Czytaj książkę: «Mutter Angelica»

Czcionka:

Raymond Arroyo

Mutter Angelica

Eine Nonne schreibt Fernsehgeschichte


Titel der amerikanischen Orginalausgabe:

Mother Angelica

The Remarkable Story of a Nun, Her Nerve, and a Network of Miracles

2005 veröffentlicht von The Doubleday Broadway

Publishing Group/Random House, Inc., New York,

www.doubleday.com

© 2005 by Raymond Arroyo

Bibliografische Information: Deutsche Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

© 2009 der deutschsprachigen Ausgabe

Media Maria Verlag, Illertissen

Umschlaggestaltung: Atelier Lehmacher

ISBN 978-3-9811452-7-4

eISBN 978-3-9479317-7-4

Für die Mutter meiner Kinder, Rebecca,

meine Mutter Lynda

und alle Mütter auf der ganzen Welt.

Sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt,

um die Weisen zuschanden zu machen,

und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt,

um das Starke zuschanden zu machen.

1 Kor 1, 27

Inhalt

Einleitung

Prolog

1. Kapitel:Ein unglückliches Leben

2. Kapitel:Der Schmerz als Geschenk

3. Kapitel:Heilung und Berufung

4. Kapitel:Braut Christi

5. Kapitel:St. Klara

6. Kapitel:Leid und Vorsehung

7. Kapitel:Die Gründung

8. Kapitel:Ein Familienkloster

9. Kapitel:Der Geist bewegt …

10. Kapitel:Das Lächerliche tun

11. Kapitel:Eine Kathedrale am Firmament: EWTN

12. Kapitel:Tod und dunkle Nacht

13. Kapitel:Die Äbtissin im Äther

14. Kapitel:Ein Zeuge für die Völker: WEWN

15. Kapitel:Die Verteidigerin des Glaubens

16. Kapitel:Der Hammer der Häretiker

17. Kapitel:Wunder und Züchtigungen

18. Kapitel:Die letzten Dinge

19. Kapitel:Läuterung

Einleitung

Die Leute rund um Hanceville in Alabama nannten es „dieses Nonnengeschäft“, „den Palast“ oder auch „den Wallfahrtsort“, je nachdem, mit wem man darüber sprach. Dieser Ort sollte an den meisten kommenden Samstagvormittagen mein Ziel sein. Nachdem ich die Autobahn I 65 verlassen hatte, ging es weiter an den Rinderherden vorbei, die hier in der Hitze Alabamas vor sich hindösten. Bei Pitts Lebensmittelgeschäft bog ich rechts ab, fuhr schnell an einer Reihe neu erbauter Häuser vorbei, aus deren gepflegten Vorgärten mich Heiligenstatuen aus Gips anstarrten. Im Gegensatz zu den Menschen, die mit Wohnmobilen und klimatisierten Reisebussen hierher gekommen waren, interessierte mich weniger das Kloster Unsere Liebe Frau von den Engeln, sondern vielmehr die Frau, die es gebaut hatte.

Während ich auf mein Ziel zufuhr, auf einem riesigen Gebäude, dessen Fassade mit Sandsteinen verkleidet war, das Mutter Angelica ihr Zuhause nannte, überdachte ich noch einmal im Stillen die Fragen, die ich ihr stellen wollte. Dies war die letzte Chance, mich auf das fünfstündige Treffen mit ihr vorzubereiten: ein Gespräch unter vier Augen mit der freimütigsten kontemplativen Ordensfrau der Welt. Da Ordensschwestern, die in Klausur leben, ein direkter Kontakt mit der Außenwelt nicht erlaubt ist, waren unsere Treffen auf das Sprechzimmer der Gemeinschaft beschränkt, einen schlichten Raum, in dem ein Eisengitter die Nonne vom Besucher trennt.

Eigentlich erschien es mir ungünstig, ganz vertrauliche Details eines Lebens durch Gitterstäbe hindurch zu besprechen. Doch in unserem Fall verlieh diese Ausgestaltung dem Ablauf unseres Zwiegesprächs eine beichtähnliche Atmosphäre. Es war, als ob gerade das schwarze Eisengeflecht zwischen uns die neunundsiebzigjährige Äbtissin befreit hätte. Sie konnte dadurch ihre Vergangenheit mit einer Aufrichtigkeit und Offenheit lebendig werden lassen, die sie sich sonst hätte nicht erlauben können.

