Czytaj książkę: «Aus meinem Leben. Zweiter Teil», strona 13

Bebel August
Czcionka:

Taktische Unstimmigkeiten

Bevor ich auf die Tragödie des Deutsch-Französischen Krieges eingehe, muß ich in Kürze auf die taktischen Unstimmigkeiten zu sprechen kommen, die sich zwischen Liebknecht und mir wegen unserer parlamentarischen Stellung herausgebildet hatten.

Liebknecht hatte schon zur Zeit, als der Bismarcksche Bundesreformantrag zur Diskussion stand – Frühjahr 1866 —, sich gegen das Wählen zu einem solchen Parlament ausgesprochen, und zwar im Mannheimer „Deutschen Wochenblatt“. Dieses wurde aber in unseren Kreisen fast nicht gelesen, und da Liebknecht, soweit ich mich dessen entsinne, weder im Leipziger Arbeiterbildungsverein, noch im Demokratischen Verein, noch in einer anderen Versammlung seinen negierenden Standpunkt zur Geltung zu bringen suchte, kam es infolgedessen zu keiner Diskussion. Als wir dann Weihnachten 1866 auf unserer Landesversammlung zu Glauchau ohne jeden Widerspruch die Wahlbeteiligung als selbstverständlich beschlossen und Liebknecht, der damals drei Monate Gefängnis in der Berliner Stadtpolizei verbüßte, mit als Kandidaten für den 19. sächsischen Wahlkreis aufstellten, akzeptierte er diese Aufstellung ohne jeden Vorbehalt. Bei seiner zweiten Kandidatur, Hochsommer 1867, wurde er auch gewählt. Anfangs stellte er selbst Anträge zu Gesetzentwürfen, aber bald kam die alte Abneigung gegen den Parlamentarismus wieder bei ihm zum Durchbruch und äußerte sich in lebhaften Auseinandersetzungen zwischen uns über die Taktik, die wir im Reichstag einnahmen sollten.

Liebknecht sah in dem Norddeutschen Bunde ein Gebilde, das mit allen Mitteln bis zur Vernichtung bekämpft werden müsse. An dessen Parlament sich anders als negierend und protestierend zu beteiligen, war nach seiner Meinung eine Preisgabe des revolutionären Standpunktes. Daher kein Paktieren, kein Kompromisseln, das heißt kein Versuch, die Gesetzgebung in unserem Sinne zu beeinflussen.

Zu dieser Auffassung unseres revolutionären Standpunktes konnte ich mich nicht bekennen. Protestieren und negieren, wo es am Platze war, also vor allen Dingen gegen alles Schlechte und Verderbliche, aber zugleich auch agitieren in positivem Sinne, indem wir überall unsere Anträge zu den einzelnen Gesetzentwürfen stellten und damit zeigten, wie wir uns die Gestaltung der Dinge dachten. Indem wir diese Anträge stellten und Reden zu ihren Gunsten hielten, die, wenn auch noch so verstümmelt, in den Berichten der Zeitungen von Millionen gelesen wurden, würden wir im höchsten Grade agitatorisch und propagandistisch wirken.

Diese Meinungsverschiedenheiten kamen zwischen uns am lebhaftesten zum Ausdruck, als ich zahlreiche Anträge zur Gewerbeordnung und anderen Gesetzentwürfen stellte, zu denen Liebknecht seine Stimme nur ungern hergab. Er hielt es schließlich für zweckmäßig, seinen abweichenden Standpunkt in einem Vortrag darzulegen, den er am 31. Mai 1869 im Berliner Demokratischen Arbeiterverein hielt. Der Vortrag ist nachher in einer Broschüre erschienen, betitelt: Die politische Stellung der Sozialdemokratie, insbesondere mit bezug auf den Reichstag.

