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Der sechste Sinn

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Ein Stelldichein

Einen Kuß, Monny, nicht wahr?«

»Glaubst Du, das geht, Arthur?«

»Natürlich, man wird doch seinen Schatz küssen dürfen – das war stets Brauch in Dänemark, und ist's noch heutzutage.«

Und so bekam Monny Busgaard einen wohlgemeinten Kuß. Sie war 18 Jahr alt und Arthur 22, in dem Alter ist so etwas angenehm. Und in diesem Falle war es um so angenehmer, als kein Mensch etwas davon wußte. Die beiden Liebenden waren heimlich verlobt; sie war die Tochter des Gutsbesitzers Busgaard auf Braendholt im Bezirk Leire, und es war auf Braendholt in einer tiefen Fensternische der Gartenstube, wo der Kuß gegeben wurde. Er war durchs Fenster gekommen und hatte diesen etwas ungewöhnlichen Weg benutzt, weil ihm der Zugang zu Braendholt durch die Haupttür verschlossen war. Warum? Ja, Gott weiß warum. Viel Mühe und Ärger hätte er sich sparen können, wenn er den geraden Weg gegangen wäre; nun ging er den krummen, den verborgnen, aber ungeheuer romantischen.

Arthur Franck war stud. jur. Der Vater war Großkaufmann in Wein und Zigarren. Alles dies klärt auf, erklärt aber nichts und eine vernünftige Erklärung ist wohl auch kaum möglich.

Der liebt nicht, der nicht beim ersten Blick liebt. Die beiden hatten einander eines Abends auf einem Ball bei Monnys Tante Bine getroffen und sie gehörten einander fürs Leben. So meinten sie auf jeden Fall selber. Der normale Schritt wäre nun gewesen, dieses Faktum den respektiven Angehörigen und der großen Welt kund zu tun. Aber das taten sie nicht. Monny war bange vor ihrem Vater. Gutsbesitzer Busgaard haßte die Juristen, weil ein Rechtsanwalt ihn bei einem Güterhandel geprellt und ein Amtsrichter ihm nicht recht gegeben hatte, als er den Anwalt verklagte. Das war lange her, aber Busgaard war ein Mann, der an seinen Ansichten festhielt; und als Thomas, der Sohn des einzigen Bruders seiner Frau, hinging und Jurist wurde, sogar Dr. juris und Kriminalassessor, schwor Busgaard, daß Thomas seinen Fuß nie mehr in sein Haus setzen sollte. Das war schlimm, denn Thomas Klem liebte Busgaards älteste Tochter Tine und da sie ihn wiederliebte, gab das Anlaß zu sehr bewegten Szenen im Hause.

Monny begriff also sehr wohl, daß, wenn auch sie jetzt mit einem Rechtsgelehrten daherkäme, das Maß des Unglückes voll sein würde. Daher versuchte sie, Arthur von der Rechtswissenschaft abzubringen; das wäre wohl gegangen, wenn er selber das Bestimmungsrecht darüber gehabt hätte; aber er mußte seinem Vater gehorchen, und daher blieb seine Verlobung mit Monny geheim.

Das war ja auch ganz praktisch für einen jungen Mann von 22 Jahren; denn warum mit seinem Glück prunken und goldene Fesseln tragen? Das sagte Mosjö Arthur indessen nicht zu Monny, und sie fand die heimliche Verlobung furchtbar romantisch und gräßlich interessant.

Drei Vierteljahre hatte dieser kleine Roman gedauert. Die Liebenden sahen sich selten, wechselten aber zärtliche und liebevolle Briefe – per Post, aber nicht direkt. Die Post auf Braendholt war das Ereignis des Tages; sie kam angefahren und wurde in einer Tasche abgeladen, wozu der Herr des Hauses den Schlüssel hatte. Er nahm alle abgehenden Briefe in Empfang, und es wäre für Monny unmöglich gewesen, einen Brief in die Tasche hineinzuschmuggeln oder heimlich herauszunehmen. Erfinderisch wie Liebende sind, hatte sie daher ein Abkommen mit der alten Aufwartefrau des Gutes, Stine, genannt Stine Steiffinger – aus leicht begreiflichen Gründen – getroffen, und diese alte Frau besorgte nun gegen eine geringe Bezahlung Monnys Briefe zur Post und expedierte Arthurs Briefe in Monnys Hände.

