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Klassensozialismus und Menschheitssozialismus (1931)

(Erstpublikation August 1931, erschienen in: „Die Internationale“)

Unzählbare Jahrtausende uns in ihrem wahren Wesen unerforschbarer Entwicklungen belasten die heutige Menschheit, die in ihren ältesten geschichtlich erreichbaren Zeiten schon überall dort, wo Bodenverhältnisse usw. umfangreiche Eroberungen erleichterten, ausgebildete Herrschaftssysteme zeigt, vom Typus, den man den “orientalischen Despotismus” nennt (Westliches Asien, Ägypten usw.). Diesem expansiven Despotismus leisteten kleinere Bergvölker heroischen Widerstand, entwickelten aber dadurch meist einen derartigen Militarismus, daß sie ihrerseits darauf brannten, sich als Eroberer auf weniger geschützte Völker des Flachlandes zu stürzen. Seevölker endlich benutzten früh die Waffe des Schiffes, das Waren, aber auch Krieger trägt, und begründeten die Stadtkolonien an den Seeküsten, denen das friedliche Hinterland bald auf jede Weise tributär wurde. So ist in den uns bekannten etwa zehntausend Jahren der Geschichte unaufhörliche Eroberungslust am Werk, die noch von den der Ausdehnung zur See parallelgehenden zeitweiligen Völkerwanderungen und nomadischen Invasionen vermehrt wurde.

All dies bedingte eine schon durch endlose Generationen gefestigte Trennung der Menschen in Herrschende und Beherrschte, Befehlende und Gehorchende, Besitzende und Besitzlose, relativ Gebildete und der Bildungsmöglichkeiten beinahe oder gänzlich Beraubte, und all diese Ungleichheit, gesichert und konsekriert durch physische und geistige Mittel, durch den grausamsten Zwang und die beständige Aufsicht der Werkzeuge der Obrigkeit und durch einen auf jede Weise gezüchteten Unterwürfigkeitssinn, der an Empörung gar nicht denkt oder sie mindestens als gänzlich aussichtslos betrachtet. In diesem Rahmen schleppen sich die geschichtlichen Jahrtausende dahin, und es gibt nichts, aber auch gar nichts von dem Uralten, das man als “heutzutage unmöglich” bezeichnen könnte. Sucht man die Folter, man hat sie in den Untersuchungskerkern einer Reihe von Ländern gefunden; sucht man Kannibalismus, man fand ihn soeben bei den Zigeunern der Slowakei. Wann wurde ein grausamerer Krieg geführt als der Weltkrieg, wann wurden grausamere Friedensbedingungen diktiert und auch den kommenden Generationen aufgezwungen als nach diesem Krieg? Wann haben Hunger und Armut so gewütet wie in unseren Jahren, von China und Rußland bis Deutschland und Österreich? Wann gab es ärgere Horden als die faschistischen? Ist etwa der finstere Aberglaube verschwunden, der nationale Haß, irgendeine der rohesten Leidenschaften? Nichts hat sich wesentlich verändert, nur daß für die im Lauf der Jahrtausende geschwächten Nerven vieles aus der Öffentlichkeit weggeräumt ist und sich im Stillen vollzieht, oder es wird eine Kompensation durch Sport und anderes Nervenaufpeitschende geboten. Die Menschheit konnte diesen Raubbau an sich selbst wohl nur dadurch ertragen, daß bis zum achtzehnten Jahrhundert ihre Zahl, ihre Produktionsverhältnisse und Lebensbedingungen doch verhältnismäßig gering, einfach und wenig kompliziert waren und daß sie sich beständig ungeheuren nichterschöpften, oft kaum berührten, ja in ihrer Benutzbarkeit unbekannten Naturreichtümern und -reserven gegenüber befand. Alles spielte sich in einem kleinen Maßstab innerhalb eines riesigen Rahmens ab, während seit damals dieses Verhältnis mit tödlicher Sicherheit sich gänzlich umkehrt: großer Maßstab, kleiner Rahmen!