Liebknecht äußerte darin: Die soziale Bewegung ist ein revolutionärer Umgestaltungsprozeß, der sich nicht über Nacht vollziehen kann … Aber die neue Gesellschaft steht in unversöhnlichem Gegensatz mit dem alten Staat … Was die neue Gesellschaft will, hat daher vor allem auf Vernichtung des alten Staates hinzuwirken … Für die soziale Praxis muß sich die Sozialdemokratie erst den staatlichen Boden schaffen … Der Kampf im Reichstag sei bloß ein Scheinkampf, bloß eine Komödie … Verhandeln könne man nur, wo eine gemeinsame Grundlage bestehe … Prinzipien seien unteilbar, man müsse sie ganz bewahren oder ganz opfern … Den im Reichstag fast ausschließlich vertretenen herrschenden Klassen gegenüber sei der Sozialismus keine Frage der Theorie mehr, sondern einfach eine Machtfrage, die in keinem Parlament, die nur auf der Straße, auf dem Schlachtfeld zu lösen sei, gleich jeder anderen Machtfrage … Alles, was von dem Werte der Reden im Reichstag gesagt werde, sei hinfällig. Ob man glaube, den Reichstag durch Reden bekehren zu können? Dieses Reden sei zwecklos, und zwecklos zu reden, sei ein Vergnügen der Toren.

Er wendete sich dann gegen die Ueberschätzung des Wahlrechts im absolutistischen Staat; losgelöst von staatsbürgerlicher Freiheit, ohne Preßfreiheit, ohne Vereinsrecht könne das allgemeine Stimmrecht nur Spiel und Werkzeug des Absolutismus sein.

Der Reichstag habe auch keine Macht; eine Kompagnie Soldaten jage, selbst wenn wir die Mehrheit darin hätten, diese Mehrheit zum Tempel hinaus … Revolutionen würden nicht mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung gemacht; die sozialistische Idee könne nicht innerhalb des heutigen Staates verwirklicht werden; sie müsse ihn stürzen, um ins Leben treten zu können. „Kein Friede mit dem heutigen Staat.“

Diese rein negierende Stellung Liebknechts ist für die Partei nie maßgebend geworden, so oft er auch dafür kämpfte. Als aber in den achtziger Jahren unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes der Anarchismus in Deutschland hier und da Boden fand, benutzten selbstverständlich die Anarchisten die Broschüre Liebknechts, um gegen uns als „parlamentarische Partei“ zu kämpfen. Es war ein unhaltbarer Zustand, daß eine Rede des ersten Führers der Partei ständig gegen die Wirksamkeit der Partei ausgenutzt wurde. Darauf machte ich ihn in einer Fraktionssitzung Mitte der achtziger Jahre aufmerksam. Liebknecht gab die Berechtigung meiner Auffassung ohne weiteres zu, und so erschien die neue Auflage mit einem Vorwort, in dem er darauf hinwies, daß sein in der Broschüre vertretener Standpunkt sich nur auf die Periode vor Gründung des Reiches beziehe. Im weiteren hat dann auch Liebknecht auf dem St. Galler Kongreß – Oktober 1887 – offen und rückhaltlos erklärt, er sei nunmehr zu der Ansicht gekommen, daß die praktische Tätigkeit in den Parlamenten eine Notwendigkeit und von großem Vorteil für die Partei sei. Damit waren die Meinungsverschiedenheiten zwischen uns über die parlamentarische Taktik beseitigt.

Die Liebknechtsche Rede hatte ein gerichtliches Nachspiel. Das Berliner Stadtgericht verurteilte ihn in contumaciam, da er auf Vorladung nicht erschienen war, wegen Schmähung obrigkeitlicher Anordnungen zu drei Monaten Gefängnis. Das Berliner Stadtgericht forderte darauf die Auslieferung Liebknechts – man halte fest, daß es damals noch kein gemeinsames Strafrecht und kein gemeinsames Prozeßverfahren gab – auf Grund des Gesetzes über die gegenseitige Rechtshilfe. Diese Auslieferung wurde von den sächsischen Gerichten verweigert, weil es nach dem neuen sächsischen Strafrecht kein Vergehen gab wie jenes, auf das hin Liebknecht in Berlin verurteilt worden war. Nun verlangte die preußische Regierung bei der sächsischen die Verfolgung Liebknechts wegen Schmähung von Bundesinstitutionen. Die sächsische Regierung machte auch Miene, dem Verlangen stattzugeben. Die Sache zog sich aber in die Länge, und schließlich erging es Liebknecht mit seiner Berliner wie mir mit meinen Plauener Reden, sie wanderten als schätzbares Anklagematerial in die Akten unseres kommenden Hochverratsprozesses.

