Czytaj książkę: «Das verlorene Seelenheil», strona 2

Czcionka:

Richard lehnte sich tief durchschnaufend zurück. „Und seitdem warst du nicht bei ihm? War überhaupt jemand, bei ihm?“, fragte er erschüttert.

Henry öffnete die Augen und nickte leicht. „Marius. Er kümmerte sich weiterhin um ihn, versorgte die Wunde und brachte ihm Essen. Drei Wochen lag er da, dem Tode näher als dem Leben, dann ging es ihm langsam besser. Seit einer Woche etwa, scheint er über den Berg zu sein, so berichtete es mir Gregorius, aber mich kümmerte es nicht. Es ist mir gleich, was von nun an mit ihm geschieht“, antwortete er ohne jede Regung und ohne seinen Onkel anzusehen, der sich fassungslos an den Kopf fasste.

„Kann ich zu ihm?“, fragte er nach einer stillen Weile und endlich schien Henry aus seiner Starre zu erwachen.

„Warum?“, fragte er, ihn überrascht ansehend.

„Warum? Weil ich ihn sehen möchte! Und sprechen! Wenn du ihm keine Gelegenheit gibst, sich zu rechtfertigen, möchte ich wenigstens erfahren, weshalb und warum“, antwortete Richard verständnislos.

„Ah! Wie bei Sybilla, ja?“, nickte Henry ihm zu und Richard griff sich erneut seufzend an die Stirn.

„Henry! Ich bin auf deiner Seite, wirklich! Ich heiße ganz gewiss nichts gut, weder Sybillas noch Amanoues Verhalten, aber ich möchte mir eben ein eigenes Bild darüber machen. Und ehrlich gesagt, bin ich völlig durcheinander, im Moment! Mir schwirrt der Kopf über das, was ich heute alles erfahren habe oder musste. Vielleicht sollten wir erstmal darüber schlafen und morgen beraten wir uns weiter, ja?“, versuchte er ihn zu besänftigen, was Henry jedoch mit einem Schnauben quittierte.

„Morgen, Übermorgen, Überübermorgen, was soll sich ändern?“, fragte er ihn mit schiefgelegtem Kopf. „Nichts ist mehr so, wie es war und es wird auch nie mehr so werden, jedenfalls nicht für mich.“

Richard konnte nur wieder seufzen, schwer und voller Mitgefühl. Er klopfte seinem Neffen noch tröstlich das Knie und erhob sich. „Versuche zu schlafen und glaube mir, die Zeit heilt jede Wunde oder macht es zumindest erträglicher“, sagte er bitter und schlurfte hinaus.

Allerdings schlug er den Weg zu Gregorius` Gemächern ein und klopfte wenig später an dessen Tür, die auch gleich darauf von Marius geöffnet wurde. „Euer Gnaden?!“, grüßte der junge Mann erstaunt.

„Verzeiht die späte Störung, kann ich mit dir und deinem Meister sprechen?“, fragte der Herzog und Marius trat sofort zur Seite.

„Aber sicher, bitte, tretet ein“, erwiderte er, sich verbeugend.

Richard nickte ihm lächelnd zu und schritt ins Vorzimmer, während Marius nach Gregorius rief. Der Heiler kam überraschten Blickes aus dem Schlafraum und hielt verdutzt inne. „Kann ich Euch sprechen?“, fragte der Herzog und Gregorius machte eine einladende Handbewegung zu den Sitzplätzen hin.

„Euer Gnaden, welch Ehre“, antwortete er und beide setzten sich. „Nun, womit kann ich Euch dienen?“, fragte er ihn freundlich und Richard verzog derart missmutig das Gesicht, dass Gregorius unwillkürlich nickte. „Aha, ich kann es mir schon denken“, meinte der Heiler daraufhin und sah zu seinem Gehilfen auf. „Marius, bringe uns doch einen Krug von dem Gewürzwein, den wir vorhin aufgesetzt haben, ja?“

Marius nickte nur, holte den heißen Wein und drei Becher, goss ein und setzte sich ebenfalls. „Danke“, raunte Herzog Richard und umfasste seinen mit beiden Händen.

„Vorsicht, heiß“, warnte Gregorius und nippte an seinem Getränk. „Mmh, genau richtig gewürzt, gut gemacht“, lobte er Marius lächelnd. „Es gibt nichts besseres, an einem kalten Winterabend, als ein gut gewürzter, heißer Wein, nicht wahr? Besonders in unserem Alter!“

Richard schloss kurz die Augen, dann sah er sie beide fast flehend an. „Wie geht es Amanoue? Lebt er?“, fragte er tief besorgt und ohne Umschweife.

