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Aus der Dunkelheit
Inhalt
Prolog
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Epilog
Prolog
Juni 1819
Catriona Craig genoss ihre neu entdeckte Berufung, obwohl sie sich gewünscht hätte, ihre neue Mama hätte nicht so schreckliche Verbrennungen erleiden müssen. Es hatte ein schreckliches Feuer gegeben, und Lady Craig und mehrere der dort untergebrachten Waisen waren verbrannt. Ihr neuer Papa, Lord Craig, hatte Catriona und ihrer Schwester Maili erlaubt, ihm zu helfen, während er sich um die Verletzungen der Waisen kümmerte, und Catriona hatte ein besonderes Interesse daran entdeckt, etwas über Kräuter und ihre heilenden Eigenschaften zu lernen. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, nach den Kräutern zu suchen, die Lord Craig noch nicht angebaut hatte, und daraus Salben zuzubereiten. Einige der Rezepte hatte sie von Lady Easton, die in Amerika in gewissem Umfang Medizin studiert hatte.
Ein Rezept war ihr besonders aufgefallen, und sie dachte, dass Lady Craig es vielleicht ausprobieren wollte. Sie hatten ihre Verbrennungen bereits mit einer Salbe behandelt und sie waren etwas geheilt, aber Lady Eastons Notizen ließen diese andere Mischung wie ein Wundermittel klingen. Catriona hoffte, es würde die Porzellanhaut wiederherstellen, die jetzt voller Blasen und wund war.
Sie hatte überall nach den Zutaten gesucht und sogar Mrs. Ennis nach Glasgow geschickt für das, was sie nicht finden konnte. Dann, nach tagelangen Versuchen, hatte sie annähernd die angestrebte Mixtur zusammen. Sie ging zu Lady Craig und klopfte an ihre Zimmertür.
„Guten Tag, Lady Craig“, sagte Catriona und knickste.
„Guten Tag, Catriona“, flüsterte Lady Craig als Erwiderung. Sie saß am Schminktisch und bürstete ihre Haare. Von der Zofe fehlte jede Spur.
„Ich bin gekommen, um Ihre Wunden zu verbinden. Ich habe eine neue Salbe hergestellt, die ich gerne ausprobieren würde.“
Lady Craig sah sie skeptisch mit großen Augen an.
„Keine Sorge. Es ist nach einem Rezept von Lady Easton und Lord Craig hat gesagt, dass ich es versuchen darf. Ihre Notizen dazu klangen wie ein Wundermittel.“
Lady Craigs sah sie betrübt an.
„Bitte verzeihen Sie. Ich sollte so etwas nicht sagen. Sie sind immer noch sehr schön. Ich dachte nur, wie schön es für Sie wäre, wenn Sie keine Narben oder Schmerzen mehr hätten.“
Lady Craig hob die Hand und streichelte Catriona liebevoll über die Wange. Sie stand auf, ging hinüber zu der apfelgrünen Chaiselongue und deutete Catriona mit einer Geste an, sich zu ihr zu setzen, während sie nach dieser kurzen Anstrengung nach Luft rang. Sie streckte ihren verwundeten Arm zur Versorgung aus.
Lady Craig zuckte zusammen, als Catriona die Verbände entfernte. Es war schwer ein Stück zu finden, das nicht an der offenen Haut festklebte. Lord Craig hatte ihr gesagt, dass sie große Mengen der Salbe auftragen sollte, damit es nicht schmerzte. Nach dem furchtbaren Tag, an dem Lady Craigs Mutter bei ihrem Anblick vor Entsetzen aufgeschrien hatte, wollte sie die Wunden nicht länger ansehen. Sie hatte schlimm ausgesehen, das stimmte wohl, aber sie war immer noch eine der schönsten Menschen, die Catriona je gesehen hatte. Sie bewunderte Lady Craigs Mut so zu tun, als ob nichts an ihr verändert wäre.
Das Einzige, was Catriona seltsam erschien, war, dass Lady Craig zur Wundversorgung ihre Adoptivtochter Lord Craig vorzog Catriona machte das nichts aus. Sie fühlte sich geschmeichelt. Lady Craigs Zofe sah sie kaum an, daher hatte Catriona ihrer neuen Mutter beim Ankleiden geholfen und sie frisiert, wenn sie darum gebeten wurde. Maili liebte es, das lange, ebenholzfarbige Haar der Lady zu bürsten, bis es wie Seide glänzte. Seltsamerweise schien Lady Craig Mailis Überschwang nichts auszumachen.