Der Deutsch-Französische Krieg

Das Vorspiel zur Kriegserklärung

Die Haltung, die Liebknecht und ich bei Ausbruch und während der Dauer jenes Krieges in und außerhalb des Reichstags einnahmen, ist jahrzehntelang Gegenstand der Erörterung und heftiger Angriffe gewesen. Anfangs auch in der Partei. Aber nur kurze Zeit, dann gab man uns recht. Ich bekenne, daß ich unsere damalige Haltung in keiner Weise bedaure und daß, wenn wir bei Ausbruch des Krieges bereits gewußt hätten, was wir im Laufe der nächsten Jahre auf Grund amtlicher und außeramtlicher Veröffentlichungen kennen lernten, unsere Haltung vom ersten Augenblick an eine noch schroffere gewesen sein würde. Wir hätten uns nicht, wie es geschah, bei der ersten Geldforderung für den Krieg der Abstimmung enthalten, wir hätten direkt gegen dieselbe stimmen müssen.

Heute kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, daß der Krieg von 1870 von Bismarck gewollt und durch ihn von langer Hand vorbereitet worden ist. Wenn er mit seinen Versuchen, anläßlich der Kriege von 1864 und 1866 sich als den Unschuldigen und dazu Gereizten hinzustellen, wenig Glück hatte, so ist ihm dieses in bezug auf den Krieg von 1870/71 glänzend gelungen. Mit Ausnahme eines kleinen Kreises Eingeweihter, der wußte, daß Bismarck mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln auf den Krieg mit Frankreich hinarbeitete – zu dem der damalige König und spätere Kaiser Wilhelm I. nicht gehörte —, hat Bismarck alle Welt düpiert und den Glauben zu erwecken verstanden, daß Napoleon den Krieg provozierte und er, der friedliebende Bismarck, sich mit seiner Politik in der Rolle des Angegriffenen befand. Und die offizielle und offiziöse Geschichtschreibung hat diesen Glauben, wonach Frankreich der Angreifer, Deutschland der Angegriffene war, bis heute in der großen Masse der Bevölkerung aufrechtzuerhalten verstanden.

Allerdings hat Napoleon formell den Krieg erklärt, aber das Bewundernswerte in der Bismarckschen Politik lag darin, daß er die Karten so geschickt gemischt hatte, daß Napoleon mit der Kriegserklärung austrumpfen mußte, er mochte wollen oder nicht, und so als der Friedensbrecher erschien.

Haben doch kurze Zeit selbst Männer wie Marx und Engels die Anschauung gehabt und öffentlich zum Ausdruck gebracht, Napoleon sei der Friedensbrecher gewesen, obgleich die Warte, auf der sie standen, für die Beurteilung der europäischen Politik eine weit höhere war als die unsere. Die Vorgänge bis zur Kriegserklärung waren so irreführend und verblüffend, daß man ganz die Tatsache übersah, daß Frankreich, das den Krieg erklärte, mit seiner Armee auf keinen Krieg vorbereitet war, wohingegen in Deutschland, das als der zum Kriege provozierte Teil erschien, die Kriegsvorbereitungen bis auf den letzten Lafettennagel fertig waren und die Mobilmachung wie am Schnürchen sich vollzog.

