Czytaj książkę: «Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen»
Konfuzianismus und Taoismus, Hinduismus und Buddhismus, Das antike Judentum, Die Pharisäer und mehr1
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musaicumbooks@okpublishing.info
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1282-8
Einleitung.
Unter »Weltreligionen« werden hier, in ganz wertfreier Art, jene fünf religiösen oder religiös bedingten Systeme der Lebensreglementierung verstanden, welche besonders große Mengen von Bekennern um sich zu scharen gewußt haben: die konfuzianische, hinduistische, buddhistische, christliche, islamitische religiöse Ethik. Ihr tritt als sechste mitzubehandelnde Religion das Judentum hinzu, sowohl weil es für jedes Verständnis der beiden zuletzt genannten Weltreligionen entscheidende geschichtliche Voraussetzungen enthält, als wegen seiner teils wirklichen, teils angeblichen historischen Eigenbedeutung für die Entfaltung der modernen Wirtschaftsethik des Okzidentes, die in neuester Zeit mehrfach erörtert wurde. Andere Religionen werden nur soweit herangezogen, als für den historischen Zusammenhang unentbehrlich ist. Für das Christentum wird zunächst auf die früher erschienenen, in dieser Sammlung vorangestellten, Aufsätze Bezug genommen, deren Kenntnis vorausgesetzt werden muß.
Was unter »Wirtschaftsethik« einer Religion verstanden ist, ergibt hoffentlich die Darstellung selbst in ihrem Verlaufe zunehmend deutlich. Nicht die ethische Theorie theologischer Kompendien, die nur als ein (unter Umständen allerdings wichtiges) Erkenntnismittel dient, sondern die in den psychologischen und pragmatischen Zusammenhängen der Religionen gegründeten praktischen Antriebe zum Handeln sind das, was in Betracht kommt. So skizzenhaft die nachfolgende Darstellung ist, so wird sie doch erkennen lassen, welch ein kompliziertes Gebilde eine konkrete Wirtschaftsethik und wie überaus vielseitig sie bedingt zu sein pflegt. Es wird sich ferner auch hier zeigen, daß äußerlich ähnliche ökonomische Organisationsformen mit einer sehr verschiedenen Wirtschaftsethik vereinbar sind und je nach deren Eigenart dann sehr verschiedene historische Wirkungen zeitigen. Eine Wirtschaftsethik ist keine einfache »Funktion« wirtschaftlicher Organisationsformen, ebensowenig wie sie umgekehrt diese eindeutig aus sich heraus prägt.
Keine Wirtschaftsethik ist jemals nur religiös determiniert gewesen. Sie besitzt selbstverständlich ein im höchsten Maß durch wirtschaftsgeographische und geschichtliche Gegebenheiten bestimmtes Maß von reiner Eigengesetzlichkeit gegenüber allen durch religiöse oder andere (in diesem Sinn:) »innerliche« Momente bedingten Einstellungen des Menschen zur Welt. Aber allerdings: Zu den Determinanten der Wirtschaftsethik gehört als eine – wohlgemerkt: nur eine – auch die religiöse Bestimmtheit der Lebensführung. Diese selbst aber ist natürlich wiederum innerhalb gegebener geographischer, politischer, sozialer, nationaler Grenzen durch ökonomische und politische Momente tief beeinflußt. Es wäre ein Steuern ins Uferlose, wollte man diese Abhängigkeiten in allen ihren Einzelheiten vorführen. In diesen Darlegungen kann es sich daher nur um den Versuch handeln, jeweils die richtunggebenden Elemente der Lebensführung derjenigen sozialen Schichten herauszuschälen, welche die praktische Ethik der betreffenden Religion am stärksten bestimmend beeinflußt und ihr die charakteristischen – d.h. hier: die sie von anderen unterscheidenden und zugleich für die Wirtschaftsethik wichtigen – Züge aufgeprägt haben. Das muß nun durchaus nicht immer eine Schicht allein sein. Auch können im Lauf der Geschichte die, in jenem Sinne: maßgebenden Schichten wechseln. Und nie ist dieser Einfluß einer einzelnen Schicht ein exklusiver. Aber es lassen sich für die einzelnen gegebenen Religionen doch meist Schichten angeben, deren Lebensführung wenigstens vornehmlich bestimmend gewesen ist. Um einige solche Beispiele vorwegzunehmen, so war der Konfuzianismus die Standesethik einer literarisch gebildeten weltlich-rationalistischen Pfründnerschaft. Wer nicht zu