Nachdem Catriona die Verbände entfernt hatte, nahm sie die Wasserschüssel und begann damit, die tote Haut mit einem Tuch abzuwaschen, wie man es ihr gezeigt hatte. Lady Craig zuckte einige Male zusammen, aber war so tapfer wie immer. Catriona wäre am liebsten vor Aufregung geplatzt, dass sie die neue Salbe ausprobieren durfte. Lady Craig hatte den Salbentopf hochgehoben und roch an der neuen Mischung.
„Was ist es?“, fragte sie mit ihrer heiseren Stimme.
„Überwiegend Honig, Wermut, Eibischwurzel, Gemeiner Beinwell, weiße Eichenborke, Lobelien und eine seltsame Pflanze, die Lord Craig im Gewächshaus züchtet. Man nennt sie Aloe Vera. Er sagt, dass ihm Lady Easton die Pflanze gab, die sie aus Amerika mitgebracht hat.“
Lady Craig zuckte die Achseln. Catriona trug eine dicke Lage Salbe auf und Lady Craig seufzte auf.
„Fühlt es sich gut an?“
Lady Craig nickte. „Es brennt nicht.“
Catriona freute sich. Die neue Salbe schien vielversprechend zu sein, aber würde sie dafür sorgen, dass die Lady Craigs Wunden nicht vernarbten?
Vorsichtig bedeckte sie die Brandwunden an Lady Craigs Hals und Wangen, dann legte sie neue Verbände an.
„Soll ich Ihnen beim Umziehen zum Abendessen helfen?“
Lady Craig schüttelte den Kopf und berührte ihren Arm.
„Danke.“
Catriona lächelte und machte sich auf den Weg in die Vorratskammer, um dort mehr Salbe anzumischen.
Als John an einem offenen Fenster seines Cottages vorbeiging und hinaussah, erkannte er eine der jungen Damen des Hauses, die den Weg entlang hüpfte und einen Korb trug. Er wusste nicht, wie alt sie war, aber sie ging noch zur Schule - vermutlich aber nicht mehr lange, so wie sie aussah. Ihre langen, kastanienbraunen Locken schwangen umher, als sie sang und dabei tanzte. Er sah sie etwas eifersüchtig an, da er dieses Gefühl nie wieder haben würde. Sie war ein hübsches Mädchen und auch das war etwas, was ihm verwehrt bleiben würde. So viele seiner Hoffnungen und Träume waren in diesem einen Augenblick in Waterloo für immer aus seiner Reichweite entschwunden.
Er bemitleidete sich wieder selbst und hasste sich dafür. Er hatte Glück, dass er noch lebte und eine Stelle bekommen hatte, genau wie die drei anderen Soldaten, die zur Arbeit nach Castle Craig gekommen waren. Sie hatten sich im Veteranenheim auf Wyndham in Sussex erholt, als Lord Craig für die Arbeit auf seinem Gut einige Männer angefordert hatte.
Aber das Mädchen sollte hier nicht allein sein, dachte er, als er ihr dabei zusah, wie sie Blumen auf der Wiese hinter dem Haus pflückte. Als er und seine Kameraden im Schloss ankamen, herrschte dort ein vollständiges Chaos. Die neue Braut des Laird war in ihrer Hochzeitsnacht verbrannt, so wie viele Waisen, die auf dem Grundsitz gelebt hatten. Innerhalb von einer Stunde nach ihrer Ankunft hatte jemand einen Stein durch ein Fenster geworfen und Lady Craig bedroht. Warum also wanderte ihre Tochter allein umher? Er beschloss, sie besser gut im Auge zu behalten.
John schämte sich immer noch wegen seiner äußeren Erscheinung, obwohl er sein Bestes tat, um ein ausdrucksloses Gesicht aufzusetzen. Er merkte, wie die Leute ihn ansahen. Was ihm am meisten zusetzte, war ihr Mitleid. Vor seinem Unfall hatte er genauso reagiert, wenn er einen Krüppel gesehen hatte, von daher konnte er ihnen schlecht einen Vorwurf machen. Er hinkte aus seinem Cottage und den Weg zur Wiese hinunter zu dem Mädchen.
