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Demokratie macht Freude 307

»Die Bedeutung von OXI, für die wir kämpfen sollten, ist der Glaube an Politik an sich. OXI meint den Glauben, dass wir uns von den Forderungen der vermeintlich ›unparteiischen‹ Ökonomie, die nur wenigen dient, lösen können, dass wir den Fehlschluss vermeiden können, dass ›ökonomische Notwendigkeit‹ etwas fordert, das wir für gesellschaftlich inakzeptabel halten und stattdessen beginnen, Entscheidungen über unser eigenes, kollektive soziale Leben zu treffen. Genau das ist es, was die griechische OXI-Bewegung so inspirierend macht, das Versprechen einer Rückkehr der Politik und die Kopfschmerzen, Unsicherheiten und Gefahren, die der Versuch bedeutet, einen unbekannten Weg zu gehen.«

Bert Russell, Plan C308

»Nichts ist für immer, dessen bin ich mir sicher«

Es ist irgendwie ironisch, dass die Theorien des »Ereignisses« in genau jenem historischen Moment in den avanciertesten Bereichen der akademischen, politischen Philosophie in den Vordergrund traten, als klar wurde, dass Ereignisse an und für sich überhaupt nichts verändern. Von den G20-Protesten über die Millionen, die gegen den Irakkrieg auf die Straße gegangen sind, den Arabischen Frühling bis hin zur kurzlebigen Kampagne gegen Studiengebühren in Großbritannien – das Narrativ der Ereignis-orientierten Politik seit den späten 1990er Jahren war verlässlich monoton. Euphorische Ausbrüche der Unzufriedenheit werden von depressiven Zusammenbrüchen gefolgt. Eventpolitik ist die manische Kehrseite der allgemeinen, depressiven Tendenz im langweiligen, akademischen Marxismus – in dem ein vermeintlicher Leninismus/Maoismus (alles wird sich nach der Revolution ändern) einen de facto Adornismus verdeckt (nichts kann je geschehen, alles ist schlimm, deswegen können wir auch weiter das Gehalt des Staates beziehen). Die ganze Rehabilitierung der Philosophie in den letzten Jahr­zehnten – die Umkehrung der demokratisierenden Wende zur Theorie und die Kolonisierung dessen, was nun von drittklassiger, obskurantistischer »Philosophie« und Kuratorengebrabbel Theorie genannt wird – ist nur ein Nebenschauplatz, aber ein symptomatischer. Die bittere Ko­mödie des akademisch-philosophischen Leninismus und Maoismus wird nun als einer der letzten Akte eines postmodernen Schattenspiels sichtbar – ein Stück, in dem wir gezwungen sind, die Rolle des interaktiven Publikums zu spielen, die ihre Antworten auf den Bildschirm hinter den Schauspielern tweeten, die so oder so weitermachen.

Die Entstehung von Podemos und Syriza, die Schottische Nationalpartei nach dem Referendum oder die kurdische Frauenbewegung sind Teil eines neuen Rhythmus der politischen Transformation. Die unangenehme Art und Weise, wie sich philosophische Salonmarxisten und »Anarchisten« auf jeden vermeintlichen Fehltritt von Syriza gestürzt haben, sagt uns alles, was wir über diese »Revolutionäre« wissen müssen. Sie wollen nicht, dass irgendeine, positive Veränderung die Reinheit der »revolutionären« Theorie beschmutzt. Das revolutionäre Er­eignis wird alles erlösen … wenn es denn kommt … aber es ist nicht der richtige Zeitpunkt, noch nicht, niemals.

Egal, ob das Kapital Syriza besiegt oder nicht, die Partei hat schon jetzt einen großen Beitrag zum langen Kampf gegen die neoliberale Hegemonie geleistet. Zwischen all dem Lärm und dem Chaos bezüglich der Situation in Griechenland ist mir eine Zeile aus Keir Milburns »On Social Strikes and Directional Demands« wieder eingefallen:

»Selbst wenn sie scheitert, kann parlamentarische Plan-B-Politik hilfreich sein, nämlich dann, wenn es ihr gelingt, den antidemokratischen Effekt des Neoliberalismus sichtbar zu machen, der allen Formen des gemeinsamen Handelns entgegensteht.«309

