Czytaj książkę: «Die Maske des Pharaos», strona 5

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„Tommy!“, flehte Sanne. „Wie weit noch?“

„Ich weiß nicht ...“ sagte Tommy unsicher. „Vielleicht fünf Minuten.“

Wenn selbst Tommy Angst bekam, dann wurde es brenzlig! Wenn das Wasser noch weiter steigen würde, würden wir schwimmen müssen. Ich fühlte fürchterliche Angst in mir aufsteigen. Ich konnte so gut wie gar nicht schwimmen. Soweit durfte es nicht kommen!

Doch unerbittlich stieg das Wasser weiter. Erst ging es bis zum Bauchnabel, und das Gehen war beinahe unmöglich geworden. Die Hüften rechts und links vordrückend, kamen wir nur noch wie in Zeitlupe voran. Dann auf einmal stand es uns bis zur Brust. Die Panik drohte mich zu überwältigen. Ich hatte Todesangst. Und es sollte noch schlimmer kommen.

Die Fackeln!“, schrie Sanne.

Die Fackeln waren in Kopfhöhe angebracht, und schlagartig wurde mir klar, dass sie verlöschen würden und wir dann im Dunkeln schwimmen mussten! Ich hatte die grausame Vision, dass wir wie die Ratten immer weiter an die Decke gequetscht werden würden, zum Schluss nur noch die Nase zwischen der Wasseroberfläche und dem tödlichem Abschluss des Ganges, und dann würden wir jämmerlich ertrinken!

Jeder von uns hatte jetzt Panik. Selbst Tommy. Obwohl er uns immer noch Mut machte, hörte ich, wie die Angst seine Stimme zum Zittern brachte.

„Es kann nicht mehr weit sein. Die nächste Biegung muss die letzte sein! Weiter! Weiter! Weiter!“

Ich sah die nächste Biegung und schöpfte Hoffnung. Es musste einfach die letzte sein. Es musste. Ich dachte gar nicht daran, was uns das denn nutzen sollte, wie wir denn entkommen wollten. Ich dachte nur daran, dass es die letzte Biegung sein sollte. Bitte ...

Als wir um die Biegung herumkamen, stand uns das Wasser bis zum Hals. Es ging nicht anders, jetzt mussten wir die Hunde loslassen. Wir konnten sie einfach nicht mehr halten. Jever und Lazy mussten schwimmen. Blitzartig fiel mir die Taschenlampe ein, die in einer Seitentasche meines Rucksacks steckte. Doch der war längst durchnässt und die Lampe wahrscheinlich im Eimer. Trotzdem versuchte ich, den Rucksack im Wasser abzustreifen und an die Tasche zu kommen. Angsterfüllt sah ich, wie die kleinen Wellen, die wir mit unserem Strampeln verursachten, schon an den Fassungen der Fackeln leckten. Doch für einen kurzen Moment wurde ich abgelenkt.

„Wir haben’s geschafft!“, rief Tommy. „Der Gang ist zu Ende!“

Ja, wir hatten es geschafft. Aber augenblicklich erkannten wir, dass uns das nichts nutzen würde. Der Gang endete in einer Wand aus massivem Fels. Keine Tür, kein Hebel. Keine Bolzen. Nichts.

Mir stiegen die Tränen in die Augen. Im selben Moment geschah das Unfassbare. Wir verloren den Boden unter den Füßen! Wie wild fingerte ich an dem Verschluss der Tasche. Das Wasser stieg so schnell, dass ich den steigenden Pegel an der Wand verfolgen konnte.

Tu was!“, schrie Sanne voller Angst. „Wo ist das Rätsel?“

Unsere Blicke irrten umher, während wir verzweifelt Wasser traten, um nicht unterzugehen. Dann erlebte ich das Grauenvollste, was mir bislang in meinem Leben widerfahren war. Ein zischendes Geräusch ertönte und gleich darauf noch eines.

Die Fackeln!“, schrie Janine. „Die Fackeln gehen aus! Beeilt euch doch! Bitte beeilt euch! Wir ertrinken!“

Dies war das Ende. Tommy hatte sich geirrt. Die fremden Mächte hatten nur mit uns gespielt. In meiner Panik, den Reißverschluss aufzukriegen, schluckte ich Wasser und musste husten.