Gregorius und Marius blickten sich in stummer Verständigung an und letzterer nickte schließlich. „Ja, er ist am Leben. Ihr wisst, was geschah? Dass ich ihm das Geschwür herausgeschnitten habe?“, fragte er und Richard nickte kurz. „Es stand wirklich schlimm um ihn und so lange hatte er noch nie gebraucht, um sich zu erholen. Drei Wochen kämpfte er um sein Leben und ich war Tag und Nacht bei ihm, denn sonst durfte niemand zu ihm, seine Majestät hatte es verboten“, fuhr er beinahe angewidert fort, „und das gestattete er auch nur später und weil Gregorius ihn darum anbettelte!“

„Marius!“, rügte der auch gleich.

„Warum nimmst du ihn immer in Schutz? Ich verstehe es nicht! Ich verstehe dich nicht und das in hundert Jahren nicht! Amanoue wäre gestorben! Und er hätte eiskalt dabei zugesehen! Von mir aus, soll er verrecken! Sagte er uns ins Gesicht!“, blaffte Marius Richard wütend an und der senkte mit geschlossenen Augen bitter den Blick.

„Das sagte seine Majestät doch nur im ersten Moment seiner tiefen Trauer! Er hatte sein Kind verloren und…“

„Und, und, und! Ich kann es nicht mehr hören!“, fauchte Marius aufspringend. „Ich war als einziger bei ihm und habe wenigstens versucht, ihn zu retten, während du doch nur Henrys Händchen gehalten hast!“

„Marius! Seiner Majestät ging es ebenfalls sehr schlecht und jemand musste sich auch um ihn kümmern! Ich habe eben mittlerweile ein ganz gutes Verhältnis zu ihm aufgebaut…“, rechtfertigte Gregorius sein Handeln und wieder unterbrach ihn sein Gehilfe.

„Oh ja, Verhältnis! Das glaube ich inzwischen gern! Tagtäglich sitzt du bei diesem Scheusal und sprichst ihm auch noch Mut zu!“, schrie Marius nun schon beinahe.

„Bitte, Marius, ich möchte nur wissen, wie es ihm jetzt geht und habt vielen Dank, für alles“, versuchte Richard daher schnell die Wogen zu glätten.

„Was denkt Ihr wohl, hm?“, fuhr Marius erzürnt zu ihm herum. „Drei Wochen lag er nur da, von Fieberkrämpfen geschüttelt, ohne Nahrung aufnehmen zu können und es ist mir ein Rätsel, wie er dies überhaupt überleben konnte! Ich habe ihm nur Brühe einflößen können und auch nur heimlich! Ich schlich mich täglich hintenherum, über die Treppe, die zum Geheimgang führt und seit er wach ist, stehen auf Anweisung seiner Majestät zwei Wachen vor seiner Tür, damit niemand sonst zu ihm rein kann! Weil er“, er zeigte auf Gregorius, „es seiner Majestät ja brühwarm berichten musste! Daraufhin verbot dieser Mistkerl mir jeglichen weiteren Kontakt zu Manou und lässt ihn seither bewachen. Zwei volle Tage war er vollkommen allein dort eingesperrt!“

„Marius! Zum letzten Mal, ich verbiete dir, derart über seine Majestät zu lästern!“, tadelte Gregorius ermahnend und sein Blick schien dabei zu sagen: `Und das auch noch vor einem Mitglied des Königshauses´!

„Na und? Es ist mir gleich! Von mir aus kann jeder hören, was ich von deinem Henrylein halte!“, knallte Marius ihm trotzdem an den Kopf.

„Ich gehe wohl besser“, raunte Richard betreten und wollte schon aufstehen.

„Bitte, Euer Gnaden, vergebt meinem jungen Gehilfen! Es ist die jugendliche Unreife, die aus ihm spricht und sein ungezügeltes Temperament…“

„Jugendliche Unreife?“, schrie Marius völlig fassungslos.

„Bitte! Es reicht! Marius!“, ging der Herzog jetzt doch ziemlich energisch dazwischen. „Was ist denn nur los, mit dir? So kenne ich dich gar nicht! Du warst doch sonst immer so ruhig und besonnen, ist ja schon gut! Von mir aus kannst du meinen Neffen betiteln, wie du möchtest, es interessiert mich nicht, hörst du? Im Augenblick interessiert mich nur Amanoue und wie wir ihm helfen können! Denn in einem hast du recht! Auf seine Majestät können wir hierbei wohl nicht mehr zählen, das ist auch mir inzwischen klargeworden“, sagte er bedauernd aber eindringlich. „Er hat auch mir so etwas ähnliches gegenüber angedeutet, indem er sagte, dass Amanoue von ihm aus verrotten könne, also beruhige dich“, hängte er milder an.

