Czytaj książkę: «Die Maske des Pharaos», strona 8

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Dann geschah etwas Unglaubliches. Die oberste Schlange glitt herab und platzierte sich am Fuß des kleinen Knäuels. Voller Spannung sahen wir, wie gleich darauf das nächste Tier seine Position verließ und nach unten glitt. Mehr und mehr Schlangen wanden sich oben heraus, so dass der Hügel aus Tieren flacher wurde.

„Da ist was drunter!“, rief Janine.

„Gold!“, flüsterte Sanne.

Dort, wo Janine die Tafel hingeworfen hatte, erschien eine goldene Spitze inmitten all der Leiber der Schlangen, die sie förmlich ausgebrütet zu haben schienen. Die kleine Skulptur blitzte im Licht der bereits sehr schräg stehenden Sonne. Sie war zweifellos aus Gold. Dann hatte sich auch die letzte Schlange zurückgezogen.

„Eine Pyramide!“, rief Janine. „Eine Pyramide aus Gold!“

Ich blinzelte. Da stand tatsächlich so etwas wie eine Pyramide. Vielleicht so hoch wie ein kleiner Buddeleimer und ich hätte wetten können, dass das Ding aus echtem Gold war. Solch einen Glanz gibt es nur einmal. Die Schlangen hatten sich rund um das Gebilde gelegt und rührten sich nicht. Ich konnte es nicht glauben. Es war wie ein Traum.

„Ich wollte schon immer mal wissen, wie man aus Blei Gold macht!“, sagte Tommy. „Guter Wurf, Janine!“

„Aber ...“ Ich stockte und konnte nicht recht lachen. „Das ist doch keine Antwort!“

„Dazu müssen wir das Ding erstmal holen“, meinte Tommy. „Janine, wie wär’s?“

„Niemals!“ Janine machte einen Schritt zurück. „Nie im Leben fasse ich da hinein und lass mich beißen! Bitte ... ich mach alles für meine Mutter, aber lasst mich nicht zu den Schlangen gehen!“

„Ich werde es tun!“, sagte ich und erschrak vor mir selbst.

„Ehrlich?“ Janines dankbarer Blick machte mich total hilflos. Jetzt konnte ich nicht mehr zurück. Auf der anderen Seite wollte ich das ja auch gar nicht. Ich war zwar ziemlich sicher, dass das die ungiftigen Äskulapnattern waren. Ziemlich. Aber ich erinnerte mich, dass diese Nattern zu den Pythons gehörten. Und die konnten verdammt gut beißen. Da lagen etwa hundert Schlangen. Kleine und große. Auch sehr große...

„Ich mach alle deine Hausaufgaben, wenn ich nicht gehen muss!“, sagte Janine und strahlte mich an.

„Pass auf, was du sagst“, lächelte ich. „Ich muss noch sechs Jahre zur Schule gehen!“

„Soll ich mitkommen?“, fragte Sanne.

„Nein, du kannst mich verbinden, wenn sie mich gebissen haben.“

Ich blickte mich um, ob irgendetwas Brauchbares zu entdecken war, womit ich mir die Biester vom Leibe halten konnte. Doch hier gab es einfach nichts. Mit Steinen wollte ich nicht werfen und sie reizen schon gar nicht. Es half nichts. Ich musste mit bloßen Händen zu den Schlangen.

Dann ging ich langsam los. Ganz behutsam trat ich auf, denn ich wusste, dass Schlangen nicht im eigentlichen Sinne hören, sondern jede Annäherung mit feinen Sensoren in ihren Körpern erspüren. Ich wusste aber auch, selbst wenn ich mich noch so vorsichtig bewegte, sie würden es wahrnehmen wie ein Donnern. Als ich näher herankam, versuchte ich, einzelne Tiere zu unterscheiden, doch sie lagen so ineinander verknäuelt, dass das unmöglich war. Wie ein großes Schiffstau ringelten sich die Schlangen um das, was sie bewachten. Hütet euch vor den Wächtern ...!

Plötzlich raste dieser Satz wieder durch meinen Kopf und ich blieb stehen. Waren diese Schlangen womöglich Wächter? War ich schon wieder dabei, etwas Furchtbares auszulösen?

„Was ist los?“, kam Tommys leise Stimme von hinten. Langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite, um ebenso leise zu antworten.