Sie kam, bereit zum Gespräch.

„Hey, Landsmann!“, krächzte Mutter Angelica, als sie das Sprechzimmer auf der anderen Seite des Gitters betrat. Sie blieb an der Türschwelle mit ausgebreiteten Armen stehen, geradeso, als würde sie eine Bühne betreten. Sofort durchflutete Herzlichkeit und Wärme das spärlich rosa gekachelte Zimmer.

In ihrem schokoladenbraunen franziskanischen Ordensgewand schien sie heute mit ihren knappen 165 cm noch erstaunlich jung und geschmeidig zu sein. Ihre runden Wangen quollen an beiden Seiten über den Schleier heraus wie ein in eine Schuhschachtel gezwängtes rosarotes Kissen. Durch ihr Lächeln, geschätzt und geliebt von Millionen Menschen, wurden ihre Augen zu durchdringenden grauen Schlitzen zusammengepresst.

Obwohl sie über vierzig Minuten zu spät gekommen war, gab es keine entschuldigende Erklärung. Mutter Angelica lebte einfach im gegenwärtigen Augenblick.

„Na gut, dann fangen wir an“, verkündete sie, als ob ich der verspätete Gesprächsteilnehmer gewesen wäre. Als sie sich den Gitterstäben näherte und ihre Hände durch das Gitter streckte, tänzelte ein Schimmer von Zuneigung und Schalk hinter ihrer Brille. Sobald sie meine Hand ergriff, kam sie auf etwas Wichtiges zu sprechen: „Wie wäre es mit einem Mittagessen? Was haben wir da, Schwester?“, fragte Mutter Angelica über ihre Schulter hinweg. Die stets dienstbereite Schwester Antoinette eilte in die Küche, um sich nach dem klösterlichen Speiseplan zu erkundigen.

Später, bei halbgegessenen Keksen und Tee mit Milch sowie einer unter ihrem Kinn eingesteckten Serviette, legte Mutter Angelica ihre sorgfältig zusammengestellten persönlichen Anekdoten beiseite, die sie im Laufe ihrer zwanzigjährigen Fernsehlaufbahn ganz ohne Manuskripte perfektioniert hatte, und fing an, Dinge aus ihrer Vergangenheit zu erzählen, die zuvor noch niemand, auch nicht ihre Mitschwestern aus dem Kloster, gehört hatte. Ob es nun Fügung oder einfach gerade die richtige Zeit war, jedenfalls traf ich Mutter Angelica zu einem Zeitpunkt, an dem sie bereit war, Rückschau auf ihr Leben zu halten. Soeben hatte sie ein lang ersehntes Ziel erreicht, die Fertigstellung eines mehrere Millionen Dollar teuren neuen Klosters. Sie schien wirklich zufrieden zu sein und war schließlich auch bereit, auf all das zurückzublicken, was sie überstanden und erreicht hatte. Da saß sie nun in einem dick gepolsterten Ledersessel, rang mit ihrem Gedächtnis und der Zeit, um die Wahrheit ans Licht zu fördern.

„Spüren Sie einen Zwiespalt in Ihrem Innern – in Ihrer Persönlichkeit?“, fragte ich sie heute. Immer wenn sie einen langen, fast schon gequälten Seufzer ausstieß und ihren Körper im Sessel in eine andere Position verlagerte – wie sie es auch jetzt tat – wusste ich, dass uns ein aufschlussreicher Moment bevorstand. Sie schob ihren Finger unter den steifen weißen Schleier, der ihr Gesicht umgab und rieb an ihrer Schläfe, als ob sie leibhaftig versuchte, die Vergangenheit aus ihrem Gedächtnis herauszuschürfen. Wie oft sollte ich noch hier sitzen und warten, an den Metallblümchen, mit denen das Gitter übersät war, vorbeistarren und gleichzeitig daran denken, wie sehr sie doch Mutter Angelica selbst ähnelten: Sie waren eisern und doch feminin, zurückhaltend und doch offenherzig, im Feuer gehärtet und unverwüstlich. Doch die Antworten sollten schon noch kommen.