„Und wie wollt Ihr ihm helfen?“, fragte Marius nicht gerade überzeugt.

„Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht, aber ich werde Brac mit ins Boot holen! Vielleicht kann der wenigstens zu Henry durchdringen“, antwortete Richard und so suchte er den noch am gleichen Abend auf.

***

Gleich nach dem Mittagessen ließ Henry Sybilla erneut zu sich in die kleine Halle zitieren und dieses Mal wirkte die Königin um einiges gefasster. Sie trug wieder Schwarz und das verlieh ihr noch zusätzlich etwas Erhabenes. Stolz und ebenso unnahbar wie Henry am Vortag stand sie vor dem großen Tisch und sah ihren drei Richtern geradewegs ins Gesicht.

„Seine Majestät und wir haben uns erneut über Euren Fehltritt, wenn ich es so bezeichnen darf, beraten“, sagte Wilhelm ernst und machte eine bedeutungsvolle Pause. „Und wir sind übereingekommen, keine Anklage gegen Euch zu erheben“, er senkte kurz den Blick und tippte alle zehn Fingerspitzen gegeneinander, „aber selbstverständlich kann seine Majestät Euren Betrug nicht einfach so hinnehmen und darüber hinwegsehen! Ihr werdet Euch für unbestimmte Zeit in ein Kloster Eurer Wahl zurückziehen um dort Buße für Euer Vergehen zu üben! Als Grund werdet Ihr angeben, dass Ihr Gott für die glückliche Geburt und Gesundheit Eures Kindes danken wollt und es als Eure weitere Berufung anseht, ihm zu dienen! Eure engsten Hofdamen dürfen Euch aus freien Stücken begleiten, außer Herzogin Hildegunde selbstverständlich! Sie, als Eure teure Freundin, wird sich bereit erklären, den Kronprinzen an Eurer statt aufzuziehen“, schloss er kalt ab.

Sybilla nickte zuerst nur, doch dann straffte sie sich. „Und wenn ich mich weigere? Ich fürchte mich nicht vor einem öffentlichen Prozess“, erwiderte sie ebenso unterkühlt.

Wilhelm hielt sich kurz die Stirn. „Das dachten wir uns fast, aber seid gewiss, bei einem öffentlichen Prozess wird man Euch nicht mit Samthandschuhen anfassen, so wie wir! Die Anwälte seiner Majestät werden Euch gnadenlos auseinandernehmen, verlasst Euch darauf! Und Ihr werdet natürlich in Gewahrsam genommen, im Kerker! Es ist Winter, Madame und auf einem schmutzigen Strohlager zu liegen, bei Wasser und Brot? Ich kann mir Schöneres vorstellen und solltet Ihr weiterhin diesen Unsinn von einem Incubus verzapfen, dann wird der Euch gleich dabei Gesellschaft leisten und ihr werdet beide der Unzucht angeklagt, ganz einfach! Seine Majestät hat nichts mehr mit seinem ehemaligen Adjutanten zu schaffen und es ist ihm herzlich gleich, was mit ihm geschieht. Es würde ein sehr schmutziger Prozess werden, glaubt mir und Ihr müsstet jedes noch so kleine Detail Eures Beischlafs mit ihm beschreiben. Und seid Euch ebenfalls gewiss, dass es uns nicht an Zeugen, die selbstredend allesamt gegen Euch sein werden, mangeln wird! Wollt Ihr dies wirklich oder zieht Ihr nicht doch ein würdevolles Leben, in dem man Euch weiterhin mit Achtung begegnen wird, dem vor? Es liegt bei Euch, Sybilla von Savoyen! Ihr habt bis morgen Zeit um Euch zu entscheiden und solltet Ihr ein Kloster wählen, gewährt seine Majestät Euch sogar noch eine großzügige Apanage damit es Euch auch weiterhin an nichts mangelt. Ihr hättet weiterhin Eure Dienerinnen und könntet ein ruhiges, wenn auch bescheidenes, Leben führen! Ihr dürft gehen“, antwortete er ruhig und voller geheuchelter Sanftmut.

