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Czytaj książkę: «Die Liebesbriefe der Marquise», strona 13

Braun Lily
Czcionka:

Von alten Freunden hat sich der gute Laharpe mit einer Ausgabe seiner gesammelten Werke eingestellt. Man pflegte das früher der Nachwelt zu überlassen, und wenn es mich schon überrascht, daß Laharpe den Mut besitzt, seine ganze Karriere – vom begeisterten Anhänger Voltaires bis zum Freunde Marie Antoinettes – offenherzig zu enthüllen, so wundert es mich weit mehr, daß er die Selbsterkenntnis besitzt, zu tun, woran nach seinem Tode niemand mehr denken würde. Er ist, wie Herr von Chamfort bissig bemerkte, eben ein Mann, der sich seiner Fehler bedient, um seine Laster zu verstecken.

Der Herzog von Chartres hat die große Allee vom Palais-Royal niederschlagen lassen, um gedeckte Wege anzulegen. Seitdem die Spekulanten wie Prinzen leben, ist es den Prinzen nicht zu verargen, wenn sie Spekulanten werden.

Madame de Genlis hat sich nun auch entschlossen, die Reform der Erziehung in die Hand zu nehmen –, natürlich indem sie ein Buch darüber schrieb. Ist der Eifer, die Kinder vor schlechter Erziehung zu retten, nicht schrecklich rührend in einer Zeit, wo die Eltern kein Brot mehr zu essen haben!?

Sie sehen, eine Überfülle erstaunlicher Ereignisse; kommen Sie bald, damit Ihnen nicht allzu viel entgeht, – vor allem aber, damit Sie Figaros Sieg erleben!

Baron Ferdinand Wurmser an Delphine
Paris, den 10. Februar 1782.

Verehrte Cousine. Wenn ich jetzt erst dazu komme, Ihnen zu schreiben, so werden Sie das einem Manne zugute halten, der nach einem Jahrzehnt der Abwesenheit nach Paris zurückgekehrt ist und bei jedem Schritt, den er tut, zu träumen glaubt.

Welch eine Umwälzung! Ich bin von ihr noch dermaßen benommen, daß ich nicht weiß, ob ich sie freudig begrüßen, oder vor ihr erschrecken soll. Ein Eindruck ist es vor allem, der geradezu verblüffend wirkt, und den ich in vier Worten zusammenfassen kann: Das Volk ist da!

Sind wir früher, als wir uns fast nur zu Pferde oder zu Wagen durch die Straßen bewegten, so rasch an ihm vorübergeglitten, oder wagte es sich wirklich nicht aus seinen Quartieren heraus, – ich weiß es nicht; jedenfalls ist es erst jetzt vorhanden. Es geht, ohne uns Platz zu machen, auf denselben Wegen wie wir, es schreit und lärmt auf den öffentlichen Plätzen, es spricht mit lauter Stimme von Freiheit, Demokratie, Republik, wo es früher nur den Mund aufzutun wagte, um vive le roi zu rufen. Das Erstaunlichste aber erlebte ich gestern.

Das Gerücht von der Ankunft Lafayettes hatte sich verbreitet. In Versailles wußte freilich niemand davon, als die Pariser Straßenjungen sich schon im »vive Lafayette« übten. Ich hielt mich von früh an im Palais-Royal auf, wo die Arkaden, die der Herzog zum Ersatz der verschwundenen großen Allee bauen ließ, der Vollendung entgegengehen und der Sammelpunkt geistigen Lebens zu werden scheinen. Man sprach voll Begeisterung von dem erwarteten Helden, von der endgültigen Befreiung Amerikas, von dem großen, ausschlaggebenden Sieg bei Yorktown.

»Ein Fanal der Freiheit war der Brand der Stadt!« schrie Einer, der dabei gewesen sein wollte. »Bald brennt es auch bei uns!« rief ein Andrer. »Und mit den Feudalrechten und den Steueredikten schüren wir den Scheiterhaufen der Monarchie«, frohlockte ein Dritter, – ein buckliger Mensch mit dem ausgemergelten Gesicht eines Savanarola. Alles applaudierte.

