Czytaj książkę: «Die Burnout Lüge»
Martina Leibovici-Mühlberger: Die Burnout-Lüge
Inhalt
Einleitung
Meine eigene Geschichte mit Burnout
Burnout – aber wovon reden wir hier eigentlich wirklich? Der apokalyptische Reiter am Horizont
Process in progress
Wenn der Vorhang fällt
Wer einmal auf die schiefe Bahn kommt, wird immer schneller
Interdependenz – das dynamische „misfit“
Die Mär vom schlechten Menschenmaterial und der miesen Organisationskultur
Der Eisberg taucht auf
Gesellschaft des Sinnverlusts – Gesellschaft der Entfremdung – Burnout-Gesellschaft
Wer nicht mitspielen kann, wird vom Spielfeld geschickt. Ein Leben im Hinterhof.
Das Geschäft mit der Angst
Wenn aus einem potentiellen „Burnout-Fall“ ein Systemkritiker mit Stil wird
Und wo sind wir heute in unserer schönen, neuen, bunten Welt angekommen?
Das falsche Konzept der Menschwerdung als wahrer Hintergrund: Menschwerdung über Angst, Kontrolle und Machtgier
Was wirklich hilft und was es Zeit ist zu tun: Menschwerdung über Mut, Vertrauen und Kooperation
Wie wir das leben können, was wir sind und trotzdem nicht verhungern
Love – Work – Pray oder: Was der Mensch zum sinnerfüllten Leben braucht
Love: Liebe ist kein Gefühl sondern eine Haltung
Work: Eine neue Art von von Arbeitsbegriff und Unternehmenskultur
Pray: Sich aufgehoben fühlen, ganz ohne Kontrolle
Nachwort
Einleitung
Wenn ich heute nach einem langen Praxistag im Auto säße und mir überlegte, ob ich nun zumindest einem neuen Cabrio einen guten Schritt näher wäre, wenn mich beim Aussteigen aus dem Flugzeug nach einer intensiven Konferenz, bei der ich mit Vortrag oder Workshop aktiv beitragen konnte, ein Gefühl von sinnloser Ausgelaugtheit befiele, oder aber, wenn mir nach der Klausur mit meinem Team die vor uns liegenden Aufgaben als unüberwindbar erschienen, dann wüsste ich, dass etwas wirklich grob falsch in meinem Leben liefe. Dann wüsste ich, um es mit der gängigen Modediagnose zu belegen, – und Einrasterung ist dieser Gesellschaft heilig – dass nun auch ich einem sogenannten „Burnout“ nahe bin.
Ich wüsste allerdings auch, ganz entgegen der allgemeinen Meinung, dass es nicht die Arbeitsbelastung ist, die gerade im Begriff ist, mir das Leben abzugraben. Arbeitsbelastung macht müde. Das ist ein normaler Prozess und für sich genommen nichts Pathologisches. Sehr viel Arbeit hat also die Potenz, einen sehr müde zu machen. Ist ja auch irgendwie logisch. Dann muss man eben schlafen gehen, statt sich noch die Nächte mit hippen Veranstaltungen oder, in der Schmalspurversion, mit seinen Lieblingsserien um die Ohren zu schlagen. Und mehr, seien wir ehrlich, gibt es zum Thema Arbeitsbelastung nicht zu sagen. Dafür haben, zumindest in jenen Ländern, in denen das Burnout auf Basis der herbeigeredeten arbeitsbedingten Ausbeutung als zunehmende Seuche grassiert, tonnenweise Arbeitsschutz- und Ruhebestimmungen gesorgt. Eine Paradoxie, an der alle medial die Arbeitswelt vorverurteilende Berichterstattung geflissentlich vorbeiblickt. Gerade in jenen postmodernen, wohlregulierten und wohlsituierten Gesellschaften der westlichen Hemisphäre gibt es ja wohl im Vergleich zu einem vom Arbeitsschutz nahezu „unbelasteten“ Dritt- oder Viertwelt-Industriebetrieb beim Thema Arbeitsbelastung und Ausbeutung wirklich beim besten Willen nichts mehr zu bemängeln. Schon ein nur wenig kritischer Blick auf die eigene Elterngeneration, die Burnout nicht wirklich kannte, legt nahe, dass es sich hier nur um das Spiel einer gesamtgesellschaftlichen Wehleidigkeit handeln kann.
