Czytaj książkę: «Das Buch im Kontext der Medienkonvergenz»

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BRAMANN Basics – buch & medien

Band 5

Hg. von Klaus-W. Bramann und Anke Vogel

Okke Schlüter

Das Buch im Kontext der Medienkonvergenz


Alle Titel der Reihe werden in der Deutschen Nationalbibliografie angezeigt.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet nach Erscheinen detaillierte bibliografische Informationen unter http://dnb.d-nb.de.

© 2020 Bramann Verlag, Frankfurt am Main

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung

Margarete Bramann, Frankfurt am Main

Druck und Bindung

Druckerei TZ-Verlag & Print GmbH

Printed in Germany 2020

ISBN (Print) 978-3-95903-007-6

ISBN (EPUB) 978-3-95903-104-2

DANK

unseren akademischen Mitarbeiterinnen und Hilfskräften Benita Geis, Nicole Fröhlich und Josefine Algieri, die uns sehr engagiert und ausdauernd unterstützt haben.

Dieses Buch wurde möglich durch ein Forschungssemester an der Ryerson University (GCM) und das wunderbare Balzac’s Ryerson Image Arts.

Inhalt

Vorwort der Herausgeber

1Grundlagen und Definitionen: Was macht ein Buch aus?

1.1Einführung: Use Cases

1.2Neuere Definitionen des Buches

1.3Das ›Prinzip Buch‹

1.4Entstehungsprozess Buch

1.5Bedeutung des Buches in der Gesellschaft

2Konvergenzerscheinungen im Medienkontext des Buches

2.1Arbeitsdefinition des Medienbegriffs

2.2Abgrenzung der Medienkonvergenz von der Digitalisierung

2.3Vordenker der Medienkonvergenz

2.4Voraussetzungen für die Medienkonvergenz

2.5Forschungsstand zur Medienkonvergenz

2.6Definition der Medienkonvergenz für die Buchbranche

3Konvergenzdimensionen in der Wertschöpfungskette von Buchverlagen

3.1Technische Konvergenz

3.2Konvergente Nutzung

3.3Konvergente Produktion

3.4Konvergente Vermarktung

3.5Wirtschaftliche Konvergenz

4Konvergenzformen auf der Angebotsebene

4.1Typologien crossmedialer Medienprodukte

4.2Der Verlag als Organisation im Wandel

4.3Nach dem Buch ist vor dem Buch: Anschlussthemen

Anhang

Literaturverzeichnis

#Spotlights

Register

Lösungshinweise zu den Aufgaben

Vorwort der Herausgeber

buch & medien, der Untertitel der Reihe BRAMANN Basics, ist bewusst gewählt. Denn das Buch ist seit jeher in einem medialen Umfeld zu denken, das in Wechselwirkung mit ihm steht. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation sind die Verflechtungen zwischen den Medien vielfach enger geworden. Medienkonvergenz bedeutet: Bisher getrennte Medienbereiche treten auf unterschiedlichen Ebenen zusammen und verändern die Verlagsarbeit im Hinblick auf Produktion und Vermarktung. Sowohl die technische Konvergenz, die neue Geräte hervorbringt, als auch veränderte Nutzungsgewohnheiten bieten Chancen für neue Geschäftsmodelle, deren Risiken aber sorgfältig abzuwägen sind.

In diesem Band unternimmt Dr. Okke Schlüter, seit 2008 Professor für Medienkonvergenz im Studiengang Mediapublishing an der Hochschule der Medien in Stuttgart, eine konzise Analyse der Auswirkungen von Medienkonvergenz auf die Verlagsarbeit und lässt dabei immer wieder Experten aus der Branche zu Wort kommen. Seine Expertise erwarb er sich u.a. in Führungspositionen in Unternehmen der Klett-Gruppe. Schwerpunkte in der Lehre sind neben der Medienkonvergenz crossmediales Produktmanagement, digitale Geschäftsmodelle und DesignAgility (Design Thinking / Innovationsmanagement für die Medienbranche). Darüber hinaus begleitet er vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels angestoßene Innovationsinitiativen.

