Czytaj książkę: «Das Buch der Gaben», strona 4

Czcionka:

Im Innern

Wir waren unfähig, uns zu bewegen. Ich wollte etwas rufen, aber ich hatte einen solch trockenen Mund, dass nicht mal ein heiseres Flüstern heraus kam. Ich konnte die Augen nicht von Janines Beinen wenden, die da so grausig zappelten. Doch dann geschah etwas, das unsere Erstarrung lösen sollte.

Jever kläffte wie verrückt. Er dachte wohl, Janine wollte mit ihm spielen. Ehe Tommy es verhindern konnte, raste Jever über den Weg und rannte mit seinen wohlbekannten Hopssprüngen auf Janine zu. Und wie er es immer tat, wenn er jemanden liebte, setzte er zum Schluss zu einem letzten großen Hüpfer an und ... sprang in etwa einem Meter Höhe durch die Hauswand!

Ich merkte jetzt, warum mein Mund so trocken war: Mir stand die Klappe offen! Das, was ich sah, konnte einfach nicht geschehen, es war eine Illusion, schien wie ein Trick in einem von George Lucas Filmen.

Dass sich unsere Erstarrung überhaupt löste, verdankten wir einzig und allein Jever. Was jetzt passierte, war eigentlich sogar richtig lustig, wenn man mal davon absah, dass der halbe Körper von Janine immer noch wie in einem Gruselkabinett vor sich hin zuckte.

Jever kam zurück!

Wie er hinein geraten war, kam er auch wieder heraus, mitten aus der Wand mit einem perfekten Hopser! Und er schien weder verletzt noch ängstlich, ganz im Gegenteil, mit seinem uns wohlbekannten fröhlichen Kläffen hüpfte er ein zweites Mal durch die Mauer, kam wieder raus und sprang wieder rein. Unwillkürlich dachte ich an den Moment, als ich Tommy und Jever das erste Mal gesehen hatte, damals von meinem Fenster aus, und wie Jever damals schon dieses Spiel spielte. Und das brachte mich wieder zurück ins Leben.

„Janine!“, schrie ich und rannte vorwärts. Ich bemerkte noch kurz aus den Augenwinkeln, wie auch die Beklemmung von Tommys und Sannes Gesichtern wich und sie hinter mir her stürzten.

Ich kniete mich in den Sand und begann, an Janines Füßen zu zerren. Dabei zappelte sie jedoch noch immer so stark, dass sie mir einen ordentlichen schmerzhaften Tritt versetzte. Aber schon kam Tommy mir zu Hilfe, und gemeinsam bändigten wir die Trampelei, wobei wir tunlichst vermieden, auf die Stelle zu gucken, an der ihr Körper aus der Wand ragte. Mit einem Ruck zogen wir gleichzeitig an den Beinen und zu unserer unbändigen Erleichterung kam Janine aus der Wand wieder zum Vorschein. Und nicht nur das, wir konnten sie auch wieder hören!

„Auuu! Hört auf zu ziehen, das tut weh!“

Unendlich erleichtert ließen wir ihre Beine auf den Weg plumpsen und kauerten uns neben sie. Ihr Gesicht war kreidebleich, und doch blitzte in ihren Augen der Triumph.

„Seht ihr, man muss sich nur trauen. Ich hab’ den Eingang gefunden! Ich!“

„Bist du verletzt?“, fragte ich und spürte kurz die Versuchung, sie vielleicht abzutasten, aber das traute ich mich dann doch nicht. Außerdem ging es hier auch um Wichtigeres.

„Nein ... , ich glaube nicht, ich ... “ Plötzlich drehte Janine sich um und starrte die Wand an.

„Mann, habe ich einen Schreck bekommen. Ich dachte, ich falle in einen Höllenschlund oder so was. Ich habe geglaubt, dass das Haus über mir zusammen fallen könnte oder hinter der Wand ist ein Abgrund oder ... “

Sie zitterte jetzt doch ein wenig. Sanne drängte sich zwischen Tommy und mich und bot Janine ihre Hand an, dass sie aufstehen könnte. Das tat sie dann auch und klopfte sich den Staub von den Jeans. Jever und Lazy saßen dabei und schauten uns fragend an. Jever war für mich ein Phänomen, der rannte einfach los und sprang durch die Wand. Was für ein Hund!

„Was hast du gesehen?“, drängte ich. Ich hielt die Spannung nicht mehr aus, was denn hinter dieser rätselhaften Wand war.