Sybilla hatte kaum noch Farbe im Gesicht und sie schnappte mehrere Male nach Luft. „Das werdet Ihr noch bereuen“, zischte sie zornig, drehte sich um und ging.

„Das fürchte ich auch“, murmelte Wilhelm vor sich hin und sah zu seinem Bruder. „Und, bist du nun zufrieden?“

„Ich werde wohl nie wieder zufrieden sein“, raunte der ohne ihn anzusehen, zurück.

„Zumindest bist du sie erstmal los“, meinte Wilhelm achselzuckend, „und niemand kann dir etwas vorwerfen! Das ist doch schonmal was, oder?“ Er blickte von ihm zu Richard und der seufzte schwer.

„Das bleibt abzuwarten! Wer weiß eigentlich sonst noch Bescheid, also über die Sache mit den ausgetauschten Kindern?“, fragte er mulmig.

„Außer uns dreien, natürlich die Königin und ihre zwei engsten Hofdamen, Hildegunde und ihre Amme, Gregorius und dessen Gehilfe, Kai und eine Zofe“, antwortete Wilhelm entnervt.

„Du liebe Zeit!“, entfuhr es Richard erschrocken, „das ist ja der halbe Hofstaat!“

„Oh ja“, seufzte Wilhelm.

„Und? Wie willst du das wieder bewerkstelligen? Denkst du ernsthaft, dass die alle dichthalten werden?“, wandte Richard sich Henry zu, der recht teilnahmslos zwischen ihnen saß.

„Selbstverständlich haben wir mit allen beteiligten gesprochen und sie haben geschworen, zu schweigen. Wohl jeder aus einem anderen Grund, die Hofdamen und die anderen Frauen um Sybillas Willen, tja und der Rest, keine Ahnung“, erklärte Wilhelm ratlos.

„Können wir ihnen vertrauen?“, hakte Richard weiter nach und wieder hob Wilhelm die Schultern.

„Ich weiß es nicht! Aber ganz sicher können wir wohl nie dabei sein, irgendwann wird vielleicht jemand darüber plaudern, sei es aus Unbedacht oder aus welchem Grund auch immer, sie alle werden eine stetige Gefahr für ihn sein“, nickte er zu seinem Bruder hin. „Und dann gibt es auch noch Phineas! Wie viel der davon noch mitbekam wissen wir nicht, er verschwand jedenfalls in der Nacht spurlos!“

Richard stützte fassungslos den Kopf in beide Hände. „Großer Gott!“

„Gregorius wird schweigen! Und Kai ebenfalls“, murmelte Henry vor sich hin.

Seinem Onkel entkam ein schnaubendes Lachen, wie von jemandem, der am Ende seiner Nerven angekommen war. „Und die anderen?“

„Wir haben mit allen eingehend gesprochen, also ich und ihnen unmissverständlich klargemacht, was geschieht, wenn einer von ihnen sein Schweigen brechen sollte“, antwortete Wilhelm unmissverständlich. „Es würde ihnen den Kopf kosten, allen voran ihrer geliebten Königin und somit sind wir zumindest halbwegs auf der sicheren Seite, jedenfalls was deren Seite betrifft. Bei dem Rest, wie gesagt, wirklich Sicher, können wir wohl nie sein, es sei denn, naja, wir bringen sie anderweitig zum Schweigen und damit endgültig! Was Hildegunde anbelangt, sie schweigt totsicher! Immerhin ist ihr Kind jetzt der Thronfolger und sie scheint sich langsam damit anzufreunden, wenngleich sie sich auch immer noch weigert, das eheliche Bett mit mir zu teilen“, seufzte er. „Als erstes solltest du jetzt endlich wieder zum geregelten Alltag zurückkehren und dich nicht länger vor der restlichen Welt verstecken!“, brummte er zu Henry hin, was ihren Onkel fragend die Augenbrauen heben ließ und Wilhelm sah wieder zu ihm rüber.