„Habe ich Ihnen schon davon erzählt, wie ich einmal ein Messer nach meinem Onkel geworfen habe? Ich möchte, dass Sie mein wahres Ich kennenlernen, denn weder in dem, was ich mache, noch in dem, was ich habe, findet sich mein wirkliches Ich. Es ist eine Frau von der Straße, die erkrankte und der vieles geschenkt wurde.“ Bedächtig präzisierte sie: „Mein wahres Ich ist nicht das, was Sie hier sehen.“

So habe ich fast drei Jahre lang in dem vergitterten Sprechzimmer ihres Klosters verbracht, um die „wirkliche“ Mutter Angelica aufzuspüren. Von 1999 bis Ende 2001 traf sich der „Superstar des religiösen Fernsehens“, wie Mutter Angelica vom TIME-Magazin genannt wurde, die sicher auch zu den mächtigsten und einflussreichsten Menschen in der römisch-katholischen Kirche zählt, einmal wöchentlich zum verabredeten Termin mit mir. Bei diesen Gesprächen sollte die Vergangenheit wieder lebendig und ein prüfender Blick auf ihr Leben geworfen werden.

Für Mutter Angelica waren diese Besuche Tapferkeitsübungen. Es ist schon eine große Sache, einem Neuling die Erlaubnis zu geben, die eigene Lebensgeschichte zu durchstöbern. Er ist von Anfang an im Nachteil und weiß nur, was das geschriebene Wort ihm vermittelt. Als ich die Gesprächsserie begann, kannte ich Mutter Angelica jedoch bereits persönlich, da ich schon seit fünf Jahren bei ihr angestellt war. Ich war ihr nahe gewesen in guten und in schlechten Zeiten, in der Öffentlichkeit, aber auch im privaten Umfeld. Seit zwei Jahren begleitete ich ab und zu ihre beliebte Fernsehsendung Mother Angelica Live und fungierte als Direktor der Nachrichtenabteilung des von ihr gegründeten Senders. In gewisser Weise war sie wie eine Großmutter für mich – eine Großmutter, bei der ich mich ungewöhnlich wohl und mit ihr verwandt fühlte. Unsere gemeinsame italienische Herkunft hat sicher dazu beigetragen. Wir konnten über alles reden und gingen auch gelegentlichen Reibereien nicht aus dem Weg.

„Wir hatten einmal Streit miteinander“, vertraute Mutter Angelica einem Freund in meiner Gegenwart an, „Raymond hat aber keinen Gebrauch davon gemacht“. Trotz mancher Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten standen wir uns doch nahe. Aus meiner besonderen Stellung heraus konnte ich Mutter Angelica sehen, wie sie wirklich war: eine einfache Frau mit tiefer Spiritualität, die sich bemühte, Gottes Willen zu erfüllen und ihre persönlichen Schwächen zu überwinden.

Allmählich erkannte ich jetzt die andere Mutter Angelica, die sich jenseits des Eisengitters hinter dem engelsgleichen Gesicht verbarg. Rita Rizzo, das kränkliche Mädchen, das lediglich einen Abschluss an der High School geschafft, sich ihren Weg aus der Armut herausgekämpft und EWTN (Eternal Word Television Network), den weltweit größten religiösen Fernsehsender, im Alleingang aufgebaut hatte – ihr war es geglückt, während die gesamten Bischöfe der Vereinigten Staaten (und auch etliche Millionäre) daran gescheitert waren. Dies hier war eine moderne Teresa von Avila, ein brennendes Feuer, die freimütig redete, einen tiefgreifenden Glauben und eine absolute Entschlossenheit besaß, um Hindernisse zu überwinden, die die meisten Menschen lahmgelegt hätten. Sie hatte die Diskriminierung als Frau, Bankrott und Übernahmeversuche von Unternehmen und von kirchlicher Seite abgewehrt, um „den Menschen“ eine moralische Wegweisung zu geben. In körperlicher Hinsicht hatte diese leidgeplagte Dienerin einen mystischen Tanz von Schmerzen und göttlicher Vorsehung durchgestanden. Es war ein ungeheuer hoher Preis, der verblüffende und erstaunliche Belohnungen einbrachte. Diese Frau, die Papst Johannes Paul II. einmal als „schwach im Körper, aber stark im Geist“ bezeichnete, hat um des wahren Glaubens willen Kardinäle und Bischöfe öffentlich herausgefordert und in der nachkonziliaren Phase ein traditionelles und allgemein verständliches Bild der Kirche über den Sender verbreitet. So wurde sie zu einem ökumenischen geistigen Leuchtturm für Millionen.