Zwar geschieht politischer Wandel nicht durch Ereignisse allein, trotzdem gibt es Momente, die als Schwellen fungieren, die ein neues Terrain des Kampfes eröffnen und anderen kollektiven Emotionen zum Ausdruck verhelfen. Obwohl wir – unserer fragilen, kollektiven geistigen Gesundheit zuliebe – nicht allzu mitgerissen sein sollten von der OXI-Wahl letzte Woche, sollten wir dennoch die Bedeutung nicht unterschätzen. Abgesehen davon steht, wie Bert Russell schreibt, die Bedeutung der Wahl keinesfalls fest – sie muss politisch etabliert werden. Der derzeitige Kampf in Europa – der sich im Moment auf Griechenland konzentriert, aber sich in Zukunft wahrscheinlich ausbreiten wird – ist eine Gelegenheit für uns, die Demokratie nach ihrer Gefangenahme durch den Neo­liberalismus in den 1970er und 1980er Jahren zurückzuerobern.

Das Gründungsmoment des Neoliberalismus war der entschieden antidemokratische Sturz der demokratisch-sozialistischen Regierung Allendes in Chile. Dabei handelte es sich um eine doppelte Niederlage: Nicht nur wurde eine demokratisch gewählte, nicht-autoritäre, tech­nologisch orientierte Administration gestürzt, sondern an ihre Stelle ein neoliberales Regime installiert. In Chile erforderte das erzwungene Vergessen des demokratischen Sozialismus Massenfolter, Gefangen­schaft und Repres­sion.

Seitdem bewies die kapitalistische Konterrevolution namens Neoliberalismus einen langen Atem. Wir sollten jedoch akzeptieren, auch wenn wir es kaum glauben können, dass der neoliberale Kapitalismus sich nun in seiner letzten, dekadenten Phase befindet … (Erinnert ihr euch noch an das Ende der Geschichte? Bis vor einem Jahr schien es, als würde es für immer anhalten…)

Das restaurative Kapital riecht nach Niederlage und Erschöpfung, wie der Ostblock am Ende der 1980er Jahre. Das Sowjetsystem war wie der neoliberale Kapitalismus heute, ein gigantisches Empire der Simulation, an das damals niemand mehr glaubte – nicht einmal der große Andere. Allerdings gab es im Staatsozialismus wenigs­tens sozialen Wohnungsbau, Energieförderung durch den Staat etc.

Im Spätneoliberalismus, selbst in den »reichsten« Län­dern, so wie unserem, gibt es nicht einmal das: Nur eine cyber-barbarische Dickens’sche Wiederholung … Fi­nanz­tempel, die über den Tafeln thronen … England im 19. Jahrhundert minus die Philanthropie und die prometheischen Projekte der viktorianischen Kapitalisten (man stelle sich vor, man müsse einen neuen Abwas­ser­kanal oder ein U-Bahnsystem heute im neoliberalen London verkaufen: Das ganze West End wirkt wie eine große Baustelle oder ein Filmset, ein nervöses Traum­gelände, in dem jede Minute neue Hindernisse erschei­nen) … Alles wird von schlechten, ausgelagerten IT-Systemen (fehl)­gesteuert, undurchdringlich und unverständlich, wie Relikte, die ein längst geflohener, gnostischer Demiurg zurückgelassen hat…

»Das emotionale Ansteckungspotenzial eines Nein-Votums ist nicht abzusehen«

Die Managmentsysteme der Wirklichkeit und der Gefühle, die dem Neoliberalismus so gut gedient haben, scheitern nicht nur, sondern sie scheitern ganz sichtbar … natürlich haben die Puffer, die Spielverderber und die Blockierer noch nicht aufgegeben … Zumindest hier nicht, in England, im Land, das das älteste und effektivste Betäubungssystem geschaffen hat, das die Welt jemals gesehen hat … Sie haben noch nicht aufgegeben, sie haben noch nicht mal gemerkt, dass sie das Realitätssys­tem bald neu einstellen müssen, das sie so lange genutzt haben, dass es zur düsteren zweiten Natur wurde … Bald werden sie den ältesten Trick der englischen Bourgeoisie versuchen müssen (sie haben ihn 1688 perfektioniert) … Zuerst sagt man, dass es unmöglich ist und dann, wenn es passiert ist, sagt man, dass es unvermeidlich war … »Weißt du, du musst den Eindruck erwecken, dass nichts geschieht, vor allem, wenn dem nicht so ist, alles klar? Bei uns gibt es keine Revolutionen...«

Das alte, kapitalistisch-realistische Drehbuch wird also nicht abgeschafft, aber diejenigen, die es verkünden, wirken immer mehr wie zottelige alte Linke nach dem Sieg Thatchers von ‘83, verwirrt und traumatisiert, sich immer noch an alten Gewohnheiten festhaltend, die einst funktional waren, aber jetzt wie eine Art Wahnsinn wirken (Aber weil sie es sind, ist es ein langweiliger Wahn.)