Die öffentliche Anklage, daß Bismarck der Urheber des Deutsch-Französischen Krieges sei, habe ich meines Erinnerns in der Partei zuerst in zwei Artikeln des „Volksstaat“, und zwar in den Nummern 73 und 74 vom Jahre 1873 erhoben, die die Ueberschrift trugen: „Zum zweiten September.“ Liebknecht, dem ich die beiden Artikel vorlegte, hat nur einige kleine formale Aenderungen daran vorgenommen und hat sie beide an der Spitze seiner später erschienenen Broschüre: „Die Emser Depesche oder wie Kriege gemacht werden“, abgedruckt.

Der Krieg mit Frankreich lag lange in der Luft. Sobald die Lösung der deutschen Frage durch die Kabinette und nicht durch die Volksmassen in die Hand genommen wurde, war bei der Situation in Deutschland und Europa, die der Wiener Kongreß von 1815 geschaffen hatte, auch die Einmischung des Auslandes zu befürchten, in erster Linie die Frankreichs, dessen damaliger Herrscher Napoleon sich eine Art Schiedsrichterrolle in Europa anzumaßen verstanden hatte. Der Antagonismus zwischen Oesterreich und Preußen, wie das ganze Gebilde des damaligen deutschen Bundes, erleichterte ihm diese Rolle. Bismarck trug dieser Rolle ebenfalls Rechnung, indem er von 1864 bis 1866 sich auf allerlei bedenkliche Unterhandlungen mit Napoleon einließ, bei denen die Abtretung gewisser Teile Deutschlands als Kompensation für Annexionen deutscher Staaten durch Preußen in Frage kam. Ich habe schon im ersten Teil meiner Arbeit darauf Bezug genommen.

Bismarck war es gelungen, sowohl 1864 wie 1866 Napoleon zu prellen; er ging bei der Umgestaltung der deutschen Verhältnisse zugunsten Preußens leer aus. Aber seine Einmischung in die Friedensverhandlungen des Krieges von 1866 hatte doch genügt, um Preußen die geplante Annexion Sachsens unmöglich zu machen; auch war Napoleons Einfluß die Bestimmung des Artikel 4 des Prager Friedensvertrags zu verdanken, wonach eine Abtretung des dänisch sprechenden Teiles Nordschleswigs an Dänemark in Aussicht genommen wurde; ferner mußte Preußen auf Annexionen südlich der Mainlinie verzichten. Napoleons Einfluß war weiter geschuldet die Lösung der Luxemburger Frage im folgenden Jahre zuungunsten Deutschlands.

Es liegt auf der Hand, daß diese Störung von Bismarcks Zirkeln durch Napoleon bei Bismarck Rache- und Vergeltungsgedanken aufkommen ließen und er danach gierte, die überragende Stellung Napoleons und Frankreichs in Europa zu brechen. Einen Krieg gegen Frankreich zu beginnen, sobald eine günstige Gelegenheit sich dazu biete, war von 1866 ab das Ziel der neupreußisch-deutschen Politik. Auf dieses Ziel wurde die militärische Reorganisation und Armeeerweiterung mit fieberhafter Eile betrieben; es wurden alle Maßnahmen bis ins kleinste getroffen, um, wenn der Moment komme, mit Frankreich anbinden zu können.