Da geschah das Furchtbare, was immer geschieht in Romanen, die von schönen Mädchen mit hartherzigen Vätern handeln; und das Furchtbare kam in Gestalt eines jungen Ingenieurs, der eine elektrische Lichtanlage auf Braendholt einrichten sollte. Das Furchtbare veranlaßte Monny Botschaft an Arthur zu senden, er solle sich unverzüglich einfinden und verkleidet und unter fingiertem Namen Aufenthalt beim Waldhüter des Ortes nehmen. Und obgleich es nahe an Weihnachten und bitter kalt war, kam Jung-Arthur.

Monny weinte viel vor Kummer und Freude und erzählte ihm das Furchtbare. Arthur ward bedenklich und bereitete sich auf einen längeren Aufenthalt beim Waldhüter vor, um den Gang der Schlacht verfolgen zu können. Die beiden trafen sich im Walde; aber da war es kalt und deshalb erzwang Jung-Arthur eines schönen Tages den Eintritt durchs Fenster.

Er stand also in der Nische mit Monny und küßte sie. »Monny,« sagte er nach einem Kuß ungefähr so lang wie vorstehende notwendige Erklärung. »Monny, jetzt halte ich es nicht länger aus. Die Waldhüterhütte ist eine Höhle; wärst Du bei mir, wollte ich sie für ein Schloß ansehen, aber Du bist nicht da. Das Essen ist nicht zu genießen, – wärst Du da, könnte ich Sohlenleder essen, aber Du bist nicht da; das Bett ist wie –«

Monny hielt mit ihrer kleinen weißen Hand dem Geliebten den Mund zu, und er küßte sie.

»Kurz,« fuhr er fort, »ich kann nicht mehr. Herrgott, Dein Vater wird mich wohl nicht fressen, und laß ihn kommen, ich werde ihn schon zu nehmen wissen . . .«

»Es ist unmöglich,« unterbrach ihn Monny, »Du kennst Vater nicht. Es ist unmöglich.«

Und sie sah sich um und lauschte.

»Es ist schrecklich unvorsichtig von Dir, hierher zu kommen. Mutter und Tine sind bloß in den Pfarrhof hinüber und die beiden Jungen können jeden Augenblick kommen. Vater schläft drinnen in seinem Arbeitszimmer und der Ingenieur –«

Arthur runzelte die Brauen: »Der Ingenieur! Ich will das Weiße in des Schurken Auge sehen – Monny! Nein, jetzt hat es lange genug gedauert, es muß ein Ende haben. Du sagst, Deine Schwester habe Dir erzählt, sie hätte Deinen Vater sagen hören, Ingenieur Willumsen wäre ein Mann für Dich – gut, laß den Unglücklichen sein Schicksal ereilen!«

Stud. jur. Arthur Franck war ganz romantisch anzusehen. Seine Augen funkelten und seine Monny küßte ihn. Alles in der Gartenstube auf Braendholt in einer tiefen Nische neben einem großen Mahagonisekretär.

Plötzlich knarrte eine Tür, und die Liebenden fuhren zusammen. Es war 4 Uhr und beinahe dunkel. Monny zog den Geliebten tief in die Nische zurück und – o Schreck! – durchs Zimmer schritt breit und mächtig der Herr des Hauses, Gutsbesitzer Busgaard, in der Hand ein großes gelbes Kuvert. Er paffte aus seiner Meerschaumpfeife und sprach vor sich hin, wie es seine Gewohnheit war. Er steuerte grade auf den Sekretär los.

Dort blieb er stehen, während die beiden jungen Leute in atemlosem Schweigen in der Nische standen. Der Herr des Hauses nahm sich gute Zeit. Er entnahm dem Kuvert einen Haufen Banknoten und zählte sie. Es waren 2500 Kronen. Dann steckte er sie wieder ins Kuvert und legte sie in ein Fach des Sekretärs.

Die beiden standen dicht aneinander und hielten den Atem an. Der Gutsbesitzer bemerkte sie nicht und ging gemächlich und ruhig den Weg zurück, den er gekommen war.