Miss Craig pfiff eine Melodie, während sie arbeitete. Es bereitete ihm Freude, ihr zuzusehen und seine Anwesenheit war ihr nicht bewusst, da sie sich hingekniet hatte, um ein Kraut näher zu überprüfen.
„Miss Craig?“
Sie drehte sich um und sah mit ihren großen, grauen Augen zu ihm hoch.
„Lieutenant Holdsworth?“, fragte sie. Sie stand auf und rieb ihre Hände in den Handschuhen aneinander.
„Ja, ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie sich an mich erinnern würden. Darf ich fragen, was Sie hier allein machen?“
„Ich suche nach Kräutern“, erklärte sie.
„Weiß irgendjemand, wo Sie sind?“
„Ich glaube nicht, dass das jemanden groß interessiert.“ Sie zuckte mit den Achseln.
Er starrte sie ausdruckslos an. Für was für einen Haushalt arbeitete er eigentlich? Er stammte nur vom Landadel ab, aber seine Schwester würde niemals ohne einen Stallburschen an ihrer Seite den Garten verlassen.
Sie schien seine Verwirrung zu bemerken. „Ich bin nicht wirklich die Tochter eines Barons, Lieutenant Holdsworth. Ich nehme an, dass mein Benehmen das bestätigt. Wissen Sie, mein Bruder, meine Schwester und ich, wir verloren vor einigen Jahren unsere Eltern und lebten danach in der Abtei von Alberfoyle, wo wir Dr. Craig trafen. Er hatte dort eine medizinische Praxis. Erst vor wenigen Wochen gab er uns seinen Namen und brachte uns hierher, um hier zu leben.“
Wirklich seltsam, dachte er.
„Ich hoffe, dass sich die Leute nicht darum kümmern, wenn ich allein draußen unterwegs bin. Wie langweilig würde das sonst werden!“
„Ich würde behaupten, sie werden sich sehr wohl kümmern, aber ich kann natürlich nicht für ihre Eltern sprechen. Ich nehme an, dass sie im Moment von allem etwas überwältigt sind.“
„Ja. Deshalb suche ich nach Andorn.“
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Oh, würden Sie das tun?“, fragte sie mit erfreutem Lächeln und er entspannte sich. Sie schien nicht im Geringsten von ihm abgestoßen zu sein, womit er eigentlich gerechnet hatte.
„Wenn Sie mir sagen, wonach ich suchen muss. Für mich sehen die Pflanzen alle gleich aus.“
„Viele sind es auch. Es ist schon faszinierend, wie einfache Pflanzen, wenn man sie richtig einsetzt, heilen können.“
Er wusste, dass die Ärzte in Wyndham derartige Dinge angewandt hatten, aber er hatte nie darüber nachgedacht, woher sie kamen.
„Haben Sie das gehört?“ Sie hob ihre Hand, um darauf hinzuweisen, dass sie versuchte, etwas zu hören.
Er meinte, ein schwaches Wimmern zu vernehmen. Er nickte.
„Ich glaube, es kommt von den Büschen dort.“
Sie schlich leise in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und er folgte ihr, so leise wie er nur konnte. Als sie zu dem Gestrüpp kamen, aus dem das Geräusch erklang, fanden sie einen kleinen, struppigen Hund, der dort verletzt lag und jaulte.
„Ach, du armer Schatz!“ Miss Craig kniete sich zu dem Welpen, der sich überraschenderweise von ihr trösten ließ.
„Ich wäre vorsichtig, Miss Craig. Wilde Hunde können Tollwut haben.“
„Aber er ist doch bestimmt nicht wild. Ich glaube, dass er bei dem Feuer verbrannt wurde“, sagte sie und zog ein wenig das Fell zur Seite, unter dem einige hässliche Wunden verborgen waren. Er konnte nicht hinsehen, aber sie störte sich nicht daran.
„Ich habe genau das, was du brauchst, bei mir zuhause“, erzählte sie dem Hund.
Sie drehte sich um und sah ihn an. Er hatte den Verdacht, dass er bereuen würde, was sie jetzt tun würde.
