Czytaj książkę: «Der Dialog in Beratung und Coaching», strona 4

Czcionka:

2 Begriffe des Dialogs

Eine Reihe von Begriffen, Ideen und Herangehensweisen sind von grundlegender Bedeutung, um den Dialog nicht als Gesprächstechnik, sondern als umfassende Haltung zu begreifen, sowohl was eigene, intraindividuelle Veränderungsprozesse als auch was den Blick auf unser soziales Umfeld und die Zugänge diesem gegenüber betrifft. Sie sind außerdem hilfreich, um den Dialog-Begriff vom alltagssprachlichen Dialog abzugrenzen.

David Bohm verwendet in seinen Büchern eine Reihe typischer Termini, deren Verständnis essenziell ist für ein Eintauchen in seine Gedanken und seine Ideen über den Dialog. Ebenso finden wir in den Werken von Buber, Senge, Isaacs, Scharmer, Hartkemeyer und anderen (siehe Literaturverzeichnis) sehr wertvolle Gedanken, welche helfen können, die eigene Annäherung an dialogische Prinzipien und geistige Transformationsprozesse zu unterstützen. Da im vorliegenden Buch eine Art Synthese unterschiedlicher Zugänge verfolgt wird, kann auch nicht von „dem“ Dialog oder vom „Dialog nach David Bohm“ o. Ä. gesprochen werden. Vielmehr sollen die Leser ermutigt werden, ihre eigenen Gedanken und Modelle zu einem ganz persönlichen dialogischen Konzept zu entwickeln.

Dennoch ist es meiner Meinung nach unumgänglich, von einigen maßgeblichen Prinzipien und einem gemeinsamen Grundverständnis dialogischer Kernbereiche auszugehen, da die spezifische Dialog-Haltung andernfalls nicht herausdestilliert werden kann. Dialogische Elemente finden sich naturgemäß in einer Vielzahl von Kommunikations- und Interventionsmodellen.

2.1 Thinking und Thought

In der Psychologie werden die Vorgänge des Denkens oft in Form von Bottom-up- und Top-down-Prozessen beschrieben. Wenn wir beispielsweise einen Tisch als solchen wahrnehmen, befinden wir uns am Ende eines komplexen Vorganges, der sich von der rein sensorischen Wahrnehmung, beginnend bei der Netzhautreizung bis hin zu weit zurückliegenden, gespeicherten Erfahrungen über das, was einen Tisch ausmacht, hinzieht. Es treffen, irgendwo in der Mitte, also rein mechanische Prozesse von unten (bottom-up) auf höhere mentale Fähigkeiten und Fertigkeiten von oben (top-down) (Abb. 6, nächste Seite).

Abb. 6: Bottom-up- und Top-down-Prozesse: Informationen aus der Umwelt werden einerseits von unten nach oben transformiert und verändert, andererseits wird die Wahrnehmung auch durch bereits vorhandene Informationen und Erfahrungen (Wissen, Motivation, Erwartungen etc.) beeinflusst (adaptiert nach Zimbardo 1992, S. 140).

Dieses Erklärungsmodell kann als Bild dafür dienen, was David Bohm als thinking und thought bezeichnet. „Thinking“, das Denken als gegenwärtiger Prozess, läuft mehr oder minder automatisiert ab und produziert „thoughts“, also Denkprodukte. Dies entspricht der neuronalen Aktivierung beim Betrachten eines Tisches, die automatisch und praktisch unbemerkt geschieht und dann im Zusammenspiel mit den Top-down-Prozessen, den gespeicherten Erinnerungen und Erfahrungen, die Wahrnehmung eines Gegenstandes als Tisch produziert. Diese Tisch-Wahrnehmung verlässt – etwas bildlich und unkorrekt gesprochen – diesen komplexen Wahrnehmungsprozess als Denkprodukt, als „thought“, ohne dass wir uns dessen in der Regel bewusst sind. „We have the idea that after we have been thinking something, it just evaporates“ (Bohm 2007, S. 8). Das Denken als Prozess hinterlässt Spuren im Gehirn, die dann zu automatisierten Denkprodukten, zu „thoughts“, werden. Die „thoughts“ gefallen sich in der Rolle, als Quelle für zwischenmenschliche Probleme und für Emotionen zu fungieren.

