Suche Mann, der mehr sieht (in mir)

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Suche Mann, der mehr sieht (in mir)
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Paul Stefan Wolff

Suche Mann, der mehr sieht (in mir)

vollständig überarbeitet - mit Delegier-Syndrom

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Die Lebensfreude-Beraterin

2. Sympathischer als gedacht

3. Ein Bild von einer Frau

4. Neue Schwierigkeiten

5. Lichter am Horizont

6. Dann waren Gefühle da

7. Freundschaft?

8. In aller Deutlichkeit

ANHANG

Impressum neobooks

1. Die Lebensfreude-Beraterin

Suche Mann, der mehr sieht (in mir)

- Liebeskomödie -

für Alma und mein schwaches Selbstvertrauen…

„We‘ll keep on trying“/“Be free to yourself“

Queen – Innuendo

Reni hatte ihren Freund Charles, getrennter Vater mit zwei Kindern, zum Gespräch gebeten, sie saßen im Auto, er hielt gerade vor ihrer Haustür.

„Charlie, danke fürs Heimbringen“, Reni atmete tief ein und aus.

„Das mache ich doch gerne für meinen Schatz“, Charlie schaltete den Motor aus.

„Wie geht es dir damit?“, fragte Reni.

„Mit der geforderten Beziehungspause? Nicht gut. Ich will ja, dass die Kinder eine zuverlässige Bezugsperson haben.“

„Du weißt, ich will eigene Kinder haben...“

„Meine Familienplanung ist abgeschlossen. Ich habe zwei, und die kommen in ein komisches Alter, so mit unter 10 fängt alles schon an...“ Und, zweites Argument: „Und du hast nicht mal einen richtigen Beruf. Warum was Gutes wegwerfen?! Für was?“

„Ich habe morgen einen Klienten, mal schauen“, sie atmete nochmal tief durch. „Du meinst vielmehr, deine Frauenplanung ist abgeschlossen. Du hast Angst, zwei getrennte Frauen dann zu handeln. Plus die Kinder.“

„Ich weiß ja, dass du Psychologin bist. Aber ich hatte dich dennoch gebeten, nicht zu psychologisieren. Und du bist mal wieder überdramatisierend.“

„Ich tue das Psychologisieren aber dauernd!“ Reni war deutlich. „Du magst etwas nicht, was ich dauernd tue. Was ist das denn dann für eine Beziehung?!“

„Reni, dir entgleiten alle Sachen deiner Kontrolle. Auch jetzt diese unsere Beziehung. Und deswegen sollte sie einstweilen pausieren.“

„Dann ist ja alles klar!“ sie öffnete die Autotür, sah ihn nochmal an. Er sagte nichts, er hätte ja auch sagen müssen, er wagt es mit ihr – was er nicht konnte. Sie stieg aus, warf die Tür mit Schwung laut zu, stiefelte mit ihren Absätzen zu ihrer Tür. Da ertönte die Autohupe. Sie drehte sich um, er formte aus dem Auto ein Herz mit beiden Händen. Sie lächelte, nickte, auch diese Szene drohte ihrer Kontrolle zu entgleiten, sagte sich: diesmal nicht, dann schloss sie die Tür auf.

Am nächsten Tag, knarzte der gebraucht gekaufte graue Bürostuhl deutlich unter dem massigen Körper des Besuchers. Der Mann, dessen grimmiger Gesichtsausdruck genauso gut einen Boxer schmücken könnte, suchte bei der Praxisgründerin Sicherheit und drückte seinen Rücken in die Lehne, als hätte er gerade einen kräftigen Schlag einstecken müssen. Er war Betriebsratsvorsitzender, Name: Erwin Schmidt. Sein schwarzer Anzug kontrastierte mit der knallroten Krawatte, er strich nervös immer wieder darüber, drückte sich schutzsuchend immer tiefer in den Stuhl.