„Würden Sie so freundlich sein und den Andorn für mich tragen, damit ich sie in den Korb legen kann?“
„Miss Craig, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“
„Ich kann sie nicht hierlassen, sonst wird sie sterben!“
Insgeheim dachte John, dass es das Beste wäre, wenn man den armen Hund von seinen Qualen erlösen würde, aber diese flehenden Augen ...
„Wie Sie wünschen.“ Er nahm die Kräuter in seine Hand und sie legte die Hündin in den Korb. Das Schloss war recht weit entfernt und sein Cottage war ganz in der Nähe. „Warum bringen wir sie nicht in mein Haus und Sie holen Ihre Medizin? Dann können Sie Lord Craig auch fragen, ob er sie hier oder dort haben möchte.“
Sie belohnte ihn mit einem Lächeln, das er nie vergessen würde.
Kapitel Eins
Drei Jahre später
John konnte das Schlachtfeld nicht überblicken. Die Luft war vom Rauch der Schüsse so dick geworden, dass es ihm schwerfiel, etwas zu sehen geschweige denn zu atmen. Ein heftiges Feuer wütete im Westen beim Château Hougoumont und verschlimmerte die Bedingungen nur noch. Er stand mit den Überresten seines Regiments im Karree und versuchte, wachsam zu bleiben, während er auf den nächsten Befehl oder die nächste Angriffswelle wartete. Er wusste nicht, wie lange das noch so weiter gehen konnte. Er kämpfte fast seit Mittag unter der brütenden Sonne, auf schlammigen Feldern, die jetzt mit den zerfetzten Körpern seiner Kameraden übersät waren. Nun stand die Sonne am Abendhimmel und er betete – nein, flehte – Gott um Gnade an. Genauso hatte er sich die Hölle immer vorgestellt. Eine Folter ohne Ende. Leiden. Hitze. Schwärmende Fliegen. Unstillbarer Durst. Erschöpfung. Elend. Tod.
Sie waren den ganzen Tag inmitten der heftigsten Kämpfe gewesen und hatten versucht, La Haye Sainte zu schützen – das Herz der alliierten Streitmacht. Die zahlreicheren französischen Geschütze hatten die Oberhand gewonnen und schlugen auf das alliierte Zentrum ein. Wellington befahl seiner gesamten Linie, sich hinter den Kamm des Plateaus zurückzuziehen, bevor er von rechts und links Einheiten herbeirief, um seine verwüstete Mitte wieder aufzubauen.
„Holdsworth!“
„Sir!“
„Ziehen Sie sich hundert Schritte zurück und setzen Sie Ihr Karree neu auf!“
„Ja, Sir.“
Er wiederholte den Befehl für seine Männer und sie gehorchten bereitwillig, in der Hoffnung, dass es Aufschub bedeutete.
Das ohrenbetäubende Geräusch von Kanonenfeuer zerriss die Luft und eines der Pferde der Garde bäumte sich auf und fiel rückwärts auf ihn zu. Die Szene spielte sich wie in Zeitlupe vor ihm ab. Bevor er sich bewegen konnte, spürte er, wie das Gewicht des Pferdes seinen Körper zerschmetterte und ihm das Atmen unmöglich machte. Er drehte den Kopf und suchte nach einem Ausweg, nur um einen Kürassier über ihm stehen zu sehen, ein Bajonett auf seinen Hals gerichtet. Er nahm Blickkontakt mit dem Mann auf.
“S'il vous plaît. Rapide.“ Er bettelte, während er keuchend nach Luft schnappte und unter der Masse des Pferdes kämpfte.
Er schloss die Augen und wartete auf den tödlichen Schlag. Nichts passierte.
John schoss in seinem Bett hoch, triefend vor Schweiß und sein Puls raste wie wild. Es dauerte immer mehrere Minuten, bis er seine Sinne wiedererlangte und merkte, dass er das Grauen nur noch einmal durchlebte. Jede Nacht war es diese Erinnerung oder die letzten Momente, in denen er noch unversehrt war. Würde es jemals wieder für ihn eine durchgehende Nachtruhe geben, frei von diesen Albträumen und Erinnerungen? Würde er jemals ein paar Stunden Tiefschlaf abseits seiner Realität haben?