dieser Bildungs schicht gehörte, zählte nicht mit. Die religiöse (oder wenn man will: irreligiöse) Standesethik dieser Schicht hat die chinesische Lebensführung weit über jene selbst hinaus bestimmt. – Der ältere Hinduismus wurde dagegen getragen von einer erblichen Kaste literarisch Gebildeter, die, jedem Amt fremd, als eine Art ritualistischer Seelsorger der Einzelnen und der Gemeinschaften fungierten und, als fester Orientierungsmittelpunkt der ständischen Gliederung, die soziale Ordnung prägten. Nur vedisch gebildete Brahmanen waren als Träger der Tradition der vollwertige religiöse Stand. Erst später trat ein nicht brahmanischer Asketenstand ihnen konkurrierend zur Seite, und noch später, im indischen Mittelalter, trat im Hinduismus die inbrünstige sakramentale Heilands-Religiosität der unteren Schichten mit plebejischen Mystagogen auf den Plan. – Der Buddhismus wurde von heimatlos wandernden, streng kontemplativen und weltablehnenden Bettelmönchen propagiert. Im vollen Sinne waren nur sie Zugehörige der Gemeinde, alle andern blieben religiös minderwertige Laien: Objekte, nicht Subjekte der Religiosität. – Der Islam war in seiner ersten Zeit eine Religion welterobernder Krieger, eines Ritterordens von disziplinierten Glaubenskämpfern, nur ohne die sexuelle Askese der christlichen Nachbildungen in der Kreuzzugszeit. Im islamischen Mittelalter aber erlangte der kontemplativ-mystische Sufismus, und aus ihm hervorwachsend das Bruderschaftswesen des Kleinbürgertums nach Art der christlichen Tertiarier, nur weit universeller entwickelt, eine mindestens ebenbürtige Rolle, unter der Führung von plebejischen Technikern der Orgiastik. – Das Judentum war, seit dem Exil, die Religion eines bürgerlichen »Pariavolkes« – wir werden die prägnante Bedeutung des Ausdruckes seinerzeit kennen lernen – und geriet im Mittelalter unter die Führung einer ihm eigentümlichen literarisch-ritualistisch geschulten Intellektuellenschicht, welche eine zunehmend proletaroide, rationalistische Kleinbürgerintelligenz repräsentierte. – Das Christentum endlich begann seinen Lauf als eine Lehre wandernder Handwerksburschen. Es war und blieb eine ganz spezifisch städtische, vor allem: bürgerliche, Religion in allen Zeiten seines äußeren und inneren Aufschwungs, in der Antike ebenso wie im Mittelalter und im Puritanismus. Die Stadt des Okzidentes in ihrer Einzigartigkeit gegenüber allen andern Städten und das Bürgertum in dem Sinne, in welchem es überhaupt nur dort in der Welt entstanden ist, war sein Hauptschauplatz, für die antike pneumatische Gemeindefrömmigkeit ebenso wie für die Bettelorden des hohen Mittelalters und für die Sekten der Reformationszeit bis zum Pietismus und Methodismus hin.
Nun ist es in gar keiner Weise etwa die These der nachfolgenden Darlegungen: daß die Eigenart einer Religiosität eine einfache Funktion der sozialen Lage derjenigen Schicht sei, welche als ihr charakteristischer Träger erscheine, etwa nur deren »Ideologie« oder eine »Widerspiegelung« ihrer materiellen oder ideellen Interessenlage darstelle. Im Gegenteil wäre ein gründlicheres Mißverständnis des Standpunktes dieser Erörterungen kaum möglich als gerade eine solche Deutung. Wie tiefgreifend auch immer die ökonomisch und politisch bedingten sozialen Einflüsse auf eine religiöse Ethik im Einzelfalle waren, – primär empfing diese ihr Gepräge doch aus religiösen Quellen. Zunächst: aus dem Inhalt ihrer Verkündigung und Verheißung. Und wenn diese nicht selten schon in der nächsten Generation grundstürzend umgedeutet, weil den Bedürfnissen der Gemeinde angepaßt wurden, so doch eben in aller Regel wiederum zunächst: deren religiösen Bedürfnissen. Erst sekundär konnten andere Interessensphären, oft freilich recht nachdrücklich und zuweilen ausschlaggebend, einwirken. Wir werden uns überzeugen, daß zwar für jede Religion der Wandel der sozial ausschlaggebenden Schichten tiefgreifende Bedeutung zu haben pflegte, daß aber andrerseits der einmal geprägte Typus einer Religion seinen Einfluß ziemlich weitgehend auch auf die Lebensführung sehr heterogener Schichten auszuüben pflegte.