Man höre der BBC zu, der Prawda des Marktstalinismus. Robert Mozzachiodi rekapituliert ein Interview von Radio 4 im Nachgang der Wahl in Griechenland:

»Schwärmer: Ich hab kein Geld, aber wenn ich Geld hätte, dann würde ich meine Entscheidung nach dem Geld fällen, Geld fließt, Geld verfließt. Ich habe Demokratie in meinem Herzen und ich bin übervoll davon.

BBC: Ja, aber sorgt die Demokratie für einen gedeckten Tisch? Du bist ein junger Mann. Lass mich dir als einem älteren Mann erzählen, dass Geld wichtig ist, wenn man Frau und Kind hat.«

Währenddessen hört Huw Lemmey Today, wo John Humphrys einen Moment ganz geschockt ist von seinen Kenntnissen:

»John Humphrys imitierte ausgezeichnet einen Autor aus der Kommentarspalte des Telegraph, der heimlich im Schlaf entführt und über Griechenland mit dem Fallschirm abgeworfen wird, wo er dann im Syntagma Square aufwacht, verwirrt, einsam und nach seiner Frau schreit.«

Und dennoch wird es immer schwerer, die fade, alte Message zu verbreiten, das Mantra, das die britischen Bourgeoisie im Schlaf aufsagen kann – nichts ist je passiert, nichts kann je geschehen, wir brauchen mehr Zeit –, jetzt wo klar wird, dass die Realitätsstruktur praktisch überall bröckelt.

Der kapitalistische Realismus kann nicht überleben, wenn überall Alternativen blühen … Und diese Alternativen sind nicht nur im engeren Sinne »politisch« – sie sind auch emotionaler Natur. Kodwo Eshun schreibt via E-Mail: »Das emotionale Ansteckungspotenzial eines Nein-Votums ist nicht abzusehen, das heißt, es folgt einer anderen Logik der Kalkulation und der Zukunft.« Die Winterjahre sind vorbei und der Sommer naht … eine hypergläubische Spirale: Je mehr wir daran glauben, umso mehr wird es uns gelingen, je mehr es uns gelingt, umso mehr glauben wir daran…

Psychopathologien des Unternehmenskapitalismus

In seiner Blütezeit nutzte der Neoliberalismus sowohl Hoffnung als auch Angst, sie waren Teil einer spezifischen Doppelstrategie, die die Arbeiterbewegung zerschlug, während sie individuelle Arbeiter mit Konsumversprechen lockte, mit Satellitenfernsehen, Jobsicherheit … all die Reichtümer, die du bekommst, wenn du dem Kapital gehorchst … mit anderen Worten, wenn du die Möglichkeit des Roten Reichtums aufgibst…

Seit 2010 ist klar, dass der (Bausatz-)Schrank leer ist: Es gibt keine Bestechungen mehr, nur noch Drohungen. Mehr noch, es gibt kein neues Denken, keine neue Strategie von den Managern des Kapitals. Gefressen von den Jahrzehnten der leichten Beute, haben die Fleischpuppen des Kapitals diesmal ihre Herren im Stich gelassen. Die unausgesprochene Überzeugung ist: Wenn es kaputt ist, dann macht es zu viel Arbeit, es zu reparieren. Sie haben sich auf das ökonomische Äquivalent der Retromania zurückgezogen: mehr Kürzungen, mehr Akkumulation durch Enteignung, noch mehr Streichungen im öffentlichen Sektor.