Er sah sich im Schlafzimmer seines Cottages um, während sich seine Augen an das schwindende Mondlicht gewöhnten, das durch das Fenster hereinfiel. Es war sicherlich mehr, als er jemals erwartet hätte, als er an jenem Tag in Waterloo auf dem Operationstisch gelegen hatte. Er war von dort zum Sterben in ein belgisches Krankenhaus gebracht und dort vergessen worden. Monate später hatte ihn Lord Fairmont nach England zurückgebracht, in ein Haus, das ein Gentleman gebaut hatte, in dem sich verwundete Soldaten erholen und wieder leben lernen konnten. John hätte sich geweigert zu gehen und wäre in Belgien geblieben, wäre Lord Fairmont nicht gewesen. Es war für John unmöglich gewesen, ihm zu sagen, dass er sich nicht vorstellen könnte, wie es sich anfühlte, wenn seiner Lordschaft selbst eine Hand und ein Auge fehlten.
John rollte sich herum und stemmte sich in eine sitzende Position hoch. Er streckte den Arm aus und tastete auf dem kleinen Nachttisch herum, bis er sein Holzbein fand und es mit einem Riemen befestigte, den er für seine Taille angefertigt hatte. Er konnte jetzt ohne lähmende Schmerzen ohne Krücken gehen, aber es gab Tage, an denen es mehr weh tat als an anderen. Er wünschte, er hätte etwas, das er als behelfsmäßige Hand nutzen konnte. Es war schwieriger, auf Unterarm und Hand zu verzichten als auf das Bein. Er glaubte nicht, dass er sich jemals daran gewöhnen und aufhören würde, nach Dingen zu greifen, nur um sich daran zu erinnern, dass er nichts mehr zum Greifen hatte.
Er konnte frisches Brot und Speck aus dem Schloss riechen, was sein Zeichen war, den Tag zu beginnen. Er kleidete sich mit Hilfe einiger Werkzeuge an, die Lord Craig für ihn entworfen hatte. Er hatte einen Stock mit fingerartigen Vorsprüngen angefertigt, der ihm dabei half, seine Strümpfe und Stiefel anzuziehen, so dass er nicht auf fremde Hilfe angewiesen war. Er hatte wirklich großes Glück mit seiner Anstellung, denn wie viele verwundete Soldaten konnten für einen wohlhabenden, als Arzt ausgebildeten Herrn arbeiten?
John begann seine Wanderung den Weg zum Haus hinauf, wo er jeden Morgen mit der Familie frühstückte. Lord und Lady Craig waren keine typischen Aristokraten. Es gab keine Anspruchsdenken, nur Einbeziehung. Tatsächlich hatten sie versucht, ihn davon zu überzeugen, zu ihnen ins Schloss zu ziehen, aber er genoss seine Unabhängigkeit, und sei es nur, um sich selbst zu beweisen, dass er dazu fähig war. Ihm war ein Cottage zugeteilt worden, das sehr nahe am Herrenhaus lag. Es war um einiges größer, als es einem Junggesellen zustehen sollte, aber Lord Craig meinte, es entspräche seiner Stellung. John vermutete, dass es ihm eher um die Strecke ging, die er zurücklegen musste, um zum Schloss zu gelangen, als um seine Herkunft oder seine Position im Haushalt.
„Guten Morgen, Lieutenant Holdsworth.“ Die Köchin begrüßte ihn fröhlich wie jeden Tag.
„Guten Morgen“, antwortete er, als er durch die Küche ging. Es war der kürzeste Weg zum Speisesaal.
„Heute Morgen hab‘ ich Ihre Lieblingsspeise gemacht“, antwortete sie mit ihrem dicken, schottischen Akzent. Er lebte jetzt seit drei Jahren hier und musste sich immer noch konzentrieren, um sie zu verstehen. Er belohnte sie mit einem Lächeln.
„Sie machen den Speck jeden Tag nur für mich?“ , fragte er, während er sich eine Scheibe von der Platte nahm.
„‘türlich mach ich das. Jetzt aber husch. Der Master ist schon da.“ Sie machte eine scheuchende Bewegung mit ihrer Hand.