„Er hat Weihnachten abgesagt und Silvester und seine Namenstagfeier soll auch ausfallen“, beantwortete er die ungestellte Frage mürrisch. „Gut, er hat es damit begründet, dass er es mir und Hildegunde zuliebe getan hat, aus Respekt vor dem plötzlichen Tod unseres Kindes“, sagte er zynisch, „aber irgendwann muss er wieder seinen Pflichten als König nachgehen! Und zwar bald! Immerhin wurde dem Königshaus ein Erbe geschenkt und Konr…, äh, der kleine Heinrich, ist noch nicht getauft! Wir könnten noch ein, zwei Monate warten aber dann musst du ihn endlich dem Adel und der restlichen verdammten Welt präsentieren! Hörst du?!“, fuhr er Henry ziemlich barsch an, weil der wieder nur teilnahmslos vor sich hinstarrte. „Henry!“, herrschte er ihn laut an und schlug mit der flachen Hand vor dem auf die Tischplatte, woraufhin der leicht zusammenzuckte und schließlich leicht nickte. „Gut! Wenigstens scheinst du uns halbwegs zugehört zu haben, Herrgott nochmal!“

„Hast du nicht jemanden vergessen?“, warf Richard vorsichtig ein und seine beiden Neffen sahen ihn an. Wilhelm fragend überrascht und endlich auch Henry, der allerdings wenig bekümmert wirkte. „Was ist mit Amanoue? Was soll mit ihm geschehen?“

Wilhelm hielt für einen Moment den Atem an und hob abwehrend die Hände. „Das liegt einzig allein bei ihm, ich mische mich da sicher nicht mehr ein“, antwortete er mit einem genervten Seitenblick auf Henry, der wieder die Tischplatte mit seinen Augen absuchte.

„Henry! Hast du mich verstanden? Was geschieht mit ihm? Willst du ihn für den Rest seines Lebens wegsperren?“, stellte Richard erneut seine Frage und Henry erhob sich wie jemand, der sich ein langweiliges Theaterstück nicht weiter ansehen wollte. Gähnend drehte er sich um, streckte sich und schlenderte zum Kamin. „Ich fasse es nicht“, murmelte Richard nur noch kopfschüttelnd und Wilhelm sah ihn beinahe mitleidig an.

„Das tue ich schon lange nicht mehr“, brummte er nur zurück und beide wandten sich zu Henry um.

„Willst du mir nicht wenigstens antworten?“, drängte Richard verärgert.

„Ich habe dir bereits geantwortet und es gibt nichts mehr dazu hinzuzufügen!“, kam es hart aus Henrys Mund.

„Gut!“, erwiderte Richard mit einem bekräftigenden Nicken, „dann kannst du ihn auch meiner Obhut überlassen, wenn dir eh nichts mehr an ihm liegt.“

Henry wandte sich halb zu ihm um und kniff abschätzend die Augen zusammen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren setzte er sich in seinen Lieblingssessel und gönnte sich einen Schluck Wein.

„So kommen wir nicht weiter“, sagte sein Onkel und riss sich zusammen. „Heinrich, bitte, lass mich wenigstens zu ihm gehen und nach ihm sehen, bitte! Ich war gestern Nacht schon dort aber die Wachen ließen mich nicht zu ihm, also bitte ich dich um einen Passierschein, das ist alles. Er hat dir das Herz gebrochen, ja, aber er hat mir meines zurückgegeben“, versuchte er es mit einem versöhnlicheren Tonfall. „Ich war ein alternder, verbitterter Mann, doch er zeigte mir einen Weg heraus. Die Monate mit ihm kann ich nicht vergessen und ich möchte es auch nicht, darum bitte ich dich nochmals, erfülle mir diesen einen Wunsch, lass mich ihn noch ein einziges Mal sehen.“

Henry blickte auf und wieder zur Seite. „Wenn es dich glücklich macht, meinetwegen“, erwiderte er schließlich achselzuckend. „Bring mir ein Stück Pergament und ich gebe dir deinen verdammten Wisch.“

„Danke“, sagte Richard ehrlich gemeint, stand auf und brachte ihm die Schreibutensilien.

Henry tauchte die Feder in das Tintenfässchen und stellte ihm das gewünschte Schriftstück aus.

***

Richards Herz klopfte bis zum Hals hinauf, als er hinter dem Vorhang hervortrat, doch zu seiner Überraschung war das riesige Bett leer. „Amanoue?“, fragte er, sich umsehend und nahm sogleich eine Bewegung in einer der dunklen Ecken des großen Raumes wahr. „Amanoue, bist du das?“

Amanoue kam schnellen Schrittes auf ihn zu und hielt abrupt inne, als er ihn erkannte. Auch das erleichterte Lächeln auf seinen Lippen verschwand jäh und er schloss bitter die Augen.

„Du hast jemanden anderen erwartet, stimmts?“, fragte der Herzog mitleidig erkennend und Amanoue sah ihn traurig an. „Ich hoffe trotzdem, dass du dich wenigstens ein klein wenig freust, mich wiederzusehen“, sagte Richard betroffen und sein Gegenüber nickte schluckend.

