Czytaj książkę: «Die Schuhleiche», strona 2

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MEIN NEUER FREUND DER HANDWERKER

Nach einem ereignisarmen Sonntag im Schoße meiner Familie bin ich auf dem Weg ins Büro nach Landau. Es ist Montagfrüh kurz vor sieben. Die einzige Neuigkeit im aktuellen Fall ist die E-Mail von Lara mit der Akte zum Einbruch bei der Godramsteiner Spedition. Nichts Spektakuläres. Diebstahl der Mannschaftskasse und allerhand Sachbeschädigung. Wohl eher jugendliche Rabauken als professionelle Einbrecher. Umso wichtiger ist es, dass ich schnell dort hinkomme, um mir selbst ein Bild zu machen.

Schön ist, dass Laras Auto schon auf dem Hof des Präsidiums parkt. Nicht so schön ist, dass es mal wieder wie so oft mindestens zwei Parkplätze belegt. Zur Entschuldigung muss aber auch erwähnt sein, dass sie oft auch für zwei arbeitet.

Auf dem Weg nach oben ins Büro überhole ich sie dann auch schon im ersten Stock, was an ihrem äußerst attraktiven Erscheinen liegt. Der Weg in unser Büro ist für Lara so beschwerlich, weil sämtliche männlichen Kollegen der Schutz- und Verkehrspolizei sie dermaßen mit verbalen Blumensträußen überhäufen, dass es mich regelmäßig wundert, dass sie überhaupt oben ankommt. Zum Glück sind Timo und ich in festen Händen. Somit können wir uns wenigstens auf unsere Arbeit konzentrieren.

Oben angekommen, trifft mich fast der Schlag. In unserem kleinen Großraumbüro sieht es aus wie auf einer Baustelle. Auf den Möbeln sind Plastikplanen ausgelegt und am Boden entlang ist in schön gleichmäßigen Abständen ein Dreckhäufchen. Am Ende der Spur hinter dem Schreibtisch, an dem in der Regel Timo sitzt, kniet ein Arbeiter in einer Latzhose, die den Namen nicht mehr verdient. Zwischen den weit aufklaffenden Löchern ist so viel Gips und Schmutz, dass die Hose sicher auch ohne Inhalt aufrecht stehen bleiben würde.

„Was machen Sie denn hier?“, ist das Einzige, was ich zur Begrüßung meines Gastes über die Lippen bekomme.

„Jesses, bin ich awwer jetzard verschrogge (Gütiger Gott, welch ein Schreck)“, kommt mir in tiefster Eingeborenensprache entgegen. Da ich ja auch im Pfälzerwald aufgewachsen bin, macht mir der Dialekt keine Mühe.

„Ja, was esch dann do los? Ich misst dohin was schaffe (Was ist denn hier im Gange? In diesem Raum müsste ich mein Tagwerk verrichten).“ Damit hoffe ich, ihn zu vertreiben.

„Do sieht’s awwer schlechd aus. Ich muss noch ä Dos setze, schunnschd häb ich Ärcher mit meim Scheff. Kannschd nid noch ä bissel wu annerschd hie geh (Auf die Gefahr hin, dich zu enttäuschen, muss ich sagen, dass mein Anliegen ist, hier noch eine Anschlussdose anzubringen, denn ich scheue die Auseinandersetzung mit meinem Arbeitgeber. Würde es dir denn etwas ausmachen, noch in einer anderen Räumlichkeit die Wartezeit zu überbrücken)?“

Aha, beim Du sind wir inzwischen auch schon?! Das kann ich auch! „Wann du nid drunne in de Zell lande willschd, dann mach, dass du Land gewinnschd! Awwer plödzlich (Wenn du nicht im Arrest zu verweilen wünschst, dann breche deine Tätigkeit ab und dabei würde ich dir Eile empfehlen).“ Das sollte doch jetzt mal Wirkung zeigen.

