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Sechstes Kapitel Planungsrecht, Baurecht, Straßenrecht

Sechstes Kapitel Planungsrecht, Baurecht, Straßenrecht

Inhaltsverzeichnis

Erster Abschnitt Planungsrecht

Zweiter Abschnitt Bauordnungs- und Denkmalrecht

Dritter Abschnitt Straßenrecht

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Erster Abschnitt Planungsrecht

Inhaltsverzeichnis

§ 38 Raumordnung und Landesplanung

§ 39 Fachplanung

§ 40 Bauplanung

Dieter Dörr

§ 38 Raumordnung und Landesplanung

A.Einleitung – Grundbegriffe und die Bedeutung staatlicher Raumplanung1 – 4

I.Abgrenzung zur Fach- und Bauleitplanung2, 3

II.Definition der Raumordnung4

B.Geschichtliche Entwicklung des Raumordnungsrechts5 – 16

I.Vom kommunalen Bedürfnis nach Planung zur überörtlichen Planung der Länder5, 6

II.Die Phase der Planungseuphorie7, 8

III.Die Phase der Planungsernüchterung und Konsolidierung9 – 11

IV.Die Reformphase unter europarechtlichem Einfluss bis heute12 – 16

C.Die gesetzlichen Grundlagen des Raumordnungsrechts17 – 27

I.Die Raumordnungsgesetze des Bundes und der Länder17 – 20

1.Das Raumordnungsgesetz 200818

2.Das Gesetz zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften 201719

3.Die Raumordnungsgesetze auf Länderebene20

II.Verteilung der Gesetzgebungskompetenz21 – 24

III.Umfang und Abgrenzung der Regelungsbereiche des Bundes und der Länder25 – 27

D.Die allgemeinen Vorschriften über die Raumordnung28 – 40

I.Geltungsbereich, Aufgabe und Leitvorstellung der Raumordnung (§ 1 ROG)28 – 31

II.Grundsätze der Raumordnung (§ 2 ROG)32 – 34

III.Ziele der Raumordnung (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG)35 – 38

IV.Sonstige Erfordernisse der Raumordnung39, 40

E.Die Raumordnungspläne nach dem ROG41 – 58

I.Raumordnung auf Bundesebene (§ 17 ROG)41 – 53

II.Die Regelungen des ROG zur Landes- und Regionalplanung54 – 58

F.Instrumente zur Sicherung und Verwirklichung der Raumordnung59 – 70

I.Raumordnerische Zusammenarbeit60, 61

II.Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen (Raumordnungsverfahren)62 – 64

III.Die Untersagung von Planungen und Maßnahmen65, 66

IV.Raumordnungsberichte und Beiräte67, 68

V.Raumordnungskataster, Mitteilungs-, Auskunfts-, und sonstige Pflichten69, 70

G.Rechtsschutzmöglichkeiten71 – 73

H.Europarechtliche Bezüge des Raumordnungsrechts74

Schrifttum:

Ulrich Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 72017; Hans-Bernd Beus, Rechtsprobleme bei der Ausgestaltung der Raumordnung und Landesplanung als Entwicklungsplanung, Beiträge zum Siedlungs- und Wohnungswesen, Bd. 46, 1978; Walter Bielenberg/Peter Runkel/Willy Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Band 1 und 2 (Stand: März 2019); Werner Cholewa/Hartmut Dyong/Hans von der Heide/Willi Arenz, Raumordnung in Bund und Ländern, Kommentar, Band 1 bis 3, (Stand: Februar 2019); Wilfried Erbguth/Jörg Schoeneberg, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 21992; Werner Ernst/Werner Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumplanungsrecht 21981; Elke Gurlit, § 8 Landesplanungsrecht, in: Hufen/Jutzi/Proelß, Landesrecht Rheinland-Pfalz, Studienbuch, 8 2018; Werner Hoppe, Grundfragen des Planungsrechts, ausgewählte Veröffentlichungen, Zentralinstitut für Raumplanung in Münster, 1998; ders./Christian Bönker/Susan Grotefels, Öffentliches Baurecht – Raumordnungsrecht, Städtebaurecht, Bauordnungsrecht, 42010; Hans-Joachim Koch/Reinhard Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 52009; Jochen Schumacher/Klaus Werk/Juliane Albrecht, Raumordnungsgesetz, Kommentar, 22018; Willy Spannowsky/Peter Runkel/Konrad Goppel, Raumordnungsgesetz (ROG), Kommentar, 22018; Bernhard Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Planung – Genehmigung – Rechtsschutz, 52015; Rainer Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, Band 1: Das Planungssystem der Landesplanung, Band 2: Die Konzepte der Siedlungsstruktur in den Planungssystemen der Länder, Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 341, 1978.