„Meine Praxis ist noch gar nicht eröffnet“, Reni bemühte sich zu verstehen. „Ich habe erst vor einer Woche meinen Businessplan zur Bank eingereicht.“

„Genau deswegen sind Sie die Richtige“, Schmidt strich über die Krawatte. „Sobald der Chef weiß, dass sie Lebenwillen-Aufputsch-Beraterin sind, ist das Spiel aus. Das MUSS geheim bleiben. Wir suchen einen Vorwand für das alles. Aber erst erläutern Sie mir mal ihr Konzept.“

„Ich zitiere den Philosophen Odo Marquardt, ich weiß nicht, ob es seine Erkenntnis ist. Aber den Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Mündigkeit ist das Aushalten der Einsamkeit. Gehen Sie mal mit diesem Satz durch die Welt; alles, was es gibt, ist eine Möglichkeit, die Einsamkeit tief drinnen vergessen zu machen. Diese Einsamkeit verspürt jeder, fast immer. Freizeitstress ist eine Flucht vor dieser allen Menschen eigene Einsamkeit, alle Arten von Drogen. Der oft gewählte Weg ist das Aufgehen in etwas Größerem, Kinderwunsch, Kunst, und natürlich die Workaholics.“ Sie schaute erwartungsvoll.

„Ist er“, er wankte innerlich, ein leichtes Ruckeln ging durch ihn, sie hatte Schmidt selbst auch ertappt. „Ok. Überzeugt.“

„Ich muss Basisdinger abhaken, das Wetter passt, also würde Urlaub nicht helfen. Sport?“

„Treibt er regelmäßig in seinem Fitnessraum.“

„Da ich davon ausgehe, dass der Chef vermögend ist, können wir alles Käufliche streichen. Das wird er selber versucht haben. Auch ist er Inhaber von Altersheimen, also kommt die Methode nicht in Frage, ihm Menschen mit größeren echten Problemen vorzustellen. Hilft sehr vielen. Also müsste ich auf Stufe 3 starten und mich langsam steigern.“

Schmidt nickte.

„Im vollen Bewusstsein, dass es nicht mehr als 5 bis 6 Stufen gibt. Es könnte besser aussehen.“ Sie atmete tief ein und aus. „Und für das Ganze haben wir maximal einen Monat Zeit. Der Chef hat alles erreicht. Und was nun? Das ist die zentrale Frage, und ich weiß nicht, ob ich eine Antwort habe. Herr Schmidt, das tut mir leid.“

„Das ist die genau richtige Antwort“, Schmidt lächelte und beugte sich vor, er hatte endlich Sicherheit gefunden. „Menschen, die fertige Antworten haben, die können Sie oft vergessen. Ich suche einen Spürhund.“

„Bin ich“, sie grinste breit. „Sonst würde ich mich nicht selbständig machen wollen. Kaltes Wasser ist da, ich springe rein. Was die Liebe angeht, die Liebe zum Leben im Speziellen, so muss festgestellt werden: Liebe geht. Sie rennt nicht, sie lässt sich nicht beamen. Liebe geht. Immer. Jene, die abgestürzt sind, haben gedacht, Liebe lässt sie fliegen. Aber Liebe ist etwas, was man jeden Schritt einzeln – GEHEN muss. Liebe geht.“

„Also, abgemacht.“ Sie lehnte sich zurück. „Ich fasse zusammen: Der Chef, Moritz Werner heißt er, spricht oft von Flucht. Irgendwohin.“, Reni pausierte, sah Schmidt nicken. „Gleichzeitig steht ein Übernahmeangebot vielleicht ins Haus – geleitet wird die andere Firma ProCura von einer Exfreundin von ihm. Sie, Herr Schmidt, als BR-Vorsitzender, befürchten eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, weil Herr Werner ein ausgezeichneter Chef ist.“

„Nicht viele Betriebsräte, die für ihren Chef eine Lebenswillen-Beraterin engagieren würden – ohne dessen Wissen, auf eigene Kosten. Gerade im Bereich Altenpflege sind die Arbeitsbedingungen nicht gut. Die Struktur der Werner Altenheime bietet große Möglichkeiten der Effizienzsteigerung – was zu Lasten der Patienten gehen würde. Das will ich verhindern!“

„Und ich würde also in die Firma kommen, aber nicht als Lebenslust-Psychologin? Ein Vorschlag: hat Herr Werner eine Lebensversicherung?“

„Sein Vertrauter und Diener meinte ja, sogar 1 Million. Die fielen entfernten Verwandten zu. Nähere Angehörige hat er nicht, nicht mal eine Freundin.“

„Das ist prächtig“, Reni lächelte. „Ich komme im Auftrag der Lebensversicherung.“

„Er nimmt keine Hilfe an“, Schmidt schüttelte den massigen Kopf. „Wir haben schon einen erfahrenen Psychologen... . Der wurde rausgeworfen.“

