Czytaj książkę: «Die letzte Blüte Roms», strona 5

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Ich vermute zudem, dass die bucellarii der Oberbefehlshaber der Feldarmeen innerhalb des Militärs auch das wichtigste Element institutioneller Kontinuität darstellten, das es möglich machte, neue Waffen und die Taktiken, um diese Waffen mit bestmöglichem Effekt zu nutzen, zuerst zu entwickeln und die Erfahrungen dann über mehrere Generationen hinweg weiterzugeben. Dies ist zumindest zum Teil ein argumentum ex silentio. Im Römischen Reich der Spätantike gab es keine Offiziersschulen oder Militärakademien, an denen sich neue Doktrinen hätten entwickeln können, wie es für das heutige Militär der Fall ist. Die bucellarii, die neuen Elitetruppen des 6. Jahrhunderts, erhielten von allen römischen Soldaten den höchsten Sold, und sie bekamen die beste Ausrüstung, die die staatlichen »Fabriken« zu bieten hatten (ganz zu schweigen von den vielen Zusatzleistungen, die sie von ihren oft sehr wohlhavbenden Kommandanten erhielten). Allein wegen dieser Faktoren waren bei den bucellarii die besten Rekruten zu finden. Ihre Offizierskader brachten zudem wiederum viele neue Feldherren für die Feldarmeen hervor. Mindestens zwei Soldaten, die Justinian selbst in den Rang eines magister militum erhob und die Ende der 520er-Jahre das Kommando über wichtige Feldarmee-Formationen innehatten – neben Belisar, der in diesem Buch noch eine bedeutende Rolle spielen wird, auch ein Mann namens Sittas – hatten bei den bucellarii gedient, als der spätere Kaiser Anfang der 520er-Jahre noch den Rang eines magister militum praesentalis bekleidete; im Laufe von Justinians Regentschaft wurden dann wiederum mehrere Personen aus Belisars direktem Umfeld und einige seiner Unteroffiziere, die auf seinem ersten Afrikafeldzug dabei waren, zu magistri militum befördert.19 Die bucellarii waren nicht nur für sich genommen ein Schlüsselelement des neu organisierten oströmischen Heeres des 6. Jahrhunderts, sie besaßen auch militärisches Fachwissen, das sie über mehrere Generationen hinweg an ihre Nachfolger weitergaben.

Abb. 4 Hunnenbogen. Die Hunnen sorgten indirekt für eine veritable Revolution der Taktik und Ausrüstung des oströmischen Militärs – sie ebnete Justinians Eroberungen letztlich den Weg.

Zwar waren das auffallendste Merkmal dieser Umwälzungen beim Militär die neue Rolle und bessere Ausstattung der römischen Kavallerie, aber auch die Operationen der Infanterie blieben nicht unberührt. Die leichten und schweren Kavallerieeinheiten wurden dazu ausgebildet, auf dem Schlachtfeld mit der Infanterie zu interagieren, die größenmäßig nach wie vor das Schwergewicht in den römischen Feldarmeen bildete und deren Taktiken und Ausrüstung ebenfalls entsprechend angepasst worden waren. Die jüngste Interpretation legt nahe, dass die Defensivrüstung der Infanterie allein deshalb leichter gemacht wurde (ein Umstand, den der Kriegstheoretiker Vegetius Ende des 4. Jahrhunderts sehr beklagte), weil die Fußsoldaten in die Lage versetzt werden sollten, auf dem Schlachtfeld schnell und beweglich mit der weiterentwickelten Kavallerie zu kooperieren. Die Ausrüstung der Infanterie wurde zudem um Bögen und andere Projektilwaffen erweitert. So konnten die Fußtruppen vielfältigere Rollen übernehmen: Sie waren in der Lage, andere Truppenteile zu verstärken, konnten taktisch nachfassen, wenn die Kavallerie einen erfolgreichen Angriff gelandet hatte, und boten den Reitern Deckung, wenn sie zum Rückzug gezwungen waren.

