Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht

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Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht
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Michael Schlinck, Baujahr 69, lebt heute wieder mit seiner Familie in der Südpfalz, in der er auch geboren wurde und aufgewachsen ist. Neben seiner Liebe zum Schreiben entspannt er sich beim gemeinsamen Musikmachen mit seiner Band und natürlich auch mit seinen Kindern beim Kartfahren.

Michael Schlinck

RECHT & UNRECHT

Kommissar Schlemperts zweiter Fall

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die

Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de


Ja, kleine Veroschka, du wirst meine Nächste sein. Ich habe dich aufgenommen, geködert, damit du bald die Meine bist. Auch du wirst mir nicht widerstehen können. Alle, wirklich alle habe ich bekommen, auf dem einen oder dem anderen Weg, aber keine hat mir widerstanden. Auch du wirst bald die Meine sein. Die Zeit, ja, die Zeit wird deinen Widerstand schon brechen und dann kommt sie, meine Stunde. Dann wirst du die Meine sein. Nie in meinem ganzen Leben konnte eine sich zur Wehr setzen. Nie. Und nie ist eine dann wieder von mir gegangen. Alle sind sie noch bei mir. Alle. Entweder gewinnbringend in dem großen Haus oder sie verschwanden. Sie verschwanden so, dass sie kein anderer mehr haben konnte. Immer bei mir. Mit mir vereint auf ewig.

Und nun muss ich erfahren, dass du dich mit ihm triffst, mit einem Vagabund, einem Bastard. Einem, der dir nichts zu bieten hat. Er soll deinen Körper nicht haben, den du mir noch verwehrst. Ich werde dir eine Lektion erteilen. Ich werde dich lehren, was mit denen passiert, die dich ohne meine Erlaubnis, gegen meinen Willen und ohne mich dafür zu bezahlen berühren.

Ich werde ihn dir nehmen, deinen Bastard. Es wird dir eine Lehre sein, kleine Veroschka.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Sonntag

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Samstag

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Samstag

Die Tage danach

Danksagung

Vorausgegangene Pfalzkrimis von Michael Schlinck

Sonntag

Früher, als Teenager, liebte ich es, im Zelt zu liegen und dem Trommeln des Regens auf der Zeltplane zu lauschen, ein Comic in der Hand und zum Nichtstun verbannt. Ganz die Idylle eines Zeltlagers hat das Prasseln des Regens auf dem Dach unseres Wohnmobils nicht, eher hat es mich aus dem Schlaf geholt. Kurz vor sieben und nun muss ich auch noch feststellen, dass meine Blase bis zum Zerbersten gefüllt ist. Doch wer mag schon das kuschelige Bett verlassen, um auf einem Campingplatz durch strömenden Regen das Sanitärgebäude aufzusuchen? Aber es hilft alles nichts. Das Plätschern des Regens hat meinen Harndrang so verstärkt, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, die Austrittsöffnung mit dem Daumen zuzuhalten.

Nun geht es raus aus den Federn und rein in die Pantoffeln. Die Regenjacke über die Schultern, Tür auf und schon peitscht mir der Kölner Wind die Wassertropfen ins Gesicht. Reflexartig schließe ich die Augen und springe somit blind mitten in eine Megapfütze, die sich im Laufe der Nacht vor der Eingangstür gebildet hat. Na super! Meine eigentlich beigefarbenen Pantoffeln haben nun ein homogenes Braun angenommen, meine Pyjamahose bis in Kniehöhe auch. Um mich darüber zu ärgern, bleibt mir keine Zeit, da meine klatschnassen Füße mein dringendes Bedürfnis nun schier unerträglich werden lassen. Also geht es nun xbeinig in kleinen, aber sehr, sehr schnellen Schritten dem Sanitärgebäude entgegen. Als ich endlich die Treppen zur Toilette nach oben eile, kommt ein Lkw mit dem Werbeschriftzug einer hiesigen Brauerei auf den Hof gerollt.