Man hat die Zusammenhänge zwischen religiöser Ethik und Interessenlage in verschiedener Art so zu interpretieren gesucht, daß die erstere nur als eine »Funktion« der letzteren erschien. Nicht nur im Sinn des sog. historischen Materialismus, – was wir hier nicht erörtern, – sondern auch rein psychologisch.
Eine ganz allgemeine, gewissermaßen abstrakte, Klassengebundenheit der religiösen Ethik könnte aus der seit Fr. Nietzsches glänzendem Essay bekannten, seitdem auch von Psychologen mit Geist behandelten Theorie vom »Ressentiment« abgeleitet werden. Wenn die ethische Verklärung des Erbarmens und der Brüderlichkeit ein ethischer »Sklavenaufstand« der, sei es in ihren natürlichen Anlagen, sei es in ihren schicksalsbedingten Lebenschancen, Benachteiligten war, und also die Ethik der »Pflicht« ein Produkt »verdrängter«, weil ohnmächtiger, Rache-Empfindungen des zu Arbeit und Gelderwerb verdammten Banausen gegen die Lebensführung des pflichtfrei lebenden Herrenstandes, – dann ergäbe dies offensichtlich für die wichtigsten Probleme in der Typologie der religiösen Ethik eine sehr einfache Lösung. Allein so glücklich und fruchtbar die Aufdeckung der psychologischen Bedeutung des Ressentiment an sich war, so große Vorsicht ist bei der Abschätzung seiner sozialethischen Tragweite geboten.
Ueber die Motive, welche die verschiedenen Arten ethischer »Rationalisierung« der Lebensführung rein als solche bestimmten, wird später oft zu sprechen sein. Sie hat mit Ressentiment meist durchaus nichts zu tun.
Was aber die Wertung des Leidens in der religiösen Ethik betrifft, so ist diese unzweifelhaft einem typischen Wandel unterworfen gewesen, der, richtig verstanden, ein gewisses Recht jener von Nietzsche zuerst durchgeführten Theorie bedeutet. Die urwüchsige Stellungnahme zum Leiden äußerte sich plastisch vor allem in der Behandlung derer, die durch Krankheit oder andere hartnäckige Unglücksfälle verfolgt waren, bei den religiösen Feiern der Gemeinschaft. Der dauernd Leidende, Trauernde, Kranke oder sonst Unglückliche war, je nach der Art seines Leidens, entweder von einem Dämon besessen oder mit dem Zorn eines Gottes belastet, den er beleidigt hatte. Ihn in ihrer Mitte zu dulden konnte für die kultische Gemeinschaft Nachteile zur Folge haben. Jedenfalls durfte er an den Kultmahlen und Opfern nicht teilnehmen. Denn sein Anblick erfreute die Götter nicht und konnte ihren Zorn erregen. Die Opfermahle waren Stätten der Fröhlichen – selbst in Jerusalem in der Zeit der Belagerung.
Mit dieser Behandlung des Leidens als eines Symptoms des Gottverhaßtseins und geheimer Schuld kam die Religion psychologisch einem sehr allgemeinen Bedürfnis entgegen. Der Glückliche begnügt sich selten mit der Tatsache des Besitzes seines Glückes. Er hat darüber hinaus das Bedürfnis: auch noch ein Recht darauf zu haben. Er will überzeugt sein, daß er es auch »verdiene«; vor allem: im Vergleich mit andern verdiene. Und er will also auch glauben dürfen: daß dem minder Glücklichen durch den Nichtbesitz des gleichen Glückes ebenfalls nur geschehe, was ihm zukommt. Das Glück will »legitim« sein. Wenn man unter dem allgemeinen Ausdruck: »Glück« alle Güter der Ehre, der Macht, des Besitzes und Genusses begreift, so ist dies die allgemeinste Formel für jenen Dienst der Legitimierung, welchen die Religion dem äußeren und inneren Interesse aller Herrschenden, Besitzenden, Siegenden, Gesunden, kurz: Glücklichen, zu leisten hatte: die Theodizee des Glückes. Sie ist in höchst massiven (»pharisäischen«) Bedürfnissen der Menschen verankert und daher leicht verständlich, wenn auch in ihrer Wirkung oft nicht genügend beachtet.