Dieser Umschwung ist der größte, den die menschlichen Lebewesen seit den katastrophalen eiszeitlichen Perioden der Urzeiten durchmachen, gleichfalls Perioden unerbittlicher Einschnürung der Lebensbedingungen, die furchtbare Tragödien zeitigen mußten. Nach einer gewissen Vorbereitung durch den im Zeitalter der Entdeckungen sich ausdehnenden Seehandel, durch lebhaftere innere Produktion (Manufaktur) und durch ein beginnendes wissenschaftliches Leben, das die Natur und ihre Produkte zu erschließen begann, erfolgte seit 150 Jahren in rapid gesteigertem Grade die Vervielfältigung der Produktion durch den Maschinismus, die unendliche Erleichterung der Transportverhältnisse durch Dampf und Elektrizität, die Erschließung der Naturschätze in allen Teilen der Erde und ihre beständig intensivierte Einfügung in den Produktionsprozeß aller Länder, kurz, mechanische Zauberhände überwinden jedes technische Hindernis, und absolut all und jedes in allen Teilen der Erde ist dem kontinuierlichen Produktions-, Handels- und Verbrauchsprozeß in den Rachen geworfen oder für die baldmöglichste Zukunft hierzu bestimmt. Dieser ungeheure Wechsel traf nun eine gänzlich unvorbereitete Menschheit, welche die vorbereitenden Jahrhunderte, vom sechszehnten ab, mit religiösen und synastischen Kriegen, bürokratischem Staatsallmachtsaufbau, Monarchendienst usw. zubrachte, in ihrer überwiegenden Masse von der Bildung abgeschnitten und auf jede Weise versklavt, mißhandelt und meist der äußersten Dürftigkeit, dem chronischen Hunger preis gegeben. Alle künstlerischen, gelehrten und manchmal moralisch und sozial gefühlvollen und auch rebellischen Leistungen und Tätigkeiten einzelner täuschen hierüber nicht hinweg, und nach der Niederschlagung aller Volksempörungen des ausgehenden Mittelalters in England, Frankreich, Deutschland, Spanien usw. waren grade in jenen Jahrhunderten, vom sechszehnten bis zum achtzehnten, die Volkskräfte gelähmt, und der Empörungsgeist verlief sich meist auf religiöse Irrwege, 16. und 17. Jahrhundert, um, als hier im 18. Jahrhundert die Aufklärung durchdrang, sich der an den antiken Republiken und alten Volkstraditionen nährenden demokratischen Illusion hinzugeben, den gerechten Himmel nunmehr in den gerechten Staat verlegend und dort suchend. Sozial war das Volk damals blind, bis die physische Unerträglichkeit des Fabriksystems in seiner rohesten ältesten Form Koalitionen, bald die Trade Unions und die Arbeiterschutzbestrebungen als Notwehr ins Leben rief.

Eine ihr soziales Leben auf Grund irgendwelcher gemeinsamer Menschlichkeitsgefühle einrichtende Menschheit hatte es bis dahin nicht gegeben und gibt es auch heute nicht. Der zur Arbeit durch seine Armut Gezwungene wurde so rücksichtslos verbraucht wie ein Werkzeug abgearbeitet wird. Als die amerikanischen Indianer durch Sklavenarbeit abstarben, begann der Import der Negersklaven, und mit derselben kühlen Sachlichkeit wurden die aus unerträglichem Elend auf dem Land flüchtenden Besitzlosen, Männer, Frauen und Kinder, in die neuen Fabriken gesperrt und verarbeitet und durften europäische Auswanderer, Nachfolger der Sklavenimporte, Nordamerika urbar machen und gewissermaßen als “Trockenwohner” bewohnen, bis seitdem das organisierte Kapital sie meist wieder ruiniert und in neue Dienstbarkeit einzwängt. Die im neunzehnten Jahrhundert als gemeinsame Stimme der Menschheit funktionierenden Faktoren, die öffentliche Meinung, die Presse, die Parlamente und Parteien, die organisierten Religionen, viele und oft wertvolle Denker und Redner usw., alle vermochten keinen Teil der alten sozialen Struktur wirklich zu erschüttern und nahmen nur endlose Reparaturen, Verdeckungen der nacktesten Schäden, Namensänderungen usw. vor, durch die der Ausbeutungsmechanismus ein zeitgemäßeres Aussehen gewann. Einiges gewannen die Ausgebeuteten selbst durch Zusammenhalten, die Arbeiter durch Gewerkschaften, die Bauern durch agrarische politische Mittel und Wege, ohne daß aber selbst nur zwischen diesen beiden großen Gruppen, den Arbeitern und den Kleinproduzenten, Handwerkern und Bauern, irgendwo ein Zusammenwirken gegen die Großausbeuter, Kapital und Staat, sich entwickelt hätte; vielmehr gibt es wenig Länder und Gegenden, wo nicht zwischen diesen beiden für den Produktionsprozeß entscheidenden Gruppen Mißtrauen und Feindschaft bestünde.

