Bankräuberpech

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Bankräuberpech
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Michael Wiechmann

BANKRÄUBERPECH

Krimi

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Handlung und Personen sind frei erfunden.

Jede Ähnlichkeit mit real existierenden Personen wäre daher rein zufällig.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Bankräuberpech

Jeder von uns hat diesen Gedanken vermutlich schon mehrmals im Leben gehabt.

Wäre es nicht schön, immer genug Geld im Portemonnaie zu haben, ohne das es sich leert.

Oder, wenn einem etwas gefällt, es sich dann kaufen zu können, ohne darüber nachzudenken, ob das Geld auch für den Rest des Monats noch reicht?

Die einen würden sich einen Sportwagen kaufen, den sie dann ihren Nachbarn mit erhobenem Haupt präsentierten. Die anderen würden vielleicht eine Weltreise mit der »Queen Mary 2« machen, um für ein paar Wochen den immer wiederkehrenden Ablauf des Alltags zu entfliehen. Oder sie kauften sich ein Eigenheim mit Swimmingpool, welches sie dann ein Leben lang hegen und pflegen würden.

Wie auch immer, es gibt genug Möglichkeiten das Geld schnell auszugeben.

Viele Menschen hoffen jede Woche auf einen Volltreffer im Lotto oder versuchten ihr Glück im Kasino bei einer Pokerrunde. Eine Gewinnchance ist bei diesen Gesellschaften sicherlich gegeben, allerdings gewinnt nicht jeder.

Natürlich kann man auch von früh bis spät arbeiten wie ein Pferd und hat keine Zeit mehr das Geld auszugeben, weil irgendwann Körper und Geist sagen: »Es ist genug, ich will nicht mehr.« Die Arbeitsmaschine Mensch hat an allen beweglichen Stellen des Körpers im Laufe der Jahre gelitten und ist verschlissen. Jede Bewegung schmerzt und der Lebensalltag wird zur Qual. Wahrscheinlich ist nun der Zeitpunkt gekommen, der Arbeitswelt »Auf Wiedersehen« zu sagen.

Vielleicht würde man es schaffen, sich mit dem verdienten Geld noch ein paar Wünsche zu erfüllen, bevor man auf die Hilfe anderer Personen angewiesen ist.

Eine andere Möglichkeit ist es, so wenig wie möglich dafür zu tun, um ein anständiges Polster auf dem Konto zu haben.

Es gibt manchmal Situationen im Leben mit denen man selber nicht rechnet und dann muss sehr schnell die richtige Entscheidung getroffen werden.

Eine Sekunde oder weniger dauerte es nur, bis das Blut vom Herz über die Halsschlagader bis in den Kopf des jungen Mannes schoss. Wie versteinert stand er vor der Kellertreppe. Seine blauen Augen starrten in einen tiefen Raum. Dort unten auf dem Boden lag etwas. Nur ein schwacher Lichtstreifen drang durch die geöffnete Fußbodenplatte hinein in den Keller. Im ersten Moment sah es nach dem Umriss eines menschlichen Körpers aus, mehr konnte er vorerst nicht erkennen. Was sollte er machen? Die Kellertreppe hinunter steigen und nachschauen, ob das Geschöpf, das dort bewegungslos lag, Hilfe benötigte? Der junge Mann hatte nicht viel Zeit zum Überlegen, denn er war in dieses Haus eingebrochen, weil er nach etwas ganz Bestimmtem suchte. Dazu musste er aber in den Keller hinunter, weil vermutlich dort der Gegenstand zu finden war. Das Risiko, dass ihn jemand beobachtete, war groß. Jeden Moment könnte jemand das Haus betreten. Aber seine Neugier trieb ihn an. Er hatte eine Ahnung, wer dieser Mensch sein könnte. Deshalb entschloss er sich nachzusehen, ob seine Vermutung richtig war. Mit zittrigen Knien stieg er die steile Treppe hinab in die Tiefe, den Blick immer auf den Körper gerichtet. Seine Füße tasteten abwechselnd nach den Stufen. Sollte er nur eine kleinste Bewegung erkennen, würde er sofort die Flucht ergreifen. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das schwache Licht. Jetzt erkannte er den Mann. In dem kleinen Kellerraum lag ein Typ, den er vor ein paar Tagen noch lebend auf einer Feier im Dorf gesehen hatte. Vorsichtig, mit der Angst, dass der Mann noch am Leben war, beugte er sich über ihn und legte seine Finger an die Halsschlagader. Jetzt hatte er ein ganz flaues Gefühl im Magen, denn er war nicht mehr am Leben. Ohne Pulsschlag, die Augen weit geöffnet, lag er auf dem kalten Fußboden. Normalerweise würde spätestens jetzt jeder die Flucht ergreifen und die Polizei rufen. Doch dieser junge Mann suchte noch etwas, deswegen war er schließlich hergekommen. Dass der Tote hier lag, passte noch besser in seinen Plan. Seine Blicke schweiften einmal durch den kleinen Raum. Vielleicht war es ja noch da? Nach kurzer Zeit stieg der junge Mann die fünfzehn Stufen der alten Holztreppe wieder empor und verließ das Haus und den einsamen Bauernhof.