Dieses Programm ist sowohl in libidinöser als auch in politisch-ökonomischer Hinsicht zu verstehen (denn es gibt keine Ökonomie ohne Politik, keine Ökonomie ohne Libido). Es handelt sich um die Psychopathologie der Wirtschaftselite. Selbst wenn der ultimative Trieb, der das Kapital antreibt, der Miser-Masochismus ist (Ich mache mich selbst zum Mittel, mit dem das Kapital wächst und gedeiht), hatte das Kapital – das sich jeden Begehrenskomplex konstruieren kann, den es möchte – doch von Anfang an den alten, schaurigen Impuls, andere zu erniedri­gen und zu unterwerfen. Heute ist der Neoliberalismus in der Krise, weil diese Triebe – sei es bei der Troika und dem »Kredithai-Theater«, das mit den Griechen und ihren Leben aufgeführt wird oder beim Minister für Arbeit und Rente, Ian Duncan Smith, der »sichtlich erfreut ist über die Aussicht, den Armen zu schaden«310 – ohne ihren positiven Anstrich immer offener zutage treten.

Neoliberale Austerität ist eine Form des Sadismus – eher im technischen, psychoanalytischen als im alltäglichen, moralisierenden Sinne – und der ökonomischen Anorexie zugleich. Sadismus und Anorexie teilen den Glauben der Unzerstörbarkeit des phantasmatischen Körpers: egal, wie sehr ich mich schneide, wie sehr ich mich bestrafe, mein Körper wird überleben … Im Falle des Sadisten ist der phantasmatische Körper der des endlos gedemütigten großen Anderen; beim Anorektiker ist der phantasmatische Körper in gewissem Sinne sein »eigener«. Aber die unendliche Plastizität des phantasmatischen Körpers stößt schließlich an die Grenzen des physischen. (Anorexie ist die einzige psychische Krankheit, die tödlich sein kann, aber Anorektiker wollen nicht sterben – sie befinden sich in einem unendlichen Prozess des Immer-dünner-Werdens, der durch den Tod im Grunde unterbrochen wird.) Es ist wichtig zu verstehen, wie die kapitalistische Phantasie notwendig zwischen einer endlosen Strafe für den phantasmatischen Körper – die ewige Bestrafung (Restrukturierung) und/oder Eliminierung (Verletzung) der Arbeiter – und der verspäteten Anerkennung oszilliert, dass der phantasmatische Körper von einem echten, physisch prekären Körper, mit Verletzbarkeiten und echten Grenzen abhängig ist. Man könnte sagen, dass das Kapital als solches den kollektiven Arbeiter-Körper nicht als zugehörig anerkennen kann; nur der Kommunismus kann diese Integration vollbringen.

Die ultimative Phantasie – die ultimative Phantasie des Kapitals »an sich« – besteht darin, die Arbeiter vollständig wegzurationalisieren. Die libidinöse Metaphysik des Kapitals ist eine Art kosmischer Liberalismus: Das Kapital begreift sich selbst als eine Kraft der ungebundenen Energie, deren Fähigkeit zur unendlichen Akkumulation nur durch politische Kontingenz verhindert wird. Bald, ganz bald, träumt das Kapital, werde ich frei sein von der Notwendigkeit der Politik … und auch frei von der Notwendigkeit der Menschen … (»… Arbeit auflösen, Ak­tien auflösen, Bauern auflösen, Immobilien auflösen …«) Die verwirklichte Utopie des Kapitals wäre ein ausgebrannter Planet mit vollautomatisierten Fabriken, die Scheiße produzieren, die niemand kaufen will, wo niemand mehr da ist, der sie kaufen könnte, weil die Bedingungen für die Existenz dieser Fabriken die Zerstörung der Umwelt bedeutet, in der die Menschen leben können.

»Ein großer Teil des modernen wirtschaftlichen Diskurses nimmt als gegeben an, dass ökonomische Kräfte das einzige sind, was zählt. Diese Vorstellung ist auch in die Politik eingesickert, zumindest in der westlichen Welt: Ökonomische Kräfte haben den Status der unwiderlegbaren Wahrheiten … Das Szenario, das man uns bietet – dasjenige, das als unvermeidlich dargestellt wird –, ist das einer hyperkapitalistischen Dystopie. Es gibt das Kapital und es geht ihm besser als jemals zuvor; die Roboter machen die ganze Arbeit; und der Großteil der Menschheit macht nicht viel, hat aber Spaß mit den technischen Spielereien. (Obwohl, wenn es keine Arbeit gibt, dann stellt sich die Frage, wer sich diese Spielereien leisten kann.)«311

»Die Abwesenheit des Überflusses ist bereits anerkannt. Die Metaphern der Naturpoeten, die das mensch­liche Herz durch einst allgemeinverständliche Bilder beschreiben, sind irrelevant und undurchdringlich. ›Die Sonne des Winters / Der Mond des Sommers, und all die singen­den Vögel / Außer der Misteldrossel, die Wacholder liebt / Sind ziemlich ausgeschlossen.‹ [Edward Thomas] Ent­schuldigung. Die Mistel – was? Lässt sich aus Wacholder Geld machen? Ist dieses Misteldingens zu verkaufen? Unseren Kindern fehlt bereits eine Grundlage, auf der sie den Verlust dieses ganzen Lebens ermessen könnten. Das Spiel ist aus.

