Czytaj książkę: «Mein Freund Sisyphos», strona 3

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Die Suche nach mir

Auf dem schmalen Wanderweg in den Bergen der Insel bin ich seit der Ewigkeit einer gefühlten Stunde keinem Menschen mehr begegnet. An einem flachen Abschnitt bleibe ich für ein kurzes Verschnaufen stehen, blicke versonnen in die Weite. Noch ein Stück bergauf, am Gipfel, ich weiß es, wird das Panorama über die Insel und das Meer grandios sein. Schon hier geht mir das Herz weit auf. Die dunklen Wolken in meinem Inneren lösen sich wie in einem tiefen Seufzer auf.

Ein breiter Felsvorsprung, ein Daumensprung seitlich im Bild, versperrt die Sicht auf den kleinen Bergort, an dessen Rand mein Haus steht. Ich befinde mich auf der Suche nach mir selbst, nicht nur auf dieser Wanderung, nein, seit ich wieder auf der Insel bin.

Vorgestern, am Nachmittag, die Sonne durchflutete das Zimmer mit strahlender Helle, fiel mir dieses bestimmte, in unserem Zirkel damals auf dem Index stehende Buch in die Hand. Ich zögerte, und das Zögern war eine Mischung aus einem Hauch schlechten Gewissens und aufsteigender Vorfreude auf den Text. Schlage ich das Buch auf, wird es mich auch heute noch in Schwingungen versetzen mit seiner Sprache und dem hohen Niveau?, fragte ich mich. Ein Grinsen beendete die temporäre Sperre, ich folgte meinem Gefühl, sagte mir, ein Sonnenstrahl sei es gewesen, deren goldener Finger Die Bereinigung aus der Regalwand pickte.

Erst am Abend, auf dem kleinen Tisch neben mir ein Glas Rotwein – auf der Insel war ich ein Rotweintrinker! – nahm ich Eustachius’ Buch, das es seinerzeit über Nacht zum Bestseller brachte, schlug es auf und begann nach schnellem, fast aufgeregtem Blättern zu lesen.

Ich las den Text, der gerade mal knapp über zweihundert Seiten umfasste, nicht zum ersten Mal, war also vorbereitet auf die harte Kost, die bedrückenden Szenen und Bilder, die einem sofort unter die Haut schlüpften. Die Bereinigung war das erste Buch von Eustachius, den FvF persönlich als MH Wagatha, ich beim Erscheinen des Romans nur vom Hörensagen kannte. Eustachius, der nicht nur mit diesem Buch, sondern auch mit seinen nachfolgenden Büchern für Furore sorgte, mit ihnen ein neues Genre begründete, das bald Future Fiction benannt wurde. Obwohl wir davon ausgingen, dass MHW aus Zorn schrieb, wir seine plötzliche, wie aus dem Nichts kommende Popularität überhaupt nicht gern sahen, sogar richtig fürchteten, seine Texte als vage, aber gleichwohl deutliche Anspielungen, sie darum als Fehdehandschuh betrachten durften, wurde das glücklicherweise allein nur in unserer Wagenburg so gesehen. Es war uns alles andere als eine Freude, dass MHW für beinahe jedes seiner Bücher mit irgendeinem Preis ausgezeichnet wurde.

Was haben die, die den Text eines fiktiven Romans besser zu verstehen glauben als der Autor selbst, alles über Die Bereinigung geschrieben? Die wichtigsten Kritiken, die seriösen Besprechungen in den großen Zeitungen, habe ich alle gelesen, nur wenige, die unverfänglichen, an Fabian weitergegeben. Wer, so wie ich, das Buch mit dem richtigen Hintergrundwissen las, meinte trotz des Nebels der vielen Worte das eigentliche Wollen zu erkennen. Und ich konnte nachvollziehen, weshalb FvF die latente Beunruhigung durch den ehemaligen Kollegen und Freund fürchtete. Seine nächsten Bücher kamen für uns jedes Mal als ein Beweis dieser bösen Ahnung.