Verschlungener sind dagegen die Wege, welche zur Umkehrung dieses Standpunktes: zur religiösen Verklärung des Leidens also, führten. Primär wirkte die Erfahrung, daß das Charisma ekstatischer, visionärer, hysterischer, kurz: aller jener außeralltäglichen Zuständlichkeiten, welche als »heilig« gewertet wurden und deren Hervorrufung deshalb Gegenstand der magischen Askese bildete, geweckt oder doch begünstigt wurde durch zahlreiche Arten von Kasteiungen und Enthaltungen sowohl von der normalen Ernährung und vom Schlaf wie vom Sexualverkehr. Das Prestige dieser Kasteiungen war Folge der Vorstellung, daß gewisse Arten von Leiden und durch Kasteiung provozierten abnormen Zuständen Wege zur Erlangung übermenschlicher: magischer, Kräfte seien. Die alten Tabu-Vorschriften und die Enthaltungen im Interesse kultischer Reinheit: Konsequenzen des Dämonenglaubens, wirkten in gleicher Richtung. Dazu trat aber dann als selbständiges und neues die Entwicklung der »Erlösungs«-Kulte, welche dem individuellen Leiden gegenüber eine prinzipiell neue Stellung einnahmen. Der urwüchsige Gemeinschaftskult, vor allem derjenige der politischen Verbände, ließ alle individuellen Interessen aus dem Spiel. Der Stammesgott, Lokalgott, Stadtgott, Reichsgott kümmerte sich nur um Interessen, welche die Gesamtheit angingen: Regen und Sonnenschein, Jagdbeute, Sieg über die Feinde. An ihn wendete sich also die Gesamtheit als solche im Gemeinschaftskult. Zur Abwendung oder Beseitigung von Uebeln, die den Einzelnen betrafen, – vor allem: Krankheit –, wendete dieser sich nicht an den Kult der Gemeinschaft, sondern als Einzelner an den Zauberer, den ältesten individuellen »Seelsorger«. Das Prestige einzelner Magier und jener Geister oder Götter, in deren Namen sie ihre Wunder taten, schuf ihnen Zulauf ohne Rücksicht auf die lokale oder Stammeszugehörigkeit und dies führte unter günstigen Umständen zu einer von den ethnischen Verbänden unabhängigen »Gemeinde«-Bildung. Manche – nicht: alle – »Mysterien« lenkten in diese Bahn ein. Errettung der Einzelnen als Einzelner aus Krankheit, Armut und allen Arten von Not und Gefahr war ihre Verheißung. Der Magier wandelte sich so zum Mystagogen: erbliche Dynastien von solchen oder aber eine Organisation geschulten Personals mit einem nach irgendwelchen Regeln bestimmten Haupt entwickelten sich, wobei dieses Haupt entweder selbst als Inkarnation eines übermenschlichen Wesens oder nur als Verkünder und Vollstrecker seines Gottes: als Prophet, gelten konnte. Damit war eine religiöse Gemeinschaftsveranstaltung für individuelles »Leiden« als solches und für »Erlösung« davon entstanden. Die Verkündigung und Verheißung wendete sich nun naturgemäß an die Massen derjenigen, welche der Erlösung bedurften. Sie und ihre Interessen traten in den Mittelpunkt des berufsmäßigen Betriebes der »Seelsorge«, welche erst damit recht eigentlich entstand. Feststellung, wodurch das Leiden verschuldet sei: Beichten von »Sünden«, d.h. zunächst: Verstößen gegen rituelle Gebote, und Beratung: durch welches Verhalten es beseitigt werden könne, wurden jetzt die typische Leistung von Magiern und Priestern. Ihre materiellen und ideellen Interessen konnten damit in der Tat zunehmend in den Dienst spezifisch plebejischer Motive treten. Einen weiteren Schritt auf dieser Bahn bedeutete es, wenn daraus unter dem Druck typischer und immer wiederkehrender Not eine »Heilands«-Religiosität sich entwickelte. Sie setzte einen Erlöser-Mythos, also eine (mindestens: relativ) rationale Weltbetrachtung voraus, zu deren wichtigstem Gegenstand wiederum das Leiden wurde. Ansatzpunkte dazu bot sehr häufig die primitive Naturmythologie. Die Geister, welche das Kommen und Gehen der Vegetation und den Gang der für die