„Dann schberr mich hald ei. Ich geh nid zu meim Scheff un sach ehm, dass mei Ärwid nid ferdich esch. Un ehr brauchen eich ach nimmi zu beschwere, dass des Internet nid richdich geht (Ich bevorzuge den Arrest anstatt der Möglichkeit, meinen Arbeitgeber darüber ins Bild zu setzen, dass ich meinen Auftrag nicht beendet habe. Zudem werde ich unsere Beschwerdestelle informieren, dass Reklamationen über eine unzureichend funktionierende Internetverbindung aus Ihrem Hause künftig zu ignorieren sind)!“

Deshalb ist der da! Endlich schnelles Internet. Der WLAN-Empfang hier unterm Dach ist mehr als dürftig und deshalb hab ich vor Wochen schon einen Direktanschluss beantragt. Unter diesen Umständen will ich den Dreckspatz natürlich gewähren lassen. „Wann beschd dann verdich (Wann darf ich den Abschluss der Arbeiten erwarten)?“, will ich noch wissen.

„Och, so ä gudes Schdinnel wärds noch dauere (Meiner Erfahrung nach zu urteilen, wäre ein Zeitrahmen von circa sechzig Minuten angemessen).“

Ohne Verabschiedung verlasse ich den Raum. Im Flur vor dem Büro begegnet mir Lara, die es inzwischen geschafft hat, sämtlichen männlichen Personen im Haus, die nicht der gleichgeschlechtlichen Liebe verfallen sind, einen Korb zu erteilen.

„Hallo, Laura, lass uns nach unten gehen. Hier oben haben wir Handwerker.“

„Du wirst, nachdem ich mich an dem ganzen sabbernden Volk vorbeigekämpft habe, nicht von mir erwarten, dass ich mich schon wieder nach unten begebe?!“ Kaum ist der Satz beendet, kommt der ohrenbetäubende Lärm einer Schlagbohrmaschine, die sich in Stahlbeton quält, aus unserem Arbeitsraum. „Gut, lass uns abhauen“, schreit Lara gegen den Lärm an. Fluchtartig wie beim Feueralarm stürzen wir gemeinsam die Treppe nach unten.

Im Erdgeschoss angekommen, bitte ich den Leiter der Schutzpolizei um ein Notquartier, der uns seiner Aussage nach aber nur die Ausnüchterungszelle anbieten kann. Ein schwarzer Montag, wie er im Buche steht.

„Bleib ganz ruhig, Dieter, ich mach das.“ Das ist wohl Laras Auftritt. Ich bin wirklich verblüfft, wie einfach so etwas gehen kann. Nur auf die Frage hin, ob er das wirklich ernst meine, und weil er sich wohl vorstellen kann, wie unangenehm es sein könnte, bei meiner Lieblingskollegin in Ungnade zu fallen, räumt er sein Büro und lädt uns auf unbegrenzte Zeit ein, seine Gäste zu sein.

Kaum habe ich Platz genommen, klingelt mein Handy. Noch während ich mich melde, reiße ich mein Mobiltelefon auf die komplette Armlänge von meinem Ohr weg. Was ich zu hören bekomme, muss wohl das Geräusch eines Presslufthammers sein. Ganz dünn ist auch Timos Stimme zu erkennen. Auf die komplette Armdistanz schreie ich: „Unten im Leiterbüro der Schutzpolizei“, und drücke sofort wieder auf den roten Knopf. Belustigt lächelt Lara zu mir herüber.

Da meine Laune inzwischen ihren Tiefpunkt erreicht hat, lasse ich mich wortlos an dem mir fremden Besprechungstisch nieder und versuche mit geschlossenen Augen, mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren.

„Was ist denn da oben los?“ Mit diesen Worten reißt mich Timo aus meinen Gedanken, in denen ich noch nicht mal begonnen habe, meine To-do-Liste zusammenzustellen.

„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, lieber Kollege.“ In meiner Stimme liegt jetzt der unfreundlichste Unterton, den ich zu bieten habe.

