Finsterdorf

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Finsterdorf
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Peter Glanninger

Finsterdorf

Kriminalroman


Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © pepipepper / photocase.de

ISBN 978-3-8392-6742-4

Widmung

Für Ulli

1.

Die Finsternis über dem Dorf war vollkommen. Die Dunkelheit wirkte so allmächtig, dass sie selbst das Licht der Straßenlaternen aufzusaugen schien. Selten hatte man im Dorf eine so dunkle Nacht erlebt.

»Sie kommt« – lautete die kurze Nachricht auf dem Handydisplay.

Er steckte das Telefon in die Tasche und klopfte an die Trennwand zum Laderaum des Transporters.

»Es geht los«, sprach er nach hinten in den dunklen Laderaum, startete den Motor und zog sich die Sturmhaube über Kopf und Gesicht.

»Dort drüben ist sie«, sagte einer der beiden Männer, die vom Laderaum aus durch ein Schiebefenster und die Windschutzscheibe den nächtlichen Platz beobachteten. Seine Stimme klang dumpf unter dem schwarzen Stoff. Dann öffnete er die Schiebetür.

Ein junges Mädchen verließ das Lokal schräg gegenüber, wandte sich nach rechts und tapste mit kurzen Schritten davon.

»Alles klar?«, fragte der Fahrer.

»Alles klar«, antworteten die zwei Männer hinter ihm.

Das Mädchen entfernte sich rasch auf dem Gehsteig. Wenige Meter noch, dann würde sie die Hauptstraße verlassen und in eine Seitengasse gehen. Am Beginn dieser Gasse war ein unbebautes Grundstück. Dort würden sie zuschlagen. Erst 100 Meter weiter hinten begann die Wohnsiedlung, in der das Mädchen lebte. Sie kannten die Örtlichkeit und die Gewohnheiten der Kleinen. Es würde keine Probleme geben, sie hatte keine Chance.

Als das Mädchen in die Seitengasse ging und aus ihrem Blickfeld verschwand, fuhr der Lenker los. Nach wenigen Augenblicken bog er um die Kurve, sah sie vor sich, rollte an ihr vorbei und bremste den Wagen ab. Gleichzeitig sprangen die beiden anderen Männer aus dem Laderaum auf die Straße.

Es ging schnell.

»Hey, was soll das?«, war die empörte Stimme des Mädchens zu hören, aber bevor sie weitersprechen konnte, wurde sie gepackt und nach hinten gestoßen. Gleichzeitig presste sich eine Hand im Lederhandschuh fest auf ihren Mund und erstickte den aufkommenden Schrei. Ein heftiger Schlag in den Magen ließ ihr die Beine wegknicken und raubte ihr für einen Moment beinahe die Besinnung. Sie merkte kaum, wie sie in den Laderaum gezerrt wurde, die Schiebetür sich schloss und der Transporter weiterfuhr.

Erst jetzt begriff sie, was passierte, und versuchte, sich zu wehren. Sie lag auf dem Boden, zwei maskierte Männer über ihr. Sie wusste, was das zu bedeuten hatte, und es brauchte nicht viel Vorstellungskraft, um sich auszumalen, was als Nächstes geschehen würde. Eine unbeschreibliche Angst packte sie genauso fest wie die Männerhände, die sie niederdrückten. Sie begann herumzutreten und versuchte sich zu befreien, die Hand um ihren Mund presste den Kopf brutal auf den Boden des Wagens. Dann spürte sie eine andere Hand, die ihr den Hals zudrückte, und hörte eine Stimme flüstern: »Halt still, du Schlampe, sonst mach ich dich kalt.«

Sie hörte auf, sich zu wehren, und ließ mit sich geschehen, was immer die Männer tun wollten. Sie blieb still, als sie zur Seite gedreht und ihre Arme nach hinten gerissen wurden. Sie spürte, wie sich Kabelbinder um ihre Handgelenke und um ihre Beine zusammenzogen. Da packte sie neuerlich die Angst so heftig, dass sie glaubte, ohnmächtig zu werden.

Eine Hand krallte sich in ihr Haar, riss ihren Kopf zurück, der Lederhandschuh verschwand von ihrem Mund und einen Augenblick später war er mit einem festen Klebeband verschlossen. Gleich darauf wurde ihr eine schwarze Kapuze über den Kopf gezogen.

Sie lag da und spürte den Boden unter sich rütteln, als der Wagen Fahrt aufnahm.

Leise begann sie zu weinen.