Okke Schlüters Fazit: Medienkonvergenz hat neue Interaktionsräume für das ›traditionelle Buchgeschäft‹ eröffnet. Weil neue Gerätetypen entstehen und der Content sich vom Medium löst, können Buchinhalte sich frei über die Grenzen von Medien und Oberflächen hinwegbewegen. Die unterschiedlichen Medienpräferenzen einzelner Teilzielgruppen zwingen Verlage dazu, die Inhalte möglichst medienneutral zu entwickeln, um sie dann mit geringstmöglichem Aufwand in der gewünschten Form auszuspielen. Damit hat sich das Verlagsgeschäft von Grund auf verändert: Ein Buch verlegen bedeutet in Zukunft, einen Content zu kreieren oder erstellen zu lassen, um ihn in den von den betreffenden Zielgruppen gewünschten Medien und Formaten zu publizieren. Dabei entstehen sowohl neue Kommunikationsbeziehungen und Diskurse als auch neue Formen der Zusammenarbeit mit externen Partnern.


August 2020 Klaus-W. Bramann und Anke Vogel

1
Grundlagen und Definitionen: Was macht ein Buch aus?

Alle Lehrbücher, Tutorials, Massive Open Online Courses (MOOCs, Online-Lernprogramme) und dergleichen mehr, kurz gesagt alle didaktisch aufbereiteten Materialien, beginnen in der Regel mit einer Definition des Themengebietes oder des betreffenden Phänomens. Auch in diesem Kapitel geht es um Definitionen, unter anderem um die Beantwortung der Frage, was ein Buch eigentlich ausmacht. Da das übergreifende Ziel jedoch ein Handlungsziel ist, dieser Band nämlich dazu beitragen möchte, dass seine Leser erfolgreich in oder im Umfeld der Buchbranche arbeiten, beginnt dieses Kapitel mit einigen typischen Situationen, in denen Bücher bzw. Medien eine Rolle spielen.

Diese Situationen werden hier als #Use Cases bezeichnet, einem Begriff aus der Softwareentwicklung, der eine Reihe von Handlungen umfasst, die die Interaktion mit einem Gegenstand beschreiben und zu einem bestimmten Ziel führen. In den folgenden Use Cases geht es darum, wie verschiedene Nutzertypen Bücher benutzen. Die Nutzer werden als Persona bezeichnet – ein Konzept aus der Marketingpraxis, mit dem typische Nutzer portraitiert werden, die stellvertretend für eine große Zahl von realen Individuen stehen können.

PERSONA

Das Konzept einer Persona wird Alan Cooper zugeschrieben. Sie repräsentiert einige künftige Nutzer eines zu entwickelnden Produktes oder einer Lösung. Die Nutzer werden dabei nach Art eines Steckbriefes in den für den Kontext wesentlichen Eigenschaften beschrieben. Um sie möglichst realistisch zu gestalten, fügt man oft ein Foto, einen Vornamen und weitere fiktive persönliche Details hinzu. (Goodwin 2008)

1.1
Einführung: Use Cases
Persona 1 (f, 25)

Mona (25) postet auf Instagram einen Kommentar zu dem Roman, den sie als E-Book im Urlaub gelesen hat. Der Autor Felix Frasendrescher hat von Mona ein Like bekommen, er hat eine eigene Facebook-Seite, die sie regelmäßig besucht. Einer Freundin wird Mona den Roman in Kürze zum Geburtstag schenken. Dafür wird sie ihn als gedrucktes Buch kaufen, schwankt aber noch zwischen Taschenbuch und der gebundenen Ausgabe. Auf vorablesen.de hat Mona sich bereits mit einem ›Leseeindruck‹ beworben und hofft, für eine Rezension ausgelost zu werden. Ideal wäre natürlich der neue Roman ihres Lieblingsautors, der in Kürze erscheinen soll. Auf der Facebook-Seite des Verlags hat sich Mona am Cover-Voting beteiligt und für einen Coverentwurf gestimmt, den sie bereits als Wallpaper für den Homescreen ihres Smartphones heruntergeladen hat.