„Was ist, wenn das Wächter sind?“

Ohne zu Zögern antwortete Tommy. „Das glaube ich nicht. Sie haben die Tafel genommen und dieses Goldstück freigegeben. Es muss für uns sein. Behalt sie einfach im Auge.“

Toller Rat! Behalt sie im Auge ... Das hätte ich so oder so getan. Ich nahm die Schlangen wieder ins Visier und entschied mich. Ich hatte ziemlich wackelige Knie, aber zehn Schritte und ich stand vor dem Kreis aus Schlangenleibern.

Nichts tat sich. Scheinbar reglos lagen sie da. Lauerten sie? Mir wurde klar, dass ich nicht einfach rüberfassen konnte, um an die goldene Pyramide zu kommen. Um sie überhaupt anfassen zu können, würde ich einen Fuß genau zwischen die Schlangen setzen müssen!

Ich nahm all meinen Mut zusammen. Vorsichtig hob ich das rechte Bein an und hielt es dicht über die vielen Tiere. Überall sah ich schwarze Augen blitzen und unzählige Zungen zischelten hervor. Meine Nackenhaare richteten sich auf. Ich sagte mir immer wieder die sind ungiftig ... die sind ungiftig ... und versuchte mich zu erinnern, was ich über die Nattern gelesen hatte. Völlig harmlos und vom Aussterben bedroht ...

Dann konnte ich das Bein nicht länger in der Luft halten. Es fing an, unkontrolliert zu zittern, so dass ich es absetzen musste, sonst wäre ich kopfüber auf die Schlangen gefallen.

Ich wollte es zurückziehen, aber ich hatte so lange verkrampft dagestanden, dass mir meine Beine nicht mehr gehorchten. Ich kippte nach vorne und mit einem lauten Bumms stampfte mein rechtes Bein direkt neben die Pyramide in den Sand. Mitten zwischen all den Nattern!

Meine Nackenhaare richteten sich auf, während ich mit gespreizten Beinen dastand. Genau über den Schlangen. Aber sie taten mir nichts. Mein Blick huschte hektisch über den Kreis aus Leibern. Ich atmete erst wieder ein, als mir die Brust wehtat.

Ich warf einen kurzen Blick zurück. Unbeweglich beobachteten mich die anderen. Dann hielt Tommy den Daumen hoch. Was hätte ich gegeben, jetzt an seiner Stelle zu sein! Ich war mit meinen nackten Beinen so nah über den Schlangen, dass ich die Wärme ihrer Körper spüren konnte. Merkwürdigerweise gab mir dies den letzten Anschub.

Ohne jetzt noch viel zu überlegen bückte ich mich und hob das mysteriöse Gebilde an. Es war höllisch schwer und beinahe wäre ich aus dem Gleichgewicht geraten. Ich musste es mit beiden Händen packen. Jetzt kam der heikelste Moment. Was würde passieren, wenn ich das Ding aus dem Bannkreis der Schlangen entfernte? Ich kämpfte mit dem Bild von hundert Schlangen, die plötzlich loszischten, in meine Beine bissen, sich an ihnen hoch schlängelten und mich unter sich begruben! Pythons sind Würgeschlangen! ging es durch meinen Kopf. Was nutzte es da, wenn sie nicht giftig waren?

Ich traf eine Entscheidung. Ich hielt die Pyramide mit ausgestreckten Armen über die Stelle, von der ich sie aufgehoben hatte und stellte gleichzeitig mein Bein zurück auf die andere Seite. Dann wartete ich einige Sekunden.

Nichts geschah. Gleich würde ich es wissen. Mit einem Ruck riss ich die Arme an meine Brust und hielt meine Beute fest umklammert. Dann tat ich einen Schritt rückwärts. Und noch einen. Die Schlangen rührten sich nicht.

Langsam tastete ich mich zurück zu den anderen, die Tiere nicht aus den Augen lassend. Unendlich erleichtert erreichte ich die Mauer, meine Puddingbeine gaben nach, und ich plumpste mit dem Hosenboden auf die Steine.

„Geschafft!“, entfuhr es mir.

„Sieh doch!“, rief Sanne neben mir. Sprachlos sahen wir zu, wie jetzt plötzlich Bewegung in die Leiber kam. Doch die Tiere hatten kein Interesse an uns. Eine nach der anderen löste sich aus dem Gewirr, glitt zum Stamm des Baumes und schlängelte sich an ihm empor.

„Sie gehen dahin zurück, wo sie hergekommen sind“, flüsterte Janine.

„Nie wieder gehe ich unter einen Baum!“, murmelte Sanne.