Einem Trainer wurde einmal von einer Seminarteilnehmerin vorgeworfen, er sei unsensibel und verwende Redewendungen, die absolut deplatziert seien. Ausgangspunkt war die von ihm gebrauchte Phrase „Da kann ich mich ja gleich aufhängen“. Es stellte sich in einem klärenden Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt heraus, dass ein Familienmitglied dieser Teilnehmerin Jahre zuvor Selbstmord durch Erhängen verübt hatte. Verständlicherweise war dieses Ereignis traumatisierend und die Verwendung dieser Phrase aktivierte bei ihr einen Teil jener unangenehmen vergangenen Emotionen, was wie automatisiert zu dem eben zitierten Vorwurf der mangelnden Sensibilität seinerseits führte. Dies als Beispiel für die von Bohm gemeinte Unterscheidung von „thinking“ und „thought“: „Thinking“ lief bei jener Teilnehmerin praktisch unbewusst ab und produzierte „thoughts“ ebenso wie „felts“: das Empfinden des als unsensibel und deplatziert erlebten Verhaltens als Endprodukt dieses unbemerkten Denkprozesses, der dann für andere sichtbar kommuniziert wurde. Sie war sich, wie sie ausführte, in jenem Moment während des Seminars der Quellen ihrer emotionalen Befindlichkeit nicht bewusst – dies erkannte sie erst später.

Der Dialog kann uns als Hilfe dienen, der eigenen unbemerkten Denkprozesse stärker gewahr zu werden und dadurch Veränderungen im eigenen Denken anzuregen. Im Dialog wird durch die Gruppe verschiedener Menschen eine Art Abbild der Gesellschaft geschaffen, wodurch vielfältige Ideen, Meinungen, Wertungen, Gedanken etc. im Raum stehen. Dies kann, muss aber nicht den Fokus weg vom Eigenen hin zum Verschiedenen lenken. Damit eine Gruppe von Personen den Weg hin zur Kreation von etwas Neuem, Gemeinsamem findet, ist neben der Erfahrung mit kreativen Gesprächen auch der Wille, altbewährte Pfade zu verlassen, gefordert (siehe Kap. 6 zu den Grundkompetenzen).

Das Denkprodukt, „thought“, wird von Bohm also auch als Problem gesehen, was auf den ersten Blick einen gewissen Widerspruch bedeutet, da das Denken und die Produkte dieser Denkprozesse schließlich genau das ausmachen, was uns Menschen den Fortschritt beschert.18

Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu verstehen? Das Problem ist wohl, dass wir uns der Aktivitäten und Schlussfolgerungen unserer Denkprozesse in der Regel nicht bewusst sind, vor allem, wenn es sich um etwas handelt, das uns emotional berührt, uns wichtig ist. Dabei sind Emotionen und Gedanken sehr eng miteinander verwoben, um nicht zu sagen: Sie sind kaum zu trennen. Zumindest so lange nicht, bis eine intellektuelle Beschäftigung mit den Ursachen und Gründen eines bestimmten emotionalen Zustandes stattgefunden hat. Um auf das eingangs zitierte Beispiel zurückzukommen: In jenem Moment der Klarheit nach einer Zeit des Abstandgewinnens und der intellektuellen Beschäftigung mit dem, was diesen emotionalen Zustand bei jener Seminarteilnehmerin hervorgerufen hatte, war es ihr möglich, ihre Gefühlslage von der Aussage des Seminarleiters zu trennen und zu erkennen, dass dieser eben nicht die Ursache für ihren Zorn war. Somit konnten nach der Analyse die Emotionen gedanklich klar abgetrennt werden.

Dieses Beobachten meiner selbst, meiner eigenen Gedanken, Reaktionen und emotionalen Befindlichkeiten ist zweifelsohne eine der grundlegenden Kernfähigkeiten, welche die Entstehung tiefer Dialoge fördern. Dadurch, dass niemand etwas sagen muss, niemand seine eigenen Positionen zu verteidigen hat, sondern sich auch ganz der Innenschau widmen und die Beiträge anderer für die intim-persönlichen Transformationsprozesse aufnehmen kann, eröffnen sich Möglichkeiten für tiefgehende Prozesse im eigenen Erleben, die bei anderen Gesprächsformen so kaum stattfinden.