In diese trübe Flut uralter brutalster Herrschaft der Privilegierten und ebenso uralter sehr großer Hilfs- und Willenlosigkeit der Unterdrückten mündete nun seit über einem Jahrhundert die reine Quelle des Sozialismus: ist es da zu verwundern, daß sie sich beständig In der Flut verliert? Eine Quelle vermag einen Strom nicht zu reinigen, sie geht darin unter. Die seit der Vorzeit autoritär gedrillte Menschheit hörte als Masse die Freiheitsrufe einiger Sozialisten der letzten hundert Jahre in ihrer ursprünglichen echten Form einfach nicht, während sie den Lockungen autoritärer Verfälscher des Sozialismus um so leichter Gehör schenkte, je müheloser ihr dies gemacht wurde und wird. So entstanden die heutigen Scheinerfolge, sozialistische Majoritäten bei englischen und deutschen Wahlen, während zugleich ein Magdeburger Parteitag und Moskauer Parteikongreß die bekannten Taten sozialistischer Machthaber gegen das Volk und andersdenkende Sozialisten, als selbstverständliche Begleiterscheinungen der Macht betrachten. So ist das einstige Gold sozialistischer Ideen und Gefühle auf wertloses Schaumgold verflattert, von dem sich einzelne Atome über Millionen verteilen. Ich sehe vollkommen ein, daß es nicht anders kommen konnte, sobald man die abschüssige Ebene der Erfolgshascherei betrat, die zugleich für alle militanten Parteisozialisten eine sichere persönliche Versorgung in immer steigendem materiellen Umfang bedeutete. Aber diese Parteien wurden dadurch zu Gauklern, die mit Vorspiegelungen arbeiten, die den Vertröstungen der Geistlichkeit aller Zeiten auf das Himmelreich immer ähnlicher sehen, und es kann nicht der Wille der wirklichen Sozialisten und aller human denkenden Menschen sein, zuzusehen, wie sich systematisch ein neues Pfaffentum neben oder an die Stelle des alten Pfaffentums stellt.

So viele sentimentale Bande noch immer auch die freiheitlichsten Sozialisten mit allem verbinden, was sie noch immer als relativ volksfreundliche Aktionen betrachten, sollten wir doch endlich einmal versuchen, in diesen Dingen ganz klar zu sehen und entsprechend zu handeln. Sonst vergehen die Jahre umsonst, unsere Reihen verfallen und der ganze Sozialismus verläuft im Sande. Denn nichts garantiert ihm dauerndes Leben, wenn er sich selbst aufgibt, das heißt von dem allgemeinen autoritären System wieder absorbiert wird, das im Lauf der Zeiten unzählige seiner Bekämpfer lahmzulegen und in ihren Folgen fast oder ganz spurlos verschwinden zu machen verstand und das wahrlich vor dem Stimmzettel, dem Mitgliedsbuch und selbst zeitweiligen Diktaturen nicht kapitulieren wird, da es sich zu fest auf die autoritäre Mentalität ungeheurer Massen stützen kann.

Ist deshalb der freiheitliche Sozialismus aussichtslos? Nicht im geringsten, nach meiner Überzeugung, sobald er nur endlich beginnen wird, sich an die freiheitswilligen und in nennenswertem Grade freiheitsfähigen Teile der Menschheit direkter zu wenden als dies bisher geschieht. Hierzu müssen wir zunächst mit uns selbst ehrlich sein. Bei aller Anerkennung der Gleichberechtigung aller Menschen und unserem Wunsch, in jedem möglichst viele Keime und Möglichkeiten einer gedeihlichen und solidarischen Entwicklung als Mensch und Bruder zu erkennen und zu fördern, wissen wir doch daß die Menschen unendlich verschieden sind, daß sie ebenso sehr verschieden schwer oder leicht in besserem Sinn beeinflußt werden können und ebenso, daß bei all dem die Klassenzugehörigkeit wirklich nichts zu sagen hat. Der Sozialismus in seinen uneigennützigsten, opfermutigsten, revolutionärsten Richtungen hatte seit jeher auf die besten Elemente absolut aller Klassen eine Anziehungskraft, die alle Klassenschranken durchbrach. Dasselbe gilt von allen freiheitlichen und humanitären Richtungen, von denen keine einzige ein Klassenmonopol war. Klassenangelegenheiten sind unmittelbare praktische Kämpfe, die Gewerkschaftsbewegung also und ähnliche agrarische Schutzbewegungen, aber selbst hier ist der reine Klassenstandpunkt durchaus nicht immer allein maßgebend, wie z.B. das Zusammengehen der Schutzzollbestrebungen (Importe und Einwanderung) von Arbeitern und Kapitalisten in Nordamerika, die häufige Interessengemeinschaft von Bauern und Großagrariern usw. beweisen.