Das war eine Erleichterung, aber es dauerte eine Weile, ehe Monny die Sprache wiederfand, und Arthur wußte nicht, was er sagen sollte.

»Das war Vater,« sagte Monny endlich.

»Das kann ich mir denken,« erwiderte Arthur.

»Gott sei Dank, daß er uns nicht gesehen hat,« sagte sie.

»Gott sei Dank,« wiederholte er; aber dann fiel ihm ein, daß es im Grunde viel praktischer gewesen wäre, wenn er sich zu erkennen gegeben und das Donnerwetter über sich ergehen lassen hätte.

»Monny,« sagte er, »ist es nicht viel besser, ich gehe hinein zu Deinem Vater und sage wie Luther auf dem Reichstage zu Worms: Hier stehen wir, wir konnten nicht anders, Gott helfe uns! – so sagt der strenge Vater sicher Amen.«

»Du kennst Vater nicht, Du kennst Vater nicht,« antwortete Monny und schauderte – »er tut es nie in Ewigkeit.«

»Und was wollte er hier im Sekretär?« fragte Arthur. Denk, wenn er das oberste Fach geöffnet hätte, das Dein liebevoller Leichtsinn als Briefkasten braucht.«

Monny lächelte. »Du bist dumm, Arthur. Jetzt sind ja keine Briefe darin.«

Arthur küßte die Geliebte. Sie hatte recht. Es waren keine Briefe darin, aber das oberste Fach des Sekretärs war doch der Briefkasten der Liebenden; und das war Monnys Idee. Und da diese Idee eine bedeutende Rolle in dieser kleinen Erzählung spielt, soll sie näher und ausführlich besprochen werden. Wie schon bemerkt, war die alte Aufwartefrau, Stine Steiffinger, Postillon d'amour für unsere beiden Liebenden. Nun könnte es scheinen, als wäre es das Leichteste und Bequemste gewesen, daß besagter Postillon d'amour die Briefe von Monny an Arthur und vice versa zur Weiterbesorgung empfing. So glatt ging es indessen nicht. Um es schwieriger zu machen, hatte Monnys kleines romantisches Gehirn einen verwickelteren Postgang ausgeheckt. Stine kam am ganz frühen Morgen auf den Hof, um beim Reinemachen usw. zu helfen. Sie ging um 8 Uhr heim in ihr Häuschen und kam dann selten wieder, weil sie noch für den Waldhüter und einen alten Auszügler die Wirtschaft zu besorgen hatte. Die Post kam um 2 Uhr und die Briefe waren an Stine adressiert. Statt damit nach dem Gutshof zu gehen, wie es natürlich gewesen wäre, aber vielleicht auf dem regelmäßig eingerichteten Hof Argwohn erregt hätte, wartete Stine bis zum nächsten Morgen und legte dann den Brief, wenn einer angekommen war, in das erwähnte Fach des Sekretärs. Am gleichen Ort holte sie Monnys Briefe. Es konnten Wochen vergehen, wo Monny und Stine einander nicht sahen, und kein Mensch würde Argwohn fassen, daß zwischen diesen beiden eine Verbindung bestände. Eine Entdeckung bei einer Untersuchung des Sekretärs war nicht zu befürchten, da es niemanden einfiel, in das Fach zu gucken, und die Briefe ganz weit hinter gelegt wurden.

Aber jetzt war es doch sehr bedenklich, daß der Sekretär auch vom Herrn des Hauses benutzt wurde, und es war daher mehr als zweifelhaft, ob der geheime Postdienst in den gewohnten Formen aufrecht erhalten werden konnte .

 

»Du Thure!« sagte Monny, »in dem Fach, das ich immer benutze und das nicht verschlossen werden kann, ist ein breiter Spalt. Wenn wir uns nun hinschleichen und durchgucken, so können wir sehen, was Vater in das Fach gelegt hat, und ist es etwas Wichtiges, so müssen wir den Briefkasten aufgeben. Bleib nur ruhig in der Nische stehen, ich werde nachsehen.«

Und Monny schlich auf den Zehenspitzen zum Sekretär. Hell war es nicht, aber doch genug, daß man sehen konnte, und das Licht fiel vom Fenster her auf den Sekretär. Monny spähte, dann schlich sie durchs Zimmer und horchte an der Tür zum Eßzimmer.