»Wir haben sie«, hörte sie die gedämpfte Stimme eines Mannes und dann an ihrem Ohr eine andere: »Jetzt gehörst du uns!«

Sie sah das trübe Licht einer Taschenlampe.

Die beiden Männer lehnten an der Wand des Wagens. Alles war problemlos gelaufen, in wenigen Minuten würden sie an ihrem Ziel sein. Langsam begannen sie sich zu entspannen.

Der Strahl der Taschenlampe glitt über den zitternden Körper des Mädchens. Ihre Hose war zwischen den Beinen und an den Oberschenkeln nass.

»Verflucht«, sagte einer, »sie hat sich angepisst.«

2.

Sie kamen kurz nach 3 Uhr, als sie sicher sein konnten, dass niemand in der Siedlung mehr wach war. Den Wagen stellten sie neben einem leeren Grundstück ab, ungefähr 200 Meter vom Haus entfernt. Sie bewegten sich schnell. Sie wussten, wo sie hinmussten und was sie dort zu tun hatten. Die Schnelligkeit war ihr Vorteil. Sie versuchten trotzdem im Schatten zu bleiben, bis sie vor einem geräumigen Bungalow im Stile der 90er-Jahre standen.

Noch einmal blickten sie sich um und vergewisserten sich, dass in den umliegenden Häusern kein Licht mehr brannte. Dann sperrte der Erste von ihnen die Gartentür auf und sie gingen zum Windfang am Eingang. Der Mann mit dem Schlüssel wartete, öffnete die Haustür und sie schlüpften in den Vorraum. Die drei schmalen Lichtkegel ihrer Taschenlampen suchten die Wände neben der Tür ab, das war der kritische Moment. Aber nirgends war ein Hinweis auf eine Alarmanlage zu sehen. Gut so, dann konnte alles weiter nach Plan laufen.

Hinter den ersten Türen links und rechts im Vorraum gleich neben dem Eingang vermuteten sie Toilette, Bad, Abstellraum oder den Abgang zum Keller, uninteressant für sie. Sie suchten das Schlafzimmer der Eltern. Rasch verschafften sie sich einen Überblick. Wohnzimmer und Küche waren schnell identifiziert, blieben noch drei Türen übrig. Jeder der drei Männer übernahm eine davon, öffnete sie einen Spalt breit, um hineinzuspähen und sich zu vergewissern, was sich in dem Raum befand. Hinter der letzten Tür war das Elternschlafzimmer, in den anderen beiden Räumen befand sich niemand.

Sie waren ein eingespieltes Team und hatten zuvor genau abgesprochen, wer was zu tun hatte. Mit wenigen leisen Schritten standen sie am Bett neben dem Ehepaar. Der Mann lag auf dem Rücken und schnarchte leise vor sich hin, die Frau an seiner Seite hatte sich, wie ein Kind zusammengerollt, in ihre Decke gekuschelt.

Hände pressten sich auf ihre Münder und erstickten die ersten Laute der Überraschung, der Empörung und der Angst. Dann waren die Messerklingen an ihren Kehlen, und einer der drei zischte leise, aber bestimmt: »Seid ruhig, sonst schneiden wir euch den Hals auf.«

Sie gehorchten, erstarrten und blieben still liegen. Taschenlampen leuchteten ihnen ins Gesicht und blendeten sie. Schemenhaft sahen sie die drei Eindringlinge. Zwei hielten ihn, einer sie.

»Wenn ihr tut, was wir euch sagen, wird euch nichts geschehen. Wenn nicht, machen wir euch kalt«, drohte der Wortführer, ein großer, kräftig gebauter Kerl.

Die Angst der Eheleute war so übermächtig, dass der Große einen Moment lang fürchtete, sie könnten kollabieren.

Einer der Männer zog die Bettdecken weg. Die beiden waren bis auf ihre Unterhosen nackt. Schnell und routiniert knebelte er das Paar und fesselte ihre Hände mit Klebeband. Die Messer an den Hälsen ihrer Gefangenen hatten sich die ganze Zeit über kaum bewegt.

Der Große leuchtete mit der Taschenlampe über den Körper der Frau. Sie beobachtete mit weit aufgerissenen, panischen Augen, wie er sie musterte, begutachtete, einem Stück Vieh gleich, als müsste er erst abwägen, ob sie ihm gefiel und es sich lohnte, über sie herzufallen. Sie wollte etwas sagen, aber das Klebeband um ihren Mund ließ sie nur unverständlich brabbeln. Die Frau war Mitte 40 und er fand, dass sie reichlich Speck angesetzt hatte. Sie versuchte, mit den gefesselten Händen ihre Brüste zu bedecken. Wie lächerlich, dachte der Große, wir sind nicht gekommen, um dich zu ficken.