Die Erfahrungen aus den Schlachten zur Zeit der Hunnen hatten die römischen Kommandanten gelehrt, dass es keinen Sinn ergab, die Infanterie in mehr oder weniger statischen Formationen marschieren zu lassen: Ein Angriff der hunnischen Bogenschützen konnte die dicht stehenden Infanteriereihen schnell ins Chaos stürzen, bevor sie überhaupt nah genug an den Feind herankam, um überhaupt etwas ausrichten zu können. Die Infanterie musste mobiler werden, um weniger anfällig für Projektilbeschuss und Kavallerieangriffe zu sein, und bis zur Zeit Justinians wurde sie entsprechend umorganisiert. Um sich vor feindlichen Bogenschützen zu schützen, operierte die Infanterie zu diesem Zeitpunkt sogar mit tragbaren Anti-Kavallerie-Barrikaden – munitiones, wie ein Autor des frühen 6. Jahrhunderts sie nennt.20

Zwei strategische Krisen hatten also die Streitkräfte geprägt, die Kaiser Justinian bei seiner Thronbesteigung im Jahr 527 zur Verfügung standen. Die herkömmlichen, schwerfälligen Infanterie-Legionen, die einst ein ganzes Weltreich erobert hatten, gehörten der Vergangenheit an. Zunächst waren sie aufgestockt worden, um der Bedrohung durch die neue persische Supermacht im 3. Jahrhundert zu begegnen, und dann waren sie taktisch ganz neu ausgerichtet worden, um auf die Übergriffe großer Kontingente von Steppennomaden zu reagieren, die Ende des 4. Jahrhunderts und im 5. Jahrhundert Ost- und Mitteleuropa heimgesucht hatten. Die Kriegsführung war in praktischer wie auch in ideologischer Hinsicht von so großer Bedeutung für das allgemeine Funktionieren des Römischen Reiches, dass sich dermaßen tief greifende Veränderungen des Militärapparats ganz unweigerlich ebenso tief greifend auf die inneren Strukturen des Imperiums auswirkten.

Der Kostenfaktor

Der Grund dafür ist ein ganz einfacher. Das Militär war mit Abstand der teuerste Posten des kaiserlichen Staatshaushalts. Man kann im Grunde nur Vermutungen anstellen und Analogien bemühen, aber die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass die Militärausgaben zwischen der Hälfte und drei Vierteln der jährlichen Einnahmen des Staates verschlangen; ich selbst tendiere zum oberen Ende. Daran kann man sofort ermessen, vor welche finanziellen Probleme es das Reich stellte, als auf das Wiedererstarken der Perser hin das Heer weiter aufgestockt werden musste. Für heutige Regierungen ist es mitunter extrem schwierig, für Posten wie das Gesundheitswesen, die nur etwas mehr als zehn Prozent ihrer gesamten Ausgaben ausmachen, auch nur ein oder zwei Prozent zusätzlich aufzuwenden. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der Soldaten im 3. Jahrhundert »nur« um 50 Prozent stieg und dass das Militär »nur« 50 Prozent des Staatshaushalts verschlang. Doch selbst das würde bedeuten, dass die kaiserliche Regierung ihre Einnahmen um ein Viertel steigern musste, um den Militärapparat hinreichend ausbauen zu können, um des aggressiven Gebaren der Perser Herr zu werden. Selbst wenn die Regierung nur einen um 25 Prozent höheren Kostenaufwand abfedern wollte, sah sie sich wohl mit immensen fiskalischen und administrativen Problemen konfrontiert, und wahrscheinlich war der tatsächliche Kostenaufwand noch wesentlich größer.21

Viele unverkennbare Anzeichen sprechen dafür, dass dieser Vorgang für das Reich eine kolossale Belastung darstellte. Was die Steuerpolitik betraf, so war das 3. Jahrhundert von einer ganzen Reihe von Notmaßnahmen geprägt, die deutlich zeigen, wie dringend die Regierung Geld brauchte. In den 250er-Jahren beschlagnahmte der Staat das letzte unabhängig kontrollierte Kapital römischer Städte. Von diesem Zeitpunkt an waren die lokalen Verwaltungsbediensteten zwar immer noch dafür zuständig, vor Ort die Steuern einzutreiben, aber alle Erlöse gingen nun an den Kaiser.22 Es gibt auch diverse Hinweise, dass eilig Sondersteuern eingeführt wurden, die zusätzliche Einnahmen generieren sollten, und allein die Anzahl legitimer Kaiser, die einander im 3. Jahrhundert die Klinke in die Hand gaben (zwanzig binnen fünfzig Jahren, und da sind die Usurpatoren und Mitkaiser gar nicht mitgezählt), ist beredtes Zeugnis für die Probleme rund um die Bezahlung der Soldaten, denn dies war ein Thema, das Thronanwärter immer wieder instrumentalisierten, um das Militär auf ihre Seite zu ziehen.