Daß der nächste Krieg ein Krieg mit Frankreich sein werde, war seit 1866 die Ueberzeugung aller Politiker. Auch in der Armee sah man dieses als selbstverständlich an und sehnte sich nach demselben. Wir klagten deshalb die Bismarcksche Politik an, daß sie einen Zustand für Deutschland geschaffen hatte, wie er seit 1815 nicht vorhanden gewesen sei. Das gespannte Verhältnis zu Oesterreich, das der Ausgang des Krieges von 1866 zur Folge hatte, mache die Frage für Deutschland doppelt gefährlich, weil befürchtet werden müsse, daß Oesterreich zu einer Revanche für 1866 mit Frankreich im Bunde bereit sein werde. Tatsächlich wurden auch bezügliche Verhandlungen zwischen Frankreich und Oesterreich gepflogen, die aber keinen Erfolg hatten, weil der unerwartet rasche Ausbruch des Krieges und die siegreichen Schläge, mit der die französische Armee von der deutschen niedergeworfen wurde, es Oesterreich klüger erscheinen ließen, von einer Einmischung abzusehen. Aus dieser Situation heraus sah man im Volke einem Kriege zwischen Deutschland und Frankreich mit großem Unbehagen entgegen, um so mehr, da man in weiten Volkskreisen noch an eine Unbesiegbarkeit Frankreichs glaubte. Andererseits stand allerdings fest, daß der Mangel an positivem Gewinn, den Napoleon aus seiner Einmischungsrolle heimgebracht, sein Ansehen im eigenen Lande tief heruntergesetzt und der bürgerlichen Opposition großen Anhang verschafft hatte. Diese Stimmung kam deutlich zum Ausdruck bei den Wahlen im Mai 1869, bei welchen auf die Kandidaten der Regierung nur rund 4469000 Stimmen, auf die der Opposition 3259000 Stimmen fielen. Ueber diesen Wahlausfall schrieb man damals der „Frankfurter Zeitung“ aus Paris: „Nicht allein die moralischen, auch die materiellen Interessen Europas lassen die republikanische Staatsform als unerläßlich für die Regeneration unserer Verhältnisse erscheinen.“

Die Opposition in der Kammer war auf 116 Köpfe gestiegen. Das veranlaßte Napoleon Anfang Januar 1870, das Mitglied der Opposition, Olivier, zum Präsidenten eines gemäßigt liberalen Kabinetts zu ernennen und zur Unterstützung seiner Politik am 8. Mai ein sogenanntes Plebiszit (allgemeine Volksabstimmung) vorzunehmen, wobei er für sein Regiment zwar 7350000 Ja gegen 1500000 Nein erzielte, aber was sehr bedenklich war, die Armee und Marine hatten 50000 Nein in die Urne geworfen. Außerdem hatten zahlreiche Städte, voran Paris, ein erhebliches Mehr gegen ihn ergeben.

Die feindselige Stimmung gegen Napoleon war in Paris schon im Januar zutage getreten bei der Beerdigung des Schriftstellers Victor Noir, den der Prinz Pierre Napoleon bei einem persönlichen Streit meuchlings niedergeschossen hatte. Eine ungeheure Menschenmenge begleitete demonstrativ die Leiche Victor Noirs. Es fehlte nicht viel, und es wäre dabei zu einem revolutionären Ausbruch gekommen.

Alle diese Vorgänge wirkten niederdrückend auf Napoleon, der damals schon an einem schmerzhaften Blasensteinleiden litt, dem er schließlich auch erlag. Dieses Leiden raubte ihm Energie und Tatkraft.