In der unmittelbaren Folge der Bereinigung ließ ich mir von einem IT-Mitarbeiter bei FinCon, einem Inder, einen anonymen Blog einrichten, das heißt, ich wollte möglichst verhindern, dass ich erkannt wurde. Fabian wusste davon und ließ mich gewähren. Ich weiß, meine kurzen Aphorismen im Stil eines niveauvollen Colloquiums zu genau ausgewählten Textstellen der Bereinigung amüsierten Fabian. Sibil hat es mir erzählt.

Wenn ich am späteren Abend im gedämpften Licht am Laptop saß, ein Glas Whisky auf dem Tisch, dann machte mir das Schreiben richtig viel Spaß. Der Whisky beruhigte meine Dämonen und regte mich zu geistigen Sprüngen an. Ein zweites Glas war aber schon zu viel, fand ich heraus. Übrigens, dieser Blog sollte uns später noch von gutem Nutzen sein.

Ebenfalls nicht auf ein Wort von FvF hin, aber mit seiner Zustimmung, vor allem aus dem ernsten Bewusstsein heraus, der unterschwelligen Gegnerschaft von MHW entgegenzutreten, schrieb ich das erste Buch im Namen von Fabian. Es hatte den kaum erhofften Erfolg, Fabian auch in den intellektuellen Kreisen zu einem ernsthaften Thema werden zu lassen.

Die Bereinigung

Eustachius und sein Buch: Er hielt sich nicht erst lange mit Vorgeplänkel auf. Er zeigt unverblümt, wohin der auf leisen Sohlen sich anschleichende Populismus und nach Erringung der Macht deren Missbrauch führen können. Noch ärgerten mich diese Anspielungen, die wir auf Fabians politische Ziele gerichtet annahmen.

Nach nur kurzer Einführung in den Zustand der Gesellschaft stieg er gleich mit einem Paukenschlag in Die Bereinigung ein. Ein älterer Mann kommt in die Klinik, um seine Frau zu besuchen. Das Zimmer ist leer. Seine Nachfrage läuft ins Leere, seine Frau war nie Patientin in der Klinik, bekommt er als Auskunft. Diese Worte machen seinen Albtraum real, was ihn völlig verstört. Im Park gegenüber versucht er mühsam, seine innere Ordnung zurückzugewinnen. Er lässt sich auf einer Bank nieder, als ihm der Atem ausgeht. Die blanke Angst hat ihn gepackt, weiß er doch, dass er bei Nachforschungen auf einem Hochseil balancieren wird. Macht er einen falschen Schritt, wird auch er im Nichts verschwinden. Aber er kann nicht anders, beschließt, den gefahrvollen Weg zu versuchen, unbedingt seine Frau zu finden. Notfalls wird er sie auch aus der Unterwelt zurückholen, seiner Eurydike der Orpheus sein. Bei seinen Nachforschungen kommen ihm seine Verbindungen zugute. Er war leitender Ingenieur bei einem Rüstungskonzern, hat in alle Richtungen Kontakte, die er glaubt anzapfen zu können. Mit Geschick und viel Glück fragt er sich voran. Seine lange verdrängte Vermutung, jedoch längst innere Gewissheit, erweist sich mit jedem Schritt als richtig, allerdings als zu harmlos. Was im Lande geschieht, ist verdammt noch mal ein Horror. Die Demokratie ist längst sanft beerdigt, führt allein durch schöne Worte der Politiker ein vordergründiges Scheindasein. Die Politiker dienen dem eigenen Wohl, agieren Marionetten gleich an den unsichtbaren Fäden finsterer, gesichtsloser Mächte aus der Wirtschaft und dubioser Stiftungen. Die Begleitmusik des Geschwätzes spielen die bunten Bilder und leeren Wortkaskaden der Medien. Eustachius’ kauziger Held schleicht auf Samtpfötchen um alle Fallstricke herum. Die nicht sichtbaren Hände, Ohren, Augen der Geheimdienste überwachen die Menschen mit allen denkbaren Möglichkeiten der digitalen Technik auf Schritt und Tritt. Die elektronischen Medien sind längst für jeden Einzelnen zu einer gefährlichen Falle geworden. Wer sich im Internet aufhält, Mails versendet, Bestellungen mit Karte zahlt, die ganze Palette eben, wird sofort von den tausend heimlichen Augen erfasst und gespeichert. In diese bedrückende, freudlose Welt seines Helden blendet Eustachius perfide scheinbar originale Agenturmeldungen ein, die den Zustand des Landes zusätzlich beschreiben, eigentlich erst auf den Punkt bringen: Das Bargeld ist längst abgeschafft. Firmen entlassen alle Mitarbeiter, die über fünfzig Jahre sind, außer die an der Spitze. Die Regierung erhöht das Renteneintrittsalter. Scharfe Kampagnen laufen gegen Rentner und Arbeitslose. Betriebsrenten werden ersatzlos gestrichen. Starke Rentenkürzungen machen ein normales Leben fast unmöglich. Die Politiker verharmlosen die nicht mehr zu übersehenden Folgen dieser Maßnahmen, kleistern sie sorglos mit Gesülze zu. Eustachius’ immer verzweifelter werdender Held irrt durch eine sich in Einzelteile auflösende Gesellschaft. Er kommt in Kontakt mit Gruppen, die in der Masse Solidarität zu wecken versuchen, allerdings ein vergebliches Unterfangen. Die Organisatoren werden schnell gefunden, von der Straße weg verhaftet und verschwinden spurlos. Auch in Kirchenkreisen ist keine Unterstützung, nicht einmal Hoffnung zu finden. Die Amtskirche ist auf Linie gebracht, hat sich mit der Macht verbündet. Alle humanistischen Werte sind keinen Pfifferling mehr wert. Im Land geht die Angst um. Mittellose werden in Gettos verfrachtet, die aus allen Nähten platzen. Unzählige Schwerkranke werden still und schnell mit Spritzen getötet. Langzeitarbeitslose, auch die ärmsten Rentner, scheinen sich einfach in Luft aufzulösen, sind über Nacht nicht mehr da. Eustachius’ armer Mann hat es aufgegeben, nach der Wahrheit, ein Wort ohne Inhalt, des Verschwindens seiner Frau zu suchen, weiß, dass er gegen Windmühlenflügel kämpft. Er schließt sich einer Gruppe an, einer politischen Sekte, deren junger charismatischer Führer Auswege aus dem Chaos zu versprechen weiß. Doch schon bald bekommt der neue Mitläufer doch so seine Zweifel, ob er nicht einem Blender, einem wortgewandten Scharlatan folgt. Aller inneren und äußeren Stützen ledig, steht der Mann an einem nebligen Morgen auf der Brücke über dem Fluss, starrt hinunter in das dunkle Wasser.