Der Ruf »Lafayette!« der irgendwo von oben zu kommen schien, übertönte den Lärm. Einen Augenblick tiefen Schweigens –, dann wälzte sich die Menge einmütig dem Eingang zu, und schon in der nächsten Minute sah ich einen Mann in Uniform, von starken Armen getragen, hoch über ihren Köpfen schweben. Hüte flogen in die Luft, Taschentücher wehten, – lauter weiße Fahnen –; als der Marquis endlich mit den Füßen wieder den Boden berührte, streckten sich ihm hunderte von Händen entgegen. Und breite, schmutzige Fäuste umklammerten seine schmale Aristokratenhand. Alles in mir empörte sich beim Anblick dieser Berührung. Ich versuchte, mich hinaus zu drängen. Da traf mein Blick von ungefähr einen anderen Uniformierten, der neben Lafayette stand: dies scharfgeschnittene Profil, diese stahlblauen Augen, diese hellen blonden Haare waren mir bekannt, ja vertraut. Friedrich-Eugen! Das Erstaunen löste den lauten Ruf von meinen Lippen. Er hörte mich nicht; er sprach – fast freundschaftlich, wie mir schien – mit jenem Buckligen, und seine braun gebrannten Wangen färbten sich dabei mit einem leisen Rot, seine schmalen Lippen umspielte ein Lächeln, – er freute sich dieser Begegnung!!

Ich wäre außer stande gewesen, den alten Freund zu begrüßen, und bahnte mir mit den Ellenbogen den Weg hinaus.

Als ich ziellos durch die Straßen stürmte, führte mich der Zufall – oder das Schicksal?! – an Cagliostros Haus vorbei. Ich zögerte unwillkürlich und schaute hinauf. Der Meister stand am offenen Fenster. Etwas wie ein teufliches Grinsen, das ich nie vorher an ihm gesehen hatte, verzerrte seine Züge. Mit der großen gelben Hand winkte er mir zu und rief mit einer Stimme, als kratze eine Stahlklinge über eine Schiefertafel: »Die Luft weht schneidend heute, was, Herr Baron?! Machen Sie, daß Sie nach Hause kommen, für zarte Häute ist das nichts,« und, hell auflachend, schlug er krachend das Fenster zu. Ich stand noch wie gebannt, als ich den Marquis, Ihren Gemahl, unten aus dem Torweg treten sah. Er ging langsam, sehr gebückt, seine Schultern zuckten, als fröre ihn unter dem dicken schwarzen Mantel. Besorgt wollte ich ihn anreden. Aber er sah an mir vorbei ins Leere.

Es war ein böser Tag, teuerste Cousine, und ich würde am liebsten meine Koffer packen, und den Weg, den ich kam, mit der schnellsten Post zurückkehren. Rußland erscheint mir jetzt wie eine stille, felsenumschlossene Bucht, in deren dunklen Wassern sich zwar die Sonne nicht spiegelt, die aber auch der Sturm nicht aufpeitscht.

Aber die bevorstehende Ankunft des Großfürsten fesselt mich hier, und ich knüpfe die Hoffnung daran, daß sie mit vielen Festen und Empfängen die Wirkungen schlechter Träume zerstreuen wird.

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Versailles, am 15. März 1782.

Verehrteste Frau Marquise. Im Auftrage meiner erhabenen Gebieterin, Ihrer Majestät der Königin, habe ich die Ehre, Ihnen dero allerhöchste Wünsche ganz ergebenst zu unterbreiten.

Ihre Kaiserlichen Hoheiten, der Großfürst Paul von Rußland und seine Gemahlin, die Großfürstin Maria Feodorowna, geborene Prinzessin Montbéliard, gedenken im Mai den französischen Hof durch ihren Besuch auszuzeichnen, und Ihre Majestät will alles daran setzen, um den erlauchten Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie bittet daher die Frau Marquise Delphine Montjoie als Jugendgespielin Ihrer Kaiserlichen Hoheit während der kommenden Monate die Gastfreundschaft des französischen Hofes gleichfalls akzeptieren zu wollen.

Bis hierher schreibt Ihnen, schönste Delphine, nur die von einem höheren Willen in Bewegung gesetzte Feder, und jetzt erst tritt Guy Chevreuse persönlich in Aktion, um seinem Vergnügen darüber Ausdruck zu geben, daß auch die liebenswürdigste Bitte einer Königin selbst für die stolzeste Marquise einem Befehle gleichkommt, und daß Ihnen im Augenblick, wie ich vorsichtshalber schon vorher in Erfahrung brachte, jede Begründung eines möglichen Ungehorsams fehlt. Ich durfte mich in Larose selbst überzeugen, daß Sie nicht den Schleier zu nehmen willens sind, denn statt mit dem Rosenkranz für fromme Nonnenhände, sah ich Sie mit einer Kette aufgereihter Männerherzen grausam spielen. Immer, wenn ich hoffte, Sie hielten das meine fest, ließen Sie wieder ein anderes durch die weißen Finger gleiten. Ich weiß auch, daß Sie in Straßburg nicht so auf der Höhe der allerneuesten Mode stehen, um sich durch eine Turteltauben-Ehe fesseln zu lassen, und daß Sie nicht zu den Getreuen Cagliostros gehören, schon weil der Herr Marquis dazu gehört. Ich traf ihn erst gestern in der Loge des Großmeisters, wo die reizendsten Frauen und die vornehmsten Kavaliere in schauerndem Entzücken der Mysterien harren, die ihnen der wieder erstandene Priester der Isis enthüllen will.