A. Einleitung – Grundbegriffe und die Bedeutung staatlicher Raumplanung

1

In einem dicht besiedelten Industriestaat ist der Raum knapp und nicht vermehrbar. Staatliche Raumplanung ist somit unabdingbar, um ihn trotz der ständig wachsenden Anforderungen an die Bodennutzung optimal nutzen zu können. Auf Grund der Konkurrenz vielseitiger Raum- und Bodennutzungsinteressen ist es notwendig, dass ein fachübergreifender Moderator mögliche Kollisionen frühzeitig erkennt und raumrelevante Maßnahmen, Planungen und Entscheidungen aller Art koordiniert. Diese übergeordnete Teilaufgabe staatlicher Raumplanung übernimmt die moderne Raumordnung, die anhand verschiedener Leitprinzipien die Entwicklung des Gesamtraums fördern soll. Begrifflich lässt sich somit die staatliche Raumplanung in die raumbezogene Fach- und Gesamtplanung (Raumordnung) unterteilen[1], wobei weiterhin nicht von einer einheitlichen, trennscharfen Verwendung der verschiedenen raumordnungsrechtlichen Begriffe die Rede sein kann[2].

Dem Fachfremden mag Raumordnung abstrakt und konturlos erscheinen. Einerseits gleicht sie einer leidigen Last der planenden Kommunen, deren Entscheidungsspielräume in nicht zu unterschätzendem Maße eingeschränkt werden. So sind z.B. die Bauleitpläne nach § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung zwingend anzupassen[3]. Andererseits wird sie wegen ihrer höchst abstimmungs- und abwägungsbedürftigen Natur und der vergleichsweise geringen rechtlichen Bindungswirkung als das wirkungsschwächste Instrument der Raumordnungspolitik wahrgenommen[4], das den einleitend dargestellten Ansprüchen an einen umfassenden Ausgleich der divergierenden Raumnutzungsinteressen nicht gerecht wird. Wegen ihres hohen Abstraktionsgrades und langfristig-strategischen und konzeptionellen Charakters entzieht sie sich auch der Tagespolitik und wird nicht selten als „Buch mit sieben Siegeln[5]“ empfunden. Erschwerend kommt hinzu, dass der Begriff der Raumordnung trotz gesetzlicher Verwendung keine eindeutige gesetzliche Definition erfahren hat.

I. Abgrenzung zur Fach- und Bauleitplanung

2

Abzugrenzen ist die Raumordnung zunächst von der Fachplanung – der zweiten Teilsäule staatlicher Raumplanung[6]. Diese gestaltet den Raum nur bezüglich eines bestimmten fachlichen Gesichtspunkts, indem sie z.B. Pläne zur Errichtung von Verkehrsanlagen oder Deponien aufstellt, Naturschutzgebiete festsetzt oder infrastrukturelle Planungen im Bereich der Bildung oder der medizinischen Versorgung betreibt[7]. Aufgabe der Raumordnung dagegen ist es, diese verschiedenen Fachplanungen und Maßnahmen aufeinander abzustimmen („Querschnittsplanung“[8]) und ein gesamträumliches Rahmenkonzept zu entwickeln[9]. Dies geschieht insbesondere durch so genannte Raumordnungspläne[10].