Wesentlich erleichtert stehe ich kurz darauf auf der Empore vor den Toiletten. Unten auf dem Rhein schippert ein Frachtschiff vorbei und die beiden Fahrer des Bierlasters klopfen vergeblich an die Glastür der Rezeption. Nun nimmt einer der beiden sein Handy aus der Tasche und wählt anscheinend die Nummer, die dort für Notfälle hinterlegt ist. Das Szenario verwundert mich allerdings schon etwas. Nicht, dass ich noch nie jemandem beim Telefonieren zugeschaut hätte, allerdings ist es hier der Fall, dass der Telefonierende ein großer, stattlicher und stark pigmentierter Zeitgenosse ist. In mir erweckt er den Eindruck, dass er frisch in Deutschland eingetroffen ist.

Der andere, der mit seinen grauen Haaren, den blauen Augen und der hellen Hautfarbe nach meiner Ansicht höchstens mal im Urlaub das Land verlassen hat, steht daneben. Eigentlich finde ich es schon mehr als ärgerlich, dass mein offensichtlicher Landsmann den armen Immigranten hier zu schikanieren versucht. Nur mein unvorteilhaftes Äußeres hindert mich daran, dem Genossen mal ordentlich Bescheid zu geben.

„Mer sin de Bierkutscher un han ne Leeverung“, sagt der schwarze Mann in astreinem Kölsch. „Is joot, mer wahde an de Rezepzion“, sagt er noch und legt auf.

Daraufhin lässt der andere verlauten: „Kommen? Ich nix verstande.“ Damit redet er mir aus der Seele.

Nun antwortet der Große auch noch in perfektem Hochdeutsch: „Der Rezeptionist wird in wenigen Minuten hier sein.“

Scheißvorurteile! Und tolle matschige Füße! Immerhin haben sie mich vor einer Mordsblamage bewahrt.

Jetzt aber nichts wie zurück ins Wohnmobil, bevor nun jemand von der Rezeption kommt und die Schlammspur zur Herrentoilette entdeckt.

Wie ich so durchnässt ins fahrbare Eigenheim steige, sitzt Natalie, meine wesentlich bessere Hälfte, aufrecht im Bett, begrüßt mich mit den Worten: „Sollst Timo zurückrufen“, und fügt noch hinzu: „Ist wichtig.“

„Na toll, was will der denn?“, fährt es, ohne nachzudenken, aus mir heraus. Aber auch ohne Antwort ist mir klar, dass es Natalie nicht weiß. Bei der Kripo herrscht eben Schweigepflicht und somit sind auch meine beiden Kollegen Timo und Laura, von uns liebevoll Lara genannt, nach Lara Croft von Tomb Raider, daran gebunden.

Um meine beiden Kinder Quendoline und Mike, die oben im Alkoven schlafen, nicht zu wecken, verlasse ich erneut das Wohnmobil, lande wieder in der Pfütze. Glücklicherweise quält mich nicht erneut Harndrang. Wo allerdings soll ich mich unterstellen? Der Blick zur Toilette sagt mir, dass dort der Rezeptionist genervt damit beschäftigt ist, die Treppe zu reinigen. Das kommt als Unterstellmöglichkeit nicht infrage. Also verlasse ich das Gelände und setze mich relativ komfortabel in ein Buswartehäuschen. Was man eben so für komfortabel hält, im schlammigen Pyjama und mit patschnassen Pantoffeln. Aus der Anrufliste wähle ich die Nummer von Timos Diensthandy.

„Kripo Neustadt an der Weinstraße, Außenstelle Landau, mein Name ist Timo Gebauer, einen wunderschönen guten Morgen“, trällert mir mein putzmunterer Kollege entgegen.

„Meine Güte, Timo, könnte ja meinen, dass du bei einer Hotline beschäftigt bist“, bin ich erstaunt.