Buchcommunity Vorablesen (Quelle: vorablesen.de)

Persona 2 (m, 13)

Leon, derzeit in der 9. Klasse, hat seit jeher ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu seinen Schulbüchern. Einerseits sind sie für ihn der Inbegriff von langweiligem Unterricht. Da die Bücher in der Schule ausgeliehen werden können, muss er auch noch schonend damit umgehen. Andererseits arbeiten zwei seiner Lehrer manchmal im Unterricht mit einem Whiteboard, da werden aus den ödesten Themen plötzlich spannende Geschichten. Die Hausaufgaben müssen dann wieder auf Papier erledigt werden. Für die Klassenarbeiten lernt Leon am liebsten mit Apps, wo immer es welche zum Thema gibt. Trotz seines zwiespältigen Verhältnisses zu seinen Schulbüchern findet Leon es schade, dass er sie am Ende des Schuljahres abgeben muss und sie in den Sommerferien dann nicht zur Verfügung hat. Letzten Sommer wollte ihm sein Onkel mal Mathe erklären, da haben sie eine ganze Weile nach Rechenaufgaben im Internet gesucht.

Persona 3 (m, 49)

Stefan entwickelt als Ingenieur gerade einen neuen Werkstoff für bionische Linsen. Diese kann man wie Kontaktlinsen einsetzen, aber wie ein Display eines Smartphones benutzen. Um einen #Prototypen zu entwickeln, braucht Stefan Angaben zu den Eigenschaften der verwendeten Materialien. Seine Firma hat für solche Fälle eine eigene Fachbibliothek, dort findet er aber nichts zu den Materialien, die er einsetzen möchte. Die Bibliothek hat allerdings einen Datenbankzugang von einem Fachverlag lizensiert. In dieser Datenbank findet Stefan alle Materialeigenschaften, die er benötigt; sie sind zudem immer auf dem aktuellen Stand.

Persona 4 (m, 38)

Guido postet regelmäßig auf seinem Blog Erlebnisse und Eindrücke von seinen Reisen. Über die Jahre sind eine Menge Texte zusammengekommen, z.T. mit Fotos oder Ausschnitten von Landkarten oder Skizzen, wo ein Foto taktlos gewesen wäre. Seine Eltern interessieren sich sehr für seine Reiseberichte, weil sie selbst keine weiten Reisen mehr unternehmen und Guido nicht viel fotografiert. Da sie sich jedoch mit dem Internet schwer tun, können sie das Blog nur lesen, wenn ihnen jemand die Seite aufruft. Guido hat deshalb beschlossen, die fertigen Berichte als Buch drucken zu lassen und dieses seinen Eltern zu Weihnachten zu schenken.


Fanfiction Platform (Quelle: archiveofourown.org)

Persona 5 (f, 19)

Vanessa ist im Erzähluniversum einer Fantasy-Trilogie zuhause. Sie findet es sehr entspannend, sich in dieser Parallelwelt herumzutreiben, gerade in der stressigen Prüfungszeit an der Uni. Für das Treffen der Cosplayer auf der letzten Leipziger Buchmesse hat sie sich extra ein Kostüm ihrer Lieblingsfigur genäht. Leider sind keine weiteren Bände der Trilogie geplant. Vanessa hat aber eine Fanfiction-Plattform entdeckt, auf der sie zusammen mit anderen Fans die Geschichte einfach selbst weiterschreibt.

Persona 6 (f, 57)

Brigitte liest am liebsten gebundene Bücher (Hardcover) zuhause auf dem Sofa und ist stolz auf ihre Bücherwand. Auf dem Weg ins Büro möchte sie die Bücher aber nicht gerne mit sich herumtragen, dort hört sie die Romane lieber als Hörbuch. Das findet Brigitte eigentlich ganz praktisch, aber manchmal ist es mühsam, die Stelle im Buch zu finden, wo sie im Hörbuch aufgehört hat und umgekehrt. Sie versteht außerdem nicht, warum sie das Hörbuch zusätzlich kaufen musste, wo es doch letztlich die gleiche Geschichte enthält wie das Buch.

Persona 7 (f, 41)

Sandra lässt sich gerne durch Kochbücher und die traumhaften Fotos inspirieren. Für den Einkauf benutzt sie dann aber die App des Verlages, weil sie sich damit eine Einkaufsliste für die entsprechende Zahl an Gästen erstellen lassen kann. Auch die Suche mit bestimmten Einschränkungen, z.B. durch Allergien ihrer Gäste, funktioniert digital natürlich viel besser. Beim Kochen selbst stört Sandra noch, dass sie mit ihren oft klebrigen Fingern weder das Buch umblättern noch das Display ihres Smartphones verschmieren möchte.