2.2 Feelings und Felts / Embodiment

Ganz ähnlich wie mit der Differenzierung in „thinking“ und „thought“ verhält es sich mit Bohms Diktion die Gefühle betreffend. In der Gegenwartsform, feeling, bewegen wir uns im direkten Kontakt mit der aktuellen Wahrnehmung, so als wäre das Fühlen ein nahezu ausschließlicher Gegenwartsprozess. Tatsächlich sind die momentanen Gefühle natürlich ebenso wie die momentanen Gedanken in erster Linie das Produkt von Vergangenem, weshalb Bohm zur Abgrenzung dieser aktuellen Prozesse die Bezeichnung felts vorschlägt. „Felts“ sind gespeicherte „feelings“.19

Wir kennen die Situationen, in denen bei bestimmten Wahrnehmungen plötzlich intensive positive oder negative Gefühle entstehen, die im Grunde nur dadurch zu erklären sind, dass gefühlte Erinnerungen aufkommen. Das Hören der Bundeshymne wäre so ein Beispiel. Viele Menschen empfinden eine Art Transformation in tiefe Gefühlszustände, wenn die Nationalhymne ihres Landes ertönt, ja mehr noch: Es wird als sozial angemessen betrachtet, hierbei aufzustehen, die Kopfbedeckung ab- und eine aufrechte Körperhaltung einzunehmen usw., als Ausdruck der besonderen Gefühle und Wertschätzung, welche damit einherzugehen haben.

Viele dieser Gefühle, die aus der Vergangenheit „heraufkommen“, sind „felts“, gespeicherte und aktuell abgerufene „feelings“ also. Es ist wichtig, hier diese Unterscheidung zu treffen, da den „feelings“, dem also, was wir aktuell erleben, sonst möglicherweise zu viel Bedeutung beigemessen wird. Die aufbewahrten Emotionen beeinflussen den momentanen körperlichen Zustand teilweise enorm, oft auch so, dass dies äußerlich sichtbar wird, etwa durch das unbewusste Einnehmen bestimmter Körperhaltungen, was dann wieder auf die Gefühle rückwirkt.

Es gehört wohl zu den bekanntesten Ausdrücken der Alltagspsychologie, dass der Körper der Spiegel der Seele sei. Emotion und Kognition sind sehr eng mit dem Körperausdruck, der Körperhaltung verbunden. Das ist natürlich für uns im Kontext des Dialogs interessant, und gewiss nicht nur deshalb, weil wir durch das kreisförmige Setting Körperhaltungen der anderen einerseits wahrnehmen und andererseits selbst Informationen über unseren eigenen körperlichen Ausdruck an die anderen übermitteln.

Ein sehr geläufiges Beispiel dafür, wie ein angenommener emotionaler Zustand über körperliche Erscheinungsformen den Weg nach außen findet, ist der Pupillenreflex. Bei positiven Wahrnehmungen vergrößert sich die Pupillenweite kurzfristig abhängig vom Beleuchtungsgrad. Lehnen wir etwas ab, kommt es zu einer Verengung.

Irenäus Eibl-Eibesfeldt zitiert eine aufschlussreiche Studie dazu aus den 1970er-Jahren.20 Männlichen und weiblichen Probanden wurden Aufnahmen von Säuglingen gezeigt. Bei Frauen weiteten sich die Pupillen unabhängig davon, ob sie ledig waren oder Kinder hatten, bei Männern dann, wenn sie selbst Kinder hatten, aber zu einem etwas geringerem Ausmaß. Auf der anderen Seite reagieren Männer auf Bilder von nackten Frauen „mit starker Pupillenerweiterung“ (Eibl-Eibesfeldt 1995, S. 622).

Sie können sich anhand der Abbildung 7 selbst von diesem Effekt überzeugen: Welche Aufnahme wirkt positiver auf Sie? Die Bilder sind identisch bis auf die durch Retuschierung künstlich vergrößerten bzw. verkleinerten Pupillen.


Abb. 7: Pupillengröße: Emotionen finden ihren Weg in körperliche Ausdrücke (Eibl-Eibesfeldt 1995, S. 624).