Es dauerte keine drei Minuten und nichts erinnerte mehr an die unheimliche Begegnung, die wir gerade hatten. Die Schlangen hatten sich in der riesigen Pinie wieder unsichtbar gemacht. Ich atmete auf.

„Das nächste Mal gehe ich aber nicht vor!“

„Das hast du vorhin schon mal gesagt!“, lachte Tommy. „Aber jetzt zeig doch mal, was du aus der Schlangengrube geholt hast!“

Das Stück Gold in meinen Händen war so schwer, dass ich es auf der Mauer absetzen musste.

„Sieht wirklich aus wie eine Mini-Pyramide“, meinte Sanne. Jetzt, wo der kostbare Gegenstand auf der Mauer stand, wirkte er eindeutig wie eine kleine Pyramide. Die glatte Oberfläche glänzte wie poliert und die Sonne blitzte auf ihr, wenn man sie bewegte. Janine befühlte mit den Fingern eine der Seiten.

„Die glänzt wie eine CD!“

„Schade, dass man sie nicht abspielen kann“, meinte ich. „Dann wüssten wir, wie's weitergeht.“

Sanne war schon wieder ungeduldig. „Die Sonne geht bald unter!“

Überrascht schauten wir auf. Tatsächlich! Es würde nicht mehr länger als vielleicht noch eine Stunde dauern. Wir mussten uns irgendeinen Unterschlupf suchen.

„Gab's noch einen Hinweis auf der Mondscheibe?“, fragte ich in die Runde. Einhelliges Kopfschütteln.

„Das war's“, sagte Tommy. „Die Tafel für das Orakel. Das Orakel hat eine merkwürdige Art, mit uns zu reden. Also, strengt euch an! Wir müssen rausbekommen, was das Ding hier bedeuten soll.“

Irgendwie war ich zu müde zum Nachdenken. Das war wahrlich kein Wunder, denn was hatten wir heute alles durchgemacht! Ich versuchte mich zu konzentrieren, konnte aber keinen klaren Gedanken mehr fassen. Als ich in die Gesichter der anderen sah war mir klar, dass es ihnen nicht besser ging. Und dann half uns jemand unfreiwillig, mit dem wir überhaupt nicht gerechnet hatten.

Mein lieber fauler Hund kam auf mich zu. Ich streckte schon die Hand aus, um ihn zu streicheln. Da machte er doch tatsächlich den Versuch, zu mir auf die Mauer zu springen! Wer Lazy kennt, der weiß, das konnte nicht gut gehen. Ein unbeholfener Anlauf, und schon patschten seine beiden Vorderpfoten auf die Steine und ausgerechnet gegen die Pyramide! Ehe wir uns versahen, fiel Lazy von der einen Seite der Mauer und die Pyramide von der anderen hinunter und beide plumpsten in den Sand.

Als ich mich hinunterbeugte, um nachzusehen, ob sich mein Tollpatsch etwas getan hatte, jauchzte Tommy.

„Hey! Seht mal! Auf der Unterseite!“

Ich ließ Lazy los, der daraufhin beleidigt schnaufte, und lehnte mich über die Mauer, um zu sehen, was Tommy entdeckt hatte. Wir staunten nicht schlecht. Auf dem Boden der goldenen Pyramide war in der gleichen Schrift, wie wir sie auf der Mondscheibe gesehen hatten, etwas eingraviert! Tommy hob die Pyramide auf und pustete den Staub ab. Dann grinste er, als er unsere dummen Gesichter sah.

„Ich wusste es doch!“, lachte er. „Janine weiß, wie man aus Blei Gold macht. Hier habt ihr die Antwort des Orakels!“

Beinahe andächtig las er uns vor, was in den Boden der goldenen Pyramide eingraviert war:

Setzt das erste Licht des Tages

auf die Wohnstatt des Re

Die Mumie von Sakkara

„Das erste Licht?“, rätselte ich. „Wie soll man denn ein Licht setzen?“

„Eine Taschenlampe ist bestimmt nicht gemeint“, überlegte Sanne. „Außerdem ist unsere kaputt. Und was ist die Wohnstatt des Re?“

„Re, liebe Leute“, dozierte Tommy und wehrte Jever ab, der den salzigen Schweiß von Tommys Schienbein leckte. „Re ist ein Sonnengott. Also da passt das mit dem Licht ja wieder.“

Wieder einmal waren wir sprachlos. Tommy kannte diesen Re!