Nicht eine einzige wertvolle menschliche Bewegung ist also reine Klassenangelegenheit: wie sollte dies also die wertvollste aller Bewegungen, die Sache der Befreiung der Menschheit von Herrschaft und Ausbeutung sein?

Die marxistische Klassenideologie bildete sich aus, weil man zuerst in den durch das Fabriksystem als unvermeidliche Abwehr ins Leben gerufenen Trade Unions dann in den von der demokratischen Illusion zu Massen gruppierten, nach Wahlrecht dürstenden Chartisten und in den sowohl vom bonapartistischen, wie vom republikanischen allgemeinen Stimmrecht in Frankreich rekrutierten Wählermassen Armeen zu sehen glaubte, denen man mit einiger Geduld und Ausdauer eine sozialistische Führerschaft aufoktroyieren zu können glaubte, was ja auch in unerwartetem Umfang gelang. Es blieb aber immer dieselbe Masse, die noch nie einen wirklichen Willen zu einer Tat im Sinn der ihr suggerierten Ideen gezeigt hat; denn wenn man einmal die Geschichte ihrer legendären Hüllen entkleiden würde, würde sich zeigen, in welchem Grade jedes revolutionäre Kapitel der Geschichte der Initiative kleiner Minoritäten entstammt und die Masse sich nur mit der sehr günstigen Konjunktur oder erst nach der vollendeten Tatsache einstellte. Jede Klassenmasse ist eben trotz dem äußeren Anschein ohne innere Konsistenz, verschiedenartig und daher brüchig und träg. Treibende Faktoren waren immer individuelle und kollektive Initiativen, bestehend aus für einen Zweck bewußt zusammenarbeitenden Elementen der verschiedensten Herkunft. Auch dies wäre leicht für jede Sphäre des Fortschritts nachzuweisen. Es müßte also mit Wunder zugehen, wenn dies für die Zusammenfassung aller Fortschritte anders sein sollte und hier sich auf einmal alles anders, als Kulissenwechsel der Klassen voll, ziehen sollte. Nur wer gänzlich marxgläubig ist, kann dies glauben, und für diesen hat jeder sonstige Sozialismus seinen Sinn verloren, und es ist vergeblich, mit ihm zu diskutieren: seine Antwort an alle anderen Sozialisten sind nur Kerker oder Tod, wenn er wie im heutigen Rußland über diese staatlichen Machtmittel verfügt.

Glaubt nun etwa jemand, dem diese Klassenideologie heute noch unentbehrlich erscheint, daß ihm durch Aufgeben derselben wirklich etwas genommen würde? Ich fasse es so auf, daß ihm dadurch nur etwas gegeben würde, der innere Zusammenhang mit allen guten Elementen der Menschheit, ohne die nie eine gute Sache wirkliche Ausdehnung gewann. Diese Elemente sind auch von selbst zum Klassensozialismus gekommen, wird man einwenden. Gewiß, aber es wird immer eine offene Frage bleiben, ob sie nicht in diesen hundert Jahren einem wirklichen Menschheitssozialismus einen ganz anderen Umfang und Inhalt zu geben verstanden hätten. Der klassenexklusive Sozialismus verstand es nicht, und wollte es meist auch gar nicht, mit irgendeiner Menschen im Allgemeinen bewegenden Frage und Richtung in ein klares Verhältnis zu treten.

