Czytaj książkę: «Der Dialog in Beratung und Coaching», strona 5

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2.4 Inner State und das Unbewusste

Das Wesentliche im Dialog ist zum Teil in dem zu finden, was gesagt wird, aber darüber hinaus in besonderem Maße in der Wirkung des gemeinsamen Denkprozesses auf den Einzelnen und die Gruppe, also in dem, was zwischen den Teilnehmern „schwingt“. Martin Buber hat angeblich einmal im Rahmen einer Tagung, als darüber diskutiert wurde, wo das Freud’sche Unbewusste anzusiedeln sei, gemeint: „Das Unbewusste ist zwischen den Menschen.“27

Mit der Wirkung des Gesagten und des Gefühlten sind nicht nur Worte gemeint, sondern Ebenen angesprochen, die darüber hinausgehen können, die also nicht direkt beobachtbar und sogar unbewusst sind. Es geht um Schichten in uns, die sich einer allgemeinen und sachlichen Beschreibung entziehen, es geht um einen inneren Zustand des Wandels und der Erleuchtung.

In der „Ballade vom alten Seemann“ („The Rime of the Ancient Mariner“) des britischen Dichters Samuel Coleridge wird die dramatische Geschichte einer Seefahrt geschildert. Das Schiff gerät in immer südlichere Gefilde und wird schließlich von einem Albatros aus der Antarktis herausgeführt. Der alte Seemann erlegt den Albatros mit seiner Armbrust, was den Zorn der übrigen Matrosen auf ihn lenkt. Als das Schiff wieder in Not gerät, hängen sie ihm den toten Albatros zur Strafe um den Hals.

O Schreckenstag, von Alt und Jung was für Blicke mußt’ ich erleben! Dann haben sie mir den Albatros wie ein Kreuz zu tragen gegeben.

Schließlich begegnen sie einem Geisterschiff mit dem Tod und dem „Leben im Tod“ an Bord. Die gesamte Besatzung stirbt und der alte Seemann muss mit dem Fluch der Besatzung leben, bis er schließlich die Meerestiere und ihre Schönheit erkennt und sie preist. Der Fluch wird aufgehoben, der tote Albatros fällt ihm von der Schulter:28


Abb. 9: Die Ballade vom alten Seemann: ein Moment der Erleuchtung

Jenseits des Schattens aber sah ich Wasserschlangen locken. Sie zogen Spuren von leuchtendem Weiß, sie bäumten sich heiß, dann fiel mit Gegleiß das Geisterlicht ab in Flocken.

Im Schatten des Schiffes nahm ich wahr ihr Aussehen herrlich und teuer: Blau, glänzend grün und wie schwarzer Samt schlängeltet ihr euch, und wo ihr schwammt, hinterließt ihr goldenes Feuer.

O ihr glücklichen Wesen! Keine Zunge kann eure Schönheit beweisen, Liebe sich aus meinem Herzen ergoß, und ich mußte sie unbewußt preisen, erbarmend das heilige Herz überfloß, und ich mußte sie unbewußt preisen.

Das entriegelte mein Gebet und machte den Nacken frei, der Albatros fiel hinab und versank im Meer wie ein sinkendes Blei.

Was hier transportiert wird, ist ein Bild für einen außergewöhnlichen Zustand, ein Ritual, das seine Besonderheit in seiner fehlenden Zielgerichtetheit entfaltet. Der alte Seemann erkannte die Schönheit der Wasserschlangen in einem Moment der Erleuchtung und segnete sie ohne einen bewussten Zweck. Ohne es bewusst zu wollen, begibt er sich in einen inneren Zustand der Verbundenheit mit der ihn umgebenden Natur. Er erkennt.