„Du weißt, wer Re ist?“

„Jepp!“, machte Tommy mich nach. „Wenn du mir gestern Morgen etwas früher über die Schulter gesehen hättest, würdest du ihn auch kennen. Kannst du dich noch an Amun erinnern?“

„Klar!“, nickte ich. „Der Zeus aus Ägypten!“

„Genau! Er wurde mit Zeus gleichgesetzt. Über Amun stand da noch mehr. Im Laufe der Zeit wurde er mit dem Gott Re verbunden. Man nannte ihn lange Zeit Amun-Re. Also entweder ist mit Re der Sonnengott gemeint oder eben Amun.“

Mir schwirrte der Kopf. Was Tommy alles wusste, würde ich mir nie merken. Also Re war ein Gott. War ja egal, was für einer.

„Und was hilft uns das?“

„Na, wir müssen seine Wohnung finden.“

„Wo wohnt denn ein Gott?“, fragte Janine.

Tommy zuckte die Schultern. „In einem Tempel, so wie Artemis. Oder auf einem Berg, so wie Zeus oder in einem Grab.“

„In einem Grab?“, fragte ich entsetzt.

„Ich mein ja nur. Mehr so ein Platz, an dem man ihn anbetete. Muss ja kein Grab sein. Übrigens ... das ist schon komisch ...“

Tommy zögerte und ließ seinen Blick in die Landschaft schweifen.

„Was hast du?“, fragte Sanne.

„Na, ich meine, Amun und Zeus ... Ägypten und Griechenland! Sind doch zwei verschiedene Länder. Aber sie scheinen durch ihre Götter verbunden. Und wie sieht’s hier aus?“

„Wie in Griechenland!“, kam es von Janine.

„Eben! Und die Hieroglyphen und die Kammer des Wissens sind eindeutig aus Ägypten. Ich habe so das Gefühl, dass die geheimnisvollen Mächte dieser Welt vor vielen tausend Jahren in beiden Ländern Götter waren.“

„Ja, und?“, rutschte es mir heraus. „Ist doch egal, wo sie herkommen. Wir müssen die Wohnstatt finden.“

„Tja“, lachte Tommy, „du machst ja in Geschichte immer Mathe! Aber Herr Seefeld hat Recht, wir müssen die Wohnstatt finden. Es wird bald dunkel. Ich mach noch mal die Runde und seh nach, ob ich was entdecke.“

Er reichte mir die Pyramide, stieg auf die Mauer und begann, den Kreis abzulaufen. Die Augen auf den Horizont gerichtet, balancierte er davon. Ich betrachtete das goldene Ding von allen Seiten, und auch Sanne und Janine versuchten, dem mysteriösen Geschenk der Schlangen ein weiteres Geheimnis zu entlocken. Aber je länger wir es betrachteten, desto ratloser wurden wir. Mit einem Mal ertönte ein Ruf von der anderen Seite des Orakelkreises.

„Kommt her!“, brüllte Tommy.

Hastig sprangen wir auf. Im ersten Moment wollte ich quer über den Platz des Orakels laufen, aber dann überlegte ich es mir und machte es den Mädchen nach, die genau wie Tommy auf der Mauer den Baum umrundeten. Ich glaubte zwar nicht, dass die Schlangen noch einmal zurückkehren würden, aber drauf ankommen lassen wollte ich es nicht. Jever hopste auf der Mauer vor mir her und Lazy lief außen entlang. Ich erkannte gleich, was los war. Die Mauer war kaputt!

Aufgeregt lief ich weiter und schloss zu den anderen auf. Als wir Tommy erreichten erkannten wir, dass die Mauer gar nicht kaputt war, sondern dass sie eine Art Durchlass hatte. Wie für einen Eingang waren die Steine herausgenommen.

„Seht euch das an!“, sagte Tommy und zeigte auf die Lücke. „Vorhin bin ich noch rüber gelaufen, und jetzt ist da ein Loch!“

„Wo sind die Steine geblieben?“, fragte Sanne.

„Die sind alle weg! Ich hab schon überall gesucht.“

„Meinst du, das ist ein neuer Hinweis?“, fragte ich und stellte die schwere Pyramide auf der Mauer ab. „Aber das bringt doch nichts, wenn wir jetzt wissen, wo hier früher der Eingang war. Wir haben doch die Antwort des Orakels.“

„Ja schon“, grinste Tommy verschmitzt. „Aber hast du mal an einen Ausgang gedacht?“

„Ein Ausgang?“, entfuhr es Janine. „Wohin denn? Sieht doch alles gleich aus.“

„Stimmt schon“, gab Tommy zu. „Aber warum sollte hier auf einmal ein Loch entstehen, nachdem wir die Antwort des Orakels erhalten haben? Ein Hinweis ist das auf alle Fälle. So wie: Da müsst ihr raus!“

Janine setzte zu einer Antwort an, aber dann nickte sie nur nachdenklich. Wie auf Kommando schauten wir alle in die Richtung, die uns der Ausgang vorgab. Die Ebene lag scheinbar endlos in der Abendsonne vor uns. Die Pinie in unserem Rücken und auch wir selbst warfen lange Schatten, und die Umgebung war in ein warmes ockerfarbenes Licht getaucht. In der vorgegebenen Richtung gab es eigentlich nichts Markantes. Außer vielleicht ...