Aber auch die militärischen Verhältnisse Frankreichs waren solche, die einen Krieg mit einer starken Macht für gefährlich erscheinen ließen. Wenn Preußen-Deutschland seit 1866 mit aller Kraft und Energie an der Vermehrung und Ausbildung der Armee arbeitete, so geschah gleiches nicht in Frankreich. Napoleon harte zwar in dem Oberst Stoffel einen Militärattaché in Berlin, der offene Augen und Ohren hatte und fortgesetzt Berichte einschickte, worin er über die gewaltigen Fortschritte in der militärischen Entwicklung Preußens Bericht erstattete und zu ähnlichem Vorgehen antrieb, aber alles war vergebens. Oberst Stoffel predigte tauben Ohren. Einige Urteile Stoffels, weil von historischer Bedeutung, mögen hier Platz finden. So schrieb er unter dem 22. Juli 1868: „Nach meiner Meinung lebt man in Frankreich in der tiefsten Unwissenheit von alledem, was Preußen angeht, sowohl die preußische Nation als die preußische Armee.“ Am 12. August 1869 schrieb er prophetisch: „Preußen hat Scharfblick genug, um zu erkennen, daß der Krieg, den es nicht wünscht, doch ausbrechen wird, und es hat alle Anstrengungen gemacht, um vorbereitet zu sein für diese Eventualität, daß irgend ein Zwischenfall den Krieg herbeiführt.“ Ein andermal bemerkt er: „Das ist der Hauptgegenstand meiner Befürchtung, dieser schlagende Kontrast zwischen der Voraussicht Preußens und der Verblendung Frankreichs.“ Wütend ist er über Thiers, der 1848 verhindert habe, daß die allgemeine Wehrpflicht in Frankreich eingeführt wurde. „Dieser Mensch war für unser Land ein schlimmeres Verhängnis als zwanzig Niederlagen.“ Und bei Ausbruch des Kriegs bezeichnet er denselben von französischer Seite als den Krieg der Voraussehungslosigkeit, der Unwissenheit und der Albernheit gegenüber der Voraussicht, Bildung und Intelligenz. Napoleon sei krank, die Revolution stehe vor der Tür, und dazu komme die Dummheit der Kaiserin.

In Paris glaubte kein Mensch an einen Krieg mit Deutschland. Noch Anfang Juli 1870, also vierzehn Tage vor Ausbruch des Kriegs, beschloß die französische Deputiertenkammer die Herabsetzung des Rekrutenkontingents von 100000 auf 90000 Mann. Der Kriegsminister Leboeuf erklärte, daß, wenn er der Herabsetzung zustimme, es geschehe, weil er einen Beweis der Friedfertigkeit des Ministeriums geben wolle. Und der Ministerpräsident Olivier erklärte auf eine Anfrage des Abgeordneten Jules Favre, daß zu keiner Zeit die Erhaltung des Friedens mehr gesichert sei als gegenwärtig. Nirgends gebe es eine aufregende Frage.

Und doch kam über Nacht der Krieg.

„Fern im Süd das schöne Spanien“ gab ungewollt die Gelegenheit dazu. Seit Herbst 1868 war Spanien Republik, aber die herrschenden Klassen sehnten sich nach der Monarchie. So gingen sie auf die Königsuche. Wie nachträglich bekannt geworden ist, wurde bereits im September 1869 der Fürst Karl Anton von Hohenzollern davon unterrichtet, daß man seinen Sohn Leopold, der damals als Leutnant in einem preußischen Garderegiment stand, zum König von Spanien wünsche. Der preußische Gesandte in München, Freiherr v. Werthern, hatte dabei seine Hand im Spiele. Ob mit oder ohne Wissen Bismarcks? Bismarck leugnete, daß er davon etwas gewußt habe, aber wer glaubt es ihm? Ein Hohenzollernprinz als Kandidat für den spanischen Königsthron war eine Sache von größter politischer Bedeutung, sowohl für die Hohenzollern wie für Napoleon. Napoleon und Frankreich fühlten sich in ihren Interessen aufs stärkste gefährdet, wenn neben dem Hohenzollern an der Ostgrenze ein Hohenzoller auf der Südgrenze als Regent eines großen Staates hinzukam. Im Fall eines Kriegs mit Deutschland mußte alsdann Frankreich sich gegen einen Ueberfall von Süden schützen, was eine starke militärische Schwächung bedeutete.

König Wilhelm hatte bezeichnenderweise von einem ernsthaften Plan, einen Hohenzollernprinzen auf den spanischen Königsthron zu erheben, keine Ahnung. Er erhielt die Nachricht darüber erst Ende Februar 1870 und schrieb darauf unter dem 26. an Bismarck:

„Die Einlage fällt mir wie ein Blitz aus heiterer Luft auf den Leib! Wieder ein hohenzollerischer Thronkandidat, und zwar für Spanien. Ich ahndete kein Wort und spaßte neulich mit dem Erbprinzen über die frühere Nennung seines Namens und beide verwarfen die Idee unter gleichem Spaß! Da Sie vom Fürsten Details erhalten haben, so müssen wir konferieren, obgleich ich von Haus gegen die Sache bin. Ihr W.“

Bismarck ließ sich aber durch diese Ansicht des Königs nicht irre machen, er verfolgte konsequent seinen Plan und erreichte schließlich doch, daß in einer Beratung unter dem Vorsitz des Königs, an welcher der Kronprinz, der Fürst von Hohenzollern, er und Moltke teilnahmen, der Kandidatur des Prinzen Leopold zugestimmt wurde.