„Onkel Richard“, kam es sehr leise zurück und das brach dem fast das Herz. Ohne ein weiteres Wort zog er Amanoue in seine Arme und drückte ihn fest an sich.

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, dich gesund zu sehen“, raunte er ergriffen und erhielt ein leises Schluchzen als Antwort. „Mein lieber Junge, ich weiß nicht wie ich dir jetzt noch helfen kann, aber ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen um dich hier rauszuholen! Das verspreche ich dir.“

Amanoue trat einen Schritt zurück und legte den überirdisch schönen Kopf leicht schräg. „Dann wird er also nischd kommen“, erwiderte er, so als ob er es eh schon geahnt hätte. „Warum?“, fragte er dennoch, an Richard vorbeigehend und setzte sich auf die Bettkante.

„Er“, Richard atmete hilflos durch, „er ist nicht mehr, er selbst“, sagte er, zu ihm gehend und setzte sich daneben. „Du weißt was geschehen ist?“, fragte er und nahm Amanoues zarte Hand in seine.

„Ich konnte seine Kind nischd retten und deshalb ist er böse auf mich“, antwortete er betrübt. „Es tut mir so leid, ehrlisch! Aber ich konnte doch nischds dafür, wieso bestraft er mich?“

Richard tätschelte ihm seufzend die Hand. „Er weiß es, Liebes, alles“, erklärte er sanft. „Ist es wirklich wahr, war das Kind von dir?“

Amanoues Blick ging zur Seite und er nickte leicht. „Isch wollte ihm meine Kind schenken, obwohl es mir die Hers brach. Er `at sich doch so sehr eine Erbe gewünscht“, antwortete er, Richard auf seine unschuldige Art ansehend.

„Geschah es mit Sybillas Einwilligung?“, fragte der bedächtig und Amanoue runzelte die glatte Stirn wie ein Kind, das nicht verstand, was man ihm vorwarf.

„Isch verstehe nischd?“

„Liebes, sie sagte, dass es gegen ihren Willen geschah, also dass du sie ohne ihre Zustimmung nahmst“, erklärte Richard bedächtig und zu seiner Überraschung nickte Amanoue.

„Das `atte sie auch su mir gesagt, eben, dass sie misch anklagen würde, wenn isch sie verraten würde“, seufzte er geknickt und sein Blick senkte sich wieder. „Isch `abe ihr keine Gewalt angetan, wirklisch nischd und das hatte isch auch nischd nötig, ehrlisch! Sie wollte es genauso wie isch und sie konnte gar nischd genug von mir bekommen, die erste Mal. Wir liebten uns in eine alte Hütte und es war wunderschön. Sie war so voller Leidenschaft und isch war wie versaubert von ihr. Isch weiß auch nischd, aber sie war so freundlisch und gütig su mir und die schönste Frau, die isch jemals gesehen hatte. Als isch sie sum ersten Male sah, war isch wie von meine Sinne beraubt und sofort in sie verliebt, aber sie wies mich surück, nachdem wir uns hier wiedersahen. Sie nannte misch eine Dämon, eine Incubus und drohte mir damit, misch als diese ansuklagen und wer hätte mir schon geglaubt? Sie ist die Königin und isch nur eine Sklave, also schwieg isch. Auch ihretwegen, weil sie mir trodsdem leidtat. Deswegen habe isch `enry su ihr geschickt, damit er dachte, dass es seine Kind wäre aber isch war so traurig und auch tief verledsd über Sybillas Surückweisung und dies war auch die Grund, warum isch `enrys Briefe nischd gelesen habe und ihm nischd antwortete. Schließlisch war es doch meine Kind und isch durfte misch nischd eine Mal darüber freuen, so wie alle anderen sisch mit ihm freuten. Aber dann konnte isch nischd länger schweigen, `enry hatte sich so verändert, als er von seine Rundreise surückkam. Er ist so liebevoll su mir gewesen, obwohl isch wirklisch nischd nett su ihm war und gans gleisch wie sehr isch ihn auch ärgerte, begegnete er mir doch stets mit Verständnis und Liebe. Isch wollte ihn nischd länger belügen“, schniefte er mit geschlossenen Augen.

Richard verzog betrübt den Mund. „Oh Junge, ich weiß ehrlich nicht mehr weiter, wenn ich dir doch nur irgendwie helfen könnte“, murmelte er vor sich hin und Amanoue sah ihn an.

„Bitte, ich muss ihn sehen! Wenn Ihr ihn darum bittet, für misch, dann könnte ich es ihm erklären!“, flehte er verzweifelt.