„Entschuldigt, ihr beiden. Ich wünsche euch auch einen guten Morgen! Ich bin nur etwas aus der Spur geraten, als ich das Chaos in unserem Büro gesehen hab!“

„Ach das“, kann ich ihn beruhigen. „Das ist in einer Stunde Vergangenheit. Wir bekommen nur unseren Anschluss fürs High-Speed-Internet.“

„In einer Stunde?“ Warum klingt Timo so aufgeregt? „Das kann ich kaum glauben. Der nette Arbeiter stemmt gerade die halbe Wand auf, da er, wie er sagt, nur ein klein wenig eine elektrische Leitung angebohrt hat.“

Ich hab nun ernste Atembeschwerden. Da hab ich nun in meiner neu gegründeten Abteilung den ersten Fall und werde meiner Arbeitsräume beraubt. Kurz überlege ich, dem freundlichen Herrn einen Besuch abzustatten, verwerfe aber die Idee gleich wieder, um ihm die Möglichkeit zu gewähren, seinen Affront schnell aus der Welt zu schaffen.

So ein Morgen wirft mich total aus dem Konzept. Jetzt ist es längst überfällig, mal was Produktives zu tun! „Timo, wie beginnst du den Arbeitstag?“, versuche ich den ersten meiner Mitarbeiter in die richtigen Bahnen zu lenken.

„Sag was, Dieter. Ach, jetzt hätte ich fast vergessen, dich darüber zu informieren, dass der Wachmann auf dem Flur wartet, um seine Aussage zu Protokoll zu bringen.“

„Gut – das könntest du auch gleich übernehmen, Timo.“ Somit ist der Erste beschäftigt. „Auch der Lagerleiter sollte noch erscheinen, dessen Protokoll könntest du dann auch zu Papier bringen. Ich erwarte von den beiden keine neuen Erkenntnisse, aber bohre sicherheitshalber noch mal nach, ob ihnen noch was auf- oder eingefallen ist.“

Nun wende ich mich an meine Kollegin: „Laura, melde du uns bitte bei der Spedition an. Dann fahren wir beide nach Godramstein und versuchen herauszufinden, wie die Leiche in die Kiste auf der Palette kam.“

„Schau mal da“, meldet sich Timo, der damit beschäftigt ist, einen Computer auf das Protokoll vorzubereiten.

„Was hast du denn? Haben die Kollegen der Schutzpolizei den Bundesinnenminister als Hintergrundbild auf ihrem Bildschirm?“, versuche ich einen Witz zu machen.

„Nee, aber ich sehe, dass die Kollegen in Annweiler heute Früh schon eine Vermisstenanzeige aufgenommen haben.“

Jetzt ist meine Neugier geweckt. Schon stehe ich hinter Timo und überfliege die Anzeige, die er auf dem Bildschirm hat. Peter Wagner, männlich, 52 Jahre, römisch-katholisch, verheiratet, ohne Kinder, im Ruhestand, Ortsvorstand von Annweiler-Gräfenhausen, steht in der Kurzbeschreibung.

„Das könnte unser Mann sein“, meine ich. Das Alter würde ja passen.

Lara, die gerade ein Telefonat beendet hat, kommt auch zu uns zum Monitor. „Die Geschäftsführer der Spedition Bock können uns leider erst nach 10 : 00 Uhr empfangen, da sie noch auf einem Außerhaustermin sind“, informiert sie uns.

„Kein Problem“, sag ich. „Wir fahren trotzdem gleich los und schauen in der Annweilerer Inspektion vorbei. Mit etwas Glück können wir dort unsere Leiche identifizieren.“

Ich schnappe mir meine Jacke und Lara, wie soll es auch anders sein, kontrolliert das Magazin ihrer Dienstwaffe. Eigentlich ist in unserem Job das Tragen einer Waffe und einer geschossabweisenden Weste Vorschrift. Aber ich mag das Zeug nicht mit mir herumtragen. Zudem ist meine Waffe oben in Schrank eingeschlossen und da will ich wirklich jetzt nicht mehr hochlaufen.