„Ja, weil der seinen Job machen wollte“, Reni erhob die Anmerkung unterstreichend den Zeigefinger. „Niemand will geheilt werden, weil der andere seinen Job macht. Ich werde für ihn eine dumme und unerfahrene junge Frau sein, die lieber eine Weltreise machen will.“ Ich luchse ihm eine Vereinbarung ab, die lautet, wir tun nur so als ob.“

„Hmm. Es kommt auf einen Versuch an. Falls der scheitert, scheitert er auf der ersten Stufe schon am Anfang, dann können wir im BR was anderes überlegen. Unser Team ist schlagfertig. Das war dann auch alles. Jetzt besprechen wir noch Ihre Entlohnung. Da Sie weder Erfahrung haben noch Referenzen würde ich vorschlagen, eine kleine Pauschale, den Rest bei Erfolg.“

Reni stimmte notgedrungen zu.

Am Vorabend hatte ihre Mutter Reni zu sich eingeladen, Mutter Ingrid war herzlich, Vater las seine Zeitung.

„Wie lange bist du schon arbeitslos?“ fragte er dann doch über den Zeitungsrand.

„Ein Jahr fast“, Reni war bedrückt. „Aber ich mache mich selbständig. Habe genug von der Supermarktarbeit.“

„Eine Ex-Psychologiestudentin mit Depressionen“, Vater schüttelte den Kopf. „Macht 14 Semester, das Studium war von Anfang an ein Schuss in den Ofen. Dir laufen alle Sachen aus dem Ruder.“ Er legte die Zeitung weg. „Such dir einen Mann!“

„Ich bin eine neue Art Frau!“ Reni war entschlossen. „Ich will mein eigenes Ding gebacken kriegen. Und ich habe einen Auftrag. Ein Mann mit Depris. Ein Reicher. Ich kann da mein ganzes Wissen einbringen!“

 

„Du solltest besser für ihn kochen. Und was man als Frau sonst macht.“

„Sich zurücknehmen?!“ Reni war aufgebracht, sie stand auf, einmal in dieser Situation angelangt war es Zeit zu gehen.

„Reni“, Mutter war im Flur die Sanfte. „Das Leben für eine Frau auch in der heutigen Zeit besteht darin zu erkennen, die lieben und einfachen Männer sind im Nachhinein die bessere Wahl. Auch wenn sie in jungen Jahren nach dem Feuer suchen.“

„Hast du denn nie Sehnsucht nach dem Feuer gehabt? War dir der immer genug?“

„Er hieß Jens.“

„Mama, es war noch nie die Zeit so gut für Frauen, auch ihren eigenen Weg zu suchen“, Reni deutete zur Tür hinaus. „Das ist der Vorteil dieser Zeit. Bei allen Nachteilen, die sie hat. Wir haben es weniger schwer als alle Frauen vor uns.“

Sie umarmten sich. Dann steckte Ingrid ihrer Tochter einen Brief zu.

Am Abend hatte Reni ihre Freundin Bettina zu sich eingeladen. Sie wälzten Einrichtungsmagazine. Die schwarzhaarige Bettina trug die Haare wie immer kurz, mit dem deutlichen Leberfleck auf der linken Wange erreichte ihre Komposition etwas entrückt-apartes. Gothic-Fan. Sie war kleiner als Reni, mit 166 Größe fast 10 cm kleiner, sie wollte aber nicht größer sein, denn ihrer Meinung nach sollte ein Mann einen Kopf größer mindestens als die Frau sein, nun wollte sie das zukünftige Büro von Reni perfektionieren.

„Dieser Sessel ist zu wuchtig und zu teuer“, kommentierte Reni den Vorschlag.

„Wenn du den Auftrag schaffst, winkt dir also eine üppige Prämie“, schloss Bettina. „Dann solltest du durchstarten. In diesem Sessel fühlen sich die Kunden aufgehoben, man sitzt darin wie in einer liebevollen Umarmung.“

„Hm.“

„Gib dir den Anschein von Welterfahrung. Diese Weltkarte an der Wand ist dafür gut und sie ist billig.“

„Die kannst du schon mal bestellen“, Reni sagte das im Hinblick auf ihre bei Werner gespielte Weltreise. „Aber nicht mehr. Meine Mutter hat mir einen Brief gegeben, mein Vater hat die Raten fürs Haus schon länger nicht mehr überwiesen. Jetzt soll ich irgendwie schauen. Ich brauche 15.000, sonst wird das Haus meiner Eltern versteigert.“

