Czytaj książkę: «Torus der Tloxi», strona 7

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Unter allen diesen Schiffen stach eines ins Auge, das mit Abstand das mächtigste war. Sein lang gezogener schlanker Bau war von erhabenen Dimensionen und von unwiderleglicher Eleganz. Der Rhythmus seiner stählernen Segmente war harmonisch. Der silberne Glanz seiner Planken aus gehärtetem Titanstahl funkelte kostbar im wechselnden Licht der beiden Sonnen. Seine schieren Ausmaße waren eine Demonstration von Macht und Stärke. Es ruhte zwischen den anderen wie ein Flaggschiff im Zentrum der Flotte, die es führt, wie ein König unter den Fürsten, die ihren Eid bei seinem Leben geschworen haben, wie ein Feldherr, der inmitten seiner Generäle aus dem Zelt tritt und zur Schlacht ruft. Sein Name war MARQUIS DE LAPLACE, und es schwebte wie ein Szepter vor dem Raum, wie ein Insignium der Macht, geschaffen, über all die anderen Kreaturen dieser Welt zu herrschen …

»Das hättest du wohl gerne!«

Jennifer, die sich nach einem langen Tag ergebnisloser Verhandlungen in der Nasszelle erfrischt hatte, trat neben mich und würgte meine Allmachtsfantasien in der Gnadenlosigkeit ab, die ihr eigen war.

»Wir sind gleichberechtigte Völker einer neuen Union, in Frieden verbunden, um die Galaxis zur Blüte …«

Ich küsste ihr feuchtes Stoppelhaar und zog sie an mich.

»Erspar mir das Politikergeschwätz«, bat ich. »Nur weil ihr den ganzen Tag diese inhaltsleeren Phrasen dreschen müsst, heißt das nicht, dass das nach Feierabend ewig so weitergehen muss.«

Sie schmunzelte und rubbelte sich mit einer Ecke ihres Handtuchs aus selbsterwärmendem Elastil hinter den Ohren.

»Du solltest dich mal hören«, lachte sie. »Zu was willst du dich ausrufen lassen? Zum Kaiser?!«

Sie frottierte ihren Schädel, aus dem das nasse Kurzhaar ein junges Igelküken machte. Das warme Abendlicht der roten Sonne lag auf ihren Zügen. Auf den hohen Wangenknochen, der glatten Stirn, den Augenwinkeln, in denen sich die ersten zarten Falten bildeten. Der goldene Glanz, der etwas von einem Sonnenuntergang am Strand von Pensacola hatte, vertiefte noch die Schönheit ihres reifen, wissenden Gesichtes. Ich konnte nicht fassen, wie lange wir schon zusammen waren, was wir erlebt hatten und wie sehr ich sie immer noch liebte. Das Braun ihrer Augen glühte im satten Ton von frisch gebrochenem Bernstein. Und der schwarze Irisring verlieh ihrem Blick ein sinnlich lockendes Lodern. Obwohl sie die Mitte ihrer fünften Dekade überschritten hatte, war sie von der idealen und makellosen Schönheit einer Dreißigjährigen. Und wenn ihre durchtrainierte, von Prana-Bindu-Techniken gestählte Figur schon immer einen straffen, sportlichen Zug gehabt hatte, galt, seit sie ihr Haar geschnitten hatte, erst recht, dass alles an ihr eine asketische Kraft und Überlegenheit atmete.

»Es geht nicht um mich«, sagte ich, von der Präsenz ihrer Erscheinung geblendet. »Es geht um die Union. Sie hat den Krieg gewonnen. Unter enormen Opfern, wenn ich daran erinnern darf. Das Sonnensystem ist destabilisiert. Die Erde auf Generationen hin verwüstet. Abertausende kamen ums Leben. Und wir führen uns hier auf wie Bittsteller, wie tributpflichtige Vasallen, wie Sklavenvölker, die um die Gewährung einer Gnade einkommen!«

Sie strich mir schmunzelnd über die Wange.

»Wenn du dich aufregst, bist du richtig sexy.«

Ich atmete durch. Mit Frauen konnte man einfach nicht diskutieren!

»Habe ich nicht recht?!«, rief ich, halb über mich selber lachend. »Sag mir, dass ich recht habe!« Ich rang die Hände wie ein Freier, der seine Domina anfleht, ihm den Hintern zu versohlen.