Das würde allerdings, in oben genanntem Szenario, trotzdem nichts an meinem Problem „mich knapp vorm Zusammenbruch zu fühlen“ ändern. Zugegeben, da fühlt man sich in der ersten Sichtung seines Zustands dann nicht besonders arbeitsfähig, was wiederum für die rasch auf den Plan tretenden Vertreter der Helferindustrie im Kreisbeweisschluss die Pforte öffnet, um scheinbar schlüssig die Arbeitsbelastung lautstark als Verursacher und Übel zu brandmarken. Im Gegensatz dazu würde in der hypothetischen Fallstudie meines eigenen Burnouts die Tatsache glatt unter den Tisch fallen, dass ich mich, mein Menschsein und meinen Sinn, genauso wie dies die meisten um mich herum tun, bereits vor Längerem verraten habe, dass ich mir selbst und allem um mich herum also schon lange entfremdet bin. Denn die Konsequenzen der Anerkennung dieses Faktums wären weitreichend und beängstigend für eine auf Konsum, Kontrolle und Überregulation alles Lebendigen ausgerichtete Gesellschaft, wenn wir den Mut fänden, hier wirklich hinzuschauen.
Gerade deswegen setzt ein so ideologisches wie reflexhaftes Räderwerk im Umgang mit Burnout und seinen aufziehenden Gefahrenzeichen ein: Wenn mein Zustand als Besorgnis erregend, aber noch nicht wirklich desaströs einzustufen wäre, dann würde man mir mit sonorer Stimme im Ton sakraler Offenbarung dringend zu mehr „Work-Life-Balance“ raten, gute Freunde würden mir vom „gesunden Egoismus“ vorschwärmen, und alle wären der Ansicht, dass Arbeit und Verantwortung dringend zu reduzieren sind. Dann könnte ich mich noch eine Weile mit gut abgesteckten Boxenstopps in einem Wellnesstempel über Wasser halten und mir am Wochenende einen kleinen Shoppingkick als kurzfristigen Energiebooster verpassen. Exklusive Hobbys wie Drachenfliegen oder Heliskiing könnten eventuell auch noch helfen. Oder es stünde mir noch der Weg offen, Städtereisen zu sammeln, teure Uhren oder auch nur Swatches, wenn meine Praxis weniger gut ginge. Und dann blieben noch verkokste Sexpartys, die man mir angesichts der Bedrohung durch den völligen Zusammenbruch wohl durchaus nachsehen würde. Wenn ich Glück hätte, käme ich damit bis in die Pension. Wenn nicht, würde ich eben mittendrin zusammenbrechen und aufwändig auf Kur geschickt, ohne mich je meinem eigentlichen Thema der narzisstischen Sinnleere stellen zu müssen. So oder so – ich bliebe auf dem Kurs einer Gesellschaft, die mit der Burnout-Lüge gut vorgesorgt hat, weil alle mitspielen und viele daran verdienen.