„Dann brauchst du diesen Auftrag dringend“, sagte Bettina. „Wie ziehst du dich an?“

„Minirock, Strümpfe. Meine sportlichen Beine sind mein großes Plus.“ Sie lächelte. „Und ich habe mir für die Brüste einen teuren Push-Up-BH gekauft. Das ist wohl mein Minus.“

„Aber keine Geschäftsklamotten. Männer schreckt das ab.“

„Ok, ich nehme ein eng anliegendes Hemd.“

Bettina nickte, dann war sie zufrieden.

„Anderes Thema, sieh dir „Pretty Woman“ an, die Überlegenheit von Richard Gere ist nicht sein Geld. Es ist sein Interesse für die Oper. Erst als er Julia Roberts in die Oper mitnimmt, erst da hebt er sie auf seine Stufe hinauf. Erst da überlegt er sich die Beziehung genauer. Du solltest dir also Kunst reinstellen, am besten eine Plastik. Die ist deutlich.“

„Ok“, Reni ließ sich überzeugen. „Eine von deinen Skulpturen.“ Sie legte jedoch den Katalog zur Seite, holte die Stadtzeitschrift hervor. „Da. Das eingekringelte.“

„Suche Mann, der mehr sieht (in mir)“, las Bettina vor. „Gerne künstlerisch Angehauchte, mit beiden Beinen auf dem Boden. W, 29, 1,74, sportlich-schlank, dunkelblond - Das ist deine Email-Adresse! PLUS eine Chiffre-Nummer.“ Sie setzte einen Schmollmund auf. „Ich bin doch die Künstlerin, die gehören alle mir.“

„Du bist zu speziell“, warf Reni ein. „Außerdem hast du mich ja darauf gebracht. Ich komme einfach mit Künstlern sehr gut klar. Die Zeitung ist heute rausgekommen.“

„Du suchst also jetzt einen Mann per Annonce?“ Bettina machte große Augen.

„Internet ist ausgelutscht, nur blöde Ansprachen. Echte Ideen. Nicht die 08/15 Essen und Trinken. UND: Ich habe die Chiffre rein, ich will, dass mindestens einer dabei ist, der einen Brief noch schreiben kann. Das gibt 25 Pluspunkte von 100. Und das mit der Perlenkette bringe ich ihnen schon noch bei.“

„Was ist das denn?“ Bettina war verwundert. „Du willst kostbare Geschenke? Seit wann das denn?“

„Nein. Sicher nicht. Eine Perlenkette, das hat mal ein Ex von mir gemacht. Das ist, wenn man ein kleines Wegstück am Körper wie an einer Perlenkette aufgereiht mit Küssen in einer Linie bedenkt. Nicht bedeckt, nicht die ganze Fläche küssen. Aber so halt eine Linie am Hals, schon mehr als 5 Küsse – hintereinander. Das kommt wuchtig! Weil die Eiligen, die setzen einen Kuss, wenn überhaupt, oder zwei, drei. Aber die volle Perlenkette, also schon mehr als fünf, das ist der Bringer. Fußfetischisten am Fuß noch, wenn eine Frau oder ein Mann einen kleinen Bach hat, dann am Bauch. Hat der Typ am Anfang gemacht, ich so, mach das öfter. Ist schon schwer zu sagen: JETZT machst du das. Das muss er schon selbst wissen, auch nicht jedes Mal. Aber hin und wieder...“

„Wie kommst du nur auf solche Ideen?“ Bettina lachte los. „Das mit der Anzeige?“

„Als ich den Push-Up bestellt habe“, Reni verengte schlau lächelnd die Augen. „Ich wollte einen, für den ich ohne das Zeug so aussehe, als hätte ich es an. Ich habe Substanz. Aber Substanz ohne die gute Ausführung ist nicht viel. Ich will gesehen werden, dann werde ich schon zu einem Diamanten.“

„Wenn dir nur diese Sache nicht auch noch entgleitet...“, Bettina kannte ihre Freundin.