Der Ehemann beobachtete die Männer stumm, sein Blick schwankte zwischen Angst und Wut, doch schließlich überwogen die Angst und der Wunsch, zu überleben.

Der Große beugte sich über die beiden und sagte leise: »Hört mir zu: Eure Tochter ist verschwunden. Aber es geht ihr gut. Noch. Sie ist bei uns. Sie war ungehorsam und deshalb mussten wir sie bestrafen. Wir geben sie euch wieder zurück. Irgendwann in den nächsten Tagen. Ihr sprecht mit niemandem über das, was geschehen ist. Habt ihr mich verstanden?«

 

Beide Eheleute nickten und beobachteten die vermummte Person über ihnen mit großen, furchtsamen Augen.

»Kein Wort«, bekräftigte er. »Sonst holen wir sie erneut und dann wird sie wirklich leiden. Oder vielleicht holen wir dich. Das würde auch Spaß machen.« Dabei strich er mit der kalten Messerklinge über den Körper der Frau.

Sie versuchte zu schreien, doch das Klebeband hielt ihre Panik verschlossen.

»Wir wissen, dass ihr schon bei der Polizei gewesen seid. Damit ist jetzt Schluss. Wenn jemand fragt, wo eure Tochter ist, sagt ihr, dass sie ausgerissen ist, ein paar Tage bei ihrer Freundin in Wien oder sonst wo verbringt, um Spaß zu haben. Irgendetwas in der Art. Habt ihr das kapiert?«

Wieder nickten sie.

»Und werdet ihr euch daran halten?«

Nicken.

»Brav. Ihr seid ganz brav. Ich hoffe, dass wir euch nicht noch einmal besuchen müssen.«

So gespenstisch schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden die drei Männer. Nun brauchten sie nicht mehr leise zu sein. Sie verließen das Haus, eilten zu ihrem Auto zurück und machten, dass sie nach Hause kamen. Morgen war wieder ein normaler Arbeitstag für sie.

3.

Sie hatte so lange geweint, bis sie glaubte, keine Tränen mehr in sich zu haben. Sie lag in einem Verlies. Es war kein herkömmlicher Raum, kein Zimmer, sondern ein Kerker, wie sie ihn nur aus Filmen und Besuchen in alten Burggemäuern kannte. Eine kleine Zelle, vier Schritte breit und sechs Schritte lang, die Mauern aus grob behauenen Steinen und der Boden gepflastert, kalt und feucht. Kein Fenster, kein Tageslicht. So finster, dass sie nichts sah. Aber an der Stirnseite der Zelle konnte sie in Kniehöhe einen eisernen Ring ertasten, der dort in die Wand eingelassen war. Der Raum war leer bis auf einen Plastikeimer, den sie als Toilette benutzen konnte.

Sie wusste nicht, ob Tag oder Nacht oder wie lange sie schon hier war. Sie besaß kein Zeitgefühl mehr. Aber mit Sicherheit war sie bereits mehrere Tage in ihrem Verlies gefangen. Die Stunden zerschmolzen in einer Mischung aus Verzweiflung und Angst, unterbrochen von einzelnen Ereignissen.

Manchmal wurde eine Klappe geöffnet, die sich am unteren Rand der massiven Holztür befand. Dann schob jemand eine PET-Flasche mit Wasser in die Zelle und einen Plastiknapf mit Suppe. Es war immer das gleiche Zeug – klare Gemüsesuppe. Ohne Löffel. Sie schlürfte die Suppe und musste das Gemüse mit den Fingern essen. Zuerst hatte sie nichts hinuntergebracht, aber später war der Hunger so groß geworden, dass sie zu essen begonnen hatte.

Manchmal kamen zwei vermummte Männer an die Tür, forderten sie auf, den Eimer zu bringen, nach hinten zu gehen und sich dort mit dem Gesicht zur Wand hinzustellen. Sie tauschten den stinkenden Kübel gegen einen leeren aus, in dem eine Rolle Klopapier lag.

Wenn sich die Klappe öffnete oder die Tür, waren dies die einzigen Momente, in denen sie ein bisschen Licht sah.