Betrachten wir z.B. die Freidenker; hier fürchtet man Wähler- und Mitgliederverlust und proklamiert Religion zur Privatsache, oder man fürchtet Kontakt mit anderen Menschen und organisiert proletarische Freidenker. Oder die Kooperationsbewegung, die man einerseits als verbürgerlichend perhorresziert oder andererseits parteimäßig gefärbt und isoliert selbst betreibt. Oder die antimilitaristischen und Friedensbewegungen, die man durch einige Worte in den Parteiprogrammen und gelegentliche Internationalitätsversicherungen in friedlichen Zeitläufen zu ersetzen glaubt. Von jeder der lebenden Bewegungen ist der Sozialismus verachtungsvoll getrennt oder er sucht sie mit Parteifärbung nachzuahmen. Komisch ist, daß schließlich doch all diese partiellen Besserungsbestrebungen in den Sozialismus eingedrungen sind, aber notgedrungen, als unwillkommene Gäste und durch Isolierung und Parteianstrich verkümmernd. Statt zuerst und aus sich heraus die Welt mit humanitären Ideen und Anregungen zu überschütten, wie vor hundert Jahren Robert Owen, die Saint-Simonisten und viele andere Sozialisten es taten, ist längst der organisierte Sozialismus von heute so ziemlich der letzte geworden, der einer allgemeinen freiheitlichen und fortschrittlichen Anregung folgen würde.

Daher wäre wohl die erste Aufgabe eines regenerierten Sozialismus, freundliche und offene Beziehungen zu allen die Menschheit bewegenden Fragen und zu den auf diesen Gebieten uneigennützig und freisinnig wirkenden Personen und Bewegungen anzubahnen. Wenn man so unendlich nachsichtig war und ist gegenüber jedem Arbeiter, der halbwegs den nominellen Parteipflichten nachkommt, auch wenn seine sonstige sozialistische Betätigung gering ist, kann man auch nachsichtig sein gegenüber Personen mit gutem Willen und vorläufiger Spezialisierung auf einem engeren Gebiet. Der Kontakt mit allen Arbeitern besteht ohnedies durch die täglichen Angriffs- oder Verteidigungskämpfe; der Kontakt mit allen übrigen freiheitlichen und humanitären Kräften müßte ihm vollständig gleichwertig und gründlich gefestigt und vertieft zur Seite stehen; erst dann würden die nützlichen und die guten Elemente der Menschheit eine zu wirklichem Ausdruck eines sozialen Freiheitswillens hinreichend starke zwanglose Gruppierung bilden, die den Parasiten, ihren willigen Werkzeugen und ihren noch in geistiger Unmündigkeit dahindämmernden Opfern mit wachsendem Erfolg gegenübertreten könnte. Diese Gruppierung der tüchtigen und freiheitlich und sozial leistungsfähigen Teile der Menschheit ist also das erste Erfordernis, die Schaffung eines wirklichen Menschheitssozialismus, und wenn es durch den täglichen Kontakt im Arbeitskampf gelingt, daß sozialistische Arbeiter ihre Klassengenossen für den allgemeinen sozialistischen Kampf gewinnen oder mitreißen, desto besser, und in diesem Sinn ist dieser Klassensozialismus ebenso willkommen wie die spontane Hilfe irgendeiner andern Gruppe der Menschheit für die große Arbeit, für das Ziel der menschlichen Befreiung.

Die nächste Ausbreitungssphäre des freiheitlichen Sozialismus (1930)

(Erstpublikation März 1930, erschienen in: „Die Internationale“)

Aus allem, was wir seit vielen Jahren im Sozialismus miterleben, dürfen wir wohl die Lehre ziehen, daß der autoritäre Sozialismus mit der Gegenwart und Vergangenheit derart verknüpft ist, daß er sich nicht über deren Niveau erheben kann und die Neigung hat, unter dasselbe zu sinken. Nur der freiheitliche Sozialismus ist mit dem menschlichen Fortschritt wirklich verbunden und kann der Zukunft ins Auge blicken, selbst wenn er dies viel zu wenig beachtet, und noch immer dem autoritären Sozialismus, der doch sein und der Menschheit bitterster Feind ist, eine gewisse Solidarität entgegenbringt. Die Solidarität aller Arbeitenden, Teilnahme an der Freude über all ihre Kämpfe und Errungenschaften sind Selbstverständlichkeiten für anständige Menschen und bedeuten heutzutage nicht mehr auch nur den geringsten nachsichtigen Kontakt mit den Inhabern der Herrschergewalt im autoritären Sozialismus. Diese wollen es nicht anders, sie haben das friedliche Nebeneinandergehen in der Internationale, 1864 -1872, im letzteren Jahr unmöglich gemacht und sind von Jahr zu Jahr seitdem bis zur physischen Vernichtung andersdenkender, selbst autoritärer, Sozialisten im heutigen Rußland vorgeschritten. Die Volksmassen ließen sie schalten und walten, anscheinend froh, daß ihnen von Führern die Denkarbeit und relative Verantwortlichkeit abgenommen wurde. Beide Teile haften eben in der Vergangenheit, sind Opfer derselben und können nicht anders. Sie können moderne Techniken konstruieren und von modernen Arbeitern bedienen lassen, aber sie können nicht einen Atemzug freien Geistes in ihre Ideen und Einrichtungen hineinlassen, weil dieser Geist ihnen wie allen Autoritären fremd ist und sie ihn als ein ihrem Wesen feindliches Element empfinden und hassen.