Im Hof fällt mir erst jetzt der alte, verbeulte Kombi mit der Aufschrift „Willi Schnutz Hausmeisterei aller Art“ auf. Und just in dem Moment schüttet ein mir bekannter Arbeiter zwei Eimer Bauschutt, die sicher aus meinem Büro stammen, in den offenen Kofferraum.

„Isch des alles aus meim Büro (Mag es den Tatsachen entsprechen, dass der Inhalt der beiden Eimer bisher Bestandteile meiner Arbeitsstätte waren)?“, rede ich ihn an.

„Hä??? (Entschuldigen Sie, Ihre Ansprache hat mich dermaßen überrascht, dass ich den Inhalt Ihrer Frage gar nicht wahrgenommen habe)“, entgegnet er.

„Kumm loss (Ich bin leider etwas unter Zeitdruck. Deshalb werde ich mich später nach den Fortschritten Ihrer Arbeit erkundigen)!“

Ohne weitere Konversation wende ich mich ab und gehe zu meinem Dienstwagen.

Um diese Zeit ist es ein Leichtes, Landau zu verlassen. Reinzukommen ist deutlich schwerer, da der ganze Berufsverkehr in Richtung Innenstadt rollt.

Wir haben von der Wache aus innerhalb von fünf Minuten die B10 erreicht und stellen weitere zehn Minuten später den Mini in Annweiler vor der dortigen Wache ab.

WIEDERSEHEN MIT MEINEM EX-KOLLEGEN

Am Infoschalter beim Eingang sitzt Karlheinz Müller. Mit ihm war ich früher, als ich noch als Schutzpolizist eingesetzt war, regelmäßig auf Streife. Unzählige Nachtdienste haben wir zusammen verbracht. Mit unseren gemeinsamen Erlebnissen könnten wir Bücher füllen.

„Servus, Kalle, wie geht es dir?“, begrüße ich meinen Kollegen aus alten Tagen.

„Ach nee, der Didi. Was treibt dich denn zu uns in die Provinz?“, lacht er mich an.

„Dienstlich, Kalle. Dienstlich. Wir haben gestern in Hauenstein eine männliche Leiche gefunden. Jetzt hab ich heute Morgen gesehen, dass ihr eine männliche Person vermisst. Wenn ich eins und eins zusammenzähle, könnte das doch zusammenpassen.“

„Kommt erst einmal rein“, sagt Karlheinz und drückt auf den Türöffner. Nachdem wir die Eingangstür passiert haben, trennt uns nur noch ein hoher Tresen von ihm.

„Nur herein in die gute Stube“, lädt uns der große, vollbärtige Mann ein und zeigt dabei auf die Schwingtür, die in den Tresen integriert ist. Gerne nehmen wir das Angebot an und sitzen wenig später in dem geräumigen, hellen und freundlichen Büro.

„Lass mich noch schnell Kaffee holen, dann können wir in Ruhe reden“, sagt Karlheinz und verschwindet hinter einer Tür.

Jetzt scheint dieser Morgen nun doch eine Wende zum Guten zu nehmen. Ein gemütlicher Plausch mit einem ehemaligen Kollegen. Dazu eine schöne Tasse Kaffee. Ach, wie wohl ich mich doch fühle. Karlheinz hat an alles gedacht. Auf seinem Tablett ist alles, was mein Herz begehrt: dampfender Kaffee, Milch, Zucker und sogar eine ganze Schüssel Gebäck.

„Sag mal, Didi, liest du eigentlich deine E-Mails?“, fragt er zu meiner Verwunderung.

„Heute noch nicht. Du musst wissen, dass ich einen Handwerker im Büro habe, um mein Internet zu richten“, sag ich, während ich mir einen Kaffee eingieße.