3

Des Weiteren ist das Recht der Raumordnung von dem Bodenrecht i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG abzugrenzen, deren Hauptbestandteil die kommunale Bauleitplanung darstellt. Dem Grundsatz nach betrifft die Raumordnung Bereiche überörtlicher Planung, während die kommunale Bauleitplanung Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft regelt[11]. Dabei muss beachtet werden, dass beide Planungsarten jeweils nur verschiedene Stufen im selben System staatlicher Raumplanung sind. Die Regelungsmaterie von Raumordnungsplänen ist bloß allgemeinerer Natur und muss den Gemeinden hinreichenden Gestaltungsraum für eigene, substantiell gewichtige planerische Entscheidungen auf gemeindlicher Ebene belassen[12]. Das gesamte System der Raumordnung im Sinne einer raumbezogenen, überfachlichen Gesamtplanung lässt sich dabei in drei Planungsstufen, nämlich in


1. die Bundesraumordnung,
2.
3. die Regionalplanung, die sich auf eine Teilfläche des Bundeslandes bezieht, jedoch größer ist als eine der Bauleitplanung unterliegenden Einheit,

einteilen.

Erst als vierte Planungsstufe kommt die – nicht zur Raumordnung gehörende – kommunale Bauleitplanung hinzu[14]. Da sich alle diese Planungsstufen teilweise auf den gleichen Raum beziehen, ist es notwendig, sie durch ein geschlossenes Rechtssystem aufeinander abzustimmen, was durch das Raumordnungsgesetz des Bundes, die Landesplanungsgesetze der Länder und das Baugesetzbuch geschieht.

Eine übergeordnete und allgemeine Raumplanung auf europäischer Ebene ist dagegen noch nicht vorhanden, auch wenn sie in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den Fokus der zuständigen Akteure rückte, welche die Notwendigkeit einer europäischen Raumentwicklung erkannten[15]. Immerhin besteht mit dem Europäischen Raumentwicklungskonzept (EUREK)[16] ein zwar rechtlich unverbindlicher, aber wegen des damit verbundenen Mittelflusses faktisch prägender Rahmen für den Binnenraum der EU.

II. Definition der Raumordnung

4

Aus den Abgrenzungen zur Fachplanung und kommunalen Bauleitplanung lässt sich schließlich Raumordnung – in Anlehnung an das Baurechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1954 – als zusammenfassende, überörtliche und überfachliche Ordnung des Raums auf Grund von vorgegebenen oder erst zu entwickelnden Leitvorstellungen begreifen[17]: Sie ist wie bereits dargelegt überfachlich, da sie sich nicht auf einzelne Sachbereiche – wie etwa Straßenbau, Landwirtschaft, Industrie oder Bildungswesen – beschränkt, sondern auf eine Gesamtstruktur ausgerichtet ist. Zusammenfassend ist sie, da die verschiedenen Interessen und Bedürfnisse und die unterschiedlichen raumbedeutsamen Maßnahmen der verschiedenen Träger öffentlicher Gewalt koordinierend aufeinander abgestimmt und die Rahmen abgesteckt werden, innerhalb derer sich die Fach- und Ortsplanung entfalten können.

Mit dieser Definition enthält die Raumordnung ein statisches und ein dynamisches Element. Sie bezieht sich zum einen auf einen bestimmten „natürlichen“ oder auf einen noch zu schaffenden „idealen“ Zustand des Raums. Zum anderen ist sie insoweit dynamisch, als sie die Gesamtheit der Maßnahmen erfasst, die darauf abzielen, Leitbilder eines anzustrebenden idealen Zustands des Raums zu entwickeln und die Voraussetzungen für ihre Verwirklichung zu schaffen[18]. Demnach bedeutet Raumordnung sowohl Gestaltung der Gegenwart als auch Vorsorge für die Zukunft.

B. Geschichtliche Entwicklung des Raumordnungsrechts

I. Vom kommunalen Bedürfnis nach Planung zur überörtlichen Planung der Länder

5

Historisch gesehen geht unser heutiges Raumordnungsrecht auf die Entwicklungen des Städtebaus seit Beginn des 20. Jahrhunderts zurück[19]. Es entstand aus dem lokalen Bedürfnis nach raumplanerischer Abstimmung zunächst in Form von Siedlungsverbänden. Im Zuge der Industrialisierung entstanden in bestimmten Gebieten schnell wachsende Siedlungsgebilde, die über die gemeindlichen Grenzen hinausreichten und auch an Ländergrenzen nicht haltmachten. Angrenzende Gemeinden gerieten in wirtschaftliche Abhängigkeit von Großstädten, die sich zunehmend in ihren Bereich ausdehnten. Abhilfe konnte nur durch eine überörtliche Zusammenarbeit geschaffen werden. Damit entstand auf Dauer ganz zwangsläufig die Raumordnung als eigenständige Verwaltungsaufgabe[20].