Die zunehmende Verzweiflung der kaiserlichen Verwaltungsbeamten und ihrer Vorgesetzten offenbart sich aber vor allem in der fortschreitenden Abwertung des Denars, der Silberwährung, in der die Soldaten üblicherweise bezahlt wurden. Anders als heutige Regierungen verfügte das Kaiserhaus über keinen Münzbestand zur allgemeinen Nutzung durch die Bevölkerung; Bargeld galt als Werkzeug der Regierung, das im Wesentlichen dafür da war, das Militär zu finanzieren. Das Problem mit der verfügbaren Geldmenge war recht simpel: Als das Heer immer weiter wuchs, gab es irgendwann nicht mehr genug Silber, um die zusätzlichen Soldaten in Münzen zu bezahlen, die komplett aus Silber bestanden. Um die erforderliche Menge an Bargeld zu erzeugen, fügte man dem Edelmetall daher einen immer größeren Anteil an Basismetallen hinzu. Vergleichsbeispiele deuten darauf hin, dass es etwa einen Monat dauerte, bis der Öffentlichkeit klar wurde, dass die neuen Münzen de facto weniger wert waren. Bis dahin hatten viele Soldaten ihren Sold bereits ausgegeben, und die Regierung hatte ihr unmittelbares Ziel erreicht: das Heer am Zahltag bei Laune zu halten.

Mittelfristig führte dieser Vorgang jedoch zu einer Abwertung der Währung, die bis ins frühe 4. Jahrhundert hinein anhielt. Die resultierende Inflation erreichte ein solches Ausmaß, dass ein Pfund Weizen – in Silberdenaren gerechnet – im Jahr 300 zweihundertmal so viel kostete wie ein paar Jahrzehnte zuvor. Die Inflation zog weitere Notstandsmaßnahmen nach sich, nicht zuletzt das berüchtigte Höchstpreisedikt von 301, das verfügte, dass Soldaten für ein enormes Spektrum von Waren und Dienstleistungen nicht mehr bezahlen durften als in der beigefügten Tariftabelle festgehalten. Es war kaum mehr als der verzweifelte Versuch, Einzelhändler dazu zu zwingen, die weitgehend wertlosen Münzen anzunehmen, in denen der Sold ausgezahlt wurde.23

Längerfristig begegnete man diesem Problem mit einer vollständigen Revision der Steuersysteme des Reiches und der Mechanismen, wie die Soldaten bezahlt wurden. Auf der einen Seite wurde das Imperium auf direktere Weise besteuert als je zuvor. Diokletian und die anderen Tetrarchen verschafften sich einen umfassenden Überblick über den wirtschaftlichen und demografischen Zustand des Römischen Reiches, das überwiegend landwirtschaftlich geprägt war – man geht davon aus, dass die Landwirtschaft mindestens 80 Prozent des Bruttoinlandprodukts generierte. Aufgrund der großen Menge an Informationen, die bei dieser Aktion gesammelt wurden (und die mancherorts in Form von Inschriften in Stein überlebt haben), wurde dem Territorium jeder Stadt eine bestimmte Anzahl von Steuereinheiten – iugera – zugeteilt, die übers Jahr die jeweils gleiche Menge an Steuereinnahmen generieren sollten. Je nachdem, welche Form die lokale Wirtschaft hatte, gab es in einem iugum mitunter mehrere (manchmal auch sehr viele) weniger wohlhabende Steuerzahler, mitunter umfasste der Grundbesitz eines besonders reichen Römers auch mehrere iugera, und weil ein iugum keine Größen-, sondern eine Werteinheit war, war ein iugum ertragreichen Bodens kleiner als ein iugum einer Ackerfläche, die nicht so viel abwarf.

Da das neue System aus dem bereits existierenden entstand, gab es diverse regionale Unterschiede – in einigen Provinzen mussten die Bewohner eine Kopfsteuer entrichten und zusätzlich einen bestimmten Teil ihrer jährlichen landwirtschaftlichen Erträge abgeben, in anderen nicht. Vom Hadrianswall bis zum Euphrat entsprechende Informationen zu sammeln und zu analysieren, war ein gewaltiger administrativer Aufwand. Im Endeffekt wurde das Imperium so in eine bekannte Anzahl gleichwertiger besteuerbarer Einheiten unterteilt, was erstmals so etwas wie eine tatsächliche Etatplanung möglich machte – in dem Sinne, dass sich die Gesamtsumme an Geld, die die Regierung in einem bestimmten Jahr benötigte, durch die Gesamtzahl der Steuereinheiten teilen ließ: eine Basis, auf der sich die Höhe der nötigen Besteuerung jedes einzelnen iugum festlegen ließ. Diese neuartige Besteuerung auf der Mikroebene oblag den örtlichen Stadtverwaltern, die auch dafür zuständig waren, die fälligen Beträge einzuziehen.24