Jahreszeiten wichtigen Gestirne beherrschten, wurden die bevorzugten Träger der Mythen vom leidenden, sterbenden, wiederauferstehenden Gott, welcher nun auch den Menschen in der Not die Wiederkehr diesseitigen oder die Sicherheit jenseitigen Glückes verbürgte. Oder eine volkstümlich gewordene Gestalt aus der Heldensage – wie Krischna in Indien – wurde, ausgestattet mit Kindheits-, Liebes-und Kampfmythen, zum Gegenstand eines brünstigen Heilandskultes. Bei einem politisch bedrängten Volk, wie den Israeliten, haftete der Heilands-(Moschuach-) Name zuerst an den von der Heldensage überlieferten Rettern aus politischer Not (Gideon, Jephtah) und bestimmte von da aus die »messianischen« Verheißungen. Bei diesem Volk, und in dieser Konsequenz nur hier, wurde – unter sehr besonderen Bedingungen – das Leiden einer Volk sgemeinschaft, nicht das des Einzelnen, Gegenstand religiöser Erlösungshoffnun gen. Die Regel war: daß der Heiland zugleich individuellen und universellen Charakter trug: das Heil für den Einzelnen und für jeden Einzelnen, der sich an ihn wendete, zu verbürgen bereit war. – Die Gestalt des Heilands konnte verschiedener Prägung sein. In der Spätform der zarathustrischen Religion, mit ihren zahlreichen Abstraktionen, übernahm eine rein konstruierte Figur in der Heilsökonomie die Rolle des Mittlers und Retters. Oder gerade umgekehrt: eine durch Wunder und visionäres Wiedererscheinen legitimierte historische Person stieg zum Heiland auf. Für die Realisierung der sehr verschiedenen Möglichkeiten waren rein historische Momente maßgebend.
Fast immer entstand aber aus den Erlösungshoffnungen irgend eine Theodizee des Leidens.
Die Verheißungen der Erlösungsreligionen blieben zwar zunächst nicht an ethische, sondern an rituelle Vorbedingungen geknüpft, wie etwa die diesseitigen und jenseitigen Vorteile der eleusinischen Mysten an rituelle Reinheit und das Anhören der eleusinischen Messe. Aber die zunehmende Rolle, welche jene Spezialgötter, in deren Obhut der Rechtsgang stand, mit zunehmender Bedeutung des Rechts spielten, verlieh diesen die Aufgabe des Schutzes der überlieferten Ordnung: der Bestrafung des Unrechtes und Belohnung des Gerechten. Und wo eine Prophetie die religiöse Entwicklung bestimmend beeinflußte, trat naturgemäß stets die »Sünde«, nicht mehr nur als magischer Verstoß, sondern vor allem als: Unglaube gegen den Propheten und seine Gebote, in der Rolle des Grundes von Unglück aller Art auf. Nun war der Prophet selbst zwar keineswegs regelmäßig ein Sprößling oder ein Repräsentant gedrückter Klassen. Wir werden sehen, daß das Gegenteil nahezu die Regel bildete. Und auch der Inhalt seiner Lehre entstammte keineswegs überwiegend ihrem Vorstellungskreis. Aber allerdings waren es in der Regel nicht die Glücklichen, Besitzenden, Herrschenden, welche eines Erlösers und Propheten bedurften, sondern die Bedrückten oder mindestens die von Not Bedrohten. Eine prophetisch verkündete Heilands-Religiosität hatte daher in der großen Mehrzahl der Fälle ihre dauernde Stätte vorzugsweise in den minder begünstigten sozialen Schichten, welchen sie die Magie entweder ganz ersetzte oder doch rational ergänzte. Und wo die Verheißungen des Propheten oder Heilandes selbst den Bedürfnissen der sozial minder Begünstigten nicht hinlänglich entgegenkamen, da entwickelte sich aus ihnen mit großer Regelmäßigkeit eine sekundäre Erlösungsreligiosität der Massen unterhalb der offiziellen Lehre. Der im Heilandsmythos im Keime vorgebildeten rationalen Weltbetrachtung aber fiel eben deshalb in aller Regel die Aufgabe zu, eine rationale Theodizee des Unglücks zu schaffen. Zugleich aber versah sie das Leiden als solches nicht selten mit einem ihm ursprünglich ganz fremden positiven Wertvorzeichen.