 

„Ach Dieter, du kennst doch unseren Chef. Der hat uns eine Memo geschickt, wie wir uns ab sofort und auch rückwirkend am Telefon zu melden haben.“

„Okay, ich werde es berücksichtigen. Aber ich werde dich sicher nicht mehr sonntags in der Früh kurz nach sieben zurückrufen, um mir dann Heulers Memoquatsch anzuhören.“ Jetzt bin ich echt angepisst, sitze im durchnässten Schlafanzug in einer Kölner Bushaltestelle, presse den Schlamm durch die Zehen und kann mir den Memoscheiß meines Vorgesetzten anhören.

„Halt, Dieter, nicht auflegen“, höre ich Timo noch am anderen Ende rufen, während ich auf den roten Hörer auf dem Display tippe. Also wähle ich neu und schreie beim ersten Knacken in der Leitung gleich los: „Timo! Wenn du nun nicht den Memoscheiß sein lässt, dann komme ich in die Pfalz und würge dir eine rein.“

Erst dann merke ich, dass mir Timos Stimme von der Mobilbox entgegenträllert: „Kripo Neustadt an der Weinstraße, Außenstelle Landau, Anschluss Timo Gebauer, sprechen Sie bitte nach dem Tonsignal.“

So langsam schwillt mir der Kamm. Beim Auflegen sehe ich noch ein „Eingehender Anruf“ auf dem Display blinken. Also schnellstmöglich wieder ans Ohr mit dem Teil, was sich wie eine Ohrfeige anfühlt. Das „Hallo, hallo“ fällt dementsprechend viel zu laut aus.

Tatsächlich bekomm ich auch ein „Hallo, hallo“ zur Antwort.

„Timo, bist du das?“, rufe ich wieder zu laut.

„Nein“, bekomme ich zur Antwort, „ein genervter Nachbar, der am Sonntag gerne ausgeschlafen hätte.“

Nun entdecke ich den Herren, der oberhalb des Bushäuschens, ebenfalls im Schlafanzug, auf einem Balkon steht. Mit einem Wink entschuldige ich mich, während ich nun wieder ein Gespräch annehme. Dieses Mal drücke ich den richtigen virtuellen Knopf auf meinem Smartphone, um die vertraute Stimme Timos zu vernehmen.

„Wir haben einen Toten“, sagt er dieses Mal ohne Einleitung.

„Wie, einen Toten?“ Nun bin ich etwas perplex. Ich meine, dass ich der Leiter der Arbeitsgruppe Kapitalverbrechen in Landau bin. Doch so ein Kapitalverbrechen kommt bei uns an der Südlichen Weinstraße sehr selten vor. Um genau zu sein, ist unser letzter Mord fast ein Jahr her. Damals wurde meinem Freund Gusti per Spedition die Leiche des Gräfenhausener Ortsvorstandes geliefert. Und seitdem? Seitdem haben wir einige natürliche Tode auf ihre Natürlichkeit geprüft. Auch zwei Suizide haben wir auf ihre Echtheit geprüft. Aber so ein Kapitalverbrechen, das gab es in unserer Arbeitsgruppe nur das eine Mal. Und das konnten wir lückenlos aufklären. Quote einhundert Prozent. Besser geht es nicht!

„Ein Toter eben“, reißt mich Timo aus meinen Gedanken.

„Wie, tot?“, bin ich nach wie vor perplex.

„Na, mausetot.“ Nun ist mein Kollege offensichtlich genervt. „Eine männliche Wasserleiche, Mitte zwanzig, unnatürliche Todesursache, im Auto, Suizid ausgeschlossen.“

Ich verstehe nur Bahnhof: „Eine Wasserleiche im Auto? Wie geht denn das?“

„Na, ein junger Mann, der in einem Fahrzeug im Silzer See versenkt wurde.“

Nun kommt Licht ins Dunkel. Aber warum das kein Suizid sein soll, verstehe ich nicht. „Timo, weshalb schließt du einen Suizid aus?“, frage ich deshalb. „Es ist doch nicht unwahrscheinlich, dass der Fahrzeuglenker als Freitod den Weg ins Wasser gewählt hat. Theoretisch könnte es ja sogar ein Unfall gewesen sein und wäre somit ein Fall für die Verkehrspolizei.“

„Theoretisch ist alles möglich, aber mit ans Lenkrad gefesselten Händen und ans Sitzgestell gefesselten Füßen ist das höchst unwahrscheinlich.“ Und damit hat mich mein Kollege nun auch restlos überzeugt.