»Natürlich hast du recht«, sagte sie. »Aber wir brauchen Zeit. Rogers hat das erkannt. Ein falsches Wort, und der ganze Laden fliegt uns um die Ohren.«

Das Licht wechselte abrupt die Farbe. Irgendwo in der Tiefe, hundert Millionen Kilometer von uns entfernt, schob der blaue Stern sich über seinen roten Bruder. Die Stimmung änderte sich. Jennifers Miene war auf einmal hart und steinern. Wie in Marmor gemeißelt sah sie mich an. Aus ihren Wangen schien das Blut gewichen. Ihr Gesicht war kalkweiß und unbeweglich. Und statt des goldenen Schimmers ihrer Augen drohten schwarze Abgründe. Die hageren und ausgezehrten Züge ihres Äußeren traten schmerzhaft hervor.

»Und wenn schon«, grummelte ich. »Was haben wir denn zu verlieren?«

Sie ging darauf nicht ein. Es war klar, dass eine solche Äußerung in ihren Ohren nicht mehr als ein Totschlagargument sein konnte.

»Ist dir etwas aufgefallen?«, fragte ich.

Sie hob nicht einmal die Augenbrauen.

»Alle Kulturen«, führte ich aus, »die sich zu uns bekennen oder uns in einer Art von wohlwollender Neutralität begegnen, sind technisch rückständig. Die meisten betreiben nicht einmal eigene Raumfahrt …«

Sie sah mit in sich gekehrten Blicken zur Scheibe aus polarisierendem Elastalglas hinaus. Dabei verzog sie keine Miene, sie schien nicht einmal zu blinzeln. Im harten blauen Eislicht dieser Stunde war sie wie ein Standbild, eine lebende Statue, eine griechische Göttin, deren Sympathie man mehr zu fürchten haben würde als ihren Zorn. Ihr Kuss war verheerender als ihr Fluch.

»Die Tloxi«, wandte sie ein, »sind die technisch am höchsten entwickelte Zivilisation, die wir kennen. Sie sind selbst uns überlegen. Und sie waren die Ersten, die der Union beigetreten sind.«

Manchmal wusste ich nicht, ob sie etwas nur aus reinem Widerspruchsgeist sagte oder weil sie es glaubte.

»Lass mich mit den Tloxi«, fuhr ich sie an. »Kein Mensch weiß, was sie wirklich sind und was sie wollen. Auf ihre Loyalität würde ich mich lieber nicht verlassen.«

Jennifer schwieg.

»Ich denke an die Amish, die nicht einmal ein Shuttle steuern können und die stolz darauf sind, mit der Spitzhacke in ihre Minen einzufahren. An die Prana-Bindu – du brauchst sie jetzt nicht zu verteidigen. Sie sind uns spirituell in dem gleichen Maße über wie die Tloxi technologisch. Aber wenn wir keinen Kurierdienst eingerichtet hätten, wären sie nicht hier. Der oder die G.R.O.M., was immer sie sein mögen, die kuLau. Falls es uns gelingt, sie auf unsere Seite zu ziehen. Die Zthronmic scheinen sie schon heftig zu umwerben!«

Mit einem Ruck wandte sie sich mir zu. Ihr Blick war so hart, dass ich erschrak. Jede Seele, jede Weiblichkeit war daraus verschwunden.

»Eben, du Schlaumeier«, sagte sie so leise, dass es drohend klang. »Merkst du eigentlich, was du da redest?«

Ich war verwirrt.

»Die Zthronmic …«, versuchte ich laut nachzudenken.

Jennifer wandte sich wieder ab. Ich folgte ihrem Blick. In der Tiefe trieben die Schiffe auf ihrem Parkraum. Auch sie schimmerten jetzt im metallischen und kalten Licht des blauen Sterns. Es sah aus, als hätten sie sich im Frost des Vakuums mit Reif und Eis bedeckt.