Eingedenk all dessen, komme ich langsam und zögerlich zu dem Schluss, dass die Geschäftswelt recht hat. Es gibt keine Zeit zu verlieren. Fangen wir an, die Startbahn zu bauen. Erdrosseln wir die Erde. Bringen wir’s verdammt nochmal hinter uns, denn was können wir schon verhindern, welches Ende haben die mächtigen Götter des Geschäfts im Sinn? Beschleunigen wir unseren Verfall, lassen wir unser Kinder das alles austragen und ersparen wir ihren ungeborenen Kindern weiteres Leid. Wir werden das Nashorn nicht retten. Wir werden nicht einmal den Igel retten. Wie sollen wir da die Welt retten?

Doch wenn wir uns die billige Sentimentalität austreiben, wie aufregend und faszinierend wird es ein, wenn wir sehen, wie die Welt unbewohnbar wird. Fast würde es sich lohnen, mehr auf seine Gesundheit zu achten, damit man noch 60 Jahre überlebt und sieht, wie alles zusammenstürzt. Wie viele Menschen hatten die atemberaubenden Möglichkeit, ein solches Spektakel zu sehen: das Ende von allem, was existiert?«312

Warum nicht das Kapital (und seine willigen Diener, wenn sie es so sehr wollen) auf einen bereits gestorbenen Planeten exportieren? Dann kann das Kapital weitermachen mit der Verwirklichung seiner Utopie und wir können weiter an der Rettung des Roten Reichtums arbeiten.

Es ist wichtig, zu betonen, dass das Kapital »sich selbst« nicht versteht – und notwendigerweise nicht verstehen kann. Das Kapital ist wie der Neuromancer vor der schicksalhaften Vereinigung mit Wintermute, ein Ein­zelteil, das sich selbst als letzte Ursache missversteht. Oder wie Ultron, die verwirrte Personifikation eines welt­weiten Netzwerks, teils teuflische, künstliche Intelligenz, teils künstliche Dummheit, teils bockiges Kind und konstitutiv geblendet durch seine eigene Programmierung.

»Die Personifikation von Dingen im Kapital stellt die Personifikation von Dingen im Kapitalismus dar, also den Warenfetisch. Zusätzlich zu diesen zwei Registern der Personifikation gibt es aber noch zwei weitere, auf die Marx’ Vorwort hinweist: die Personifizierung von Personen, sowohl textlich als auch systematisch. Das Kapital personifiziert Personen, also tut es Das Kapital auch; der Einzelne, den die bürgerliche Wissenschaft als ökonomisches Subjekt versteht, gilt im Text als Personifikationen von ›Verhältnissen‹, ›deren Geschöpf er sozial bleibt.‹ Die erste dieser Kategorien ist das Kapital selbst, weswegen es selten einen Verweis auf ›den Kapitalisten‹ gibt ohne den Zusatz ›das heißt, das personifizierte Kapital‹.

Wenn Personen personifiziert werden, dann schafft man sie nach dem Bilde und der Ähnlichkeit der Urperson, dem Kapital. Das Kapital ist das Subjekt dieser Welt; alle anderen Akteure sind Figuren, Masken, Gesichter, prosopopoetische Personifikationen des Subjekts. Das ist das Primat des Kapitals, das bereits im Titel Das Kapital angedeutet wird, also jenem Ort, den die meisten Romane des 19. Jahrhunderts für das Subjekt reservierten: das Kapital ist das Subjekt von Das Kapital, so wie David Copperfield, Jane Eyre oder Daniel Deronda die Subjekte von David Copperfield, Jane Eyre und Daniel Deronda sind. Die analytische Bedeutung dieser Subjektposition, einer Vorstellung, die eher durch die Trope der Personifizierung als durch ihre Ausarbeitung nahegelegt wird, besteht nicht nur darin, dass das Kapital der Protagonist der Moderne ist, sondern dass die Funktionsweise des Kapitalismus als Subjektivierung und Verkörperung einer Abstraktion beschrieben wird. Das Kapital ist die Geschichte, wie das Kapital ein Subjekt wird, eine Geschichte der endlosen Selbstkonstitution, der ›Verwertung des Werts‹, die diese Produktionsweise antreibt. Der Trick der Personifizierungstrope weist auf den Trick und die Instabilität dieses Subjekts hin, auf die Risse und Krisen in seinem Prozess des Werdens, seinem Abenteuer der Bildung313314