Der zweite große Teil der Reform diktierte, wie genau diese »fälligen Beträge« abzuführen waren. Da im Römischen Reich nicht genügend Silber zur Verfügung stand, um die nunmehr viel größere Armee mit echten Silbermünzen zu bezahlen, wurde der Militärsold umgestellt, auf eine Kombination aus Sachleistungen und gelegentlichen Sonderleistungen in Gold, den sogenannten donativa; diese Sonderleistungen erhielten die Soldaten bei ihrer Rekrutierung, beim Ausscheiden aus dem Dienst sowie anlässlich großer Kaiserjubiläen. Das neue Steuersystem war direkt darauf ausgerichtet, den notwendigen Mix aus Sacheinnahmen und Gold zu erzeugen. Wie immer versuchten die Verwaltungsbeamten des Kaisers, es sich dabei so einfach wie möglich zu machen, doch das große Problem bei den Sacheinnahmen bestand darin, dass es erstens schwierig und zweitens teuer war, große Mengen landwirtschaftlicher Erzeugnisse von entlegeneren Gegenden des Imperiums, wo sie produziert wurden, dorthin zu transportieren, wo große Abteilungen des Heers stationiert waren.

Ein hervorragendes Beispiel dafür, wie dieses System funktionierte, ist eine Steuer, die im Jahr 377 erhoben wurde und dazu dienen sollte, die Soldaten mit wollenen Militärmänteln zu versorgen. In Regionen, in denen Soldaten in großer Zahl stationiert waren, wie auf dem Balkan oder in Mesopotamien, sowie in Gebieten mit intensiver Viehzucht, wie Isaurien, mussten die Bürger ihre Steuern tatsächlich in Form solcher Mäntel bezahlen. Anderswo wurde stattdessen der Gegenwert in Gold berechnet.25 Es gab auch eine zusätzliche Steuer in Gold für Senatoren und eine (angeblich) freiwillige Kronsteuer in Gold, die die Städte des Imperiums theoretisch alle fünf Jahre entrichteten, um den Jahrestag der Thronbesteigung des Kaisers zu würdigen, und beide Abgaben spielten eine entscheidende Rolle dabei, das Edelmetall zu beschaffen, das für die periodischen militärischen donativa nötig war.

Das heißt allerdings nicht, dass das Steuersystem reibungslos funktionierte. Im 4. und 5. Jahrhundert mussten das eine oder andere Mal Sondersteuern erhoben werden, und die Soldaten hatten immer wieder darunter zu leiden, dass sie ihren Sold zu spät oder gar nicht bekamen, vor allem die, die in abgelegenen Regionen stationiert waren.26 Dennoch: Die deutlichsten Indizien für ein chronisch unterfinanziertes Militär – die systematischen Usurpationen des 3. Jahrhunderts und die verhängnisvolle Dynamik von Geldentwertung und Inflation – wiederholten sich diesmal nicht. So war der römische Staat schließlich in der Lage, sich die notwendigen Ressourcen zu sichern, um die enorme Aufstockung seines Militärs zu finanzieren, doch der Preis dafür waren ein enormer Verwaltungsaufwand, die Beschlagnahmung lokaler Einnahmen und eine erhebliche Steuererhöhung. Es ist ein klarer Beleg für das Ausmaß der notwendigen Anstrengungen, dass es ab dem Wiedererstarken der Perser in den 230er-Jahren beinahe drei politische Generationen dauerte, bis aus einer Reihe spontaner Experimente eine praktikable langfristige Lösung hervorging.

Es dauerte ebenfalls eine ganze Zeit, bis die moderne Forschung verstand, wie sich die Gesamtkosten des Truppenausbaus tatsächlich auf das Imperium als Ganzes auswirkten. Den größten Teil des 20. Jahrhunderts über nahm man an, der Effekt sei regelrecht erdrückend gewesen. Durch Papyri wusste man, dass in den 280er-Jahren die Hyperinflation einsetzte, und ab 250 ging die Anzahl der in Auftrag gegebenen Steininschriften erstaunlich zurück (im Jahresdurchschnitt fiel sie um 80 Prozent); außerdem gab es aus dem 4. Jahrhundert Hinweise auf Landwirte, die an ihr Land gebunden waren, und auf »verlassene Äcker« (agri deserti). Im 4. Jahrhundert, so nahm man an, dürfte das Imperium nach der Krise des 3. Jahrhunderts eine gewisse Stabilität zurückerlangt haben, aber nur dank drakonischer juristischer Maßnahmen, die Landwirte auf ihren Höfen halten sollten, und indem die Steuern so sehr erhöht wurden, dass manche Ackerflächen nicht mehr bewirtschaftet wurden. Gleichzeitig hatten die wohlhabenden Bürger durch die Hyperinflation ihr Vermögen eingebüßt (ähnlich wie in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg), was sich nur allzu deutlich daran ablesen ließ, dass sich immer weniger Bürger in den örtlichen Stadträten engagierten; die Inschriften, die ein solches Engagement vor Mitte des 3. Jahrhunderts zu feiern pflegten, waren inzwischen nahezu verschwundenen.27