„Was ist das?“, fragte Sanne und blinzelte angestrengt. „Da ganz hinten?“

Ich starrte zum Horizont, bis mir die Augen tränten. „Ich weiß nicht. Vielleicht wieder ein Baum?“

Tommy runzelte die Stirn. „Glaub ich nicht. Sieht aus wie ein Dreieck. Wenn doch, dann ist es eine Tanne. Die wächst doch so nach oben. Schade, dass wir das Fernglas nicht mehr haben. Das könnten wir jetzt gebrauchen.“

„Lasst uns gehen“, drängte Janine. „Es wird gleich dunkel. Ich will auf keinen Fall bei den Schlangen übernachten.“

Das wollten wir alle nicht. Ich wollte gar nicht daran denken, was wir machen sollten, wenn es dunkel würde. Schlafen? Niemals! Lieber würde ich die ganze Nacht im Kreis wandern.

„Also los, Leute!“ Tommy sah sich noch einmal um. „Haben wir alles?“

Inzwischen gab es sowieso nicht mehr viel, auf das wir Acht geben mussten. Ich nahm meinen Rucksack über die Schulter und das goldene Geschenk des Orakels in die Hände.

„Tut mir einen Gefallen und lasst uns abwechseln“, stöhnte ich. „Sonst fallen mir die Arme ab.“

Wieder einmal trugen uns unsere Füße einem unbekannten Ziel entgegen. Wenn ich auch sonst die merkwürdigen Silhouetten lang gezogener Schatten lustig fand, diesmal verursachten sie mir ein sehr mulmiges Gefühl. Ich hatte noch nie im Freien übernachtet. Außer beim Zelten, aber das war auf einer Klassenfahrt am Meer und nicht in einer mystischen und gefährlichen Welt. Ich glaube, meinen Freunden gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Ich ging als Letzter und hatte Mühe, Schritt zu halten. Mein Blick war auf Sannes Fersen geheftet, die vor mir ging. Ich hielt das schwere Goldstück in meinen Armen wie ein Baby, weil es mir sonst aus den Händen geglitten wäre.

Gerade als ich in einen richtigen Trott gefallen war, blieb Sanne abrupt stehen, so dass ich um ein Haar auf sie drauf geprallt wäre.

„Mensch, pass doch auf!“

„Sieh doch!“, rief Sanne. Ich schaute an ihr vorbei, und mir klappte vor Staunen der Kiefer runter. Vor uns ragte eine Pyramide in den Himmel! Ein mächtiges Bauwerk aus sandfarbenem Gestein, das in der Abendsonne fast golden glänzte. Ein unangenehmes Kribbeln durchlief meinen ganzen Körper. Wie war sie auf einmal dorthin gekommen? Wir waren vielleicht gerade mal fünf Minuten gelaufen. Ich konnte es nicht begreifen.

„Wo kommt die plötzlich her?“, sagte ich mehr zu mir selbst. „Warum habt ihr nichts gesagt?“

Die anderen standen ergriffen da, bis endlich Leben in Tommy kam.

„Ich habe nur ein paar Sekunden nach unten gesehen, weil hier so kleine Disteln sind. Und im nächsten Moment ... “

„Ich hab nur auf deine Hacken geguckt“, sagte Janine.

„Und ich auf deine“, murmelte Sanne.

„Vielleicht ist die gar nicht echt“, sagte ich mit wenig Überzeugung. „Sondern eine Fata Morgana!“

„Dann würde sie flimmern“, meinte Tommy. „Nein, die ist echt. Die steht bestimmt unseretwegen hier.“

„Für uns?“, fragte Janine erstaunt. „Aber wir haben doch schon eine Pyramide.“

Tommy nickte. „Ja, schon. Aber vielleicht ist die kleine nur ein Symbol für die große.“

Ich hielt meinen Schatz fest umklammert. „Ja, und die kleine könnte jetzt mal ein anderer nehmen.“

Nachdem Tommy mir das Stück abgenommen hatte, schüttelte ich die Arme aus. Mein Freund kniff die Augen zusammen, weil die tief stehende Sonne hinter mir ihn blendete. Bestimmt hatte er Recht. Die kleine und die große Pyramide gehörten zusammen.