So endet das Buch, das, offenbar gewollt, in vielen Gedanken kafkaesk, in seiner Bösartigkeit monströs ist, aber furios mit möglichen Möglichkeiten spielt.

Wohl gerade weil Eustachius das Ende offenlässt, die vielen Fäden der Erzählung nicht zu einem Knoten verbindet, keine Lösungen beschreibt, das Dunkel konsequent nicht heller werden lässt, macht das den Erfolg seines Erstlings aus.

Allein mit Himmel, Meer und den Bergen, bleibe ich auf dem Pfad stehen, könnte sie zählen, die Gipfel der Serra de Tramuntana, oft Felsen von über eintausend Metern hoch über dem Mittelmeer aufsteigend. Vor mir, fast schon erreicht, der Puig de Massanella. Ich genieße die Ruhe, den leichten Wind, der meine heiße Stirn sanft kühlt, lasse die Weitsicht meine strapazierte Seele beruhigen. Das ist für mich Müßiggang, ein wichtiges Schlüsselwort des Lebens, wie ich es für mich erkannt habe.

Dann erreiche ich die mir unvergessene Stelle, einem unsichtbaren Merkstein gleich, kurz vor dem Gipfel, an der mir, es ist Jahre her, mitten in einem Schritt plötzlich ein Gesicht vor Augen stand. Dieses Gesicht, das ich sah, war dunkel, die Augen Kohlen. Nick Bush. Warum meldete er sich aus meinen Tiefen gerade hier oben auf dem Berg? War er die Antwort auf meine Grübeleien, wer mir, wer uns, mit dem Problem Walt Schumann helfen könnte? Nick war tatsächlich die Antwort. Damals war ich mit einem schweren Rucksack von Fragen nach oben gestiegen und mit leerem Rucksack und einer Antwort, die alles bündelte, wieder abgestiegen.