Alles fing harmlos an

Nach einem ganz normalen Arbeitstag parkte Henry seinen Pkw wie immer auf dem Hof, schloss die Haustür auf und stieg die knarrende Treppe hinauf in die erste Etage. Seine Wohnung befand sich auf der linken Seite des Treppenhauses. Er schloss sie auf, ging hinein und zog seine Jeansjacke und die Turnschuhe aus. Die Arbeitstasche wurde immer auf einem Stuhl am Küchentisch abgestellt. Alles genauso wie jeden Wochentag. In der Zeit, bis das Teewasser kochte, bereitete er die Teekanne vor. Ein bisschen Zucker hinein und zwei Teelöffel Darjeeling in das Sieb. Er goss das kochende Wasser darüber, bis die Kanne fast vollständig gefüllt war. Es ist nur eine kleine Kanne, für zwei Tassen. Nach drei Minuten »Ziehen« hatte der Darjeeling für ihn die richtige Stärke. Henry goss ihn in ein Teeglas, das er auf der Fensterbank abstellte.

In letzter Zeit schaute er des Öfteren aus dem Küchenfenster. So sinnierte er auch diesmal über das Geschehene nach. Fast jedes Mal musste er an diesen ganz bestimmten Tag denken. Immer wieder stellte er sich die Frage: »Warum bist du damals in diesen Keller gegangen?« Er kämpfte mit seinem Gewissen. Allerdings sagte ihm ein kleiner Teil davon, dass es sich gelohnt hatte.

Seine Augen starrten einfach nur aus dem Küchenfenster und dann fiel er in einen Traum. Erst verschwommen, dann etwas deutlicher sah er den Gemüsegarten und die Hühnerwiese des Bauernhofs seines Nachbarn Herrn Diers vor sich. Ein paar Obstbäume standen verteilt dort drinnen und die Hühner pickten an den herabgefallenen Kostbarkeiten. Herr Diers ist ein kleiner Mann um die 80 Jahre alt mit Glatze und einem dicken Bauch. In einer verwaschenen grauen Latzhose und einem karierten Hemd hackte er Unkraut aus dem Kartoffelbeet. Frau Diers, eine schlanke Person, auch ungefähr in diesem Alter, hatte eine hellblaue Schürze umgebunden. Auf dem Kopf trug sie ein buntes Tuch. Sie saß auf einer Holzbank, die direkt am Haus stand, putzte Karotten und schälte Kartoffeln.

Plötzlich bemerkte Henry einen brennenden Schmerz am kleinen Finger der rechten Hand, mit dem er gegen das heiße Teeglas gekommen war. Deswegen hatte er sich so erschrocken und der Traum wurde sofort beendet.

Die Erinnerung an das Geschehene ließ ihn nicht los, denn es hatte in seinem Leben etwas verändert.

Vor längerer Zeit hatte Henry die Idee, frische Eier vom Bauernhof zu kaufen. Jeden Tag, wenn er aus dem Fenster schaute, sah Henry die freilaufenden Hühner dort drüben. Er hatte von seiner Vermieterin erfahren, dass Frau Diers Eier verkauft.