Gregory Bateson zieht folgende Gedanken aus der Ballade (Bateson/Bateson 1993, S. 109): „Natürlich meine ich nicht, dass das Segnen der Wasserschlangen den Regen verursachte, der dann fiel. Das wäre eine andere Logik in einer anderen, weltlicheren Sprache. Was ich meine ist, dass die Natur von Dingen wie Gebet, Religion und dergleichen in Augenblicken des Wandels am evidentesten ist – in Augenblicken der Erleuchtung, wie die Buddhisten es nennen“, und weiter: „Der Ancient Mariner hätte die Seeschlangen nicht unbewusst segnen können, wenn er auf seiner berühmten Reise von einem Reporter mit Kamera und Blitzlicht begleitet gewesen wäre […] Wenn der Ancient Mariner sich gesagt hätte: ,Ich weiß, wie ich die Schuld der Tötung des Albatros loswerde: Ich fahre in die Tropen zurück, suche mir ein paar Seeschlangen und segne sie dann im Mondschein‘, dann wäre ihm der Albatros bis zum heutigen Tag um den Hals hängen geblieben.“

Diese Ballade macht deutlich, dass die Wirkung etwa eines Rituals Schichten im Menschen berühren kann, die sich einer Beobachtung entziehen, die zudem sehr schwer zu verstehen sind und sich kaum in Worte fassen lassen. Diese Schichten berühren unseren inneren Zustand, der wesentlich bedeutsamer ist für die Wirkung, die eine gesetzte Maßnahme nach innen wie nach außen hat, als allgemein angenommen wird. Auch der Gruppendialog sensu Bohm ist in unserem Sinn ein Ritual. Aus solchen Ritualen heraus können sich Beziehungsmuster und daraus auch Bereitschaften entwickeln, die „rational“ kaum erklärbar sind. Personen, die sonst kaum und schon gar nicht wirklich und offen miteinander sprechen, spüren dann umhüllt von diesem dialogischen Ritual oft eine zwischenmenschliche Beziehungsebene, die vorher nicht existierte. Eine Pädagogin, die mit dem Dialog im Klassenzimmer experimentierte, drückte das so aus: „Es kamen Ängste und Verletzungen zum Vorschein, die im Dialogprozess auch geäußert wurden. Es ist eine Art von Offenheit und Beziehung entstanden dadurch, dass sich ein Gemeinschaftsgefühl eingestellt hat, das vorher so nicht da war“ (Benesch 2009, S. 848).

Mein innerer Zustand („Inner State“) bestimmt also die Wirkung mit. Etwas pragmatischer ausgedrückt heißt das: Der gleiche Interventionsversuch kann diesmal das gewünschte Resultat erzielen, weil ich mich in einem bestimmten Zustand der Aufmerksamkeit befinde und ein anderes Mal eben nicht, wobei der Begriff „Zustand der Aufmerksamkeit“ einer näheren Betrachtung bedarf.

Claus Otto Scharmer (Scharmer 2009, S. 29) spricht in diesem Zusammenhang von den „inneren Quellen, von denen aus Einzelne oder Gruppen wirksam werden, wenn sie wahrnehmen, kommunizieren und handeln“. Er erklärt weiter, dass der Ort, von dem aus wir handeln, wenn wir handeln, blind ist: „Wir können die Quelle, von der aus wir aufmerksam sind und wirksam werden, nicht sehen; wir sind uns des Ortes, der den Ausgangspunkt unserer Aufmerksamkeit bildet, nicht bewusst.“

In einer rein blauen Welt gäbe es keinen Begriff für die Farbe Blau, weil Unterscheidungsmerkmale einfach nicht vorkommen. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass wir an Unterschieden lernen! Ganz deutlich wird dies, wenn wir eine sehr einfache Tätigkeit wie die Fließbandarbeit betrachten, die aber, um zur Perfektion zu gelangen, sehr viel Übung erfordert. Sobald diese Perfektion erreicht und keine Verbesserung mehr möglich ist, findet auch kein Lernen mehr statt. Viele Menschen tendieren dazu, in bestimmten Situationen einmal eingeübte Verhaltensmuster beizubehalten und nicht zu sehen, dass sie über das Potenzial zu Alternativen im Handeln und Denken verfügen. Der Dialog bietet sich an, um nach eingefahrenen Mustern zu suchen, diese zu hinterfragen und sich auf eine Erweiterung des Repertoires einzulassen. Dass dies auf Schwierigkeiten im persönlichen Bereich stoßen kann und nicht unbedingt einfach ist, liegt auf der Hand.