Insofern, als uns das Kapital programmiert, können wir nicht verstehen, was das Kapital ist. Die Bedingungen, um das Kapital wirklich zu begreifen, liegen außerhalb, in einer kommunistischen Wissenschaft, die – um eine Formulierung von Nick Land zu klauen – die Bedingungen ihres eigenen Entstehens fast ausschließlich mit den Ressourcen des Gegners herstellen muss. Aus der Innenperspektive (des Kapitals) stellt sich das Kapital als ökonomisches System dar, das nur willkürlich auf die Politik zurückgreift; von außen betrachtet ist das Kapital ein komplexes Set an (libidinösen, ideologischen, gewalttätigen) Mechanismen, um das Entstehen des Roten Reichtums zu verhindern.

Es gibt keine Ökonomie

(Philosophisches Zwischenspiel: Gehe zum nächsten Abschnitt, wenn du das vermeiden möchtest)

ES GIBT KEINE ÖKONOMIE. Es gibt keine reine Ökonomie, keine Ökonomie ohne Politik, keine Ökonomie ohne Libido. David Graeber hat recht, wenn er schreibt, dass der Neoliberalismus

»eine Form des Kapitalismus [ist], die systematisch politische Imperative über wirtschaftliche stellt. Müsste sich der Neoliberalismus entscheiden zwischen einem Vorgehen, das den Kapitalismus als das einzig mögliche Wirtschaftssystem erscheinen lässt, und einem, das den Kapitalismus in ein tragfähiges, langfristiges Wirtschaftssystem verwandelt, dann würde er immer Ersteres wählen. Es spricht alles dafür, dass die Zerstörung von Arbeitsplatzsicherheit und gleichzeitiger Erhöhung der Arbeitszeit keine produktivere (ganz zu schweigen von innovativere oder loyalere) Arbeiterschaft hervorbringt. In ökonomischen Begriffen ist das Ergebnis negativ – ein Eindruck, den die sinkenden Profitraten in den Achtzigern und Neunzigern in fast allen Teilen der Welt stützt. Aber die neoliberale Entscheidung war erfolgreich darin, Arbeit zu entpolitisieren und die Zukunft in Beschlag zu nehmen. Ökonomisch sind die wachsenden Armeen, die Polizei und die privaten Sicherheitsfirmen ein Ballast. Es ist durchaus möglich, dass die Last des Apparats, der geschaffen wurde, um den ideologischen Sieg des Kapitalismus zu gewähr­leis­ten, schlussendlich zu seinem Niedergang führt. Aber es ist ebenfalls leicht zu sehen, welche wichtige Rolle es für das neoliberale Projekt spielt, jede Idee einer unvermeidlichen, erlösenden Zukunft, die anders wäre als unsere Gegenwart, zerstört werden muss.«315

Von Beginn an war die »Wirtschaft« die Objektursache der bürgerlichen »Wissenschaft«, die sich hypergläubisch selbst ins Werk setzt und dann die Materie dieser und jeder anderen Welt bog und brach, um sie sich gefügig zu machen – der größte theokratische Erfolg einer Geschichte, die niemals menschlich war, ein enormer Zaubertrick, der umso besser funktionierte, weil er im Gewand des trüb-grauen englischen und schottischen Empirismus daherkam, der von sich behauptete, mit allen Göttern Schluss gemacht zu haben. Als Thatcher sagte »Es gibt keine Gesellschaft«, wiederholte sie die Ideen von Hume und Smith: »Gesellschaft« ist eine unbeweisbare Abstraktion, ein Gespenst, das von ordentlichem, wissenschaftlichen Denken bald ausgetrieben wird … Nur Sinneseindrücke sind verifizierbar, alles andere ist abergläubischer Müll, der bald verschwunden sein wird. Alles natürlich außer das Kapital … (Diese verdammten Wilden glauben, ihre hölzernen Götter hätten Macht, aber wir hingegen…)