Das freiwillig, durch Selbstkasteiung, geschaffene Leid hatte bereits mit der Entwicklung der ethischen, strafenden und belohnenden, Gottheiten seinen Sinn gewechselt. Wenn ursprünglich der magische Geisterzwang der Gebetsformel durch die Selbstkasteiung – als Quelle charismatischer Zustände – gesteigert wurde, so blieb dies in den Gebetskasteiungen und den kultischen Abstinenzvorschriften erhalten, auch nachdem aus der magischen Geisterzwangsformel eine Bitte an einen Gott um Erhörung geworden war. Dazu trat nun die Bußkasteiung als ein Mittel, durch Reue den Zorn der Götter zu beschwichtigen und die verwirkten Strafen durch Selbstbestrafung abzuwenden. Auch jene zahlreichen Abstinenzen, welche der Totentrauer, anfänglich (besonders klar in China) zur Abwendung des Neides und Zornes des Toten, anhafteten, übertrugen sich nun leicht auf die Beziehungen zu den betreffenden Göttern überhaupt, und ließen Selbstkasteiung und schließlich auch die Tatsache des ungewollten Entbehrens rein als solche als gottwohlgefälliger erscheinen, als den unbefangenen Genuß der Güter der Erde, der die Genießenden dem Einfluß des Propheten oder Priesters unzugänglicher machte.
Eine gewaltige Steigerung aber erfuhr die Macht dieser Einzelmomente unter Umständen durch das mit zunehmender Rationalität der Weltbetrachtung zunehmende Bedürfnis nach einem ethischen »Sinn« der Verteilung der Glücksgüter unter den Menschen. Die Theodizee stieß dabei mit zunehmender Rationalisierung der religiös-ethischen Betrachtung und Ausschaltung der primitiven magischen Vorstellungen aufsteigende Schwierigkeiten. Allzu häufig war individuell »unverdientes« Leid. Und keineswegs nur nach einer »Sklavenmoral«, sondern auch an den eigenen Maßstäben der Herrenschicht gemessen, waren es allzu oft nicht die Besten, sondern die »Schlechten«, denen es am besten geriet. Vorgetane individuelle Sünde des Einzelnen in einem früheren Leben (Seelenwanderung), oder Schuld der Vorfahren, die bis ins dritte und vierte Glied gerächt wird, oder – am prinzipiellsten – die Verderbtheit alles Kreatürlichen als solchen standen als Erklärungen des Leidens und der Ungerechtigkeit, Hoffnungen auf ein künftiges besseres Leben innerhalb der Welt für den Einzelnen (Seelenwanderung) oder für die Nachfahren (messianisches Reich) oder im Jenseits (Paradies) als Verheißungen zum Ausgleich zu Gebote. Die metaphysische Vorstellung über Gott und Welt, welche das unausrottbare Bedürfnis nach der Theodizee hervorrief, vermochte gleichfalls nur wenige, – im ganzen, wie wir sehen werden, nur drei – Gedankensysteme zu erzeugen, welche rational befriedigende Antworten auf die Frage nach dem Grunde der Inkongruenz zwischen Schicksal und Verdienst gaben: die indische Karmanlehre, den zarathustrischen Dualismus und das Prädestinationsdekret des Deus absconditus. Diese rational geschlossensten Lösungen aber traten nur ganz ausnahmsweise in reiner Form auf.
Das rationale Bedürfnis nach der Theodizee des Leidens – und: des Sterbens – hat außerordentlich stark gewirkt. Es hat Religionen wie den Hinduismus, den Zarathustrismus, das Judentum, in gewissem Umfang auch das paulinische und spätere Christentum in wichtigen Charakterzügen geradezu geprägt. Noch 1906 antwortete von einer gegebenen (recht beträchtlichen) Zahl Proletariern auf die Frage nach dem Grunde ihres Unglaubens nur die Minderzahl mit Folgerungen aus modernen naturwissenschaftlichen Theorien, die Mehrzahl aber mit dem Hinweis auf die »Ungerechtigkeit« der diesseitigen Weltordnung, – freilich wohl wesentlich deshalb, weil sie an den innerweltlichen revolutionären Ausgleich glaubten.