»Ich höre Vater draußen im Hof,« sagte sie. »Komm nur hervor Thure, jetzt sind wir ganz allein im Hause.«

Und Thure kam hervor. Die beiden zogen das Fach mit Hilfe eines krummen Nagels, der Monnys Dietrich bildete und den sie zu diesem Zwecke in einer Nische des Sekretärs aufhob, auf.

Durch den breiten Spalt in dem leeren »Briefkasten« spähten sie in das verschlossene Fach hinab. Es war äußerst spannend; denn sie konnten jeden Augenblick überrascht werden.

»Du Monny!« sagte Arthur, »wenn wir das Fach herausziehen, können wir nehmen, was in dem darunter liegt; wenn es Geld ist, so ist es ein ganz schlechter Aufbewahrungsort, den der Alte sich gewählt hat, und ist er nicht verständiger, so brauchen wir beide wirklich nicht bange vor ihm zu sein.«

Sie zogen das Fach heraus und in dem jetzt zugänglichen Fach lag ein großes gelbes Kuvert offen und von Wohlstand schwellend vor ihren Augen; es barg 2500 Kronen.

»Monny,« sagte Arthur, »die nehmen wir und flüchten damit in die weite Welt.«

»Bist Du verrückt?« rief Monny. In diesem Augenblick hörte man Pferdegetrappel auf dem Hof.

»Das sind Mutter und Tine,« flüsterte Monny, »Du mußt gehen – Du mußt zum Fenster hinaus, den Weg, den Du gekommen bist, aber rasch, in einem Augenblick sind sie drinnen!«

Das Fach kam wieder hinein, Monny bekam einen Kuß – den letzten – und dann verschwand Romeo zum Fenster hinaus in den Garten, wo die Dunkelheit sich über die Bäume herab zu senken begann. –

Dies geschah Sonnabend Nachmittag am 16. Dezember auf Braendholt.

Montag morgen, am 18. desselben Monats, als Gutsbesitzer Busgaard hereinkam, um das Kuvert mit dem Geld zu holen, lag in dem verschlossenen Fach nur das leere Kuvert.

Das Geld war gestohlen.

Familie Busgaard

Gutsbesitzer Hans Busgaard auf Braendholt war ein Mann von 56 Jahren, Sohn eines Landmannes und Besitzers von Braendholt, Enkel eines Landmannes und Besitzers von Braendholt, und Urenkel eines Landmannes und Besitzers von Braendholt. Damit hörte der Stammbaum auf und das Geschlecht verlor sich im Dunkel der Hörigkeit und Leibeigenschaft. Jetzt waren Schillinge in der Truhe und Ordnung in den Sachen. Nicht daß Busgaard ein hervorragender Landwirt gewesen wäre, das war er durchaus nicht, im Gegenteil; die Landwirtschaft interessierte ihn eigentlich nicht; er bewirtschaftete seinen Hof, der zirka 200 Tonnen Landes umfaßte, mit einem Verwalter, den er in der Regel viele Jahre lang hatte, bis die Lust selbständig zu werden diesen Nächstkommandierenden aus sicherer Lage einem ungewissen – oder richtiger gewissen Schicksale als eigener Herr entgegenführte. Busgaard griff selber nur ein, wenn er eine Entschuldigung für sein Dasein brauchte, und daraus entsprang regelmäßig Skandal mit dem Gesinde, weil es Busgaard ebenso schwer fiel die Gaben zu verstehen, die der hochselige König Friedrich der Siebente mit der Verfassung dem dänischen Wählervolk verliehen hatte, wie es den früheren Besitzern von Braendholt und anderem damals unfreiem Gut schwer gefallen war, die Wohltaten zu begreifen, mit denen Kronprinz Friedrich, später der sechste Friedrich die leibeigenen und in andrer Weise gehemmten Busgaards überschüttet hatte. Gutsbesitzer Busgaard war gegen seine Leute ein Tyrann im Prinzip; in praxi hatten sie es vortrefflich, solange der Besitzer sich von ihnen fern hielt, wenn er aber »wirtschaftete«, tauchten immer theoretische Fragen auf, die zu Schwierigkeiten und Gesindeprozessen führten, die Busgaard immer verlor, was seinen Haß gegen die Rechtsgelehrten nur noch steigerte. Ferner war Busgaard ein »bestimmter« Mann, das heißt wenn er zufällig eine Idee hatte, so mußte sie durchgeführt werden. Hatte er bestimmt einzufahren, so fuhr er ein und wenn es platzregnete; hatte er bestimmt zu warten, so wartete er, und wenn die Sonne strahlte und die Lerchen sangen. Es war daher mehr als gut, daß Busgaard nur gelegentlich »wirtschaftete«. Er hatte ein einziges wirkliches Interesse, ein Interesse, das nicht von den hörigen und leibeigenen Busgaards hergeleitet werden konnte, sondern das auf einem Seitenwege in die Familie hineingekommen war durch eine schwarzhaarige und schwarzäugige Italienerin, die Busgaards Vater in einem Pfarrhof getroffen hatte. Dies Interesse war die Musik.