Bei der Entdeckung der letzten Leiche war ich mit meinem Sohn Mike beim Kartrennen und dieses Mal sitze ich hier in Köln. Ganz toll. Sicher beobachten mich die Kapitalverbrecher, um genau dann zuzuschlagen, wenn ich außer Landes bin. Ich werde ab sofort aus Sicherheitsgründen den Landkreis nicht mehr verlassen.

Nun beende ich das Gespräch umgehend und denke darüber nach, wie ich meiner Familie beibringe, dass eine sofortige Heimreise unabdingbar ist.

So in Gedanken habe ich die Wandergruppe nicht bemerkt, die inzwischen den Campingplatz verlassen hat und nun von der gegenüberliegenden Straßenseite sichtlich amüsiert mein Outfit bestaunt. Dieser Sonntag geht wohl als mein ganz persönlicher Freitag der Dreizehnte in die Geschichte ein.

Die letzten beiden Stunden im Schoße meiner Familie spotten jeder Beschreibung. Von wegen Familienidylle und so. Aber ein Mordfall ist eben ein Mordfall und basta.

Fakt ist, dass ich nun im ICE Köln-Mannheim sitze und aus dem Fenster des Bordbistros schaue. Bei einer so kurzfristigen Buchung ist eine Sitzplatzreservierung nicht mehr drin, hat es am Schalter geheißen. Und so sitze ich hier und rase mit zweihundertfünfzig Sachen meiner Leiche entgegen. Das Leben kann auch schön sein. Zumindest so lange, wie das Handy nicht klingelt. Meins klingelt. Meins klingelt und vibriert wie ein wild gewordener Rasierapparat. In einer Fortbildung habe ich einmal gelernt, dass man sich auf ein Telefonat erst mental vorbereiten sollte. Das innere Gleichgewicht finden und entscheiden, ob man nun in der Lage ist, ein solches Gespräch souverän zu bewältigen. Schließlich möchte man ja die Kontrolle über so ein Telefonat haben. Der Psychologe von damals hat wohl vergessen, dass wir von der Kripo jedes Gespräch ohne Verzögerung annehmen müssen. Es könnte ein wichtiger Zeuge sein, dem jeden Moment der Mut schwindet. Oder gar ein Opfer, das noch im letzten Atemzug den Namen seines Mörders nennen will.

Also ran, ohne nachzudenken: „Schlempert.“

„Schleeeeempeeeeert“, röhrt die Stimme meines Vorgesetzten Rüdiger Heuler aus dem Telefon. Und der Name Heuler ist bei dem Mann Programm.

„Wie melden Sie sich denn am Telefon? Haben Sie mein Memo nicht bekommen? Kripo Neustadt an der Weinstraße, Außenstelle Landau in der Pfalz, mein Name lautet Dieter Schlempert und ich wünsche einen wunderschönen guten Morgen, heißt das. Und überhaupt. Wo stecken Sie denn eigentlich? In ihrem Revier schwimmt eine Leiche und wer glänzt mit Abwesenheit? Der leitende Beamte.“

„Ja, aber …“, versuche ich mich zur Wehr zu setzen, aber ich höre dann nur: „Wagen Sie es bloß nicht, mich zu unterbrechen. Ich habe diese Ansprache so schön als Solo geprobt. Also, Sie können sich doch bei einem Mordfall nicht …“

Soll er doch sein Solo aufsagen, immerhin kann er mich nicht dazu zwingen, ihm zuzuhören. Mit einem freundlichen Nicken bitte ich meinen Tischnachbarn darum, mein Smartphone im Auge zu behalten, während ich zum Tresen gehe, um mir ein Mineralwasser und ein Käsebrötchen zu beschaffen. Neun Euro achtzig. Sicher bin ich nun stolzer Mitbesitzer der Deutschen Bahn AG. Sonst kann ich mir die Höhe des Preises nicht erklären. Nichts dergleichen. Nur die üblichen Standardpreise im ICE, erklärt mir die freundliche Servicekraft.