Die MARQUIS DE LAPLACE überragte das Feld, obwohl die anderen Schiffe zu dreien oder vieren voreinander lagen. Nur eines gab es, das ihr Konkurrenz machte. Das war die ZTHRONMA, das Pfalzschiff der Zthronmic, in dem sie verschwenderisch Hof hielten und, so gingen die Gerüchte, die anderen Delegationen zu wilden Orgien einluden. Es war ein brutal wirkender Zerstörer, ein weiterentwickeltes Schlachtschiff der sinesischen Feng-Klasse. Ein Gebirge aus Stahl, mit Zacken, Dornen und Rammschilden besetzt wie die Kampfanzüge der Zthronmic. Es war mehrere Kilometer lang, viel Milliarden Tonnen schwer. Das einzige Schiff, das die Liga der MARQUIS DE LAPLACE für sich beanspruchen konnte und das ihr in einer direkten Auseinandersetzung gefährlich werden würde.

Ich begriff, was Jennifer sagen wollte.

»Sie schicken sich an«, sagte ich langsam, »das Machtvakuum zu besetzen, das die Zerstörung Sinas aufgerissen hat.«

Der Hauch eines Lächeln ritzte ihre kühlen Wangen. Das Lächeln einer Pallas Athene.

»Aha «, spottete sie sanft. »Du fängst an, wie ein Politiker zu denken.«

Ich schob zweifelnd die Backen auseinander.

»Die einzige Kultur, die uns gefährlich werden kann, sind sie«, führte sie aus. »Sie sind die Einzigen, für die diese Ambition eine realistische Option darstellt. Sie sind militärisch stärker als alle anderen zusammen. Und sie sind von Haus aus ein kriegerisches, äußerst aggressives Volk.«

»Davon konnte ich mich überzeugen«, wagte ich einzuwerfen.

Jennifer nickte zustimmend. Aber darin war auch Ungeduld.

»Genau!« Sie grinste. Dann wurde sie wieder ernst. »Aber wir dürfen nicht zulassen, dass sie diese Leerstelle besetzen. Sie wären schlimmer als die Sineser selbst.«

Ich musste mich zusammenreißen, nicht laut loszuprusten.

»Jetzt tut ihr ihnen aber doch zu viel der Ehre an.«

»Sina hat immer auch als Stabilitätsfaktor gewirkt«, fuhr sie ungerührt fort, »in seiner Einflusssphäre jedenfalls. Es hatte enorme integrierende und organisierende Fähigkeiten. Gestützt auf das technische Ingenium der Tloxi, ihren Fleiß und ihre durchgebildete Struktur, haben sie ein Herrschaftssystem errichtet, das funktioniert hat.«

»Bis wir sie zur Hölle geschickt haben«, sagte ich.

»Sina hat seine Räume effizient verwaltet. Es hat Kulturen unterdrückt und Widerstände im Keim erstickt. Aber es hat ein prosperierendes Imperium geschaffen, das der halben Galaxis Ordnung und Frieden brachte.«

Ich schüttelte den Kopf. Was sollte diese Lobrede auf eine Militärmaschinerie, die ausgeschaltet zu haben wir uns glücklich schätzen konnten?

»Friedhofsruhe«, rief ich. »Die Ordnung eines Straflagers, die Stille eines Kerkers. Du tust so, als hätten wir einen Palast eingerissen, als wir sie vernichteten, dabei war das höchstens ein Mausoleum, ein Völkergefängnis …«

»Eben!«, rief sie jetzt ebenfalls. Meine Renitenz amüsierte sie mehr, als dass diese sie aus dem Konzept gebracht hätte. »Und die Trümmer davon fliegen uns jetzt um die Ohren! Die Zthronmic sind nicht in der Lage, etwas Vergleichbares an die Stelle dessen zu setzen, was die Sineser hinterlassen haben. Sie sind Krieger, Raubritter, Despoten. Kann sein, sie würden anfangen, ihre Nachbarvölker mit Krieg zu überziehen und sie zu unterwerfen. Doch das würde niemals in eine stabilisierende Struktur münden. Die Galaxis würde in einem Zeitalter von lokalen Konflikten, kleinen Kriegen und endlosen Streitereien versinken.«

Ich zuckte die Schultern.

»Dann sollten wir es nicht so weit kommen lassen.«

Noch immer wusste ich nicht, was die ganze Überlegung sollte.