Napoleon soll anfangs die Nachricht von der Kandidatur des Hohenzollernprinzen ohne besonderen Widerspruch hingenommen haben, was für seine Apathie und sein Ruhebedürfnis spräche. Als aber Anfang Juli die provisorische Regierung Spaniens sich für die Kandidatur des Hohenzollern aussprach und dieser Beschluß in Frankreich bekannt wurde, begann der größte Teil der französischen Presse zu toben wegen der Gefahr, die ein Hohenzoller auf dem spanischen Königsthron für Frankreich bedeute. Jetzt mußte auch Napoleon sich rühren. Er sandte seinen Botschafter Benedetti um Aufklärung zu Bismarck. Dieser gab zur Antwort, das Ministerium wisse nichts von der Sache. So stellt er selbst in „Gedanken und Erinnerungen“ die Sache dar. Dort erklärt er im zweiten Bande auf Seite 80: Politisch habe er der Frage ziemlich gleichgültig gegenüber gestanden. Auf der folgenden Seite aber äußert er bereits: „Wenn der Herzog von Gramont (in einer 1872 erschienenen Broschüre) sich bemüht, den Beweis zu führen, daß ich der spanischen Anregung gegenüber mich nicht ablehnend verhalten hätte, so finde ich keinen Grund, dem zu widersprechen.“

Einer seiner Verehrer hat recht, wenn er schreibt: „Indem Bismarck Geschichte schreibt, macht er Geschichte“, das heißt er dreht die Dinge so, wie sie ihm passen.

Dem Lärm in der französischen Presse folgte der Lärm in der deutschen. Aber zunächst nicht überall. Noch am 12. Juli sprach die „Kölnische Zeitung“ sich sehr entschieden gegen die Hohenzollern-Kandidatur aus im Interesse der Ruhe Europas. Und wie man in jenen Tagen in Bürgerkreisen über den Militarismus dachte, darüber legt Zeugnis ab ein Beschluß einer Vertrauensmännerversammlung der Fortschrittspartei für Rheinpreußen am 10. Juli in Köln. Jene Versammlung resolvierte:

„Wir erwarten und fordern von den zu wählenden Abgeordneten zum Reichstag, daß sie in der nächsten Session des Reichstags insbesondere für die Verminderung der Militärlast durch Verminderung der Friedensarmee und Verkürzung der Dienstzeit eintreten und für den Fall, daß diese Forderung abgelehnt wird, in Ausübung ihres verfassungsmäßigen Rechtes jedwede Bewilligung von Geldmitteln für das Militär dem Bundespräsidium verweigern.“

Wer denkt in den bürgerlichen Parteien heute noch an dergleichen Schritte, obgleich mittlerweile die militärischen Rüstungen zu Wasser und zu Lande einen Umfang angenommen haben, den zu jener Zeit niemand für möglich hielt.