Was mich zu ihm trieb? Die Spielleidenschaft –, sein Schmelzofen ist wie Würfel und Karten: er schafft und er verschlingt Vermögen. Die Neugierde –, in der Welt, die wir bis zur Neige ausgekostet zu haben glaubten, sind die okkulten Wissenschaften die neue, große Sensation. Überdies: ein Priester, der Gold macht, bekehrt selbst den ärgsten Ketzer, um so mehr, wenn Seine Hochwürden, der Kardinal von Straßburg und Großalmosenier von Frankreich seinen Segen dazu gibt.

Man könnte glauben, Cagliostro wäre ein heimlicher Agent der Condorcet und Mirabeau: er betäubt mit seinen Hexenkünsten ihre Gegner, er fasziniert die Geister, er schläfert alles Mißtrauen ein, er lenkt die Einbildungskraft von der Nüchternheit des öffentlichen Lebens ab. Glauben Sie, es würde sich in Paris noch irgend jemand über die Belagerung von Gibraltar aufregen, wenn jeder Mann Gold machen könnte und jedes Weib das Elixier ewiger Jugend besäße?!

Wir sind in Trianon schon mitten in der Vorbereitung reizender Aufführungen zu Ehren der kommenden Gäste. Herr von Calonne, der mit den Finanzen Frankreichs die Griesgrämigkeit aller seiner Vorgänger erbte, – genau wie ein petit-maître seinen Witz verliert, wenn er anfängt, seine Schulden nachzurechnen –, sagte neulich mit düsterem Stirnfalten zur Königin: »Sie tanzen auf einem Vulkan, Majestät.« »Wenn wir nur tanzen!« lachte sie, »und das Parkett glatt genug ist. Was kümmert es mich, was sich darunter versteckt!« Und Cherubins Romanze trällernd, ging sie dem König entgegen, dem bei dem Ton des verbotenen Liedes jedesmal die Zornader schwillt.

Ich dagegen dachte noch immer mit einem angenehmen Schauder an den Vulkan. Mir scheint es weit reizvoller, mit einem Feuerwerk in die Luft zu gehen, als ängstlich in das Tal hinabzukriechen.

Was meinen Sie dazu, schönste Frau?

DER PRINZ

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Versailles, den 12. April 1782.

Teuerste Frau Marquise. Im Augenblick, da ich den Boden Frankreichs wieder betrat und die Jahre zwischen damals und heute ausgewischt erschienen, war mir, als müßte ich Ihnen zuerst begegnen, als könne das neue Leben nur beginnen, wenn der Stern über ihm strahlte, der meiner ersten Jugend geleuchtet hat. Erst als der brave Gaillard, der Sie zwar nie mehr sah, aber trotzdem nie aus dem Auge verlor, mir von Ihnen und Ihrem Kinde erzählte, und als Sie im Schloß von Versailles zum ersten Male wieder vor mir standen und mich nicht anders begrüßten wie jeden Fremden, fühlte ich, daß mehr als Jahre, daß Schicksale die Gegenwart von der Vergangenheit trennen.

Wenn Sie, an das Leben der großen Welt gewöhnt, das alle Abgründe der Seele mit Lärm und Zerstreuung füllt, imstande sind, während der kommenden Anwesenheit meiner Schwester, die uns notwendig täglich zusammenführen wird, gleichmäßig fremd neben mir herzugehen, – ich, Delphine, der auf den Steppen und in den Urwäldern Amerikas mehr denken lernte, als reden, und mehr empfinden, als überlegen –, ich vermag es nicht!

Es gibt nur zwei Wege für mich: entweder wir löschen aus, was uns trennte, und reichen uns als gereifte Menschen, die über kindische Torheiten zu lächeln lernten, die Hand, oder –, ich gehe. Ich habe Sie bitter gekränkt – ich weiß es – ich habe aber auch bitter um Sie gelitten! Darum verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen Unrecht tat, und ich will den Stachel aus meinem Herzen reißen, der noch immer in ihm brennt.