An einem Sonntagmorgen ging er hinüber auf Diersens Bauernhof, vorbei an der Mistkuhle, die sich mitten auf dem Hof befand. Nun stand er vor der Eingangstür des Hauses. Die bestand aus zwei gleichgroßen Hälften mit jeweils zwei Fenstern. Leicht gebückt, mit seiner Nase fast an der Scheibe klebend, warf er einen Blick hinein. Jedoch war es kaum möglich hindurchzusehen. Die Scheiben bestanden vielleicht aus Milchglas, es konnte aber auch sein, dass sie in letzter Zeit nicht mehr geputzt wurden. Das Holz des Türrahmens war rissig, und die braune Farbe blätterte schon ab. Unsicher drückte Henry auf den weißen Klingelknopf, der mit Tesafilm an der Hauswand befestigt war. Noch nie hatte er mit den Leuten gesprochen. Er war gerade damit beschäftigt seine Frage zu formulieren, als Bauer Diers die Tür öffnete. Mit angenehm ruhiger Stimme fragte der Bauer nach Henrys Wunsch. Henry, der schon das schlimmste befürchtet hatte, fühlte sich gleich wohler, als ein Mensch vor ihm stand, den er vom ersten Moment als sympathisch empfand. Dieser kleine pummelige Mann mit seiner blassen Hautfarbe und der grauen Schlägermütze sah mit ein wenig Fantasie aus wie ein Müller und nicht wie ein Bauer. Henry äußerte sich etwas unsicher, weshalb er gekommen war.

»Guten Tag Herr Diers, ich heiße Henry Kassner und wohne nebenan im Haus von Frau Heinrich. Wenn es keine Umstände macht, möchte ich gerne zehn frische Eier kaufen.«

»Selbstverständlich«, antwortete der kleine dicke Mann und bat ihn herein. Sie gingen durch einen kleinen Vorraum, hinein nach links in den Flur. Am Ende dieses Flures gab es noch eine Tür. Durch diese konnte man in den Garten gelangen, wo auch gleich auf der rechten Seite die Bank stand, die Henry von seinem Küchenfenster aus sehen konnte. Hinter der Tür auf der linken Seite befand sich noch ein Anbau. Es war eine Waschküche mit großem Kessel und Walze, mit der die nasse Wäsche ausgedrückt wurde. Im Winter, wenn der Schnee auf dem Dach der Waschküche lag, zeichneten sich die Fußspuren eines anderen Bewohners deutlich ab. Unter einer Dachpfanne endeten diese plötzlich. Ein Baummarder hatte hier auch sein zu Hause gefunden.

 

Frau Diers stand in der Küche an einem alten Herd aus weißer Emaille, der noch mit Holz oder Kohle befeuert wurde. Sie sah Henry und fragte ihn nach seinem Namen.

»Ich heiße Henry, Henry Kassner.«

Er erzählte den beiden, dass er schon drei Jahre nebenan bei Frau Heinrich wohnte; er aber auch oft bei seiner Freundin Kathrin in Sarstedt sei. Aus diesem Grund würden sie ihn wahrscheinlich noch nicht so oft gesehen haben.

»Von Frau Heinrich habe ich gehört, dass Sie Eier verkaufen.«

»Ja, das stimmt, aber nicht gewerblich, sondern nur an die Nachbarn«, antwortete die Bäuerin mit einem Schmunzeln im Gesicht. »Wie viele möchten Sie denn?«

Henry fiel auf, dass auch die Bäuerin eine Stimme hatte, die überhaupt nicht zu ihrem Alter passte. Sie klang als wäre sie erst dreißig oder vierzig Jahre alt.

»Zehn«, sagte Henry.

Die Bäuerin ging etwas gebückt und langsam über den Flur auf die gegenüberliegende Seite und öffnete eine graue Holztür. Sie schaltete das schwache Licht an. Henry, der ihr gefolgt war, sah vor sich einen Vorratsraum, aus dem sehr kühle Luft herauskam. Frau Diers nahm den Karton mit den zehn Eiern aus dem Regal. Unglücklicherweise rutschte auch ein Glas Marmelade heraus und fiel auf den Fußboden. Henry schnellte ein paar Schritte nach vorn, um es aufzufangen, aber es war bereits zu spät. Auf dem gefliesten Fußboden lag nun das zerbrochene Marmeladenglas mit der Erdbeermarmelade.

»So ein Schiet!«, schimpfte die Bäuerin und holte das Kehrblech und einen Wischeimer. Den Blick auf den Fußboden gerichtet, erspähte Henry eine etwa zwei Quadratmeter große Klappe aus dickem Stahl. Ein kleines Rinnsal Erdbeersaft floss wie ein kleines Bächlein auf den Fliesen entlang und verschwand unter dieser Klappe. Mit etwas Fantasie und Gruselgetue könnte man annehmen, dass es hier spukt.