Die meiste Zeit saß sie zusammengekauert und frierend in einer Ecke ihres Kerkers. Am Anfang war sie herumgelaufen, von der Tür zur Wand und zurück, zehn Schritte immer hin und her. Später war sie im Kreis gegangen. Sich an den Wänden entlang tastend, einmal in die eine Richtung und dann in die andere. Um ihrer Angst Herr zu werden, um die Dunkelheit zu ertragen und die Einsamkeit. Aber es hatte nichts genutzt. Die Angst war geblieben und die Dunkelheit und die Einsamkeit.

Jetzt saß sie nur mehr in einer Ecke. Oder sie schlief auf dem nackten Steinboden, wenn sie müde war, oder sie aß, wenn es Suppe gab, oder sie verrichtete ihre Notdurft oder sie stellte sich an die Wand, wenn der stinkende Kübel getauscht wurde. Das war nun ihr Leben.

Niemand hatte ihr bisher etwas getan, niemand hatte sie vergewaltigt. Und niemand sprach mit ihr. Sie hatten ihr nur die Schuhe und den Gürtel ihrer Jeans weggenommen. Zunächst hatte sie mit den Männern reden wollen, hatte gefragt, was los sei, was sie von ihr wollten, warum sie hier sei, wo sie überhaupt sei. Aber es gab keine Antwort. Dann schrie sie, beschimpfte sie, und als der Kübel wieder einmal getauscht wurde, versuchte sie an die Tür zu gelangen. Doch die Männer warfen sie brutal zu Boden, einer kniete auf ihrem Rücken und der andere flüsterte ihr ins Ohr: »Wenn du nicht brav bist, hängen wir dich mit einer Kette an die Wand wie einen räudigen Hund.« Trotz der Stoffmaske, die er trug, konnte sie seinen Atem spüren. Und er leuchtete mit einer Taschenlampe auf den Eisenring an der Wand. Von diesem Zeitpunkt an blieb sie gehorsam an der Wand stehen, wenn die Männer kamen.

Jedes Mal, wenn die Tür sich öffnete, wurde sie von einer unbestimmten Angst gepackt. Sie wusste, dass es einen Grund gab, warum sie hier war, dass ihre Entführer etwas mit ihr vorhatten. Und jedes Mal, wenn die Tür sich öffnete, befiel sie die Furcht, dass es jetzt geschehen könnte.

Irgendwann war es so weit. Die Tür wurde aufgerissen und grelles Licht blendete sie. Bevor sie wusste, was geschah, zog sie jemand hoch, und mit einem stinkenden Stofffetzen wurden ihr die Augen verbunden. Die Angst war wieder so übermächtig, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte.

»Zieh dich aus«, hörte sie eine Stimme, gedämpft und wie aus weiter Ferne.

Sie waren gekommen, um das mit ihr zu tun, weshalb sie sie hierhergebracht hatten. Die ganze Zeit über hatte sie darüber nachgedacht, was die Männer von ihr wollten, und war immer nur zu einem Ergebnis gekommen. Sie hatte versucht, sich damit abzufinden, aber es war ihr nicht gelungen. Jetzt war es so weit.

»Nein, bitte, tut mir nichts«, stammelte sie und begann zu weinen. Gleichzeitig wusste sie, dass alles Flehen vergeblich war.

»Zieh dich aus«, wiederholte der Mann, diesmal ungeduldiger. »Oder sollen wir dir dabei helfen?«

Sie war unfähig, sich zu bewegen. Plötzlich hörte sie ein lautes Knacken und spürte einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Sie schrie, stolperte zur Seite und fiel hin.

»Steh auf und zieh dich aus, oder willst du noch einmal?« Erneut hörte sie das ratternde Knacken. Trotz der Augenbinde nahm sie einen hell züngelnden Lichtpunkt wahr. Verzweiflung und Furcht wurden so übermächtig, dass sie sich nicht mehr beherrschen konnte. Sie machte sich in die Hose.

»Los, mach schon!«, hörte sie den Befehl.

Ihr Oberschenkel tat höllisch weh, als sie sich wieder hochrappelte. Sie konnte kaum stehen. Langsam zog sie sich aus, zuerst ihre Bluse, dann die nasse Hose, schließlich stand sie in Unterwäsche da, zitternd vor Angst, Kälte und Scham.

»Alles!«

Nach einem Moment des Zögerns öffnete sie den BH, ließ ihn zu Boden fallen und zog danach ihr Höschen aus. Sie konnte kaum auf den Beinen stehen bleiben. Sie weinte noch immer.