„Nichts“, antwortete Janine, „Es war völlig dunkel, und außerdem habe ich vor Angst die Augen zusammen gekniffen. Ich dachte, jeden Augenblick packt mich ein Werwolf.“

„Ein Werwolf?“, fragte Sanne mit aufgerissenen Augen.

„Na ja, ich weiß nicht, warum, aber ich dachte an einen Werwolf. Und als ihr mich an den Beinen gezogen habt ... niemals hatte ich solche Angst!“

„Ja, das kann ich verstehen“, sagte Tommy, „Aber es ist dir absolut nichts passiert. Ich glaube, da drin ist nichts, was uns gefährlich werden kann. Jedenfalls nicht wirklich.“

Janines Augen funkelten. „Wie kannst du da so sicher sein? Du hast nicht mit deinem halben Körper da drin gelegen!“

Tommy lachte. „Und auch nicht mit dem halben draußen! Du hättest mal sehen sollen, wie das aussah, nur dein Unterkörper und die zappelnden Beine! Ist schon gut ... “, beschwichtigte er Janine sofort, als diese aufbrausen wollte, „Ich kann mir verdammt gut vorstellen, wie dir da drin zumute gewesen sein muss. Die Frage ist nur, was können wir mit dem Erlebnis jetzt anfangen?“

Er schaute von einem zum anderen und hob die Brauen.

„Na?“

Ich wusste genau, was er als Nächstes von sich geben würde und holte schon mal tief Luft, um mich darauf vorzubereiten.

„Wir gehen rein.“

Sanne und Janine sahen absolut nicht glücklich aus, und auch ich fühlte mich ganz und gar nicht bereit, mich auf diesen Vorschlag einzulassen. Aber während wir uns gegenseitig anschauten und versuchten, in den Gedanken der anderen zu lesen, war ich mir ganz hinten in meinem Kopf trotz all der mahnenden Worte, die mein zweites Ich noch an mich richtete, völlig darüber im klaren, dass wir reingehen würden. Ich wollte ein Abenteuer haben, und ich hatte eines bekommen. Und was für eins.

„Nehmen wir die Fakten“, sagte Tommy völlig ernst. „Erstens, wenn jemand einen Eindringling ernsthaft davon abhalten wollte, das Haus zu betreten, hätte er andere Vorkehrungen getroffen. Eine ganz normale Wand zum Beispiel“, grinste er verschmitzt.

„Aber“, fuhr er fort, „das hat er nicht. Ich glaube, wir sind an einem ganz besonderen Ort. Ich hab das im Gefühl. Ich weiß nicht, was für ein Trick das mit der Tür ist, aber gefährlich war er nicht, oder?“

Wir nickten und versuchten, Tommy zu folgen.

„Zweitens, Janine und Jever kamen rein und wieder raus, und es ist ihnen nichts passiert. Und drittens ... “ Er machte eine kurze Pause und deutete auf den süßen Jever, der genau wusste, dass man über ihn sprach, denn er verfolgte jedes Wort seines Herrchens gebannt. Mein eigener Hund hingegen lag mal wieder platt auf dem Bauch und ließ es sich gut gehen. Der hatte Nerven!

„Und drittens hat Jever nicht die geringste Angst gezeigt und ich kann euch sagen, der wittert jede Gefahr!“

Das leuchtete uns ein. Tommys Augen blitzten auf einmal auf, als wäre ihm plötzlich ein Einfall gekommen.

„Machen wir einen Test“, sagte er, blickte suchend um sich und fand dann schließlich, wonach er gesucht hatte. Er hob einen kleinen handlichen Knüppel auf und schaute Jever herausfordernd an.

Sanne bekam große Augen.

„Das kannst du nicht machen!“, rief sie.

„Hab’ keine Angst“, sagte Tommy mit einer Sicherheit, die mich neidisch machte, „Ich würde meinen Hund niemals einer Gefahr aussetzen. Pass auf!“

Er hob den Arm mit dem Stock in die Höhe, deutete einen Wurf an, und Jever sprang sofort auf das Spiel an und hopste wie wild um sein Herrchen herum. Ehe wir Tommy noch in den Arm fallen und ihm Einhalt gebieten konnten, warf er den Stock in hohem Bogen Richtung Hauswand. Das Ding durchdrang das Haus ohne auch nur den geringsten Widerstand zu erfahren und ohne das geringste Geräusch. Jever raste los, und eine Sekunde später sprang er durch die Wand und sein Gebell wurde genau in dem Moment abgeschnitten, als sein kleiner Stummelschwanz als Letztes die Mauer durchschnitt und verschwand.