Nach genauem Betrachten der Kammer fiel das nicht schwer, denn in den Regalen und an den Einweggläsern hatten die Spinnen schon imposante Netze gesponnen. Im schwachen Licht glänzten sie und manche zitterten, angetrieben durch den kühlen Luftzug, der zweifellos von unten aus dem Loch kam. Den Blick zurück auf den Fußboden gerichtet, widmete sich Henry wieder dieser großen Klappe. Dicke Scharniere machten es möglich, sie zu öffnen. An der Wand entdeckte er einen Haken, an dem sehr wahrscheinlich die offene Klappe befestigt werden konnte.

Inzwischen hatte die alte Frau aufgewischt. Henry machte sich Gedanken darüber, was sich unter der Klappe befand und fragte nach. Frau Diers hatte gerade begonnen auf die Frage zu antworten, jedoch fielen ihr anscheinend nicht die richtigen Wörter ein: »Da war früher einmal… ach das ist nicht so wichtig!«

Herr Diers, der inzwischen aus dem Garten zurückgekommen war und mitbekommen hatte, dass Henry nach der Klappe fragte, schaltete sich mit in das Gespräch ein. Er lenkte vom Thema ab und fragte, ob Henry noch einen Wunsch hätte. Es hatte den Anschein, dass er mit der Frage nach der Klappe einen wunden Punkt getroffen hatte. Mit dem Gefühl hier im Moment nicht mehr erwünscht zu sein, verneinte er die Antwort.

Frau Diers übergab Henry die Eier, er bedankte sich, bezahlte sie und wünschte ein schönes Wochenende.

Auf dem Heimweg musste Henry immer über diese Klappe im Vorratsraum nachdenken.

»Was ist wohl da drunter, noch ein Keller, aber warum verhalten sich die Leute so geheimnisvoll«?

Henry war immer neugierig. In diesem Fall wollte er nur vergleichen, ob die Eier von freilaufenden Hühnern besser schmecken, als die aus dem Supermarkt. Einen Unterschied konnte er allerdings nicht feststellen.

Ein Jahr später starb Herr Diers an den Folgen eines Herzinfarktes. Frau Diers schaffte die Arbeit auf dem Hof auch nicht mehr allein. So richtig fit war sie nicht mehr. Aus diesem Grund zog sie zu ihrer Tochter.

Nach einiger Zeit bekam sie eine schwere Krankheit, von der sie sich nicht mehr erholte. Eines Tages las Henry in der Zeitung, dass auch sie in den Himmel geholt wurde.

In den darauf folgenden Wochen gab es immer mal wieder einen Anlass, das Grundstück des Hofes zu betreten. Im Garten stand ein Mirabellenbaum, an dem die gelben Früchte gereift waren, die aber keiner abpflücken wollte. Henry konnte das nicht mit ansehen, da diese leckeren Früchte bald vergammeln würden. Deshalb entschied er sich, wenigstens einen kleinen Teil für sich zu organisieren. Es war ihm bewusst, dass es Diebstahl war, gerade deshalb hatte es einen gewissen Reiz. Auch den Schuppen hatte er eines Tages untersucht.

Das große Schiebetor stand einen Spalt breit offen, sodass Henry gerade hindurch passte. Es standen dort alte Ackergeräte herum, die schon jahrelang nicht mehr im Einsatz gewesen waren. Die lange Zeit hielten die meisten Reifen nicht stand, sodass die Luft inzwischen entwichen war. An den grauen Fachwerkbalken, die im Laufe der Jahre tiefe Risse bekommen hatten, hingen Sensen, die vor sich hin rosteten. Es war ein unheimlicher Ort, die Stille und die verschiedenen Lichtsäulen, die durch das marode Dach ihren Weg suchten, gaben Henry dieses Gefühl.

Es kam ihm alles sehr bekannt vor.

Es erinnerte ihn an seine Jugendzeit. In dem kleinen Dorf, in dem er aufwuchs, spielten die Kinder immer auf dem Bauernhof. In den Ferien sogar den ganzen Tag. Es wurde mit dem Traktor auf das Feld gefahren, die Ernte eingebracht und anschließend in der Scheune oder im Silo eingelagert. Auf dem Heuboden, wo das Heu gestapelt wurde, bauten sie sogenannte Buden. Es wurden die aufgestapelten Heuballen so verändert, dass Gänge und Hohlräume entstanden, in denen ganz geheime Gespräche geführt wurden, die nur die Jungs etwas angingen. So beschloss Henry, dass dieses der richtige Ort sei, seiner damaligen Freundin den ersten Kuss seines Lebens zu geben. Was dann auch nach langer Planung und Überredungskunst erfolgreich gelang.