Ich erwarte keine schriftliche Antwort. Sie sollen sich nicht, von irgendeinem äußeren Einfluß gezwungen, an den Schreibtisch setzen, und ich will nicht eins jener Billette von Ihnen lesen müssen, aus dem ich nicht zu sehen vermag, ob sein Inhalt Empfindung oder Höflichkeit ist. Wir sehen uns heute in der Akademie. Ein Blick von Ihnen wird mir mehr sagen können, als viele Worte.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Versailles, den 13. April 1782.

Was ich gestern nicht auszusprechen vermochte, weil ich fürchtete, der lange zurückgedämmte Strom meiner Gefühle möchte nur zu stürmisch emporquellen, das muß ich Ihnen heute sagen: Ich danke Ihnen für Ihren Blick, für Ihren Händedruck; ich danke Ihnen dafür, daß Sie leben, daß ich Sie sehen darf!

Als Condorcet zu sprechen begann, war ich noch so bewegt von Ihrer Güte, teure Delphine, daß ich dem Redner trotz all meines Interesses für seine Persönlichkeit, lange Zeit nicht zu folgen vermochte. Ich stand in der Fensternische und sah nur Sie! An mein Ohr schlugen Worte, aber in ihm klang nur Ihre weiche Stimme nach!

Erst allmählich kam ich zu mir und horchte. Wie oft hatte ich mich draußen darnach gesehnt, einen der führenden Geister Frankreichs zu hören. Nun stand er vor mir; das 18. Jahrhundert ist das Thema seiner Rede; die Entwicklung der Freiheit wird er rühmen, dachte ich –, der Freiheit, für die wir drüben bluteten.

»Ein junger Mann, der heute unsere Schulen verläßt, hat mehr Kenntnisse, als die größten Genies der Antike«, – sagte er. Man klatschte Beifall, die jungen Männer am lautesten, als müßten sie sich selbst applaudieren.

Im stillen Zelt, am Lagerfeuer jenseits des Weltmeeres war unsere einzige Lektüre, die uns aufrichtete wie die Bibel die guten Christen, der Plutarch gewesen. Sind wir wirklich an Kraft und Tugend den Helden des Altertums überlegen, weil wir das Gesetz der Schwere kennen, oder weil wir wissen, daß die Erde sich um die Sonne dreht?! Ich hatte noch nicht zu Ende gedacht, als ich Condorcet weitersagen hörte: »Jedes Jahr, jeder Monat, jeder Tag ist gleicherweise durch neue Entdeckungen und Erfindungen ausgezeichnet.« Aber ich habe nicht gefunden, daß Frankreich darum reicher und glücklicher geworden ist: die Spinnmaschine lockt arme Weiber in den Frohndienst der Fabriken; die Elektrizität dient Nichtstuern zu amüsanten Experimenten, Blanchards famose Flugmaschine ist nichts weiter als ein neues Seiltänzerkunststück.

Und mit Emphase schloß der Redner, während seine Stimme melodisch anschwoll, als stände nicht der Gelehrte Condorcet, sondern der tragische Mime Le Kain auf der Tribüne: »Als Zeugen der letzten Anstrengungen der Unwissenheit und des Irrtums sehen wir, daß die Vernunft aus diesem langen schweren Kampf siegreich hervorgegangen ist, und können endlich ausrufen: die Wahrheit hat gesiegt! Die Vernunft ist gerettet.«

»Cagliostro!« rief jemand und ein Degen klirrte heftig gegen die Dielen. Sie sahen sich erschrocken um; Sie fühlten wohl, daß nur ein Verwilderter, wie ich, sich so formlos hatte benehmen können!

Ich versichere Sie, die Empörung schnürt mir noch jetzt die Kehle zusammen: nach drei Jahren der Abwesenheit kehre ich wieder, finde den Ruin vor der Türe, die Angst um die Existenz in den Mienen eines Jeden, sehe die Einen in sinnloser Furcht fremden Gauklern in die Arme laufen, die Anderen ihren Zorn in nichts weiter als Reden und Journalartikeln Luft machen, und muß erleben, daß einer der Ersten im Lande die Vernunft für gerettet, die Wahrheit für siegreich erklärt!

Ach, Delphine, wer sich in die Einsamkeit zu flüchten vermöchte, fern all den wirren Stimmen der Gegenwart! Ich denke oft des weißen Schlößchens zwischen geschnittenen Laubengängen, und des Schwanenweihers davor und des kleinen hellen Tempels auf grüner Wiese!