Wie ich dann so zum Tisch zurückgehe, muss ich feststellen, dass sich darum eine Menschentraube gebildet hat, aus deren Mitte ich eine mir wohlbekannte Stimme wahrnehme. Es ist die Stimme von Rüdiger Heuler. Langsam wird mir klar, was da los ist. Mein Tischnachbar hat bei meinem Handy den Lautsprecher aktiviert, was eine größere Menschengruppe unterhält. Ich drücke mich durch die amüsierte Menge und greife mein Telefon, während Heuler gerade erklärt, dass ich mein Eigenheim künftig mit Dienstaufsichtsbeschwerden tapezieren könne. Na Mahlzeit, das sind ja tolle Aussichten.

Mit meinem Zeige- und Mittelfinger beginne ich auf das Mikrofon zu trommeln und rufe mit abgewendetem Kopf: „Der Empfang wird furchtbar schlecht. Ich bin ja bald vor Ort“, und lege auf. Geschafft. So schlecht hab ich mich doch gar nicht aus der Affäre gezogen. Auch das unerwünschte Publikum quittiert meine Spontanaktion mit tosendem Beifall.

Mit dem „bald vor Ort“ wird es erst mal nichts. Zehn Minuten später stehen wir wegen auf den Gleisen grasender Weidetiere auf freier Strecke. Kurz darauf gibt es einen Oberleitungsschaden und wieder etwas später müssen wir den Zugführer wechseln, da es dem bisherigen nun endgültig schlecht geworden ist. So kommen wir mit zweieinhalb Stunden Verspätung und vollgekotztem Führerhaus in Mannheim an. Da mein Reiseplan dadurch komplett aus dem Ruder gelaufen ist, bummle ich nun mit der Regionalbahn über Ludwigshafen, Schifferstadt, Haßloch, Neustadt an der Weinstraße Landau entgegen.

Als ich dort ankomme, bräuchte ich erst einmal eine Rasur, doch ich nehme ein Taxi zum Revier. Von dort aus starte ich mit einem alten Opel Kadett E Caravan Streifenwagen, der als Reservefahrzeug für Notfälle hier steht, in Richtung Silzer See. Eins muss man dem betagten Automobil lassen. Die serienmäßige Uhr geht nach wie vor präzise. Und die zeigt sechzehn Uhr achtundzwanzig an, als ich in Silz zum See abbiege. Wenn ich daran denke, dass ich für den Weg nach Köln im Wohnmobil gerade mal dreieinhalb Stunden gebraucht habe, muss ich schon sagen: „Vielen Dank, Deutsche Bahn AG.“

Kaum bin ich abgebogen, stehe ich auch schon an der Absperrung, die vom Kollegen Maier der Schutzpolizei bewacht wird. Er öffnet mir auch umgehend die Barken und deutet mir an, dass ich gleich vorne bei den restlichen Einsatzfahrzeugen parken kann. Nach dem Aussteigen orientiere ich mich zuerst mal.

Beim Abfluss sind Schwimmbarrieren angebracht, hinter denen die Feuerwehr auf Schlauchbooten beschäftigt ist, die Oberfläche abzusaugen. Weiter hinten sind auch noch einige Spurensicherer in ihren weißen Papieranzügen unterwegs. Bei ihnen ist auch eine Fahrzeugspur im Gras zu erkennen. Sie führt über eine abfallende Wiese quer über den geteerten Wirtschaftsweg die Böschung hinunter in den See. Von Laura und Timo ist allerdings nichts zu sehen. Von Rüdiger Heuler glücklicherweise auch nichts. Wen ich nun entdecke, ist mein guter Freund Martin Schneider, der hier sicher der leitende Spurensicherer ist. Somit setze ich mich direkt zu ihm in Bewegung.