Ein Geräusch im Dachstuhl beendete die angenehme Geschichte aus der Vergangenheit. Henry schaute nach oben, um der Sache auf den Grund zu gehen. Vielleicht hatte er den Falken verjagt. Oft hatte er ihn beobachtet, wenn er auf dem Dachfirst saß. Oder es war der Marder. Nun wurde es Zeit. Er wollte nicht, dass ihn jemand sah, wenn er auf dem Hof herumlungerte, deshalb verließ Henry das Grundstück erst einmal wieder. Aber bei Gelegenheit wollte er unbedingt noch herausbekommen, was sich unter der Klappe befand, dazu musste er aber in das Haus hinein.

Das Gehöft war jetzt schon längere Zeit unbewohnt. Aus diesem Grund wurde es zum Verkauf angeboten. Der Schwiegersohn, Herr Dammann, wahrscheinlich der Erbe, nahm sich der Sache an. Hin und wieder sah Henry fremde Leute auf dem Grundstück. Anscheinend gab es ein paar Interessenten, aber der Verkauf zog sich hin.

Henry hatte Herrn Dammann einmal auf dem Hof der Diers gesehen und mit ihm über den Verkauf gesprochen.

»Es ist schwierig, so ein altes Gemäuer zu verkaufen«, sagte Dammann. »Ein altes Fachwerkhaus mit kleinen Flügelfenstern, die alle krumm und schief sind, sowiekaputten oder fehlenden Steinen zwischen den Balken. Ein Dach, an dem Stuhl und Ziegel erneuert werden müssen. Die Scheune und der Geräteschuppen haben zwar eine beachtliche Größe, sind jedoch ebenfalls renovierungsbedürftig. Hinzu kommt noch, dass es sehr viel Geld kosten würde.«

Fast hätte Henry ihn noch gefragt, ob sich unter dem Wohnhaus ein Keller befindet. Doch in letzter Sekunde konnte er es sich noch verkneifen. Wenn Bauer Dammann nachgefragt hätte, warum er das wissen wollte, wäre Henry wahrscheinlich ins Stottern gekommen. Es sollte niemand wissen, was er im Schilde führte.

1807 steht in verblichener Farbe auf einem krummen Balken über der Scheune. Darf man das alles einfach abreißen oder muss das Fachwerk stehen bleiben? Oft stehen so alte Gebäude unter Denkmalschutz und dürfen nur aufwendig restauriert werden. Henry wusste es nicht.

*

An den Wochenenden holte Henry immer seine Freundin Kathrin ab und sie verbrachten dieses dann in Schliekum. Sie lebten nun schon fünf Jahre zusammen, mal in Schliekum bei Henry und mal in Sarstedt bei Kathrin. Den letzten Schritt in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen, haben sie aber immer noch nicht gewagt. Von Sarstedt über die Bahnschranken nach Ruthe und weiter über die Leinebrücke nach Schliekum, in einen kleinen idyllischen Ort im Landkreis Hildesheim. Das ist der Weg in das Dorf, in dem Henry schon ein paar Jahre wohnt. Von der Hauptstraße biegt er ab auf eine ganz alte aus Buckelsteinpflaster bestehende Straße. Diese führt genau zu dem Haus, in dem Henry wohnt. Es ist das letzte Haus vor der Leinebrücke.

Der Blick ging automatisch nach rechts auf den Bauernhof, wo Bauer Dammann mit drei fremden Menschen stand. In langsamer Fahrt sah Henry, wie Bauer Dammann einen Ziegelstein an der Hauswand drehte und etwas dahinter versteckte. Dieses konnten die drei anderen nicht sehen, da zwischen ihnen noch ein alter Anhänger stand.

Nun hat Henry schon wieder etwas Neues zum Grübeln. War das vielleicht der Haustürschlüssel? Nun stellte er sich wieder die Frage: Was war in diesem Keller zu finden? Die letzten paar Meter der Fahrt hatte er gar nicht mehr richtig wahrgenommen, seine Gedanken waren ganz woanders und nicht auf das Autofahren konzentriert.

Es war ihm klar, wenn er Kathrin zwischen Tür und Angel erzählen würde, was er vorhatte, dann würde sie überhaupt nichts dazu sagen. Deshalb wollte er abwarten bis ein geeigneter Moment gekommen war.