Da kam der 13. Juli, der die Entscheidung brachte. Nach der offiziellen und offiziösen Darstellung der Begegnung des Grafen Benedetti mit König Wilhelm in Ems sollte Benedetti in brüsker Weise vom König gefordert haben, zu erklären, daß er nie wieder eine Hohenzollernkandidatur für den spanischen Thron zulassen werde, nachdem an demselben Tage auf Betreiben des Königs Wilhelm der Hohenzollernprinz seine Kandidatur zurückgezogen hatte. Der König hatte durch einen Adjutanten an Benedetti diesem mitgeteilt, daß er die Verzichtleistung approbiert habe. Auf einen nochmaligen Wunsch Benedettis, den König zu sprechen, ließ dieser, wie sein Generaladjutant Prinz Radziwill nachher in einer Erklärung mitteilte, „dem Grafen Benedetti durch mich zum dritten Male nach Tisch, etwa um 6 Uhr, erwidern, Seine Majestät müsse es entschieden ablehnen, in betreff der bindenden Erklärungen für die Zukunft sich in weitere Diskussionen einzulassen. Was er heute morgen gesagt, wäre sein letztes Wort in dieser Sache, und er könne sich lediglich darauf berufen. Hierauf erklärte Benedetti, sich seinerseits bei dieser Erklärung beruhigen zu wollen.“ Damit war tatsächlich der Zwischenfall erledigt. Aber nicht für Bismarck, dessen Pläne auf einen Konflikt mit Frankreich durch die Erklärung des Königs durchkreuzt waren. Er erzählt selbst in „Gedanken und Erinnerungen“, daß, als er an jenem Tage mit Moltke und Roon gemeinsam speiste, diese über die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern auf den spanischen Thron im höchsten Grade deprimiert waren. Bismarck selbst war so aufgebracht, daß er seine Demission geben wollte. Bald darauf lief aus Ems eine lange Depesche ein, in der Abeken im Auftrag des Königs den Verlauf der letzten Zusammenkunft desselben mit Benedetti schilderte, deren Inhalt die letzte Hoffnung auf einen Konflikt mit Frankreich zerstörte. Roon und Moltke legten tief betroffen Gabel und Messer hin, erzählt Bismarck; daß die Aussicht auf Krieg geschwunden war, hatte ihnen den Appetit verdorben. Darauf setzte sich Bismarck – immer nach seiner eigenen Darstellung – an einen Nebentisch, nahm den Stift und strich die Depesche so zusammen, daß dieselbe einen völlig veränderten Charakter bekam. Als er sie in seiner Fassung Moltke und Roon vorlas, leuchteten beider Augen, und Moltke, der Schweiger, rief: „So, das hat einen anderen Klang, vorher war es eine Schamade, jetzt ist es eine Fanfare.“ Alsdann setzten sich alle drei fröhlich zu Tisch und aßen mit bestem Appetit weiter. Der Krieg war gesichert.

Die Depesche ging in die Welt und wurde offiziell an alle fremden Kabinette mit Ausnahme des Pariser verschickt, was die schwerste Beleidigung für die französische Regierung war. In der redigierten Fassung lautete die Depesche:

„Ems, 13. Juli 1870. Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der kaiserlich französischen Regierung von der königlich spanischen amtlich mitgeteilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an Seine Majestät noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisieren, daß Seine Majestät der König für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten. Seine Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter zu empfangen und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe.“

Diese Bismarcksche Depesche hatte die gewünschte Wirkung. Sobald sie bekannt wurde, war die Aufregung in Frankreich und Deutschland und weit über diese Länder hinaus eine ungeheure. Ich bekam Kenntnis von derselben, als ich am Nachmittag des 14. Juli im Vorderhause bei meinem Friseur war und die damals von Professor Dr. Karl Biedermann redigierte „Allgemeine Deutsche Zeitung“ hereingebracht wurde, die jene Depesche enthielt. Als ich sie gelesen, warf ich das Blatt mit den Worten auf den Tisch: Da haben wir den Krieg! Der Friseur erschrak über diese Aeußerung aufs höchste, ich mußte ihm auseinandersetzen, warum die Depesche diese Bedeutung habe.

Wie vorauszusehen, erfolgte am 19. Juli die Kriegserklärung Frankreichs an Deutschland, nachdem die französische Kammer bereits am 15. Juli eine Kriegsanleihe in Höhe von 700 Millionen Franken gegen eine kleine Minorität bewilligt hatte.