Der Pupillenreflex ist eine Leistung des vegetativen Nervensystems und daher nicht direkt willentlich beeinflussbar. Aber interessant ist, dass man derartige autonome Reaktionen dennoch evozieren kann, wenn man Personen auffordert, für bestimmte körperliche Ausdrücke typische Muskeln zu kontrahieren, etwa für Lächeln oder Ärger. Im Rahmen eines Experiments aus den 1990er-Jahren wurden die Versuchspersonen instruiert,

a) die Augenbrauen zusammen- und herabzuziehen,

b) die oberen Augenlider zu heben und

c) die Unterlippe nach oben zu drücken und die Lippen zusammenzupressen.21

Die Personen wussten natürlich nichts über den Zweck des Experiments, dennoch gaben sie im Nachhinein an, die entsprechenden Gefühlslagen erlebt zu haben. Und es entsprachen sogar die autonomen Reaktionen, wie Muskeltonus oder Pulsfrequenz, jenen, die für diese Ausdrücke typisch sind.

Gefühle können sich über den Körper ausdrücken und umgekehrt kann die Körperhaltung Einfluss auf Gefühle nehmen. „There is a profound connection between the state of the body and the way you think“, meint Bohm. „The state of the body is very profoundly tied to thought, affected by thought, and vice versa. That’s another kind of fragmentation we have to watch out for“ (Bohm 2007, S. 9). Mit dieser Art von Fragmentierung ist ein inkohärenter Zustand gemeint, eine Diskrepanz zwischen dem Denken und erwarteten Ergebnis, und Bohm gibt folgendes Beispiel: Es kann für jemanden sehr angenehm sein, umschmeichelt zu werden, was allerdings oft den Preis hat, ausgenutzt zu werden, eben von der schmeichelnden Person. Es entsteht ein inkohärenter Zustand. Die bewusste Absicht ist mit unbeabsichtigten Folgen konfrontiert, ein Wunsch steht im Widerspruch zu den Folgen.

Jede Emotion ist mit körperlichen Zuständen gekoppelt. Deshalb sollten wir auch immer auf unseren Körper hören und wahrnehmen, wodurch wir inkohärente Situationen besser erkennen können.

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: Ein Freund schenkt mir immer wieder etwas, was ich gerne annehme, zum Beispiel deshalb, weil es praktisch ist – ich muss es nicht selbst kaufen. Dafür nimmt sich dieser Freund aber gerne die Freiheit heraus, mir Vorschriften zu machen. Im Extremfall höre ich dann auch: „Da schenke ich dir dies und jenes, und du kannst nicht mal hier meinen Wunsch berücksichtigen.“

Ich befinde mich in einer Zwickmühle. Konsequent wäre es, sich hier zu fragen: „Ja, da gibt es jetzt in mir eine Inkohärenz. Ich versuche nun herauszufinden, worin die falschen Informationen bestehen, und es zu ändern.“22 Tatsächlich manövrieren wir uns oft in inkohärente Situationen, in denen unser Denken gegen unsere Gefühle und Erwartungen arbeitet und gleichzeitig versucht, diesen Zustand wieder zu beheben.23 Deshalb ist es hilfreich, auf die eigenen Gefühle zu achten, die sich ja in irgendeiner Weise körperlich ausdrücken, etwa durch Zittern, Wärme, ein „Flattern“ im Bauch o. Ä.

In diesem Zusammenhang ist das Konzept des Embodiment interessant, auf das ja schon Bezug genommen wurde. Unser kognitives System steht immer in Verbindung zum gesamten Körper und zur restlichen Umwelt. „Das Konzept Embodiment behauptet, dass ohne diese zweifache Einbettung der Geist/das Gehirn nicht intelligent arbeiten kann. Entsprechend kann ohne Würdigung dieser Einbettungen der Geist/das Gehirn nicht verstanden werden“ (Storch et al. 2010, S. 15).

Die geistigen Prozesse (Kognitionen) sind also in den Körper eingebettet („embodied“) und nur durch diese Einbettung ist das zirkuläre Wechselspiel zwischen Kognition und Emotion zu verstehen. Ebenso wie in den Körper sind die Kognitionen in die weitere Umwelt eingebettet.


Abb. 8: Embodiment: Muskelaktivierung führt zu erwarteten Gefühlen (Strack et al. 1988, S. 771).