»Machen wir ihnen eben den Garaus«, sagte ich. »Solange alle Macht bei uns liegt. Stattdessen hofieren wir sie und geben ihnen ein Forum, eine der kleineren und schwächeren Kulturen nach der anderen auf ihre Seite zu ziehen. Wir geben ihnen sogar recht, indem wir uns selbst als schwach und zögerlich präsentieren. Warum statuieren wir nicht ein Exempel?!«

Jetzt lag offener Schmerz auf Jennifers gestählter Miene.

»Das haben wir im Falle Sinas bereits getan«, erklärte sie. »Wenn du dich auf den Gängen umhörst, wirst du merken, dass wir in keinem guten Licht dastehen. Wir gelten als die Aggressoren. Unser Handeln gegenüber Sina wird als überzogen empfunden.«

»Wir haben uns nur zur Wehr gesetzt!«

»Gewiss. So sehen wir das. Aber es gibt andere Völker, mit anderen Traditionen, die es anders sehen. Wenn wir jetzt auch noch mit den Zthronmic anbandeln würden, hätten wir erst recht den Ruf des Unruhestifters weg. Wir würden ihnen alle kleinen Völker in die Arme treiben.«

»Löschen wir sie aus!«

»Das würde nicht gerade als Empfehlung wirken.«

So kamen wir nicht weiter. Ich sah ein, dass es nicht darum ging, mit ihr zu rechten. Sie gab nur wieder, was in diesen Tagen rund um die Eröffnung des Kongresses auf den Fluren und in den Kabinetten diskutiert wurde.

Im Stillen wunderte ich mich selbst darüber, dass ich mich als Falke gerierte. War ich so wild auf einen neuen Krieg? Das sicher nicht. Der letzte lag uns schwer genug in den Knochen. Ich hatte nicht vor, einen weiteren zu erleben. Wie eine ferne Ahnung an ein früheres Leben tauchte eine Erinnerung auf. Sie schimmerte in einem idyllischen Licht wie die Erinnerung an einen Urlaub auf einer südlichen Insel. Das war die Zeit der interstellaren Exploration gewesen. Wir hatten uns der zweckfreien Wissenschaft verschrieben und unser Leben der Erforschung des Kosmos geweiht. Wir hatten fremde Welten im Namen der Union in Besitz genommen und unsere Kenntnis unserer Heimatgalaxie Schritt für Schritt erweitert. Erkenntnis war unser einziges Interesse gewesen. Schon die wirtschaftliche Ausbeutung unbewohnter Welten war verpönt. Wir überließen sie den Prospektoren, die nach uns kamen. Hemdsärmelige Minentechniker und Exoingenieure. Wir hatten damit nichts zu schaffen. Wir schwelgten im reinen Äther. Aber das war lange her. Mit den ersten nichtmenschlichen Kulturen, auf die wir gestoßen waren, waren die ersten Konflikte gekommen. Nur wenige Jahre nach dem ersten extraterrestrischen Kontakt – einem Kilometerstein der Menschheitsgeschichte – hatte der erste interstellare Krieg datiert. Der Fluch der Weltgeschichte, von der man gesagt hatte, dass ihre Kapitel nach den Kriegen zählten und die Friedenszeiten leeren Seiten glichen, dieser Fluch, den wir abgeschüttelt zu haben glaubten, als wir die Union gründeten und in den Weltraum aufbrachen, dieser Fluch holte uns ein. Er wiederholte sich im neuen, größeren Maßstab. Zwei gewaltige Kriege hatten wir ausfechten müssen. Und nun?

Nun wurde abermals ein neues Kapitel aufgeschlagen. Nach allem, was wir sahen, würde es kein friedlicheres sein. Auch diese Seiten des großen Buches würden nicht unbeschrieben bleiben. Und jeder Eintrag erfolgte mit Blut.

Erst langsam und widerstrebend begannen wir zu begreifen, was uns da in den Schoß gefallen war, als wir Sina vom Thron gestoßen hatten. Wir waren nun seine Erben. Ob wir es wollten oder nicht. Aber dieses Erbe war vergiftet. Es lud uns eine Bürde auf, für die wir Schultern von Stahl benötigt hätten. Gut möglich, dass wir darunter zerbrachen.