Es konnte nicht anders kommen und wurde von allen freiheitlichen Sozialisten seit hundert Jahren warnend vorausgesagt. Wir verlieren dadurch nichts, weil wir nie etwas hatten, und wir brauchen nur unsere eigenen sentimentalen Illusionen, die früher durch einige persönlich bemerkenswerte Vertreter dieser Richtungen, Männer wie Marx, Lassalle, Bebel, Jaurès und viele andere Nahrung erhielten, als Illusionen gründlich zu erkennen und wie eine schlechte Schuld abzuschreiben. Wir haben aber die eigene Pflicht, uns ganz klar zu werden über die fortschrittlichen Kräfte der Menschheit, und mit all diesen in intelligenten, selbstlosen, sorgfältig gepflegten und fruchtbringenden Kontakt zu treten. Noch einmal gesagt, freuen wir uns über jede praktische soziale Errungenschaft und arbeiten wir daran mit, aber übersehen wir nicht, daß aus all dem unter den Händen autoritärer Sozialisten nur ein Staatsknechtsschaftssystem à la Rußland sich ergeben kann, und daß der wirkliche Sozialismus längst und immer nur in der Verbindung des sozialen mit jeder Art des geistigen, moralischen und jedes sonstigen Fortschritts bestand, in dem Streben nach fruchtbarer Verbindung von Solidarität und Freiheit.

Glaubt wirklich ein moderner Mensch, daß die besten Männer aller Zeiten sich für nichts und wieder nichts nach der Freiheit sehnten und für die Freiheit kämpften, und daß es etwas beweise, wenn ein Napoleon die französische Revolution erwürgt, ein Marx den Cäsarenwahnsinn im Sozialismus inauguriert, den Lenin und seine Genossen sich physisch ausleben lassen, wenn ein Nietzsche phantasiert, die Menschheit sei Dünger zur Aufzucht einiger erhabener Größen und ein Mussolini einem großen Volk den Fuß auf den Nacken setzt? Oder hat die Bürokratie aller Zeiten Leistungen vollbracht, die rechtfertigen würden, sie ins Endlose zu erweitern und das soziale Wohl und Weh aller dem sozialistischen Staat anzuvertrauen? Soll die menschliche Arbeit, die den Menschen in aufsteigender Linie von der Tierwelt differenzierte, durch ihre jetzige Mechanisierung ihn wieder zum arbeitenden Tier herabdrücken? Wer in all diesen Vorstellungskreisen lebt - und die Reinkultur des autoritären Sozialismus, der Bolschewismus, tut dies -, der gehört der Vergangenheit an und die Entwicklung wird über ihn hinwegschreiten.

Der Sozialismus dieser Art liegt vor der heutigen Menschheit jeden Tag mehr entfaltet da, ebenso der mit der Bourgeoisie mitregierende Sozialismus anderer Länder, der Städte beherrschende Gemeindesozialismus , das Großgewerkschaftstum usw. Nirgends ein sympathischer Zug, überall Herrschsucht, Strenge und kostspielige Durchschnitts-, wenn nicht minderwertige Leistungen. Kein Wunder, daß die im autoritären Irrwahn Befangenen nach “Faschismus” rufen, und daß die Freunde freier Menschlichkeit am Sozialismus verzweifeln! Tun wir das möglichste, dem Sozialismus im Menschheitsbewußtsein seinen wahren Charakter wiederzugeben, und je mehr uns dies gelingt, desto dankbarer wird man uns sein und desto eher werden wir solche Sympathien gewinnen, die uns ermöglichen, Verwirklichungen näherzutreten. Wir können gegenwärtig nur auf solche Weise unsere Bewegung stärken, denn bei der autoritären Mentalität aller übrigen Sozialisten und der Volksmassen haben wir von einem sozialen Sieg derselben nur das zu erwarten, was in Rußland geschah oder Schlimmeres, und unser eigener Sieg, wenn ein solcher für eine schwache Minorität denkbar wäre, wie wäre es möglich, ihn der autoritären Masse gegenüber aufrechtzuerhalten? Es muß leider gesagt werden, daß zu der einzigen reaktionären Masse, als die uns alle Parteien gegenüberstehen, längst der ganze autoritäre Sozialismus gehört und noch immer die große Masse der von freiheitlicher Denkweise unberührten und ungerührten Arbeiter.