Ein spannendes und obendrein witziges Experiment, das zeigt, wie körperliche Ausdrücke auf Emotionen einwirken, wurde 1988 publiziert. Es handelt sich bei diesem Experiment um die Überprüfung der Facial-Feedback-Hypothese von Paul Ekman. Diese behauptet, dass, wenn ein bestimmter Gesichtsausdruck (auch „künstlich“) hergestellt wird, entsprechende Emotionen, die mit der (natürlichen) Aktivierung dieser Muskelgruppen einhergehen, ausgelöst werden können (Strack et al. 1988).

Die Versuchspersonen wurden instruiert, einen Stift entweder mit der dominanten Hand, mit den Lippen oder mit den Zähnen zu halten (Abb. 8).24 Natürlich wurden sie über den wahren Grund der Untersuchung zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgeklärt – es handelte sich um eine sogenannte Coverstory. Sie glaubten, es ginge um ein Experiment zu psychomotorischer Koordination.

Unter anderem wurden die Personen im Lauf des Experiments gebeten, Gary-Larson-Cartoons hinsichtlich ihres Lustigkeitsfaktors zu beurteilen. Die Frage war, ob die Versuchspersonen der Gruppe 3, die durch das Halten des Stiftes in eine lächelnde Position gezwungen wurden (Gruppe „Zähne“), die Cartoons im Mittel als lustiger einstufen würden. Diese Vorannahme wurde tatsächlich bestätigt (Tab. 1). Die Gruppe „Zähne“ stufte die vier Cartoons im Mittel mit 5,19 auf einer zehnstufigen Skala von 0 bis 9 als lustiger ein als die Gruppe „Lippe“ mit 4,32. Die Kontrollgruppe „Hand“ lag mit 4,77 dazwischen.

Tab. 1: „Künstliches“ Lächeln: Der Lustigkeitsfaktor steigt (adaptiert nach Strack et al. 1988, S. 772).


Lippe Hand Zähne
Cartoon 1 3,9 5,13 5,09
Cartoon 2 4 4,1 4,19
Cartoon 3 4,47 4,67 5,78
Cartoon 4 4,9 5,17 5,5
Durchschnitt Lustigkeit 4,32 4,77 5,14

Es könnte tatsächlich sein, dass die Gesichtsmuskulatur unter bestimmten Bedingungen auf die Stimmung Einfluss nimmt. Allerdings sind die Ergebnisse dieser Studie mit Vorsicht zu genießen, weil eine rezente Meta-Analyse diese nicht bestätigen konnte (Wagenmakers et al., 2016).

2.3 Fragmentierung

Das Denken ist ein kontinuierlicher Prozess, der selbstverständlich nicht linear abläuft. Wir unterliegen oft einer Illusion der Linearität des Denkens, was wohl zum Teil in der Tradition des westlichen, wissenschaftlich geprägten Herangehens an Probleme liegt. Das kartesische Koordinatensystem mit seiner x- und y-Achse suggeriert, ein Mehr des einen führe zu einem Mehr des anderen, was natürlich oft stimmt, aber eben sicher nicht beim Denken! Das mag trivial klingen, jedoch sind viele von uns so stark von diesem wissenschaftlichen Denkstil geprägt, dass wir ihm auch dort folgen, wo er sich nachteilig auswirkt.

In der traditionellen westlichen Denkart ist es Usus, ein „Problem“ in so viele Teile zu zerlegen, bis es analysiert und gelöst werden kann. Dadurch kommt es zu einer Zersplitterung, zu einer Konzentration auf Elemente, die oft so aufgefasst werden, als seien sie für sich bestehende Entitäten.

So schreibt Bohm: „Thought is creating divisions out of itself and then saying that they are there naturally. […] People have come to accept those divisions and that made them be there. The same holds for the divisions between religions“ (Bohm 2007, S. 6).

Im Lauf der Zeit, das gilt sowohl historisch für das kollektive als auch für das individuelle Denken (welches sich zum Großteil aus dem kulturell Gemeinsamen speist), gerät dann in Vergessenheit, dass eigentlich nichts für sich allein Bestand hat, dass alles irgendwie zusammenhängt, dass selbst die großen Entwicklungen wie die Religionen oft aus einem Gemeinsamen heraus entstanden und diese Gemeinsamkeiten aber nicht mehr (in ausreichendem Maße) im Denken vorhanden sind.