Der Chronist II

Die Geschichte des Imperiums steht im Spannungsfeld von Zentrum und Peripherie, sie gehorcht der Dialektik anziehender und abstoßender Kräfte, die sich durchdringen und durchkreuzen und zwischen denen sich Interferenzen bilden. Das Imperium gravitiert um sein Zentrum, aber es expandiert auch über seine Ränder. Oft genug reicht sein kultureller, zivilisatorischer, ökonomischer und militärischer Einfluss weiter hinaus als sein formelles Territorium. Absorption und Einflussnahme durchmischen sich. Isolationistische und interventionistische Tendenzen bekämpfen sich. Zentripetale und zentrifugale Kräfte ringen miteinander, können einander die Waage halten oder wie ein Pendel vor und zurück schwingen. Die Große Politik kennt Ebben und Fluten, die unaufhörlich die Klippen der Macht umspülen und umbranden. Bisweilen kann sich dabei zur Unkenntlichkeit verwischen, was eigentlich Zentrum ist und was Peripherie.

Als Alexander in Babylon einzog, machte er die beunruhigende Erfahrung, dass Athen ein fernes Provinznest geworden zu sein schien, weit jenseits der Peripherie, von Pella zu schweigen, das auf der geistigen Landkarte der Perser nicht einmal existierte. Wenn es das Alexanderreich als Gebilde von geschichtlicher Dauer jemals gegeben hätte, wäre wohl Susa das Zentrum geworden oder Persepolis und ganz Griechenland wäre auf den Rang eines unbedeutenden Vorpostens zurückgefallen. Aber das Reich zerbrach, ehe es begründet war, in Diadochenstaaten. Die hellenistische Welt war zersplittert und multipolar. Auch Athen war nur ein Zentrum neben Alexandria und Syracus. Die frühe antike Welt mit ihrer Fixierung auf die Polis und ihrer Unfähigkeit zu territorialem Denken konnte gar nicht anders als polyzentrisch agieren. Das änderte sich mit dem Aufstieg Roms. Nun gab es eine Stadt, die Stadt. Doch im Lauf seiner Geschichte musste auch Rom erkennen, dass es Konkurrenz bekam – innerhalb des Reiches! Wie bei einer Zellteilung schnürten sich West- und Ostrom voneinander ab. In Konstantinopel bildete sich ein zweites Zentrum aus, bald ebenbürtig, am Ende sogar lebensfähiger. Es überdauerte den Untergang des ersten Rom um tausend Jahre. Vorausgegangen waren nicht nur ein Kirchenschisma, das auf das Nizäische Konzil zurückging, sondern eine militärische Belastung, die weniger eine Überdehnung als eine Deformierung war. Im Westen war das Reich seit Langem saturiert. Die natürliche Grenze des Atlantiks und die künstliche des Limes sorgten für Ruhe. Anders im Osten, wo es keine derartigen Grenzen gab. Die militärischen Aktivitäten verlagerten sich nach Nordosten und Osten: an den Unterlauf der Donau, nach Palästina und zu den ewig schwelenden Konflikten des Zweistromlandes, wo noch Jahrhunderte nach der Zerschlagung des Persischen Reiches Instabilität herrschte. Hinzu kam das kulturelle Übergewicht des Ostens, das Rom zur Peripherie seines eigenen Imperiums machte, bis das Reich an seiner Sollbruchstelle auseinander fiel.

Das Deutsche Reich war lange eine Ellipse, die um die beiden Zentren Berlin und Wien kreiste, was – nachdem das Heilige Römische Reich zerschmettert war – die großdeutsche Lösung einerseits naheliegend, andererseits kompliziert erscheinen ließ. Denn auf der anderen Seite war die k. u. k. Monarchie selbst eine Ellipse, die um die beiden Schwerpunkte von Wien und Budapest schwang. Auch sie ist daran zerbrochen. Die großdeutsche Lösung wurde nachgeholt, jedoch zu spät und mit furchtbaren Hypotheken belastet. Und als nach zwei verlorenen Weltkriegen mit geometrischer Folgerichtigkeit jenes Rumpf-Österreich übrig blieb, das die Schnittmenge aus Deutschsprachigkeit und k. u. k. repräsentierte, stellte sich heraus, dass sie erschreckend klein war.