„Da entgleitet gar nichts. In jedes Menschen Leben kommt das Ende der jugendlichen Freude und hoffnungsfrohen Schaffens mit etwa 30, oder in den 40ern. Künstler schaffen den Durchbruch nicht und müssen sich das eingestehen. Jene Menschen, die studiert haben oder sich was aufgebaut haben, Karriere, Aufstieg, Möglichkeit, was zu verändern, stellen in dieser Zeit fest, dass sie in Zwänge eingebunden sind. Und das nagt. Bis man feststellt, die eigene Gestaltungsfähigkeit der Welt ist limitiert. Und dann kommt eben die Krise. Und die Aufgabe ist, wieder aufzustehen. Obwohl man nicht genau weiß, wie. Dieser Mann braucht nur neuen Schwung. Ich will ihm den jugendlichen Eifer zurückgeben.“

„Den Männer in seinem Alter dadurch finden, dass sie Fitness entdecken. Oder aber auf jugendliche Frauen stehen. Oder beides gleichzeitig.“

„Ich muss nur so tun, als wäre ich an ihm interessiert. Deswegen die Klamotten. Und ihm, getragen von dieser Mitgift, mit meinem Wissen neuen Schwung geben. Es spricht nichts dagegen, mit Erotik zu spielen. Wenn denn praktisches Wissen, fundierte Kenntnisse menschlicher Natur dahinter stehen. Diese werden dann die Führung beizeiten übernehmen. Und Zack! Auftrag erfüllt.“

Als Bettina weg war, checkte Reni ihre Emails. Und siehe da:

Von: Juliandersuesse@xxx.de

Betreff: Das Beste sehen und schmecken

„Liebe Psycho-Schönheit :),

es gibt so viele Menschen auf der Welt und das Überraschende ist, jeder hat sein eigenes Leben und seinen eigenen Geschmack. Ich bin Moritz und als Konditor liebe ich jeden Menschen mit seinen eigenen Vorlieben und deswegen verzichte ich auch auf Fremdwörter in meiner nun folgenden Beschreibung. Ich habe auf der Rückseite ein paar Fragen notiert, deren Antwort mich Stück für Stück an deine liebste Süßigkeit heranführt. Es geht mit so grundlegenden Fragen los, ob du eine Oblate als Grundlage magst oder soll sie einen Boden haben, oder eher wie ein Muffin in einem Fächerbecher, gar ein Waffelstückchen, welche Form dann?, kurz: welchen Boden oder ob überhaupt. Dann: welche Grundlage die Praline haben soll. Das kann Schokolade oder Frucht sein, hier dann Fruchtsorbet oder die Frucht selber?, oder oder. Oder darf es eine Praline sein mit mehreren leckeren Zutaten, vielleicht eine mit Brand? Bis zu drei oder sogar vier Schichten sind denkbar. Dann gibt es Pralinen mit Mantel und ohne. Darf es ein Fruchtaufsatz als Krone oben sein oder vielleicht eine Belegkirsche? Welche Form bevorzugst du? Schließlich hast du die freie Wahl, auf dem Mantel dann als Vollendung sind unterschiedliche Bonmots denkbar: Schokostreifchen, Nusstückchen, Pulverzucker, selbst das Eintauchen in Karamell ist möglich. Schließlich sagt niemand, dass man die Praline auch in der Hand halten können muss. Sie darf mit Fächerbecher sogar kleckern…

Ich wohne zwar außerhalb der Stadt, dafür habe ich die Garage umgebaut zu einer Konditorstube mit allen erdenklichen Zutaten und Geräten. Ich kann also vor deinen Augen deine ganz persönliche Praline zubereiten, oder du probierst direkt vor Ort verschiedene Zutaten aus. Weil gemeinsam der süßen Versuchung nachgeben ist schöner als einfach nur alleine sich was überlegen. Weil Experimentieren zweisam schöner ist. Weil es mir ein Vergnügen ist, dir einen persönlichen Genuss zu verschaffen.

WhatsApp: 0000/00 000 00

Julian“

Reni lachte hell auf, die Abzweigung zum Erotischen hatte dieser Julian schon sehr gut drauf. Da hieß es, vorsichtig zu sein. Mit etwas Glück war er etwas beleibter, dann wäre die Absage einfach. Sie würde ihm WhatsAppen, gleich heute Abend.

Reni war am nächsten Morgen in guter Laune, das WhatsAppen war gut gelaufen.

Der nächste Tag begann für Reni mit einer herben Enttäuschung: um 9:50 war die Post da und sie brachte die Absage von der Bank bezüglich des Businessplans. Das ging schon mal gut los, die Sache entglitt ihr jetzt schon.