Angekommen in Henrys Zweizimmerheim fingen sie an, das Abendessen vorzubereiten. Es gab Spaghetti Bolognese. Die Soße war schon fertig, aber sie mussten noch auf die Spaghetti warten, Kathrin stand am Küchenfenster und schaute heraus. Das war die Gelegenheit! Er musste sehr behutsam an die Sache rangehen.

»Ich habe etwas gesehen, worüber ich nachdenke«, sagte Henry in einem so leisen Ton, sodass Kathrin es nicht verstand und nachfragen musste. Inzwischen stand er neben ihr.

»Was hast du denn gesehen?«

»Es kann mir ja egal sein, aber ich bin doch neugierig, was da drüben los ist«. Er hatte ihr vom Eierkauf und von der Klappe im Vorratsraum schon vor längerer Zeit erzählt. Und nun erzählte er ihr, dass er Bauer Dammann gesehen hatte, wie er den Ziegelstein wegschob und etwas dahinter versteckte. Kathrin, die von ihren Eltern gut erzogen worden war, würde es nicht akzeptieren, was Henry da vorhatte. Aber sie kannte seine Gedanken schon.

»Du kannst doch da nicht rüber gehen, das ist ein fremdes Grundstück.« Henry saß inzwischen auf dem Küchenstuhl und antwortete ihr, dass er das nie tun würde, grinste sie dabei aber an.

»Ich bin auch deiner Meinung, aber…, ich weiß selber nicht, ob ich nachschauen soll.«

Doch Henrys Neugier war sehr groß. Vielleicht konnte er Kathrin doch noch überzeugen, denn er benötigte ihre Hilfe.

Am nächsten Tag wurde auf dem Hof von Lampe, einem Bauern im Dorf, ein Fest veranstaltet und man konnte davon ausgehen, dass auch alle anderen Bauern dort anzutreffen waren. Das war eine gute Gelegenheit, den Plan durchzuführen. Bauer Dammann durfte ihn auf keinen Fall dabei stören, deshalb fuhren Henry und Kathrin zum Fest. Sie mussten sicher sein, dass er auch anwesend war. Inzwischen war es Anfang September und an den Abenden wurde es schon etwas kühler. Bauer Lampes Hof lag am Ende des Ortes in nördlicher Richtung. Es standen viele Fahrzeuge auf dem Hof und etliche an der Straße. Henry konnte auch den grauen Mercedes von Bauer Dammann erkennen. Die beiden stellten den roten Toyota Yaris in der Nähe ab und gingen auf das Grundstück.

Henry wohnte nun schon fünf Jahre im kleinen Ort Schliekum, aber zu den Festen dort ging er nicht oft hin. Nur zum Oster- oder Herbstfeuer ließ er sich sehen. Deshalb kannte er auch nur wenig Schliekumer. In seiner Kinder- und Jugendzeit hatte Henry auch in einem kleinen Dorf gewohnt. Inzwischen war dieses eine Stadt mit 15.000 Einwohnern geworden. Die Felder der Bauern mussten weichen und es entstanden dort mächtige Wohnblocks aus Beton. Es zogen fremde Menschen in die Stadt, die man aufgrund der großen Menge niemals alle kennenlernen konnte. Eine Dorfgemeinschaft existierte zwar noch, aber es waren Fremde dazu gekommen. Die Neulinge drangen in die Cliquen ein und verbreiteten Unruhe. Das gefiel Henry überhaupt nicht. Allmählich verschwand auch die Natur rund ums Dorf, die er doch so liebte. Stunden hatte er dort verbracht, auch wenn meistens nur Blödsinn gemacht wurde. Auch das Traktorfahren hatte er in den Wiesen gelernt. Als er dann etwas älter wurde, eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht hatte, gab es zunehmend Probleme mit seinem Selbstwertgefühl, weshalb er immer öfter zum Alkohol griff und deshalb arbeitslos wurde. Nach längerer Krankheit hatte Henry dann wieder eine Arbeitsstelle gefunden und zog um, wieder in ein kleines Dorf mit dem Namen Schliekum, mit viel Natur in der Umgebung.

 

Kurze Zeit später lernte er Kathrin kennen. Ein ungleiches Paar, aber die Beziehung funktionierte, da es doch ein paar gemeinsame Interessen gab. Auch ihre Ansichten vom alltäglichen Kampf ums Überleben stimmten oft überein. Mit 30 Jahren ist sie 5 Jahre jünger als Henry. Kathrin, die morgens joggte, für Henry war das nichts, traf öfter Leute. Welche, die auch joggten oder andere, die mit den Hunden eine Runde durch die Wiesen der Leinemasch drehten.