All das ergab in der Summe einen wirtschaftlichen Kollaps, der alle Annahmen der Forscher zu bestätigen schien28 – das macht die neuen, seit den 1970er-Jahren aufgetauchten archäologischen Funde umso spannender. Anhand von Oberflächenfunden sehr gut datierbarer römischer Keramik entwickelten Archäologen neue Survey-Techniken; die Analyse ermöglichte es erstmalig, mehr oder weniger direkt zu messen, wie es der Landwirtschaft im Reich ging; zumindest konnte man erstmals nachvollziehen, wie viele funktionierende Agrarsiedlungen zu verschiedenen Zeiten der römischen Kaiserzeit existierten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind revolutionär. Nimmt man einige wenige Gebiete (wie das nördliche Britannien und die Region unmittelbar hinter der Grenze am Niederrhein) aus, dann war das 4. Jahrhundert in der überwältigenden Mehrheit der Provinzen des Kaiserreichs wider Erwarten keine Zeit der Landflucht – im Gegenteil. Dies widerspricht direkt den früheren Hypothesen (auch wenn schon damals einige kluge Köpfe die besonders pessimistischen Annahmen bezweifelt haben) und zwingt uns, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen der Neuausrichtung des Steuersystems, mit der das Kaiserhaus den Truppenausbau finanzierte, zu überdenken.

Die Steuersätze waren offensichtlich doch nicht so hoch, dass auf einmal ganze Landstriche brach lagen. Im Gegenteil, in der späten Kaiserzeit wurden in vielen Teilen des Reiches sogar viele relativ marginale Flächen kultiviert; die Steuersätze können also nicht so hoch gewesen sein, dass sie die Bevölkerung in dem Maße belasteten, wie man es früher angenommen hatte. Im Zuge dessen beleuchtete die Forschung auch den Begriff agri deserti neu. Man geht inzwischen davon aus, dass dies so viel wie »Land, für das keine Steuern gezahlt werden« bedeutete, denn es existieren keine Belege für eine Besteuerung dieser Flächen. Natürlich bedeutet die neue Beweislage nicht automatisch, dass es den Landwirten überall im Reich wirtschaftlich gut ging, denn je mehr Menschen in einer ländlichen Gegend leben, desto mehr steigt der Druck auf die Löhne und desto schwieriger werden die allgemeinen Bedingungen für die Landwirtschaft. Aber die Annahme, dass das militärische Aufrüsten des 3. Jahrhunderts das Imperium in den Bankrott trieb, ist sicherlich so nicht mehr haltbar. Die notwendigen volkswirtschaftlichen Kosten und der administrative Aufwand waren enorm und langwierig, aber schließlich gelang es doch, genügend Mittel zu mobilisieren, um den organisierten Militärapparat dauerhaft aufrechtzuerhalten, ohne dass dies das produktive Gefüge des Römischen Reiches grundlegend beschädigte. Man kommt kaum umhin, sich dem Fazit anzuschließen, dass das BIP des Imperiums, auch wenn die Steuerpolitik der Bevölkerung einiges abverlangte, im 4. Jahrhundert einen besonders hohen Stand erreichte.29

Das wiederum heißt aber nicht, dass die strukturelle Neuausrichtung des Steuersystems ein einfacher Prozess oder dass die allgemeine Steuerlast gering gewesen wäre. Unter normalen Bedingungen ließ sich das alles, wie die neuen archäologischen Befunde zeigen, durchaus bewältigen, aber viel Spielraum wird es nicht gegeben haben. Mehrere Quellen aus dem 4. Jahrhundert berichten beispielsweise übereinstimmend, dass ein Feldzug, für den ein großer Teil des Heeres abkommandiert wurde und der sich über mehrere Saisons hinzog, große zusätzliche Belastungen mit sich brachte, die die Steuerzahler nur mit Mühe bewältigen konnten. Bei den ganz großen Feldzügen waren die Truppenlisten voll, man benötigte viel zusätzliche Ausrüstung, musste gewaltige Gepäckzüge (mit vielen zusätzlichen Zugtieren) einrichten und vor allem dafür sorgen, dass in dem relevanten Bereich an der Grenze ungeheure Mengen an Proviant und Tierfutter zur Verfügung standen.