2. Sympathischer als gedacht

Reni Thor erschien pünktlich im Sekretariat des Altenheim-Unternehmers Moritz Werner.

„Reni Thor“, stellte sie sich vor. „Ich habe einen Termin...“

„Ich bin Inge Süß, seine Sekretärin“, sie streckte Reni die Hand entgegen. „Wir werden uns öfter sehen, wenn Sie Glück haben.“ Sie sah an Reni herunter. „Ich sehe, Sie haben das Zeug dazu. Schmidt hat mich aufgeklärt“, zwinkerte sie ihr zu. „Wir stecken unter einer Decke. Aber Ihnen fehlt noch was.“

„Was denn?“

„Ich hoffe, der Push-Up ist nicht festgenäht. Herr Werner steht auf kleine Brüste.“

„Das Paket kam nicht rechtzeitig, es ist nur Watte“, Reni drehte sich um, holte die Wattestücke heraus, sah sich um, warf sie in den Mülleimer, den Inge ihr hochhielt. Richtete sich den BH. „Danke für den Tipp.“

„Ich hoffe, Sie sind gut!“ Inge prüfte sie forschend mit den Blicken.

„Bin ich. Beweis: Es gibt keinen Mann, der auf kleine Brüste steht. Es gibt nur welche, die auf große stehen. Und die anderen haben nur Angst vor Hängebrüsten im Alter.“

„Muss ich mir merken“, Inge nickte lächelnd. „Ich führe Sie herein.“

Inge öffnete die Tür, sie ging voran in das mittelgroße Büro, schlicht eingerichtet, nur eine Leder-Sitzecke und eine große Bar hinter Glas unterschied den Raum von einem normalen Angestellten-Büro.

„Reni Thor von der Versicherung“, sagte Inge.

Reni sah den Mann an, sie wusste, er war 43, sah dabei noch gut erhalten aus. Er war über seine Büroschubladen gebückt, suchte wohl etwas.

„Setzen Sie sich, Frau Tor.“

Inge zwinkerte Reni aufmunternd zu, dann ging sie hinaus, während Reni sich setzte. Er setzte sich auch. Dann überlegte es sich Reni anders, sie stand auf, ging zum Tisch und hielt ihm die Hand entgegen.

„Für Sie Reni.“

Er schien zu überlegen. Dann ergriff er doch ihre Hand. Ein fester, nicht zu fester Händedruck.

„Moritz. Sehr angenehm.“

Jetzt setzte sie sich.

„Und?“ fragte er. „Haben Sie irgendwelche Unterlagen dabei, damit ich via Unterschrift belege, dass ich alles für meine Gesundheit tue?“

„Ich ziehe es vor, mir ein persönliches Bild zu machen“, sie lächelte. „Verträge sind nur so gut wie die Anwälte und wir haben solche Fälle nicht allzu oft.“

„Verstehe. Sind Sie denn befugt, mir zu sagen, dass Ihr Arbeitgeber keine sehr guten Anwälte hat?“

„Ich gehe davon aus, alles was in diesem Raum beschlossen wird, bleibt hier drin?“

„Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas“, er grinste.

„Sehr gut“, sie lehnte sich bewusst entspannt zurück. „Sie sind eine Art Präzedenzfall. Ich bin tätig in der Prognoseabteilung, man versucht dort, mein abgebrochenes Psychologiestudium zu Zahlenwerten zu verarbeiten. Nicht ganz das, was man sich vorstellt, wenn man Psycho studiert. Auch Sachen wie: Wie bringt man Raucher dazu, aufzuhören. Wie erkennt man Raucher, die aufhören können, so Kram. Man hat mich geködert mit der Prämie und die brauche ich, um mich bei einer Weltreise zu fragen, ob ich diesen Job weiter machen will.“ Reni spielte die Naive. „Ich fände das Thema viel spannender, ob und inwieweit Komapatienten das zu ihnen Gesprochene verstehen.“

 

„Sagen Sie nichts, ich muss überlegen.“

Sie sagte nichts, legte ihren Finger auf ihren Mund.