Gerade dort, wo es um Grundwerte geht, um Einstellungen, die uns wirklich wichtig sind und uns emotional tief berühren, ist es nur mit größter Anstrengung möglich, andere Perspektiven wirklich anzunehmen und, mehr noch, als gleichwertig neben den eigenen zu akzeptieren.

Scharmer schreibt über die Schwierigkeiten, die tiefgehende Veränderungsprozesse blockieren, und schildert in anschaulicher Weise die drei Stimmen des inneren Widerstands (drei „Feinde“), mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Diese drei Feinde sind mögliche Blockaden auf dem Weg zur Öffnung von Kernkompetenzen, Sensorien, über die wir alle verfügen: das Kopfdenken, das Herzdenken und die Spiritualität.

• Das Kopfdenken meint die klassische Intelligenz, das analytische Denken.

• Das Herzdenken bezieht sich auf unsere Emotionen und die Fähigkeit zu Empathie.

• Die Spiritualität meint die Fähigkeit zur Öffnung des Willens, alte Muster und Intentionen loszulassen und „neue Intention[en] anwesend werden und kommen zu lassen“.

Alle drei Sensorien sind wesentliche Instrumente, die wir benötigen, um zu tiefgehenden, nicht an der Oberfläche bleibenden persönlichen Veränderungen zu gelangen, was Willen und Üben erfordert, ein Herumprobieren mit dem Mut, sich auf Versuch und Irrtum einzulassen und sich diesen drei „Feinden“ zu stellen:

• Der erste Feind, die Stimme des Urteilens, opponiert gegen das Kopfdenken.

• Der zweite Feind, die Stimme des Zynismus, opponiert gegen das Herzdenken.

• Der dritte Feind, die Stimme der Angst, opponiert gegen die Spiritualität und damit den Zugang zur Öffnung des Willens.

Wenn wir typische Gesprächsverläufe von Personen analysieren, die beginnen, sich auf den Dialog einzulassen, können wir diese „Feinde“ oft in Reinkultur erleben, vor allem dann, wenn der Dialog-Facilitator einen eher weichen, sanften Weg in seiner Begleitung einschlägt. Sehr viele Menschen sind es gewohnt, in der Kommunikation die Muster von Verteidigung und Überzeugenwollen zu verwenden, aus purer Gewohnheit und zumeist unreflektiert. Nun geht es plötzlich darum, gegenteilige Ansichten nicht bewertend im Raum stehen zu lassen, sondern diese anzunehmen – was nicht gleichbedeutend damit ist, diese auch zu teilen! – sowie Wertschätzung seitens anderer, nicht sonderlich nahestehender Personen zu empfangen, was viele von uns überhaupt nicht gewohnt sind.

So melden sich recht schnell die Stimmen des Zynismus und des Urteilens, genährt von der Angst der eigenen Verletzlichkeit. Derartige Situationen können gut mit jenen Bewertungen, Urteilen und Ängsten verglichen werden, die sich einstellen, wenn sich eine neue Liebesbeziehung anbahnt, die durch die emotionale Öffnung immer mit intimer Exponiertheit und damit potenzieller Verletzlichkeit einhergeht. Wenn wir uns bestimmte Fragen stellen – ab dem Moment, von dem an uns der Ernst der Gefühle bewusst wird –, werden wir oft von Ängsten eingenommen, bewertend und zynisch, wenn nicht grob:

• Ist die andere Person wirklich offen und ehrlich zu mir?

• Wird mit mir nur gespielt?

• Wird die andere Person mein Vertrauen missbrauchen?

• Sind meine eigenen Gefühle der anderen Person gegenüber wahrhaftig und tief, hat „es“ Zukunft?