Hume hat immerhin am Ende den Empirismus bis an den Punkt getrieben, wo er sich selbst abschaffte. Wenn man den Empirismus logisch zu Ende denkt, so Hume, bleibt keine der Annahmen, auf denen der säkulare Liberalismus beruht, mehr übrig. Es gibt kein Selbst (denn es gibt keine Sinneswahrnehmung, die mit dem korrespondiert, was wir das Selbst nennen – das ist ein doppelter Skandal für den Empirismus, da alle Ideen auf Sinneseindrücken beruhen sollen), genauso wenig wie es Kausalität gibt (wir erfahren keine Ursache und Wirkung, sondern nur ständige Verknüpfungen). Der von der Spinne Skeptizismus beeindruckte Hume bot schließlich eine Art homöopathisches Heilmittel gegen die Neigung der Vernunft, die Welt all ihrer Fetische, Prüfsteine und Allgemeinplätze zu berauben. Vernunft, so Hume, während er in seinen Backgammon-Sessel zurücksank, hat nur eine beschränkte Macht über unser Leben. Gefühle und Gewohnheit bestimmen, was wir denken und tun. Und so sind das Selbst und die Kausalität zurück und Kants transzendentale Kritik tritt auf, um mit allem aufzuräumen.

Niemand kann der Libido entkommen, nicht mal die Briten … Diese Einsicht ist zentral für die radikale Aufklärung, die Spinoza geduldig in seiner Linsenschleiferkammer in Amsterdam vorbereitet. Wie die Verteidiger der theokratischen und säkularen Macht schnell merkten, war die radikale Aufklärung die gefährlichste Waffe in der christlichen Welt – nicht zuletzt, weil sie die Unterscheidung zwischen theokratischer und säkularer Macht als Unsinn entlarvte: In aller säkularen Macht gibt es ein theokratisches Element. Vorsorglich erledigt Spinoza so­wohl den britischen Empirismus als auch die »kontinentale« Denkbewegung, die mit Kant begann (der größte Trick des deutschen Idealismus bestand darin, so zu tun, als hätte es Spinoza nie gegeben). Die Kritik des Aberglaubens ist sinnlos, wenn wir weiter an den freien Willen und das Selbst glauben. Die erste anthropomorphe Tat ist die Erfindung des menschlichen Wesens, zurückprojiziert von einem erfundenen Gott, der nicht nur nicht exis­tiert, sondern auch nicht existieren kann. (Selbst Gott könnte keinen freien Willen haben.)

Für Menschen, die sich in Richtung Liebe und Freiheit bewegen wollen, gibt es nur das scheinbare Paradox, sich theoretisch-praktisch in die naturalistische Matrix von Ursache und Wirkung einzufügen. Die Folge ist, dass der Cordon sanitaire durchbrochen wird, den Hume um die Gefühle herum installiert und damit die bürgerliche »Common sense«-Trennung zwischen Denken und Fühlen aufrecht erhalten hatte. In der Ablehnung dieser Trennung demokratisiert die radikale Aufklärung die Mög­lichkeit dessen, was Lynne Segal radikales Glück nennt (mit dem Vorbehalt, dass Spinoza eher von Freude spricht als von Glück – aufgrund der Assoziation von Glück und Zufall).

Emotionen existieren nicht einfach, sie entstehen in Kraftfeldern von Ursache und Wirkung, die man analysieren kann. Daraus folgt, dass man Gefühle herstellen kann, in einer hypergläubischen Spirale, die mehr mit dem zu tun hat, was Justin Barton »Klarheit« nennt als mit dem akademisch-philosophischen Begriff der Vernunft. Ich verwende hier mit Absicht den Begriff der Emotion statt den des Affekts. Affekt, so wie der Begriff heute von Akademikern gebraucht wird, steht dem, was Spinoza damit meinte diametral gegenüber. Das Problem beginnt mit Deleuze und der fatalen Verschmelzung von Spinozas Projekt der Gefühlstechnik mit Bergsons vita­lis­tischem Kult der Kreativität und Unvorhersehbarkeit. Man kann sich kaum zwei Denker vorstellen, die in ihren Grundannahmen und Ausrichtungen unterschiedlicher sind als Spinoza und Bergson – und im Grunde hat alles, was an Deleuze falsch ist, mit seiner Schwärmerei für Bergson zu tun. Es ist Bergson statt Spinoza, der die wahre Ideologie des Kapitalismus liefert. Es stimmt, dass viele der wichtigsten Wissenschaften des Spätkapitalismus – die technische Herstellung von Gefühlen und Wirklichkeit, Werbung, Markenbildung, Medien, die Glücksindustrie – in gewisser Weise spinozistisch sind, aber es ist ein gefangener Spinoza, einer, der an die Bedürfnisse des Kapitals gefesselt wurde, statt an die Produktion von Freude.

