Aurora oder Morgenröte im Aufgang
O książce
Dieses Werk stellt die religiöse Erfahrung Böhmes dar, die nicht bloß mystisch im Innern der Seele aufgeht, sondern zugleich auch die Sinne, die Natur, die Entwicklungen der Lebewesen und, konkret in diesem Werk vollzogen, auch die klanglichen Formungen des sprachlichen Ausdrucks durchläuft.
Diese Erfahrung ist dem Autor nicht bloß passiv gegeben, sondern vollzieht sich als ein immer neuer, ewiger Geburtsprozess, so schmerzhaft wie schöpferisch, in dem «der Geist durchbricht». Längs dieses Geburtsprozesses entfalten sich die göttlichen Schöpfungskräfte in Gestalt der sieben «Qualitäten» oder «Quellgeister» (Begierde, Bewegnis, Angstqualität, Feuerblitz, Liebe, Hall und Schall, Verständnis) und bringen einander und alle Natur durch ebendiesen Geburtsprozess hervor.
Die Naturseite dieser «Dynamik des Geisterreiches», wie der Böhmeverehrer Novalis es später nennen wird, wird traditionell Alchemie genannt; es ist Paracelsus, dessen medizinischen und naturphilosophischen, pansophischen und theosophischen Impulse in Böhmes «Qualitäten»-Entwicklung mitspielen. Übrigens entsteht die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, eine kluge, von bunten Imaginationen gesättigte, selbstironische, gelehrt-lehrreiche Erzählung des Johann Valentin Andreae zur gleichen Zeit wie die Aurora, gleichfalls auf Paracelsus-Basis, aber Böhmes Werk lebt aus religiöser Erfahrung und Bibeldurchdringung, während Andreae eher narrativen Witz spielen lässt. Die außerordentliche Wirkung beruht vor allem auf der Sprache Böhmes: Im beständigen Ringen um Versinnlichung des Übersinnlichen und um Ausdruck für das Unerhörte gewinnt er eine energische Plastizität, eine kraftvolle Originalität, die in ihrer poetischen Dichte nur noch den Sprüchen der Propheten und Psalmendichter vergleichbar ist.
Vor allem aber vermag diese Sprache den Leser selbst zu entzünden, zu begeistern, den dort gestalteten, sich ringend immer neu gestaltenden Geburtsprozess in ihm selbst auszulösen, zu erwecken, zu verwirklichen.