Auch im Britischen Empire des Viktorianischen Zeitalters gab es Überlegungen, die Hauptstadt von London nach Delhi zu verlegen. England drohte zur Peripherie seines eigenen Imperiums zu werden, dessen Hauptmasse inzwischen in Südasien lag. Auch hier haben zwei Weltkriege, in denen man sich zu Tode siegte, und das anschließende Zerbrechen des Empires die Verhältnisse wieder gerade gerückt und ein Rumpf-Britannien zurückgelassen, das für einige Zeit ebenso wenig lebensfähig schien wie der zerstümmelte Torso der Donaumonarchie.

Das Imperium, so formulierte es der ältere Ash, auf den wir uns hier abermals berufen, organisiert Asymmetrie. Es lebt in der komplexen Fluktuation von Macht und Unterwerfung, von Geben und Nehmen, von Stabilität und Unterdrückung, von Freiheit und Zwang, von Eroberung und Integration und von Abfall und Separation. Das Zentrum kann blühen auf Kosten der Peripherie, die es dazu einige Jahrhunderte lang aussaugen mag. Aber es kann auch veröden und absterben zugunsten der Peripherie, die die robusteren Lebenskräfte hat und wie ein Absenker und Epiphyt den Faden der Geschichte weiterspinnt.

*

Der Kongress war eröffnet. Kaum dass Salana seine Begrüßungsfloskeln gesprochen hatte, war das Plenum aufgelöst worden. Man war froh, dass das Ganze ohne Eklat über die Bühne gegangen war und dass alle Beteiligten am Leben geblieben waren. Die Vollversammlung hatte sich auf unbestimmt vertagt. Sie würde erst wieder zusammentreten, wenn es etwas gab, über das man debattieren und abstimmen konnte – und sei es nur eine Geschäftsordnung. Wir mussten erst den Sockel schaffen, auf dem wir Platz nehmen konnten, erst das Fundament legen, über dem wir unser gemeinsames Haus – wie die viel bemühte Politikermetapher lautete – errichten wollten. Und natürlich gab es hierbei am meisten Diskussionsbedarf.

Alles das wurde in die Ausschüsse verwiesen. Da diese selbst sich erst wieder eine Verfahrensregel und eine Tagesordnung geben mussten, wurden Unterausschüsse gegründet, die die Arbeit der Ausschüsse vorbereiteten. Dass das nicht ad infinitum so weiterging, rechnete man sich als große Leistung an. Salana und Flitebuca wandelten mit zufriedenem Gesicht die Gänge und Flure des Unionsquartiers entlang und rieben sich die Hände wie Geschäftsleute, die einen sensationellen Abschluss zur Unterschrift gebracht hatten. Sie waren Berufspolitiker, hohe Beamte, Staatsmänner auf dem neuen und riskanten Gebiet der interstellaren Angelegenheiten. Ihr Lebenselixier war die Verhandlung. Solange verhandelt wurde, waren sie zufrieden. Worüber und von wem – das war sekundär. Und ob etwas dabei herauskam – und was –, das interessierte sie eigentlich nicht. Erkundigungen danach taten sie als nicht ganz sachdienlich ab.

Sie waren Ingenieure der Macht. Und wie ein Ingenieur glücklich ist, solange er eine Maschine konstruieren kann – gleichgültig ob es ein Holobeamer ist oder ein Photonenjet –, so waren auch sie damit ausgefüllt, die Raffinements der Tagesordnungspunkte durchzusprechen oder mögliche Fraktionenbildungen zu antizipieren.

Es wurden Ausschüsse eingerichtet. Der würdevollste war natürlich der, der die Geschäftsordnung des Hohen Hauses zu erarbeiten hatte. Von ihm hing ab, wann und in welcher Zusammensetzung das Plenum das nächste Mal zusammentreten würde. Gut möglich, hieß es unter der Hand, dass einzelne Delegationen vorhatten, die Verhandlungen im Ausschuss zu verschleppen und bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hinzuziehen, sodass der Galaktische Kongress überhaupt nie seine eigentliche Arbeit aufnehmen würde. In den Unterausschüssen gab es Bestrebungen, diese Verschleppungstaktik zu verhindern oder zu unterlaufen. Es gab Anträge, bestimmte Fristen zu setzen und ihre Einhaltung zu kontrollieren. Dann gab es Gegenanträge, die Gremien, die die Einhaltung der Fristen zu kontrollieren haben würden, für befangen zu erklären. Und immer so fort.