„Also gut, Reni“, sagte er schließlich. „Sie beschreiben einen Job, den sie überdrüssig sind. Sie deuten an, Sie wollen fliehen auf die Weltreise. Ich denke auch an Flucht. Also, was ist ihr Konzept, in einem kurzen Satz, bitte. Als Abschreckung: Der Psychologe sagte, ungeachtet der Taten sei ich ein kranker Mensch und er wolle mir helfen. Er zog die Helferkomplex-Karte.“

„Ich bin zu jung und zu unerfahren, um Ihre Taten beurteilen zu können. Ich denke auch nicht, dass ich urteilen WILL.“ Sie war deutlich. „Ich denke, wenn ich mich in den Irrgarten begebe, wo Sie sitzen, ich würde mich genauso verirren. Ich gehe immer davon aus, wenn ich einem Menschen begegne, er ist vielleicht weiter als ich. Und die Psychologie hat keine Antworten auf die Frage, die mit etwa 40 auftaucht: bin ich in einem Zustand innerer Gelassenheit und Distanz zu den Vulkanen des Lebens, oder bin ich schon verbittert?“

„Also, ihr Konzept?“

„Einige Menschen, die eine Art Trauma hinter sich haben, lieben es, die ungestüme Neugier von Hunden um sich zu haben. Hunde sind nicht so verkopft. Hunde sind das blühende Leben - ich würde Ihnen eins aussuchen.“

„Dir.“

„Ich möchte, dass wir uns regelmäßig treffen.“

Er sagte nichts. Dann stand er auf, nickte, kam auf sie zu.

„Einverstanden. Wir haben einen Deal. Die Kosten übernehme selbstverständlich ich. Eine Bedingung aber habe ich: ich will ein kurzes Video von dir machen.“ Er holte eine Videokamera hervor. „Ich möchte eine 5-Sekunden-Aufnahme von dir machen. Ich zähle ein, erst ein ernstes Gesicht, dann auf 2 bis 4 das Gesicht zu einem breiten Lächeln ausbreiten, am Besten mit glänzenden Augen. Also ein ehrliches Lächeln.“

„Einverstanden. Geht‘s los?“

„Eins, jetzt, drei, vier, fünf.“

Sie war unsicher, lachte sogar los.

„Das war‘s“, er besah es sich.

„Reni, du hast deinen Versuch“ er führte sie zur Tür.

„Danke, Moritz.“ Sie ging voraus zur Tür, er holte sie ein, wollte sie öffnen.

„Eine klitzekleine Aufgabe noch“, sagte sie an der Tür. „Eine Sache aus dem NLP, ist so eine Technik. Es geht ums Reframing, also einen erweiterten Blick. Wenn jemand fragt, welcher ist der größte Pool der Welt?“

„Keine Ahnung?“

„Der Pazifik.“

Er schmunzelte.

„Witze funktionieren so ähnlich. Du hast die Aufgabe, Witze zu erfinden. Der Bruch in der Bedeutung ist dabei wichtig. Das Reframing.“

„Gerne. Mache ich gerne.“

„Zum Thema Wichtigkeit. Wichtiger Job. Wichtige Menschen. Wichtige Sachen.“

Sie trat heraus, er schloss die Tür hinter ihr.

„Und?“ fragte die Sekretärin. „Wie lief‘s?“

„Ich habe die Eintrittskarte. Ich weiß nur noch nicht, was für eine Show läuft.“

„Jurassic Park“, Inge war schlagfertig. „Der Kampf mit Dinosauriern, die nicht nachgeben, obwohl man sie 15 Mal in den Kopf getroffen hat.“

„Wenn das so ist“, Reni lachte. „Dann scheine ICH der Dino zu sein. Man nennt mich das Monster, ich stehe immer wieder auf. Nur um in der Fortsetzung noch einen draufzulegen. Als erstes werde ich ihm einen Hund organisieren.“

Bei Bettina erläuterte sie ihren Plan.

„Ich hole einen kleinen Hund, der Süßfaktor zieht immer. Einen Hund mit einer Allergie. Und am Besten noch Gelenkschmerzen. Wenn er den Hund trägt, will er für jemand anderes sich wehren wollen.“

„Sicher?“ fragte Bettina.