1.2
Neuere Definitionen des Buches

Die Use Cases im vorangegangenen Abschnitt haben gezeigt, in welchen Situationen und Kontexten Bücher verwendet werden. Damit liegt nun eine Reihe von Beispielen vor, auf die im Verlauf der weiteren Ausführungen Bezug genommen werden kann. Dennoch können sie eine Definition dessen, was ein Buch ausmacht, nicht ersetzen. Eine zeitgemäße Definition des Begriffs Buch ist allerdings eine schwierige Aufgabe, was sich u.a. dadurch zeigt, dass bislang noch keine umfassende publiziert wurde. Die wichtigsten Annäherungen an dieses Problem sollen im Folgenden kurz dargestellt werden, bevor eine Definition für den vorliegenden Band formuliert wird.

Ein Buch-Begriff der Neuzeit, den man schlichtweg nicht ignorieren kann, stammt aus dem Jahr 1964 von der UNESCO. Da diese Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur zuständig ist, fällt eine Definition des Begriffs Buch durchaus in ihr Zuständigkeitsgebiet. Sie lautet folgendermaßen:

A book is a non-periodical printed publication of at least 49 pages, exclusive of the cover pages, published in the country and made available to the public.

UNESCO steht für United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. Es handelt sich dabei um die Organisation der Vereinten Nationen (UNO), die die »Zusammenarbeit zwischen den Völkern in Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit« fördert.

(UNESCO o.J.)

Die Formulierung beschränkt sich auf das Wesentliche und orientiert sich explizit am Printprodukt, was im Jahr 1964 auch nicht verwunderlich war. Dennoch haben auch danach noch lange Zeit Buchdefinitionen überwogen, die sich ausschließlich auf die gedruckte Form beziehen. So bezeichnet Pross das Buch als Sekundärmedium, weil ein Gerät in Form einer Druckerpresse erforderlich ist, um es herzustellen.

Etwa nach der Jahrtausendwende werden auch elektronische Formate berücksichtigt, wenn Rautenberg z.B. von einem materiellen bzw. physischen Objekt oder Speichermedium spricht. Solche Definitionen schließen also neben gedruckten Büchern auch E-Books und andere Digitalformate ein. Arbeiten aus dem Blickwinkel der Semiotik, wie etwa von Franziska Mayer, trennen die Bedeutung der Inhalte (Semantik) von der Bedeutung des Trägermediums. So kommt z.B. beim Geschenkbuch der herstellerischen Ausstattung eines Buches eine eigene Aussage zu. Auch diese Sichtweise bezieht sich aber wiederum auf die Form, in der die Buchinhalte vorliegen. In der Folge wird der Blickwinkel erweitert, wenn z.B. Vogel den Kommunikationsraum des Buchmarktes thematisiert (2011). Breyer-Mayländer (2015) plädiert für einen Blickwechsel, wenn er die Eigenschaften des Buches vor allem vom Produktnutzen her definiert. Alle diese Annäherungen sind schlüssig, jedoch bleiben zwei Aspekte dabei bislang unberücksichtigt:

1. Bücher stellen in aller Regel inhaltlich ein in sich abgeschlossenes Werk dar.

2. Die Dehnung der Buchdefinition mit dem Ziel, alle Erscheinungsformen abzudecken, führt zwangsläufig zur Abstraktion. Solche Definitionen entfernen sich dadurch von der sog. Realdefinition, die die Buchbranche für ihr Selbstverständnis und ihre strategische Arbeit benötigt.


Mediensystematik nach Pross (Quelle: Eigene Darstellung)

In dieser Situation stießen 2010 einige Praktiker aus der Buchbranche bzw. ihrem Branchenverband, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, eine Diskussion an. Parallel zu dem Ringen um eine Buchdefinition in der Wissenschaft sahen auch die Verlagspraktiker die Notwendigkeit, für ihre Neuausrichtung im Rahmen der digitalen Transformation zu definieren, was ein Buch ausmacht. Dieser Vorschlag und der darauf aufbauende Diskurs werden deshalb im folgenden Abschnitt dargestellt.