„Bleibt ruhig! Bleibt ruhig!“, rief Tommy. „Seht doch, da oben!“

Ich ruderte mit Armen und Beinen, um mich in die Richtung zu drehen, in die Tommy zeigte. Dicht unter der Decke, an der Wand, die den langen Gang des Labyrinths endgültig verschloss, befand sich eine unscheinbare Malerei. Hastig schwammen wir auf sie zu, um sie genauer sehen zu können. Es war der einzige Hoffnungsschimmer, und doch gleichzeitig so unnütz. Wie sollte uns ein Bild hier heraus helfen? Als wir näher dran waren erkannten wir, dass es keine Malerei, sondern wieder ein Relief war. Nur bei diesem hier war es keine plastische Darstellung, die über die Oberfläche hinausragte, sondern das Bild war in den Fels eingelassen. Es war aus dem Gestein herausgehauen worden und unterschied sich in der Farbe nicht vom Untergrund, so dass wir es deswegen zuerst gar nicht wahrgenommen hatten.

„Eine Frau!“, rief Sanne und hatte Mühe, sich am Fleck zu halten. Hinter uns ertönte ein weiteres zischendes Geräusch. Jetzt brannten nur noch zwei Fackeln.

Ich schwamm direkt davor. Es war tatsächlich das Abbild einer Frau. Sie wirkte erhaben, so wie eine Herrscherin. Ihre rechte Hand war erhoben und sie war seltsam unförmig. Die Hand war dargestellt wie eine Untertasse, rund und flach. All das war vielleicht einen Zentimeter weit eingelassen in den Fels. Was um alles in der Welt sollten wir damit anfangen?

Wir hatten keine Zeit mehr. Wir würden das Rätsel nicht lösen. Ich wusste das jetzt ganz genau. Der Abstand von meinem Kopf zur Decke betrug vielleicht gerade mal dreißig Zentimeter. Und ich bekam die Tasche nicht auf.

„Was sollen wir tun?“, schrie Sanne. Ihre Stimme überschlug sich fast. Jever und Lazy paddelten wie wild mit ihren Beinen. Sie spürten die Todesangst ihrer Herrchen und konnten uns doch nicht helfen.

„Die Göttin ...“, hörte ich Tommy murmeln. „die Göttin ...“

Und dann passierte das unvorstellbar Grausame. Das, was mich noch in den schlimmsten Träumen verfolgen würde. Die letzten beiden Fackeln erloschen mit einem furchtbaren, endgültigen Zischen!

Ich riss die Augen auf, doch undurchdringliche Finsternis umgab mich. Ich musste sterben! Voll panischster Erregung strampelte ich mit den Beinen und traf dabei Tommy.

„Bleibt ruhig!“, brüllte er in die Dunkelheit. „Ich habe die Lösung!“

Ich konnte nicht aufhören zu strampeln. Jeden Augenblick konnte mich das Wasser gegen die Decke drücken und ersticken. Ich registrierte dennoch Tommys Worte. Er hatte die Lösung. Welche Lösung ...?

Die Göttin!“, brüllte er weiter. „Janine, das ist die Göttin! Du musst die Mondscheibe in die Hand der Göttin legen! Mach schon! Schnell!“

Ich dachte, ja, natürlich, die Göttin! Das musste sie sein! Aber es war dunkel und wir alle voller Panik und Todesangst! Wie sollte Janine die Figur jetzt ertasten? Ich hörte nur das angsterfüllte Atmen meiner Freunde, das Plätschern des Wassers und das Hecheln der Hunde.

Mach schon ...!“, schrie Tommy noch einmal. „Leg sie rein!“

„Ich kann sie nicht finden ...“, schluchzte Janine. „Ich finde sie einfach nicht ...“

Dann war es aus. Mein Kopf stieß gegen die Decke! Das Wasser stieg mir über den Mund und ich tat einen letzten Atemzug durch die Nase. Das war das Ende.

„Ich hab sie ...!“, gurgelte sie. „Ich ...“

Und dann schlug das Wasser über mir zusammen und das letzte, was ich mitbekam, war ein fürchterlicher Schlag, als sich plötzlich die Wand öffnete und wir alle mit einem gewaltigen Sog und Tausenden Tonnen Wasser aus dem Gang geschleudert wurden.

*

Das Wunder des Philon

Wild mit den Armen fuchtelnd, Wasser schluckend und völlig orientierungslos schossen wir mit einem mehrere Meter durchmessenden Wasserstrahl ins Freie. Sämtliche Muskeln meines Körpers krampften sich vor unendlicher Angst zusammen und dennoch nahm ich wahr, dass es um mich herum hell wurde. Zum zweiten Mal an diesem Tag fielen wir ins Bodenlose, doch dieses Mal würde es keine nachgiebigen Wände geben, die unseren Fall abbremsten.