„Als Erwachsener leben wollen, heißt immer, naja, sehr oft: für andere leben wollen. Man sagt, wenn du willst, dass Leute ein Schiff bauen, dann lehre sie nicht Holz hacken. Sondern schwärme ihnen vom Traum vom offenen Meer. Ich denke, er braucht ein Ziel. Und das psychologisch lohnendste Ziel für Menschen ist immer noch der Austausch mit anderen Lebewesen.“

Dann war Wochenende und das Treffen mit Julian stand auf dem Plan. Zucker bei der Arbeit sehen, dafür fuhr Reni hinaus zu Julian. Der empfing sie, da hatte er schon seine Bäckerschürze an, führte sie sogleich in seine Garage, die als Backstube eingerichtet war.

„Als erstes Musik“, sagte der in der Tat etwas beleibte Mann mit dem sanften Händedruck und den schon ergrauten Haaren, er war 40, hat er gesagt. Er habe Kinder, zwei Buben, die würden schon älter sein und seine Backkünste nicht mehr schätzen, lebten bei der Mutter. „Sanfte Musik, Ibiza Sounds. Das schafft die mentale Grundlage.“

„Was hättest du gerne?“ fragte er dann sanft. „Törtchen, Backwaren, Pralinés, Muffinähnliche in Formen...“

„Ein Blätterteigbecher als Grundlage. So können wir einige Sachen ausprobieren. Backwaren dauern zu lange, bis sie fertig sind. Ich bin schon so neugierig.“

„Der Anfang soll schon gut sein, habe ich mir sagen lassen, ohne den Höhepunkt vorweg zu nehmen.“ Er holte eine Plastikschale. „Der Blätterteig schreit nach einem Sekteis, dazu Schokostreusel?“

„Zartbitter, mit einer Idee Walnüsse.“

„Habe ich“, er holte zwei Tupperdöschen hervor. „Ich habe sogar karamellisierte Walnüsse gemacht.“ Er träufelte die Kakaostreusel drauf, komponierte die Walnusstückchen als Rand ins Eis hinein.

„Hahaha, Oh Gott“, sie schlug die Hände vor dem Mund zusammen. „Du hast ja wirklich ALLES da! Oh Gott, hahaha.“ Mit einer Waffel schöpfte sie das Eis. „Mmmh. Yummi. Und das soll nicht der Höhepunkt sein?“

„Lass dir Zeit“, er ging an sein Backblech, fing an, Teig zu rollen. „Ich mache dir Croissants mit Honig, einer Idee Chili und selbstgemachtem Nutella und viel Platz. Wenn sie fertig sind, werde ich noch Sahne-Vanilleeis hineinspritzen.“

„Es ist vollendet“, sprach Reni mit vollem Mund. „Oh, entschuldige. Voller Mund.“ Sie war schon am Beißen des Blätterteigs mit den Resten des leckeren Eises. Sie war da schon hin und weg.

„Du hast da was“, da kam er nahe, wischte mit dem Finger ein Stück Eis von ihrer Wange.

Er hielt den Finger unschlüssig einen Moment zu lange in der Luft. Da schleckte sie schon seinen Finger ab. Und dann küssten sie sich schon. Er küsste gut, wenn auch einen Tick zu feucht, was aber nichts machte, denn er hatte noch den Geschmack von Honig im Mund, der sich zum Restgeschmack der karamellisierten Walnusstückchen zu einer Sinfonie verband.

„Lass mich noch kurz die Croissants in den Ofen schieben“, sagte er zwischen einigen Küssen.

Anschließend führte er sie zu einem Regal: „Erdbeer-Vanille-Mischung. Ich werde dich am ganzen Körper ablecken.“

Gesagt, getan.

„Du bist zu vorbereitet“, sagte sie dann. „Dich kann ich nicht halten. Du bist ein Schmetterling, von einer Blume zur nächsten. Also nicht ohne Kondom.“

„Ich bin ein großer Fan von 69, du auf mir.“

„Sehr gut.“

Wieder ein Plan, der ihrer Kontrolle entglitten war, diesmal aber harmlos. Aber es sollte nicht ein zweites Mal sein, beschloss sie hinterher auf dem Weg nach Hause. Sie nahm aber das ganze Backblech mit den Vanille-Eis-Croissants mit, aß sie während der Fahrt. Er hatte sie noch mit Karamellsoße bestrichen, hatte Schokostreusel darüber bestrichen, ihr die restlichen Walnusstückchen mitgegeben.

Und dann hatte Reni die Idee schlechthin. Sie rief Schmidt an.

„Der Chef, Moritz, der hat doch einen Diener.“

„Ja.“

„Der kauft für ihn ein und kocht für ihn, nicht?“

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