1.3
Das ›Prinzip Buch‹

Unter einem Buch stellen sich die meisten Menschen spontan ein Printerzeugnis vor. Das hat in erster Linie damit zu tun, dass dies über Jahrhunderte hinweg der einzige Bedeutungsgehalt dieses Begriffes war. Die verschiedenen Bindungsarten und Formate von Büchern waren dabei nicht hinderlich – sie alle wurden unter ›Buch‹ subsumiert. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kamen dann sukzessive weitere Darstellungsformen seines Inhalts dazu:

• Hörbücher geben Printwerke in einem Audio-Format wieder,

• E-Books präsentieren den Inhalt oft bereits existierender Printwerke in Dateiform,

• Lese-Apps und Websites bieten teilweise Printausgaben in digitaler Form, teilweise Auszüge und Bearbeitungen.

Es stellt sich vor diesem Hintergrund also die Frage, was ein Buch in Zeiten der Digitalisierung und der digitalen Transformation genau ausmacht. Die physische und gedruckte Form ist es sicher nicht mehr – was aber ist es dann?

Auch in den Verlagen bzw. bei der Entstehung neuer Werke spielt diese Frage eine Rolle. Welche Darstellungsformen des betreffenden Inhalts sollen entstehen? Erscheint der Titel nur gedruckt, nur digital oder in mehreren Publikationsformen und in welcher Reihenfolge geschieht dies? Viele Buchverlage beschäftigen sich seit Jahren mit der Frage, wie ein zukunftsfähiger Workflow aussehen sollte: Wird zuerst eine Printausgabe entwickelt und anschließend eine digitale Ausgabe? Die Bestrebungen gehen dahin, einen solchen Workflow von der späteren Publikationsform zu trennen. Man entwickelt dann den Inhalt formatneutral oder sogar medienneutral. Schreiben die Autoren dann immer noch ein Buch? Es wird deutlich, dass sich der Bedeutungsgehalt (Signifikant) vom Begriff (Signifikat) – beide Termini nach Ferdinand de Saussure – gelöst hat und der Begriff ›Buch‹ auf verschiedenen Ebenen verwendet wird. Dies gilt im Übrigen analog für die meisten europäischen Sprachen (book, livre, kniga etc.).

Vor diesem Hintergrund hat der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, Alexander Skipis, im Jahr 2010 das Konzept ›Prinzip Buch‹ angeregt und dadurch einen Diskurs eröffnet. Ihm war es daran gelegen, die begriffliche Koppelung des Buches als Publikationsform und dem, was den Inhalt eines Buches ausmacht, aufzuheben. Die Bezeichnung und das Konzept des ›Prinzips Buch‹ lösen sich gedanklich bewusst von der Printform, um unvoreingenommene Überlegungen rund um Zukunftsfragen von Büchern bzw. Buchinhalten zu erleichtern. Der Chefredakteur des Börsenblatts, Thorsten Casimir, hat die Eckpunkte des Konzepts in einem Artikel wiedergegeben:

• Bücher speichern hauptsächlich Sprachzeichen, aber auch Zahlen, Bilder, Noten, Töne und Bewegtbilder.

• Im Hybridfall stellen wir die Verdachtsdiagnose Buch, wenn der das Medium prägende Inhalt durch Schrift codiert wird.

• Die Rezeption von Büchern bleibt an Lesefähigkeit gebunden.

• Bücher sind nach ihrer Erstellung ein abgeschlossenes Werk.

• Sie entstehen bei thematischer Fokussierung des Werkschöpfers.

• Das Produkt wird handwerklich oder maschinell hergestellt.

• Sowohl körperliche Objekte als auch elektronische Speichermedien können Träger des Inhalts sein.

• Bücher entwickeln den Gang ihrer Gedanken und Informationen in der Regel linear.

• Bücher können lineares Erzählen auch verweigern, wobei das Raffinement dann in der Enttäuschung der regelhaften Erwartung liegt.

Ein Beispiel von vielen: der Roman Rayuela von Julio Cortázar, fraglos ein Buch, das aber alternative Lesetracks anbietet.

• Bücher haben einen Mindestumfang, aber keinen gewissen; die UNESCO-Festlegung von 49 oder mehr Seiten ist arbiträr.

• Bücher dienen der Überlieferung, Aufbewahrung und Verbreitung geistig-immaterieller Inhalte.

• Zum ›Prinzip Buch‹ gehört die doppelte Codierung des Handelsgegenstands als Wirtschafts- und Kulturgut.

Casimir 2011

Der Vorstoß und die sich anschließende Debatte sind von existenzieller Bedeutung für die Buchbranche. Versteht man unter ›Buch‹ nur Printwerke, so schrumpft die Branche nach Stückzahlen und Umsätzen. Betrachtet man ›thematisch fokussierte abgeschlossene Werke‹ (s.o.), so wachsen zumindest die Erscheinungs- und Absatzmengen.