„Ja, meine Liebe“, neckte er sie, während er den Gang entlang und schließlich durch die Tür zum Frühstücksraum humpelte. Er blieb kurz stehen. Die ganze Familie saß bereits um den Tisch. Normalerweise hatten er und Lord Craig ein paar Minuten Zeit, um Geschäfte zu besprechen, bevor sich der Rest zu ihnen gesellte.
„Guten Morgen, Mylord, Mylady, Miss Catriona und Miss Maili.“ Er bemühte sich, so normal wie möglich zu gehen, aber es würde niemals elegant aussehen.
„Guten Morgen“, antworteten sie grüßend. Er füllte seinen Teller aus Schüsseln, die auf der Anrichte standen, und setzte sich auf seinen üblichen Platz.
„Ich habe heute Morgen alle gebeten, sich uns anzuschließen, damit wir unsere Pläne besprechen können.“
Sie hörten alle auf zu essen und sahen Lord Craig an.
„Seht mich nicht so an. Wir diskutieren seit mehreren Monaten über das bevorstehende freudige Ereignis Eurer Tante Beaujolais. Es ist an der Zeit, dass wir Pläne für die Abreise schmieden.“
„Ja“ Lady Craig ergriff das Wort. „Meine Schwestern sind bei solchen Gelegenheiten nach Möglichkeit immer gerne zusammen.“
„Ich habe vor, fast sofort danach zurückzukehren“, fuhr Lord Craig fort und schenkte seiner Frau ein nachsichtiges Lächeln, „da es so kurz vor der Ernte noch viel zu tun gibt. Yardley wird Euch rechtzeitig zum Sonnenwendball und zum offiziellen Debüt von Catriona auf der Rückreise begleiten.“
„Lady Vernon hat euch beiden eine besondere Einladung zu einem Besuch ausgesprochen und erwähnt, dass sie Catriona in der nächsten Saison vorstellen möchte. Auch wenn das natürlich noch einige Zeit dauert.“
John warf Catriona einen Blick zu, die aussah, als hätte sie einen Geist gesehen. Johns Herz sank.
“Catriona?”, fragte Lord Craig besorgt. Offenbar hatte er auch die Bestürzung des Mädchens bemerkt.
Sie schüttelte den Kopf.
„Was ist los, Liebes?“ Lady Craig streckte ihrer Tochter die Hand entgegen.
„Ich möchte nicht gehen. Muss ich wirklich?“
John beobachtete sie interessierter, als er sollte, doch er konnte sich nicht zurückhalten. Ihre grauen Augen funkelten vor zurückgehaltenen Tränen und sie hatte offensichtlich Mühe, ihr zitterndes Kinn unter Kontrolle zu bringen.
„Zu Yardley oder nach London?“
„Kann ich nicht hierbleiben? Du weißt, wie sehr ich das Reisen fürchte.“
John hatte gewusst, dass der Tag kommen würde, aber er hatte nicht so schnell damit gerechnet. Er würde sie mehr vermissen als er sollte.
„Es ist nur für ein paar Wochen, Catriona“, antwortete Lord Craig.
Lady Craig seufzte laut.
„Aber du hast gesagt, du kommst sofort zurück. Ich möchte die Arnika nicht verpassen.“
Lord und Lady Craig sahen sich an.
„Bitte, Papa. Darf ich bleiben?“, bettelte sie.
„Allein?“
„Tante Ida ist hier und auch Lieutenant Holdsworth.“
John schluckte schwer. Er wollte in diesem Gespräch lieber unsichtbar bleiben.
„Ich weiß nicht, Catriona. Wir werden so weit weg sein. Und Tante Ida war vor einigen Jahren schon zu alt, um Margaux zu beaufsichtigen. Sie kommt heutzutage nicht mehr oft aus ihren Zimmern.“
Lady Craig streckte ihre Hand aus und berührte sanft ihren Mann. „Warum besprechen wir das nicht nachher unter uns?“
„Sehr wohl. Ich werde später mit dir reden, Catriona.“
Sie nickte, entschuldigte sich für das Verlassen des Tisches und Maili folgte ihr.
Nachdem das Echo der Schritte durch den langen Korridor verklungen war, sah Lord Craig zu seiner Frau.