Zähneknirschend hatte Dr. Rogers auch der Einsetzung eines Ausschusses für Entschädigungs- und Restitutionsfragen zustimmen müssen. Die kuLau hatten den Antrag eingebracht. Laya und Zthronmic hatten sie darin unterstützt. Und selbst die Amish, die Prana-Bindu und G.R.O.M. hatten dafür gestimmt. Jede Delegation mochte ihre eigenen Beweggründe haben. Die Prana-Bindu dachten an die Große Gompa von Loma Ntang, die im Vorfeld des Konfliktes von den Sinesern zerstört worden war. Ihr Engagement bedeutete so gesehen eine Entlastung. Denn die meisten anderen erhoben ihre Entschädigungsansprüche ja gegen die Union. Am erstaunlichsten war dies bei jenen Kulturen, die mit Sina bestens zusammengearbeitet hatten. So behaupteten die Zthronmic, einer ihrer heiligsten Tempel, den sie das Schwarze Tor nannten, sei bei der Vernichtung Sinas zerstört worden. Ich hatte Bilder dieses angeblichen Heiligtums gesehen. Es war ein wüstes Bauwerk, aus rohen Balken und Brettern zusammengezimmert, ein Wachturm innerhalb einer primitiven Palisade eher als ein Tempel. Und sie hatten ihn, wie Rogers mir hinter vorgehaltener Hand zuflüsterte, freiwillig an Sina abgeliefert, in vorauseilendem Kotau vor jener Macht, mit der sie seit Jahrhunderten die allerbesten Geschäftsbeziehungen pflegten. Zerstört war zerstört. Jedenfalls konnten sie jetzt noch politisches Kapital aus der Sache schlagen, indem sie bei uns Ersatz einklagten.

Die ganze Entschädigungsfrage iterierte ihrerseits zu einer heftigen Kriegsschulddiskussion. Eine historische Kommission musste eingesetzt werden, die Ursachen, Ausbruch, Ablauf und Konsequenzen des Krieges erarbeiten und als Grundlage für alle daraus resultierenden Rechtsstreitigkeiten zur Verfügung stellen sollte. Natürlich beharrte die Union darauf, dass der Krieg ihr aufgezwungen worden war und sie von ihrem Recht auf Notwehr Gebrauch gemacht habe. Dem wurde widersprochen. Bis heute sei beispielsweise ungeklärt, ob die Warpraum-Sonde, die den Jupiter aus seiner Bahn geworfen hatte, überhaupt sinesischer Herkunft gewesen sei. Bekanntlich hatte sich Sina, solange es existierte, geweigert, offiziell die Verantwortung für diesen Vorfall zu übernehmen. Es war klar, dass unser Feldzug unter dieser Perspektive als willkürlicher Angriffskrieg erscheinen musste.

Als Rogers, in höchster Erregung und mit dunkelrot glühender Miene, seine Sicht der Dinge darzulegen versuchte, reichte die von den Zthronmic geführte Fraktion – wir nannten sie die sinesische – einen Befangenheitsantrag ein. Die Logik der Sache schlug mehr und mehr zu unserem Nachteil aus. Die Eigendynamik des Kongresses entwickelte sich zu unseren Ungunsten. Wir mussten der Einsetzung eines interstellaren Strafgerichtshofes zustimmen, der die Vergangenheit der aussagenden Personen überprüfte und sich dabei die Ermittlung wegen Kriegsverbrechen vorbehielt. Mit infernalischem Gebrüll schleppten die Zthronmic ihre Anklageschrift in den Sitzungssaal. General Rogers wurde der völkerrechtswidrige Einsatz von Antimateriewaffen im ersten Sinesischen Krieg, genauer: in der Schlacht vor Persephone, zur Last gelegt, ebenso der Angriff auf Sina City mit einer künstlichen Singularität, die zur Vernichtung des Planeten geführt hatte. Als ich in dieser Sache als Zeuge aussagen wollte, erklärte man mich ebenfalls für befangen. Zu meiner Überraschung warf man mir mein Verhalten während des Krieges keinesfalls vor – obwohl es in der Logik dieser Leute dort sicher einiges zu beanstanden gebe. Vielleicht behielt man es sich für später vor. Man hatte aber in den Unterlagen entdeckt, dass ich Jahre zuvor, in den seligen Zeiten der wissenschaftlichen Erkundungsflüge, einen Mann meiner ENTHYMESIS-Crew erschossen hatte. Das stimmte sogar. In dem Zeitennebel namens Amygdala waren wir in eine Zeitschleife geraten, in der ich meines freien Willens beraubt wurde und einen Offizier meiner Besatzung niederschoss. Die Sache war vor einem Tribunal der Union verhandelt worden. Ich war in allen Punkten der Anklage freigesprochen worden. Die Angelegenheit lag über ein Jahrzehnt zurück. Ich war damals ENTHYMESIS-Kommandant im Rang eines Colonels gewesen.