Aber die Zeit ist zu hart, als daß wir uns erlauben könnten, sentimental zu werden. Wir dürften nicht einmal fröhlich sein. Ich würde mich der Teilnahme an den kommenden Festen schämen, wenn Ihre Anwesenheit nicht alles entschuldigte. Nur zum Komödianten, mit anderen Worten: zum Spaßmacher der Gesellschaft, vermöchte ich mich nicht herzugeben; – es tut mir weh, daß Sie dazu imstande sind! Zürnen Sie mir nicht wegen meiner Offenherzigkeit! Das Verstecken alles wahren Gefühls hat die allgemeine Verlogenheit so sehr züchten helfen, daß ich lieber grob und grade bin wie die Amerikaner.

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Versailles, am 6. Mai 1782.

Ihre Absage, schönste Frau Marquise, können wir nicht gelten lassen; Sie stören unser ganzes Ensemble, die künstlerische Einheit und vor allem: das Vergnügen der Gäste, die reizendste der drei Grazien vor sich zu sehen. Der Vorwand schlechten Befindens gilt im Paris Cagliostros nicht, noch weniger der der schlechten Stimmung, die eine Marquise Montjoie weder haben und noch weniger bei ihrer Königin hervorrufen darf.

Ihre Majestät ist ernstlich gekränkt und es ist nicht unmöglich, daß sie nunmehr befiehlt, nachdem sie umsonst gebeten hat. Setzen Sie sich dem nicht aus, Holdseligste; Ungnade schmeckt bitter. Ich habe mich gestern schon von einem Sturm allerhöchst schlechtester Laune bis in meine innersten Gemächer wehen lassen. Die Ursache ist gewichtig genug: Der Juwelier Boehmer wurde in Audienz empfangen, um ein Brillanthalsband vorzulegen, das an Pracht alles Dagewesene übertrifft. Die Gräfin Polignac schmückte Ihre Majestät damit, – eine Märchenprinzeß, der ihre Mutter, die Sonne, alle Sterne des Himmels um den Nacken legt, hätte sie nicht überstrahlen können. Nur die Freude, die ihre Augen erhellte, schuf noch glänzendere Edelsteine.

Sie ging damit zum König. Eine Viertelstunde verrann nach der anderen; auf dem Gesicht des Juweliers wechselte schon die Röte der Aufregung mit der Blässe der Angst; da hörten wir die bekannten Vorboten königlichen Zorns: rasche Schritte – Türenschlagen. Ihre Majestät erschien, – mit roten Augen und bebenden Lippen, das Halsband in zusammengeballter Hand.

»Da haben Sie Ihren Theaterschmuck,« sagte sie und warf ihn auf die Marmorplatte des Tisches, daß er klirrte. »Die Steine sind falsch.«

»Majestät,« stotterte der Mann entsetzt. Sie wies statt aller Antwort nach der Türe.

Der Herzog von Breteuil, den ich nachher sprach, vertraute mir an, daß nur der ungeheure Preis des Halsbands, – man forderte nicht weniger als anderthalb Millionen –, den König gezwungen habe, den Ankauf zu verweigern. Ehe ich heute abend entlassen wurde, erzählte ich der Königin von der Goldmacherkunst Cagliostros; sie hörte, sichtlich erheitert, zu und verwies der Gräfin Polignac ihre spöttischen Einwendungen.

»Und der Kardinal Rohan, sagen Sie, ist im Besitz des Geheimnisses?« frug sie interessiert; ich verbeugte mich stumm, sie versank in Nachdenken. Meine Anwesenheit schien sie zu vergessen, und schließlich entließ sie mich mit einer zerstreuten Handbewegung.

Heute früh war sie wieder in strahlender Laune, wollte aber trotzdem von Ihrem Rücktritt nichts wissen. Der Graf von Artois schlug die alte Herzogin ven Montpensier zum Ersatz für Sie vor; – fürwahr ein glänzender Witz. Sie verlor kürzlich ihre letzten Goldstücke im Spiel und kokettiert seitdem nicht übel mit Monsieur Watelet, dessen Millionen sie sogar die Herzogskrone opfern würde. Er scheint nicht unempfänglich; für einen Bourgeois ist eine Herzogin immer dreißig Jahre alt!

Sie werden, wie ich höre, schon in nächster Woche als Gast des Hofes erwartet. Bis dahin müssen Sie sich entschieden haben!

Wir spielten schon einmal miteinander, schönste Marquise. Erinnern Sie sich des Spiels? Es war das entzückendste meines Lebens!