Lange Zeit bin ich der Burnout-Lüge selbst aufgesessen, ja, ich war als Ärztin sogar ihr Handlanger. Ich habe mit großer Anteilnahme das Schicksal der überarbeiteten Gutmenschen mitbeklagt, Patienten ausufernd auf meinen Schoß genommen, sie darin bestätigt, dass sie schwerst erkrankt und unbedingt schonungsbedürftig wären, und habe mit ihnen Pläne zum unbedingten Erstarken ihres persönlichen Egoismus und einer drastischen Reduktion der Arbeitsbelastung ausgearbeitet. Verweigerung von Belastung und Einsatz, Dienst nach Vorschrift, Widerstand gegen die allgegenwärtige Ausbeutung durch die Arbeitswelt oder Familie. Dabei habe ich nur Symptome bekämpft, mitgeholfen, einen Plan für ein Überleben auf niedriger Ebene zu schaffen, angepasst zu bleiben. Die eigentlichen Ursachen aber habe ich damit weiter besichert und stabilisiert.
Meine eigene Geschichte mit Burnout
… ist eine sehr alte. Als ich Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Medizin studierte, hatte der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger die psychologisch interessierte Kollegenschaft gerade mit einer ersten Veröffentlichung zu einem von ihm in Sozialberufen zunehmend beobachtbaren, frappierenden Phänomen aufhorchen lassen.
Sozialarbeiter, Psychologen, Krankenschwestern oder Vertreter anderer helfender Berufe, die über Jahre hinweg hoch engagiert ihren Berufspflichten nachgekommen waren, verloren plötzlich gänzlich ihren Elan, entwickelten eine zynische Einstellung zu ihren Klienten und verfielen in einen Zustand von Antriebslosigkeit und emotionaler wie physischer Erschöpfung, bis hin zu vollständiger Apathie. Mit dem Begriff „Burnout“ war ein Wortbild geschaffen, das die Gemüter zu erhitzen vermochte und zu näherer Begriffsbestimmung drängte. Zahlreiche verbale Beschreibungsversuche tauchten auf, die alle letztendlich einem bemühten Gestammel glichen.
Entweder waren sie zu unspezifisch, um der notwendigen Trennschärfe gegenüber anderen Syndromen gerecht zu werden oder aber zu spezifisch und eingrenzend, sodass jedem durch Fallpraxis mit der Materie Vertrautem sogleich ein waschechter „Burnout“-Patient einfiel, der in diesem Modell durch die Maschen rutschen würde. Irgendwie einigten sich der Boulevard und eine Burnout-Forschung, die, beurteilt man sie nach Kriterien wie Validität, bereits ganz unten auf recht wackeligen Beinen steht, darauf, dass es sich beim Burnout um einen arbeitsbezogenen Zustand von physischer, emotionaler und mentaler Erschöpfung handelt, einer drastischen Überarbeitung also, die von Depersonalisation und eklatantem Leistungsabfall gekennzeichnet wird.
Wir, die wir uns bereits als intellektuelle Speerspitze einer neuen Ärztegeneration sahen, die sich weigerten, das Seelenleben des Menschen weiterhin strikt von den körperlichen Vorgängen sowie den auftretenden Krankheitsprozessen getrennt zu sehen, waren von diesem seltsamen Syndrom fasziniert. Trotz meiner in jüngerem Lebensalter noch ausgeprägten Respekthaltung gegenüber Wissenschaft und Forschung kann ich mich sehr klar an das sichere Gefühl erinnern, dass sich in den gängigen angebotenen Deutungen immer nur ein begrenzter Abschnitt reflektierte. Das Ding war größer. Da steckte mehr dahinter als der simple Zusammenbruch unter zu großem Arbeitsdruck, wie man es gerne auf eine Kurzformel brachte. Das war wirklich spannend. Die meisten von uns hatten sich, was zum damaligen Zeitpunkt ohne Internet noch mehr einer Geheimoperation glich und heute über Knopfdruck zu haben ist, über diverse Quellen ein MBI (Masłach Burnout Inventory) als Fragebogen – gemeinsam mit dem weniger verbreiteten TM (Tedium Measure) die Bibel der Burnout-Forschung – gecheckt, um auf eigene Faust und im heroischen Selbstversuch die Burnout-Gefährdung zu erheben. Mir kamen schon damals ziemliche Zweifel. Meine Frage, WIE es zur Auswahl und Erstellung der einzelnen Items kam, wurde nie zufriedenstellend beantwortet, und auch in meinem eigenen Ergebnis zeigten sich, sooft ich es auch wiederholte, nur Anomalien.