Und doch bleibt sie selbst für ihre unzähligen Bewunderer ein Rätsel. Wie konnte dieses vernachlässigte, zurückgezogene Kind geschiedener Eltern zu einer der meistverehrten und meistgefürchteten Frauen in der katholischen Welt aufsteigen? Wie konnte eine in Klausur lebende Nonne den Äther erobern, obwohl sie keine Erfahrung auf diesem Gebiet hatte? Wie konnten denn Magenbeschwerden, beschädigte Rückenwirbel, ein vergrößertes Herz, chronisches Asthma, Lähmungen und verbogene Gliedmaßen ihre Mission voranbringen? Woher nahm sie die Kraft für ihre wohlbekannten öffentlichen Kämpfe mit der kirchlichen Hierarchie über Glaubenspraxis und Frömmigkeit? Wie konnten ihr Fernsehsender und ihr Orden so wachsen, während andere zusammenbrachen? Und, am wichtigsten, wie wird ihre Botschaft heute in der katholischen Kirche aufgenommen und welche Auswirkungen wird sie auf die Zukunft haben?

Solche bohrenden Fragen sowie meine Kenntnis von Teilen ihrer noch im Verborgenen liegenden Geschichte brachten mich zu der Überzeugung, dass eine vollständige Biografie über Mutter Angelica notwendig und die Zeit dafür reif war. Voll ängstlicher Erwartung näherte ich mich dieser Frau selbst, weil mir vollkommen klar war, dass ihre Beteiligung an diesem Projekt angesichts der ständigen Anforderungen ihres Senders sowie ihrer Verpflichtungen als Leiterin einer religiösen Gemeinschaft vermutlich nur minimal sein würde. Angelicas Reaktion war typisch für sie und kam unverzüglich: „Warum fangen wir nicht einfach an und sehen, was passiert?“ Da sie schon immer in ihrem Leben jede bedeutende Initiative mit Vertrauen auf die göttliche Vorsehung begonnen hatte, ließ sie sich auch auf dieses Vorhaben, das in ihr Innerstes eindringen sollte, mit totalem Einsatz ein.

Wir beschlossen, dass dies keine autorisierte Biografie werden sollte, und dass ich allein für die redaktionelle Bearbeitung und Interpretation verantwortlich sei. Erwartungsgemäß gewährte mir Mutter Angelica komplette journalistische Freiheit. Sie wollte mir mehrere Stunden lang an den Wochenenden oder nach der Direktübertragung ihrer eigenen Sendung für ausführliche Gespräche zur Verfügung stehen, wenn es ihre Zeit erlaubte. Es sollte keine Frage tabu und kein Thema zu heikel sein. Sie unterstützte mich uneingeschränkt bei meinen Nachforschungen, gewährte mir einen ungehinderten Zugang zum Archiv ihrer Gemeinschaft, zu ihrem persönlichen Briefwechsel, zu ihren Freunden, Ärzten und den Schwestern des Klosters Unsere Liebe Frau von den Engeln. Die Chronistin der Klostergemeinschaft, Schwester Mary Antoinette, wurde meine stärkste Verbündete. Sie beantwortete geduldig meine Fragen, gab mir entscheidende Informationen und erduldete meine Anrufe zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Und dann, nur wenige Wochen nach dem letzten Gesprächstermin für diese Biografie und nach der letzten Direktübertragung ihrer Sendung, erlitt Mutter Angelica einen schweren Schlaganfall. Er beraubte sie ihrer Sprache und versiegelte ihr Gedächtnis, weshalb es unwahrscheinlich ist, dass sie jemals wieder ein Interview wird geben können. Keinesfalls werden Gespräche mit einer solchen Tiefgründigkeit und Intimität möglich sein, wie wir sie in der Vergangenheit geführt hatten. Ohne es zu wissen, hatte ich Mutter Angelicas letztes Testament aufgenommen, das letzte Wort über ihr ungewöhnliches Leben.