Die Theodizee des Leidens konnte durch Ressentiment gefärbt sein. Aber das Bedürfnis nach dem Ausgleich der Unzulänglichkeit des Diesseits-Schicksales nahm nicht nur nicht immer, sondern nicht einmal der Regel nach die Färbung des Ressentiments als maßgebenden Grundzug an. Der Glaube, daß es dem Ungerechten gerade deshalb gut in der diesseitigen Welt gehe, weil ihm die Hölle, den Frommen aber die ewige Seligkeit vorbehalten sei, und daß deshalb die immerhin auch von diesen gelegentlich begangenen Sünden im Diesseits abgebüßt werden müßten, lag gewiß dem Rache-Bedürfnis besonders nahe. Aber man kann sich leicht überzeugen, daß selbst diese zuweilen auftretende Vorstellungsweise durchaus nicht immer durch Ressentiment bedingt, und daß sie vor allem keineswegs immer das Produkt sozial bedrückter Schichten war. Wir werden sehen, daß es nur wenige, darunter nur ein voll ausgeprägtes Beispiel einer wirklich durch Ressentiment in wesentlichen Zügen mitbestimmten Religiosität gegeben hat. Richtig ist nur, daß allerdings das Ressentiment als ein Einschlag (neben anderen) in dem religiös bestimmten Rationalismus der sozial minder begünstigten Schichten überall Bedeutung gewinnen konnte und oft gewonnen hat. Aber auch das, je nach der Natur der Verheißungen der einzelnen Religion, in höchst verschiedenem, oft nur in verschwindendem, Grade. Gänzlich unrichtig wäre es jedenfalls, die »Askese« allgemein aus diesen Quellen ableiten zu wollen. Das in den eigentlichen Erlösungsreligionen in aller Regel vorhandene Mißtrauen gegen Reichtum und Macht hatte seinen natürlichen Grund vor allem in der Erfahrung der Heilande, Propheten und Priester: daß die in dieser Welt begünstigten und »satten« Schichten das Bedürfnis nach einer Erlösung – gleichviel welchen Charakters – im allgemeinen nur in geringem Maße besaßen, und daher minder »fromm« im Sinne jener Religionen waren. Und die Entwicklung rationaler religiöser Ethik gerade auf dem Boden der sozial minder gewerteten Schichten hatte ebenfalls zunächst positive Wurzeln in deren innerer Lage. Schichten im festbegründeten Besitz sozialer Ehre und Macht pflegen ihre ständische Legende in der Richtung einer ihnen innewohnenden besonderen Qualität, meist einer solchen des Blutes, zu bilden: ihr (wirkliches oder angebliches) Sein ist das, was ihrem Würdegefühl die Nahrung gibt. Sozial gedrückte oder ständisch negativ (oder doch: nicht positiv) gewertete Schichten speisen dagegen ihr Würdegefühl am leichtesten aus dem Glauben an eine ihnen anvertraute besondere »Mission«: ihr Sollen oder ihre (funktionale) Leistung verbürgt oder konstituiert ihnen den eignen Wert, der damit in ein Jenseits ihrer selbst, in eine ihnen von Gott gestellte »Aufgabe«, rückt. Schon in diesem Sachverhalt als solchem lag eine Quelle der ideellen Macht ethischer Prophetien zuerst bei den sozial minder Begünstigten, ohne daß es dabei des Ressentiment als eines Hebels bedurfte. Das rationale Interesse an materiellem und ideellem Ausgleich an sich genügte vollkommen. Daß die Propaganda der Propheten und Priester daneben, absichtlich oder nicht, auch das Ressentiment der Massen in ihren Dienst gestellt hat, ist nicht zu bezweifeln, aber keineswegs universell zutreffend. Vor allem war diese wesentlich negative Macht nirgends, so viel bekannt, die Quelle jener dem Wesen nach metaphysischen Konzeptionen, welche einer jeden Erlösungsreligion ihre Eigenart verliehen. Und vor allem war die Art einer religiösen Verheißung, allgemein gesprochen, keineswegs notwendig oder auch nur überwiegend, lediglich Sprachrohr eines Klasseninteresses, sei es äußerlicher oder innerlicher Art. Von sich aus blieben die Massen, wie wir sehen werden, überall in der massiven Urwüchsigkeit der Magie befangen, wo nicht eine Prophetie sie, mit bestimmten Verheißungen, in eine religiöse Bewegung ethischen Charakters hineinriß. Im übrigen aber war die Eigenart der großen religiös-ethischen Systeme durch weit individuellere gesellschaftliche Bedingungen als durch den bloßen Gegensatz von herrschenden und beherrschten Schichten bestimmt.