Alle Empfindungen der Welt spielten sich im Bruchteil dieser Sekunde ab. Während ich hinauskatapultiert wurde, dachte ich doch tatsächlich darüber nach, ob meine Sachen im Rucksack nass geworden seien und was meine Eltern wohl tun würden, wenn ich nicht mehr nach Hause kam! Alles völlig blödsinnige Dinge und das, obwohl wir gerade dabei waren, zu ertrinken oder am Boden eines Canyons zerschmettert zu werden.

In größter Panik riss ich die Augen auf und sah mich inmitten wirbelnder Kaskaden von Wasser. Millionen Tropfen schillerten in einem gleißenden Licht, und während ich fiel und mich dabei um meine eigene Achse drehte, blitzten Bilder vor meinem Auge vorbei. In einer winzigen und mir dennoch unendlich lang erscheinenden Zeitspanne erkannte ich die Felswand, aus der wir hinausgespuckt worden waren und an deren Flanke wir in die Tiefe stürzten, sah Ausschnitte einer weiten Landschaft und des Himmels vorbeischießen, und dann erkannte ich einen spiegelglatten See, der rasend schnell näher kam. Ehe ich mich auch nur ansatzweise darauf vorbereiten konnte, knallte ich mit dem Po zuerst auf seine Oberfläche und schoss unter Wasser. Die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst und ich bekam unerträgliche Schmerzen in der Brust. Unwillkürlich streckte ich meine Arme und Beine weit auseinander, um die Tauchfahrt abzubremsen. Der Wasserdruck war so enorm, dass meine Trommelfelle zu platzen drohten. Nie hätte ich gedacht, dass es nach all den fürchterlichen Erlebnissen immer noch möglich war, Panik zu bekommen, aber so viele Meter unter Wasser, ohne Luft in den Lungen, mit vielleicht gebrochenen Rippen und total orientierungslos hatte ich nicht weniger Panik als eben noch im Gang, als ich mich bereits tot glaubte.

Strampelnd und zappelnd kämpfte ich mich zurück an die Oberfläche. Gott sei Dank konnte ich erkennen, in welcher Richtung sie lag, denn wir schienen am helllichten Tage aus dem Fels gefallen zu sein. Wäre es Nacht gewesen, nie und nimmer hätte ich so tief unter Wasser wieder an die Oberfläche gefunden.

Wie ein Korken schoss ich nach oben und schnellte aus dem Wasser. Japsend schnappte ich nach Luft, schluckte noch mehr Wasser und hustete wie verrückt. Aber ich hatte es geschafft! Ich lebte! Ich wischte mir die Augen frei, trat mit den Beinen auf der Stelle und versuchte, ruhiger zu werden. Was war mit den anderen? Waren sie verletzt? Ich drehte mich im Wasser so schnell wie möglich im Kreis. Da sah ich Jever und Lazy weit ab von mir umherpaddeln. Ich registrierte das dankbar. Aber wo waren die anderen? Was, wenn sie tot waren? Ich war so verzweifelt, dass ich hemmungslos anfing zu weinen.

Da schoss auf einmal dicht neben mir ein Kopf aus dem Wasser. Eine fürchterlich hustende Janine tauchte auf. Gleich darauf teilte sich das Wasser wieder und Sanne erschien. Auch sie hustete, was das Zeug hielt. Zu meiner unendlichen Erleichterung kam auch Tommys schwarzer Haarschopf zum Vorschein, wenn auch etliche Meter von uns entfernt. Während die drei das durchmachten, was ich schon hinter mir hatte, nämlich in schmerzhaften Hustenanfällen nach Luft zu schnappen und zu versuchen, nicht wieder unterzugehen, war ich so unendlich froh, sie wiederzusehen, dass ich gleich noch mehr Tränen vergoss. Ich schämte mich nicht, war aber doch ein bisschen froh, dass die Tränen inmitten all der anderen Tropfen nicht zu sehen waren.

„Sanne! Janine! Joe!“, schrie Tommy und versuchte, seine Augen klar zu bekommen. „Wo seid ihr?“

„Ich bin hier!“, schrie ich. „Hier drüben!“

Trotz der Entfernung konnte ich sehen, wie froh er war, uns zu entdecken. Ich wollte ihm zuwinken, merkte aber plötzlich, wie kraftlos ich war. Meine Arme und Beine waren wie Blei, und der Rucksack und die nassen Klamotten zogen mich unerbittlich nach unten.