Eines Abends, kurz vor der Direktübertragung ihrer Sendung, gab sie mir nur eine einzige Instruktion mit auf den Weg, die mir bis auf den heutigen Tag nachgeht: „Achten Sie darauf, dass Sie mich so darstellen, wie ich wirklich bin. Es gibt nichts Schlimmeres als ein Buch, das die Wahrheit über eine Person mit einem Zuckerguss überzieht und den wirklichen Menschen verdeckt. Wenn Sie das machen, wünsche ich Ihnen vierzig Jahre im Fegefeuer!“

In der Hoffnung, von diesem schändlichen Ende verschont zu bleiben, habe ich ein Buch geschrieben, das Strittiges oder auch die scheinbaren Widersprüche nicht vermeidet, die zu Mutter Angelicas Charakter dazugehören: die kontemplative, in Klausur lebende Nonne, die zur Welt spricht; die eigenständige Frau, die Regeln bricht und die als „sture Konservative“ verspottet wird; die treffsichere Komikerin, die fast ständig unter Schmerzen leidet; die Klarissin, die ein Multi-Millionen-Unternehmen betreibt.

Dies sind die Erinnerungen von Freund und Feind gleichermaßen, von allen, die ich ausfindig machen konnte und die jemals ihren Weg gekreuzt hatten. Kritische Bemerkungen über Mutter Angelica werden hier ebenso ohne Zögern dargestellt wie ihre erstaunlichen Fernsehproduktionen und deren Weiterentwicklung.

Um einem solchen Leben wie dem von Mutter Angelica gerecht zu werden, ist es notwendig, Rückblicke einzublenden. Nur so kann man die Verflechtungen von Schicksal und Gnade erkennen, die dieses höchst ungewöhnliche Leben formten. Wie bei uns allen geschah auch im Leben von Mutter Angelica nichts in einem Moment. Ihre Geschichte zeigt die äußerst schmerzhaften, verworrenen und für den Außenstehenden verrückten Schritte, die schließlich zu einem glücklichen Ende führten. Der innere Antrieb zu ihrer Lebensgeschichte liegt jedoch im Kämpfen – ein Kämpfen, das zum größten Teil verborgen blieb oder im Laufe der Zeit untergegangen ist.

Während der vergangenen fünf Jahre bin ich ihrem geistlichen und weltlichen Leben von Canton in Ohio bis nach Hanceville in Alabama nachgegangen. Dabei habe ich Menschen und Geschichten zutage gefördert, die Mutter Angelica schon längst vergessen hatte. Ich wog ihre Stärken und ihre Schwächen ab und entdeckte einen Glauben, der heutzutage selten geworden ist. Ich glaube, dass dieses Mosaik das vollständigste Bild von Mutter Angelica abzeichnet – sowohl von innen als auch von außen.

Im April 2001 begann Mutter Angelica, sich nach einem besonders strapaziösen Gesprächstermin sanft in die Ruhe ihres Klosters zurückzuziehen. Damals drehte sie sich auf der Türschwelle wie ein kokettes junges Mädchen noch herum und schlug mit einer Hand auf den runden Türrahmen. „Sie wissen jetzt genauso viel über mich wie der liebe Gott“, sagte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. „Aber es gibt noch einige Dinge, die sogar Sie nie erfahren werden.“

„Sie haben aber nichts dagegen, wenn ich weiterhin versuche, sie herauszufinden?“, fragte ich.

Sie kicherte fröhlich und verschwand im Flur.

Hier folgen nun ihre freimütigen Erinnerungen, das Ergebnis meiner Nachforschungen und noch einige Dinge, von denen weder Mutter Angelica noch ich annahmen, sie jemals ans Tageslicht zu bringen.

Raymond Arroyo New Orleans, 2005

Prolog

Im Jahre 2001 ließ sich die zusammengekrümmte Äbtissin am Morgen des Heiligen Abends in dem bereitstehenden Rollstuhl nieder und versuchte, ihre Töchter zu beruhigen. Schon seit Wochen hatten die Schwestern jede einzelne ihrer Bewegungen gespannt verfolgt und immer gehofft, ihre Wachsamkeit könnte die nächste Erkrankung oder einen Rückschlag irgendwie abwehren oder aufschieben. Angefangen von den Blicken der Verzweiflung, die sich die Nonnen gegenseitig zuwarfen, bis hin zu der Fürsorge, die sie ihr zuwandten, wenn sie stolperte oder auch nur zögerte: In all dem konnte sie die Sorge der Schwestern spüren. „Heute kommt Jesus“, verkündete sie an diesem Morgen mit ruhiger und entschiedener Stimme. Sie deutete auf den Gang und wies die Schwester an, sie aus der Zelle zu schieben. „Ich werde in die Kirche gehen, um dort auf Ihn zu warten.“

Lange musste sie dort nicht warten.