Eigentlich kenne ich ihn nicht einmal ein Jahr lang. Beim letzten Mordfall, der ja bekanntlich bisher mein einziger war, haben sich unsere Wege zum ersten Mal gekreuzt. Damals haben wir uns schnell angefreundet, was darin gipfelte, dass meine Familie nach einer Brandstiftung an unserem alten Bauernhaus eine Weile in seinem Ferienhaus gewohnt hat. Dementsprechend herzlich begrüßen wir uns. Leider bleibt uns keine Zeit für private Plaudereien, weshalb ich ihn gleich auffordere, mich auf den aktuellen Stand zu bringen.

Martin berichtet mir also Folgendes: Entdeckt wurde die ganze Sache heut Früh von Oberförster Phillip Hubertus, der uns auch aus dem letzten Fall wohlbekannt ist. Als er bei Sonnenaufgang nach der Pirsch ohne Beute mit seinem Hund den Wald verlassen hat, fiel ihm ein Ölfilm auf dem See auf. Als umweltbewusster Naturmensch hat er sofort die Feuerwehr alarmiert. Die wiederum hat gleich das Wrack des alten Fiat Pandas entdeckt und an Land geholt. Als sie den Inhalt erkannten, alarmierten sie sofort unsere Abteilung und Timo informierte mich. Der Tote war mittels handelsüblicher Kabelbinder mit den Handgelenken ans Lenkrad gefesselt, das wiederum mit Kabelbindern zum Türgriff hin fixiert war. Die Fußgelenke waren auf die gleiche Art mit dem Sitzgestell verbunden. Das Gasgestänge war im Motorraum in Vollgasstellung blockiert. Mit einem Kabelbinder, versteht sich. Beim Getriebe war der erste Gang eingelegt. Die Entfernung der Fundstelle zum Ufer deutet auf eine Geschwindigkeit von ungefähr fünfundvierzig Kilometern pro Stunde hin, was etwa der Geschwindigkeit bei Enddrehzahl im ersten Gang entspricht.

Die Rekonstruktion ergib also folgendes Szenario: Der Fahrzeuglenker wurde bei vollem Bewusstsein im Auto gefesselt, Lenkrad und Gasgestänge wurden blockiert. Anschließend wurde vermutlich das Kupplungspedal mit einer Stange oder etwas Ähnlichem fixiert, welche nach dem Starten des Motors mit einer Schnur durchs offene Fenster gezogen wurde. Und schon ging sie ab, die Post. Holla die Waldfee.

Nun gönnt sich Martin eine Atempause und mir geht das eben Gehörte noch einmal mit geschlossenen Augen bildlich durch den Kopf. Bis hierher ist die Geschichte stimmig, das bin ich aber auch von Martins Analysen gewohnt.

„Weiß man schon, wer unser Toter ist?“, versuche ich den Redeschwall des Spurensicherers wieder in Gang zu bekommen.

„Die Leiche wurde bisher nicht identifiziert. Allerdings hatte sie Papiere einstecken, die auf einen Charles van de House ausgestellt sind. Auch das Fahrzeug hat den gleichen Halter. Es ist im südfranzösischen Toulon zugelassen.“ Nun sprudeln die Informationen wieder aus ihm heraus: „Das Fahrzeug wurde inzwischen zur genaueren Untersuchung nach Neustadt gebracht. Klaus Reuter wird sich in seiner Werkstatt darum kümmern.“

 

Nun saugt Martin wieder Luft in seine Lungen, die er zischend entweichen lässt. Im Gegensatz zu Rüdiger Heuler mag Martin Schneider die langen Monologe nicht.