Als ein Beispiel seien das Christentum und der Islam genannt oder, etwas genereller ausgedrückt, die Gemeinsamkeiten der arabischen und der europäischen Wissenschaftsgeschichte. Wenn man die heutigen Konflikte zwischen diesen beiden „Welten“ betrachtet, vergisst man aufgrund der scheinbaren Unüberwindlichkeit der Gegensätze die vielen gemeinsamen Wurzeln. So führt etwa Herbert Pietschmann (Pietschmann 2009) aus, dass dem Islam der Erhalt des für die Entwicklung der europäisch geprägten Naturwissenschaften so wesentlichen Aristotelismus zu verdanken ist oder das Dezimalsystem, welches aus Indien über die Araber nach Europa kam, inklusive der Null, welche zuvor in Europa rund zwei Jahrtausende lang dem „horror vacui“25 zum Opfer gefallen war.

Besonders deutlich wird die Fragmentierung, um eines von Bohms bekannten Beispielen zu nennen, wenn wir die politische Aufteilung der Welt betrachten. Es scheint uns so normal, diese künstlichen Grenzen als gegeben zu betrachten. „Wir bilden separate Nationen, die gänzlich ein Resultat unseres Denkens sind, ebenso wie die Trennung in verschiedene Religionen […] Die Fragmentierung ist eine der Schwierigkeiten des Denkens, aber die Wurzeln liegen tiefer“ (Bohm 1998, S. 38).

Meiner Meinung nach ist eines der Hauptprobleme dieser von Bohm beschriebenen Fragmentierung, dass dieser Automatismus ebenso auf die vermeintliche, die gedachte Trennung von Körper, Gefühl und Gedanken wirkt.26 Dabei stehen doch Emotionen und Gedanken in sehr starker Nähe und Wechselwirkung. Die gegenseitige Beeinflussung ist so stark, dass wir es als eine der Hauptaufgaben des Dialogs betrachten, uns diesen zumeist unbewusst ablaufenden Interaktionen sehr nachdrücklich zu widmen! Dabei stellt die intensive Verknüpfung von Emotion und Gedanken per se nicht unbedingt ein Problem dar, vielmehr kann sich der Automatismus dieser Verbindung als problematisch herausstellen.

René Descartes meinte, durch die Annahme zweier voneinander verschiedener Substanzen, der „res cogitans“ (Geist) und der „res extensa“ (Materie), weiterzukommen, was allerdings leider zu einer Abwertung der Gefühle führte: Auf der einen Seite steht die objektive Welt, auf der anderen der subjektive Geist, kontaminiert mit Gefühlen, und das Ziel soll sein, die Welt so zu beschreiben, wie sie „ist“. Zweifel an dieser Anschauung, man könne die Welt wahrnehmen, wie sie ist, wurden schon zu Zeiten der antiken Philosophie formuliert, man denke etwa an das Höhlengleichnis von Platon, und dennoch beeinflusst sie uns immer noch gewaltig. Descartes formulierte in seinem „Discours de la méthode“ auch vier Regeln, von denen die zweite im Grunde lautet, schwierige Probleme in kleinere Teile zu zerlegen und als solche zu behandeln – wir könnten also sagen, zu fragmentieren.

Für den Dialog heißt dies in direkter Folge zweierlei: Erstens fühlen wir uns konstruktivistischem Gedankengut verpflichtet, ohne dieses als Wahrheit verteidigen zu müssen, was ja sofort zu einem unüberwindbaren Widerspruch führen würde, sondern um es als praktikables (d. h. viables) Modell zu wählen. Zweitens gilt es, sich diesen Automatismen im wechselwirksamen Fluss von Gefühlen und Gedanken intensiv zu widmen. Die Nähe zum Konstruktivismus ist weit mehr als eine theoretische Überlegung. Sie führt letztlich zu der Überzeugung, dass es kein Richtig und kein Falsch geben kann, sondern nur unterschiedliche Zugänge. In weiterer Konsequenz zieht sie das Ideal nach sich, in Gesprächen nicht überzeugen zu wollen. Das heißt, ich lasse meine Meinung gleichberechtigt neben jener des anderen stehen, was besonders dann schwerfällt, wenn es sich um eine Thematik handelt, welche mich emotional berührt und mir wichtig ist. Wir werden diesen Gedanken vor allem im Kapitel 6.1 (Der Umgang mit widersprüchlichen Wahrnehmungen) weiterverfolgen und praktisch beleuchten.