Als Werkstudentin, die aus einer kleinen Beamtenfamilie aufgebrochen war, um den unserer Generation vorgegebenen Olymp der Akademisierung zu erklimmen, musste ich mir mein Studium ziemlich vollständig selbst finanzieren. Das bedeutete zumindest einen Tag in der Woche Meinungsforschung als Straßenbefragung, durch deren Lenkung wir in der Folge entschieden, ob die Bürger unseres Landes zum Beispiel für die revolutionäre Form des Mozarttalers konsumreif waren. In den Wochenendnächten schlüpfte ich dann ins Kostüm der Barfrau, ersparte mir damit das Ausgehen und hatte dennoch eine Menge Spaß. Ich lernte auf diese Weise unwahrscheinlich viele Leute sowie verschiedene Drinks kennen und verdiente entsprechend Kohle. Den Rest der Zeit widmete ich mehr meiner Medizinorientierung, indem ich in einer Privatklinik für zwei arabische Querschnittpatienten als Pflegerin arbeitete. Der eine war bei der Falkenjagd vom Pferd gestürzt, dem anderen war ein Kamel, das er angefahren hatte, aufs Autodach gefallen. Beide hatten reges Interesse am Ausschnitt meiner Dienstbluse, waren aber sonst kooperativ und ziemlich aufwändig mit ihren Gebetsritualen versorgt, sodass mir in den Umlagerungspausen jede Menge Zeit blieb, um mich auf meine Rigorosen vorzubereiten. Die meisten meiner Kommilitonen waren, die Theorie der Überarbeitung vor Augen, der sicheren Ansicht, dass mich meine achtzig bis neunzig Arbeitsstunden pro Woche pfeilgerade von der Seite der Burnout-Beforscher auf die Seite derer befördern müssten, die diesem Syndrom in absehbarer Zeit erliegen. Aus meinem Blickwinkel schien jedoch das krasse Gegenteil der Fall zu sein. Es fühlte sich an, als nähme ich mein Leben immer mehr in Besitz. Obwohl ich zugeben muss, dass mich, obrigkeitsgläubig wie ich mit dem Rest meiner Generation grundsätzlich erzogen worden war, immer wieder Zweifel über meine eigene Befindlichkeit befielen, ich mich sozusagen belauerte, ob nicht der Hintergrund meiner täglichen Arbeitsmotivation bereits den Abgrund einer aufflammenden Ausgebranntheit bereithalten würde. In der Zwischenzeit erlernte ich praktischerweise, wie sich effizient in Salamischeibchen schlafen lässt, was mir für meine spätere Facharztausbildung sehr zugute kam. Ich begann, zunehmende Faszination für dieses schillernde Phänomen Burnout zu entwickeln.
Ich arbeitete in jenem Trakt, der die voraussichtlichen Langzeitpatienten beherbergte. Unter Titeln wie Neurasthenie, psychovegetativer Kollaps oder auch Managersyndrom residierten in den mehr einem Hotelambiente ähnelnden Krankenzimmern auch immer wieder Patienten mit bemerkenswerten Geschichten ihres persönlichen Zusammenbruchs. Wir behandelten sie zuallererst mit der obligaten Durchuntersuchung, die über jede Körperöffnung das Innerste nach außen zu kehren trachtete, um so eine somatische Ursache und damit rational nachvollziehbare Erklärung zu finden. Manche erwiesen uns den Gefallen, dass sie alle Zeichen einer chronischen Gastritis hatten, litten unter erhöhten Blutdruckwerten oder aber zeigten in ihrer Anamnese hartnäckige Verdauungsprobleme oder unterschiedlichste Formen von Darmentzündungen. Einige Fälle von Tinnitus legten ebenfalls nahe, dass hier das Ohrgeräusch nicht die Ursache sondern eine Begleitreaktion eines anderen, viel tiefer liegenden Prozesses sein musste, der den betroffenen Menschen in seiner Gesamtkonstruktion in Frage zu stellen vermochte.