Mit dem Zug durch Europa

Wir hatten Abitur gemacht, Fabian und ich. Schon wenige Tage später starteten wir unsere Reise. Unser Sponsor war der Baron, nicht Fabians Vater, nein, dessen Vater, der alte Baron.

Unterwegs blieb uns gar keine Zeit zum Besinnen, darüber nachzudenken, was morgen sein würde, geschweige denn was in der gerade eben vorübergeflogenen Vergangenheit geschehen war. Für Fabian und mich zählte zu dieser Zeit allein der Augenblick, im Heute nur diese Stunde, sogar der nächste Abend kam uns am Morgen vor wie ferne Zukunft. Wir waren frei wie die Vögel, verstanden und nahmen das wörtlich.

Beide hatten wir schon unsere Einberufungsschreiben bekommen. In zwei Monaten mussten wir zur Bundeswehr, ich zur Grundausbildung bei der Luftwaffe nach Holland, Fabian beim Heer nach Hessen. Doch erfolgreich schoben wir diesen Termin aus unserem Kopf hinaus, wir dachten einfach nicht mehr daran.

Jetzt waren wir mit dem Zug in Europa unterwegs, kreuz und quer. Amsterdam, London, Paris, Rom, Athen, Barcelona, Madrid. Nach einer Ankunft suchten wir zunächst unsere einfache Unterkunft auf, die wir aus einem Verzeichnis hatten, das Fabians Mutter uns besorgt hatte. Nachdem wir unser nächstes Ziel ausgemacht hatten, meldeten wir uns dort über Telefon an. Erst nachdem wir unser Bett sicher hatten, stromerten wir ohne jegliches Limit durch die jeweilige Stadt, schauten uns satt, saugten das Leben ein, bis ein Atemholen anstand, wir uns wieder in den Zug setzten und der nächsten Metropole entgegenfuhren. Während der Fahrt nutzte ich die kleine Freiheit, um eine Art Schnelltagebuch zu schreiben.

Es war in Lissabon, am Ufer des Tejo, als wir innehielten, den ersten Versuch unternahmen, uns für eine kurze Zeit einzufangen. Es war schon späterer Abend, wir saßen vor einem winzigen Lokal in der Altstadt, hatten einfach, aber gut gegessen, tranken roten Wein, rauchten von den billigen dunklen Zigarillos, da erzählte mir Fabian zum ersten Mal von Sibil. Und es kam mir so vor, als schütte er mit einem Stoß einen bis zum Rand vollen Wassereimer aus. Ich brauchte nur meine Ohren aufzumachen, um seine sprudelnden Wortkaskaden zu empfangen.

Wie eine strahlende Göttin oder hinreißende Märchenfee war die schöne Frau, die fast acht Jahre älter war als er, in seinem Leben erschienen, hatte alles völlig auf den Kopf gestellt. Sein Vater war es gewesen, der durch Vermittlung der Universität die Studentin auf Lehramt verpflichtete, um Fabian doch noch auf Kurs zu bringen, damit das fest eingeplante Abitur nicht wirklich ernsthaft in Gefahr geriet.

Mit zwölf Jahren war Fabian Klassensprecher, mit sechszehn Jahren Schulsprecher geworden. Mit Sicherheit war er der faulste Schülersprecher, den unsere Schule je gehabt hatte oder haben wird. Mit nur etwas weniger Intelligenz, einer weniger schnellen Auffassungsgabe wäre der Schüler Fabian von Fernau längst gescheitert. So bekam er jedes Jahr, wenn auch mit Unterstützung, zum Beispiel auch von mir, gerade noch so die Kurve.

Blick in den Rückspiegel der Zeit:

Die Computerfirma Apple bringt den Macintosh heraus. Die Anschnallpflicht wird Gesetz. Der DDR wird ein Milliardenkredit gewährt.