Herr von Beaumarchais an Delphine
Paris, am 18. Mai 1782.

Als ein Bettler, teuerste Frau Marquise, erscheine ich vor Ihrer Türe. Wer, der Sie kennt, könnte anders erscheinen?!

Ich sah Sie gestern im Theater. Der Prinz Montbéliard saß neben ihnen. Auf der Bühne schwangen antike Helden ihre Riesenschwerter, rollten mit den Augäpfeln und deklamierten von ihrer Tugend. Ich war nahe daran, das gequälte Publikum, das trotz der Verschwendung von roten und blauen und grünen Beleuchtungseffekten nicht an die Echtheit des Griechentums vor ihm glauben mochte, auf Ihre Loge aufmerksam zu machen: hier waren Mars und Venus in eigner Person.

Sie lachten, während die Helden des Dramas einander mordeten; Sie neigten Ihr rosiges Ohr dem Flüstergespräch des Prinzen, während das Liebespaar auf der Bühne ewigen Abschied nahm – kurz, Sie waren von der Dichtung auf das angenehmste angeregt. Ich wollte nicht stören, beeile mich aber, die Stimmung zu benutzen, die dieser warme Maientag sicherlich festhalten wird.

Ihre Kaiserliche Hoheit, die Großfürstin, hat auf mein untertäniges Gesuch, ihr »Figaros Hochzeit« vorlesen zu dürfen, schon von Stuttgart aus zustimmend antworten lassen. Da ich aber die Erfahrung gemacht habe, daß die Menschen um so höflicher sind, je höher sie auf der Stufenleiter des Ranges stehen, – Höflichkeit ist immer nur eine Maske oder ein Parfüm, das die gute Gesellschaft allgemein anzuwenden für gut befand, nachdem sie ihres natürlichen schlechten Geruches gewahr wurde –, so glaube ich dieser Zustimmung nicht eher sicher zu sein, als bis Tag und Stunde mir angegeben worden sind. Das wird schwer halten. Um so mehr als die Gräfin du Nord das Versprechen der Großfürstin von Rußland vielleicht glaubt nicht erfüllen zu müssen. Das Vergnügungsprogramm der nächsten Wochen läßt kaum eine Stunde des Tages aus. Ich bedarf einer Zauberin, um Figaro einschlüpfen zu lassen. Wer anders könnte das sein, als Sie?! Das Bild Pariser Lebens, das den hohen Gästen vorgeführt werden soll, wäre wahrhaftig unvollständig, wenn mein Barbier neben Herrn Laharpe, der Euripides von den Toten erweckte, Madame Bertin, über deren Roben man die Trägerinnen vergißt, Marmontel, der das Geheimnis der schönen Verse Racines zu besitzen behauptet, und es so gut wie keiner zu wahren versteht, den Herren Gluck und Piccini, die dafür sorgen, daß die großen Geister von Paris etwas zu tun haben, – fehlen würde.

Sie wissen, ich habe geschworen, daß Figaro die Bühne erobert. Sie sind zu gute Christin, teuerste Frau Marquise, als daß Sie einem armen Sünder nicht helfen würden, seinen Schwur zu halten. Hat erst der Großfürst von Rußland mir Beifall gespendet, wird der König von Frankreich mich – aus Höflichkeit gegen den illustren Gast! – nicht verdammen können.

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 20. Mai 1782.

Meine Liebe. Sie sind nach Versailles übergesiedelt, und wenn schon Ihr Leben eine ständige Flucht vor mir bedeutete, so ist es jetzt fast ganz unmöglich geworden, Sie allein zu sprechen: In aller Frühe beginnt mit dem Eintritt des Friseurs die Toilette, es folgen die Morgenspaziergänge mit der Königin, die Besuche und Diners, die Exkursionen zu Wagen und zu Pferde, die Nachmittagstees, die Bälle, das Theater, die Soupers –, wo bliebe bei alledem für den Gatten noch eine Zeit übrig, der, durch die »väterliche« Stellung, die Sie ihm anzuweisen die Gnade hatten, gewöhnt worden ist, auch die wenigen Stunden Ihrer nächtlichen Ruhe zu respektieren?

Ich sehe mich infolgedessen zu brieflichem Verkehr gezwungen, wenn es sich um Fragen handelt, die weder vor der Dienerschaft, noch zwischen zwei Tänzen erledigt werden können.