All dies brachte Steuerbehörden und Logistik an die Grenzen ihrer Kapazität (in Sachen Logistik griff man oft auf Fronarbeiter zurück, eine weitere Form der Besteuerung). Unsere Quellen weisen für einen Fall ausdrücklich darauf hin, dass es gelang, die notwendigen Ressourcen für einen großen Feldzug zu beschaffen, ohne die Steuerzahler zusätzlich zu belasten – ein höchst aufschlussreicher negativer Beweis.30 Ganz explizit erwähnen die Darstellungen von Julians Feldzügen an der Rheingrenze Mitte der 350er-Jahre, wie schwierig es war, genügend Nahrungsmittel aufzutreiben und zu lagern, damit seine Armee mehrere Jahre nacheinander im Feld bleiben konnte. Beim Feldzug von 357 verbrauchte die Armee die letzten nennenswerten Reserven in Gallien – und selbst in jenem Jahr war die Ankunft mehrerer Wagen mit Getreide aus Aquitanien eine höchst willkommene Überraschung; 358 sah sich der Caesar sogar gezwungen, sich an den in Britannien gelagerten Nahrungsmittelvorräten zu bedienen. Die Vorbereitungen großer Feldzüge brachten normalerweise eine beträchtliche zusätzliche Besteuerung und stellten daher auf lokaler Ebene eine erhebliche politische Belastung dar. Julians Vorbereitungen für seinen Perserfeldzug 362/363 verursachten in und um Antiochia, wo die Feldzugarmee stationiert war, schwere wirtschaftliche Probleme; in eben dieser Stadt kam es später, 387, zu Aufständen, bei denen Kaiserstatuen umgestürzt wurden, als nämlich Kaiser Theodosius I. im Zuge der Vorbereitungen seines Feldzugs gegen den westlichen Usurpator Maximus zusätzliche Steuern in Form von Geld und Sachwerten erhob.31

Zwar war zu Beginn des 4. Jahrhunderts eine Art Gleichgewicht erreicht, aber es brauchte nicht viel, um dieses Gleichgewicht zu stören. In der umkämpften Westhälfte des Reiches schnellten Mitte des 5. Jahrhunderts die Steuersätze in die Höhe, nachdem die Regierung die Kontrolle über große Teile ihrer Steuerbasis verloren hatte, sich aber immer noch militärischen Übergriffen von Hunnen und anderen Völkern ausgesetzt sah, die es abzuwehren galt.

Die gewaltigen Auswirkungen der Neuausrichtung des Steuersystems zeigen sich auch darin, wie sehr sich das Leben der römischen Eliten veränderte. Im Römischen Reich waren die Eliten traditionell Grundbesitzer, und selbst wenn sie auf andere Weise reich geworden waren, investierten sie das Geld meist umgehend in Grundbesitz, vergleichbar vielen vorindustriellen Eliten, denn es gab nun einmal keine sicherere Quelle für regelmäßige Einkünfte als ein Stück Land. Natürlich existierten unendlich viele individuelle Varianten, aber alles in allem lassen sich innerhalb der landbesitzenden Elite ganz grob drei verschiedene Wohlstandsniveaus ausmachen: Manche, darunter viele Senatoren der Stadt Rom, waren erstaunlich reich und verfügten über ein großes Portfolio aus weit gestreuten Liegenschaften und anderen Vermögenswerten, teils einmal quer durchs Imperium; alteingesessene römische Senatorenfamilien besaßen tendenziell Ländereien in Mittel- und Süditalien, Hispanien, Nordafrika und Italien, die ihre Vorfahren in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit erworben hatten; hinzu kamen Besitztümer, die sie selbst im Laufe ihrer Karriere erworben oder durch Heirat hinzugewonnen hatten; so reich waren jedoch nur sehr wenige Angehörige der Aristokratie. Viel üblicher war der Wohlstand, den weniger bedeutende Adelsfamilien genossen: Sie verfügten zwar über einen beträchtlichen, aber eben nur lokalen Grundbesitz – er konzentrierte sich normalerweise auf das Territorium einer einzigen Stadt. Daneben gab es die etwas reicheren Regionalaristokraten, die in mehreren Städten Land besaßen, für gewöhnlich aber nur innerhalb einer Region. Mit den gewaltigen, weit gestreuten Vermögen der reichen Senatoren konnten auch sie es indes nicht aufnehmen.