Im Dialog mit Teilnehmern, die gerade beginnen, sich neu auf dieses Experiment einzulassen, oder in einer organisationalen Umgebung, in der sich (noch) kein Vertrauen in diesen offenen Prozess eingestellt hat bzw. der Wille, die Gesprächskultur mittel- bis langfristig zu verändern, (noch) nicht vorhanden ist, sind diese drei Feinde dann oft deutlich zu hören:

• Unsere Firma ist gewinnorientiert, es zählen nur die Verkaufszahlen. Da ist kein Platz für solche Gefühlssachen.

• Wenn ich beginnen würde, von meinen Ängsten oder Befürchtungen zu sprechen, würde man das sofort ausnutzen.

• Solche Gespräche sollen Blümchen-Menschen und Esoteriker führen, ich bin ein Mensch der Fakten.29

• Von Gefühlen leiten lassen – das ist nicht meines. Bei mir zählen Daten, die ich überprüfen kann.

Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass derartige Befürchtungen und Ängste berechtigt sein können, ganz im Gegenteil: In einer Atmosphäre des Misstrauens, eingebunden in strenge Hierarchien mit klaren Zielvorgaben, in einer Umgebung, die von Intrigen und Gesprächen hinter dem Rücken der Betroffenen durchtränkt ist, kann es nahezu selbstzerstörerisch sein, bei Abteilungsbesprechungen zu beginnen, „mit dem Herzen“ zu reden. Deshalb bedarf es nicht nur eines klaren Willens seitens der Führungsebene, die Gesprächskultur zu verändern, sondern auch einer gewissen Zeit und (externen) Begleitung, den Shift hin zu einer kreativen, offenen Atmosphäre in geschütztem Rahmen zu versuchen und langfristig zu implementieren.

Dennoch sei die Hypothese aufgestellt, dass in jedem Menschen das Grundbedürfnis vorhanden ist, wahrhaftig und wertschätzend miteinander zu sprechen, und dass dieses Bedürfnis, bedingt durch die konkurrenzbetonte Sozialisation mit dem Fokus, „Fehler“ zu vermeiden, und durch entsprechende Vorbilder, bei vielen Personen verdeckt wurde. Deshalb ist es ungemein wichtig, den „Inner State“, das eigene Aufmerksamkeitsniveau und die Quellen, von denen aus wir wirksam werden, genau zu reflektieren und zu transformieren.

Drei Arten der Wahrnehmung

Die echte zwischenmenschliche Sphäre, um die es geht, ist keine Lehre, die man in einem Werk nachlesen könnte. Sie wird erfahren, nicht mit Worten mitgeteilt. So unterscheidet Martin Buber drei Arten, wie ein Mensch (aber auch Tiere oder Objekte) wahrgenommen werden können (Buber 2006):

Beobachten: Der Beobachtete wird „gespannt“ aufgezeichnet, all seine Ausdrucksweisen werden genau „notiert“. Es handelt sich um ein willkürliches, peinlich genaues Beobachten, aber ohne wirkliche innere Anteilnahme.

Betrachten: Auch das Betrachten geschieht fernab wirklicher innerer Anteilnahme, allerdings ohne die „Gespanntheit“ des Beobachters. Der Betrachter lässt geschehen, vertraut darauf, dass sein Gedächtnis „das Erhaltenswerte erhält“. Der betrachtete Mensch ist aber Gegenstand, zu dem der Betrachter nicht in wirklicher Beziehung steht. Während der Beobachter wie ein Wissenschaftler „sachlich“ auf den beobachteten Menschen blickt, sieht der Betrachter wie ein Künstler auf ihn, der etwas von seiner Existenz erfahren möchte. Beide nehmen den Gegenstand aber so wahr, dass er „ihnen weder Tat abfordert noch Schicksal zufügt“.