Der Vorschlag zum ›Prinzip Buch‹ ist aber weder kommentarlos hingenommen worden, noch hat sich aus der Diskussion eine klare Definition ergeben. Aus einer technischen Perspektive wurde der Content eines Werkes mit Buch gleichgesetzt, der seinerseits in verschiedenen ›Erscheinungsformen‹ – von denen eine das Buch ist – veröffentlicht werden kann. Der Vorstoß war deswegen verdienstvoll und auch hilfreich für den vorliegenden Band, weil er dazu beigetragen hat, ein Problembewusstsein zu schaffen. Das Bewusstsein, dass Wissenschaftler wie Praktiker ihren Gegenstand definieren sollten und dass dies bis auf Weiteres ein Desiderat bleibt.

Was haben das ›Prinzip Buch‹ und die dadurch ausgelöste Debatte nun mit dem Thema des vorliegenden Bandes zu tun? Es spricht nichts dagegen, auch weiterhin von Büchern zu sprechen, auch wenn nicht nur die gedruckte Ausgabe der Inhalte gemeint ist. Man muss sich aber umgekehrt bewusst machen, dass die Inhalte identisch oder in leicht abgewandelter Form in sehr unterschiedlichen Medien angeboten und konsumiert werden können. Wenn in der vorliegenden Publikation der Begriff Buch verwendet wird, ist damit im beschriebenen Sinn vor allem ein in sich abgeschlossenes Werk gemeint, das u.a. als gedrucktes Buch veröffentlicht werden kann.

In Ergänzung zu den vorliegenden Definitionen soll hier nun ein weiterer möglicher Zugang aufgezeigt werden, mit dem man eingrenzen kann, was ein Buch ausmacht. Unter den genannten Blickwinkeln ist er demjenigen von Breyer-Mayländer wohl am ähnlichsten. Er orientiert sich statt am Nutzen aber stärker an den Funktionen eines Buches, was für eine branchenorientierte Darstellung zielführender erscheint. Über die Beschreibung der verschiedenen Funktionen, die ein Buch seinen verschiedenen #Stakeholdern bietet, lässt sich im Endeffekt eingrenzen, was es in der Summe ausmacht.

Die Gesellschaft im Sinne einer Leserschaft, die durch eine gemeinsame Sprache und / oder einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund eine Gruppe bildet, kann als ein wichtiger Stakeholder betrachtet werden. Für eine Gesellschaft erfüllt ein Buch eine Reihe verschiedener Funktionen, die man auch als systemische Funktionen bezeichnen kann. Die Mediennutzungsforschung hat diese Funktionen genauer untersucht, klassifiziert und auch Erklärungsansätze vorgelegt. So besagt beispielsweise der Uses-and-Gratifications-Ansatz (Nutzungs- und Belohnungsansatz) des amerikanischen Kommunikationswissenschaftlers und Soziologen Elihu Katz, dass der Rezipient Medien gezielt auswählt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Dadurch erhalten Medienangebote bestimmte Nutzenmerkmale oder auch Funktionen.

Uses-and-Gratifications-Ansatz (Nutzungs- und Belohnungsansatz)

Ideengeber: Bücher formulieren gesellschaftlich relevante Ideen und Konzepte und regen Diskurse zu den betreffenden Themen an (Sachbuch / Persona Sandra, vgl. 1.1).

Wissensspeicher: Bücher konservieren das Wissen einer Gesellschaft und stellen es für Lernende zur Verfügung (Wissenschaft, Lehrbücher / Personas Leon und Stefan).

Unterhaltung: Bücher erzählen Geschichten und bereiten Vergnügen (Personas Mona und Vanessa).

Ästhetische Funktion: Bücher sind (je nach Ausstattung) Gestaltungsobjekte und tragen dadurch neben der Inhaltsebene auch den ästhetischen Bedürfnissen in der Gesellschaft Rechnung (Persona Brigitte).

Aus Sicht der Produzenten und Anbieter sind Bücher vor allem Wirtschaftsgüter. Die Nutzer stellen streng genommen die wichtigste (oder auch: mächtigste) Stakeholdergruppe dar. Durch ihre Nachfrage, ihre Nutzung und ihre Beiträge zur Refinanzierung entscheiden sie letztlich über die Verfügbarkeit von Büchern und bestimmen die künftige Rolle von Büchern in der Gesellschaft.