Ein paar von denen sah Kathrin auch auf dem Fest bei Bauer Lampe wieder. Zu ihrer Freude sahen die beiden auch den ortsansässigen Elektriker Wolle, und auch Bauer Dammann. Auf diesen steuerten sie gleich zu.

»Hallo Herr Dammann, kennen Sie mich noch? Wir haben vor einiger Zeit auf dem Hof Ihrer Schwiegereltern gestanden und haben darüber gesprochen, wie schwierig es doch ist, den Hof zu verkaufen. Erinnern sie sich?«

»Ja richtig, Sie sind doch der junge Mann, der bei Frau Heinrich im Haus oben wohnt, stimmt’s?«

»Genau der bin ich. Und darf ich vorstellen: meine Freundin Kathrin.«

»Oh, ein hübsches Mädchen.«

»Ja danke, das finde ich auch«, sagte Henry stolz.

Henry bemerkte in diesem Augenblick, dass sie nun von mehreren Augenpaaren angeschaut wurden. Auch von zwei Personen, ungefähr in Henrys Alter.

»Das ist mein Sohn Bruno mit seinem Freund Olaf.«

Die beiden Herren machten nicht gerade einen freundlichen Eindruck auf Henry und Kathrin. Bruno, der Sohn mit Seitenscheitel und Schmalzlocke in Blond, in Jeans und Fliegerjacke, den Reißverschluss halb offen, gab zuerst Kathrin und danach Henry die Hand. Die Goldkette, die er trug, fiel sofort ins Auge. Am weißen Hemd hatte er die oberen zwei Knöpfe offen gelassen, so kam das schmucke Kettchen richtig zur Geltung.

»Hey, ich heiße Bruno Dammann«, sagte er: »Und das ist mein Kumpel Olaf Matuschke.«

Olaf, der neben Bruno stand, machte einen etwas ungepflegten Eindruck. Unrasiert, mit langen ungewaschenen dunkelblonden Haaren und mit nicht so korrekt sitzenden Klamotten wie Bruno’s. Er nahm sein Bierglas in die andere Hand und gab den beiden dann ganz höflich seine Rechte zur Begrüßung.

»Hallo«, mehr sagte er nicht und setzte sofort das Bierglas an seine Lippen.

Henry, der immer schnell im Gespräch das Du benutzte, war bei den beiden Herren vorsichtig.

»Wohnen Sie auch bei den Dammanns, Herr Matuschke?«

»Nein, ich wohne in Sarstedt, habe dort eine Wohnung Auf der Lichtung«, erwiderte er.

»Im Plattenbauviertel?«, fragte Henry nach.

»Ja, etwas dagegen?«, sprach er forsch.

»Nein, nein. Entschuldigung! Ich wusste nur nicht mehr genau, ob die Lichtung auch der Name dieses Viertels war«, antwortete Henry.

Bruno, der sich aus dem Gespräch heraushielt, musterte immer nur Kathrin. Henry bemerkte es und beschloss, das sie jetzt lieber gehen sollten, er hatte keine Lust auf Unannehmlichkeiten. Dann verabschiedeten sie sich von den Dammanns und von Kumpel Olaf.

Auch Wolle, Wolfgang Hischler, der Elektriker aus dem Dorf hatte die beiden Kerle gesehen. Henry und Kathrin verabschiedeten sich von den Dreien und gingen noch herüber zu ihm.

»Hallo Wolle, wie geht’s?« Sie kannten Wolle. Er hatte in Henrys Wohnung die Satellitenanlage eingebaut.

»Die Kumpels da drüben sind wohl nicht nach eurem Geschmack?«, fragte Wolle.

»Ich kenne die beiden nicht, aber du hast recht, die sind nicht nach meinem Geschmack.«

Nach einer viertel Stunde Unterhaltung mit Wolle über Arbeit und den nächsten Urlaub verließen Henry und Kathrin das Fest. Da es ein Grillfest war, wurde es wahrscheinlich ein langer Abend.