Zunächst sahen sich die Gemeinden in verschiedenen Ballungsgebieten zur Zusammenarbeit gezwungen, um die Wasser- und Energieversorgung ebenso wie die Verkehrsführung und Abwasserbeseitigung zu koordinieren. Daher entstanden auf Initiative der Gemeinden in diesen Gebieten sogenannte „Planungsinseln interkommunaler Verbände“[21]. Die Idee der großräumlichen Koordination fand daraufhin viele Anhänger[22]. In der Folgezeit entstanden ca. zwanzig weitere regionale Planungsgemeinschaften, die bis 1932 schon 29 % der Fläche des Deutschen Reichs umfassten, welche wiederum– da es sich um die großen Ballungsgebiete handelte – von 58 % der Gesamtbevölkerung[23] bewohnt wurde. Allerdings hatten diese Planungsverbände keine großräumige Landesplanung zu betreiben, sondern lediglich begrenzte Stadt-Umland-Probleme zu lösen.

6

In der NS-Zeit wurde der vorher übliche Begriff der Landesplanung erstmals durch den Begriff Raumordnung ersetzt. Zudem wurde die dezentrale, meist auf kommunaler Ebene beruhende Raumordnung aufgegeben und zunehmend für militärische Zwecke eingesetzt. Einen wichtigen Meilenstein stellte dabei das Landbeschaffungsgesetz von 1935[24] dar, das der Landbeschaffung zwecks forcierter Aufrüstung diente, z.B. dem Bau des Westwalls und der Autobahnen. Außerdem wurde die Reichsstelle Raumordnung geschaffen und mit der zusammenfassenden übergeordneten Planung und Ordnung des deutschen Raumes betreut. Zu diesem Zweck erhielt sie die umfassende Weisungsbefugnis gegenüber den bestehenden Landesplanungsgemeinschaften. Trotz dieser weitgehenden Kompetenzen konnte sich die Reichsstelle jedoch häufig nicht gegenüber den Fachressorts durchsetzen, da diese als Träger der Fachplanungen in der Regel methodisch und fachlich überlegen waren[25], so dass der Reichstelle bis zum Ende nur die formale Verfahrens- und Organisationshoheit verblieb[26]. Während des 2. Weltkrieges wurde das Instrumentarium der Raumordnung zunehmend dazu eingesetzt, die Vorstellungen eines Groß-Deutschlands und das damit verbundene Großraumdenken zu verwirklichen.

Gerade dieser Einsatz hatte die Raumordnung bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig in Misskredit gebracht. Die NS-Zeit hinterließ überdies eine allgemeine Abneigung gegen staatliche Planung[27]. Auf der anderen Seite setzte sich durch die verstärkte Bevölkerungsdichte infolge des Flüchtlingsstroms sowie durch die Notwendigkeit eines umfassenden Wiederaufbaus der zerstörten Städte und den immer stärker werdenden Trend zur Bildung von Ballungsräumen die Erkenntnis durch, dass eine umfassende Raumordnung unabdingbar war. Die in den einzelnen Ländern ergangenen Aufbaugesetze aus den Jahren 1948 bis 1952[28] sahen somit eine Abstimmung der gemeindlichen mit der überörtlichen Planung vor. Zudem entstanden in den Ländern Bayern und NRW[29] Landesplanungsgesetze, welche die Landesplanung als übergeordnete, zusammenfassende und überörtliche Planung beschrieben. Jedoch hatte die Raumordnung weiterhin mit großem Misstrauen zu kämpfen. Insbesondere betrachteten die Bundesländer die Raumplanung weiterhin primär als Länderangelegenheit[30], obwohl ihnen die zur wirkungsvollen Landesplanung notwendigen Instrumente noch fehlten. Die Planer gingen davon aus, dass es dem Wesen der Landesplanung entspräche, wenn sie ihre Vorstellungen im freiwilligen Ausgleich der Interessen durchsetzen würden. Dies sollte durch die Überzeugung der jeweiligen Beteiligten geschehen (persuasorische Landesplanung[31]).