„Was soll ich tun? Sie ist kein Kind mehr, und ich werde in ein paar Tagen zurückkehren.“
„Sie hat sich immer vor Kutschfahrten gefürchtet, aber eines Tages muss sie die Ängste überwinden. Auf die Arnika hat sie aber schon einige Zeit gewartet. Ich hatte nicht gewusst, dass ihre Ernte mit der Reise zusammenfallen würde.“
John fühlte sich in diesem Gespräch fehl am Platz, also stand er auf und bereitete sich darauf vor, sich zu entschuldigen.
„Haben Sie eine Meinung dazu, John?“, fragte Lord Craig und sah ihn mit seinen strahlend blauen Augen an.
Er hatte durchaus eine Meinung, aber keine, die er mit jemandem teilen wollte. Er schluckte schwer, als Lady Craig ihn ebenfalls ansah, um seine Antwort zu finden.
„Sie ist ihrem Garten sehr verbunden. Vielleicht wäre sie eher bereit zu gehen, wenn sie beruhigt wäre, dass er richtig gepflegt wird.“
„Vielleicht hat John recht. Ich kann nicht glauben, dass sie ihre Tante und das neue Baby nicht sehen möchte.“
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir sie hierlassen, John?“, fragte Lady Craig und suchte in seinem Gesicht nach Antworten.
„Sie stört mich nicht, Ma'am.“
„Wir möchten Ihnen nicht noch mehr Arbeit aufbürden, als Sie ohnehin schon haben werden“, sagte Lady Craig zuvorkommend.
„Sie ist alt genug, um sich größtenteils allein zurechtzufinden, und Sie beide fühlen sich wohl in der Gesellschaft des anderen“, fügte Lord Craig hinzu. „Sie sind der Onkel, den sie nie hatte.“
„Wir kommen gut miteinander aus. Es ist für mich überhaupt kein Problem, das versichere ich Ihnen. Und es ist nur für ein paar Tage, das ist kürzer als früher die Mädchen mit ihrer Amme und Gouvernante zurückblieben.“
"Es ist ein zweischneidiges Schwert, fürchte ich. Auf der einen Seite ist sie kein Kind mehr, aber an die Einschränkungen einer Dame ist sie noch nicht gewöhnt.“
Catriona eilte zu ihrem heiligen Ort – ihrem Garten. Ihre vierbeinige Begleiterin Shadow trottete neben ihr her, wie sie es seit Catrionas Rettung getan hatte. Seit dem Sommer, als sie zum ersten Mal nach Castle Craig gekommen war, hatte sie sich für Heilkräuter interessiert. Aus der Not heraus hatte sie bei einem Brand im Nachbarhaus geholfen, Salben zu mischen und Umschläge zuzubereiten, aber die Aufgabe war zu ihrer Leidenschaft geworden. Ihre damals noch neue Mutter, Lady Margaux, war schwer verletzt worden und Catriona hatte geholfen, sie wieder gesund zu pflegen. Lady Easton, die während ihres Aufenthalts in Amerika eine medizinische Ausbildung gemacht hatte, hatte ein Rezept für eine Wundersalbe geschickt. Als Catriona die schrecklichen Narben praktisch verschwinden sah, war sie von der Kunst besessen. Es hatte ihr dabei geholfen, vom Waisenkind zu diesem Leben zu finden, wobei sie manchmal das Gefühl hatte, nicht ganz dazuzugehören.
Sie atmete den mittlerweile vertrauten Düften von Lavendel und Flieder tief ein, die zu dieser Jahreszeit den Garten erfüllten. Sie entspannte sich sofort.
„Der Lavendel muss geschnitten und aufgehängt werden“, erklärte sie Shadow. Sie ging zu ihrem Gewächshaus, um ihr Werkzeug zu holen und ihre Handschuhe auszutauschen. Mr. Wallace würde noch etwas Arnika brauchen, die nächste Woche blühen sollte, und ihr Vorrat an Brennnesseln und Heidekraut war gering. Sie überprüfte ihre Fingerhutknospen und war erfreut zu sehen, dass sie begannen, Blüten zu bilden.
“Catriona?”
Sie fuhr zusammen, als sie ihren Namen hörte. Sobald sie den Garten betrat, hatte sie alles um sich herum vergessen und vertiefte sich in ihre Arbeit.
„Ja, Mama“, antwortete sie Lady Craig.