Bis ins 3. Jahrhundert spielte sich das politische Leben vor Ort für die meisten Adligen in den Stadträten ab, die – nach dem Vorbild der griechischen Polis – die einzelnen städtischen Gemeinden des Reiches leiteten. Um für die Mitgliedschaft in einem Stadtrat infrage zu kommen, musste man Land besitzen (wie viel Land, variierte nach Größe und Reichtum des jeweiligen Territoriums), und ein wesentliches Element des Mythos, mit dem diese lokalen Eliten ihre politische Rolle rechtfertigten, bestand darin, dass sie ihre Zeit und ihr Vermögen ganz selbstlos für das Wohl ihrer Mitbürger einsetzten. In Wirklichkeit wollten sie durch die aufgewendete Zeit und das investierte Geld in ihrer Stadt bekannter werden, wodurch sie sich diverse persönliche Vorteile erhofften. In der frühen Kaiserzeit, als es noch kaum römische Bürger außerhalb Italiens gab, wurde Inhabern eines leitenden Postens in der Verwaltung einer Stadt gemäß der einheitlichen Stadtverfassung, die im 1. und 2. Jahrhundert im gesamten Reich galt, das begehrte römische Bürgerrecht gewährt, das damals in einer Welt, die immer schneller romanisiert wurde, eine unerlässliche Voraussetzung für materiellen Wohlstand war. Eben jene Stadtverfassung gestattete es den Städten, lokale Steuern und Zölle zu erheben, und wer in einer Stadt politisch den Ton angab, konnte entscheiden, wofür diese Einnahmen verwendet wurden – ganz zu schweigen von den jährlichen Einnahmen aus den Stiftungen und Schenkungen, die eine Stadt erhielt (nicht zuletzt von konkurrierenden Landbesitzern, die sich mit solchen Geschenken beliebt machen wollten, um sich später wiederum selbst in eines der Ämter wählen zu lassen).32

Dieses lokalpolitische Schema entwickelte sich nach und nach in den ersten zwei Jahrhunderten der Kaiserzeit, während immer mehr Menschen das römische Bürgerrecht erhielten, das Imperium immer mehr die Kontrolle über das Geld übernahm, das die Gemeinden vor Ort einnahmen und ausgaben, und der römischen Elite neben den Senatoren und Rittern aus der Stadt Rom auch immer mehr reiche Landbesitzer aus der Provinz angehörten. Aber der Truppenausbau des 3. Jahrhunderts und die Umstrukturierung des Steuersystems, die ihn finanzieren sollte, veränderten die Situation vollkommen, indem sie die Mechanismen, die in der von der Elite kontrollierten Lokalpolitik vorherrschten, geradezu auf den Kopf stellten. Die jährlichen Geldströme aus Steuern, Zöllen und Stiftungen, die bislang der größte Anreiz für lokale Grundbesitzer gewesen waren, sich in der Lokalpolitik zu engagieren, wurden nun von der kaiserlichen Regierung konfisziert. Das Geld war noch da und musste weiterhin eingetrieben werden, aber sämtliche Einnahmen gingen plötzlich an den Kaiser. Den lokalen Eliten blieb die Arbeit, ohne dass sie selbst etwas davon hatten.

Im Zuge dessen erhöhte die zentrale Bürokratie des Reiches allmählich die Zahl der Beamten, die sich um die komplexeren administrativen Aufgaben kümmerten, die das neue Finanzregime mit sich brachte. Im Jahr 249 gab es im gesamten Kaiserreich gerade einmal 250 hochrangige Verwaltungsbeamte; da das neue Steuersystem sowohl das Eintreiben höherer Steuern als auch eine genauere Überwachung dieses Prozesses erforderte, kam man mit so wenigen Beamten nicht mehr aus. Dabei ist es nicht allzu überraschend, dass mit zunehmender Bedeutung und Anzahl der Beamten auch der Lohn und die Privilegien derer wuchsen, die in Diensten des Kaisers standen.