Als sie an den verschlossenen Türen des langen Klosterganges vorbeifuhr, in dem man nur das Rascheln der Ordenstrachten der Schwestern vernahm, sah die alte Nonne aus, als ob sie gerade von einem Fronteinsatz aus einer ausgedehnten Schlacht heimgekehrt wäre. Und vielleicht war es ja auch so. Öffentlich ausgetragene Kämpfe mit einem Kardinal und ihrem Ortsbischof, eine Überprüfung vonseiten des Vatikans, der Tod einer neunundvierzigjährigen Freundin aus dem Kloster sowie anhaltende gesundheitliche Probleme hatten Ende 2001 ihren Tribut von Mutter Mary Angelica gefordert. Selbst die Millionen Menschen, die sie jede Woche mit dem Fernsehen in ihre Wohnungen einluden, hätten sie nicht mehr erkannt. Eine Schlinge hielt Mutter Angelicas zerschmetterten rechten Arm. Sie war einige Tage zuvor gestürzt. Eine Augenklappe bedeckte ihr herunterhängendes linkes Auge, das sie seit einem Schlaganfall im vergangenen September nicht mehr schließen konnte. Und ihr Mund, der einmal selbst Bischöfe erbeben ließ und der den Verirrten auf den sieben Kontinenten das Heil brachte, hing traurig herab und entstellte das einst so vergnügte Antlitz. Angelica war nunmehr zu einer lebendig gewordenen Ikone des „heilbringenden Leidens“ geworden, von dem sie ihren Schwestern so oft gepredigt hatte.

Eine der jungen Schwestern, die schon ihre Gelübde abgelegt hatte, schob Mutters Rollstuhl in der Klosterkapelle vorsichtig über den polierten Fußboden aus grünem Marmor und Jaspis. Der vertraute Duft von honigsüßem Weihrauch umfing sie jetzt. Von den bunt verglasten Kirchenfenstern der Kirche schauten die dort abgebildeten Engel auf sie herab und entboten ihren Gruß, als die Sonne von der Ostseite hereinstrahlte. Die Äbtissin war in die sich ständig verändernden Farben dieser Engel getaucht, und so rollte sie ihrem Bräutigam entgegen. An diesem Morgen war sie zu schwach gewesen, um ihre Ordenstracht anzulegen. Deshalb erschien sie pflichtbewusst in einem cremefarbenen Gewand und einer passenden Skimütze, um Ihm zu huldigen. Sie trug die Zeichen, die Er zugelassen hatte.

Trotz ihrer körperlichen Verfassung war keine Bitterkeit bei ihr zu erkennen, als sie sich der fast zweieinhalb Meter hohen Monstranz näherte, in der die konsekrierte Hostie ausgestellt war. Dort war ihr Herr und Erlöser, der hoch über dem Zentrum der Kirche thronte, die sie für mehrere Millionen Dollar für Ihn hatte erbauen lassen. Für ihren Herrn war nichts zu viel. Die jetzigen Wunden waren lediglich neue Opfergaben, die sie Ihm darbrachte. Lange hatten sie miteinander unter Schmerzen kommuniziert, sie und ihr Bräutigam. Sie spürte, wie Er sie berührte, und ließ es zu. Sie hatte ja gelernt, dass sich im Schmerz – durch den Schmerz – Wunder ereigneten, wenn sie es nur fertigbrachte, Ihm vollkommen zu vertrauen und sich den Fügungen Seiner Vorsehung zu unterwerfen.

Nach der Messe und dem Rosenkranzgebet verließen die Schwestern nach und nach die Kirche. Einsam bewegte sie schwach ihren Kopf nach oben, richtete ihr gesundes Auge auf Christus im Allerheiligsten Altarsakrament, wie sie es schon siebenundfünfzig Jahre lang in ihrem Ordensleben getan hatte. Dann kam Er ganz zu ihr.