Innewerden: Diese Wahrnehmungsweise sieht den Menschen nicht als Gegenstand. „Ich kann den Menschen, an dem, durch den mir etwas gesagt worden ist, nicht abmalen, nicht erzählen, nicht beschreiben; versuchte ich es, wärs schon aus mit dem Gesagtsein.“ Es kommt beim Innewerden darauf an, den Menschen „anzunehmen“. Bei der Begegnung geschieht etwas, was gegenständlich nicht erfassbar ist. Es kann sich dabei auch um eine persönliche Lernerfahrung handeln, die ohne ein aktives Tun des anderen geschieht – es geht um „wirkliche Sprache“, ohne dass die Beteiligten sprechen: „Nicht er sagt es mir [...]: Es sagt“.

Auch Scharmer (Scharmer 2009, S. 28) spricht von zumindest drei möglichen Perspektiven: Wir können uns

• auf ein Ding als Endprodukt eines Prozesses konzentrieren oder

• auf den Prozess selbst oder

• auf die Quelle oder Ursprünge, noch bevor etwas manifest wird.

Es versteht sich von selbst, dass die ersten beiden Perspektiven das Übliche darstellen. Wir betrachten bzw. beobachten beispielsweise ein Kunstwerk oder den Prozess seiner Entstehung, aber kaum die Quelle, aus der heraus jemand tätig wird, den inneren Zustand. Dabei ist die innere Verfassung wesentlich für den weiteren Prozess, wesentlich dafür, welche Wirkungen sich aus der Aktion heraus entfalten.

2.5 Emotionen

Paul Ekman (Ekman 2010) schreibt den Emotionen vier wesentliche Merkmale zu. Da ist zunächst die Signaleigenschaft: Emotionen setzen andere darüber in Kenntnis, was in uns geschieht (die von den Emotionen zu unterscheidenden Gedanken besitzen diese Signaleigenschaft nicht). In der Regel ist an Emotionen typisch, dass sie sehr schnell automatisch ausgelöst werden können, ohne ins Bewusstsein zu gelangen. Dabei spielen Prozesse der Beurteilung eine große Rolle, und das ist ein äußerst wesentlicher Punkt, da wir zwischen den Ereignissen und der Beurteilung von Ereignissen zu unterscheiden haben: Nicht das Ereignis selbst löst Emotionen aus, sondern unsere Beurteilung dieses Ereignisses! Wir können wohl behaupten, dass nur sehr wenige angeborene Auslöser für Emotionen vorhanden sind – fast immer handelt es sich um Emotionen, die aufgrund von (auch automatisierten) kognitiven Bewertungsprozessen ausgelöst werden. Diese Feststellung ist so wesentlich, weil der Dialog geeignet ist, sich dieser Automatismen stärker gewahr zu werden. Der Mangel an zumindest anfänglicher Bewusstheit ist das dritte Charakteristikum von Emotionen. Als viertes Charakteristikum nennt Ekman schließlich die Dauer emotionaler Episoden: Sie ist für gewöhnlich kurz, von einigen Sekunden bis zu etwa einer Stunde. Länger andauernde Emotionen werden eher als Stimmungen bezeichnet.

Wir wollen uns im Folgenden vor allem der zweiten und dritten Eigenschaft zuwenden, dem Automatismus mit zumeist fehlender Bewusstheit. Denken wir an die von vielen so ungeliebten Spinnen: Ohne es zu merken, erleben wir Emotionen des Ekels, vielleicht sogar gefolgt von einer körperlichen Abwehrbewegung. In dieser etwa Viertel- bis halben Sekunde ist im Grunde einiges geschehen, von dem wir allerdings bewusst kaum etwas bis gar nichts mitbekommen.

Nach der Wahrnehmung mit all den intern ablaufenden Top-down- und Bottom-up-Prozessen erfolgt die automatische Bewertung des Ereignisses und eine körperliche Reaktion, wie etwa das Zudrücken der Augen oder der Schritt zurück. Wirklich wesentlich dabei ist, dass nicht die Spinne an sich die Emotion ausgelöst hat, sondern ein kognitiver Bewertungsprozess, so schnell und unbewusst er auch abgelaufen ist! Die Spinne an sich kann keinen Ekel hervorrufen. Wir können getrost davon ausgehen, dass Ekel oder Angst keine angeborenen Emotionen auf Spinnen darstellen, zumal es auch in unserem Kulturkreis Menschen gibt, die diese Tiere recht gernhaben, und sehr viele Menschen auf dem Erdball verspeisen sie mit Wonne.