Wieder erfasste uns die Ehrfurcht, die wir schon vor dem Tempel der Artemis gespürt hatten. Wir würden sicher noch zehn Minuten brauchen, um an den Fuß der Pyramide zu gelangen, doch sie erschien schon von hier aus gewaltig. Ich konnte bereits erkennen, dass ihre Seiten aus riesigen Steinklötzen bestanden, die in Stufen übereinander geschichtet waren. Einen Eingang konnte ich allerdings nicht entdecken. Dafür aber etwas anderes.

„Hey, seht mal! Da stehen Palmen!“

„Hm“, machte Tommy. „Vielleicht tragen die Datteln oder Kokosnüsse. Dann hätten wir etwas gegen den Durst.“

„Und gegen den Hunger!“, rief Sanne.

„Also los.“ Tommy setzte sich wieder in Bewegung, und diesmal achtete niemand von uns auf den Weg. Unsere Blicke hefteten sich auf die Flanken der Pyramide, um ja nicht wieder von irgendetwas überrascht zu werden. Der steile Kegel vor uns wuchs regelrecht in den Himmel, je näher wir kamen. Jever flitzte voraus und bellte übermütig. Wenigstens schien nicht schon wieder irgendeine Gefahr auf uns zu lauern. Dann standen wir der Pyramide und befühlten die riesige erste Stufe. Warmer Sandstein gab die Hitze des Tages ab. Die Oberfläche der Steinblöcke war ein wenig aufgeraut und porös. Die Stufen schienen für einen Riesen gebaut. Sie reichten mir bis zum Bauchnabel, und selbst Jever konnte nicht von einer auf die andere hopsen.

„Wahnsinnig hoch!“, murmelte Sanne, die wie wir anderen mit in den Nacken gelegtem Kopf zur Spitze aufblickte.

„Wird ganz schön anstrengend, da raufzuklettern“, meinte Tommy.

„Du willst da rauf?“, fragte ich erschrocken.

Tommy winkte ab. „Nein, heute nicht mehr. Bis wir oben sind, ist es schon dunkel. Kann nämlich sein, dass es hier sehr schnell dunkel wird, wenn die Sonne untergegangen ist. Lasst uns einmal um die Pyramide gehen, ob wir einen Eingang entdecken. Wenn nicht, sollten wir zu dem Palmenwäldchen gehen und sehen, ob wir dort vielleicht die Nacht über bleiben können.“

Ich konnte sehen, wie Sanne und Janine das Gesicht verzogen. Doch was sollten wir machen? Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass wir vor Sonnenuntergang keinen Ausgang aus dieser Welt finden würden. Aber ich sagte nichts, sondern folgte Tommy und den Mädchen. Wir bestiegen die erste Stufe dieses aufregenden Bauwerkes und begannen, es zu umrunden. Aber auf keiner Seite fand sich ein Eingang oder sonst etwas, das sich von den einfarbigen Steinblöcken abhob. Die Erbauer dieser Pyramide mussten Meister ihres Fachs gewesen sein, denn jeder Block fügte sich an und auf den anderen, als wäre er angeklebt worden. Nur feine Linien deuteten die Ansätze der nächsten Quader an und ich stellte mir vor, wie viele Tonnen wohl ein einziger von ihnen wiegen mochte.

Schließlich kamen wir enttäuscht wieder an unserem Ausgangspunkt an. Besorgt schaute ich zum Horizont, wo die tiefrote Sonne gerade noch eine Handbreit über der Ebene schwebte.

„Wir sollten uns beeilen.“

Auf der Südseite der Pyramide wuchsen einige hohe Palmen. Als wir näher kamen, erkannten wir, dass es Dattelpalmen waren. Viele Früchte lagen rings um die Bäume auf dem Boden. Mit einem Mal passierte etwas, womit ich nie gerechnet hatte. Lazy rannte los!

Ich starrte hinter ihm her. Wie ein junger Hüpfer stob er davon und verschwand hinter einer Gruppe eng stehender Palmen. Sanne schaltete schneller als ich, sprang von der Stufe in den Sand und lief hinter ihm her.