Wir sind mit ihnen, zum dritten Mal sei es hier gesagt, ökonomisch solidarisch und kämpfen ihre Kämpfe mit und suchen ihnen als Syndikalisten Kampfmethoden näherzubringen, die wir für zugleich praktisch und aussichtsreich halten, aber geistig verwandt können wir nicht mit den Gläubigen und Opfern der Autorität sein, sondern nur mit den geistig freien Menschen, wer immer sie sind, und nur von ihnen kann uns weitgehende Unterstützung kommen, wenn sie den wahren Wert unseres Sozialismus erkennen, und es ist unsere Sache, ihnen denselben zu erklären. Die latenten, schlummernden, durch ihre Lage instinktiv freiheitlichen Kräfte im Volke, an die man so lange geglaubt hat, sind nun ein mal so schwer zu erwecken, als wenn sie gar nicht vorhanden wären: die Ereignisse seit 1917 haben unzählig diktatorische Sozialisten aller Nuancen erweckt, aber wirklich unendlich wenig neue freiheitliche Kräfte. Selbst Malatesta schrieb 1928, auf die italienische Internationale der Jahre 1872 bis ungefähr 1881 zurückblickend: ...”Wir setzten unsere Hoffnung in die allgemeine Unzufriedenheit und da das Massenelend wirklich unerträglich war, glaubten wir, daß ein Beispiel genüge, wenn man, die Waffen in der Hand, den Ruf “Nieder mit den Herren!” ausstoße, zu bewirken, daß die arbeitenden Massen sich gegen die Bourgeoisie stürzten und den Boden, die Fabriken, alles mit ihrem Schweiß Hergestellte und ihnen Weggenommene in Besitz nähmen. Und dann hatten wir einen mystischen Glauben an die Tugenden des Volks, an seine Fähigkeiten und an seine Instinkte für Gleichheit und Freiheit.

Die Tatsachen zeigten damals und seitdem (und hatten schon in der Vergangenheit gezeigt), wie weit wir von der Wahrheit entfernt waren. Denn der Hunger ohne Bewußtsein des eigenen Rechts und ohne eine die Handlungen leitende Idee bringt keine Revolutionen hervor, höchstens sporadische Erschütterungen...Und wenn unsere Wünsche nicht unsere Urteilskraft verschleiert hätten, würden wir die niederdrückende und daher antirevolutionäre Wirkung des Hungers daraus erkannt haben, daß unsere Propaganda größeren Erfolg in weniger verelendeten Gegenden hatte und unter jenen Arbeitern, meist Handwerkern, die in weniger schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebten.

Was aber die “Instinkte für Gleichheit und Freiheit” des Volks betrifft, ach, wie schwer ist es, sie zu erwecken! Damals und noch jetzt in dem großen Teil der Masse, den die Propaganda noch nicht erfaßt hat, treiben die durch tausendjährige Knechtschaft erzeugten “Instinkte” die Arbeiter eher zur Furcht und was noch schlimmer ist, zur Bewunderung ihrer Herren und daher zu fügsamer Unterwürfigkeit...

Selbst, wenn an Stelle dieser noch nicht ausgestorbenen Gefühle Haß und Rache treten würden, wäre das Resultat ein ausschließlich autoritäres, ein Wechsel der Rollen, und keineswegs ein freiheitliches. Wollen wir wirklich die Freiheit und nicht nur einen Szenenwechsel wie in Rußland, wo grade die ergebensten Anhänger und Werkzeuge des herrschenden Systems, das sozialistisch zu sein behauptet und es im autoritären Sinn auch ist, uns als die grausamsten Tyrannen erscheinen, so müssen wir Anschluß an die freiheitlichen und humanitären Elemente der ganzen Menschheit suchen und finden, die allein in ihrer Gesamtheit, durch zielbewußte Tätigkeit erweckt und sich solidarisch fühlend, ein Stück “Neuland” zu bilden fähig sind, in dem wir uns in Idee und Tat frei bewegen, befestigen und ausdehnen könnten in dem Sinn, daß wir allen etwas Gutes bringen. Wir können dies bringen als bewußteste Vertreter der Freiheit und Solidarität. Jede Richtung kann dadurch gestärkt werden, und wir selbst können von jeder Richtung lernen.