„Wartet! Ich komme!“, rief Tommy. Dann begann er mit kraftvollen Zügen zu uns zu schwimmen. Es schien, als würde er den Rucksack gar nicht bemerken. Ich hatte keine Zeit, ihn zu bewundern, denn ich hatte Mühe, über Wasser zu bleiben. Sanne und Janine fingen an, irgendetwas zu rufen, aber ich konnte mich nur darauf konzentrieren, den Kopf über Wasser zu halten. Nur jetzt nicht absaufen, wo wir doch alle gerettet waren!

Dann waren die anderen bei mir. An das, was danach geschah, kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Ich weiß nur noch, dass Tommy und Sanne je einen Arm von mir nahmen und mich auf dem Rücken schwimmend abschleppten. Und dann lagen wir auch schon an einem kleinen Strand, platt wie die Flundern und ausgelaugt wie noch nie in unserem Leben und pumpten soviel Luft in unsere Lungen wie wir nur konnten. Immer wieder mussten wir husten. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Aber dann holte mich jemand mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung ins Leben zurück, der noch nie einen Erste-Hilfe-Kurs besucht hatte. Lazy! Er schlabberte mit seiner Zunge mein Gesicht ab und schnaufte mir seinen Sabber auf die Backe, dass ich gar nicht anders konnte, als wieder aufzuleben. Überglücklich schloss ich meinen Hund in die Arme und drückte ihn mit dem bisschen Kraft, die mir geblieben war. Dann schob ich ihn liebevoll von mir und blickte zur Seite, geradewegs in Sannes total erschöpftes, aber überglückliches Gesicht.

„Geschafft!“, sagte sie und zog geräuschvoll die Nase hoch. „Ich könnte ein Taschentuch gebrauchen. Ich glaub, ich hab den halben See in die Nase bekommen.“

Was war ich froh, dass es ihr gut ging! Und die anderen? Ich richtete mich auf und stützte mich auf den Ellenbogen. Janine war dabei, ihre klatschnassen Haare aus dem Gesicht zu streichen und Tommy ... wo war Tommy? Ich stand ganz auf und dann sah ich ihn. Er stand am Ufer des Sees, schirmte die Augen vor der gleißenden Sonne ab und schaute zum Horizont. Jever hatte sich neben ihn gesetzt und tat es seinem Herrchen nach. Die beiden waren schon ein Paar.

Nachdem wir alle wieder auf den Beinen waren, warfen wir unsere durchtränkten Rucksäcke in den Sand und stapften vor zu unserem Freund ans Ufer.

„Na?“, meinte Tommy und schaute uns fröhlich an. „Von den Toten auferstanden?“

Sanne stemmte die Arme in die Seiten und schüttelte empört den Kopf.

„Wir wären beinahe gestorben und du machst noch Witze!“

„Entschuldige, aber ich hab gesehen, dass ihr noch ein bisschen außer Puste seid und ein paar Minuten braucht. Da dachte ich, ich geh mal schauen, ob hier nicht noch irgendeine Überraschung auf uns wartet. Wär ja nicht so schön, wenn wir davon so hilflos erwischt würden, oder?“

Wir konnten es nicht fassen. Ein bisschen außer Puste ...! Wenn uns jetzt jemand gesehen hätte, bis auf die Haut nass, mit wackligen Beinen und die Gesichter noch von der eben überstandenen Todesangst gezeichnet...

„Danke“, sagte ich gnädig, „dass du auf uns aufgepasst hast!“ Plötzlich fiel mir siedend heiß etwas ein. „Und danke, dass ihr mich raus gezogen habt!“

„Und danke“, kam es von Janine, „dass dir das mit der Mondscheibe eingefallen ist! Sonst würden wir jetzt hier nicht rum stehen!“ Sie machte einen Schritt auf Tommy zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Tommy war ganz verlegen, was sicher mehr an Janines Kuss als an ihrem Lob lag. Er winkte unbeholfen ab.

„Lass man, das wär euch auch noch eingefallen.“

„Ja, klar!“, lachte ich. „Nachdem wir ertrunken wären!“

Wir hatten immer noch Pudding in den Beinen, aber das Glücksgefühl überlebt zu haben, gab uns Sekunde für Sekunde neue Kraft. So langsam wurde uns bewusst, was wir eben hinter uns gebracht hatten. Es wurde Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Wir ließen unsere Blicke über das Fleckchen Erde schweifen, an dem wir herausgekommen waren. Nass, wie wir waren, standen wir da und ließen das Bild auf uns einwirken.