„Hey, Lazy! Wo willst du hin? Bleib hier!“

Kurz darauf riss sie beide Arme in die Luft, drehte sich zu uns um und schrie „Wasser! Lazy hat Wasser entdeckt! Kommt her!“

Das machte auch uns Beine. Lazy hatte das Wasser gewittert, lange bevor wir es sehen konnten. Und auch Jever rannte davon und folgte seinem Freund. Als wir die Baumgruppe erreichten, sahen wir einen winzig kleinen Teich, in dem sich die Palmblätter spiegelten. Beeindruckt blieben wir stehen, denn sein Wasser war kristallklar und seine Oberfläche wirkte wie poliert. Hätten Jever und Lazy nicht das Wasser geschlabbert, hätte ich geglaubt, dass es ein Trugbild ist. Wir gesellten uns zu unseren Hunden und nahmen das Bild in uns auf.

„Ich hab schrecklichen Durst“, jammerte Sanne und schaute Tommy flehend an. „Meinst du, wir können auch davon trinken?“

„Normalerweise würde ich nicht einen Schluck aus einem Tümpel in Ägypten nehmen, aber das hier sieht aus wie das reinste Wasser auf der Welt. Probier einfach mal.“

Das ließ sich Sanne nicht zweimal sagen. Sie zog ihre Schuhe aus, watete ein paar Schritte in den Teich hinein und nahm mit beiden Händen etwas Wasser auf. Vorsichtig kostete sie und drehte sich strahlend zu uns um.

„Das schmeckt echt toll! Und kühl ist es auch!“

Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Mein Mund und mein Hals waren völlig ausgetrocknet von der langen Wanderung unter der heißen Sonne. Ich hätte alles für etwas zu trinken gegeben. Ich machte es Sanne nach, zog meine Schuhe aus und ging ins Wasser. Tommy stellte noch schnell die Pyramide in den Sand, und gleich darauf waren er und Janine auch im Wasser.

Es muss schon ein komisches Bild abgegeben haben, wie da vier Leute und zwei Hunde in einem Tümpel standen und gierig Wasser schlürften. Aber das war mir egal. Es schmeckte köstlich. So gut, dass ich mir in dem Moment nichts Besseres vorstellen konnte.

Endlich hatten wir genug und stapften zum Ufer zurück.

„Schaut mal“, sagte Janine und zeigte nach oben. „Sieht das nicht toll aus?“

Die Wipfel der Palmen wurden von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne angestrahlt und schienen im Abendlicht zu glühen. Es war ein fantastischer Anblick. Dennoch wuchs meine Beklemmung.

„Sie geht gleich unter.“

„Stimmt“, nickte Sanne. „Was machen wir denn jetzt?“

„Wir bleiben hier“, sagte Tommy bestimmt. „Das Wasser scheint für uns bestimmt, wir können Datteln essen, und der Sand hier ist auch schön weich.“

„Du willst hier übernachten?“, fragte Janine mit bleichem Gesicht.

„Was schlägst du denn vor?“, fragte Tommy zurück. „Willst du draußen in der Ebene übernachten? Oder auf den Stufen der Pyramide? Ich glaube, hier ist es schon am besten. Könnte nur ein bisschen kalt werden. Zu blöd, dass wir unsere anderen Sachen nicht mehr haben.“

Janine war nicht überzeugt. „Aber ich kann hier nicht schlafen. Wir haben kein Licht, und Feuer können wir auch nicht machen. Und wenn heute Nacht irgendwas passiert? Ein Loch aufgeht oder die Pyramide wandert oder ... ?“

Ich hätte nicht gewusst, was ich darauf antworten sollte, aber Tommy fand immer die richtigen Worte.

„Pass auf, man lädt uns nicht ein, klares Wasser zu trinken und Datteln zu essen, wenn man uns in ein Loch werfen will. Macht doch keinen Sinn, oder? Außerdem müssen wir auf das erste Licht des Tages warten. Steht doch hier auf der kleinen Pyramide, schon vergessen?“

Tommy hob sie auf und las vor.

Setzt das erste Licht des Tages auf die Wohnstatt des Re ... , das heißt, dass wir morgen früh ein Licht setzen müssen, und zwar auf die Wohnstatt ...“

Tommy hielt mitten im Satz inne und starrte auf die eingeritzten Worte.

„Aber ...“, wollte Janine einwerfen, doch Tommy unterbrach sie.

„Mensch! Die Wohnstatt des Re! Mann, bin ich blöd!“

„Macht nichts“, scherzte ich. „Das gibt sich!“ Doch im selben Moment dämmerte es auch mir. „Die Pyramide ...“, flüsterte ich.

