklung der Raumfolgen mit der wechselnden Lage der kurfürstlichen Repräsentations- und Wohnräume während der einzelnen Ausbaustufen und geht dabei Neuerungen und traditionellen Bindungen nach; erstmals lassen sich umfänglich die in Fotografien überlieferten Stuckdecken verorten. Mit den Porträtbüsten, die im Rahmen der Restaurierung des Schlosses zwischen 1903 und 1922 über den Fenstern angebracht wurden und in der Tradition der laureati einen bürgerlichen Wertekanon widerspiegeln, behandelt der Beitrag von Luzie Bratner ein bemerkenswertes Beispiel kommunaler Selbstdarstellung nach der Inbesitznahme der Residenz durch die Stadt.

Im zweiten Abschnitt, der sich mit dem Umfeld des Schlosses und dessen Verhältnis zur Stadt beschäftigt, beschreibt Georg Peter Karn den heute fast vergessenen Schlossgarten in seinen verschiedenen Zuständen vom 16. Jahrhundert bis zur letzten Neugestaltung vermutlich unter Kurfürst Lothar Franz von Schönborn, die auf die enge Begrenztheit der Fläche mit originellen Lösungsansätzen reagierte. Stefan Schweizer verfolgt in seiner über Mainz hinausweisenden allgemein gehaltenen Überschau unter dem Schlagwort einer „urbanistischen Gartenkunst“ die mit dem Wandel fürstlicher Repräsentationsformen einhergehende Ausstrahlung gärtnerischer Konzepte auf die Stadtplanung des 18. Jahrhunderts und untersucht Motive sowie Formen der Einbeziehung einer ständeübergreifenden Öffentlichkeit in die herrschaftlichen Gärten. Der städtebauliche Transformationsprozess des Mainzer Schlossumfeldes, der von der ursprünglich gegenüber der Stadt isolierten Martinsburg zur zunehmenden funktionalen Differenzierung und zur Integration der Residenz in den urbanistischen Kontext übergeht, sowie deren Aufwertung durch den repräsentativen Ausbau der Rheinfront stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Christian Katschmanowski. Seine Überlegungen werden ergänzt durch Sascha Winters Untersuchung der komplexen baulich-visuellen Wechselwirkungen zwischen Architektur, Garten, Stadt und Landschaft, die sich in komponierten Sicht- und Wegeachsen manifestieren und von der anfangs ausschließlichen Orientierung der Martinsburg auf den Rhein zur Formung eines zusammenhängenden Stadtraums mit dem Schloss als Referenzpunkt führen.

Thema der dritten Sektion ist die Entwicklung des Schlosses und seines Umfeldes nach dem Untergang des Kurstaates und dem Verlust der Residenzfunktion. Die wechselvollen Schicksale des Schlossgartenareals, das nach seiner Planierung im späten 18. Jahrhundert als öffentlicher Platz sowie für militärische Zwecke genutzt wurde, schildert Hartmut Fischer in seinem Beitrag. Infolge der gründerzeitlichen Stadterweiterung rückte das ehem. Residenzviertel aus seiner bisherigen Randlage in die Mitte der Stadt und erfuhr dabei seine Wiederentdeckung. Der Wettbewerb zur Neubebauung des Schlossbereichs am Anfang des 20. Jahrhunderts, die städtebaulichen Projekte der Zwischenkriegszeit und schließlich die Planungen für den Ausbau des rheinland-pfälzischen Regierungsviertels nach dem Zweiten Weltkrieg werden von Rainer Metzendorf dargestellt.

Nach der im vorliegenden Band dokumentierten Tagung fand 2019 auf Initiative der Landesdenkmalpflege ein weiteres Kolloquium zum Umfeld des Schlosses statt, das insbesondere auch eine Bewertung der heute prägenden städtebaulichen und gestalterischen Überformung des Areals in der Nachkriegszeit vornahm und Anregungen für den zukünftigen Umgang mit dem Bestand sammelte. Im unmittelbaren Vorfeld der anstehenden Sanierungs- und Umbauarbeiten hat die Stadt darüber hinaus vor kurzem einen Runden Tisch aus beteiligten Gruppen und Initiativen einberufen sowie einen interdisziplinär besetzten Expertenkreis, der die Planungen beratend begleiten soll. Neben der Berücksichtigung der kurfürstlichen Tradition und Funktion ist auch eine intensivere Beschäftigung mit der bürgerlichen Nutzung des Residenzschlosses seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgesehen.

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