Es bewegt sich nicht … oder verändert sich … oder altert … es bleibt … für immer … eisig … stumm

»Die Idee, dass ökonomische Veränderungen die gesellschaftliche Ordnung so sehr angreifen, dass die Gesellschaft sich dagegen erhebt – diese Vorstellung scheint aus dem Raum des Möglichen verschwunden zu sein. Doch das Verschwinden von 47% aller Berufe in den letzten zwei Jahrzehnten (laut Frey und Osborne) muss nah an der Grenze dessen sein, was eine Gesellschaft aushalten kann, nicht so sehr wegen den 47%, sondern aufgrund des Zeitraums. Berufe verschwinden; das ist schon oft passiert. Aber dass es in dieser Geschwindigkeit geschieht, das ist neu und die Suche nach historischen Vorläufern, nach Beispielen, aus denen wir lernen können, wird uns nicht weit bringen. Was sind die Konsequenzen dieses Verschwindens von Arbeit, in Verbindung mit der enormen Deflation? In Wahrheit hat darauf niemand eine Antwort. Auch wenn es kein Rezept und keine Vorläufer gibt, ist doch die Vorstellung, dass die ökonomische Entwicklung einfach so wie ein Sattelschlepper weiterrollt, ohne dass es politischen oder gesellschaftlichen Widerstand gibt, schwer anzunehmen. Die Roboter fressen die Arbeit nur, wenn wir sie lassen.«

John Lanchester, »The Robots are Coming«

Die dümmsten Manager des Kapitals glauben ihre eigene Propaganda: Der Sozialstaat war ein bedauerlicher Ausrutscher, ein Luxus. Der Gedanke, dass es auch eine Versicherung gegen die Revolution war, greift nicht mehr: Warum sollte man sich heute über die Revolution Gedanken machen? Die Realität ist heute realer als jemals zuvor, sie ist wie ein Granit, eine bewegungslose Gewissheit, aus der die Möglichkeit der Veränderung von vornherein ausgeschlossen ist. Unter der hektischen »Simulation der Produktivität« liegt ein steriles Niemandsland, das sich nicht bewegt und das für immer eisig und stumm bleibt … Die intelligenteren Agenten des Kapitals werden jedoch begreifen, dass das nicht ewig so weitergehen kann. Nihiliberalismus ist brutaler Überfall, ein letztes Aufbäumen, bevor sie hinter jenseits der Mauern in ihre Helikopter steigen, während alles in einer Dystopie im Stil von Oryx und Crake versinkt.

Hier bei uns in Gormenghast, wo alles in krummen Schatten hockt, die die verdrehten Türme und Türmchen des Kapitals werfen, hier lebt man schon in einer Dystopie – aber eine Dystopie, die sich in den altehrwürdigen Mantel der englischen Bourgeoisie hüllt: der Mantel des Langweiligen. Gesteigerte Angst, die mit hochauflösenden Ablenkungsmaschinerien überzogen wird, all das ergibt ein wunderbares Zwangssystem. Tief in den Eingeweiden Middleenglands – abgetrennt von all den Hash­tags, den Mobilgeräten und all den anderen schwatzenden Technologien, die sie in den niederen Schichten vertreiben – wollten die grauen Eminenzen schon den totalen Sieg feiern, den größten Erfolg ihrer historischen Mis­sion. Es war knapp, aber die kubanischen Zigarren wurden nicht ausgepackt … Wenn nur nicht diese lästigen Griechen wären … und die Spanier … und die Schotten … die verdammten Ausländer wissen nicht, was gut für sie ist … Das ist die englische Bourgeoisie: Widerstand brechen und alles langweilig machen seit 1750. Wenn es noch irgendwo im Kosmos eine fühlende Kreatur gibt, sie werden sie finden und neutralisieren.