Bei den meisten jedoch waren die Symptome ein wirres Bündel von Befindlichkeitsstörungen und Ausdruck eines langandauernd hochgefahrenen und aus der Regulation gefallenen Stresssystems. Unisono ließen sich Schlafstörungen, Unruhezustände, zunehmende Ängste, den erlebten Anforderungen nicht mehr entsprechen zu können, feststellen. Dazu kamen Versuche, sich mit Aufputschmitteln fit zu machen und abends mit Alkohol und Schlafmitteln aus dem überdrehten Zustand wieder herunterzuholen. Irgendwann stand dann der Zusammenbruch als Endausbaustufe dieser Entwicklung ins Haus.
Wenn das somatisch orientierte Behandlungsarsenal erschöpft war, wurden die Neurologen und Psychiater zugezogen, die den Medizinschrank der Psychopharmaka aufschlossen, Schlafkuren, Arbeitskarenz und entsprechende langfristige medikamentöse Einstellung propagierten. Und ich durfte unbeachtet und – ich gebe es offen zu – von meiner Neugierde getrieben unbehelligt, da unter dem Schutz einer sehr einfühlsamen Stationsschwester, mit den Patienten Gespräche führen. Nicht, weil man sich davon irgendetwas versprach, sondern weil man es ganz sicher für bedeutungslos hielt. Wir bewegten uns damals schließlich in einer Zeit, in der Psychotherapie noch den Nimbus von Unanständigkeit hatte und nahezu jeder gestandene Psychiater, dem sein Ruf als ernstzunehmender Mediziner wichtig war, darauf achtete, lautstark einen weiten Bogen um dieses unseriöse Ding zu ziehen. Abgesehen von wenigen Mutigen, denen allerdings viel zu verdanken ist, wurde mit den neuen Ansätzen von Gestalttherapie, Psychodrama, Gesprächspsychotherapie, Gruppendynamik oder gar Körpertherapie nur heimlich kokettiert. Fürs „Reden“ gab es schließlich den Gewerbeschein „psychologische Beratung“, den jeder, vom Andenkenverkäufer über die berufene Hausfrau bis zum Tierpfleger, anstandslos lösen konnte.
Meine Faszination war perfekt, wenn ich unseren Patienten lauschte, während sie eine immer andere und trotzdem auf magische Weise immer gleiche Geschichte ihres Verfalls beschrieben. Meine Ratlosigkeit allerdings auch. Was war mit diesen Menschen geschehen, die jetzt vielfach wie ein Schatten ihrer selbst auf unseren Gängen herumschlichen, sich wie Frischoperierte nur mit Begleitung bis in den Garten vorkämpften und einen zu ihren Laborparametern so widersprüchlich hoffnungslosen Gesichtsausdruck trugen. Das waren doch vielfach Menschen, die es, wie man so sagte, in ihrem Leben zu etwas gebracht hatten, Manager, Schauspieler, Wissenschaftler, Ärzte, Rechtsanwälte mit großen Kanzleien, Unternehmer oder solche aus der Klasse von Reich und Schön. Was konnte schon in so einem Leben so schief gehen, dass sie alle meinten, einfach nicht mehr weitermachen zu können? Oder waren hier vielleicht endogene, möglicherweise genetische Faktoren im Spiel, die bei Erreichung irgendeiner unsichtbaren Zeitmarke magisch darüber entschieden, ob der eine einer langanhaltenden Arbeitsbelastung gewachsen war, während der andere davon in unverhinderbarer Weise arrodiert und durch die Arbeitswelt zur Strecke gebracht wird? Ging es darum, Menschen mit Schutzfaktor von jenen mit einem Gefährdungsfaktor unterscheiden zu lernen, um dies eventuell in die Berufs- und Karriereplanung mit einbeziehen zu können? War es vielleicht an der Zeit, der bitteren Wahrheit ins Auge zu blicken, dass sich schlichtweg nur „Träger des egoistischen Gens“, (Dawkins vulgärevolutionistische Haltung war damals als Erklärungsmodell äußerst en vogue) für Spitzenpositionen eigneten?