Busgaard war beinahe »Musikidiot«. Musikidiot ist: wenn man zu Zeit und Unzeit, früh und spät, Sonntags und Wochentags sich selber in unmittelbarer Nähe irgendeines Instrumentes anbringt oder dieses in unmittelbarer Nähe von sich, und Musik macht.

Musik machte Busgaard vermittelst eines Violoncells und das strich er vom Morgen bis zum Abend mit kleinen agrarischen Unterbrechungen und zur Begleitung des unglückseligen klavierspielenden Individuums, das sich in seiner Nähe befand. In seiner Jugend war es seine Mutter, später wurde es seine Frau, und jetzt waren es seine beiden Töchter, Tine und Monny. Sie verdienten sich ihren Unterhalt mit Spielen, sagte Monny, die voll Widerspruchsgeist war – aber spielen mußten sie.

Busgaard war mittelgroß, breit und starkgliedrig, mit grauem Backenbart und einem stark geröteten Gesicht. Er hatte einen Schritt wie ein Elefant, sprach sehr laut und war immer mit der Lust behaftet zu herrschen.

So war Gutsbesitzer Busgaard; ein jeder mußte glauben, daß er unbeschränkter Herr auf Braendholt war, Unterdrücker von Hausfrau, Kindern und Gesinde, der souveräne Herrscher im Hause. In Wirklichkeit war davon gar keine Rede. Die eigentlich ausübende Gewalt lag bei Frau Abel Katharine Busgaard, geborene Klem, Tochter des verstorbenen Gutsverwalters und Justizrates Thomas Klem. Man hätte es nicht für möglich halten sollen! Frau Busgaard war so still, so still. Sie sprach leise, lächelte meist, ging so lautlos in dem großen Hause umher, hatte niemals Eile und wurde doch mit allem fertig. Sie widersprach ihrem Manne nie, beugte sich gehorsam unter seinen laut ausgesprochenen Willen und tat, da sie sicher wußte, daß Busgaard nie nachsah, ob seine Befehle befolgt würden, immer das, was sie selber wollte und was, in Parenthese bemerkt, immer das Richtige war. Frau Busgaard gehörte zu jenen Frauen, die von allen vermißt, aber unbesungen in ihr Grab gehen, bescheiden, rechtgläubig und zugleich demütig, ein lebender Protest gegen eins der grundlegenden Dogmen der Kirche, das Dogma von der Erbsünde, aber selbst im Innersten überzeugt von der eignen angeborenen Schwachheit und daher nachsichtig in ihrem Urteil über den Nächsten.

Eine freundliche, ältliche, ein wenig müde Gestalt, leicht ergraut infolge von Geburten, Kindererziehung und häuslicher Arbeit, in baumwollnem Kleid mit Haube und Strickzeug. Ein gelblichblasses Gesicht mit guten blauen Augen, die alles sehen, aber niemals spähen oder starren. So war Frau Busgaard.