Der See war nicht allzu groß. Seine linke Seite war von einer Hügelkette umschlossen. Einer dieser Hügel ragte mit einer etwas steileren Wand über ihm empor. Aus ihr mussten wir heraus gefallen sein. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, einen Wasserfall oder eine Öffnung konnte ich nicht erkennen. Ich brauchte gar nicht fragen. Sie hatte sich wieder verschlossen.

Die Landschaft, die sich hinter dem See und auch hinter unserem Rücken erstreckte, sah trocken und staubig aus und wurde nur gelegentlich von einigen Bäumen unterbrochen. Hier und dort stachen ein paar kleine helle Felsen aus dem Boden. Ich dachte, ich kenne die Art Bäume, kam aber nicht drauf. Kleine, dornige Büsche übersäten die Ebene in großer Zahl. Hier und da hatten Büschel harter Gräser einen Platz erobert. Ich blickte zum Himmel. Ein klares, dunkles Blau. Wunderschön. Und heiß.

„Sieht aus, als wären wir in Griechenland“, murmelte Sanne.

„Da könntest du Recht haben“, sinnierte Tommy. „Die Bäume da sind Pinien. Aber die gibt's auch in Italien. Ziemlich karg hier, findet ihr nicht?“

Wir mussten ihm zustimmen. Besonders aufregend sah das hier nicht aus. Und nicht gefährlich, fügte ich in Gedanken erleichtert hinzu.

„Und was jetzt?“, fragte Janine und sah uns hilflos an. „Ich kann nicht mehr, meine Sachen sind nass, ich hab Hunger und die Mondscheibe ist auch weg. Wie sollen wir denn jetzt weiterkommen?“

Sanne nahm das Heft in die Hand.

„Jetzt sehen wir erstmal nach, was aus den Rucksäcken noch zu gebrauchen ist. Dann trocknen wir unsere Sachen, essen was und ... und ...“

„Und schreiben auf, was auf der Mondscheibe gestanden hat!“, ergänzte ich.

„Sehr gut, Herr Seefeld“, sagte Tommy, zog sein T-Shirt vom Bauch ab und ließ es wieder zurückklatschen. „Da müssen wir uns wohl ein Stöckchen suchen und in den Sand schreiben, denn deinen Block wirst du wohl vergessen können.“

Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Wir stapften zurück zu unseren Rucksäcken, die verstreut im Sand herumlagen. Die Säcke sahen toll aus. Sie waren mit Sand paniert und hatten bereits Stockflecken, da, wo die Sonne sie schon angetrocknet hatte. Als ich meinen anhob, sickerte Wasser durch eine Naht. Ich seufzte und öffnete den Verschluss. Dann holte ich den Inhalt Stück für Stück heraus.

„Der Block ist hin. Und die Brötchen könnt ihr auch vergessen!“, rief ich und quetschte meinem Leberwurstbrötchen das Wasser raus. „Aber die Schokoriegel und die Kekse sind okay.“

„Die Äpfel auch!“, rief Janine triumphierend und hielt zwei schöne rote Exemplare hoch. Ich untersuchte meine Taschenlampe und knipste sie versuchsweise an. Fehlanzeige.

„Die geht auch nicht mehr.“

„Will jemand Wasser?“, grinste Tommy und stellte seine Flasche vor sich in den Sand.

Nein!“, brüllten wir alle im Chor. Von Wasser hatten wir wahrlich erstmal genug. Obwohl, es war ziemlich heiß hier und Schatten war weit und breit nicht zu sehen. Wir würden wohl doch bald Durst bekommen.

Wie sich herausstellte, waren die in Mülltüten verknoteten Sachen zum Wechseln tatsächlich trocken geblieben. Also suchten wir uns einen Felsvorsprung und zogen uns einer nach dem anderen dahinter um. Die nassen Klamotten breiteten wir zum Trocknen auf den Steinen aus. Danach setzten wir uns ans Ufer und verputzten unsere Vorräte. Ich gab den anderen von meinen Schokoriegeln ab, wir leerten eine Tüte Chips, und zum Schluss vertilgten wir die Äpfel.

„Ah“, machte Sanne und strich sich glücklich über den Bauch. „Das war gut. Ich fühl mich wieder total fit.“

„Ja, herrlich!“, sagte Tommy und reckte sich. „Aber zu lange faulenzen sollten wir nicht. Wir müssen sehen, wie wir weiterkommen.“

Er pfiff nach Jever.