Zur Untätigkeit verbannt und mit bis zum Hals klopfenden Herzen warteten wir auf seine Rückkehr. Die Sekunden dehnten sich endlos, die Zeit schien still zu stehen und ich schaute verstohlen zu Tommy, ob ich irgendeine Spur von Besorgnis in seinem Gesicht erkennen konnte. Aber er blickte mich voller Entschlossenheit an und nickte nur.

„Janine hat gesagt, es ist dunkel da drin. Er wird seine Nase gebrauchen müssen, um den Stock zu finden.“

Und wirklich, kaum hatte Tommy ausgesprochen, kam Jever aus der Wand geflitzt, was uns alle, Tommy eingeschlossen, zusammenfahren ließ, und in der Schnauze trug der kleine Hund stolz den vollgesabberten Ast für sein Herrchen.

Tommy schaute lächelnd von einem zum anderen. Dann drehte er sich um und bahnte sich den Weg aus der Hecke hinaus. Wir anderen standen völlig verblüfft da. Was machte er denn jetzt?

„Ich hol’ nur meinen Rucksack“, rief er über die Schulter zurück. „Den hab’ ich vorhin fallen lassen, als Janine die Zahlen entdeckt hat. Ich bin sofort zurück. Aber geht ja nicht ohne mich rein!“

Ich sah Janine an, und Sanne sah mich an, und wir dachten alle das Gleiche: Niemals, aber auch wirklich niemals, wären wir ohne Tommy rein gegangen! Wir drehten uns um und schauten die Wand an. Sie wirkte normal und völlig ungefährlich. Nichts deutete darauf hin, dass wir einem unglaublichen Geheimnis auf die Spur gekommen waren.

Ich hatte einen Einfall. Langsam ging ich ein Stück zur Seite, schaute nach oben und kam wieder zurück. Nichts. Ich schüttelte ungläubig den Kopf und wiederholte das Ganze. Wieder nichts.

Die anderen sahen mich fragend an.

„Was hast du?“

„Die Zahlen sind verschwunden. Weg. Einfach nicht mehr da.“

Auch Sanne und Janine liefen nun am Haus entlang, aber das Ergebnis war das Gleiche. Die Holografie ließ sich nicht mehr zum Leben erwecken. Sie blieb verschwunden. Und ich hatte so das Gefühl, dass wir sie auch nicht mehr wiedersehen würden.

*

„Du zuerst“, sagte Tommy und sah dabei tatsächlich mich an. Ich schluckte. Ich war ganz sicher gewesen, dass Tommy, der doch nie Angst zeigte, vorangehen würde.

„Warum denn ich?“, entfuhr es mir.

„Na, weil du das Rätsel gelöst hast! Du hast die Bedeutung der Holografie entschlüsselt, und ich glaube, dass derjenige, der sie installiert hat, durchaus wollte, dass jemand das Rätsel löst und damit den Schlüssel zu diesem Haus in der Hand hält. Und dieser Jemand bist nun mal du.“

Ich wollte eigentlich nicht ängstlich aussehen, weil die beiden Mädchen mich ja auch erwartungsvoll ansahen, aber so ganz gelang mir das nicht. Außerdem dachte ich, das Haus war doch auch für Janine und Jever offen gewesen, also wartete es nicht unbedingt nur auf mich. Aber sagen wollte ich das nicht, denn das hätte bedeutet, ich wollte mich drücken.

Ich überwand mich.

„Gut, ich mach’s. Aber gib mir deine Taschenlampe, und ihr kommt sofort hinterher.“

Mit einem mehr als mulmigen Gefühl im Bauch sah ich zu, wie Tommy in seinem Rucksack nach der Taschenlampe kramte, und ich nahm die Sekunden, die er dafür brauchte, wie endlose Stunden wahr, die mir noch verblieben, bis ich dem Tod gegenübertreten würde. Selbst Janines bewundernder Blick konnte mich nicht entschädigen.

Schließlich war es soweit, und mit einem aufmunternden „Na denn“ überantwortete Tommy mir seine Lampe. Wenigstens Lazy wollte ich mitnehmen und pfiff nach ihm, was mir noch einmal ein paar Sekunden verschaffte. Ich kannte ja meinen Hund.