Sie besitzen die Gunst der Königin und haben als Französin in diesen außerordentlich schweren Zeiten die Verpflichtung, sie nicht nur zu genießen, sondern guten Zwecken nutzbar zu machen. Es dürfte Ihnen bei den Neigungen der Königin nicht schwer fallen, einem Manne, wie dem Grafen Cagliostro, der all ihre unbefriedigten Wünsche zu erfüllen vermöchte, Zutritt zu verschaffen. Der Dienst, den Sie damit Frankreich geleistet haben würden, wäre von unschätzbarer Bedeutung. Zwar ist der Graf Ihnen antipathisch, – die Furcht vor dem Unerklärbaren hält Sie von ihm zurück, – aber seine Fähigkeit, Gold zu schaffen, haben Sie mit eigenen Augen gesehen. Und nur auf diese Fähigkeit, – die unbedeutendste vielleicht, die er besitzt –, käme es an.

In letzter Zeit, wo er in fiebernder Erwartung der Stunde harrt, die ihn zum Retter Frankreichs machen soll, ist sie in merkwürdigster Weise erlahmt. Ein anderer könnte an ihm irre werden. Ich aber verstehe, daß gegenüber dem Schicksal eines ganzen Landes, das Schicksal des Einzelnen zurücktreten muß. Überdies weiß ich ja, daß mit der Erreichung des großen Zieles auch meine Interessen gewahrt werden.

Noch eins: Rohan setzt alle Hebel in Bewegung, um Cagliostro durch sich und sich durch Cagliostro bei der Königin einzuführen. Es bedarf um so weniger dieses Umwegs, als ich an der Ehrlichkeit der Absichten Rohans irre geworden bin. Er ersehnt, wie ich fürchte, die Rehabilitierung bei Hof und den momentan vakanten Posten des Kanzlers mehr um seine Finanzen, als um die Frankreichs aufzubessern.

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 21. Mai 1782.

Sie lehnen es ab, meine Liebe?! »Gerade weil die Königin in gefährlicher Weise zu diesen Dingen neigt, will ich es nicht sein, die sie ins Unglück stürzt,« schreiben Sie. Verblendete! Sie verspielen vielleicht Ihre eigene Zukunft! Aber wir sind nicht so schwach, als daß mit Ihrer Weigerung unsere Hilfsquellen erschöpft wären!

Kardinal Prinz Louis Rohan an Delphine
Paris, am 24. Mai 1782.

Verehrteste Frau Marquise. Noch stehe ich unter dem Eindruck des Staunens, den unser kurzes Gespräch in der Oper hervorrief. Sie wollen für einen alten Freund Ihres Hauses, wie ich es zu sein mir schmeicheln darf, kein gutes Wort bei der Königin einlegen?! Sie wünschen auch nicht den Schein zu erwecken, als gehörten Sie in die Reihe jener Intriguantinnen, die Frankreich als ihre melkende Kuh betrachtet haben?! »Nur auf geraden Wegen werden große Ziele erreicht«, – ich würde über diese Sentenz aus Ihrem blühenden Rosenmunde gelächelt haben, wenn nicht ein Blick auf Ihren illustren Nachbarn, der als Führer amerikanischer Rebellen gegen die geheiligte Majestät des Königs von England gekämpft hat, mich über ihren Ursprung und über ihren Sinn belehrt hätte.

Er ist der Freund Ihrer Kindheit, wie ich höre? Wie rührend ist eine solche Treue, die selbst die – Freundschaften mit Karl von Pirch, Guy Chevreuse, Guibert, Beaumarchais überdauert!

Die entzückende Königin von Golconda auf der Bühne vermochte keinen Blick des Prinzen Montbéliard auf sich zu lenken; Vestries, der Abgott aller Damen, tanzte für die Marquise Montjoie umsonst!

Besinnen Sie sich noch einmal, schönste Frau; ein Rohan ist ein gefährlicher Feind, selbst wenn er in Ungnade ist.

Herr von Beaumarchais an Delphine
Paris, am 27. Mai 1782.

Wo gäbe es eine Anrede für Sie, die imstande wäre auszudrücken, was ich sagen möchte?! Der gestrige Abend war im wechselvollen Feldzug meines Lebens der Einzug durch bewimpelte Siegespforten!