„Ach Liebes, das habe ich doch schon versucht, aber er will nicht einmal mehr über dich sprechen, sein Herz ist wie verhärtet und er starrt nur noch vor sich hin“, antwortete Richard bestürzt und drückte ihm die Hand. „Aber sag, wie geht es dir jetzt? Marius hat mir erzählt, was mit dir geschah und wie schlecht es dir ging.“

„Lange Seit ging es mir gar nischd gut und es war, als wäre isch in eine Swischenwelt gefangen gewesen. Isch konnte misch nischd bewegen, so als würden misch unsichtbare Hände festhalten. Sie fühlten sisch glühend heiß an und isch dachte, isch müsste innerlisch verbrennen“, erzählte Amanoue ihm bitter. „Es war seltsam, denn isch konnte Marius sehen und hören, aber ihm nischd antworten, dann ging es mir langsam besser“, sagte er und seufzte schwer. „Seit eine paar Tage erst, kann isch wieder laufen und eigentlisch sollte isch froh darüber sein und Marius dankbar, aber vielleischd wäre es besser gewesen, wenn er misch hätte sterben lassen. Nischd nur für misch, auch für meine arme `enry, dann wäre er wenigstens diese Sorge los und seine Hers könnte heilen. Es muss ihm fürchterlich wehgetan haben, ich, habe ihm so fürchterlich wehgetan“, schluchzte er, die Hände vors Gesicht haltend. „Ich wollte es nischd, ich wollte ihn doch nur glücklisch machen!“

Richard räusperte sich seufzend. „Es tut mir so leid“, war alles, was er in diesem Moment noch herausbrachte und Amanoue sah ihn mitfühlend an.

„Mir auch! Auch, dass isch Euch solche Kummer bereite, denn ich weiß doch, was Ihr für ihn empfindet. Es muss Euch ebenfalls sehr wehtun, ihn so leiden su sehen, ohne ihm helfen su können“, sagte er ehrlich bedauernd.

Richard sah ihn nur an und schloss vor Rührung die Augen. Eine ganze Weile saßen sie nur noch schweigend nebeneinander, bis sich Amanoue zu ihm hinüberlehnte und ihm einen zarten Kuss auf die Wange hauchte. „Ihr könnt ruhig gehen“, meinte er verständnisvoll und Richard holte tief Luft, um irgendwie nicht gänzlich die Fassung zu verlieren. „Bitte, seid für ihn da, ja? Er braucht Euch jedsd mehr denn je“, sagte Amanoue liebevoll und der Herzog konnte nur noch nicken.

Er schluckte schwer und stand auf. „Ich werde dich nicht im Stich lassen“, raunte er tief ergriffen, drehte sich rasch um und eilte hinaus.

Schnellen Schrittes ging er zurück zur Treppe, die ebenfalls zum Geheimgang führte und nahm den längeren Weg, vorbei an den Gesinderäumen, die gleich neben der Küche lagen. So war er auch schon zuvor gegangen, um zu Amanoues Gemach zu gelangen, weil er es nicht gewagt hatte, durch Henrys Gemächer zu schleichen. Schwer geschafft suchte er seine eigenen Räumlichkeiten auf und setzte sich erst einmal. „Wie soll ich ihm nur noch helfen“, murmelte er hoffnungslos vor sich hin und stützte sein langsam ergrauendes Haupt in seine Hände.

Lange saß er so da, bis er sich wieder aufraffte und sich erneut auf den Weg zum privaten Audienzzimmer machte. Wie erwartet traf er dort seine beiden Neffen an und ein einziger Blick auf die beiden genügte, um ihre Stimmung zu erkennen. „Schon wieder gestritten?“, fragte er und sie sahen ihn mürrisch an.

„Dieser Sturkopf macht mich noch wahnsinnig!“, schimpfte Wilhelm, die Augen verdrehend und zeigte auch noch anklagend auf Henry. „Ganz gleich was ich ihm auch vorschlage, er blockt alles ab!“

„Was denn?“, hakte Richard nach, wobei er nicht gerade interessiert wirkte.

„Diese blöde Namenstagfeier kann mir gestohlen bleiben“, brummte Henry und wandte ihnen trotzig den Rücken zu.