Vielleicht lernen dann selbst die Volksmassen in ihren nicht fanatisierten Teilen durch dieses Beispiel, und das nächste Ziel wäre erreicht durch zwei große Solidaritätsbünde - den aller freiheitlich und humanitär Fühlenden und den aller Arbeitenden. Solidarität in dem Sinn, daß ein Angriff auf einen als Angriff auf alle betrachtet und gemeinsam abgewiesen würde. Wenn alle ehrenwerten Arbeiter aller Richtungen jeden staatlichen und kapitalistischen Eingriff gegen irgendwelche Arbeiter und Sozialisten aller Art gemeinsam zurückweisen würden und ebenso alle freiheitlich und humanitär Fühlenden Jeden solchen Eingriff in irgendwelche freiheitlichen und anarchistischen Angelegenheiten, wäre dann nicht eine Aktionsbasis für wirklichen sozialistischen und menschlichen Fortschritt geschaffen? Wie ist es heute? Ein nicht ganz im hierarchischen Organisationswege approbierter Streik läßt die meisten Arbeiter unberührt, eine politische Verfolgung geht nur die eigene Partei an, für das schreiendste Unrecht müssen erst mühsam protestierende Kräfte zusammengebracht werden, meist immer dieselben, während zahllose andere ebenso regelmäßig fehlen. Wie die feinste Membrane sollte die Menschheit in all solchen Fällen reagieren, aber sie reagiert eher wie Dickhäuter gegen Mückenstiche, und das meiste Unrecht nimmt ungestört seinen Gang. Diese zwei Solidaritätsbünde würden also die Wege zur Freiheit sichern, und nun käme es auf Leistungen an, das heißt nun das Herauskommen aus der Sphäre der Wünsche, Hoffnungen, Behauptungen, Programme, Hypothesen usw., in der wir uns noch vornehmlich bewegen.

Hier Ist die Aufgabe eine sehr große, indem an Stelle der Abstraktionen, Formeln, kürzesten Zusammenfassungen, die man der Einfachheit wegen für Im Interesse der Propaganda gelegen hält, wirkliches Nachdenken, Studium, Forschung, Erfahrung und Übung auf allen Gebieten treten müßten. Da hat uns seit Jahrhunderten die Wissenschaft vorgearbeitet, die eigentliche Bahnbrecherin der Anarchie, die sich der Autorität des Glaubens In stahlhartem Kampf entgegenstellte und sie für alle denkenden Menschen zu Fall brachte. Eine andere Bahnbrecherin war die Arbeit, die ihren eigenen Weg unaufhaltsam ging, dem Nichtkönnen, dem Dilettantismus, der Primitivität gegenüber. Aus dem Kontakt beider entstand die Technik, der die ungeheure Aufgabe zufallen wird, den freiheitlichen Produktions- und Distributionsformen, die wir wünschen, die bestmöglichen praktischen Mittel zu geben. Wir haben hier sehr viel zu lernen, denn wir müssen wünschen, daß z.B. das vor mehr als vierzig Jahren von Kropotkin auf diesem Gebiet Zusammengestellte endlich überprüft werde, nicht von uns selbst, die wir alle Dilletanten sind, sondern von Fachmännern. Dann würden wir z.B. über die Größe der Produktionsgebiete, die Herkunft der Rohstoffe usw. zeitgemäß orientiert sein und wüßten vielleicht, in welchem Grade Dezentralisationstendenzen auf diesem Gebiet zweckmäßig, nützlich und möglich sind und wann sie schädliche Zersplitterung, unnütze Wiederholung usw. bedeuten. Nicht unsere Wünsche können hier maßgebend sein, sondern nur technische Möglichkeiten, die unsere Wünsche so viel als möglich zur Grundlage haben. Von unserer Seite aus würden die technischen Kräfte erfahren, daß wir mit ihnen in ein freundlicheres Verhältnis zu kommen wünschen als etwa die Bolschewisten in Rußland, die zuerst glaubten, sie entbehren und ihren Ersatz improvisieren zu können, und die sie jetzt unter Todesdrohung zu ihrer Arbeit zwingen.

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