So meinte schon der antike griechische Philosoph Epiktet natürlich völlig zu Recht, dass uns nicht die Dinge selbst beunruhigen, sondern die Meinungen und Beurteilungen über die Dinge. Diese Unterscheidung ist deshalb so relevant, weil sie uns die Verantwortung über den Umgang mit Emotionen in die Hand gibt.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht keinesfalls darum, Emotionen zu bekämpfen. Nein, es geht um unseren Umgang mit Gefühlen und darum, sie zu beherrschen und nicht uns selbst von ihnen beherrschen zu lassen. Denn mit Emotionen sind selbstverständlich regelmäßig Kognitionen verbunden, welche unsere mentalen Modelle bedeutsam beeinflussen.

Die Regulation der eigenen Emotionen wurde oft als eine der größten Herausforderungen im Leben beschrieben, und das bestimmt zu Recht. Wie viel Leid und Unglück hat es schon verursacht, wenn Menschen ihre Gefühle nicht im Griff haben! Der inkompetente Umgang mit Emotionen begräbt regelmäßig viel an kreativem Potenzial im Miteinander. In der Handhabung unserer Gefühle nützt uns das Wissen oftmals recht wenig. Haben Sie Angst vor Höhe, wird Ihr Herz auch dann schneller rasen, wenn Sie an einem Steilhang durch eine stabile Absperrung aus Beton und Metall geschützt sind. Ist eine stärkere emotionale Reaktion erst einmal initiiert, fällt es schwer, durch bewusste Einschaltung des Denkens einen anderen, von außen betrachtet vernünftigeren, Weg einzuschlagen.

Im Kontext des Dialogs beschäftigt uns vor allem, dass „Emotionen […] uns den Zugriff auf all das verwehren, was wir wissen, auf Informationen, die wir sonst sofort abrufbereit hätten, die uns aber unzugänglich bleiben, solange das Gefühl besteht“ (Ekman 2010, S. 55). David Bohm geht noch weiter, wenn er schreibt, dass eines der großen Übel darin besteht, den Angriff auf eine Meinung mit einem Angriff auf die ganze Person unbewusst gleichzusetzen. Die unreflektierten Emotionen, die dabei entstehen können, verhindern regelmäßig vernünftiges Handeln. Wir identifizieren uns mit unseren Meinungen, weshalb wir uns persönlich angegriffen fühlen und zur Verteidigung schreiten müssen.

Es darf nicht unser Ziel sein, Emotionen zu leugnen oder gar längerfristig zu unterdrücken. Unser Ziel sollte die Beobachtung dessen sein, was in uns geschieht, wenn sie auftreten, und diese Beobachtungen in irgendeiner Weise sinnvoll zu verwenden. Es gibt unzählige Strategien zur Regulation von Gefühlen und es ist wichtig zu beachten, dass die Emotionen uns nicht dazu zwingen, in einer bestimmten Art zu handeln – aber sie machen es wahrscheinlicher.

James Gross (Gross 2002) von der kalifornischen Stanford University hat die Auswirkung von zwei sehr bekannten Emotionsregulationsstrategien eingehender untersucht: Überprüfung/Neubewertung („reappraisal“) und Unterdrückung („suppression“). Grundsätzlich wird in diesem Modell angenommen, dass die unterschiedlichen Strategien zur Emotionsregulation davon abhängen, zu welchem Zeitpunkt sie ihre primäre Wirkung im Gesamtprozess entfalten. Man geht davon aus, dass zwei wesentliche Gruppen von Strategien zu unterscheiden sind: antizipierende und reaktionsfokussierte Strategien.