„Können wir kurz reden? Du kannst deine Arbeit gern fortsetzen.“
„Natürlich.“ Catriona nahm einen Korb aus dem Regal und eine Schere. Sie konnte beim Reden keine Salben mischen, aber ernten.
Schweigend gingen sie weiter, bis Catriona ihren Korb abstellte und anfing, die Stängel des Lavendels zu büscheln und zu schneiden.
„Gibt es einen anderen Grund, warum du nicht nach Yardley gehen möchtest?“, fragte ihre Mama.
„Ich weiß nicht, was du meinst.“, antwortete Catriona ausweichend.
„Wirklich nicht?“
„Ich bin sehr glücklich hier. Ich liebe es, Papa bei seiner Arbeit zu helfen. Ich glaube, es ist ein richtiges Gottesgeschenk.“
„Das kann man wohl sagen. Das verstehe ich. Aber es ist auch akzeptabel, sich etwas Zeit für Freizeit und Reisen zu nehmen. Tatsächlich tut es der Seele gut, sich auszuruhen.“
„Ich bin sicher, dass es so ist, aber ich fühle mich jetzt ausgeruht. Kann ich nicht bis zu einem anderen Zeitpunkt warten?“
„Es erscheint einfach ungewöhnlich, dass du hier allein bleiben möchtest“, Lady Craig blieb hartnäckig.
„Ich werde nicht allein sein“, wiederholte Catriona.
Lady Craig seufzte. „Hast du Angst, in die Gesellschaft zu gehen?“
Catriona zögerte. „Ich weiß nicht, ob ich die Ursache meines Widerwillens richtig benennen kann. Vielleicht ist das ganz normal, Maili und ich sind schließlich Waisen. Das soll nicht heißen, dass ich nicht dankbar bin, dass du und Papa uns deinen Namen gegeben haben, aber in der Gesellschaft dreht sich alles um Blutlinien und Abstammung, von denen ich keine habe.“
„Euer Vater war ein Gentleman.“
„Für Londoner Verhältnisse einer von sehr niedriger Bedeutung!”, protestierte Catriona.
„Ich habe mich selbst nicht groß für die Gesellschaft interessiert, aber es gibt viele Menschen, denen du am Herzen liegst und die dich gerne sehen würden."
„Haben du und Papa es eilig, mich verheiratet zu sehen?“
„Natürlich nicht!“ Lady Craig sah verletzt aus. „Wir lieben deine Arbeit und freuen uns, dich hier zu haben. Wir möchten nur, dass dir alle Möglichkeiten offen stehen.“
„Ich weiß es zu schätzen, aber ich fühle mich noch nicht dazu bereit. Darf ich dieses Jahr zu Hause bleiben und vielleicht als nächstes einen Aufenthalt in London in Erwägung ziehen?"
Ihre Mama legte den Kopf schief und sah nachdenklich aus. „Ich wage zu behaupten, dass ich deinen Papa überreden könnte, wenn Miss Potts als Anstandsdame bleibt.“
„Tante Ida war gut genug für dich.“ Catriona hielt sich zurück, um nicht laut zu stöhnen. Sie und ihre Gouvernante waren nicht immer einer Meinung.
„War sie das?“, Lady Craig kicherte. „Ich war auch einige Jahre älter als du und viel welterfahrener. Wie auch immer, die Dorfbewohner haben mir nicht vergeben.“
„Sie kannten dich noch nicht. Ich verspreche dir, ich werde genau das tun, was ich heute mache.“
„Ich weiß, dass du das wirst. Darum mache ich mir keine Sorgen.“ Ihre Mama strich mit ihrer Hand leicht über Catrionas Gesicht und schenkte ihr ein liebevolles Lächeln. „Ich werde mit deinem Papa sprechen, wenn er von der Inspektion der Brennblasen zurückkommt.“
„Wann reist ihr ab?“
„Am nächsten Montag. Wir werden vor dem Sonnenwendeball zurückkehren.“
Auf dem Gut drehte sich alles um die Ernte. „Das wird nicht mehr lange dauern. Du kannst sicher sein, dass ich nicht zu Schaden kommen werde.“
„Die Entscheidung liegt bei deinem Papa, aber ich werde ein gutes Wort für dich einlegen.“
„Danke Mama.“
Darmowy fragment się skończył.