Doch schließlich fiel mir nichts mehr ein, was die Sache noch weiter verzögern könnte. Ich holte tief Luft und stellte mich dicht vor das Haus.

Ich überdachte noch einmal meine Chancen. Janine war nichts geschehen. Jever hatte keine Angst. Es hatte nicht wehgetan. Okay. Aber wenn es sich das Haus inzwischen anders überlegt hatte und den Eindringling nicht mehr als den erkannte, den es eigentlich hereinlassen wollte? Ich schimpfte mich einen Feigling, aber die Gedanken waren nicht ganz von der Hand zu weisen. Ich beschloss, nicht gleich hindurch zu springen, sondern zuerst einen vorsichtigen Test zu machen. Ich kniff die Augen zusammen, streckte meine rechte Hand vor und berührte die doch so stabil scheinende Wand mit meiner Handfläche. Langsam durchdrang ich die Mauer. Meine Nackenhaare richteten sich auf, und ein kalter Hauch strich über meinen Rücken.

„Was ist? Spürst du was?“, drängte Sanne.

Ich versuchte, irgendein Gefühl zu erspüren, aber ich konnte beim besten Willen nicht behaupten, dass meine Hand etwas fühlte. Es wurde nicht kalt oder heiß, es gab keinen Druck und nichts zog mich hinein. Es war, als wäre da überhaupt nichts. Das nahm mir einiges von meiner Angst.

„Nein, ich spüre überhaupt nichts. Ich komme mir vor wie bei Stargate, wo die in diesen großen Ring eintauchen und in eine andere Welt gesogen werden.“

„Das ist nur ein Film“, wollte Janine mich beruhigen. „Außerdem bin ich nicht irgendwo reingesogen worden. Dahinter war Fußboden. Er war kühl und fühlte sich an wie Fliesen oder Stein. Wenn du willst, gehen wir zusammen rein.“

„Nein“, sagte ich, wild entschlossen, jetzt den ersten Schritt zu machen, denn ich wollte nun wirklich nicht von einem Mädchen an die Hand genommen werden. „Ich gehe jetzt.“

Ich schloss die Augen, holte ein letztes Mal tief Luft und machte einen entschlossenen Schritt vorwärts.

Als ich glaubte, durch zu sein, blieb ich stehen und stand einige Sekunden reglos. Wenn irgendetwas geschehen würde, dann jetzt. Sollte jemand auf mich lauern oder eine Falle zuschlagen, da war ich mir sicher, würde es jetzt passieren. Als sich nichts tat, ließ ich die Luft langsam wieder aus meinen Lungen heraus und atmete vorsichtig ein. Es roch unglaublich muffig, so ungefähr wie in einer alten Scheune, in der bereits angegorenes Obst lagerte. Zuerst war es fremd, doch die Luft schien mir ungefährlich, und ich tat ein paar weitere Atemzüge.

Plötzlich hörte ich neben mir ein grässliches Geräusch, und mir stockte das Blut in den Adern. Eine Sekunde später wiederholte sich das laute „Pischhhh ... “ und dann wusste ich, was es war, und unendliche Erleichterung durchflutete mich.

Lazy!

„Hör auf zu niesen, Lazy!“, flüsterte ich. Dann hörte ich ein leises Tapsen, und mir war klar, dass mein Hund auf dem besten Wege war, von meiner Seite zu weichen und anfing, das Haus zu erkunden.

„Bleib hier, Lazy!“, rief ich lauter, als ich wollte und machte jetzt endlich die Augen auf.

Ich konnte beinahe nichts erkennen. Eine Art violette Dunkelheit lag schwer um mich herum. Es gab keinerlei Lichtquelle in diesem Raum, wenn es denn ein Raum war, nicht einmal das konnte ich sehen. Ich riss die Augen weit auf und drehte meinen Kopf hin und her, um vielleicht irgendeine Kontur wahrzunehmen. Nichts. Es war unheimlich. Und doch ließen meine Ängste langsam nach. Aber nicht für lange.

Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter, und mein Herz rutschte mal wieder in die Hose.

„Hey Joe, wozu hab’ ich dir meine Taschenlampe mitgegeben?“

„Mann, Tommy, du hast mich beinahe umgebracht! Hau’ mir ja nicht noch mal auf die Schulter! Lazy hat mich mit seinem Niesen schon so erschreckt. Wo sind die anderen?“

„Wir sind hier“, hörte ich Sannes Stimme links von mir, und gleich darauf sagte Janine: „Wir sind alle drin. Mach doch endlich die blöde Lampe an.“

Noch während ich hektisch an der Lampe herumhantierte, um den Schalter zu finden, hatte ich das Gefühl, ich könnte etwas mehr wahrnehmen als eben noch. Ein rötlicher Schimmer kroch in den Raum, und ich bekam so eine Ahnung, dass uns gleich die nächste große Überraschung bevorstehen würde.