a) Antizipierende Strategien: Diese kommen vor dem eigentlichen Ereignis zum Einsatz, noch bevor emotionale Reaktionen wesentlich begonnen haben (samt ihren physiologischen und verhaltenstechnischen Begleiterscheinungen). Beispiel: Im Vorfeld eines wichtigen Gespräches sieht die Person dieses als Lernmöglichkeit und nicht als unangenehme Prüfung.

b) Reaktionsfokussierte Strategien: Diese setzen ein, wenn Emotionen auf ein Ereignis bereits eingesetzt haben. Beispiel: Eine Mutter lässt ihre Tochter zum ersten Mal im Kindergarten alleine zurück, zeigt aber nicht ihre Gefühle von Angst oder Traurigkeit.

Des Weiteren gibt es in diesem Modell fünf Regulationsstrategien:

1. Auswahl der Situation: Man wählt unter verschiedenen möglichen Situationen aus und entscheidet sich, eine bestimmte Situation zu vermeiden oder sich ihr auszusetzen. Beispiel: Sie entscheiden sich, zu Hause zu bleiben anstatt zu einer Party zu gehen, weil sie antizipieren, dass Sie sich zu Hause wohler fühlen werden.

2. Modifikation der Situation: Man modifiziert eine Situation, um einen anderen Emotionslevel zu erreichen. Beispiel: Sie stellen einen anderen Radiosender ein, um keine negativen Nachrichten hören zu müssen.

3. Verlagerung der Aufmerksamkeit: Innerhalb einer gewählten Situation sind stets mehrere Aspekte erkennbar, auf die man sich konzentrieren könnte. Man fokussiert dann auf einen oder mehrere dieser Aspekte. Beispiel: Sie lenken ein Gespräch auf das gute Gefühl des Erfolgs, das Sie nach dem Bestehen einer Prüfung hatten.

4. Veränderung der Kognition: Dieser ausgewählte Aspekt ist in der Regel mit mehreren Bedeutungen versehen und man wählt eine dieser Bedeutungen aus. Beispiel: Eine Prüfung ist ja grundsätzlich nur eine Prüfung, sie sagt nichts über den Wert eines Menschen aus. Die Stufe vier ist bedeutend, weil davon wesentlich abhängt, welche Erfahrungs-, Verhaltens- oder physiologischen Reaktionen in dieser Situation entstehen. Eine Situation kann hier einer Überprüfung/Neubewertung unterzogen werden.

5. Anpassung der Reaktion: In dieser Stufe sind Tendenzen zu emotionalen Reaktionen bereits ausgelöst worden, man kann darauf auf den Ebenen von Erfahrungen, Verhalten oder physiologischen Erscheinungen reagieren.

Beispiel: Man unterdrückt Verhalten, das etwas zeigen könnte: Ich versuche, nicht zu schwitzen, wenn ich daran denke, dass ich die Prüfung nicht bestehen könnte. Typisch für diese Strategie ist die Unterdrückung.

Die Frage ist nun, ob in einer potenziell stressbeladenen Situation die Strategie der Überprüfung/Neubewertung jener der Unterdrückung vorzuziehen ist. Dazu hat Gross (2002) Testpersonen einen Film über die Amputation eines Armes gezeigt. Den Personen der Gruppe „Überprüfung/Neubewertung“ wurde gesagt, sie sollen den Film ansehen und dabei bewusst denken, dass sie nichts empfinden. Die Personen der Gruppe „Unterdrückung“ wurden instruiert, ihre emotionalen Reaktionen bewusst auszublenden.

Erstaunlicherweise konnte anhand von Ableitungen körperlicher Parameter wie des Pulsschlages oder der Hauttemperatur gezeigt werden, dass die Strategie „Unterdrückung“ zu einem Mehr an messbarem Stressempfinden führte: Die Aktivität des sympathischen Nervensystems, das Stressreaktionen steuert, stieg an. Im Gegensatz zur Strategie „Überprüfung/Neubewertung“ – hier konnten derartige Effekte nur in viel geringerem Ausmaß beobachtet werden (siehe Abb. 10).