„Jever! Stöckchen!“

Verwundert sahen wir zu, wie der kleine Wirbelwind davon stob, hierhin und dahin rannte, schließlich etwas gefunden zu haben schien und zu seinem Herrchen zurückflitzte. Stolz ließ er einen ansehnlichen Stock vor Tommys Füße fallen.

„Brav, mein Kleiner!“, sagte Tommy und tätschelte Jever das Köpfchen. „Aber spielen kann ich jetzt nicht mit dir. Wir müssen ein Problem lösen. Mach schön Platz.“

Augenblicklich wussten wir, was Tommy vorhatte.

„Die Mondscheibe ist in der Hand der Göttin“, meinte Tommy. „So weit, so gut. Da wussten wir ja noch nicht, dass wir sie gleich wieder hergeben müssen. Fällt euch der Rest des Textes noch ein?“

Ich hasste auswendig lernen, aber bei dieser Sache hier war es schließlich ganz was anderes. Immerhin erinnerte ich mich an die ersten vier Zeilen auf Anhieb.

Die Maske von Sakkara birgt die Gabe des Heilens, vier Herzen braucht es, sie zu lösen. Das goldene Antlitz muss ruhen in der Kammer, bevor die Phase eines Mondes endet“, zitierte ich.

„Zwei plus, Herr Seefeld“, sagte Tommy und schrieb die Zeilen mit dem Stock in den Sand. „Und weiter?“

Zeile für Zeile setzten wir die geheimnisvolle Botschaft der Mondscheibe wieder zusammen und betrachteten anschließend den fertigen Text.

„Was ist mit dem goldenen Antlitz gemeint?“, fragte Janine. „Hoffentlich nicht die Mondscheibe, denn die kriegen wir ganz bestimmt nicht wieder.“

„Nein“, meinte Tommy sofort. „Das war garantiert kein Antlitz. Ich denke, damit ist nichts anderes als die Maske gemeint. Vielleicht ist sie wie ein Gesicht geformt. Ich glaube, dass wir die Maske zurückbringen müssen, wenn wir sie benutzt haben. Und wenn wir das nicht tun ...“

„... werden die bösen Keime gesät“, ergänzte ich. „Was kann damit gemeint sein?“

„Keine Ahnung“, gab Tommy zu. „Damit sollten wir uns jetzt nicht rumquälen. Wenn wir sie erstmal haben, werden wir schon auf sie aufpassen. Was haltet ihr davon, wenn wir das wegstreichen, was schon hinter uns liegt?“

Das war eine gute Idee. Tommy nahm den Stock und strich diejenigen Zeilen durch, deren Bedeutung uns bereits aufgegangen war:

das Labyrinth birgt den Schlüssel

gebt die Mondscheibe in die Hand der Göttin

Mir kam noch eine Idee.

„Das, was mit der Maske zu tun hat, könnten wir doch auch streichen“, grübelte ich. „Denn die Maske kriegen wir ja erst, wenn die Aufgaben gelöst sind. Dass wir sie dann zurückbringen müssen, weil sonst etwas Schlimmes passiert, wissen wir ja. Das war beim Buch der Gaben auch so.“

„Gute Idee“, sagte Janine, nahm Tommy den Stock aus der Hand und strich die ersten sechs Zeilen durch. Jetzt blieben nur noch vier Zeilen übrig:

setzt den Ring der Artemis an ihre Stelle

wer beseelt ist mit der Gabe des Sehens

dem wird das Wunder des Philon

eine Tafel für das Orakel gewähren

„Der Ring der Artemis ... was kann das sein?“, fragte Sanne in die Runde. „Und an wessen Stelle sollen wir ihn setzen?“

„Na, an die Stelle der Maske!“, sagte Janine mit Bestimmtheit. „Fragt sich nur, wie wir an den Ring kommen. Und was bedeutet das Wunder des Philon?“

Tommy kratzte sich am Kopf. „Philon ... Philon ... der Name erinnert mich an was. Aber an was? Joe, was ist mit dir? Das hatten wir bestimmt mal in Geschichte, aber ich glaube ...“

„... ich werde alt!“, lachte ich. „Es tut mir wirklich Leid, mein Freund, aber in Geschichte mache ich immer Hausaufgaben für Mathe. Wenn wir rauskriegen wollen, was das Wunder des Philon ist, brauchen wir wohl selber ein Wunder.“

„Okay.“ Tommy gab auf. „Wenn uns Nachdenken nicht weiterhilft, sollten wir uns vielleicht die Umgebung ein wenig näher anschauen.“

Er wühlte in seinem Rucksack herum und fingerte den Kompass und das Fernglas heraus.