II. Die Phase der Planungseuphorie

7

Die entscheidende Aufwertung erfuhr das Raumordnungsrecht durch § 1 Abs. 4 des Bundesbaugesetzes von 1960. Diese Bestimmung verlangte ebenso wie nunmehr § 1 Abs. 4 BauGB, dass die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen sind. Im Anschluss daran erkannte auch die Bundesregierung in einer Erklärung vom November 1961 ausdrücklich an, dass die Raumordnung ein notwendiger Bestandteil einer verantwortungsbewussten Wirtschaftspolitik sei[32]. Diese Anerkennung der Raumordnung hatte den Erlass weiterer Landesplanungsgesetze in den Ländern Baden-Württemberg[33], Hessen[34], Rheinland-Pfalz[35] und Saarland[36] in den Jahren 1962 bis 1966 zur Folge. Den vorläufigen Abschluss dieser Entwicklung bildete das Raumordnungsgesetz vom 8. April 1965[37].

Zwar ist das Bundesraumordnungsgesetz in mancher Hinsicht noch der vorangegangenen Phase verpflichtet gewesen – so begnügte sich der Bund, obwohl ihm das BVerfG im Baurechtsgutachten von 1954[38] kraft Natur der Sache eine Vollkompetenz für die Raumordnung im Gesamtstaat zugesprochen hatte, auf Drängen der Länder[39] damit, seine damals bestehende Rahmenkompetenz gemäß Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 GG a.F. wahrzunehmen. Daher enthielt das Raumordnungsgesetz zunächst lediglich einige Ansätze für eine Bundesraumordnung, die im weiteren Verlauf aber immer detaillierter ausgestaltet wurden. Mit Inkrafttreten des Bundesraumordnungsgesetzes wurde die Raumordnung jedoch endgültig als Staatsaufgabe etabliert.

8

Mit der Überwindung der Rezession von 1966/67 gewann die staatliche Planung erheblich an Ansehen. Gerade die staatliche Planungsaktivität als „Tochter der Krise“ galt als maßgebliche Ursache für die Bewältigung der Wirtschaftsprobleme. Die Aufwertung staatlicher Planung zeigte sich nachhaltig in der Ländergesetzgebung zur Landesplanung. Die zunehmende „Vergesetzlichung“ oder „Parlamentarisierung der Landesplanung“[40] machte deutlich, dass Planung mehr und mehr als eine Aufgabe angesehen wurde, die der Exekutive und der Legislative gemeinsam zustand[41].

Auch in diesen Jahren der Planungseuphorie[42] konnte in der Praxis jedoch weder eine integrierte Entwicklungsplanung in vollem Umfang verwirklicht werden, noch konnte von einer gezielten Lenkung und Verknüpfung des Finanzeinsatzes mit den Zielen der Landesplanung die Rede sein. Häufig wurde der für die Koordinierung zuständige Raumordnungs- bzw. Landesplanungsminister von den für die Mittelvergabe zuständigen Fachressorts nicht einmal umfassend informiert.

III. Die Phase der Planungsernüchterung und Konsolidierung

9

Mit der Energiekrise von 1973 war erneut ein deutliches Abflachen des Wirtschaftswachstums verbunden. Damit einher ging eine gewisse Enttäuschung über das mit der Raumordnung und Landesplanung bisher Erreichte[43]. Dies führte zu einer neuen Diskussion über die Bedeutung der Planung, insbesondere der zentralen Entwicklungsplanung.

Auf der einen Seite erschien eine ordnende Gestaltung durch einheitliche Planung notwendig, da sich durch die neu geschaffenen Erwerbsmöglichkeiten im Industrie- und Dienstleistungsbereich große Verdichtungsräume wie der Großraum Berlin oder das Rhein-Main-Gebiet gebildet haben, die nur einen geringen Prozentsatz der Gesamtfläche ausmachen, aber über die Hälfte der Bevölkerung aufnahmen. Auch hatte sich durch den hohen Grad an Motorisierung und die damit verbundenen veränderten Lebensgewohnheiten das Verhältnis des Menschen zum Raum verändert: Durch die Trennung von Wohnort und Arbeitsplatz, die Nutzung der Bildungs-, Kultureinrichtungen und Naherholungsgebiete mehrerer Gemeinden veränderte sich die Struktur dieser Gebiete erheblich[44].