Abb. 10: Der messbare Effekt von Unterdrückung und Überprüfung/Neubewertung: Die gestrichelte Linie zeigt die Veränderung der Pulsrate für die Gruppe ,Unterdrücker". Das Stressniveau ist hier am höchsten. Die Gruppe ,Überprüfung/Neubewertung" (durchgezogene Linie) und die Kontrollgruppe liegen bei gleichem Ausgangsniveau deutlich niedriger (Gross 2002, S. 284).

Das zeigt, dass die Art, wie wir bewusst mit unseren Emotionen umgehen, ganz massiv unsere körperlichen Stressreaktionen beeinflusst. Und natürlich können wir lernen, besser mit unseren Emotionen umzugehen. Wir müssen uns nicht in dem Maß von ihnen „treiben“ lassen, wie wir das oft glauben. Ob die Strategie „Unterdrückung“ oder „Überprüfung/Neubewertung“ in einer gegebenen Situation angemessener ist, kann jedoch nur im Situationskontext beantwortet werden.

Für den Dialog bedeutet dies Folgendes: Gerade in hitzigen Situationen, wenn es um ein Thema geht, das uns intensiv emotional berührt, ist es wichtig, noch mehr auf die eigene Gefühlslage zu achten, bewusst Strategien einzusetzen, um abzuschalten und Abstand zu gewinnen, und nicht nur das eigene Denken, sondern auch die eigenen Emotionen genau zu beobachten. Warum beginne ich mich gerade jetzt nach diesem Beitrag eines Teilnehmers so aufzuregen? Was teilt mir meine momentane Befindlichkeit über mich selbst mit? Welche Strategie kann ich einsetzen, um mich etwas „herunterzuholen“ und mehr Klarheit zu erhalten und etwas über die Entstehungsgeschichte meiner Gefühle zu lernen?

Sicherlich wird es gerade im Kontext des Dialogs in der Regel nicht günstig sein, aufkommende Emotionen zu unterdrücken. Zumeist wird es einen konstruktiven Gesprächsverlauf unterstützen, a) die Gefühle zu beobachten, b) einer Überprüfung zu unterziehen sowie c) zu überlegen, welche Aspekte einer gefühlsmäßigen Reaktion noch vorhanden sein und wie diese aus unterschiedlichen Perspektiven heraus bewertet werden könnten.

Bohm spricht in diesem Zusammenhang von der Aufmerksamkeit, von der Möglichkeit, dass sich das Denken selbst beobachtet, um zu erkennen, was es tut. Würde man die Emotion unterdrücken, „verlöre man die innere Klarheit, das Bewusstsein für seine Wut, bliebe aber dennoch wütend. […] Erforderlich wäre vielmehr, die Symptome in der Mitte gleichsam wie auf einem instabilen Punkt – wie auf Messers Schneide – in der Schwebe zu halten, so dass wir den ganzen Prozess beobachten können.“ Wenn es nicht möglich ist, die emotionale Reaktion in der Schwebe zu halten, „beobachten Sie den Vorgang der Unterdrückung, ohne die Unterdrückung zu unterdrücken“ (Bohm 1998, S. 144).

Diese Beobachtung des Beobachters ist bildhaft vergleichbar mit einer Fahrt in der Achterbahn. Aus der Perspektive des Fahrenden bin ich voll im Geschehen, mit all den Aufregungen, dem Herzklopfen, der Angst – ich bin eins mit meinen Emotionen. Ich kann mich aber auch neben die Achterbahn stellen und mich gedanklich dabei beobachten, wie ich im Wagon sitze. Es wird mir möglich sein, die aufkommenden Zustände, da sie mir bereits bekannt sind, auch zu empfinden, aber eben aus einer distanzierteren Perspektive heraus, mit etwas Abstand zu mir selbst. Und mehr noch: Ich könnte mich auch als Beobachter des Geschehens beobachten, also aus einer noch distanzierteren Haltung heraus!

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