Zwei Männer waren nun neben ihr, packten sie und banden ihre Handgelenke mit einem groben Seil zusammen. Sie spürte einen Ruck an den Fesseln, der sie nach vorne riss.

»Los, gehen wir!« Ein scharfes Kommando. Es war ihr kaum möglich, einen Schritt zu tun, sie stolperte vorwärts, zum Teil gezogen, dann am Arm gepackt und wie eine Blinde geführt.

Es ging durch einen Gang und anschließend über eine enge Wendeltreppe hoch. Sie stieß sich daran die Zehen blutig.

Sie hörte dumpfes Geraune und Stimmen. Eine Tür wurde geöffnet, sie wurde in einen Raum geführt und die Menschen darin verstummten. Sie war gefesselt und konnte nichts sehen. Sie stand nackt da und wusste nicht, wie viele Leute sie anstarrten. Nun begriff das Mädchen, was das alles zu bedeuten hatte und was man mit ihr vorhatte. Das Gefühl, sich wegen ihrer Nacktheit schämen zu müssen, war mit einem Mal verschwunden, wurde weggewischt vom Bewusstsein des Ausgeliefertseins. Entsetzen packte sie und die Angst vor dem Kommenden, wie ein übermächtiges Tier, das sich unbemerkt angeschlichen hatte und sie zerriss. Ihre Beine gaben nach und sie sackte zu Boden.

»Bringt sie her!«, schrie die dumpfe Stimme eines Mannes.

Zwei Männer zerrten das Mädchen an den Armen hoch und schleiften es in die Mitte des Raumes. Eine Kette mit einem Haken hing dort an einem Flaschenzug. Damit zogen sie den schmächtigen Körper an den Armen in die Höhe, bis das Mädchen nur noch auf den Zehenspitzen stehen konnte. Einer der Männer band ihre Fußgelenke an einen metallenen Ring, der im Boden eingelassen war.

Sie begann vor Schmerzen zu wimmern, weil die Fesseln in ihre Handgelenke schnitten. »Bitte«, flehte sie, »bitte tut mir nichts. Ich mache es auch nie wieder. Ich …«

Der Mann vor ihr schlug sie ins Gesicht und beendete damit das Flehen nach Gnade.

Sie begann erneut zu weinen. Dann spürte sie eine Hand zwischen ihren Beinen und schrie. Die Hand verschwand. Sofort aber streichelte sie ihren Rücken und ihre Brüste.

»Du bist schön. Möchtest du schön bleiben oder sollen wir dich so herrichten, dass dich kein Mann mehr ansieht?«

Sie hörte ein Klicken. Ein Feuerzeug, dachte sie und spürte eine Flamme an ihrer rechten Brust und einen brennenden Schmerz. Sie schrie und zerrte an den Fesseln, krümmte sich, doch es war nicht möglich, der kleinen Flamme zu entkommen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern und nicht aufhören zu wollen. Dann war die Flamme weg. Aber der Schmerz blieb. Es roch nach verbrannter Haut. Sie musste würgen, und hätte sie etwas anderes gegessen als dünne Suppe, hätte sie sich übergeben. Sie weinte noch immer, und die Tränen wurden von der Augenbinde aufgesogen.

Sie glaubte, das erregte Keuchen von Menschen zu hören, war sich jedoch nicht sicher. Vielleicht täuschten sie ihre Sinne. Vielleicht waren nur die Männer hier, die sie geholt hatten.

Plötzlich spürte sie einen spitzen Gegenstand an ihrer Brust. Eine metallene Spitze umkreiste ihre Brustwarze. Die Angst umklammerte sie noch stärker und ließ sie heftig atmen. Als wolle die Spitze ihren Körper streicheln, glitt sie in das Tal zwischen den Brüsten und danach hoch zur anderen, umkreiste auch dort die Brustwarze, zog weiter und bohrte sich leicht in die zuvor verbrannte Stelle. Ein greller Schmerz durchzuckte sie und ließ sie aufschreien. Sie spürte eine Hand auf ihren Brüsten und unterdrückte einen neuerlichen Schrei.

»Schöne Titten. Du hast so wunderschöne Titten. Wir könnten sie dir in Streifen schneiden. Möchtest du das?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, kam kaum hörbar aus ihrer trockenen Kehle.

Dann war seine Stimme an ihrem Ohr: »Weißt du, wo du hier bist?«

Sie nickte zaghaft.

»Und weißt du auch, warum du hier bist?«

»Ja«, flüsterte sie.