Aber das hilft alles nichts und so kann ich ihm noch entlocken, dass meine Kollegen ebenfalls nach Neustadt gefahren sind, um Heuler Bericht zu erstatten. Was ich als eine gute Nachricht empfinde, weil ich es nun nicht tun muss.

Es konnten bisher einige Fuß-, Reifen- und Textilspuren gesichert werden. Die Auswertung wird allerdings noch einige Tage in Anspruch nehmen. Auf jeden Fall wird er mich auf dem Laufenden halten.

So mache ich mich auf den Weg nach Hause. Zwischen meinen Zehen krümelt immer noch der getrocknete Schlamm von heute Morgen, da zum Duschen keine Zeit mehr gewesen war.

Als ich in Waldrohrbach die Haustür meines alten Bauernhäuschens aufschließe, rufe ich in alter Gewohnheit ein „Papa ist daheim“ die Treppe nach oben. Doch da die Antwort ausbleibt, wird mir klar, dass meine Familie noch in Köln auf dem Campingplatz verweilt. Meiner Klamotten entledige ich mich im Keller vor der Waschmaschine, stapfe nach oben und lasse mir ein Bad ein. Während das Wasser plätschert, rasiere ich mich noch geschwind.

Heute Morgen war es früh und der Tag war anstrengend. So kommt es, dass ich in meinem herrlich warmen Badewasser einschlafe. Ach, wie ist das schön, wenn man in der Wanne so vor sich hin schlummert. Traumhaft!

Mitten in meinem Traum klingelt es an der Haustür! Es klingelt sogar Sturm. So laut, dass ich davon wach werde. Und was soll ich sagen? Es klingelt tatsächlich Sturm an meiner Haustür. Also das Handtuch um die Hüften und kleine Schaumhäufchen zum Fenster hin verteilen, um dann „Hallo, wer da?“ nach unten zu rufen.

„Pizzaservice“, schallt es zurück. Die Stimme kenn ich. Die habe ich doch erst vor Kurzem gehört. Obwohl ich noch reichlich verschlafen bin, erkenne ich dann doch, dass es Martin Schneider ist.

Nur Minuten später sitze ich im Bademantel mit meinem Freund am Küchentisch.

„Na, wenn ich schon einmal hier in der Nähe bin, kann ich doch auf eine Pizza von Mario nicht verzichten“, sagt Martin und packt zwei Kartons und eine Salatschüssel auf den Tisch, der damit sofort reichlich überladen wirkt. Wer schon einmal im La Rusticana gegessen hat, weiß, was ich meine.

Martin verputzt seine große Pizza restlos und tränkt zum Abschluss sogar noch ein paar Pizzabrötchen im Salatdressing. Ich habe derweil meine kleine Pizza zu einem Drittel gegessen und packe den Rest als Wochenvorrat in den Kühlschrank.

So sitzen wir noch bis spätabends zusammen und plaudern über dies und das, hetzen über den Heuler und erzählen uns Polizeigeschichten. Alles in allem ein schöner und gemütlicher Abend.

Ich habe es getan. Klar, habe ich es getan. Ich würde es immer tun, nur brauchte ich es nie tun. Keine war bisher so widerspenstig wie du. Es war aber auch keine so süß wie du. Dir gehört der Platz an meiner Seite. Eine lange Zeit wirst du ihn einnehmen, den Platz an meiner Seite. Auf dich werden die Kunden noch warten müssen, denn erst einmal wirst du mir gehören.

Und dann musste ich sehen, wie du dich zu ihm geschlichen hast. Wie ihr es im Auto getrieben habt, das musste ich sehen. Wie er deinen jungen Körper berühren durfte, den du mir vorenthältst. Doch damit ist es nun vorbei. Ich habe ihn entsorgt. Fachmännisch. Er hat nun den Weg frei gemacht. Frei für uns, kleine Veroschka. Jetzt steht nichts mehr im Weg. Glücklich wirst du sein, an meiner Seite zu stehen. Jeden Wunsch wirst du mir erfüllen. Jeden!