„Deshalb weißt du nicht, dass deine Leiche unsere vermisste Person ist? Er wurde auf der Pathologie identifiziert.“

Haben die wirklich schneller gearbeitet als ich? „Wie haben die das herausgefunden?“ Jetzt bin ich schon neugierig.

„Na, sagen wir mal, dass sie eins und eins zusammengezählt haben. Als sie heute Morgen die Leiche obduzieren wollten, haben sie in der Kleidung sein Handy gefunden. Also hat der Arzt einfach ein Ladegerät angeschlossen und sich selbst angerufen. Mit der Rückwärtssuche im Internet kam er auf Peter Wagner.“

Schei … Das Telefon. Jetzt ist wieder so ein Moment, in dem ich sämtliche Kontrolle über meinen Körper verloren habe. Meine Kinnlade hängt so tief, dass mein Gegenüber ohne Anstrengung die gesamte Arbeit meines Zahnarztes in Ruhe begutachten kann. Kann man so blöd sein wie ich? Da erzählt mir noch der Wachmann, dass der Warnton des schwachen Akkus ihn erst auf die Leiche aufmerksam gemacht hat, und ich komm nicht auf so eine simple Idee, den Akku zu laden. Jetzt bin ich mir ganz sicher, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann! Erst der Chaot in meinem Büro, der sich Handwerker schimpft, und nun bin ich noch blamiert bis auf die Knochen. Insgeheim wünsche ich mir, dass sich eine Grube auftut, in der ich versinken kann.

„Mach dir nichts daraus“, tröstet mich mein ehemaliger Kollege, „wir haben doch alle schon mal was übersehen.“

„Ist die Identität schon bestätigt?“, versuche ich leise meine Sprache wiederzufinden.

„Meine Kollegen sind gerade mit Frau Wagner auf dem Weg in die Pathologie“, sagt Karlheinz.

„Wann kann ich mit ihr reden?“ So langsam erholt sich meine Stimme.

„Ich denke, dass sie am Nachmittag wieder zu Hause sein wird. Ich habe heute Morgen die Vermisstenanzeige aufgenommen. Ich hab sie hier, wenn du sie lesen willst.“

Klar will ich das. Viel steht nicht drin, aber was drinsteht, macht mich neugierig. „Hier steht, dass Frau Wagner ihren Mann vor über einer Woche zum letzten Mal gesehen hat. Warum meldet sie ihn dann jetzt erst vermisst?“

„Weil sie mal wieder die ganze Woche bei ihrer Mutter war. Es ist, nein besser, es war so, dass es Peter Wagner mit der Treue nicht so genau nahm. Und jedes Mal, wenn er nachts nicht nach Hause kam, packte seine Frau ihren Koffer und ging zu ihrer Mutter. Spätestens zwei bis drei Tage später stand er dann vor ihrer Tür und bekniete sie, wieder nach Hause zu kommen. Dieses Mal war es anders. Er kam nicht. Dann ist sie eben in das gemeinsame Haus, um nachzuschauen. Als sie dann sah, dass seit letztem Montag weder der Briefkasten geleert noch der Anrufbeantworter abgehört wurde, bekam sie es mit der Angst zu tun und hat bei uns eine Anzeige erstattet. Den Rest kennst du ja.“

„Was muss ich über Peter Wagner wissen?“, interessiert mich als Nächstes, während Laras Handy einen Gong von sich gibt. Sie drückt darauf herum und liest dann angestrengt etwas auf dem Display.

„Also, er war Ortsvorsteher von Gräfenhausen. Da Gräfenhausen eigentlich ein Stadtteil von Annweiler ist, nannte sich sein Amt eben nicht Ortsbürgermeister, aber seine Aufgaben waren vergleichbar. Er hatte das Amt inzwischen seit mehr als elf Jahren inne, was bedeutet, dass er trotz heftigem Widerstand seiner Gegner schon zum dritten Mal wiedergewählt wurde.“

„Gegner?“ Hier muss ich nachhaken. „Wie kann ich mir das vorstellen?“

Kalle nimmt einen großen Schluck aus seiner Tasse. Der Kaffee hat inzwischen eine angenehm trinkbare Temperatur erreicht, allerdings ist mir immer noch der Appetit vergangen.