Die Szenerie war so unvergleichlich wie die Akteure des Stückes, das der Rahmen meiner Komödie war: Der rote Salon im weichen Licht duftender Kerzen; vor dem weißen Kamin, dessen knisternde Flammen meine Vorlesung begleiteten wie eine darauf abgestimmte Melodie, die stolze Gestalt der Großfürstin im leuchtend-gelben Atlaskleide; auf dem Taburett ihr zu Füßen der kleine Gemahl mit dem häßlichen Slavengesicht, das man um seines Geistes willen lieben muß; dicht dahinter, geschmückt wie ein Pfau, aufgeblasen wie ein Truthahn, Monsieur Laharpe, von dessen immer gelber sich färbenden Zügen ich den Grad meines Erfolges ablas; neben ihm, klug wie immer den Schatten suchend, der Ausdruck und Meinung Geheimnis bleiben läßt, der Baron Grimm, der Freund aller unruhigen Geister und Korrespondent aller Potentaten. Auf der andern Seite aber meine reizende Gönnerin, von den durchsichtigen Falten himmelblauen Seidenmusselines weich umflossen, frische Rosen in den Haaren und ein Gesichtchen darunter, vor dem alle Blumen der Welt beschämt erbleichen müssen!

Wissen Sie, daß ich während des ganzen Abends mit Ihrer Schönheit kämpfte, wie mit dem gefährlichsten aller Rivalen?! Lenkte sie doch die Aufmerksamkeit von Figaro ab; der Prinz Yousoupoff richtete immer wieder seine schwarzen runden Augen auf Ihre blendenden Schultern, es bedurfte der drastischsten Witze um ihn loszureißen. Und der Graf Kurakin schien die geschwungenen Linien ihrer Füßchen studieren zu wollen, – erst Cherubins Liebesseufzer lenkten ihn ab. Trotzdem besiegte ich Sie nicht ganz, holde Zauberin, – den Prinzen Montbéliard, dessen gebräuntes Antlitz nur dann einige Bewegung verriet, wenn seine Blicke in die Ihren tauchten, gab ich auf!

Heute früh bereits bekam ich den Auftrag, meine Komödie der Kaiserin von Rußland einzusenden. Und das Frankreich der Encyklopädisten, das sich rühmt, die höchste Kultur der Welt zu repräsentieren, verbietet ihre Aufführung! Zu gleicher Zeit erhielt ich die Nachricht, daß Voltaires Werke freigegeben wurden, – sie scheinen darnach weniger gefährlich als Figaros Streiche!

Noch ein paar Jahre Kampf, – mit Ihnen als Bundesgenossin, schönste Marquise, noch ein paar Jahre Finanzwirtschaft des Herrn von Calonne, – und der Barbier besiegt den König!

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Versailles, am 7. Juni 1782.

Teuerste Marquise – verzeihen Sie die Störung im Morgengrauen. Wir sind in schrecklicher Aufregung und fürchten einen Skandal von unabsehbarer Tragweite, wenn wir Sie nicht unbedingt zu den unseren zählen dürfen. Die Intimen des Herzogs von Choiseul, der Herzog von Brissac und der Marquis de la Suze haben bereits während der Nacht das Gerücht verbreitet, die Königin habe während des gestrigen Festes in Trianon dem Kardinal Rohan in der Fischerhütte ein Stelldichein gegeben. Vor Tau und Tage haben sie die Nachricht dem König überbracht. Es gab beim Lever Ihrer Majestät einen Auftritt, wie ich ihn noch nicht erlebte. Die Lakaien liefen vom Lärm erschrocken, aus allen Winkeln zusammen! Die Königin leugnet alles. Sie beruft sich auf Sie, die Sie stets in Ihrer Nähe gewesen seien, auf mich, auf den Grafen Vaudreuil, auf Madame Campan, auf die Prinzessin Lamballe. Wir dürfen sie nicht im Stiche lassen, – wir dürfen nicht!

Man will den Schloßkastellan, der, wie es scheint, den Kardinal heimlich einließ, auf die Straße werfen. Er droht mit der Veröffentlichung der ganzen Affäre. Geschieht das, so haben wir bei der Stimmung in Paris noch heute die Revolution in den Straßen.

Der Überbringer des Billetts ist zuverlässig. Übergeben Sie ihm Ihre Antwort und teilen Sie mir mit, ob Sie mich in einer Stunde ungefähr empfangen können.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Versailles, den 7. Juni 1782.

Geliebteste! So greift der Arm der Kabale bis in unser Geheimnis! Er reißt uns grausam aus dem süßen Traum dieser Nacht! Um mich hätte die Welt zusammenstürzen können, ich sah nur Sie, die Sie die Sehnsucht meines ganzen Lebens gewesen waren, ich hörte nur Ihre Stimme, die mir sagte, was ich nie zu hören gehofft hatte. Im Rausche höchster Seligkeit untergehen –, wäre es nicht vielleicht das beneidenswerteste Schicksal gewesen?!