Es mögen, zur Ersparnis mehrfacher Wiederholungen, hier über diese Verhältnisse noch einige Bemerkungen vorangeschickt werden. Die untereinander verschiedenen Heilsgüter, welche die Religionen verhießen und boten, sind für den empirischen Forscher keineswegs nur und nicht einmal vorzugsweise als »jenseitige« zu verstehen. Ganz abgesehen davon, daß ja durchaus nicht jede Religion, auch nicht jede Weltreligion, ein Jenseits als Stätte bestimmter Verheißungen überhaupt kannte. Mit der nur teilweisen Ausnahme des Christentums und weniger anderer spezifisch asketischer Bekenntnisse waren vielmehr die Heilsgüter aller, der urwüchsigen wie der kultivierten, prophetischen oder nicht prophetischen, Religionen zunächst ganz massiv diesseitige: Gesundheit, langes Leben, Reichtum waren Verheißungen der chinesischen, vedischen, zarathustrischen, altjüdischen, islamischen ganz in gleicher Art wie der phönikischen, ägyptischen, babylonischen und altgermanischen Religion und wie die Verheißungen für die frommen Laien des Hinduismus und Buddhismus. Nur der religiöse Virtuose: Asket, Mönch, Sufi, Derwisch erstrebte ein, an jenen massivsten Diesseitsgütern gemessen, »außerweltliches« Heilsgut. Auch dieses außerweltliche Heilsgut war nun aber keineswegs ein nur jenseitiges. Auch da nicht, wo es sich selbst als solches verstand. Vielmehr war, psychologisch betrachtet, gerade der gegenwärtige, diesseitige, Habitus dasjenige, worum es den Heilsuchenden primär zu tun war. Die puritanische certitudo salutis: der unverlierbare Gnadenstand in dem Gefühl der »Bewährung« war das psychologisch allein Greifbare an den Heilsgütern dieser asketischen Religiosität. Das akos mistische Liebesgefühl des seines Eingangs in Nirwana sicheren buddhistischen Mönches, das Bhakti (gottinnige Liebesglut) oder die apathische Ekstase der hinduistischen Frommen, die orgiatische Ekstase bei der Radjenie des Chlüsten und beim tanzenden Derwisch, die Gottbesessenheit und der Gottbesitz, die Marien- und Heilandsminne, der jesuitische Herz-Jesu-Kult, die quietistische Andacht, die pietistische Zärtlichkeit für das Jesulein und dessen »Wundbrühe«, die sexuellen und halbsexuellen Orgien bei der Krischnaminne, die raffinierten Kultdiners der Vallabhacharis, die gnostischen onanistischen Kulthandlungen, die verschiedenen Formen der unio mystica und des kontemplativen Untergehens im All-einen: – alle diese Zustände wurden ja doch unzweifelhaft zunächst einmal um dessen willen gesucht, was sie selbst an Gefühlswert dem Gläubigen unmittelbar boten. Sie standen in dieser Hinsicht durchaus dem dionysischen oder im Somakult erzeugten religiösen Alkoholrausch, den totemistischen Fleischorgien, den kannibalistischen Mahlzeiten, dem alten religiös geweihten Haschisch-, Opium- und Nikotingebrauch und überhaupt allen Arten magischen Rausches gleich. Um der psychischen Außeralltäglichkeit und des dadurch bedingten Eigen wertes der betreffenden Zuständlichkeit halber galten sie als spezifisch geweiht und göttlich. Und wenn auch erst die rationali sierten Religionen in jene spezifisch-religiösen Handlungen neben der umittelbaren Aneignung des Heilsgutes eine metaphysische Bedeutung hineinlegten und so die Orgie zum »Sakrament« sublimierten, so fehlte doch schon der primitivsten Orgie eine Sinndeutung keineswegs gänzlich. Nur war sie rein magisch-animistischen Charakters und enthielt nicht oder nur in leisen Ansätzen die allem religiösen Rationalismus eigene Einbeziehung in eine universelle kosmische Heilspragmatik. Jedoch blieb es, auch nachdem dies geschehen, natürlich dabei, daß das Heilsgut für den Frommen zunächst und vor allem psychologischen Gegenwarts charakter hatte. Das heißt: daß es vor allem in jenem Zustand, dem Gefühlshabitus rein als solchem, bestand, welchen der spezifisch religiöse (oder magische) Akt oder die methodische Askese oder Kontemplation unmittelbar hervorrief.