Man wandte jedoch ein, dass die Union selbst befangen gewesen sei, da ihr schwerlich ein Interesse zugemutet werden könne, einen ihrer führenden Kommandanten abzuurteilen. Die Verhandlung müsse vor einem unabhängigen Gremium neu aufgerollt werden. Ich sei so lange als Zeuge unbrauchbar. Auch hier war klar, dass niemandem an einer ernsthaften Revision der einstigen Verhandlung gelegen war. Es ging lediglich darum, mich – als ranghöchsten Offizier der Union und einen der treibenden Akteure des zweiten Sinesischen Krieges – in Misskredit zu bringen, mich von allen Rednerpulten fernzuhalten und so viel Zeit zu gewinnen, wie man zu benötigen glaubte, um uns endgültig über den Tisch zu ziehen.

So gingen wir jeden Tag einen weiteren Schritt rückwärts. Auf der organisatorischen Ebene stiegen wir von den Unter- zu den Unter-Unter-Ausschüssen hinab. Im machtpolitischen Poker mussten wir jeden Tag eine weitere Position preisgeben, neuen Zugeständnisse machen, unserer abermaligen Schwächung zustimmen und uns selbst öffentlich fesseln und demontieren. Das anfängliche Drohgespenst, die Fremdkulturen würden den Kongress platzen lassen, verwandelte sich nach und nach in eine Verheißung, in eine Ultima Ratio, in die letzte Möglichkeit, den Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen, die wir uns selbst mit viel Raffinement geknüpft hatten.

So konnte es nicht weitergehen. Mit den wenigen Verbündeten, die uns geblieben waren, setzten wir die Einsetzung eines Konvents durch. Er sollte eine galaktische Verfassung ausarbeiten. Dabei würde er unabhängig von der Arbeit in den Ausschüssen sein, die so lange unbehelligt weitergehen konnte. Und er sollte seine Tätigkeit sofort aufnehmen, das heißt vor der Wiedereröffnung des Plenums, die bis auf Weiteres verschoben war.

Das Zustandekommen des Konvents war ein erstes Hoffnungszeichen nach Tagen, in denen wir uns der Verzweiflung gegenübergesehen hatten. Für einige Zeit schien es nur zwei Alternativen zu geben: uns selbst ans Messer zu liefern oder den Kongress abzubrechen – was mit großer Sicherheit den nächsten Krieg zur Folge gehabt hätte. Nun hatten wir den schleichenden Rückzug hinter jedes unserer Prinzipien stoppen können. Ein Gremium war geschaffen, in dem wir unsere Vorstellungen einbringen konnten. Es war vor allem mit unseren Verbündeten stark besetzt, mit jenen Völkern, die von Haus aus zu Spekulation und begrifflicher Feinarbeit neigten, den Prana-Bindu – die ihren offiziellen Beitritt zur Union von der Verabschiedung ihrer Verfassung abhängig machten –,den kuLau, den Amish und von G.R.O.M. Auch die Tloxi und die Union selbst stellten starke Kontingente. Die Zthronmic und Laya, die einen Konvent als Debattierclub ansehen mochten, hatten auf eine Teilnahme verzichtet. Wir werteten das als ihre erste strategische Niederlage. Als Vorsitzender wurde Laertes einberufen, der selbst erklärte Chefideologe der Union. Niemand hätte einen Würdigeren gewusst. Als Grundlage für die zu schaffende Verfassung nahm er die Charta der Union, deren Paragraphen er so allgemeingültig und neutral wie möglich umformulierte.

Wir atmeten auf.

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Data wydania na Litres:
22 grudnia 2023
Objętość:
570 str.
ISBN:
9783957770301
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