Endlich bekam ich die Lampe an, und der Strahl erwischte das ängstliche Gesicht meiner Schwester. Ich stellte den Lichtstrahl auf breit gefächert ein und ließ ihn dann langsam herumkreisen. Verblüfft stellten wir fest, dass sich der Strahl im Raum verlor. Er fand nirgends etwas, das ihn aufhielt, weder eine Wand, noch Möbel oder sonst was.

„Das kann nicht sein“, flüsterte Janine. „Das Haus ist doch niemals so groß!“

Schweigend versuchten wir das, was wir sahen, zu verarbeiten. Eigentlich sahen wir ja nichts als einen unendlich scheinenden Saal, und den auch nur im Ausschnittskegel des Lichtscheins unserer Taschenlampe. Plötzlich streifte der Strahl Lazy, der weit hinten dastand und sich umblickte, als das Licht ihn traf. Doch merkwürdigerweise schien er im Augenblick nicht sonderlich an uns zu hängen. Im Gegenteil, er drehte den Kopf wieder in die andere Richtung und trabte weiter einem unsichtbaren Ziel entgegen. Jever kläffte freudig, als er Lazy entdeckte und rannte los, seinem Hundefreund hinterher.

„Merkt ihr was?“, fragte Tommy.

Mir fiel auf, dass der Lichtschein der Taschenlampe mit einem Mal matter schien. Und dann wusste ich es. Es wurde heller!

„Das Haus glüht!“, flüsterte Janine und fasste meine Hand, was auch mich, selbst in diesem gruseligen Moment, zum Glühen brachte.

Und wirklich, es schien, als würde die Sonne in einem afrikanischen Land aufgehen. Ein dunkelrotes Glimmen erfüllte den Raum rings um uns. Es verstärkte sich Sekunde für Sekunde, und im gleichen Maße, wie dieses rote Leuchten zunahm, verblasste das Licht der Taschenlampe.

Sprachlos standen wir da und bestaunten das Schauspiel. Ich fühlte eine Spannung in mir aufsteigen, die man beinahe nicht mehr aushalten konnte. Was war, wenn wir eine Atombombe ausgelöst hatten? Was, wenn es brannte? Was, wenn sich dort hinten gerade die Erde auftat und glühendes Magma ausströmte?

„Es muss eine Energiequelle geben“, sagte Tommy in seiner coolen Art, und durch diesen von ihm hervorgebrachten ernsten Satz lösten sich all die Ängste in mir wie von selbst.

„Sollten wir nicht besser wieder rausgehen?“, fragte Sanne ängstlich.

„Nein“, antwortete Tommy entschieden. „Sieh dir die beiden Hunde an. Hunde spüren Feuer oder Rauch oder jede andere Gefahr. Außerdem ... es ist nur Licht. Wie mit einem Dimmer hochgefahren. Wisst ihr was? Ich glaube, dass wir mit unserem Eindringen irgendeine Energiequelle in Gang gesetzt haben.“

„So ähnlich wie eine Lichtschranke“, murmelte Sanne.

„Genau“, nickte Tommy. „Warten wir noch einen Moment.“

Zwei, drei Minuten vergingen, in denen rings um uns das Leuchten intensiver wurde, von einem dunklen Rot in ein helles überging und schließlich die Umgebung in eine Art ockerfarbenes Licht tauchte. Es war nach wie vor nicht gerade hell, aber das Licht reichte jetzt aus, um sich zu orientieren, und wir erkannten langsam die Dimensionen des Raumes, der sich hinter unserem unglaublichen Eingang aufgetan hatte.

Sprachlos starrten wir in eine Halle scheinbar unendlichen Ausmaßes. Ich blickte nach oben, um die Höhe abzuschätzen und riss die Augen auf. Mindestens fünfzig Meter über uns wölbte sich eine Decke, die wie aus Felsen herausgehauen schien. Ich sah weder Träger noch sonst irgendetwas, das die gewaltige Konstruktion zu halten schien. Ich stand da und kam mir klein und unbedeutend vor.

Tommy löste unsere Erstarrung.