„Verdammt, verdammt!“, grummelte er, zog sein T-Shirt aus und fing an, die beiden Teile abzureiben. „Ich hab vergessen, sie abzutrocknen. Hoffentlich verrosten sie nicht.“

Falls das Wasser in das Fernglas oder den Kompass eingedrungen war, nützte das jetzt sowieso nichts mehr. Der Kompass hatte Tommys Vater gehört, war aus massivem Messing und zudem ein nautisches Gerät, das sehr wertvoll war. Ich glaubte nicht, dass er rosten könnte. Das Fernglas funktionierte bestimmt noch. Glas rostet schließlich nicht. Als Tommy fertig war, gab er Janine das Glas und mir den Kompass.

„Hier. Du bist doch der Kompass-Experte. Sag uns doch mal, wo’s langgeht!“

Gespannt hielt ich den Kompass vor mich und versuchte, nicht zu wackeln. Als ich sah, wohin die Nadel zeigte, schüttelte ich das Gerät vorsichtig. Die Nadel bewegte sich völlig normal hin und her, pendelte sich wieder ein und zeigte genau in die Richtung wie zuvor.

„Äh, ja also ...“ Ich blickte auf und blinzelte wegen der Lichtreflexionen auf der Oberfläche des Sees. „Als Kompassexperte muss ich euch sagen, dass die Nadel immer nach Norden zeigt, egal, wo das N auf dem Ding steht.“

„Ja, ja, das wissen wir!“, sagte Janine ungeduldig.

„Nun ...“ Ich hob die Hand. „Als Erdenbewohner weiß ich aber, dass am Mittag die Sonne im Süden steht. Und nun guckt mal her!“

Ich hielt den anderen den Kompass vor die Nase und freute mich auf ihre Gesichter.

„Der zeigt ja direkt auf die Sonne!“, rief Sanne überrascht aus.

„Merkwürdiges Norden“, grinste Tommy. „Aber ich sag’s ja, Joe ist unser Experte! Ich würde sagen, wenn das Ding nicht schon angerostet ist, haben wir mal wieder einen kleinen Hinweis auf die Richtung, in die wir zu gehen haben. Was meint ihr?“

Janine hob das Fernglas hoch und schaute uns fragend an.

„Soll ich mal?“

„Klar!“, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Janine hob das Glas vor die Augen und schaute direkt nach Süden, ich meine nach Norden ... oder wohin auch immer! Hier in dieser Welt war halt nichts so wie es sein sollte. Jedenfalls guckte sie direkt in die Richtung, in die die Nadel zeigte und in der die Sonne stand. Schon nach kurzer Zeit pfiff sie leise durch die Zähne und begann, am Rädchen zu drehen, um das Fernglas schärfer zu stellen.

„Hast du was?“, fragte ich gespannt.

„Ja ...“, sagte sie gedehnt. „Da steht so was wie ... wie ein Tempel.“

„Ein Tempel?“, fragten wir aufgeregt. „Was für ein Tempel?“

Jeder von uns hatte jetzt Feuer gefangen. Mich juckte es in den Fingern, auch mal durchzuschauen. Janine gab das Glas an Sanne weiter.

„Toll! Der ist ja riesig!“

„Gib her!“ Ich hielt es nicht mehr aus und trat von einem Bein aufs andere. Als ich endlich das Glas ansetzte, sprang mir ein unglaubliches Bauwerk vor die Augen. Es war kein Tempel. Es war ein Riesentempel! Selbst aus dieser Entfernung glaubte ich, dass seine Seiten mindestens einhundert Meter lang waren. Unzählige Säulen rahmten seine Flanken und ein Reflex seines Dachs blitzte in meine Augen. Es schien, als wäre es aus purem Gold! Ich war vollkommen baff.

„Das musst du dir ansehen!“, sagte ich zu Tommy und reichte ihm als Letztem das Glas. Sprachlos starrte auch Tommy hindurch und konnte sich kaum von diesem Anblick lösen. Ich versuchte, den Tempel ohne Hilfe des Glases zu entdecken. Zu meiner Überraschung war das kein Problem. Klar und deutlich zeichneten sich seine Umrisse gegen den Horizont ab. Ich tippte Tommy an.