Auf der anderen Seite betrachtete man eine Totalplanung als durchaus freiheitsgefährdend. Während in den Jahren der Planungseuphorie der Versuch im Vordergrund stand, einen möglichst gleichen Stand der Arbeits- und Lebensbedingungen mittels zentraler Planung zu erreichen, begann man sich nun wieder auf die freiheitssichernden Grenzen staatlicher Planung zu besinnen, die aus den Grundrechten – verstanden als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat – und dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten sind[45].

10

Damit einher ging eine gewisse Planungsernüchterung[46]. Jedoch war diese Entwicklung auch eine Chance für Raumordnung und Landesplanung, welche nicht mehr der Gefahr ausgesetzt waren, dass überzogene Erwartungen an sie geknüpft wurden, die sie ohnehin nicht erfüllen konnten. Zentrale Entwicklungsplanung hatte weiterhin eine durchaus nicht geringe Bedeutung, wenn auch begrenzt durch die stärkere Betonung der Freiheitsrechte. Somit offenbarten sich zu der Zeit der Planungsernüchterung die klaren Grenzen staatlicher Raumordnungspolitik. Angesichts der Freiheitsrechte scheiden etwa Umsiedlungsgebote in dünn besiedelte ländliche Räume oder Zuzugsverbote in Ballungsgebiete als mögliche Mittel der Raumordnung jedenfalls aus. Das bestehende Wirtschaftssystem, das trotz der so genannten wirtschaftlichen Neutralität des Grundgesetzes[47] wegen der Grundrechte aus Art. 14 und 12, 2 Abs. 1 GG nicht in eine sozialistische Planwirtschaft umgestaltet werden darf[48], lässt keine Festsetzung von Produktionszahlen für Wirtschaftszweige und Regionen und – anders als in einer staatlich und zentral gelenkten Wirtschaft – nur begrenzt staatliche Sonderbestimmungen zu[49].

11

Entscheidend ist zudem, dass die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind. Die öffentliche Hand ist vielmehr auch gehalten, im Bereich der darbietenden und vorsorgenden Verwaltung günstige tatsächliche Voraussetzungen für die Verwirklichung der Grundrechte zu schaffen. Zwar begründet dies keinen Rechtsanspruch auf bestimmte staatliche Maßnahmen, aber die Optimierung der Grundrechte muss eine Richtlinie staatlicher Planung sein[50]. Dies gilt insbesondere für das in Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip. Dieses Prinzip, das zu den unabänderlichen Grundentscheidungen der Verfassung zählt, ist als Auftrag, Handlungs- und Auslegungsrichtlinie an Gesetzgeber, Verwaltung und Rechtsprechung gerichtet. Es dient der Herstellung sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit und ist darauf angelegt, einen Zustand zu schaffen, in dem jeder Bevölkerungsgruppe die wirtschaftliche und kulturelle Lebensmöglichkeit auf einem angemessenen Niveau ermöglicht wird[51]. Dazu sind Raumordnung und Landesplanung unverzichtbar, da soziale Ungleichheiten nicht selten im Zusammenhang mit räumlichen Strukturen stehen. Der Auftrag der Raumordnung besteht also auch darin, mittels raumordnungsrechtlichen Maßnahmen die Voraussetzungen für wertgleiche Lebensverhältnisse in allen Teilen der Bundesrepublik zu schaffen[52]. Eine großräumige Ungleichheit der Arbeits- und Lebensbedingungen kann schließlich durchaus Ausmaße annehmen, die für Gesellschaft, Staat und Wirtschaft nachteilige, ja gefährliche Auswirkungen haben kann. Dies gilt insbesondere für den Ausgleich des nach wie vor bestehenden Ost-West-Gefälles in den Lebensbedingungen der Bevölkerung seit der Einheit Deutschlands.

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