„Genau!“, sagte Tommy und nickte heftig. Dann drehte er sich um und schaute zu der dunkel aufragenden Silhouette des Bauwerks. „Die Pyramide! Die Wohnstatt des Re! Das muss sie sein!“

„Du meinst ...“, flüsterte Sanne ehrfürchtig, „... da drin wohnt der Re?“

„Na ja, nicht ganz. Der wohnt da natürlich nicht richtig. Vielleicht ist die Pyramide ihm zu Ehren errichtet worden. Oder aber ...“

„Oder aber was?“, fragte Janine drängend.

„Oder aber es ist sein Grab.“

„Sein Grab?“, fragte Sanne entsetzt. „Der Re liegt tot da drin?“

„Keine Ahnung“, gab Tommy zu. „Aber Pyramiden sind nun mal Grabmäler. Für Herrscher wie die alten Pharaonen. Und die wurden ja oft mit Göttern gleichgesetzt. Nun macht euch mal keine Sorgen. Das mit der Wohnstatt ist eben so wie eine Gedenkstätte. Da wird schon keiner drin sein.“ Dann verzog er sein Gesicht und grübelte angestrengt nach. „Wenn ich nur wüsste, wie das mit dem ersten Licht des Tages gemeint ist. Wie soll man das denn auf die Wohnstatt setzen?“

Wir versuchten alle, einen Sinn in diesen Worten zu finden, aber wir waren schon dermaßen müde, dass uns das Denken schwer fiel und nichts Vernünftiges mehr dabei herauskam.

„Ich ess jetzt ein paar Datteln!“, rief ich, um die angespannte Stimmung zu lösen. Im Dunkeln würden wir sowieso nichts mehr unternehmen können. Wir sammelten Dutzende große, fleischige Datteln auf, setzten uns in den weichen und noch warmen Sand am Rand des Teichs und verputzten die leckeren Dinger. Während wir die Stärkung genossen konnten wir fast zusehen, wie es immer schneller dunkel wurde und das Licht des Tages verlosch. Niemand verlor ein Wort darüber. Ändern konnten wir es doch nicht.

Aber dann geschah etwas, das uns wieder Mut machte.

„Seht doch nur, da drüben!“, rief Janine.

Ein unglaublich schöner und riesenhaft scheinender Mond war zwischen den Stämmen der Bäume hindurch zu sehen und erleuchtete die Szenerie um uns herum in einer hellrotgelben Farbe. Sprachlos und staunend betrachteten wir das Schauspiel, und es sollte noch besser kommen.

„Guckt mal hoch!“, sagte Tommy. Über uns erstrahlte ein Sternenhimmel, wie ich ihn noch niemals in meinem Leben gesehen hatte. Tausende, nein, Millionen von Sternen leuchteten, blitzten und flackerten am Firmament. Es sah aus, als hätte jemand eine Glocke aus unzähligen kleinen Lämpchen über uns gestülpt. In dem Moment wusste ich, wie klein ich wirklich war.

„Genug Licht haben wir jedenfalls“, meinte Tommy trocken. „Und wenn wir nicht schlafen können, müssen wir uns eben was erzählen.“

Und dann begannen wir, uns unsere Beklemmung von der Seele zu reden. Wir redeten über unsere Abenteuer, über die Gefahren, die wir überstanden hatten und die noch vor uns liegen mochten, und vor allem redeten wir über das Rätsel der Pyramide, das wir am nächsten Morgen lösen mussten. Die ganze Zeit wartete ich darauf, dass es kalt werden würde. In der Wüste wurde es nachts immer kalt, das wusste ich. Aber hier galten andere Gesetze, und ich war froh darüber. Die Temperatur ging kaum merklich zurück, und die Luft war weich wie Samt.

Ich weiß nicht, wie lange wir gegen unsere Angst anredeten, aber schließlich forderte der lange und anstrengende Tag seinen Tribut. Zuerst war es Sanne, die ihre Augen nicht mehr aufhalten konnte. Sie sagte einfach „ich schlaf jetzt“, legte sich hin und war eingeschlafen. Kaum hatte sie den Anfang gemacht, schafften auch wir es nicht mehr, wach zu bleiben. Einer nach dem anderen machte es sich so gut es in dem Sand ging, bequem und schlummerte ein. Jever und Lazy hatten es uns längst vorgemacht. Kurz bevor ich wegtrat dachte ich noch, wenn Jever schläft, dann passiert schon nichts ... und schon glitt ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

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9783742746306
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