Nun ist es eine nie vollständig geklärte Frage, wie die Kinder sich innerlich und äußerlich zu ihren Eltern verhalten. Da gibt es Kinder, die beiden Eltern gleichen, selbst wenn diese untereinander ganz verschieden sind; dann gibt es Kinder, die keinem von ihren Eltern ähnlich sehen, Kinder, die nur dem Vater und andre, die nur der Mutter ähnlich sehen, ja endlich auch Kinder, die Vetter Peter oder dem jungen Mann, der Provisor in der Apotheke war, ähnlich sehen – und das Ganze kann doch in Ordnung sein.

Das Geheimnis ist wohl dies, daß die Kinder in den allermeisten Fällen ihren Eltern gar nicht ähnlich sehen, sondern daß die Umwelt, die gewisse Gesetze zur Beruhigung des Gemütes und die Gewißheit, daß alles mit rechten Dingen zugegangen ist, braucht, mit Fleiß einzelne an und für sich unbedeutende Phänomene heraussucht, die beiden Parteien, oder richtiger Eltern und Kindern, gemeinsam sind. Das geht so leicht, wenn Vater rothaarig ist und Peter dieselbe Kouleur hat. Mutters braune Augen sind lange kein so gutes Ähnlichkeitsmerkmal, sintemal es viele braune Augen in der Welt gibt. Aber das Prinzip ist dasselbe, ob es sich nun um die Farbe von Haar und Augen, die Form der Nase oder kleine innere Eigentümlichkeiten, wie Reizbarkeit, Lust die Unwahrheit zu sagen, oder Milde und Reinheit in Gedanken, die sie von der Mutter geerbt hat, handelt.

Diese mehr allgemeinen Betrachtungen seien vorausgeschickt, damit der verständige Leser selbst aus dem Folgenden entnehmen kann, welche von den bei den Eltern hervorgehobenen Eigentümlichkeiten sich bei den Busgaardschen Kindern wiederfanden. Dadurch bleibt es dem Autor erspart, ein doch nicht völlig erschöpfendes Bild von etwas so schwer Bestimmbarem wie zwei jungen Mädchen von 18 und 22 und zwei Knaben von 14 und 10 Jahren zu geben.

Vier Kinder gab es also in der Familie Busgaard. Die älteste war Martine Luthera getauft, so genannt nach dem Reformator von Wittenberg. Sie hätte ein Junge werden sollen. Wie erzählt war Busgaard ein bestimmter Mann; er hatte bestimmt, daß er vier Kinder haben wollte, zuerst zwei Knaben, dann zwei Mädchen. Es ging wie es immer geht, er bekam vier und auch zwei Jungen und zwei Mädchen, wie bestimmt, aber die Mädchen kamen zuerst, und doch wollte Busgaard die Namenliste nicht ändern. Der älteste, zu geistlicher Tätigkeit bestimmte Sohn wurde also eine Tochter und zu ihrem eignen Kummer und gegen ihren kräftigen Protest in der Kirche Martine Luthera getauft. Nummer zwei, die wir unter dem Namen Monny kennen, hieß Monradine, genannt nach dem Staatsmann, Krieger und Bischof Ditlev Gothard Monrad; das arme Kind trug sein Geschick mit einer gewissen Ergebung und sprach seinen Namen so aus, daß man glaubte, es sei Konradine. Allmählich gewöhnte sie sich an den flotten Namen Monny, der zu einer Zeit, wo die Engländer mit ihrem Tee, ihren Moden und ihrem Sport die Welt eroberten, ganz angenehm in Monnys Ohren klang.

Schlimmer war es mit den Knaben. Nummer drei hieß Tyrus Dannebod Busgaard, und der jüngste hieß Margarethus. Leser, die dänische Geschichte kennen, werden dies begreifen und möglicherweise verzeihen. Die beiden armen Jungen hatten schon jetzt viel ihrer Namen wegen durchgemacht. Wenn die Eltern nur bedenken wollten, wie wehrlos die ungetauften Kleinen den Namenattentaten ihrer Väter, Mütter und Tanten preisgegeben sind, wenn sie nur bedenken wollten, wie wichtig es ist, daß Kinder zivilisierte Namen bekommen und welch große Bedeutung in einem Namen liegen kann.