„Leute, was ihr hier seht, ist der Beweis dafür, dass das Haus da draußen in unserer Welt sehr alt sein muss und ein Geheimnis birgt. Und ich glaube auch, dass es nicht das Haus ist, sondern der Ort, an dem es steht. Vielleicht verbirgt dieser Ort in Joes Straße eine Stelle, die tausend oder mehr Jahre ihr Geheimnis verborgen hat.“

„Mehr als tausend Jahre?“, flüsterte Janine.

„Vielleicht“, räumte Tommy ein. „Noch wissen wir ja nicht viel darüber. Außer eines.“

„Und das ist?“, fragte ich gespannt.

„Dass wir hier anscheinend nicht unerwünscht sind“, lächelte Tommy.

Wir dachten darüber nach, und während wir das taten, versuchten wir, die unendlich scheinende Weite dieses Gewölbes zu erfassen und zu erkennen, was sich hinten am Horizont verbergen mochte. Unsere Hunde waren nur noch kleine Schemen am anderen Ende, dort, wo die Decke sich nach unten zu wölben und auf den Boden zu treffen schien. Und das gab den Ausschlag.

„Kommt“, sagte Tommy. „Was unsere Hunde können, können wir auch. Und ich glaube, du kannst die Taschenlampe ausmachen. Vielleicht brauchen wir sie ein anderes Mal dringender.“

Mechanisch schaltete ich die Lampe aus, und das sandfarbene Licht dieser Kathedrale aus Weite und Fels umfing uns. Tommy nickte uns aufmunternd zu und wir gingen los.

In der Ferne hörte ich Jevers Bellen.

*

Langsam und zuerst vorsichtig machten wir uns auf den Weg. Wir traten behutsam auf, obwohl der Boden ganz und gar nicht zerbrechlich wirkte, sondern wie die Decke aus massivem Fels zu bestehen schien. Wer so viele Bücher gelesen und so viele Filme gesehen hatte wie ich, dem fielen sofort etliche Szenen wieder ein, wo es den Helden ähnlich erging wie uns jetzt: In unheimlichen Höhlen auf Schatzsuche warteten die tödlichsten unsichtbaren Fallen auf einen.

Ständig suchte ich den Boden nach irgendwelchen Vertiefungen, Erhebungen oder Rillen ab, die mir vielleicht verraten hätten, da lieber nicht drauf zu treten. Aber es war eine ebene, völlig fugenfreie Oberfläche, anscheinend ohne irgendeinen Belag. Fliesen, wie Janine vorhin gemeint hatte, waren es jedenfalls nicht. Die Ebene vor uns hatte die Farbe dunklen Graus, und je weiter wir vorankamen, desto mehr wichen die Seitenwände vor uns zurück. Mir wurde leicht mulmig, als ich daran dachte, dass wir vielleicht bald keinerlei Orientierung nach den Seiten mehr hatten, und wie sollten wir dann den Weg zurück finden? Ich bekam einen Schreck vor meinen Gedanken und blieb abrupt stehen. Die anderen fuhren herum.

„Was ist?“, fragte Sanne.

„Ich dachte gerade daran, wie wir wieder zurückkommen sollen, wenn wir zu weit abkommen. Seht ihr nicht, dass die Wände immer weiter zurückweichen?“

Langsam drehten wir uns um die eigene Achse und fixierten den Horizont. Die Seitenwände des riesigen Raumes waren nur noch als ferne Schemen zu erkennen, und ich war mir jetzt verdammt sicher, dass wir, würden wir nur noch wenige Meter weitergehen, das Ende und den Anfang gar nicht mehr erkennen würden. Und Tommy setzte noch einen drauf.

„Wisst ihr noch, woher wir gekommen sind?“

Eisiges Erkennen stieg in mir auf.

„Wir sind doch genau aus dieser Richtung gekommen“, sagte Janine und zeigte über meine Schulter nach hinten.

„Glaube ich auch“, sagte Tommy. „Aber wir sind erst zwei Minuten unterwegs, und die Wand, durch die wir gekommen sind, kann noch nicht am Horizont verschwunden sein. Aber in dieser Richtung ist das Ende des Raumes genauso weit weg wie in jeder anderen.“

Ich spürte einen Klumpen in meinem Magen. Wir hatten nicht ein einziges Mal nach hinten geschaut, nachdem wir in diese Welt eingetaucht waren. Verdammt, warum hatten wir uns nicht umgedreht? Wir waren gefangen! Janine und Sanne sahen furchtbar verängstigt aus und bekamen kein Wort heraus. Doch wieder einmal war es Tommy, der uns beruhigte.