„Wie es eben überall in der Kommunalpolitik üblich ist“, fährt er fort. „Wie du dich vielleicht erinnerst, war ich bei uns in Spirkelbach ja auch mal im Gemeinderat. Sicher weißt du auch noch, warum ich damals zurückgetreten bin.“

„Ach, du meinst die Sache mit deinem Schwager damals. Hat sich das wieder eingerenkt mit euch?“, kann ich mich entsinnen.

„Nein, er hat seitdem kein Wort mehr mit mir und seiner Schwester geredet. Selbst seinen Kindern hat er Prügel angedroht, falls sie sich mit uns abgeben“, sagt Kalle verärgert.

Die Sache verhielt sich damals folgendermaßen: Der Schwager erstand von einer verwitweten Bäuerin ein Sumpfgebiet für einen Apfel und ein Ei. Dann wollte er die Fläche als Industriegebiet verkaufen. Da das Sumpfgebiet allerdings Wasser- und Naturschutzgebiet war und sicher auch noch ist, musste er seine Pläne begraben. Die Schuld schob er natürlich Karlheinz in die Schuhe. Wozu hat man denn einen Schwager im Gemeinderat, wenn er einem noch nicht einmal ein Industriegebiet auf dem kurzen Dienstweg durchdrückt.

Nachdem Karlheinz sich noch einen Kaffee eingeschenkt hat, redet er weiter: „In Gräfenhausen gibt es auch zwei Lager. Zum einen das von Peter Wagner, das auf Tourismus setzt und auf einem großen Gemeindegrundstück am Waldrand gerne ein Wellnesshotel errichten würde, und dann die Opposition, die das Gemeindeheil in Ökostrom sieht und auf dem Gelände einen Solarpark plant. Brisant ist die Sache auch dadurch, dass Peters Bruder, der auch im Ortsrat sitzt, Inhaber eines Reiseunternehmens ist und reichlich von einem Hotel profitieren würde. Der Erste Beigeordnete und Oppositionsführer Gerhart Jung ist allerdings Produzent von Solarpaneelen. Der könnte sich an einem Solarpark eine goldene Nase verdienen.“

Das sind schon reichliche Informationen, die ich hier zu hören bekomme. Fast hab ich meine schlechte Laune schon vergessen. Aber verzeihen kann ich mir den Fehler mit dem Handy noch nicht.

„Kalle, eins würde mich schon noch interessieren. Du sagtest, dass es Wagner wohl mit der Treue nicht sehr genau nahm. Käme die Frau als Täter infrage?“

„Ausgeschlossen!“, sagt der Mann in Uniform energisch. „Mathilde, äh, ich meine Frau Wagner ist ein sehr zartes Wesen und ganz sicher nicht zu so einer Tat fähig.“

„Was macht dich so sicher? Kennst du Frau Wagner näher?“ Das will ich jetzt aber genauer wissen.

„Nein, natürlich nicht!“ Ist da mein Ex-Kollege etwas nervös? „Peter war schon in der Kommunalpolitik, als ich auch noch aktiv war, und da habe ich das Paar kennengelernt. Und heute Morgen hab ich noch die Vermisstenanzeige aufgenommen.“

Da ich nun genug Informationen und Eindrücke gesammelt habe, verabschiede ich mich von Karlheinz Müller. Lara tut das ebenfalls und erst jetzt fällt mir auf, dass sie während unseres gesamten Aufenthalts nur „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ gesagt hat.

Noch auffälliger ist, dass Kalle kein Auge auf Lara hatte. Auch wenn er schon etwas älter ist, ich hab nur selten einen Mann erlebt, der Lara dermaßen ignoriert.