Die Wahlen zum Klassen- oder Schulsprecher, von der Schulleitung zu Übungsplätzen in praktischer Demokratie erhoben, entwickelten sich zu regelrechten Wettbewerben bereits bei der Kandidatenauswahl. Die eigentlichen Wahlkämpfe wurden mit den Jahren zu einem richtigen, den Schulalltag weit überlagernden Spektakel. Da wir uns vom Fußball kannten, nahm Fabian meine Einflüsterungen beim wilden Wettkampf, bei dem die Worte die Waffen waren, als ganz selbstverständlich.

Damals hatte ich schon das Grundraster meiner geheimen Sammlung entwickelt. In der Siedlung, in der Schule, überall, wo ich mit anderen zusammenkam, erweiterte ich diese Sammlung. Was sammelte ich? Fehler und Schwächen der anderen, vor allem aber Verfehlungen, kleine wie größere. Bei passender Gelegenheit war dieses Wissen von Vorteil, zunächst einmal für mich selbst. Ich war manchmal erstaunt, welch eine große Menge Wissen in diesen Kasten passte, der Gehirn hieß, wie ausgedehnt, weitgefächert meine Sammlung allmählich wurde. Und dass es mir nicht schwerfiel, diese wunden Punkte der anderen zielgenau aus dem Datenspeicher herauszupicken und damit mein Erinnerungsvermögen zu trainieren und zu steuern.

Im zweiten Jahr akzeptierte Fabian meine Einflussnahme so weit, dass er meinen Vorschlägen quasi blind folgte. Das war nicht nur, weil Fabian erkannt hatte, dass ich ihn gut beriet, keiner war, der sich in den Vordergrund schob, also kein möglicher Konkurrent, sondern vor allem, weil ich ihm Arbeit, insbesondere Denkarbeit, abnahm. Er pickte sich die Ideen aus meinem Fundus heraus, die ihm genehm erschienen, machte sie sich zu eigen, und damit waren sie sein Ding. Die Folge: Der größte Faulpelz der Klasse wurde Jahr für Jahr ihr Sprecher, und seit er sechzehn war bis zum Abitur, das er dank Sibil glänzend bestand, auch der Schulsprecher.

Zurück zu Sibil: Sie machte aus dem notorisch faulen Kerl binnen kürzester Zeit einen Musterschüler. Wie, auf welche Art und Weise sie das vollbrachte, hat er nur zart angedeutet. Meiner Fantasie gab das reichlich Zucker. Also: Sibil bestimmte immer mehr sein Leben. Sie gingen zusammen ins Kino, machten Ausflüge mit dem Rad, lagen im Gras an kleinen Seen und schwammen, wanderten in den Bergen. Im Winter gingen sie zum Skifahren. Bald wurde die Berghütte seiner Eltern ihr Refugium für so manches Wochenende. Die Hütte lag lawinensicher unterhalb eines Schutzwaldes, darüber steile Felswände. Von der Terrasse flog der Blick fantastisch weit bis ins Inntal und hinüber zum Wilden und Zahmen Kaiser.

Sibil war Mentorin, Coach, Geliebte und sie nahm die Stelle seiner Mutter ein, die kaum je Zeit für ihre Kinder hatte. Die beiden waren sich gegenseitig völlig verfallen, nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Keiner konnte mehr ohne den anderen. Sibil hat mir einmal gesagt, in einem der wenigen wirklich vertraulichen Augenblicke zwischen uns, dass sie vom ersten Blick an wusste: Das ist er! Mit ihm zusammen würde sie einen besonderen Weg gehen können. Wie sich zeigte, hatte sie damit recht, war es richtig gewesen, dem ersten Gefühl zu folgen.

Blick in den Rückspiegel der Zeit:

Die Sowjetunion verlässt Afghanistan. Der Krieg zwischen Iran und Irak endet. Die Tennisspielerin Steffi Graf gewinnt den Golden Slam. Die Niederlande werden Fußball-Europameister. Der Ägypter Nagib Mahfuz erhält den Literaturnobelpreis.