„Ich meine, dies alles war geplant, und ich sage euch auch, warum ich das glaube. Erstens ... “, sagte er und zeigte auf mich, „Joe, du hast das Rätsel der Zahlen gelöst, und als es gelöst war, verschwanden die Zahlen von der Wand, als wären sie niemals da gewesen, stimmt’s?“

Wir nickten ergeben.

„Das heißt, so meine ich jedenfalls, dass der erste Schritt vollbracht war und wir den zweiten zu gehen hatten. Und das tun wir ja gerade. Und ich will euch nicht noch mal auf Jever und Lazy hinweisen, aber ich tu’s trotzdem: Die beiden sind da hinten, und wie es scheint, haben sie etwas gewittert. Aber sie haben keine Angst. Und noch was.“

Er blickte fest von einem zum anderen.

„Ich habe auch keine.“

„Gut“, sagte Sanne, und genau in diesem Augenblick bekam ich einen völlig anderen Eindruck von meiner Schwester. Die balletthopsende kleine Zicke war Vergangenheit, und ich sah meine Schwester plötzlich nicht mehr als Schwester, sondern als etwas ganz Besonderes, nämlich als Freundin.

„Wenn du keine Angst hast, hab ich auch keine“, sagte sie mit fester Stimme, und ich konnte sehen, wie es in den Köpfen der anderen arbeitete.

„Lassen wir uns nicht verrückt machen von dieser Umgebung“, sagte Tommy bedächtig. „Wenn das Haus Rätsel für uns bereithält, werden wir sie lösen müssen.“

Er nickte uns aufmunternd zu, drehte sich um und marschierte wieder los, genau in Richtung von Jevers Gebell, das jetzt sehr deutlich zu vernehmen war. Mit neuem Mut, aber dennoch mit einem zwar etwas kleineren, aber immer noch vorhandenen Klumpen im Magen folgte ich den anderen.

Weitere zehn Minuten vergingen, obwohl wir jetzt in einen leichten Trab verfallen waren. Wir konnten es nicht mehr aushalten, zu erfahren, was uns am Ende unseres Weges erwartete. Dann endlich sahen wir unsere Hunde wieder als kleine Punkte am Horizont. Der eine Punkt hüpfte in der Ferne auf und ab. Das konnte nur Jever sein. Der andere Punkt schien unbeweglich. Lazy!

Ich bekam langsam Durst und dachte an die Flaschen in Tommys Rucksack. Es war ganz schön warm hier, ich schätzte die Temperatur so auf achtundzwanzig Grad. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, als gäbe es keinen großen Unterschied zu der Nachmittagssonne, die auf unsere nackten Beinen gebrannt hatte, als wir noch den Garten erkundeten. Mein Gott, das war doch erst eine halbe Stunde her! Mir kam es jetzt schon vor, als seien wir eine halbe Ewigkeit in dieser fremden Welt. Aber ich verkniff mir, Tommy nach dem Mineralwasser zu fragen, denn schon wenige Augenblicke später erkannten wir die Hunde deutlicher. Und mit jedem Schritt, mit dem wir ihnen näher kamen, schälten sich auch die Umrisse einer weiteren, gewaltigen Überraschung aus der Umgebung. Und die langsame Erkenntnis dessen, was da auf uns zukam, beflügelte unsere Schritte noch mehr.

Nach wie vor fühlten wir uns nicht sicher hier. Ich musste innerlich lachen! Wie konnte es auch anders sein, wir waren durch eine geheimnisvolle Energiewand in ein Haus eingedrungen, das ganz sicher keiner der üblichen Spießbürger erbaut hatte, wir hatten eine unterirdische Welt betreten, die vielleicht Ewigkeiten auf jemanden gewartet hatte, und wir waren mit ziemlicher Sicherheit in einer anderen Dimension oder so etwas gelandet, von der wir weiß Gott nicht sicher sein konnten, wie und ob überhaupt wir sie wieder verlassen konnten. Und da sollten wir uns sicher fühlen? Nein, das war ein mehr als lächerlicher Gedanke.