Wie man in den relevanten Kapiteln der Erstausgaben der Cambridge Ancient History und der Cambridge Medieval History nachlesen kann, herrschte früher die Meinung vor, die aufstrebende kaiserliche Bürokratie sei ein ganz neues Phänomen der Spätantike gewesen, das die bestehenden Strukturen der römischen Elite zerstörte. Es ist kein Zufall, dass die betreffenden Kapitel größtenteils in den 1920er- und 1930er-Jahren verfasst wurden, als in weiten Teilen Mittel- und Osteuropas totalitäre Regime an die Macht kamen und die alte politische Ordnung ablösten. Bei näherer Betrachtung der umfangreichen Quellen des 4. Jahrhunderts zeigt sich allerdings ein anderes Bild: Die große Mehrheit der neuen Bürokraten wurde aus den Reihen der Adligen rekrutiert, die früher bereits die Stadträte gestellt hatten. Unter den Briefen des Libanios aus dem 4. Jahrhundert – die eine so unglaubliche Masse darstellen, dass ihre Empfänger ungefähr ein Drittel (!) aller Menschen ausmachen, die wir überhaupt aus dem 4. Jahrhundert kennen – finden sich diverse Empfehlungsschreiben für Posten in der wachsenden Bürokratie und im neuen Senat von Konstantinopel, und überwiegend geht es dabei um Angehörige der alten römischen Aristokratie. Dasselbe Phänomen zeigen ägyptische Papyri, die noch spezifischer sind: Hier erfahren wir, dass Angehörige der ägyptischen Familie Apion, die Liegenschaften im Gau Oxyrhynchos (und vielleicht auch anderswo) besaß, zu Beginn des 6. Jahrhunderts hohe Ämter bei Hofe bekleideten.33

Der Ausbau der Bürokratie erfolgte zunehmend auch aufgrund des steigenden Drucks seitens der Beamten selbst. Von den 330er-Jahren an versuchten die Kaiser immer wieder einmal, den Prozess zu kontrollieren, doch sie scheiterten regelmäßig und sahen sich infolgedessen gezwungen, die Anzahl der Bürokraten zu erhöhen und ihnen weitere Privilegien zu gewähren; im Zuge dessen wurden ganz neue Arten der Entlohnung eingeführt – auch dadurch stieg die Zahl der Personen mit einem direkten Anteil am kaiserlichen System weiter. Amtsanwärter wurden schon im Kindesalter auf Wartelisten gesetzt, als Ehrenbekundung verlieh man bestimmte Ämter pro forma, später wurde sogar der Status des ehemaligen Amtsinhabers verliehen (ein solcher galt als ebenso wichtig wie jemand, der das betreffende Amt tatsächlich versah, so erstaunlich das auch erscheint), und im Gegenzug wurden die Dienstzeiten deutlich verkürzt und längere Abwesenheiten immer öfter toleriert.34

All das bedeutete letztlich, dass das Ausmaß der Teilhabe der lokalen Eliten am kaiserlichen Verwaltungssystem insgesamt massiv stieg. Aus den 250 leitenden Verwaltungsbeamten, die es Mitte des 3. Jahrhunderts gegeben hatte, waren um das Jahr 400 herum 6000 geworden – je 3000 in West- und in Ostrom. Diese 3000 Beamten dienten lediglich für zehn Jahre, sodass innerhalb einer politischen Generation jede Stelle von mehr als einer Person besetzt wurde. Und diese Zahl beinhaltet nicht einmal all die ehrenhalber verliehenen Ämter. Die Leute, die in irgendeiner Form in die kaiserliche Bürokratie involviert waren, waren die, die in den Gemeinden vor Ort Einfluss hatten, und für die Ehrgeizigeren unter ihnen war dies der neue Weg zu Reichtum und Einfluss. Zu den besonders interessanten Arbeitsplätzen, die ehemalige Bürokraten und sogar Beamte ehrenhalber Ende des 4. Jahrhunderts zugewiesen bekamen, zählten die Stelle des Beisitzers des örtlichen Provinzstatthalters (der Beisitzer half dem Statthalter, bei Gerichtsverfahren das korrekte Urteil zu fällen) und die Aufgabe, auf städtischer Ebene eine periodische Neubeurteilung der reichsweiten Besteuerung durchzuführen, was theoretisch alle fünfzehn Jahre erfolgte. Zudem hatte man bei einigen Jahren Dienst im Beamtenapparat zahlreiche Gelegenheiten, neue Bekanntschaften zu machen und Menschen gezielt zu beeinflussen, mit allen daraus resultierenden Gefälligkeiten. Rechnet man noch die Tatsache hinzu, dass die meisten Städte keine unabhängigen Einnahmen mehr zu kontrollieren hatten, kann man leicht nachvollziehen, warum die Stellen als kaiserlicher Beamter im 4. Jahrhundert so begehrt waren.