»Gut«, sagte er, »sehr gut. Ich werde dir jetzt einige Fragen stellen. Und ich möchte, dass du sie mir beantwortest. Ehrlich beantwortest. Wenn du das nicht machst, werde ich dir sehr wehtun. Dagegen werden dir alle deine bisherigen Schmerzen lächerlich erscheinen. Am Ende wirst du ein Haufen geschundenen Fleisches sein. Glaubst du mir das?«

Sie nickte.

Er stellte seine Fragen, und sie antwortete ihm wahrheitsgetreu. Er wusste, dass sie ihn nicht belog. »Braves Mädchen«, flüsterte er an ihrem Ohr. »Was sollen wir jetzt mit dir machen?«

Sie wurde am Haar gepackt und ihr Kopf zurückgerissen. Sie stöhnte leise.

»Du gehörst uns!«, brüllte er sie an. »Nur uns! Für immer und ewig! Vergiss das nie! Du hast deine Seele dem Teufel verkauft – und jetzt bist du bei mir!«

Sie versuchte zu nicken.

»Vielleicht lassen wir dich laufen. Dann kannst du wieder ein normales Leben führen. Du bist jedoch nicht frei. Außerdem trägst du das Zeichen. Das müssen wir dir vorher herausbrennen.«

»Nein, bitte nicht«, wimmerte sie und zerrte wild an den Stricken. »Bitte nicht. Bitte nicht.«

Ihr Flehen verlor sich in einem fürchterlichen Schrei, als ihr ein glühendes Eisen mit einem grässlichen Zischen unter der linken Achsel ins Fleisch gedrückt wurde. Ihr Körper zuckte und wand sich in den Fesseln. Vergeblich versuchte sie, dem Eisen zu entkommen. Sie warf den Kopf zurück, obwohl er immer noch an den Haaren gehalten wurde, doch dieses Reißen war nichts gegen den Schmerz, der ihren Körper durchfuhr. Sie schrie so laut und so lange sie konnte, bis das Brandeisen wieder weg war. Die Schmerzen wurden schwächer, waren aber noch stark genug, um kaum erträglich zu sein. Tränen liefen über ihre Wangen, die Augenbinde konnte sie nicht mehr zurückhalten. Ihre Brüste hoben und senkten sich schnell, so rasend ging ihr Atem.

Sie wünschte sich, ohnmächtig zu werden, dann würde sie keine Schmerzen mehr spüren, aber es geschah nicht. Als der Mann sie losließ, kippte ihr Kopf nach vorne. Doch einen Moment später wurde er wieder an den Haaren hochgerissen. Sie schrie vor Schmerz und hörte erneut die flüsternde Stimme: »Wenn du nur ein Wort sagst über das, was hier passiert ist, nur ein Wort zu deinen verfluchten Eltern oder einer deiner verfickten Freundinnen oder zu dem versifften Pfaffen oder zu sonst irgendeiner beschissenen Kreatur, nur ein Wort – dann holen wir dich wieder. Ganz egal, wo du dich verkriechst, wir werden dich finden. Und dir wird alles, was wir bisher mit dir gemacht haben, wie das Paradies vorkommen. Wir werden dich ficken und dir die Haut abziehen und dich so lange in deinem Loch verfaulen lassen, bis der Tod dir eine Erlösung sein wird. Hast du das verstanden?«

 

Sie nickte unmerklich. Der Schlag einer Peitsche traf sie quer über den Rücken. Sie schrie.

»Hast du das verstanden?«, fragte die Stimme noch einmal, immer noch leise, aber bestimmter, wie das zornige Zischen einer giftigen Schlange. »Antworte oder wir schlagen dir das Fleisch von den Knochen.«

»Ja«, keuchte sie, »ja.«

»Lauter.«

Ein neuer Schlag hinterließ eine zweite Strieme, die brannte, als hätte ihr jemand Säure über den Rücken gegossen. Sie brüllte, das Schreien ging in ein hysterisches »Ja! Ja! Ja! Ich hab verstanden!« über.

»Gut«, flüsterte er und streichelte über ihre Brüste.

Jetzt wurden die Stricke gelöst und sie sackte zu Boden. Einen Moment lang keimte Hoffnung in ihr auf. »Bitte, lasst mich gehen«, wimmerte sie.

Als Antwort zog die Peitsche eine neue Strieme über ihren Rücken, und die Stimme sagte: »Du gehst, wenn ich es dir erlaube. Wir sind noch nicht fertig mit dir.«