Aber es ist fruchtlos hier zu predigen; die Tatsachen müssen sprechen.

Die praktische Folge von Gutsbesitzer Busgaards Bestimmtheit war die, daß seine Kinder nicht so genannt wurden, wie sie getauft waren. Die zu täglichem Gebrauch eingerichtete Namenliste war folgende: Tine, Monny, Tyr und Tut. Das klang etwas affektiert, aber es war der offiziellen Namenliste weit vorzuziehen.

Auf gleichem Fuß mit der Familie und zu dieser gerechnet stand außerdem ein Hund, der Treu hieß, und eine glänzendschwarze Katze, die Knurre hieß, sowie ein landwirtschaftskundiger Verwalter mit Namen Hans Klemmesen. Er war ein Vollblut-Jütländer von dem langschädeligen Typus, der nach dem Vater der jütländischen Bewegung direkt von Walhalls Göttern abstammt und der Prototyp des homo sapiens, d. h. des Menschen ist. Dieser Typus findet sich hauptsächlich in Himmerland und sporadisch in Salling. Mittelgroß, blondgelockt, mit guten festen blauen Augen, die mehr Einfältigkeit vorspiegelten, als ihnen innewohnte, einem Paar starker Fäuste, die einen Pflug festzuhalten verstanden und niemals ein Fünförestück losließen, einem Kindergemüt, das einen Hamburger Börsenjuden sicher und arglos machen konnte, kurz die ganze liebenswürdige Mischung von Vortrefflichkeit und Niedertracht, die den Jütländer zu dem macht, was er ist, in seinen und seiner Gesinnungsgenossen Augen der einzige richtige Däne – in den Augen der andern nichts, denn man soll sich höllisch in acht nehmen, auch nur ein böses Wort über einen Jütländer zu sagen, wenn es einem in der Welt gut gehen soll.

Klemmesen erhielt 1200 Kronen im Jahr und legte 1400 zurück. – Erkläre das wer kann, aber es war so.

Außer den hier erwähnten, zur Familie gehörigen Individuen muß noch einer genannt werden. Ein junger, schöner und in vieler Hinsicht tüchtiger Mann, Ingenieur John Willumsen, der mit dem Furchtbaren, wovon oben die Rede war. Er war wegen einer elektrischen Installation auf den Hof gekommen. Der Gutsbesitzer hatte bestimmt, daß ein altes Mühlenwerk mit dazugehörigem Teich in eine elektrische Kraftstation umgewandelt würde. Dies geschah, und Willumsen kam auf den Hof als Obermonteur und Leiter. Er gewann augenblicklich durch sein ausgezeichnetes Klavierspiel das Herz des Gutsbesitzers. Anfangs waren auch die Mädchen froh darüber, denn so hatten sie Ruhe; aber als der Ingenieur begann die Kur zu machen, schlug die Stimmung um. Tine war fest und sicher an Vetter Thomas verankert; sie betrachtete den Ingenieur mit hellen blauen Augen, in denen deutlich eine Abweisung zu lesen stand. Monny war mehr echtes Weib, ihre braunen Augen sandten den Männern manchen raschen Blick, aber da auch sie – wie wohl bekannt – einen Herzenserwählten hatte, kam in die Blicke bald Zorn und zuletzt Haß. Es kränkte sie, daß der Ingenieur ihr den Hof machte, und er, der die kleinen süßen Eigentümlichkeiten der Frau kannte, glaubte nur: sie wollte sich kostbar machen. Kurz, es kam zum Krieg. Der Ingenieur war arm wie eine Kirchenmaus, verschuldet dazu, wie man in der Stadt meinte, und Monny fand nun heraus, daß er sie ihres Geldes wegen haben wollte. Das machte sie ganz unversöhnlich und je weiter die Zeit vorschritt – der Ingenieur war jetzt drei Monate im Hause – um so mehr spitzte sich die Situation zu.

 

Schlimmer war es, daß Gutsbesitzer Busgaard ganz offen die Pläne des Ingenieurs begünstigte und ihn um der Musik willen gern zum Schwiegersohn gehabt hätte.

So standen die Sachen, als die 2500 Kronen aus dem Sekretär gestohlen wurden.