Doch auch wenn Autoren und Verlage annehmen, dass es den Käufern primär um die Inhalte geht, schätzen manche Besitzer Bücher auch aus rein äußerlichen, besser gesagt formalen Gründen.

Diese systematische Auflistung verschiedener Funktionen von Büchern, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, grenzt in der Summe ein, was ein Buch ausmacht. Daraus abgeleitet soll für den vorliegenden Band folgende Arbeitsdefinition verwendet werden:

Von einem Buch sprechen wir bei einem Medienprodukt, das sich durch einen in sich abgeschlossenen bzw. stimmigen Inhalt auszeichnet, der zumindest teilweise durch Sprache oder sprachliche Zeichen dokumentiert ist. Dieser Inhalt wurde gemäß den Präferenzen und Anforderungen der Zielgruppen medial aufbereitet. Er kann in einem oder mehreren Medien oder Medienformaten vorliegen. In aller Regel entspricht ein Buch darüber hinaus der Buchdefinition der UNESCO.

Bücher als Wirtschaftsgüter•

Für Autoren und Illustratoren ist ihr intellektuelles Eigentum durch das Urheberrecht geschützt.

Verlage vermarkten im Auftrag der Urheber die ihnen übertragenen Rechte.

Zwischenbuchhändler und Buchhändler stellen die Verfügbarkeit der nachgefragten Bücher sicher. Bibliotheken und Büchereien ergänzen dieses Angebot, allerdings mit anderen Erlösmodellen.

Als Wirtschaftsgüter ermöglichen (kostenpflichtige) Bücher ihren Autoren einen Beitrag zu deren Lebensunterhalt und tragen damit zur Professionalisierung bei.

Als Kompetenznachweis erbringen sie für die Autoren eine Imagewirkung, falls diese Erfahrungsgüter anbieten, deren Qualität oder Wirksamkeit die Kunden erst nach der Nutzung beurteilen können (Berater, Trainer o. Ä.).

Unternehmen verwenden in ihrem Auftrag produzierte Bücher als Imagemedien (Corporate Books).

Auf den Inhalt bezogene Funktionen von Büchern

Sie informieren (Ratgeber, Sachbuch, Fachbuch / Personas Sandra und Stefan).

Sie unterhalten durch Geschichten, Bühnentexte und Gedichte (Belletristik, Kinder- und Jugendbuch / Personas Mona und Vanessa).

Sie dokumentieren persönliche Texte (unveröffentlichter Privatdruck / Persona Guido).

Sie repräsentieren und stützen das Image des Besitzers, wie etwa Regale voller Fachbücher in Arztpraxen oder Anwaltskanzleien (›Kompetenztapete‹).

Formale Gründe für Bücher

Bücher werden zur Einrichtung und Dekoration von Räumen verwendet.

Bücher werden als (Verlegenheits-)Geschenk verwendet.

Bücher sind Sammelobjekte; sie werden wegen serieller Inhalte (vor allem Comics) oder ihrer Ausstattung (z.B. Einband oder Lesebändchen) von Bücherliebhabern gesammelt (›Bibliophilie‹).

Wann ist ein Buch ein Buch? Aus meiner Sicht nicht nur, wenn es als gedrucktes Produkt mit Buchblock und Einband oder als dessen direkte Entsprechung in Form eines eBooks daher kommt. Denn der Begriff ›Buch‹ ist ja viel älter als der unsere Vorstellung noch immer prägende Buchdruck – man denke nur an die vielen ›Bücher‹ in der Bibel. Davon ausgehend, lässt sich jede in sich geschlossene Sammlung von zusammenhängenden, redaktionell aufbereiteten Inhalten als ›Buch‹ verstehen. Nicht Format oder Vertriebskanal, sondern Kuratierung und Zusammenhalt sind die entscheidenden Kriterien. Beliebige Twitter- oder WhatsApp-Textschnipsel machen damit für sich genommen noch kein Buch aus, aber rein digital verbreitete, thematisch geklammerte Sammlungen von Kurznachrichten vieler verschiedener Twitter-User durchaus.

Hermann Eckel, Geschäftsführer tolino media Gmbh & Co. KG