„Kannst das Glas runter nehmen.“

Schweigend betrachteten wir das Bild, das sich uns darbot. Eigentlich hätte die Silhouette des Tempels aus dieser Entfernung und bei der Hitze des Tages flimmern müssen, aber das Abbild war scharf und klar umrissen. Tommy riss sich los.

„Unser Problem wohin des Wegs scheint ja nun geklärt. Oder braucht ihr noch mehr Pause?“

Die Entdeckung des Tempels hatte uns wieder beflügelt. Schwach fühlte sich keiner mehr. Außerdem drängte die Zeit. Dabei fiel mir ein, auf die Uhr zu sehen.

„Halb elf!“, entfuhr es mir.

„Meine auch!“, rief Janine.

„Stehen geblieben?“, fragte Tommy mehr feststellend als fragend.

„Allerdings“, sagte ich nickend. „Genau wie damals. Es muss genau halb elf gewesen sein, als wir mit der Tafel hinuntergestürzt sind. Jetzt wissen wir wieder nicht, wie viel Zeit vergangen ist.“

„Aber wir müssen bis morgen wieder zurück sein“, drängte Janine. „Wie sollen wir denn wissen, wann morgen ist?“

„Eben“, sagte Tommy entschlossen. „Gerade deswegen sollten wir machen, dass wir weiterkommen. Packen wir unsere Sachen zusammen. Los, kommt!“

Wir sammelten unseren Abfall ein und stopften die Verpackungen der Schokoriegel, der Kekse und Chips in einen der Müllbeutel, in denen vorher unsere Sachen zum Wechseln waren. Dann fühlten wir, ob die nass gewordenen Klamotten getrocknet waren. Da sie nur noch ganz wenig feucht schienen, falteten wir Jeans und T-Shirts zu handlichen Päckchen und stopften sie dann in unsere Rucksäcke. Schließlich hievten wir die Säcke wieder einmal auf unsere Rücken, riefen Jever und Lazy und überzeugten uns noch einmal, dass nichts liegen blieb.

„Okay?“, fragte Tommy.

„Okay!“, kam es zurück. Also marschierten wir los.

*

Ich hatte Mühe, die Augen vom Tempel abzuwenden, der förmlich auf uns zuzuwachsen schien. Wir mussten vorsichtig sein, denn der Boden war uneben und voller kleiner Hindernisse. Steine, trockene Wurzeln und dornige Büsche zwangen uns zu einem Zick-Zack-Lauf. So musste ich meine Augen wohl oder übel auch nach unten richten.

Jedes Mal, wenn ich aufschaute war mir, als wäre dieser atemberaubende Tempel wesentlich näher gerückt als wir gelaufen sein konnten. Es war ein fantastisches Phänomen. Wir waren so gefangen genommen von der beinahe mystischen Erscheinung, dass wir kein Wort miteinander sprachen. Und bald erkannten wir Einzelheiten.

Das gewaltige Dach, getragen von mehreren Dutzend Säulen auf jeder Seite, war mit kunstvollen Ornamenten durchsetzt. Der steinerne Dachfirst war prachtvoll bemalt, und ab und an blitzte es golden auf. Als wir noch näher kamen, sahen wir, dass auch die tragenden Säulen über und über mit Ornamenten und Darstellungen verziert waren. Ich konzentrierte mich darauf, ob ich vielleicht irgendeine Bewegung wahrnehmen konnte. Aber der Tempel schien verlassen. Nicht nur das, er stand auch völlig allein mitten in der Landschaft. Es gab kein anderes Gebäude rings umher. Keine Wege führten zu ihm, und auch sonst deutete nichts darauf hin, dass er von irgendjemandem genutzt wurde. Er thronte auf einem kleinen Hügel. Nachdem wir ihn erklommen hatten, standen wir sprachlos vor diesem Zeugnis einer längst untergegangenen Kultur.

Die Köpfe in den Nacken gelegt, glitten unsere Blicke die prächtigen Säulen empor. Mindestens vier Männer wären nötig gewesen, sie zu umfassen. Längst vergessene Steinmetze hatten in jede von ihnen unzählige Reliefs geschlagen. Die Arbeit musste Jahre gedauert haben. Man schien Szenen aus dem Alltagsleben der damaligen Zeit verewigt zu haben. Hier reichte eine Frau einem Mann eine Schale, dort sah es aus, als würde ein Esel einen Karren ziehen. Wir konnten uns nicht satt sehen. Merkwürdigerweise fühlte ich weder Beklemmung noch Angst. Dies war eine heilige Stätte. Hier war es sicher nicht gefährlich.

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9783742746306
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