Jetzt, wo wir wieder im Auto sitzen, findet sie auch ihre Sprache wieder: „Der Timo hat mir ne SMS geschickt, dass er deine E-Mail-Adresse auf den Rechner unseres provisorischen Büros umgeleitet hat. Und er hat geschrieben, dass du eine Mail bekommen hast, dass unsere Leiche voraussichtlich identifiziert ist. Du, Dieter, das mit dem Handy tut mir leid. Die Spur hätten Timo und ich als Erstes prüfen sollen. Ich hoffe, dass du deshalb keinen Ärger bekommst.“

„Papperlapapp. Ich bin euer Chef und hab somit die Verantwortung. Ich hab das verbockt und werde notfalls auch die Konsequenzen tragen. Aber bis dahin wollen wir mit guter Arbeit glänzen!“

Lara legt den Arm um mich und drückt mich. Eine Geste, die mich sehr freut, obwohl das Halfter ihrer Dienstwaffe mir dabei heftig in die Rippen kneift.

„Was hältst du von den ganzen Infos?“, will ich von ihr wissen.

„Gut, den Solarpaneelen-Jung sollten wir mal durchleuchten. Der scheint ja ein Motiv zu haben“, ist ihr erster Tipp.

„Das ist richtig. Aber auch etwas dünn. Anschauen werden wir ihn auf jeden Fall“, ist meine Meinung. „Und weiter?“

„Das Liebesleben des Opfers könnte uns auf eine Spur bringen.“ Ihr Tipp Nummer zwei.

„Sehr gut! Eine eifersüchtige Geliebte oder sogar ein gehörnter Ehemann hätten auch ein gutes Motiv. Nur scheint keine seiner Konkubinen bekannt zu sein, sonst hätte es Karlheinz sicher erwähnt“, gebe ich zu Protokoll und schaue meine Kollegin fragend an.

Sie zuckt mit den Schultern. „Sonst fällt mir nichts ein.“

Mir fällt da schon noch was ein, das ich überprüfen will, aber ich spreche es nicht aus. Ich will ja nicht einen ehemaligen Kollegen in die Pfanne hauen.

Inzwischen sind wir längst wieder auf der B10, dieses Mal in Richtung Landau, und nehmen dann die Abfahrt Godramstein. Übrigens dieselbe Abfahrt, die ich auch nehmen würde, um in die Wache zu kommen.

Die Spedition Bock liegt sehr verkehrsgünstig zwischen der B10 und Godramstein und ist somit auch nur einen Steinwurf von der A65 entfernt.

Auf der straßenzugewandten Seite gibt es eine Laderampe, die sich am ganzen Gebäude entlangzieht. Auf der Rampe sind Tore, die von 1 bis 24 durchnummeriert sind. Bei der Anzahl der Tore werde ich unweigerlich an die Adventszeit erinnert. Hinter jedem Tor könnte man eine schöne Überraschung verstecken.

Ich entscheide mich, rechts an der Halle vorbeizufahren. Für mich als Autofan eine gute Entscheidung. Etwas versteckt in einer Nische des Gebäudes steht ein McLaren F1. Eine ultraflache Flunder mit einem Zwölfzylindermotor von BMW, der 627 Pferdestärken auf die Kurbelwelle stemmt. Aber das Schönste an dem Auto ist die Sitzposition. Der McLaren ist als Dreisitzer ausgelegt, wobei der Fahrer in der Mitte des Fahrzeuges sitzt und die beiden Mitfahrer rechts und links etwas nach hinten versetzt Platz nehmen können.

„Ich dachte, dass die Speditionen alle am Rande des Ruins sind. Und dann stehen bei denen trotz hoher Spritpreise und Mautgebühren solche Autos herum.“

Ist Lara etwa neidisch? Mir ist das eigentlich egal. Ich parke meinen Mini direkt neben dem F1 und zücke gleich nach dem Aussteigen mein Handy und mache ein paar Bilder. Das schönste davon schicke ich gleich an Gusti mit dem Text: „Endlich ist mein Neuer da. Mini geht in Zahlung.“

Darmowy fragment się skończył.

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