*

Bruno und Olaf kannten sich schon aus der gemeinsamen Schulzeit. Bruno, der schon immer auf dem Bauernhof seiner Eltern lebte, ging damals auf die Schule in Sarstedt. Er war einer von den Schülern, die immer auffielen. Mal war es das zu späte Erscheinen zur Schulstunde oder das Fehlen einer ganzen. Dafür gab es »Nachsitzen«, welches er dann locker abgesessen hatte. Außerdem klebte er seine Kaugummis unter die Tische und rauchte heimlich auf der Toilette. In den Pausen suchte er sich die Opfer aus, mit denen er seine »Geschäfte« machen konnte. Bruno hatte durch das Mitarbeiten auf dem Bauernhof schon in jungen Jahren eine kernige Figur. Jeder der mit ihm zu tun hatte, traute sich nicht ihm zu widersprechen.

Nun stand er vor Kalle, einen Jungen aus einer unteren Klasse.

»Tolle Uhr hast du, verkaufst du sie mir?«

Kalle, dem das Herz in die Hose rutschte, wusste genau, dass es nur eine richtige Antwort gab. Er merkte, wie ihm die Röte in den Kopf stieg. Aus diesem Grund wurde er unsicher und gab genau die Falsche.

»Nee, die habe ich neu.«

Brunos Gesicht verzog sich sofort in einem finsteren Blick: »Ich würde es mir überlegen, es könnte dir etwas zustoßen.«

Jeder der Bruno kannte, wusste genau, was damit gemeint war. Kalle, der sich nun wieder etwas fing und die Hosen voll hatte, sagte: »Okay, wie viel gibst du mir dafür?«

Bruno antwortete: »Fünf Euro kriegst du, mehr nicht.«

Kalle, der jetzt ein bisschen Angst um seine Gesundheit hatte, gab ihm ohne Widerworte seine Uhr und bekam natürlich auch die Fünf Euro von Bruno. Das waren die »Geschäfte« nach Brunos Art.

Olaf Matuschke, der seit einer Woche in Brunos Klasse ging, hatte das alles aus der Ferne beobachtet. Bislang war ihm Bruno noch nicht in die Quere gekommen, doch am nächsten Tag war es dann so weit. Bruno stand vor ihm und wollte die Uhr von Kalle verkaufen.

»Hast du gar keine Uhr?«, fragte Bruno.

»Nein, habe ich nicht«, antwortete Olaf.

»Ich hab da eine Schöne für Dich!« Bruno holte die Uhr aus der Tasche seiner Jeans und zeigte sie Olaf.

»Zehn Euro, für dich Kollege!«

Olaf runzelte die Stirn.

»Willst du mich verarschen? Habe ich gesagt, dass ich eine Uhr brauche?«

Bruno war völlig überrascht, dass ihm jemand in diesem Ton widersprach, und es ging weiter: »Was meinst du eigentlich, wer du bist? Ich habe dich beobachtet, wie du dem kleinen Kalle die Uhr abgenommen hast, eine prima Leistung war das. Er hatte keine andere Wahl. Jetzt willst du mit mir dieselbe Show abziehen, das funktioniert nicht, mein lieber Junge.«

Bruno kochte innerlich und hatte die Absicht Olaf an den Kragen zu gehen, doch nach genauer Überlegung änderte er sein Vorhaben. Olaf Matuschke hatte zwei Kumpels dabei, die nur darauf warteten, dass Bruno einen kleinen Fehler machte.

»Okay, dann behalte ich eben die Uhr.«

»Na siehst du, geht doch, und wenn deine Temperatur wieder heruntergegangen ist, dann können wir uns vielleicht mal vernünftig unterhalten.«

Einige Zeit später trafen sie sich wieder. Diesmal war der Respekt beiderseitig zu spüren und es kam ein vernünftiges Gespräch zustande. Es entwickelte sich im Laufe der Zeit eine »kleine« Freundschaft, trotzdem ging jeder von beiden vorerst seine eigenen Wege.

Olaf, der seit einer Weile in der Plattenbau-Siedlung wohnte, musste sich dort auch durchsetzen. Hier wohnten Bürger aus vielen Ländern der Welt mit eigenen Ansichten und Kulturen und verschiedener Religionen.

Bei den Jugendlichen herrschte hier schon ein Bandenleben. Olaf, der nicht gerade gut aussah, aber eine dominante Ausstrahlung hatte, wurde hier in Ruhe gelassen. Er hatte sich schon ein paar Mal gut durchgesetzt, in dem er bei den Prügeleien meistens als Sieger vom Platz gegangen war; das sprach sich schnell herum.

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