Keine Frage, ihre Vertrautheit und enge Zuneigung musste natürlich nicht nur diskret, zudem auch unbedingt geheim bleiben. Und die beiden brachten das perfekt hin. Sogar ich, einer der wenigen nahen Freunde Fabians, ahnte nur, geschweige denn wusste von ihrer wirklichen Beziehung. Klar war, dass ich natürlich einer von denen war, denen die eigentümliche, kaum nachzuvollziehende Wandlung von Fabian als ein Wunder vorkam, obwohl ich den Grund kannte. Wie gesagt, erst auf unserer Rail-Tour ließ mich Fabian ein wenig hinter den dichten Vorhang blicken. Fabian gehörte zu Sibil, eine Beziehung als Symbiose der Liebe, die bis zum Schluss, bis zum Tod halten sollte.

Die Bundeswehr

Diese drei Monate Grundausbildung in Holland, in einer kleinen Stadt gleich hinter der Grenze, nahm ich beinahe so locker wie unsere Tour durch Europa. Nur zweimal nutzte ich die freie Fahrt mit der Bahn, um Tante und Onkel zu besuchen. Sonst blieb ich in der Kaserne, bereitete mich auf mein Studium vor und streifte durch das Städtchen. An den Wochenenden sah ich mir die Heimspiele von einem oder dem anderen der beiden Fußballvereine an. Durch die Disziplin, die ich mir während der Schulzeit selbst beigebracht hatte, und da ich auch körperlich fit war, hatte ich bei der Truppe keinerlei Schwierigkeiten.

In dieser kleinen Stadt lernte ich Nick Bush kennen. In unserer Kaserne gab es einen Bereich der Amerikaner. Die US-Army hatte hier eine kleine Nachrichteneinheit stationiert. Was sie im hinteren Eck der Kaserne, nahe dem lichten Birkenwald, genau taten, interessierte keinen von uns wirklich. Nur dass sie im Keller einer der komfortablen Baracken eine Bar hatten, das interessierte uns schon weit mehr. Doch da hinein Zutritt zu bekommen, war fast unmöglich.

Mir gelang es. Und das kam so: Ich war, eine Ausnahme, nicht allein in der Stadt unterwegs, war in Begleitung zweier Kameraden aus meiner Stube. Es war bereits duster, wir waren auf dem Rückweg, nahmen den kürzeren Weg, der uns durch eine zwielichtige Gegend führte, die ich aus Vorsicht allein umgangen hätte. Wir kamen um eine Ecke, als wir sofort sahen, dass vor einem der verrufenen Lokale, wahrscheinlich ein Bordell und Drogenmarktplatz, drei finstere Gestalten auf einen, der schon am Boden lag, heftig einprügelten und traten. Nur ein kurzer Blick zu meinen Kameraden und wir spurteten los. Vertrauten vor allem auf Eduard, der damals noch nicht Eddy hieß, einem Koloss mit der Kraft eines Bären. Ich mit meinen Anfangskenntnissen von Karate, das ich in der Kaserne einmal die Woche gerade lernte, hätte allein als Gegner den Schlägern nicht Paroli bieten können. Was unser dritter als Kämpfer taugte, war in dem Moment keine Frage. Aber er schlug sich tapfer. Wir, in der Hauptsache Eduard, räumten erfolgreich auf. Wir kamen wie der Heilige Geist über die Typen, die nun ihrerseits heftige Prügel bezogen und auf dem Schlachtfeld zurückblieben. Wir brachten den schwarzen Soldaten, den wir vom Sehen kannten, zurück in die Kaserne und sofort in unseren Sanitätsbereich. Nick hatte viel Glück gehabt, dass wir eingegriffen hatten.

Nach einigen Tagen war Nick für uns drei die Eintrittskarte in die Kellerbar. Übrigens habe ich ihn nie gefragt, warum er so heftig in die Mangel genommen worden war in dieser Nacht. Von diesem Wissen versprach ich mir nichts.

Als die Grundausbildung überstanden war, kurz bevor ich nach Bad Tölz versetzt wurde, bekam ich von Nick eine Telefonnummer, mit der ich ihn immer erreichen würde, wie er versprach. Diese Nummer kam in meine Datenkiste. Erst Jahre später sollte ich mich daran erinnern und Kontakt mit Nick aufnehmen.

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193 str. 6 ilustracje
ISBN:
9783956691553
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