Auch heute bin ich der festen Überzeugung, dass es „Schutzfaktoren“ gegen Burnout gibt, die immunisieren. Allerdings finden sich diese nicht auf einem gefällig niederzunagelnden Genlocus, sondern in einem auf den ersten Blick komplex anmutenden, jedoch grundsätzlich jedem zugänglichen Mindset begründet.
Die Krux an der Sache liegt darin, dass es massive Interessen gibt, alles so zu belassen, wie es ist. Personalisiertes Burnout, das heißt der persönliche Zusammenbruch von einzelnen Personen, ist der Gesellschaft lieber, als die wirklichen Ursachen zuzugeben. Aber Burnout ist nicht das Ausbrennen von einzelnen Individuen, die – das dürfen wir uns dann in der Gewichtung aussuchen – entweder persönlich zu wenig belastbar sind oder von einem inadäquaten Anforderungsberg erschlagen worden sind, obwohl es immer so aussieht. Das ist nur die Burnout-Lüge, die unsere Gesellschaft erfunden hat. Die Sache geht viel tiefer, erwächst direkt aus unserem innersten Betriebssystem, und dort soll nach Möglichkeit keiner hinschauen, hinfühlen oder gar hindenken. Die Burnout-Lüge soll uns vom eigentlichen substantiellen Problem des drohenden Systemkollaps ablenken, dem Gesellschaftsburnout und seinen wirklichen Gründen. Der einzelne Burnout-Patient ist sensibler Protagonist und „blinder Seher“ der zu Grunde liegenden, unsere Zukunft vernichtenden tektonischen Verschiebungen im Untergebälk unserer tragenden Gesellschaftsstruktur. Er wird belächelt oder bedauert und rasch in den Hinterhof eines mechanistisch-reduktionistischen Medizinsystems geschickt. Dabei wird auch nicht darauf vergessen, ihn selbst noch vielfach zu kommerzialisieren.
Doch all dies war mir damals nicht einmal in Ansätzen klar. Auch ich erlag dem simplen Charme des Erklärungsmodells der Überarbeitung, das noch dazu von jedem Patienten durch seinen Bericht, sich den Arbeitsbelastungen nicht mehr gewachsen zu fühlen, Ohnmacht vor einem als unüberwindbar aufgetürmten Berg von Anforderungen zu empfinden, genährt wurde. Also entwarf auch ich mit meinen Klienten „Arbeitsbelastungsreduktionspläne“, Dienst nach Vorschrift, Modelle oder Delegationsstrategien, die, würden sie auch andere, die die Mehrarbeit zu tragen hatten, unter enormen Druck setzen, zumindest meine Klienten möglichst freispielen sollten.
Parallel dazu widmete ich mich der Fahndung nach Risikooder Schutzfaktoren und war vor allem an der Prozesshaftigkeit der Entwicklung des Burnout-Syndroms interessiert. Es erschien mir immer wie ein Eisberg, dessen oberste Spitze lange schon aus dem Wasser ragt und dessen gewaltige, verborgenen und erschreckenden Eismassen irgendwann schließlich von Geisterhand über die Wasseroberfläche gehoben werden, um dann den gesamten Lebensraum auszufüllen. Was war die Kraft, die das zustande brachte?
Das sollte mich noch einige Jahre mit weiteren tastenden Arbeitshypothesen in meiner Praxis beschäftigen…