„Gut, dann lassen wir sie eben ausfallen“, meinte Richard lässig und beide sahen ihn gleichermaßen verdutzt an. Wilhelm vor Verständnislosigkeit und Henry echt überrascht. „Warum auch nicht? Wenn es sein Wunsch ist? Es ist eh eiskalt draußen und wer möchte sich schon gerne den Arsch abfrieren, nur um einen König zu sehen, der eine Trauermiene zur Schau trägt als stünde sein Reich in Flammen“, winkte er ab und setzte sich. „Könntest du nicht wenigstens Kai wieder reinlassen?“, brummte er und schenkte sich selbst ein. „Und würde einer von euch mal Holz nachlegen?“

Henry stampfte trotzig zu ihm hinüber und warf gleich eine ganze Unmenge davon in die glimmende Glut, was eine starke Rauchentwicklung zur Folge hatte. „Willst du uns alle umbringen?“, schnauzte Wilhelm ihn an, stieß ihn vom Kamin fort und fischte die Hälfte der Scheite wieder heraus.

„Wäre keine schlechte Idee“, zischte Henry hämisch zurück, während sein Bruder in der Glut herumstocherte.

„Jetzt reichts wirklich langsam!“, fuhr Richard mit erhobener Stimme dazwischen. „Hör endlich auf damit! Dein Bruder meint es nur gut mit dir und will dir helfen! So, wie wir alle“, zwang er sich wieder ruhiger zu sprechen.

„Ach ja? Und wenn ich mir nicht helfen lassen will? Mir kann sowieso niemand mehr helfen und wieso überhaupt Alle? Wer denn?!“, wurde dafür Henry mit jedem Wort lauter und ungehaltener. „Ich sehe hier nur euch zwei!“, schrie er schließlich seinen Onkel an und verschränkte vor lauter Hilflosigkeit die Arme vor seiner bebenden Brust wie ein Schutzschild. „Jedem anderen bin ich doch mittlerweile entweder scheißegal oder sie verachten mich! Ja! Es wäre tatsächlich besser, wenn ich krepieren würde“, hängte er wieder leiser werdend dran und ließ den Kopf hängen.

„Langsam kann ich es nicht mehr hören! Seit Wochen zerfließt du jetzt in Selbstmitleid und ja, allmählich bin ich auch deiner Meinung, dass du dir einfach nicht helfen lassen willst!“, brüllte Wilhelm plötzlich los, packte ihn grob bei den Schultern und schüttelte ihn heftig durch. „Wir sind hier, bei dir! Weil wir dich lieben, du Vollidiot!“

Henry ließ sich wehrlos abermals von ihm durchschütteln und sank danach schluchzend in sich zusammen. Wilhelm fing ihn auf und hielt ihn fest an sich gedrückt in seinen Armen. Auch Richard erhob sich seufzend und umarmte beide. „Bitte, Heinrich, gib dich nicht auf“, flüsterte er mühsam und endlich nickte der nachgebend.

***

Zwei Tage später gab der König die erste Audienz im neuen Jahr. Es kamen allerdings wegen der Eiseskälte nur die wichtigsten ansässigen Adligen und ein paar hochrangige Bürger der Hauptstadt, um dem Königspaar persönlich ihre Glückwünsche auszusprechen und so konnte Henry sich bereits am frühen Nachmittag wieder zurückziehen. Jedenfalls dachte er es.

Der letzte Adlige hatte sich gerade verabschiedet, als Brac sich vor dem Thron aufbaute. „Eure Majestät“, sagte er mit einer tadellosen Verbeugung, „auch ich möchte es mir nicht nehmen lassen und Euch persönlich zu Eurem Thronfolger gratulieren! Und ich soll Euch selbstverständlich auch die Glückwünsche meiner Jungs überbringen! Äh, ja, gut gemacht, alter Junge“, meinte er und klopfte dem überraschten Henry etwas unbeholfen die Schulter.

Der König blinzelte irritiert, doch dann riss er sich zusammen. „Habt vielen Dank, Baron de Brac und dankt auch Eurer Truppe vielmals“, presste er gedämpft hervor.

„Is was? Also, warum schaust`n so angepisst? Wir sind nur noch unter uns, der fette Sack is weg, was soll`n der Käse mit dem förmlichen Gerede?“, fragte jetzt auch Brac verwirrt, als sich Henry einfach erhob und Richtung kleine Halle umwandte. „Was`n los? Henry?“, rief Brac ihm nach und ging ihm hinterher. „Eigentlich wollte ich dich noch was Persönliches fragen, jetzt wart halt mal!“

Henry blieb nicht stehen und so latschte Brac ihm und den beiden Herzögen nach, bis ins private Audienzzimmer. „Kann ich mit rein?“, fragte er unschlüssig und Richard nickte.

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