Ihr Kopf kippte plötzlich zur Seite, als wäre er aus Beton gegossen. Erschöpft und verwirrt wanderten Angelicas Augen zur Decke.

„Mutter Angelica, ist alles in Ordnung?“, fragte Schwester Faustina. „Mutter Angelica?“

Mutter Angelica antwortete nicht. Schwester Faustina fragte sich, warum sie einen solch verstörten Gesichtsausdruck hatte. War ihr Blutzucker abgefallen? Spielte ihr Diabetes verrückt? Warum konnte sie nicht mehr klar schauen? Die Schwestern standen um sie herum, riefen ihren Namen und versuchten, irgendeine Reaktion zu erhalten. Ein großes Glas Orangensaft wurde herbeigebracht, um ihren Blutzucker zu stabilisieren. Sie trank es ganz aus. Aber es half nicht. Die Nonnen brachten Mutter Angelica eilig in ihre Zelle zurück, um ihre lebenswichtigen Funktionen zu überprüfen.

Auf dem Gang trafen sie, noch im Nachtgewand, Schwester Margaret Mary. Sie war zeitweise Mutter Angelicas Krankenpflegerin, da sie für die Ausgabe der Medikamente verantwortlich war und der Neunundsiebzigjährigen mit allgemeinen gesundheitlichen Ratschlägen beistand. Als sie die verwirrte Äbtissin erblickte, brachte sie ihre schlimmsten Befürchtungen zum Ausdruck: „Sie hatte einen Schlaganfall“, sagte Margaret Mary wie benommen.

Zurück in ihrer Zelle, hatte Mutter zwar einen ganz normalen Blutdruck, sie schafften es jedoch nicht, sie durch eine Sauerstoffmaske wiederzubeleben. Schwester Mary Catherine, Mutters Stellvertreterin und damit die Zweite in der Rangfolge hinter Mutter Angelica, entschied, sie in das nahe Cullman-Bezirkskrankenhaus bringen zu lassen. Die einstündige Fahrt nach Birmingham wäre zu lang gewesen. Man lud die Äbtissin in einen Krankenwagen und fuhr schnell zum Krankenhaus.

Außer dem andauernden Nach-Luft-Schnappen und dem unkontrollierten Augenrollen war sie völlig teilnahmslos.

Im Krankenhaus wurden eine ganze Reihe von Tests vorgenommen, während die Schwestern beteten. Endlich betrat Dr. L. James Hoover mit verlegenem Ausdruck den Warteraum. Er trug einen festlich aussehenden roten Pullover, der bei diesem Anlass fast lächerlich wirkte. Mit den Händen in seinen Hosentaschen wirkte er irgendwie hoffnungslos.

„Wir können nichts für sie tun“, sagte Hoover gedehnt, als wollte er sich entschuldigen. „Sie hatte einen Schlaganfall und eine Gehirnblutung.“

„Und was wird jetzt geschehen?“, fragte Schwester Margaret Mary.

Der Arzt wich dem Blick der Nonne aus. „Sie wird einfach hinüberdämmern. Einer von hundert Patienten sind Kandidaten für eine Operation, doch in ihrem Alter und Zustand…“

Die Nonnen begriffen sofort, welche schreckliche Entscheidung sie treffen mussten, entweder nichts zu tun und mit anschauen zu müssen, wie ihre Oberin ihnen entglitt, oder die Fahrt nach Birmingham zu riskieren, um dort eine gefährliche Hirnoperation durchführen zu lassen, die sie womöglich nicht überleben würde. Während die schwerwiegende Entscheidung getroffen wurde, lag die Frau, die das weltweit größte religiöse Medienimperium aufgebaut hatte, im Koma in der Notaufnahme des Krankenhauses. In der Vergangenheit war sie schon so oft durch viele Wunder gerettet worden. Jetzt stand sie selbst an der Schwelle zur Ewigkeit, zu der sie anderen seit Langem den Weg gewiesen hatte.

Irgendwo in den Tiefen ihres angeschlagenen Bewusstseins fasste Mutter Angelica wohl unbewusst den Entschluss, den Kampf aufzunehmen. Wie schon immer wollte sie sich jetzt in der Verzweiflung in die Hände Gottes fallen lassen. Für Mutter Angelica gab es keinen anderen Weg.

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