Während wir mechanisch einen Fuß vor den anderen setzten und in der Ferne ein seltsam bläulicher Schimmer auftauchte, sahen wir ständig in jede Richtung. Sicherheitshalber auch nach hinten, was wir am Anfang ja völlig vergessen hatten. Mir schien es, als würde sich die Decke über uns immer weiter entfernen. Ja, ich war ganz sicher, dass es nie und nimmer mehr nur fünfzig Meter waren, wie ich zuerst noch geschätzt hatte, als sich unsere Augen langsam an das diffuse Licht gewöhnt hatten. Ich konnte die Felsstruktur der Gewölbebegrenzung über uns nicht mehr erkennen.

„Schaut mal nach oben“, rief ich.

Während die anderen stumm vor Überraschung in den Himmel blickten, ja, man konnte jetzt wirklich fast Himmel dazu sagen, drehte ich mich noch einmal in die Richtung um, von der ich meinte, dass alles seinen Ausgang genommen haben musste. Doch niemand folgte uns, und auch sonst war nichts als Leere und Weite zu erkennen.

„Das glaub’ ich beinah’ nicht“, murmelte Tommy. „So etwas kann man nicht künstlich erzeugen, jedenfalls nicht mit den Mitteln, die uns heute zur Verfügung stehen.“

„Du meinst“, flüsterte Sanne, „dass jemand aus der Zukunft auf der Erde war und dies hier hinterlassen hat?“

„Vielleicht stammt es auch aus der Vergangenheit. Es gab Kulturen, von denen man heute noch nicht weiß, woher sie ihr Wissen hatten. Doch ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeine davon über eine Energietür verfügt hätte.“

Er lachte laut auf. „Das hätte Erich von Däniken gefallen!“

„Wer ist das denn?“, fragte Janine.

„Das ist ein ziemlich berühmter Mann, der glaubt, Beweise gefunden zu haben, dass viele Rätsel unserer Erde durch Außerirdische hinterlassen worden sind.“

„Außerirdische?“ Janine blieb entsetzt stehen. „Was ist, wenn hier fürchterlich aussehende Monster aus dem Weltall auf uns lauern? Hast du mal Alien gesehen? Ich konnte nächtelang nicht schlafen nach diesem Film! Bitte sag’ mir nicht, dass diese Welt hier von Außerirdischen geschaffen wurde!“

Janine hatte es geschafft, auch Sanne Angst einzujagen. Sie stand mit weit aufgerissenen Augen da, und die Farbe wich aus ihrem Gesicht. Tommy spürte die Angst der Mädchen – und ich muss zugeben, vielleicht auch meine, denn ich musste plötzlich so dringend aufs Klo, dass es wie ein Alptraum war – und er reagierte so ruhig und umsichtig, dass wir ihn am liebsten alle angefasst hätten, nur um etwas von seiner Stärke abzubekommen.

„Freunde, ich möchte, dass ihr nachdenkt. Wenn uns jemand überfallen will, dann tut er es sofort. Warum sollte er warten? Und dann denkt doch mal an die Rätsel mit der Holografie und der Tür, das ist doch nun wirklich nicht dafür gemacht, nur um jemanden hineinzulocken und dann aufzufressen. Das hat mit Intelligenz zu tun. Und ich möchte nicht schon wieder damit anfangen ... “

„Ja, ja“, sagten wir alle ergeben, „Jever und Lazy ... !“

„So ist es. Wir gehen jetzt weiter und sehen, was uns dort vorne erwartet. Habt keine Angst. Wenn ihr wollt, gehe ich vor.“

„Tommy ... “, druckste ich herum.

„Ja?“

„Ich muss ganz nötig!“

„Und ich hab’ Durst!“, sagte Janine.

„Und ich Hunger“, ergänzte Sanne.

Tommy lachte. „Alles sehr menschliche Bedürfnisse! Ich denke, da vorne ändert sich die Landschaft, vielleicht kannst du da mal verschwinden, und außerdem könnten wir mal eine Rast einlegen. Da wird auch mein Rucksack ein bisschen leichter. Ich bin froh, wenn ich das ganze Zeugs nicht mehr schleppen muss, obwohl ... “ Er stockte und ich wusste, was er sagen wollte: Wir sollten uns das Wasser besser einteilen, weil wir ja nun wahrlich nicht wussten, wie lange wir hier drin stecken und wann wir wieder einen Ausgang finden würden. Aber als ich in meinen Gedanken so weit gekommen war, fiel mir ein, dass diese Äußerung den Mädchen sicher wieder Angst gemacht hätte, und genau denselben Gedanken hatte auch Tommy.

„ ... es macht mir nicht viel aus, und außerdem können wir uns ja abwechseln.“